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Sechzehntes Capitel.
Ein Geheimniß des Boudoirs.


Der König erschien heut ausnahmsweise im Civilkleid eines grünen Fracks mit rundem Hute. Als er eintrat, stand die Gräfin schon in entgegenkommender Haltung, und empfing ihn mit der Miene heiterer Ueberraschung und gemessener Ehrerbietung. Ihre imponirende Fassung war unter den Umständen des Augenblicks nichts Ueberlegtes, nichts Gemachtes, sondern rührte, bei angeborener Stärke der Seele, von Erziehung, von geübter Selbstbeherrschung und von den guten Gewohnheiten ihres hohen Standes her. Denn in ihrem Innern durchkreuzten sich so widersprechende Empfindungen und Gedanken, daß ihr Benehmen leicht genug in das Ansehen von Zerstreutheit und Unbeholfenheit hätte fallen können. Das Schwunggewicht ihrer Gedanken schlug weiter als an die beiden Thüren, zwischen denen sie stand und durch die hinter ihr ein verliebtes Paar entschlüpft war und vor ihr ein König eintrat. Nicht blos der hohe Besuch überraschte sie, sondern auch die Erinnerung an Das, was zwischen ihr und dem Besuchenden vorgefallen war und was ihn jetzt ohne Zweifel herbeiführte. Diese Erinnerung hatte sie auch zu der Uebereilung verleitet, die beiden Leutchen zu verstecken, anstatt nur den jungen Mann entschlüpfen und Adelen bei sich antreffen zu lassen. Dies fiel ihr jetzt zu spät ein, und sie fühlte sich beängstigt um das Paar, und zugleich vor demselben bloßgestellt durch den verheimlichten Empfang des Königs. Ueberdies war auch, was Jerôme in seiner gewohnten Lebhaftigkeit aussprechen konnte, für die Versteckten nicht geeignet, wenn sie etwa verweilten und lauschten. Aber in solchen Fällen haben Personen von der Begabung und dem Herkommen der Gräfin, durch die frühe und häufige Gewöhnung ihr Inneres zu verbergen und bei allem Sturm und Unmuth im Herzen freundlich auf ihre Umgebung zu achten, etwas Aehnliches voraus, wie der geschulte Reiter, der bei jeder auch unerwarteten Bewegung seines Pferdes, aller Ueberlegung voraus, wie von selbst in das Gleichgewicht seines Sattels fällt.

Die Anrede Jerôme's verrieth in ihren überlegten Worten und noch mehr durch den Ausdruck in seinem Ton und Blick eine vertrauliche Beziehung, bei welcher für die Gräfin etwas Verletzendes vorgefallen war.

Sie hatte sich nämlich zuerst des Königs zunehmende Aufmerksamkeit und Bewerbung um ihre Gunst innerhalb der Formen des Anstandes gefallen lassen, nicht aus Zuneigung für die Person, nicht, wie so manche der Hofdamen, aus Eitelkeit und sogar aus Eigennutz, sondern weil sie eben nach Einfluß, und zwar in dem großen, edeln Sinn ihres Freundes Bülow, trachtete. Sie schlug den Werth einer solchen königlichen Gunst für sich selbst an, und vergaß des Preises, der darauf gesetzt werden könnte, oder sie dachte wol auch, etwas erhalten zu können, ohne etwas dafür zu gewähren. In keinem Fall aber war sie auf so unumwundene Wünsche eines Mannes gefaßt gewesen, der in seinen natürlichen Regungen auch gegen Damen von Stand mehr als naiv sein konnte. – Jerôme sprach laut und lebhaft, zog sich dabei aber nach dem entfernten Fenster, wo er sich auf einem Tabouret niederließ. Die Gräfin entgegnete aber so eigenthümlich leise, als ob es nicht zufällig Lauschenden, sondern dem Geheimniß der Angelegenheit gelte. Jerôme nahm es denn auch in der Tonart der Vertraulichkeit und erwiderte gleicherweise.

Ich komme, Sie zu versöhnen, meine theure Prinzessin, sagte er. Sie meiden den Hof, die Königin entbehrt Ihres Umgangs; Sie lassen Andere dafür büßen, daß ich Sie beleidigt habe. Ist das nicht Groll? Ich hätte nicht gedacht, daß Sie soviel Kälte für mich in der reizenden Brust trügen.

Sie thun mir Unrecht, Sire! antwortete sie. Es ist kein Groll; aber ich betrübe mich darüber, daß Sie meine Theilnahme, meine entgegenkommende Freundschaft für Sie so misverstehen konnten, um mir Zumuthungen zu machen, die mich in meiner Person, in meinem Interesse für Sie, wie in meiner Stellung an Ihrem Hofe herabwürdigen. Ihr Herz, sagen Sie, bedürfe der Liebe; ich glaube es, aber es hat, wie mir scheint, noch keinen Mangel gelitten, sondern sich vielleicht durch den Ueberfluß verwöhnt. Es gibt auch eine Liebe, Sire, die sich nicht nach körperlichen Gewichten schätzen und empfangen läßt, sondern zu den unwägbaren, aber belebenden, schaffenden Kräften gehört. Ich glaubte so etwas für einen jungen Souverain zu empfinden, dem eine neue Macht in einer neuen Zeit verliehen ist, aber unter einer ihm fremden – Nation, und für ein Volk, das nicht ohne Aengstlichkeit, – ich weiß nicht, ob vielleicht auch mit einigen Mistrauen, sein Glück von ihm erwartet. Sehen Sie, da ist eine Welt von Liebe zu erobern! Ich hielt es meiner Person und Stellung für eine Gunst, als Vermittlerin dieser Liebe zu gelten. Sie haben mich misverstanden, Sire, wenn Sie mich zu jenen liebenswürdigen Frauen zählten, die eines jungen Königs Liebe für sich selbst suchen. Ich weiß es, daß König Jerôme von der Absicht beseelt ist, sein Volk zu beglücken. Wenn er aber zu ungestüm den Verlockungen seines menschlichen Herzens folgt, so zerstreuen sich leicht die Eingebungen seiner königlichen Seele. Dieser da, dieser Seelenhoheit, rechnete ich das Wohlwollen und die Gunst zu, die Sie mir schenkten; ich freute mich, Ihr Herz zu gewinnen, um Sie an Ihre Krone zu erinnern.

Diese Betrachtung war, ihrer Empfindung nach, von der Gräfin ohne Zweifel aufrichtig gemeint; der Ausdruck verrieth aber, daß sie sich wol erst in den Stunden ihrer Zurückgezogenheit so klar darüber gemacht und wol auch für den Fall einer Erklärung vorbereitet hatte. Jerôme, schlau genug, etwas davon zu merken, nahm jedoch die ganze Aeußerung für eine weibliche Ausflucht, für eine geistreiche Hinhaltung seiner Wünsche. Er glaubte blos durch Uebereilung gefehlt zu haben, und fühlte sich nur noch angeregter, auf einem neuen reizenden Wege an sein Ziel zu kommen. Jede Frau von einigem Anstande hat ihre eigene Art zu capituliren, dachte er, und die Gräfin gefällt sich darin, mich auf geistreiche Weise hinzuhalten. Indem er daher auf die Gedanken der Gräfin einging, konnte er ein schalkhaftes Lächeln nicht unterdrücken.

Ha! rief er mit dem Ausdruck der Bewunderung aus, in diesen hohen Gesinnungen erkenne ich eine Prinzessin, eine geborene Fürstin! Sie sind eine Tochter der Nation, zu der mein Volk gehört, eine vorzügliche, eine fürstliche Tochter. Auf mein Wort, es ist gerade diese Liebenswürdigkeit, die mich zu Ihnen hinzieht. Was mir andere Frauen schenken, gewährt hinter dem ersten Reiz her keine Befriedigung. Ich bin glücklich, wenn Sie Dolmetsch der Liebe meines Volks sein wollen. Geben Sie dann aber auch dieser Vermittelung all' die Wärme und unbedingte Hingebung, die ich von meinem Volk erwarte! Nur Sie, herrliche Prinzessin, haben Reichthum der Seele und zugleich persönliche Liebenswürdigkeit genug, um die tausendfache Liebe eines beglückten Volks seinem König zu überliefern, und diesen in gleichem Maße und im Namen des Volks wieder zu beglücken. Ja, ich liebe mein Volk, und habe auf meiner Umreise die schönsten Beweise von der Liebe desselben erhalten. Ich habe das auch dem Kaiser, meinem Bruder, geschrieben. Aber sehen Sie, meine liebenswürdige Prinzessin, der Kaiser selbst kürzt mir die Mittel, mein Volk so rasch wie ich wünschte, zu befriedigen. Seine Anfoderungen an mein Land sind unerschwinglich, und er durchkreuzt in jeder Richtung mit seinen europäischen Gedanken meine westfälischen Absichten.

Ei, Sire, so behaupten Sie sich gegen den Kaiser als unabhängiger Regent, als souverainer König! rief die Gräfin aus. Der Kaiser selbst nennt Sie souverain; zeigen Sie ihm, daß Sie es sind!

Oho! lachte Jerôme. Sie kennen den Kaiser nicht. Das gäbe einen Proceß, der in letzter Instanz durch das Schwert entschieden würde. Glauben Sie, daß ich ihn gewänne? Aber denken Sie darum nicht, daß es mir an allen muthigen Absichten fehle. Wollen Sie mein Geheimniß gegen Ihre Verzeihung eintauschen?

Er reichte seine Hand hin, und die Gräfin war gespannt genug, einzuschlagen. Er küßte wie schöne kleine Hand, und sagte halblaut:

Ich füge mich jetzt noch dem Kaiser, weil er damit umgeht, Westfalen zu vergrößern durch – Nun, einerlei! Und dann könnt' es kommen, Prinzessin, daß ich die größere Macht, vom Kaiser geschenkt, dazu verwendete, sie für mein Volk zu verdienen. Aber – wir schweigen jetzt noch darüber. Also haben Sie mir vergeben? Und ich bringe gleich eine kleine Anerkennung Ihrer Güte mit.

Er zog einige Papiere aus der Tasche und sagte weiter:

Sie verwendeten sich für Herrn von Henneberg: hier ist seine Ernennung zum Präfecten des Ockerdepartements. Sie empfahlen mir zugleich Herrn von Wangenheim: hier das Patent zum Bataillonschef beim dritten Linienregiment! Einige andere Beförderungen Ihrer Wünsche liegen in der Ausfertigung

Ich bin wahrhaft gerührt, Sire, von Ihrer Güte! sagte die Gräfin. Sie haben sich selbst mit diesen Schriften bemüht, und ich darf sie nicht zurückgeben. Aber ich meide gern den Schein irgend eines politischen Einflusses bei Eurer Majestät, und möchte auch diesen Männern die Beschämung ersparen, als ob es noch meines Fürwortes bedurft hätte, um in den Augen ihres Monarchen von Seiten ihrer Verdienste erkannt zu sein. Ich werde, dankbar für Ihr Vertrauen, Sire, beide Patente Herrn von Bülow zustellen, um sie vom Ministerium aus zu versenden.

Sie sind zartfühlend, meine theure Freundin, erwiderte der König. Fahren Sie fort, mir Rath und Winke zu geben. So unparteilich und uneigennützig sind nicht Alle, die sich mit Anliegen und Vorschlägen an mich drängen. Aber mischen Sie auch etwas von persönlicher Liebe für mich in ihre hohen Gesinnungen für das öffentliche Wohl! Ich könnte alle Frauen, die bereit sein möchten, mir ihre Gunst zu gewähren, unbedenklich um die Eine hingeben, die soviel Reiz und Anmuth, Geist und Herz in der einen Person besitzt, und Alles vereinigt, was ein König zu seinem Glück nicht entbehren, was er aber sonst nur vertheilt finden kann. Wenn ich glücklich machen soll, muß ich mich selbst beglückt fühlen, indem ich lieben darf, was ich bewundern muß. –

Bei diesen Worten faßte er mit einnehmendem Anstand die Hand der Gräfin, sie an seinen Mund zu drücken. Im Fortgehen sagte er lachend:

Der Graf Hardenberg mit seiner Gesellschaft wird sich wundern, wo ich solange bleibe. Ich werde ihm sagen, Amor sei ein kleiner Sansculotte, und trage keine Taschenuhr.

Nein, Sire, versetzte die Gräfin, Sie dürfen den Amor nicht zum Revolutionär gegen die gute Sitte machen!

 

Als sie aus dem Salon, wohin sie den König geleitet hatte, in ihr Zimmer zurücktrat, stürzte ihr Adele in leidenschaftlicher Verwirrung entgegen,

Mein Gott, wie sehen Sie aus! Adele? Was ist geschehen? Adele? Reden Sie doch, rief die Gräfin ganz betroffen.

Adele warf sich ihr in die Arme, preßte sie an ihre Brust. Sie zitterte und bebte.

Auch die Gräfin konnte vor Herzklopfen kein Wort mehr hervorbringen. Was ahnte, was fürchtete sie nicht! Ein bitterer Unmuth über sich selbst stieg in ihrer Brust auf, Angst und Unruhe bemächtigten sich ihrer; aber sie kehrte die Vorwürfe, die sie sich zu machen hatte, zuerst gegen das Mädchen. Sie stieß es von sich, indem sie ausrief:

Warum sind Sie nicht nach Hause gefahren? Sie wußten, daß mein Wagen bestellt war!

Adele sah die Zürnende groß an, zuerst betroffen, dann ergrimmt.

Sie, Madame –? rief sie aus, machen mir Vorwürfe? Warum ließen Sie mich nicht in Gegenwart des Königs fortgehen? Warum hatten Sie das Rendezvous mit ihm, und mußten flüstern und kosen, während Sie uns da drinnen –

Sie schauerte bei dieser Erinnerung zusammen und verstummte.

Uns? Also auch der Doctor ist geblieben? fragte die Gräfin bestürzt, verwirrt.

Nennen Sie ihn nicht! schrie Adele. Ich hasse, ich verwünsche ihn – ich –

Sie eilte fort durch den Salon; die Gräfin ihr nach, faßte sie am Arm, und sagte leise, beklommen, aber mit Nachdruck und Würde:

Was es auch sei, unglückliches Kind, – es bleibt ein Geheimniß des Boudoirs! Aber in dieser Verwirrung, in diesem Zustande können Sie nicht von mir nach Hause kommen. Hier, treten Sie an den Spiegel, ordnen Sie Ihren Spitzenkragen, glätten Sie Ihren Chignon, setzen Sie den Hut zurecht!

Die Gräfin half dabei dem etwas zu sich kommenden Mädchen, dessen Verwirrung mehr und mehr auf sie selber überging. Die Ueberlegung, was geschehen, was zu thun sei, ward ihr zu angstvoller Pein. Endlich sagte sie leise, aber hastig:

Sie können Alles gut machen, Adele! – Ihre Kinderei, Ihre Thorheit, vielleicht Ihre Selbstvergessenheit, Alles – wenn Sie endlich Morio Ihr Jawort geben. Sie können sagen, wir hätten eben eine Erörterung darüber gehabt, ich hätte Sie ausgescholten, und Sie hätten geweint. Vielleicht aber werden Sie zu Hause nicht erwartet, und gewinnen Zeit, sich zu fassen.

Doch kaum ausgesprochen, fielen diese Rathschläge ihrer Verwirrung auf das eigene beschämte Herz der Gräfin als brennende Vorwürfe zurück. Sie zog heftig die Schelle, und befahl der eintretenden Zofe den Wagen für Adelen. In ihrer Befangenheit bemerkte sie das verschmitzte Lächeln der geschminkten Dienerin nicht. Sie eilte ohne weiteres Abwarten in ihr Zimmer zurück, wo sie sich in den bittersten Empfindungen von Angst und Beschämung, Verdruß und Wehmuth auf ihr Ruhebett warf.

Erst nach einer geraumen Weile hörte sie den Wagen fortfahren.



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