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4. Das wandernde Feuer

Der von Reihenfels fortgeschickte Dick trabte unterdes in raschförderndem Laufe der Richtung zu, in welcher die Plantage des Mister Shaw liegen sollte. Ob er sie erreichte oder nicht, daran war ihm eben nicht viel gelegen. Hauptsache war nur, daß er sich nicht bei den übrigen im Schlosse befand, und daß er nicht in die Hände der ihm Nachfolgenden fiel. Denn daß er verfolgt würde, darüber war sich Dick nicht im Zweifel. Einmal hatte es ihm Reihenfels fest versichert, und dann sollte er es auch selbst bald merken.

Der Trapper, der seine Lehrzeit in Amerika durchgemacht hatte, bewegte sich hier ebenso schnell und sicher vorwärts, als befände er sich in den Prärien. Hier, wie dort dienten ihm Sterne und Mond während der Nacht als Kompaß; Furcht vor Raubtieren kannte, er nicht, sein ihm angeborener Instinkt, seine im Umgang mit Gefahren ganz unglaublich geschärften Sinne verrieten ihm im voraus, wenn etwas nicht in Ordnung war, so daß er stets noch Zeit zur Umkehr oder zum Umweg hatte. Überdies war Dick schon über zwei Monate in Indien, hatte in Gesellschaft von landeskundigen Männern schon Hunderte von Meilen zu Fuß zurückgelegt, und so waren ihm die Sitten der Bewohner und die Angewohnheiten der Tiere des neuen Landes nicht mehr fremd.

Eine Stunde mochte er so in schnellem Trabe gelaufen sein, ohne daß ihn die schwere Büchse daran gehindert, und ohne daß man einmal etwas anderes als ein leichtes Rascheln von Blättern gehört hätte, als er plötzlich wie leblos hinter einem Busche zusammensank.

Kein Laut hatte die Ruhe der Wildnis gestört, Dick aber hatte doch die Anwesenheit von Personen vor sich gewittert.

Schon klang es wie ein Brechen von Zweigen, es kam immer näher, und bald sah Dick im Scheine des unterdes aufgegangenen Mondes zwei Männer auf sich zukommen. Sie führten an Leinen Hunde, welche mit auf die Erde gesenkten Nasen einer Spur folgten.

Dick erkannte in ihnen Kulis und jene großen Hunde, welche zur Jagd auf schnellfüßige Antilopen verwendet werden, aber auch sehr gut die Spur eines Menschen auffinden können.

Sie verfolgen eben die Fährte, auf welche sie gesetzt werden.

»Alle Wetter,« dachte Dick, »sie haben Hunde bei sich. Wie zum Teufel aber kommen sie vor mich? Sie müssen einen ganz nahen Weg nach der Plantage kennen und suchen mir denselben abzuschneiden. Denn daß die Hunde meine Spur finden sollen, ist doch ganz sicher. Na, kommt nur heran, vor zwei Kulis und zwei Hunden fürchtet sich Dick noch lange nicht.«

Er wagte nicht, sich in den Busch zu verkriechen. Er blieb so liegen, wie er lag, die Büchse schußbereit vor sich, zog das lange Bowiemesser, nahm es zwischen die Zähne und stemmte dann Hände und Füße so auf den Boden, daß er jeden Augenblick wie eine elastische Feder in die Höhe schnellen konnte.

Er sollte indes zu keinem Kampfe kommen.

Plötzlich schlug einer der Hunde wütend an und zog so stark an dem Riemen, daß der Führer, ein schmächtiger Mann, das Gleichgewicht verlor und zu Boden stürzte. Für das Tier gab es nun kein Halten mehr, die Nase dicht am Boden, jagte es davon, links ab von Dick, und schleifte den Kuli, der die Schlinge nicht schnell genug von der Hand abstreifen konnte, mit sich.

Im Augenblick waren Hund und Mann verschwunden, man hörte nur noch die Hilferufe des letzteren.

Zwischen dem zweiten Hunde und seinem Führer fand ebenfalls ein Kampf statt, der fast zehn Minuten währte. Der Hund wollte durchaus denselben Weg einschlagen, den sein Kamerad genommen, und der Kuli wollte ihn nicht lassen. Das Tier zog furchtbar an der Leine, es achtete nicht der Schläge, mit welchen es der große, kräftige Mann bedachte, es wollte durchaus irgend einer gefundenen Spur folgen und benahm sich wie wütend.

Da geschah das, was Dick vorausgeahnt hatte. Als keiner der beiden Teile nachgeben wollte, riß die Lederschnur plötzlich mit einem lauten Knall, und fort war der Hund. Der Kuli schickte ihm eine Verwünschung nach.

Plötzlich erscholl ein herzliches Lachen, und vor dem bis zum Tode erschrockenen Kuli stand der kleine, in rotes Leder gehüllte Mann, die gefährliche Büchse gemütlich über der Schulter tragend, überhaupt keine Spur von Besorgnis zeigend. »Das war ein Spaß!« lachte er. »Nun lauf nur deinem Hunde nach und fang ihn wieder.

Weißt du eigentlich, was für eine Spur das ist, für welche sich das Tier so interessiert?«

Der Kuli fand keine Antwort, vielleicht verstand er auch gar nicht die englischen Worte.

Noch immer stierte er den kleinen Roten entsetzt an, als stände ein Gespenst vor ihm.

»Na, du willst mich doch nicht etwa verschlingen, daß du das Maul so weit aufreißt?« fuhr Dick in gemütlichem Tone fort. »Das sage ich dir gleich, ich bin sehr schwer zu verdauen, alldieweil ich zu wenig Fleisch auf den Knochen sitzen habe. Sieh mal, mein Junge, das ist eine Wolfsfährte, hinter der jeder große Hund wie toll her ist, wenn man ihm nicht von jung auf mit der Peitsche den Geschmack daran verleidet. Der Wolf war ihm lieber als ich, sonst müßte er mich gefunden haben, ich lag nämlich hier hinter diesem Busche. Denn auf mich habt ihr es doch abgesehen, nicht wahr?«

Der Kuli hörte nicht weiter der lehrreichen Auseinandersetzung zu. Plötzlich machte er einen Sprung rückwärts, einen anderen seitwärts, verschwand hinter einem Baumstamm und rannte mit ängstlichem Geschrei davon.

Lachend blickte Dick ihm nach.

»Ihr wäret mir gerade die richtigen Leute, mich zu fangen. Nee, meine Püppchen, da müßt ihr etwas früher aufstehen, wenn ihr Dick im Walde suchen wollt.«

Er wollte seinen Weg in der ersten Richtung fortsetzen, blieb aber gleich wieder stehen und lauschte. In der Ferne erscholl Bellen und Heulen von Hunden. Es kam schnell näher.

»Das sind nicht die zwei von vorhin,« brummte er, »es sind viel mehr, sie kommen hierher, und es soll mich gar nicht wundern, wenn sie auf meiner Spur sind. Also mit Hunden will man mich wie einen Wolf zu Tode hetzen. Na, versucht einmal, ob ihr mich bekommt, aber gnade Gott dem, den ich bekomme.«

Nach diesem Selbstgespräch schulterte er die Büchse und begann wieder seinen Trab anzuschlagen, immer die Richtung einhaltend, die ihn nach der Plantage bringen mußte.

Den Hunden konnte er, waren sie wirklich auf seiner Fährte, doch nicht entgehen, und hätte er die Beine eines Hirsches gehabt, denn auch diesen vermochten sie einzuholen.

Dick hörte, wie das Heulen und Bellen näher und näher kam, ließ sich aber durchaus nicht einschüchtern. Ruhig, in gleichmäßigem Tempo rannte er weiter und hielt dabei die Augen weniger auf den Boden, als vielmehr nach dem Laubdach gerichtet, das sich über ihm ausbreitete und durch das an einzelnen Stellen das Mondlicht drang.

Was war aber das dort? Das konnte doch nicht ein zitternder Mondstrahl sein? Ein Licht huschte im Walde umher; bald verschwand es, bald tauchte es wieder auf, flackerte einmal hoch oben, dann wieder fast am Boden.

»O weh,« dachte Dick, »ein Irrlicht! Also ist dort ein Sumpf. Da ist es ratsamer, ich beginne meine überirdische Wanderung gleich jetzt. Will mal probieren, wie weit ich komme; dieser Baum scheint gleich ganz gut für den Anfang zu sein.«

Schon krachte es hinter ihm, und mit weit aus dem Maul hervorhängender Zunge brach ein mächtiger Wolfshund aus dem Gebüsch, auf Dick zu, zwei andere folgten ihm, und entfernt klingendes Geheul verriet, daß noch viele ihresgleichen auf Dicks Fährte saßen.

Mit einem Ruck hing diesem die Büchse auf dem Rücken, ein Sprung, ein Schwung, und Dick saß auf dem hohen Aste eines starken Baumes, weit außer dem Bereiche der Zähne der geifernden Hunde, die mit wütendem Geheul an dem Baumstamm emporsprangen.

»Werft ihn nur nicht um!« lachte Dick. »Adieu, wir werden uns wohl nicht so bald wiedersehen.«

Schon wollte er höher klettern, als etwas geschah, was ihn veranlaßte, auf dem untersten Ast noch einen Moment sitzen zu bleiben.

Aus dem Walde sprang plötzlich die Gestalt eines Mannes, in der einen Hand einen brennenden Zweig, in der anderen einen keulenartigen Stock, und ehe Dick noch Zeit hatte, sich den Mann genauer anzusehen, lagen schon die drei Hunde, ehe sie sich gegen den Angreifer wenden konnten, mit zerschmettertem Schädel am Boden. Drei Keulenhiebe hatten das bewirkt. Doch der fremde Mann kam noch nicht zur Ruhe, er warf den brennenden Ast weg und faßte die Keule mit beiden Händen, denn eben brach aus dem Gebüsch eine ganze Meute von Hunden, nicht zusammen, sondern hintereinander. Der erste sank, von der Keule getroffen, röchelnd zu Boden, ebenso der zweite; dem dritten wäre es vielleicht gelungen, seine Zähne in den Hals des Mannes einzugraben, da aber sauste ein Büchsenkolben auf seinen Schädel herab.

Neben dem Fremden stand der Trapper und schwang seine mächtige Büchse, jeder Schlag brachte einen Hund zur Strecke. Bald war der Boden ringsum mit leblosen oder noch zuckenden Körpern bedeckt; den letzten Wolfshund ergriff der Fremde, nachdem er die Keule weggeworfen, mit beiden Händen am Halse, denn schon berührten die Zähne des Tieres seine Knie, hob es auf und schmetterte es mit dem Rücken gegen den Stamm des Baumes, so daß es mit gebrochenem Rückgrat zu Boden fiel.

Kein anderer Hund war mehr zu sehen; dieser Gefahr waren beide Männer entgangen, aber wiederum krachte es in den Büschen, und dunkle Gestalten erschienen – die Dick verfolgenden Indier.

Der Jäger dachte nicht mehr an Flucht, er suchte nicht einmal Schutz hinter einem Baum, denn auch der Fremde erwartete die Feinde, die auf jeden Fall auch die seinen waren – hatte er doch ihre Hunde getötet. Der Fremde hatte Keule und den brennenden Zweig wieder ergriffen und schwang letzteren durch die Luft.

Da stockten die heranstürmenden Indier plötzlich, sie prallten zurück, ein Schrei ging von Mund zu Mund, er wiederholte sich unzählige Male, immer aus denselben Worten bestehend, und ehe Dick noch daran dachte, Gebrauch von seiner nie fehlenden Büchse zu machen, waren die Indier schon wieder verschwunden. Man hörte noch ein Brechen und Knacken von Zweigen, als ob sie hastig flohen, dann war alles wieder still.

Jetzt fand Dick zum ersten Male Zeit, sich den Fremden zu betrachten.

Es war ein alter, vielleicht sehr alter Mann, denn seine Haare waren schneeweiß. Alles an ihm zeugte von größter Verwahrlosung. Das Kopfhaar hing ihm in langen Strähnen bis auf den Rücken herab, der ungepflegte Bart bis weit auf die Brust, das Gesicht hatte eine pergamentähnliche Farbe, ebenso die Hände, an denen sich überaus lange Nägel befanden.

Gekleidet war die sonderbare Gestalt in rohe Felle, das Haar nach außen gekehrt, und hatte sich der Mann diese Bekleidung selbst gemacht, so war er weder Gerber noch Schneider.

Der Rock war einfach ein Fell, vorn zusammengenäht, die starkknochigen, muskulösen Arme ganz freilassend. Die ebenso plump gefertigten Hosen reichten nur bis an die Knie und wurden an den Hüften von einem Hanfstrick festgehalten. Die Schuhe aus rohem Fell bedeckten außer den Füßen noch die halben Waden.

Das Gesicht des Mannes mochte sonst Kummer und Leiden ausdrücken, die Augen erloschen erscheinen, als er aber jetzt den brennenden Zweig schwang und damit die Leichen der Hunde beleuchtete, strahlte sein Auge in fanatischer Glut.

Ein anderer als Dick würde sich gefürchtet haben, sich mit solch einer wilden Gestalt allein in der Wildnis zu befinden, er aber war schon an derartige Erscheinungen gewöhnt.

Manche Trapper Nordamerikas setzen einen förmlichen Stolz darein, ihr Äußeres bis ins Unglaubliche zu vernachlässigen. Seife, Kamm, Schere und Rasiermesser kennen sie gar nicht mehr, dagegen wenden sie die größte Sorgfalt dem Aussehen ihrer Waffen zu.

Dick wunderte sich daher lediglich, daß dieser Mann gar keine anderen Waffen hatte als die Keule, auch das kam ihm sonderbar vor, daß der Mann ihn nicht mit einem einzigen Blick beachtete. Er schien ihn gar nicht zu sehen.

»Das war ein Meisterstück,« redete Dick ihn auf englisch an, denn ein Europäer war er unbedingt, »sechzehn Hunde getötet, ohne auch nur einen Schuß abgegeben oder einen Stich gemacht zu haben. Das soll uns ein anderer einmal nachmachen. Ich danke Euch auch, Fremder, Ihr habt mir wacker beigestanden. Vielleicht kommt noch einmal die Gelegenheit, daß ich Euch helfen kann.« Der Unbekannte schien jedoch ebensowenig zu hören wie zu sehen. Er trat zu einem toten, sehr großen Hunde, betastete ihn, wie man ein Stück Schlachtvieh befühlt, warf ihn über die Schulter und ging stumm an Dick vorüber, ohne ihn auch jetzt nur eines Blickes zu würdigen.

»Nanu, das ist ja ein merkwürdiger Kauz,« dachte der Jäger, »und allem Anschein nach hat er Lust, sich den Hund zu braten. Gesegnete Mahlzeit!«

Er lief ihm nach und rief laut: »Heda, guter Freund, Ihr habt mir vorhin zwar wacker geholfen, alle Achtung vor Euch, aber etwas höflicher dürft Ihr deswegen doch sein. Und wenn Ihr den Hund braten wollt, so erbitte ich mir ein saftiges Stückchen davon, ich bin auch ein Liebhaber von Hundesteak. Oder wenn Ihr die Sprache verloren habt uns stumm seit, dann sagt es wenigstens.«

Ob der Unbekannte den leisen Spott übelnahm, oder ob er keine Begleitung wünschte, kurz, er drehte sich schnell um und hob die Keule wie zum Schlage.

Dick sprang einen Schritt zurück.

»Oho, Ihr seid ja mit einem Male furchtbar grob geworben. Na, meinetwegen geht zum Teufel.«

Dick sah die Gestalt zwischen den Bäumen verschwinden, war aber nicht dazu geneigt, seine Neugier wer dieser Mann eigentlich sei, und was er treibe, wo er zu Hause sei und so weiter, unbefriedigt zu lassen.

Vorsichtig schlich er ihm nach, und zwar so leise, daß der Voranschreitende nichts davon merkte. Dick konnte ja auch einen gehörigen Abstand einhalten, denn das flackernde Licht zeigte ihm den Weg an.

Endlich blieb er stehen, Dick schlich näher und wurde, von einem Busche verborgen, Zeuge einer seltsamen Szene.

Unter einem Baume lagen zertrümmerte Holzplanken, dazwischen Kissen, Polster, einige Glasscherben, auch Stricke und Ledergurte mit Schnallen.

So seltsam dies im ersten Augenblicke dem Jäger auch schien, seine Aufmerksamkeit wurde von etwas anderem gefesselt.

Neben diesem wüsten und zerstreuten Haufen lag nämlich, den Kopf auf ein Polster gebettet, eine Gestalt im Gras und obgleich Dick sie nicht vollständig sehen konnte, das Gesicht gar nicht, so schloß er doch sofort aus den Locken, welche vom Kopfe hernieder wallten, wie auch aus der für ihn sichtbaren Kleidung, daß dort ein indisches Weib lag.

Der Unbekannte brannte einen neuen, trockenen Zweig an, pflanzte ihn neben sich in den Boden und beschäftigte dich mit der anscheinend Leblosen. Dabei benahm er sich mit einer geradezu mütterlichen Sorgfalt. Indem er ihren Kopf mit der einen seiner rauhen Hände sanft und zärtlich streichelte, richtete er ihn mit der anderen hoch, und jetzt sah Dick, daß die Unbekannte um die Stirn einen blutigen Verband trug.

Das Gesicht konnte er noch nicht sehen, weil sich der Arm des Fremden davor befand.

Woher der mittellose Fremde, der nicht einmal ein Hemd besaß, das zum Verband benutzte weiße Leinen bekam, wurde Dick bald begreiflich. Er riß einfach von dem weißen Unterkleid des Weibes ein großes Stück ab und band es ihm um den Kopf.

Die Wunde konnte nicht alt sein, denn sie blutete noch. Mit einem anderen Stück Leinen wischte der Alte das hervorsickernde Blut ab.

Dann hob er die Leblose auf, setzte sich selbst auf das Polster, nahm das Weib auf seine Knie und herzte und küßte es, als wäre es seine Geliebte, dabei für Dick unverständliche Worte vor sich hinmurmelnd.

Jetzt konnte dieser das Gericht des Weibes sehen, er erblickte die braunen, lieblichen Züge eines jungen Mädchens, und war vor Erstaunen außer sich.

Wo hatte er dieses Gesicht nur schon einmal gesehen? Es war ihm bekannt, darauf konnte er schwören. Doch wo in aller Welt war er mit dem Mädchen zusammengetroffen? Der Alte fuhr fort, die Bewußtlose zu liebkosen, und Dick zerbrach sich, während er die Augen starr auf deren Gesicht heftete, fast den Kopf, wo er sie schon einmal gesehen hatte. Als er zu keinem Resultat kam, grübelte er darüber nach, wie die ihrer Kleidung nach jedenfalls vornehme Indierin hierher zu dem wilden Manne kam, der ihm geistesgestört erschien, was hier überhaupt vorgegangen sei.

Den Trümmerhaufen aus Brettern und Polstern konnte er sich erst nicht erklären, bis er mächtige, tiefe Spuren entdeckte, die auch neben ihm am Boben hinliefen. Er erkannte sie sofort als die Fährte eines Elefanten, welcher in weiten Sprüngen gerannt sein wußte, und jetzt konnte er sich auch erklären, was für ein Ganzes jene Trümmer dort gebildet hatten.

Es war ein Baldachin gewesen; die Kissen und Polster hatten zur inneren Bequemlichkeit gedient: mit den Stricken und Ledergurten war er auf dem Elefanten festgeschnallt gewesen, und jene Indierin hatte ihn bewohnt. An dem tiefen Ast dort war der Baldachin vom rennenden Elefanten abgestreift worden, das Mädchen hatte den Sturz mitgemacht, eine Stirnwunde davongetragen, die es bewußtlos machte, und war dann von dem Alten, der jedenfalls wahnsinnig war, gefunden worden.

Aber wer war sie nur? Durfte Dick überhaupt dulden, daß der Alte die Bewußtlose so zärtlich behandelte? In Amerika groß geworden, war es bei ihm eine unauslöschliche Regel, sich Damen gegenüber, ob arm oder reich, ob jung oder alt, mit der größten Höflichkeit und Rücksicht zu benehmen, besonders wenn sie hilflos waren.

Dieser alte, häßliche Mann jedoch tat, als ob das Mädchen seine Braut wäre.

Da machte dieses jedoch einige leichte Bewegungen, stieß einen leisen Seufzer aus und richtete sich dann aus ihrer liegenden Stellung auf.

Sie schien sofort bei Besinnung zu sein, erschrak, schrie halblaut und stemmte beide Hände gegen die Schultern des Mannes. um ihn von sich fernzuhalten. Dieser aber zog sie wieder an sich und bedeckte ihr Gesicht mit immer neuen Küssen. Er benahm sich, als hätte er ein kleines Kind auf dem Schoß, wiegte sie sogar auf den Knien hin und her.

Das Mädchen schrie lauter und sträubte sich aus Leibeskräften, doch der kräftige Mann umschlang es mit dem einen Arm und preßte den reizenden Kopf immer wieder an sein haariges Gesicht.

Schon konnte Dick seine Ruhe nicht mehr bewahren, sein ehrliches Blut wallte auf, weil er hier einem Gewaltakte beiwohnte, welchen er zu den größten Erbärmlichkeiten rechnete, da schoß ihm etwas anderes durch den Kopf.

»Herrgott, das ist ja ...« schrie er plötzlich und stürmte, ohne den Satz zu vollenden, dem Mädchen zu Hilfe.

Der Alte sah ihn kommen, ließ die Jungfrau fahren, sprang auf, ergriff seine Keule und warf sich dem Störer entgegen.

Mit zum Schlage erhobener Waffe stand er Dick gegenüber und ließ die Keule mit einem unartikulierten Wutschrei auf ihn herabsausen.

Dick parierte den tödlichen Schlag mit der Büchse, ließ diese dann fallen und packte die Keule, um einen zweiten Schlag zu verhindern. Der Mann hatte ja sonst keine Waffen.

Ebenso schnell jedoch ließ der Alte die Keule fahren und hatte im Nu Dicks Hals mit beiden Händen mit eiserner Kraft umschlungen; wie ein Schraubstock legten sich die harten Finger um ihn.

Des Jägers Tod wäre unvermeidlich gewesen, er hätte ersticken müssen, wenn er nicht im Kampfe mit Indianern aufgewachsen, und dadurch im Handgemenge, auch ohne Waffen, ein furchtbarer Gegner geworden wäre.

Schnell wie der Blitz bückte er sich, hob den großen, starkgebauten Mann wie eine Feder empor, drehte sich wie ein Kreisel um sich selbst und schmetterte den Körper des Gegners gegen den nächsten Baum.

Es klang, als ob ein Topf zerberste. Der Alte ließ auch sofort seine Arme schlaff herabsinken und schien betäubt zu sein.

»Kerl, was hast du mit dem Mädchen vor?« schrie Dick ihn an. »Das ist ja die junge Dame, welche ich im Hause der Lady Carter einmal gesehen habe.« Der Alte taumelte wie vom Schlage getroffen zurück, blickte Dick mit entsetzten Augen an, schlug dann die Hände vors Gesicht und rannte mit lautem Jammern, das dem höchsten Schmerze entstammen mußte, auf und davon.

Erstaunt blickte der Jäger dem im Walde Verschwindenden nach.

»Verrückt, total verrückt!« murmelte er.

Aber auch das Mädchen war nicht mehr zu sehen.

Dort lag die Keule des Alten, dort stak noch der dem Verlöschen nahe Zweig, dort neben dem Trümmerhaufen war das Polster, aber das Mädchen selbst war nicht mehr zu sehen. Es mußte während des Ringkampfes der beiden entflohen sein.

Dick stützte sich auf seine Büchse und überlegte.

Was sollte er nun tun? Es wäre ihm ein leichtes gewesen, die Spuren des Alten oder auch die des Mädchens zu verfolgen, und interessant mußte es sein, zu erfahren, wohin die eine oder die andere führte.

Aber er erinnerte sich, wie warm ihm Reihenfels ans Herz gelegt hatte, sich in keine unnötige Gefahr zu begeben, sondern nur auf seine eigene Sicherheit bedacht zu sein, denn von seinem Leben, schon von seiner Freiheit hing es ab, ob Reihenfels und seine Begleiter das Schloß Bahadurs lebendig verlassen könnten.

»Der Alte war verrückt,« brummte Dick, »das ist ein Faktum. Wie er in diesen Wald kommt, und was er hier treibt, mag Gott wissen, mir soll's egal sein. Werde Reihenfels davon erzählen. Ist übrigens nicht das erstemal, daß ich solch einen kuriosen Kauz treffe, und das Mädchen? Weiß der liebe Himmel, was mit dem passiert ist. Sie ist schon damals mit ihrem Onkel geflohen, als der gerade gebraucht wurde. Aber vielleicht war sie es gar nicht, sie sah jener – Bega hieß sie wohl – nur ähnlich.

»Das wäre ja zu merkwürdig, wenn ich sie hier mitten im Walde und in der Nacht als die Braut eines Wahnsinnigen antreffen sollte. Na, meinetwegen, ich mache, daß ich fortkomme.«

Nach diesem Selbstgespräch verließ Dick den Platz, ohne sich um die zurückbleibenden Sachen zu kümmern, orientierte sich auf einer Stelle, wo er durch das Laubdach hindurch den Himmel sehen konnte, über den Stand der Sterne und nahm dann mit großen Schritten die Richtung wieder auf, die ihn nach der Plantage des Misters Shaw bringen mußte.

Nicht lange dauerte es, so schien es, als ob um den verlassenen Platz ein großes Tier schleiche, das sich aber im Walde nicht geschickt genug zu bewegen wußte, denn die Zweige krachten zu häufig unter seinen Füßen, Ein Raubtier konnte es also nicht sein, denn das hätte sich lautloser bewegt, und ein anderer Vierfüßler schlich nicht während der Nacht durch den Wald.

Da teilten sich die Büsche, ein bärtiges Gesicht mit rollenden Augen kam zum Vorschein, und gleich darauf schlüpfte eine menschliche Gestalt aus dem Dickicht.

Es war das wandernde Feuer, wie die Eingeborenen, die ihn gesehen hatten oder gesehen haben wollten, ihn nannten.

Der unheimliche Mann hob erst die Keule vom Boden auf, schwang dann den nur noch glimmenden Ast so lange durch die Luft, bis er wieder hell brannte, und wendete den Kopf dabin, wo das Mädchen vorhin gelegen hatte.

Als er es nicht mehr sah, begann er die Umgegend abzusuchen und stieß dabei ein markerschütterndes, jammerndes Geheul aus, wie die Tigerin, der ihr Junges geraubt worden ist.


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