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VII.

Im Frühling,

oder

Ueber die Mythen der Alten.

Weil nun die Sonne heilet
Die Wunden der Natur, und mit dem lauen
Gesäusel neu belebt die kranken Lüfte
Der West, so daß sich sinkend lös't der Wolken
Umschattung – weil vertrauen
Dem Wind die Vögel ihre Brust, und strahlend
Das Taglicht neues Sehnen, neues Hoffen
Einstößt dem Thier sogar in Waldestiefen,
Wo ringsum thauend schmilzt des Reifes Hülle –
Darum soll unsern Geistern, die da schliefen
Im Bann des Leids, ermattet,
Zurückgekehrt das goldne Alter scheinen,
Das vor dem Unglück und der düstern Fackel
Der Wahrheit hingeschwunden,
Ach, allzufrüh? Bleibt deiner Strahlen Schimmer,
O Sonnengott, den Menschen nicht umdunkelt
Auf ewig, und du, Frühling,
Duftspender, du durchwehst noch lockend immer
Dieß Herz, in Frost erstarrt und eingerostet,
Das in der Jugend schon das Alter kostet?

Lebst du, ach, lebst du, heil'ge
Natur, und dringt uns zu entwöhnten Ohren
Wahrhaft ein Laut der mütterlichen Stimme?
Wohl hatten Bäch' und Quellen einst zum Wohnsitz,
Zum Spiegel sich erkoren
Die Nymphen. Da geschahs, daß Nachts die Höhen
Und Wälder, jetzt ein öd' Asyl der Winde,
Den Fuß Unsterblicher im Tanzschwung spürten,
Und daß die Hirten, wenn zu Schattengründen
Am Mittag, dem unsicheren, sie führten
Die durst'gen Lämmer, oder
Ans blumenreiche Stromgestad, vernahmen
Der Faune Lieder, sahen
Ein wundersames Zittern in dem raschen
Gewog des Stroms, weil ungesehn soeben
Hinab die Göttin tauchte,
Die köchertragende, dort abzuwaschen
Den schnöden Staub der Jagd, der blutig-heißen,
Von ihrem Jungfraunleib, dem schneeig-weißen.

Es lebten einst die Blumen,
Die Wälder. Hold vertraut war da dem Wehen
Der Lüfte, dem Gewölk, der nächt'gen Leuchte
Des Monds der Menschen Loos, als über Hügel
Und Fluren dich gesehen
Hinwallend reinen Glanzes in der Stille
Der Nacht der Wanderer, o Titanide,
Und als Gefährtin dich, als liebevolle,
Des Menschen dachte. Und wenn ausgetrieben
Von Zwietracht, und entflohn der Schmach, dem Grolle
Der Bürger, irrend Einer
Den Busen wund sich stieß im starren Dickicht
Pfadloser Wälder, glaubt' er,
Daß ihm den Blutstrom jage durch die Adern
Lebendig Feuer, glaubte, Blätter seufzen
Und Daphnis oder Phyllis
Aus Bäumen klagend mit dem Schicksal hadern
Zu hören, oder auch Clymenens Sprossen,
Den in die Stromflut Helios gestoßen.

Und ihr nicht minder lieht den Klagelauten,
Die Sterbliche zu euch im Leid erhoben,
Ein achtsam Ohr, ihr starren Waldesfelsen,
Als einsam eure stillen Klausen Echo,
Nicht leerer Winde Toben,
Nein, einer Nymphe unglücksel'ger Odem
Bewohnte, den die Liebe schied und hartes
Geschick vom zarten Körper. Durch die Klippen,
Durch rauhe Schluchten, öde Waldesgründe
Trägt sie die Klagebotschaft unsrer Lippen
In die gewölbte Halle
Des Aethers hin! Und dich auch nennt die Sage
Der Menschenloose kundig,
Tonreicher Vogel, der im laub'gen Dunkel
Des Jahrs Verjüngung singend jetzo feiert,
Und der, wenn rings begraben
In Todesruh das Feld, und das Gefunkel
Der Stern' erlosch im Nachtgewölk – Wehklage
Beginnt um Leid und Schmach vergangner Tage.

Doch nein, verwandt nicht bist du
Den Menschen – deine Lieder, sie erschallen
Von keinem Schmerz erpreßt: es birgt dich schuldlos
Und darum minder gern des Thales Dämmrung.
Nun des Olympus Hallen
Verödet sind, und rollend durch die Wolken
Und über Berge hin, auflös't der Donner
Des Guten wie des Bösen Herz nicht minder
In kalten Schauer ganz; und weil bewußtlos
Der Heimatstrand, unkundig seiner Kinder,
Ernährt verdroßne Seelen:
So leihe du, Natur, dem bittern Kummer,
Dem schnöden Menschenloose
Gehör': entfach auf meines Herzens Herde
Die alte Glut, so du in Wahrheit lebest
Und Etwas noch im Schooße
Des Meers, im Himmel oder auf der Erde
Zuwendet unserm traurigen Geschicke,
Wenn auch sein Mitleid nicht, doch seine Blicke.

*


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