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X

Bei ihrer Ankunft im Hotel Vinci ging Thurston sofort daran, ein Programm aufzustellen.

»Du weißt, lieber Kenneth, ich mache es mir zur Regel, möglichst das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Ich habe ein paar wertvolle Beziehungen in Paris und möchte aus naheliegenden Gründen die Gelegenheit benutzen, diese alten Bekanntschaften aufzufrischen. Doch möchte ich die ersten Tage unseres Hierseins dem Vergnügen widmen und zusammen mit dir die lieben, altvertrauten Stätten aufsuchen. Vorübergehend war ich in letzter Zeit ein paar Mal hier, aber daß ich Paris erlebt habe – ich meine vom Standpunkt des Vergnügungsreisenden aus – das ist schon lange her. Komme ich zu geschäftlichen Zwecken herüber, dann gehe ich schnurstracks zu dem Manne, mit dem ich die Verabredung habe, und sobald ich mit ihm fertig bin, fahre ich schnellstens wieder zurück. Diesmal schlage ich vor, daß wir die ersten drei Tage zusammen verbringen. Nachher können wir uns auch noch oft genug treffen, aber jeder von uns geht dann seine eigenen Wege. Ich hoffe, daß dir mein Vorschlag zusagen wird. Da du zu einem bestimmten Zweck hier bist, über den du dich nicht aussprichst, kannst du hierbei genügend deinen Interessen nachgehen.

Pearson erkannte von neuem, wie verständig Thurston war. Seit jenen Unterredungen im Rauchzimmer von Rosebank und auf der Reise, bei denen Thurston die Bemühungen seines jungen Freundes in der Angelegenheit Valrose etwas von oben herab abtat, hatte er dieses Thema nicht mehr berührt. Thurston schien zu verstehen, daß Pearson nicht in der Lage war, ihn ins Vertrauen zu ziehen. Er hatte wohl erraten, daß sein junger Freund, vielleicht der Polizei gegenüber, zum Schweigen verpflichtet war. Da verbot ihm das Taktgefühl jede ungehörige Neugier.

Für Pearson war es eine sichtliche Erleichterung, als er das Programm seines zukünftigen Schwiegervaters vernahm. Es war ihm schon stark zum Bewußtsein gekommen, daß die ständige Gegenwart Thurstons ein ernstes Hindernis für seine Aufklärungsversuche bedeutete; es wurde ihm dadurch fast unmöglich gemacht, mit der Heimlichkeit zu recherchieren, die der Pakt mit Shaddock ihm vorschrieb.

So gestalteten sich die Dinge besser, als er erwartet hatte. An den ersten drei Tagen würde er sich Thurston ganz zur Verfügung stellen und mit ihm überall hingehen, dann aber die anderweitige Inanspruchnahme seines Reisegefährten dazu benutzen, die Sache in Angriff zu nehmen, um deretwillen er gekommen war. Er wollte feststellen, was die Angestellten des Hotels über diesen seltsamen Engländer Lloyd wußten, diesen Mann, der nach den bisherigen Ermittlungen einen falschen Bart zweifellos nicht ohne frevelhafte Absichten trug.

Als Thurston und Pearson an einem der drei vereinbarten Abende gemeinschaftlich in der Halle saßen und rauchten, machte sich ein Kellner dort zu schaffen und lugte mehrmals verstohlen zu ihnen hinüber. Thurston, mit Erzählen beschäftigt, bemerkte ihn erst, als Pearson ihn aufmerksam gemacht hatte. Der Kellner war stehen geblieben, und es schien, als setzte er seine heimlichen Beobachtungen fort.

»Siehst du den finsteren, mürrischen Kerl dort? Er fixiert uns schon seit einigen Minuten.«

Thurston schaute in die bezeichnete Richtung, horchte auf und stutzte. »Alle Wetter! Den Mann kenne ich. Es ist der Kellner aus dem ›Crescent‹ in der City, der mich immer so gut bedient hat. Er sieht freilich nicht vertrauenerweckend aus, sein Geschäft verstand er aber immer sehr gut. Ich war sein Stammgast. Alter Erinnerungen wegen möchte ich gern ein paar Worte mit ihm reden.«

Er ging auf den Mann zu und plauderte ein wenig mit ihm. Das griesgrämige Gesicht des Fremden hellte sich dabei merklich auf, und schließlich lachte er sogar. Sicher hatte der Finanzmann früher noble Trinkgelder verteilt und war manchem von dem Bedienungspersonal dadurch in guter Erinnerung geblieben. Des Stammgastes Freigebigkeit kennend, erwartete der Kellner in Anbetracht der überraschenden Begegnung wohl auch jetzt wieder einen Obolus.

Und der Angestellte sollte in dieser Hinsicht keine Enttäuschung erleben, denn Pearson bemerkte, wie ihm Thurston, als er ihm zum Abschied zunickte, eine Banknote in die Hand drückte. Dann kehrte Thurston lächelnd zu seinem Reisebegleiter zurück.

»Er ist trotz seiner abstoßenden Physiognomie im Grunde kein schlechter Kerl. Seit er vor drei Jahren das ›Crescent‹ verließ, hat er, wie er erzählte, allerhand durchgemacht. Ich bedauerte damals, daß er von dort fortging, denn er kannte meine Gewohnheiten. Er gehört zu jenen Kellnern, welche die Wünsche ihrer Stammgäste genau kennen und zum Beispiel schmackhafte Gerichte empfehlen oder vor mißlungenen abraten. Es gab dort nie wieder einen so beschlagenen Menschen wie diesen Berton.«

Pearson lachte. »Sicher kam er nicht zu kurz dabei. Ein Gast wie du wird überall bevorzugt. Die Leute fühlen instinktiv, daß du mehr als reichlich Trinkgelder gibst.«

»Nun, dies ist nun einmal eine schwache Seite von mir, und ich muß zugeben, daß ich nach dieser Richtung ein bißchen splendid bin. Aber wird dadurch nicht alles im Leben sehr erleichtert und vereinfacht? Ich werde gut bedient, und zu gleicher Zeit brummt so ein alter Knicker am Nebentisch, weil sich kein Angestellter um ihn kümmert. Er spart wohl ein oder zwei Schilling, aber auf Kosten seiner Behaglichkeit.«

Pearson hatte gegen diese Lebensweisheit nichts einzuwenden, dachte sich aber sein Teil. Denn Thurston übertrieb die Freigebigkeit und machte es dadurch allen denjenigen schwer, die nicht so gut bei Kasse waren wie er.

»Ich glaube, unser Freund ist so eine Art Bolschewik,« fuhr der Finanzmann fort. »Jedenfalls ist er nicht gut auf die jetzige Gesellschaftsordnung zu sprechen. Ich habe mich im ›Crescent‹ oft mit ihm unterhalten; dabei kam hin und wieder seine wahre Gesinnung über unsere schwierigen Lebensbedingungen zum Durchbruch.«

Die drei Tage gingen vorüber, und Thurston fing an, seine eigenen Interessen zu verfolgen, wie er es angekündigt hatte. Die Besuche bei seinen reichen Freunden hatten viele Lunchs und Diners im Gefolge. Dadurch war er häufig und lange abwesend, und Pearson hatte genügend Muße, jener Angelegenheit nachzugehen, die ihm so sehr am Herzen lag. Die vernichtenden Zweifel Dains und Thurstons hatten seine Pläne nicht zu erschüttern vermocht.

Pearson erfuhr bald, daß Lloyd das Zimmer Nummer 182 im zweiten Stock bewohnt hatte. So war es das nächstliegende, das Personal des betreffenden Stockwerks zu befragen. Es war ja noch nicht lange her, daß Lloyd im Hotel gewohnt hatte, und man würde sich gewiß noch seiner erinnern.

Der erste, den er abfassen konnte, war ein freundlicher Mensch mit Pausbacken, der sich Jules nannte. Er besaß die typische Höflichkeit des Franzosen, die noch gesteigert wurde durch das Bestreben, sich angenehm zu machen, wie es einem guten Kellner eigen ist.

Er erinnerte sich sehr gut an einen gewissen Lloyd. Es war ein unbeholfener Mensch mit ziemlich schroffem Wesen; in Geldsachen aber war er großzügig. Die Angestellten hatten ihn gern, weil er sie reichlich für ihre Dienste entlohnte.

»Glauben Sie, daß sein Bart echt war, oder sollte dieser vielleicht nur dazu dienen, seinen Träger unkenntlich zu machen?« war die erste Frage Pearsons.

»Aber Sie haben wohl diesen Herrn nicht so genau beobachtet?«

Ein listiges Lächeln glitt über Jules' so harmlos dreinschauendes rundes Gesicht. »Da Sie mich fragen, mein Herr, will ich Ihnen meine Beobachtungen nicht vorenthalten. Zufällig habe ich ihn beachtet und den Eindruck gewonnen, als sei wohl der Schurrbart echt, der Vollbart aber nicht. Augenscheinlich ein rätselhafter Mensch, dieser Monsieur Lloyd.«

»Bemerkten Sie, als er sich hier aufhielt, etwas Verdächtiges an seinem Auftreten, das Sie zu dieser Folgerung veranlaßt?«

»Das kann ich nicht behaupten, mein Herr. Das Hotel war damals stark besetzt, und ich wüßte nicht, daß irgend jemand von uns ihn sonderlich aufs Korn genommen hätte. Mir kam es allerdings so vor, als trage er einen falschen Bart; die anderen bemerkten aber nichts. Warum ich ihn einen rätselhaften Menschen nenne, dafür habe ich gewisse Anhaltspunkte. Vor kurzem wurden nämlich Nachfragen über ihn angestellt. Beamte von der Sureté waren hier, und auch ein englischer Detektiv, und nun diese neue Erkundigung von Ihrer Seite, mein Herr! Unzweifelhaft ist Monsieur Lloyd nicht das, wofür wir ihn hielten.«

Also hatten Dain und Thurston recht gehabt. Er, Pearson, war nicht der erste auf dem Plan. Die Sureté hatte vermutlich auf Grund von Berichten aus England die Recherchierung in die Hand genommen, und anscheinend hatte Shaddock später auch noch einen seiner Leute geschickt, weil ihn die voraufgegangenen Nachforschungen nicht befriedigt hatten.

Nach kurzer Pause fuhr Jules in seinem Redestrom fort. »Ich möchte fast sagen, daß dieser Monsieur Lloyd eine wichtige Persönlichkeit sein müsse, denn der berühmte Monsieur Deschamps war persönlich hier, sich zu erkundigen, und dieser ist einer der prominentesten Beamten der Sureté. Vielleicht kennen Sie Monsieur Deschamps, mein Herr? Er hat einen ganz großen Ruf. In Paris, ich möchte sogar sagen in ganz Frankreich, ist niemand, vor dem eine gewisse Zunft größere Angst hätte. Sehr gemessen und verbindlich, kein Freund von unnützen Worten, geht er unentwegt auf sein Ziel los. Für gewisse Leute ein äußerst gefährlicher Mensch, versichere ich Ihnen.«

»Und wer kam von der englischen Polizei?« fragte Pearson. »Aber Sie werden sich den Namen nicht gemerkt haben.«

»Doch, mein Herr, es war ein gewisser Bates. Eine ganz andere Art Mensch. Sehr sympathisch, doch machte er nicht den Eindruck, als sei er besonders beschlagen. Aber er wird ohne Zweifel große Fähigkeiten haben, sonst hätte man ihn nicht hergeschickt. Mir war der nette Engländer recht sympathisch. Doch diesem Deschamps gegenüber wird es einem unheimlich zu Mute. Er hat eine Methode, jemand mit den Augen zu durchbohren, die unwiderstehlich ist. Kein noch so fein ausgeklügelter Anschlag ist vor seiner Entdeckung sicher. Wenn ich etwas auf dem Kerbholz hätte, so würde ich innerhalb fünf Minuten vor ihm kapitulieren müssen.«

»Und Sie wissen bestimmt, daß Ihr englischer Gast während seines Aufenthaltes hier im Hotel nichts Ungewöhnliches oder Verdächtiges unternahm?« Pearson wiederholte die Frage, weil der gute Jules den Faden ein wenig verloren hatte.

»Nein, außer dem falschen Bart war nichts Verdächtiges an ihm,« antwortete Jules beflissen. »Wir bemerkten, daß er sich sehr reserviert hielt und mit den anderen Leuten im Hotel kaum je ein Wort wechselte, obgleich er ausgezeichnet französisch sprach. Er ging oft aus, zu ihm kam aber niemals Besuch.«

Aus Jules war also nicht mehr herauszubekommen. Pearson bedankte sich, drückte ihm ein Trinkgeld in die Hand und wollte soeben weitergehen, als ihn ein paar weitere Bemerkungen des Kellners zurückhielten.

»Die anderen Herren, welche bereits vor Ihnen Erkundigungen einzogen, waren, so viel ich weiß, enttäuscht über die Ergebnisse ihrer Bemühungen. Aber ich bezweifle, daß irgend jemand mehr wüßte als ich. Wenn Sie aber Berton fragen würden – vielleicht könnte der Ihnen noch mit einigen Einzelheiten dienen. Denn er bediente Herrn Lloyd, als er hier war, und brachte ihm morgens seinen Milchkaffee.«

Berton! Ja! Das war ja der Name jenes widerwärtigen Kerls, mit dem Thurston gesprochen hatte – der frühere Kellner des »Crescent«. Ob er Berton jetzt sprechen könne, fragte Pearson. Aber Berton hatte erst am Abend wieder Dienst. Bis dahin mußte er sich also gedulden.

Sein Vorhaben wurde jedoch durch Thurston vereitelt, der kurz vor dem Diner im Hotel eintraf. Er war von einem Franzosen begleitet, den er als Monsieur Vitry vorstellte. Dieser war ein prominenter Finanzmann und machte einen sympathischen Eindruck. Sie speisten zusammen, und Pearson konnte sich natürlich nicht zurückziehen, nachdem Vitry angeregt hatte, daß die Herren nach der Mahlzeit zusammen bleiben wollten. Sie verbrachten die Stunden bis gegen Mitternacht rauchend und plaudernd in der Halle.

Der junge Mann war etwas ärgerlich darüber, um so mehr als Vitry, der unstreitig ein interessanter Mensch war, kein Wort englisch verstand. Da Pearson nur geringe Sprachtalente besaß, konnte er nur Bruchstücke von der Unterhaltung aufschnappen, während Thurston, der seine Jugend zum Teil in Frankreich verbracht hatte, derselben mit Leichtigkeit folgte. Bereitwillig wie immer, verdolmetschte er aber seinem Landsmann das, was an dem Gedankenaustausch bemerkenswert war, damit der junge Mann durch Vitrys Redefluß nicht allzu sehr in Verlegenheit geriet.

Am folgenden Tag war freie Bahn. Thurston brach morgens zeitig auf und teilte mit, daß er nicht vor Nachmittag zurück sein werde, da er eine Einladung zum Lunch erhalten habe. Sobald er fort war, ging Pearson wieder an die Arbeit. Er begab sich zunächst in den zweiten Stock, und der erste, dem er dort begegnete, war der gute Jules.

»Ah, guten Morgen Jules; ist Berton in der Nähe?« fragte er.

»Aber gewiß, Monsieur,« gab jener vergnügt lächelnd zurück. »Er ist nicht weit von hier. Wenn Sie sich einen Augenblick gedulden wollen, werde ich ihn gleich schicken.«

Ein paar Minuten darauf stellte sich der Gesuchte ein. Er betrachtete Pearson mit einem Gesichtsausdruck, der nichts weniger als freundlich war. »Mein Herr, Sie haben nach mir geschickt. In welcher Angelegenheit, wenn ich fragen darf?«

Bertons Auftreten war durchaus nicht ermutigend. Thurston hatte gut reden, als er bemerkte, daß Berton im Grunde genommen kein schlechter Kerl sei. Offenbar zeigte er aber nicht jedem seine angenehmen Seiten. Pearson stellte fest, daß er fließend englisch sprach, wie man es auch von einem Manne, der seinen Beruf in der englischen Hauptstadt ausübte, kaum anders erwartete.

Am liebsten hätte er den unangenehmen Burschen sofort stehen lassen; doch wenn er etwas aus ihm herausbekommen wollte, war es klüger, den Ärger über sein Benehmen herunterzuschlucken.

»Ich wollte wissen, ob Sie mir über einen gewissen Mister Lloyd, einen Engländer, der vor nicht langer Zeit hier wohnte, Auskunft geben können.« Pearson stellte die Frage durchaus freundlich, so sehr ihn auch die lauernde Art und Weise des andern verdroß.

Voller Argwohn und Haß schaute Berton den Frager an. »Sind Sie auch einer von jenen verteufelten Detektiven?« knurrte er unverschämt.

Pearson unterdrückte mit großer Mühe seinen aufsteigenden Zorn. Wie verschieden war dieser Kerl von dem manierlichen Jules!

»Nein, das bin ich nicht. Ich suche einfach nur deshalb eine Auskunft zu erlangen – weil dieser Mister Lloyd zufällig ein Landsmann von mir ist.«

»Dreimal sind diese Detektive hier gewesen. Sie haben aber nicht erfahren können, was sie gern wissen wollten,« fuhr er in dem gleichen unverschämten Ton fort. »Ich hasse die ganze Gesellschaft. Letztes Jahr verhafteten sie meine Schwester und brachten sie wegen eines Verbrechens, das sie gar nicht begangen hatte, ins Gefängnis. Es ist mir nicht eingefallen, ihnen Rede und Antwort zu stehen.«

»Natürlich,« bemerkte Pearson, der es für diplomatisch hielt, ihm zuzustimmen. »Aber was ist es, das Sie wissen und nicht sagen wollen? Bitte, denken Sie daran, was ich Ihnen sagte: daß ich kein Detektiv bin. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort darauf.«

Einen Augenblick stutzte Berton. Dann aber schien es, als schwände sein Mißtrauen ein wenig. Auch mochte ihm Jules erzählt haben, daß ihn ein reichliches Trinkgeld erwarte, wenn er den Interviewer zufriedenstelle.

»Hier können wir nicht verhandeln,« erwiderte er nicht mehr ganz so unfreundlich.

»Augenblicklich ist es zwar ruhig, doch jede Sekunde kann jemand hereinkommen. Es ist am besten, Sie gehen auf Ihr Zimmer; ich folge Ihnen in wenigen Minuten dorthin. Wir werden dann ungestört sein.«

Pearson triumphierte ein wenig. Anscheinend war es ihm gelungen, das verstockte Schweigen dieses hartnäckigen Burschen zu brechen. Er hatte den Eindruck gewonnen, daß Bertons Habgier wohl die Haupttriebfeder war, seine Reserve aufzugeben, denn sicher war ihm berichtet worden, daß Jules für seine bloße Bereitwilligkeit, Auskunft zu geben, reichlich belohnt worden sei.

Die Sureté und Shaddocks Beamter hatten keinen Erfolg gehabt, vielleicht aber würde nun ihm ein solcher beschieden sein. Thurston hatte, gemeint, Berton sei so eine Art Bolschewik. Sicher war dieser Lloyd von dem gleichen Schlag. Vielleicht wußte Berton etwas darüber, wovon Jules keine Ahnung hatte. Die Aussicht auf eine hohe Belohnung würde Bertons Zunge schon lösen, denn sicher war er bestechlich.

Während Pearson auf seinem Zimmer wartete, gab er sich hoffnungsvollen Träumen hin und heimste bereits Vorschußlorbeeren ein. Dieser Berton war ein rachsüchtiger Patron, man sah es ihm an, und er haßte die Polizei. Ihr gegenüber war sein Haß natürlich größer, als seine Habgier, und keine noch so verheißungsvollen Lockungen würden ihn zum Reden bringen. Doch Berton mußte es schließlich auch einleuchten, daß Pearson nichts mit den beruflichen Hütern des Gesetzes zu tun hatte.

Was wäre das für ein Trumpf für ihn, wenn er Informationen erlangen könnte, die der Sureté sowohl wie Shaddocks Agenten unerreichbar geblieben waren. Und gelänge es ihm, etwas Wichtiges aus diesem mürrischen Kerl herauszulocken, dann würde er den Spieß umdrehen und sich über Thurston und Dain lustig machen. Denn die Geringschätzung, mit der seine beiden Freunde seine Pläne damals ausgenommen halten, ärgerte ihn heute noch.

Fünf, sieben, acht, zehn Minuten vergingen, doch kein Berton erschien! Eine kalte Wut begann in ihm aufzusteigen: Bedeutete dieses Zögern einen Fehlschlag? Hatte dieser brummige Kellner seine Ansichten geändert? War er zu der Auffassung gelangt, daß selbst eine große Summe das Risiko, sein Geheimnis preiszugeben, nicht aufwiege?

Als Pearson in diese unliebsamen Betrachtungen versunken war, betrat Berton das Zimmer und schloß sorgfältig die Tür hinter sich zu. Pearson bemerkte auf den ersten Blick, daß der Mann wieder das gleiche unverschämte Benehmen an den Tag legte wie zuerst. Er starrte seinem Gegenüber dreist ins Gesicht, und in seiner Stimme lag etwas wie Drohung. »Sie behaupten, Sie seien kein Detektiv; aber ich glaube Ihnen nicht. Es ist eine hinterlistige Lüge.«

Während er sprach, war er ganz nahe an Pearson herangetreten, und bevor dieser erraten konnte, was der Kerl vorhatte, schoß Bertons rechter Arm blitzschnell hervor, und mit eisernem Griff packte er Pearsons Hand. Mit der Linken holte er eine kleine Spritze aus der Tasche und spritzte ihren Inhalt blitzschnell in Pearsons Gesicht.

»Was erlauben Sie sich?« rief Pearson, außer sich darüber, daß der Bedienstete eines Hotels es wagte, ihn anzufassen.

Ein Hohnlachen war die Antwort. Pearson, der noch nicht begriff, daß er das Opfer eines niederträchtigen, heimtückischen Angriffes geworden war, wollte schreien, doch die Zunge klebte ihm am Gaumen. Vergebens machte er den Versuch, sich von dem furchtbaren Griff zu befreien und den Schurken abzuschütteln.

Das Atmen wurde ihm schwer, in seinem Kopf bohrte ein dumpfes Dröhnen, und es wurde ihm schwarz vor den Augen. In wenigen Sekunden schwanden ihm die Sinne, und er stürzte zu Boden.


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