Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Gil Blas

dem Leser.

Bevor Du an meinen Lebenslauf gehst, Freund Leser, laß Dir einen Schwank erzählen.

Zwey Schüler gingen von Pennafiel nach Salamanca. Ganz helligHellig. Ein schönes Niedersächsisches Klangwort. »Es scheint,« sagt Adelung, »eine Nachahmung des keichenden Lautes zu seyn, den ein von Arbeit (oder starkem Gehen bey großer Hitze) abgemattetes Geschöpf von sich gibt, womit denn gemeiniglich ein heftiger Durst verbunden zu seyn pflegt« Im Hochdeutschen haben wir dafür keinen so mahlerischen und kraftvollen Ausdruck. lagerten sie sich an einen Quell, den sie unterweges trafen, und erquickten sich aus demselben. Wie sie sich so ausruhen, erblicken sie in einer geringen Entfernung einen aus der Erde hervorragenden Stein, mit einer Aufschrift, die aber durch die Zeit, und durch die Fußstapfen der Thiere ein wenig verwischt war, welche aus diesem Spring getränkt wurden. Sie spritzten Wasser auf den Stein, um den Schmutz herunterzubringen, und LIX lasen nunmehr folgende Castilische Worte: Aqui esta encerrada el alma del Licenciado Pedro Garcias. Dieser Stein verschleußt die Seele des Licentiaten, Pedro Garcias.

Der jüngste von den Schülern, ein wilder, strudelköpfiger Bursch, hatte kaum die Inschrift gelesen, so schlug er aus voller Kehle eine Lache auf, und sagte: Was das schnurrig ist! Hier eine Seele verschlossen! . . . . Eine verschloß'ne Seele! . . . . . . Ich möchte wohl wissen, was für'n Hasenfuß diese läpp'sche Grabschrift gemacht hat! Mit diesen Worten sprang er auf, und ging seines Weges.

Hum! sagte sein gescheidterer Gefährte bey sich selbst, dahinter steckt etwas, und das muß ich herausbringen. Sonach ließ er den andern fortwandern, lockerte mit seinem Messer die Erde rings um den Stein ohne Zeitverlust auf, und fand unter demselben einen ledernen Beutel, den er öffnete. Er zog daraus hundert Ducaten, und ein Kartenblatt, worauf folgende Worte auf Latein geschrieben waren, Du, der Du Kopf genug hast, den LX Sinn dieser Inschrift einzusehen, sey mein Erbe, und wende mein Geld besser an, als ich. Entzückt über diesen Fund, legte der Schüler den Stein wieder in seine vorige Lage, und wanderte mit der Seele des Licentiaten nach Salamanca zurück.

Wer Du auch seyst, Freund Leser, so wirst Du einem von diesen beyden Schülern ähneln. Liesest Du meine Begebenheiten weg, ohne auf die darin liegenden moralischen Winke zu achten, so wird Dir dieß Werk zu nichts in der Welt frommen; liesest Du es aber mit Bedacht, so wirst Du darin, nach Horazens Vorschrift, das Nützliche mit dem Angenehmen vermischt finden.



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