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Drittes Kapitel

Während Samuel sich in Leipzig aufhielt, war Hellwig mit der Willmar'schen Familie bekannt geworden, und hatte mit schnellem Auge übersehen, welche Vortheile sie ihm bieten konnte. Eine Dame wie Frau Willmae, die noch immer litterarische Gesellschaft bei sich sah, ein Mädchen wie Adele, das sich sehnte, in das Leben und in die Oeffentlichkeit zu treten, das waren Kräfte, die er für sich in Bewegung zu setzen wußte. Er bewies dem Vater, zu welcher Bedeutung das fast vergessene Litteraturblatt gelangen könne, wenn ein Mann wie Hellwig es zu seinem Organe machte, aber freilich mußte das Journal vorher die Sache Hellwig's vertreten haben, um dem Publikum den Werth des neuen Mitarbeiters einzuschärfen. Er sprach von dem Flor, zu welchem seine oberflächliche Betheiligung andere Zeitschriften erhoben, berechnete die Vortheile, welche das Blatt zu bringen vermöchte, und erwähnte scherzend gegen die Mutter, daß dies Journal in der Hand des rechten Redacteurs einmal die beste Mitgift für die Tochter werden dürfte. Von der Einnahme eines solchen Blattes könne eine Familie sehr schicklich leben, besonders wenn die Frau im Stande sei, sich, wie Fräulein Adele, als Mitarbeiterin an demselben wirksam zu betheiligen.

Willmar hatte ihm achtsam zugehört, denn auch Samuel hatte früher wohl bisweilen von der Erneuerung des Litteraturblattes gesprochen.

Die Mutter hatte zu Hellwig's Darlegungen gelächelt, und Adele war gleich bei dem ersten Begegnen mit Hellwig ganz für ihn gewonnen worden. Sie war stets unter der Zahl seiner Bewunderer gewesen. Die einsamen, dämonischen Männer, die unverstandenen Frauen, die er schilderte, hatten sie immer angezogen. Der Weltschmerz, in den diese Helden und Heldinnen nach Erschöpfung aller Genüsse regelmäßig versanken, die Fatalität, mit der sie einander zu Grunde richten mußten, obschon sie sich anbetend liebten, hatten der armen Adele oft die mitleidigsten Thränen erpreßt, und sie hatte wonnevoll geschaudert bei der Schilderung von Ekstasen, deren Bedeutung ihre aufgeregte Phantasie vorahnend errieth. Immerdar hatten sie vor ihrer Seele geschwebt, die Hellwig'schen Helden mit der bleichen Stirn, mit den nachtschwarzen Locken über dem erloschenen Blick, mit dem vernichtenden Lächeln auf den marmorbleichen Lippen. Sie waren Adelens Ideal geworden. Wie roh, wie gemein waren ihr dagegen die blühende Gesundheit und der Frohsinn der jungen Männer erschienen, die ihr im Leben begegnet! Wie oft hatte sie nach der Ermüdung eines Balles sich enttäuscht auf ihr Lager geworfen, voll Klage über die Schaalheit ihres Daseins, voll Verlangen nach dem Einzigen, dem Unbegreiflichen, dem lebensmüden, lasterhaften Heros. Ihm hatten die lyrischen Ergüsse gegolten, die ihrer Feder entsprungen, ihm hatte sie ihr Dasein gelobt, und wäre es auch als ein Opfer, als ein Opfer, das dem Wunderbaren einen Augenblick seines schuldvollen, düsterumnachteten Daseins freudestrahlend erhellte.

Und als dann Hellwig gekommen war, mit seiner schlanken, nachlässig in sich gebeugten Gestalt, als Adele sein Auge auf sich ruhen gefühlt, als sie die übersättigte Müdigkeit aus seinen Worten wiedertönen gehört, da hatte sie ihre kühnsten Phantasien verwirklicht vor sich zu sehen geglaubt, und schweigend vor dem Schöpfer ihrer Ideale gestanden, seiner Rede wie einer Offenbarung, seinem Wunsche wie einem Befehle zu lauschen.

Hellwig seinerseits würde Adele kaum beachtet haben, wäre sie ihm in der gewohnten Geselligkeit der großen Stadt begegnet. In dem kleinen Orte, in dem alten Hause, an das sich auch für ihn manche interessante Erinnerungen knüpften, ward Adele ihm bemerkenswerth. Die Keckheit, mit der sie sich in Feld und Wald bewegte, der Uebermuth, in dem sie, trotzig wie ein Kind, Geltung für ihre Einfälle verlangte, reizten ihn, wenn sie daneben plötzlich in stille Schwermuth versank, oder wenn er sie mit Sicherheit Behauptungen und Grundsätze vertheidigen hörte, die, seinen Schriften entnommen, weit ab lagen von den Einsichten und Erfahrungen Adelens. Als er sie einmal in dem Garten traf und ihren blonden Lockenkopf aus dem Geäste eines Baumes hervorgucken sah, den sie erstiegen hatte den Gast zu necken, da mußte er unwillkürlich an jene wunderbare Frau gedenken, welche die mystische Uebergangsepoche des Kindes zur Jungfrau so eigenartig in sich verklärt und dargestellt, und er hatte Adele damals schmeichelnd seine Bettina gerufen.

Dies unbedachte Wort aber hatte über Adelens Zukunft entschieden. Sie selber hatte ihr unklares Sehnen wohl manchmal schon in Bettina's Träumereien wiederzufinden gemeint. Jetzt hatte Hellwig selbst es ausgesprochen und ihr, wie sie glaubte, das Räthsel ihres Wesens gelöst, und ihr die Zukunft damit aufgehellt. Hellwig's Bettina war sie und wollte sie auch bleiben. Wie ein blendender Strahl war der Gedanke in ihre Seele gefallen. Hatte sie bisher schon die Bedeutung Hellwig's zu hoch angeschlagen, wie unfertige Menschen geneigt sind, die Bedeutung bekannter Persönlichkeiten zu überschätzen, mit denen sie zufällig in Berührung gerathen, so fing sie jetzt an, ihm einen wahren Cultus zu weihen, und je erhabener ihr Gott, um so größer sie selbst, die Prophetin, die ihn allein verstand. Die Anbetung Hellwig's und die Schätzung ihres eigenen Werthes steigerten einander und wuchsen in unglaublicher Schnelle, da Hellwig Adelens Irrthum nährte. Er war eitel genug, sich jeder weiblichen Eroberung zu freuen, und gab sich bald mit Wohlgefallen der Neigung Adelens hin. Er ließ es geschehen, wenn sie ihm in begeisterter Rede von seinen Schriften sprach, wenn sie ihm schilderte, wie sie sich daran erzogen und erhoben, wenn sie sich sein Werk nannte, und sein Geschöpf. Ja mehr noch! er glaubte, was sie ihm sagte. Unselbständig und phantastisch, ließ er sich hinreißen und beherrschen von ihrer Verblendung. Während er Anfangs mit Lächeln auf ihre Leidenschaft herabsah, verstrickte er sich allmählich in das Verhältniß, und nur zu bald gelangte er dahin, Adele wirklich mit der wunderbaren Erscheinung Bettina's zu vergleichen, um sich ihr gegenüber als Heros zu empfinden. Er wurde ein Mitspieler, wo er ein Zuschauer zu sein wähnte, und von beiden Theilen steigerten die erregten Sinne das Verhältniß zu einer Leidenschaft, welche den übersättigten Mann und das junge Mädchen berauschte.

Herr Willmar war nicht dazu gemacht, auf dergleichen Dinge in seiner Umgebung zu achten, und die Mutter hielt es für klug, in eine, wie sie es nannte, so idealische Verbindung nicht vorzeitig störend einzugreifen. Sie wußte, daß Hellwig frei war, und seine Aeußerungen über den Schwiegersohn, für welchen das Litteraturblatt zu einer Mitgift werden könnte, waren in ihrem Gedächtnisse geblieben. Ein Eidam wie Hellwig, verbunden mit einem Geschäftsmanne, wie sie ihn in Samuel gefunden hatten, konnte und mußte den alten Glanz des Hauses erneuen.

Sie ließ es also geschehen, wenn Adele die halben Nächte mit Hellwig im Garten des Hauses umherging, sie lächelte zu dem Lobe, das er Adelen spendete, zu den zärtlichen Versen, die er für sie schrieb. Sank Adele ihr dann begeistert und leidenschaftlich in die Arme, so schloß sie die Tochter an das Herz, ermahnte sie zur Mäßigung, und flehte still des Himmels Segen auf eine Liebe herab, von der sie das Heil ihres einzigen Kindes erhoffte.

Aus einem Gaste ward Hellwig bald ein Hausgenosse. Er hatte den Wunsch ausgesprochen, ein begonnenes Drama in ruhiger Stille zu vollenden, und freundlich hatte der Vater ihm angeboten, den Pavillon des Gartens zu beziehen, den zu des alten Willmar Zeiten ein anderer geehrter Dichter als Gast bewohnt. Mit der reinsten Freude richtete Adele die kleinen Räume für ihn her, Tage und Wochen eines idyllischen Daseins vergingen ihr in der Nähe und in der Dienstbarkeit des Geliebten, sie schrieb seine Arbeiten ab, sie beschäftigte sich immer für ihn, immer und immer erhielt sie von ihm die Versicherung, daß er ein solches Leben noch nicht gekannt, daß er noch niemals den Frieden empfunden, welchen ihre Nähe und diese Einsamkeit ihm gäben.

Das Drama schritt dabei rasch vorwärts; er sprach davon, daß er nach der Residenz seines Vaterlandes gehen müsse, es zur Aufführung zu bringen, und schob den Zeitpunkt dieser Entfernung doch stets hinaus. Von beiden Seiten lebte man sich in dies Beisammensein, in eine sichere Gewohnheit hinein, bis plötzlich die Nothwendigkeit der Abreise sich für Hellwig geltend machte. Da bemächtigte sich seiner eine auffallende Unruhe, seine Stimmung wurde wechselnd. Bald zeigte er eine erhöhte Hingebung gegen Adele, bald eine verletzende Kälte, während diese ein stilles, ihr ganz fremdes Wesen annahm und oftmals in einen feierlichen Ton verfiel, den Niemand sich zu deuten wußte. Es waren peinlich gespannte Zustände; aber die Mutter schob das sonderbare Betragen Hellwig's und Adelens auf den Schmerz der Trennung, und baute auf die Abschiedsstunde ihre Hoffnungen.

So kam der festgesetzte Tag der Abreise heran. In aller Frühe pochte Adele an des Geliebten Fenster, um noch mit ihm, wie sie verabredet, den letzten Morgen zu genießen. Er umarmte sie, als er aus dem Hause trat, dann gingen sie zum Garten hinaus durch die Felder, bis hin nach der Fabrik. Eine Laube am Mühlbach, ganz versteckt vom Geranke des Geisblatts, war Adelens Lieblingsplätzchen; dorthin führte Hellwig sie, und dort lehnte sie schweigend sich an ihn, bis er selber, gepeinigt von der Stille, sie fragte, weshalb sie nicht zu ihm rede, wie an den andern schönen Tagen.

»Reden?« sagte Adele – »reden soll ich? Aber legt sich denn nicht schon jetzt das Schweigen der Ferne über uns, das bald uns mit seinen kalten Armen von einander halten wird?«

»Du wirst mir schreiben, mein süßes Kind!« tröstete sie Hellwig.

Adele schüttelte schweigend ihr Haupt.

»So willst Du's nicht?« fragte Hellwig. »Willst Du mir nicht auch in der Ferne das Glück bereiten, mich in der Reinheit Deines Kinderherzens zu spiegeln? Soll ich nicht mehr die Erquickung genießen, die mir aus Deiner frischen Seele quillt?«

Und abermals wies sie es mit verneinender Bewegung zurück.

Sie erhob sich von seiner Brust und sank vor ihm nieder. So blickte sie ihm lange fest in's Auge, dann stand sie auf, legte die Arme auf seine Schultern und sagte mit fester Stimme: »Nun ist's gut! nun weiß ich, wie Du aussiehst! Nun gehe!«

Ihrer sonderbaren Weise gewohnt, überraschte diese Scene Hellwig dennoch.

»Adele! was soll das heißen?« rief er betroffen.

Adele lächelte. »O!« sprach sie, »glaube nicht, daß irgend eine Falte in Deinem Wesen mir verborgen ist. Du bist besorgt gewesen alle die Tage her, Du hast Dich gefürchtet vor meinem Schmerze, hast Dir Gedanken gemacht über die Plane meiner Mutter, und hast gemeint, ich wolle Dich heirathen, wie die anderen ordinären Weiber, aber sei unbesorgt – – Du hast mich nicht umsonst Deinen guten Genius genannt. Ich möchte Dich nicht heirathen! auch wenn Du's wolltest, auch wenn Du es verlangtest! Ich heirathe Dich nicht!«

Adelens Selbstverläugnung gab ihr einen erhabenen Ausdruck, sie war voll geistiger Schöne, und Hellwig fand sich davon hingerissen und beherrscht; aber er fühlte sich auch übersehen, und seine Eitelkeit empörte sich dagegen. Er rang nach Fassung, nach einer passenden Antwort. Er sah ein, daß er diesen Ausweg ergreifen könne, sich schnell aus dem Banne dieses Kreises zu erlösen, und doch verletzte es ihn, daß Adele ihn freizugeben vermochte, doch wollte er sie nicht verlieren, denn sie stand in diesem Augenblicke als eine neue und seltene Erfahrung vor ihm. Je sichtlicher sein innerer Kampf, um so fester wurde Adelens Haltung, das konnte Hellwig nicht ertragen. Er hatte Mitleid mit ihr gehabt, jetzt erwachte sein Zorn.

»Was soll die Komödie!« stieß er hervor. »Es bedurfte der Phrase nicht, mir zu beweisen, daß Du nur Phantasie hast und kein Herz.«

Adele stand sprachlos vor ihm. Das peinigte ihn mehr und mehr. »Wer sich der eigenen Kraft bewußt ist, braucht keinen Dämon!« sprach er hart, »und wer ein Mann ist, der verlangt ein Weib zu finden in dem Wesen, das er lieben soll.«

»Mein Kopf! Mein Kopf!« stöhnte Adele und brach in ein grelles Lachen aus, vor dessen schrillem Tone er zusammenfuhr.

»Mäßige Dich, Adele!« sagte er anscheinend kalt, aber des Mädchens Zustand flößte ihm Angst ein. Er ergriff ihre Hand, Adele machte sich von ihm los und wollte entfliehen. Da umfaßte er sie, und hielt sie fest, und an seinem Herzen löste ihr wildes Lachen sich in Thränen auf, die ihm die Seele bewegten. Er bat sie, sich zu beruhigen, er sagte ihr, ihre Selbstverläugnung sei ihm so groß erschienen, daß er sie nicht zu fassen vermocht. Seine Liebe habe es nicht ertragen können, sie stärker zu finden, als er selbst es sei, nur sein weiches Herz, sein tiefes Empfinden habe sie anzuklagen. Er betheuerte ihr, wie schwer ihm die Trennung von ihr werde, schilderte ihr sein einsames Leben in der Welt, den Kampf und die Intriguen, denen er zu stehen habe, und pries wieder die stillen Tage in ihrem Vaterhause, als die glückliche Zeit, die er gekannt. Er beschwor sie, ihm zu schreiben, versprach ihr, sie geistig sich immer nahe zu erhalten, so lange sie ihm bleiben möge, er wolle sie wie seine Schwester lieben, sie wäre sein guter Genius gewesen, er selber sprach das wieder aus, und sein Schutzgeist, sein Vertraute solle sie sein und bleiben für immerdar.

Adele war aufgelöst in Thränen und in Liebe. Sie glaubte Alles, was ihr Hellwig sagte, und Hellwig glaubte es in diesem Augenblicke selbst. Nur wenn er dichtete, fühlte er die Unwahrheit seiner Empfindungen, im Leben hatte er sich zum Selbstbetrug gewöhnt. Er nannte die Härte, mit welcher er Adelen zu Anfang des Gesprächs begegnet, Klarheit und sittlichen Ernst, und freute sich der Milde, mit der er die Arme dann fortgetragen, hinweg über ihre Verzweiflung, in die reine Höhe einer seltnen Freundschaft.

Adele hatte ihre Kraft erschöpft. Sie war abgespannt und müde geweint am Tage, Hellwig ging sanft und schonend mit ihr um. Die Mutter sah das Alles, fand es erklärlich, und Hellwig gefiel sich sehr in der Rolle des erbarmenden, trostreichen Freundes. Am Abend weinte Hellwig selber, da er das Haus verließ. Es ging ihm wirklich zu Herzen, als er diese Episode seines Lebens abschloß; aber er hatte die Stadt noch kaum verlassen, als er sich schon wahrhaft glücklich pries, frei und aller bindenden Verpflichtungen ledig geblieben zu sein, als er bereits mit Scheu daran gedachte, wie nahe er daran gewesen, sich zu verstricken, wie nothwendig es sei, Adele auf dem Standpunkte zu erhalten, den sie glücklicherweise für sich gewählt.


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