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Lady Macbeth aus Mzensk

 

Erstes Kapitel

Zuweilen entstehen in unseren Ländern Charaktere, an die man, wieviel Jahre auch vergangen sein mögen, niemals ohne seelisches Erschauern zu denken vermag. In die Reihe dieser Charaktere gehört auch Katerina Lwówna Ismailowa, die nach dem schrecklichen Drama, das vor Jahren vorfiel, und in welchem sie die Hauptrolle spielte, gar bald den geflügelten Beinamen der Lady Macbeth des Mzensker Kreises erhielt.

War auch Katerina Lwowna keine Schönheit, so war doch ihr Äußeres das einer hübschen Frau. Sie war damals vierundzwanzig Jahre alt, sie war nicht groß, aber schlank, ihr Hals wie aus Marmor gemeißelt, die Schultern rund und die Brust fest, sie hatte ein grades, feines Näschen, schwarze lebhafte Augen, eine hohe weiße Stirne und schwarze, fast blauschwarze Haare. Sie wurde mit dem Ismailow aus dem Kurskischen verheiratet, aber nicht etwa, weil sie ihn liebte oder irgend Neigung zu ihm zeigte, sondern weil Ismailow um sie freite und sie als ein armes Mädchen nicht eben unter einer großen Schar von Freiern zu wählen hatte. Das Haus der Ismailows war nicht das geringste in unserem Städtchen: sie handelten mit Weizenmehl und hatten eine Mühle auf dem Lande gepachtet, außerhalb der Stadt besaßen sie einen einträglichen Garten und in der Stadt das ansehnliche Haus. Sie waren wohlhabende Kaufleute. Zudem war die Familie ganz und gar nicht groß: da war der Schwiegervater, Borís Timoféjewitsch Ismailow, der schon nahe an die Achtzig gerückt und längst Witwer war, da war sein Sohn, Sinówij Boríssowitsch, Katerinas Mann, der über fünfzig alt war, da war endlich Katerina Lwowna, und das war alles. Denn obwohl Katerina schon seit fünf Jahren mit Sinowij Borissowitsch verehelicht war, hatte sie noch keine Kinder. Von der ersten Frau, mit der er zwanzig Jahre zusammengelebt hatte, bevor er Witwer wurde und Katerina Lwowna heiratete, hatte Sinowij Borissowitsch ebenfalls keine Kinder. Sein Wunsch und seine Hoffnung waren es gewesen, Gott würde ihm zum mindesten in der zweiten Ehe einen Nachfolger schenken, der das Kapital und die Kaufmannsfirma einmal erben würde; aber hierin hatte er auch mit Katerina Lwowna kein Glück.

Die Kinderlosigkeit war ein rechter Kummer für Sinowij Borissowitsch, aber nicht nur für ihn allein, auch für den alten Boris Timofejewitsch und sogar für Katerina Lwowna selber war es ein rechtes Kreuz und zwar einmal, weil die unermeßliche Langeweile in dem abgeschlossenen Kaufmannshause mit den hohen Zimmern und den herumstreifenden Kettenhunden nicht selten eine Schwermut, die fast an Stumpfheit grenzte, über die junge Kaufmannsfrau kommen ließ und sie froh gewesen wäre, weiß Gott wie froh, sich mit einem Kindchen abgeben zu können; andererseits aber war sie der ewigen Vorwürfe längst müde: »Warum hast du und weshalb hast du ihn nur geheiratet und weshalb ihm sein Schicksal verstellt, du Unfruchtbare,« als hätte sie in der Tat ein Verbrechen begangen, ein Verbrechen vor ihrem Mann und vor ihrem Schwiegervater und vor dem ganzen ehrlichen Kaufmannsgeschlecht.

Und ob auch alles reichlich und im Überfluß vorhanden war, hatte Katerina Lwowna im Hause ihres Schwiegervaters das allertraurigste Leben. Sie fuhr nur selten aus, Besuche zu machen, und wahrhaftig, wenn sie gelegentlich mit ihrem Gatten bei der Kaufmannschaft zu Gaste war, war es kein Vergnügen. Die Leute waren alle so streng: man beobachtete scharf, wie sie sich setze und wie sie ging und wie sie aufstand, Katerina Lwowna aber hatte einen hitzigen Charakter und war, da sie ihre Mädchenzeit in ärmlichen Verhältnissen zugebracht, mehr an Einfachheit und Ungebundenheit gewöhnt; mit den Eimern zum Fluß springen und dortselbst im bloßen Hemd ein Bad zu nehmen; oder einen vorübergehenden Burschen mit Sonnenblumenkernen zu überschütten – hier aber war alles anders. Früh erhoben sich Schwiegervater und Mann, um sechs Uhr morgens tranken sie schon ihren Tee und machten sich darauf an ihre Geschäfte, und ihr blieb nichts anderes übrig, als von Zimmer zu Zimmer zu schlendern. Sehr rein war es überall, sehr still und leer, die Lämpchen schimmerten vor den Heiligenbildern und nirgends im Hause ein lebendiger Ton, nirgends eine menschliche Stimme.

So wanderte Katerina Lwowna durch die leeren Zimmer und bekam vor lauter Langeweile das Gähnen und stieg schließlich die Treppe zu ihrem ehelichen Schlafgemach herauf, das in einem hohen, nicht weitläufigen Zwischengeschoß lag. Dort pflegte sie dann zu sitzen und zuzuschauen, wie vor den Speichern der Hanf gewogen und das feine Weizenmehl aufgeschüttet wurden – und dann kam ihr wieder das Gähnen und das war ihr ganz recht, denn nun nickte sie auf ein-zwei Stündchen ein, doch wenn sie dann wieder erwachte, dann war wieder die Langeweile da, die russische, die Langeweile des Kaufmannshauses, eine Langeweile, die, sagt man, es einem sogar lustig erscheinen läßt, wenn man sich selber erdrosselt. Zu lesen liebte Katerina Lwowna nicht, und zudem war im ganzen Hause kein Buch, außer etwa dem Kiewer Heiligenleben.

Verheiratet mit einem unfreundlichen Manne, hatte Katerina Lwowna im reichen Hause des Schwiegervaters mehr als fünf Jahre hindurch ein langweiliges Leben, aber niemand schenkte, wie es hergebracht war, dieser Langeweile auch nur die geringste Aufmerksamkeit.

 

Zweites Kapitel

Im sechsten Frühling von Katerina Lwownas Ehe zerriß bei den Ismailows der Mühldamm. Damals gab es wie absichtlich Arbeit über Arbeit auf der Mühle, der Durchbruch jedoch war gewaltig: das Wasser füllte bereits den unteren Behälter des leeren Mahlgangs, und es gelang nicht, es kurzerhand zurückzudämmen. Sinowij Borissowitsch rief das ganze Volk aus dem Umkreis auf die Mühle und wich nicht von der Stelle: die Stadtgeschäfte erledigte derweilen der Alte, und Katerina Lwowna irrte tagelang einsam und verlassen durchs Haus. Anfangs schien es ihr ohne ihren Mann noch langweiliger zu sein, aber schon bald darauf gefiel es ihr besser; sie hatte ein wenig mehr Freiheit. Ihr Herz war ihm niemals besonders zugetan gewesen und in seiner Abwesenheit gab es wenigstens einen Befehlshaber weniger.

So saß Katerina Lwowna einmal auf ihrem Fensterplatz und gähnte eins und gähnte zwei und dachte an nichts Bestimmtes und schämte sich endlich, so zu gähnen. Draußen aber war ein wunderbares Wetter: warm war es, hell und lustig, und durch den grünen Gartenzaun sah sie die munteren Vögel auf den Bäumen von Ast zu Ast hüpfen.

»Was hab ich nur, daß ich so gähne?« dachte Katerina Lwowna, »ich will aufstehn, auf den Hof gehn oder vielleicht in den Garten.«

Und Katerina Lwowna warf einen alten Umhang um und ging hinaus.

Hell wars auf dem Hof und war so gut, und von der Galerie, die rings um die Speicher führte, schallte ein so lustiges Lachen.

»Worüber freut ihr euch so?« fragte Katerina Lwowna die Angestellten des Schwiegervaters.

»Ja, Mütterchen, da haben wir also ein Schwein, ein lebendiges Schwein gewogen,« entgegnete ihr ein alter Kommis.

»Ein Schwein?«

»Nun, das Schwein Axínja, das den Knaben Wassílij geboren und uns nicht zur Taufe geladen hat,« mischte sich dreist und lustig ein junger Bursche ins Gespräch, sein Gesicht war verwegen und hübsch und von pechschwarzen Locken umrahmt und einem Bärtchen, das eben erst durchbrach.

Aus dem tiefen Behälter, der an die Wagbalken gehängt war, guckte in diesem Augenblick das dicke Gesicht der puterroten Axinja.

»Ihr Teufel, ihr glattgeschorenen!« schimpfte die Köchin und versuchte, den eisernen Wagbalken zu fassen und aus dem ins Schwingen geratenen Behälter herauszuklettern.

»Acht Pud vor dem Mittag, frißt sie sich dann aber erst an ihrem Heu satt, so werden wir nicht Gewichte genug haben!« erläuterte der hübsche Bursche und warf, den Behälter umstülpend, die Köchin auf einen Haufen von Maltersäcken, der in der Ecke aufgeschichtet lag.

Lustig schimpfend richtete das Weib sich wieder auf.

»Nun, und wieviel mag ich wiegen?« lachte Katerina Lwowna, faßte die Stricke und stellte sich auf die Unterlage.

»Drei Pud sieben Pfund,« entgegnete immer der gleiche hübsche Bursche Ssergéj und warf die Gewichte auf die Wagschale, »ein Wunder!«

»Worüber wunderst du dich?«

»Daß Sie drei Pud schwer sind, Katerina Lwowna. Sie muß man, so mein ich, den ganzen Tag auf den Händen tragen und wirds nicht müde und kanns nur als ein Vergnügen empfinden.«

»Bin ich denn etwa kein Mensch, was? Du würdest hübsch müde werden,« entgegnete Katerina Lwowna und errötete, denn sie war an solcherlei Reden nicht gewöhnt und hatte doch so sehr das Verlangen, zu plaudern und lustige und schalkhafte Worte zu schwatzen.

»Gott bewahre! Ins glückselige Arabien würde ich Sie tragen,« erwiderte Ssergej auf ihre Bemerkung.

»Was du da redest, ist alles nicht richtig, mein Lieber,« warf ein Bäuerchen ein, das gerade seine Ladung aufschüttete, »woher kommt denn unser Gewicht? Ist es etwa unser Körper, der schwer ist? Unser Körper, mein lieber Mann, hat für das Gewicht keine Bedeutung; es ist unsere Kraft, unsere Kraft ist es, die was wiegt, nicht der Körper!«

»Ja, und als Mädchen war ich sehr stark,« sagte Katerina Lwowna, der es keine Ruhe ließ, »es gab sogar Männer, die mich nicht unterkriegen konnten.«

»Also dann, bitte, das Händchen her, wenn das wahr ist,« meinte der schmucke Bursche.

Katerina Lwowna wurde zwar verlegen, doch streckte sie ihm die Hand hin.

»Oh, du drückst mir die Ringe ins Fleisch: laß, es tut weh!« rief Katerina Lwowna, als Ssergej ihre Hand in der seinen preßte und stieß ihn mit der freien Hand vor die Brust.

Der Bursche ließ die Hand der Hausfrau fahren und flog von ihrem Stoß zwei Schritte zur Seite.

»Da sag mir einer noch was über die Frauen!« wunderte sich das Bäuerchen.

»Nun, und dürfte ich Sie zum Ringen fassen?« meinte Ssergej, seine Locken zurückschüttelnd.

»Faß nur,« entgegnete Katerina Lwowna belustigt und hob ihre Ellbogen.

Ssergej umschlang die junge Hausfrau und preßte ihre pralle Brust an sein rotes Hemd. Katerina Lwowna konnte kaum die Schultern bewegen, da hob Ssergej sie bereits vom Boden auf, hielt sie eine Weile in seinen Armen, preßte sie und ließ sie dann ruhig auf das umgestülpte Gefäß nieder.

Katerina Lwowna hatte nicht einmal Zeit gefunden, ihre gerühmte Kraft in Anwendung zu bringen. Über und über rot rückte sie, immer noch auf dem Wagebehälter sitzend, ihren von den Schultern geglittenen Umhang zurecht und verließ still den Speicher, Ssergej aber räusperte sich mächtig und schrie:

»Na, ihr Tölpel des himmlischen Herrschers! Aufschütten, nicht Maulaffen feilhalten, laßt die Schaufeln nicht stillhalten, jeder Zoll macht es voll.«

Es war, als beachte er das, was soeben vorgegangen war, nicht im geringsten.

»Ein Mädchenjäger, der verdammte Ssergej!« erzählte Axinja, die hinter Katerina Lwowna herwatschelte: »Der Halunke, mit allem stiehlt er sich ins Herz, – der Wuchs, das Gesicht, und wie hübsch er ist. Welche Frau du nur willst, – gleich hat er, der Schuft, sie herum und schmeichelt und schon ist es bis zur Sünde nicht mehr weit. Und wie flatterhaft er ist, der Schuft, zu unbeständig ist er, viel zu unbeständig!«

»Und du, Axinja … hast du …« sagte die vor ihr gehende junge Hausfrau, »dein Knabe, es geht ihm doch gut?«

»Gewiß, Mütterchen, gewiß – was sollte dem fehlen! Wen man nicht brauchen kann, der bleibt ja immer am Leben.«

»Und woher hast du ihn eigentlich?«

»Ja so! vom Heuboden her – man lebt doch unter den Leuten, – vom Heuboden hab ich ihn.«

»Und ist er schon lange bei uns, der Bursche?«

»Wer? Ssergej, wie?«

»Ja.«

»Ein Monat wirds her sein. Er diente vorher bei den Kontschonows und wurde vom Hausherrn fortgejagt.« Axinja fuhr mit leiserer Stimme fort: »Man erzählt, er hätte mit der Hausfrau selber eine Liebschaft gehabt … Dreimal vermaledeite Seele, der ist mir ein Dreister!«

 

Drittes Kapitel

Warme, milchfarbene Dämmerung stand über der Stadt. Ssinowij Borissowitsch war immer noch nicht von seinem Dammbruch zurück. Und auch der Schwiegervater, Boris Timofejewitsch war nicht zu Hause. Er war zu einem alten Freunde gefahren, dessen Namenstag gefeiert wurde, und hatte sogar angeordnet, daß man mit dem Abendessen nicht auf ihn warten möge. Vor lauter Nichtstun speiste Katerina Lwowna früh, öffnete dann dort, wo sie saß, das Fenster, lehnte sich an den Pfosten und begann Sonnenblumensamen zu entkernen. Die Leute verzehrten ihr Abendbrot in der Küche und verstreuten sich dann über den Hof, um ihre Schlafstellen aufzusuchen: dieser schlief in der Scheune, jener im Speicher, und manche auf dem hohen duftenden Heuboden. Ssergej verließ später als alle die Küche. Er ging über den Hof, ließ die Hunde von der Kette und pfiff vor sich hin, als er an Katerina Lwownas Fenster vorüberkam, blickte er sie an und verneigte sich vor ihr.

»Guten Abend,« sagte ihm Katerina Lwowna leise von oben und plötzlich wurde es auf dem Hofe still, als wie auf einer Einöde.

»Gnädige!« rief es zwei Minuten darauf vor Katerina Lwownas verschlossener Kammertür.

»Wer ist da?« fragte Katerina Lwowna erschreckt.

»Bitte erschrecken Sie nicht, ich bin es, Ssergej,« entgegnete der Kommis.

»Und was willst du, Ssergej?«

»Ich muß was mit Ihnen besprechen, Katerina Lwowna: ich will Sie um eine Kleinigkeit bitten. Erlauben Sie mir auf eine Minute hineinzukommen.«

Katerina Lwowna drehte den Schlüssel und ließ Ssergej eintreten.

»Was willst du?« fragte sie und wich selber zum Fenster zurück.

»Ich kam zu Ihnen, Katerina Lwowna, um zu fragen, ob Sie nicht irgendein Büchelchen für mich haben. Die Langeweile hat mich schon ganz überwältigt.«

»Bei mir wirst du kein einziges Buch finden, Ssergej, ich lese sie nicht,« antwortete Katerina Lwowna.

»Es ist so langweilig,« beklagte sich Ssergej.

»Warum langweilst du dich?«

»Wie soll ich mich nicht langweilen: ich bin ein junger Mensch, und wir leben hier, als wärs in irgendeinem Kloster, und in der Zukunft sieht man nur, daß man vielleicht bis zum Sargdeckel in so einer Verlassenheit verderben muß. Da kommt manchmal die Verzweiflung über einen.«

»Warum heiratest du nicht?«

»Leicht gesagt, Gnädige, heiraten! Wen soll ich hier heiraten? Ich bin ein kleiner Mensch; eine Kaufmannstochter wird mich nicht nehmen, was aber unsere Ärmeren betrifft, Sie wissen ja selber, Katerina Lwowna, bei denen ist nichts als Unbildung. Können die wohl etwas von der Liebe verstehen, wie es sich gehört? Und nun schauen Sie doch mal, was auch die Reichen für Ansichten haben. Sie selber zum Beispiel, könnten jedem anderen Menschen, der etwas auf sich hält, der größte Trost sein, hier aber werden Sie wie ein Kanarienvogel im Käfig gehalten.«

»Ja, ich langweile mich,« glitt es von Katerina Lwownas Lippen.

»Wie sollten Sie sich bei dem Leben nicht langweilen, Katerina Lwowna! Und selbst, wenn Sie einen Gegenstand hätten, ich meine daneben, wie die anderen es tun, so wäre Ihnen sogar unmöglich, ihn auch nur zu sehen.«

»Was du für dummes Zeug schwätzest. Nein, wenn ich ein Kindlein bekommen hätte, mit dem würde es sicherlich lustiger sein.«

»Ja, nun, Gnädige, da gestatten Sie mir schon zu sagen, auch Kinder können nur kommen, wo was da ist, und nicht auf diese Weise. Als ob unsereiner, der schon so lange Zeit den Herren dient und das Leben der Frauen in der Kaufmannschaft mitangesehen hat, das nicht gut verstehen könnte? Da singt man ein Liedchen: »Ohne einen liebsten Freund traurig stets das Herzchen weint,« und diese Traurigkeit, Katerina Lwowna, ich darf wohl sagen, sie ist in meinem eigenen Herzen so empfindlich, daß ich es wahrhaftig hernehmen könnte, mit einem stählernen Messer aus der Brust herausschneiden und es zu Ihren Füßchen hinwerfen könnte. Und leichter wäre mir dann, hundertmal leichter …«

Ssergejs Stimme bebte.

»Was erzählst du mir da von deinem Herzen? Was soll mir das? Geh deines Weges …«

»Nein, erlauben Sie, Gnädige,« sagte Ssergej und sein Körper schwankte, er machte dabei einen Schritt auf Katerina Lwowna zu: »Ich weiß sehr wohl und sehe es, und fühle und begreife es sogar sehr gut, daß Sie es auf der Welt nicht leichter haben, als ich: jetzt aber,« fügte er im gleichen Atem hinzu, »jetzt aber ist das alles in diesem Augenblick in Ihre Hände gegeben und in Ihrer Macht.«

»Was meinst du? was soll das? wozu bist du zu mir gekommen? Ich werde durchs Fenster springen!« rief Katerina Lwowna, denn schon fühlte sie sich in der Gewalt eines unbeschreiblichen Schreckens und klammerte sich mit der Hand an das Fensterkreuz.

»Oh, du mein unvergleichliches Leben! warum aus dem Fenster springen?« flüsterte Ssergej dreist und riß die junge Hausfrau vom Fenster los und umarmte sie fest.

»Ach! ach! so laß mich doch,« jammerte Katerina Lwowna leise, aber schon wurde sie unter den heißen Küssen Ssergejs immer schwächer und schwächer und schon schmiegte sie sich selber unwillkürlich an seine gewaltige Erscheinung.

Ssergej nahm die junge Frau wie ein Kind auf seine Arme und trug sie in eine dunkle Ecke.

Still wurde es im Zimmer, eine Stille, die nur von dem gemessenen Ticken der über dem Kopfende von Katerina Lwownas Bett hängenden Taschenuhr ihres Mannes unterbrochen wurde; aber dieses Geräusch störte niemand.

»Geh jetzt,« sagte Katerina Lwowna nach einer halben Stunde und sah Ssergej nicht an, während sie vor einem kleinen Spiegel ihre Haare zurechtmachte.

»Warum wohl sollte ich jetzt von hier gehn?« entgegnete Ssergej mit glücklicher Stimme.

»Der Schwiegervater wird die Türen absperren.«

»Ach, Seelchen, mein Seelchen! Was hast du nur für Leute kennengelernt, die zur Frau nur den Weg durch die Türe finden? Zu dir, oder von dir – überall gibt es für mich Türen,« entgegnete der Bursche und wies auf die Säulen, die die Galerie stützten.

 

Viertes Kapitel

Sinowij Borissowitsch kehrte auch während der nächsten Woche nicht nach Hause zurück und jede Nacht in dieser Woche war seine Frau bis zum frühen Morgen mit Ssergej zusammen.

Und viel wurde in diesen Nächten im Schlafgemach Sinowij Borissowitschs Wein aus den Kellern des Schwiegervaters getrunken, und manche Süßigkeit gegessen, viel wurden die Lippen der jungen Hausfrau geküßt und auf weichen Kissen mit ihren schwarzen Locken gespielt. Aber nicht immer geht der Weg eben, es gibt auch Furchen mancheinmal.

Boris Timofejewitsch konnte nicht schlafen: es wanderte der Greis in seinem bunten Kattunhemd stille durch das Haus und trat an das eine Fenster und trat an das andere und auf einmal sieht er: an der Säule gerade unterhalb dem Fenster der Schwiegertochter läßt sich leise – leise in seinem roten Hemd der Bursche Ssergej hinunter. Das sind mir Neuigkeiten! Mit einem Satz sprang Boris Timofejewitsch aus dem Hause und packte den Burschen an den Beinen. Und wollte der auch anfangs ausholen, um dem Hausherrn mit aller Gewalt ans Ohr zu fahren, allein er tats nicht, denn er bedachte, das müßte Lärm geben.

»Sag mir,« sprach Timofejewitsch, »wo du gewesen, du Dieb?«

»Wo ich gewesen,« entgegnete jener, »dort, Herr, dort, Boris Timofejewitsch, bin ich nicht mehr,« sagte Ssergej.

»Du warst zur Nacht bei meiner Schwiegertochter?«

»Wo ich zur Nacht gewesen, Hausherr, das weiß ich wohl; aber nun höre mal, Boris Timofejewitsch, du hör jetzt auf meine Worte: Väterchen: was gewesen, bringt keiner mehr zurück, du aber bring zum wenigsten keine Schande über dein Kaufmannshaus. Sag mir, was du von mir willst? Welche Genugtuung verlangst du?«

»Dir, Schuft, fünfhundert Prügel überzuziehen ist mein Wille,« antwortete Boris Timofejewitsch.

»Meine Schuld – dein Wille,« hiermit erklärte sich der junge Bursche einverstanden. »Sag, wohin ich dir folgen soll, und still dann dein Verlangen und trink mein Blut.«

Und Boris Timofejewitsch führte Ssergej in die Vorratskammer mit den Steinmauern und peitschte ihn dort mit der schweren Peitsche, solange seine Kraft vorhielt. Kein Stöhnen kam von Ssergej, aber die Hälfte seines Hemdärmels hatte er derweilen mit den Zähnen zerfetzt.

Boris Timofejewitsch ließ Ssergej dortselbst in der Vorratskammer, damit sein blutig geschlagener Rücken wieder ausheile, er steckte ihm einen Trinkkrug mit Wasser zu und verschloß ihn alsdann gut und legte ein großes Schloß vor, – und dann schickte er nach seinem Sohne.

Aber hundert Werst auf Landwegen legt man in Rußland nicht schnell zurück, nicht einmal jetzt, und Katerina Lwowna war jede Stunde zuviel, die sie ohne Ssergej verbringen sollte. Plötzlich kam die ganze Weite ihrer aufgewachten Natur über sie und sie wurde so entschlossen, daß man sie gar nicht mehr zurückzuhalten vermochte. Bald schon hatte sie es heraus, wo Ssergej steckte und sprach mit ihm durch die Eisentüre und flog, die Schlüssel zu suchen. – »Väterchen, laß den Ssergej frei,« so kam sie zu ihrem Schwiegervater.

Der Alte wurde ganz grün. Diese dreiste Frechheit hatte er keineswegs von seiner schuldbeladenen, aber bisher immer noch folgsam gewesenen Schwiegertochter erwartet.

»Was soll das heißen, du – – –« und er begann Katerina Lwowna mit schimpflichen Namen zu belegen.

»Laß ihn frei,« fuhr sie fort, »bei meinem Gewissen, es ist noch zu nichts Schlechtem zwischen uns beiden gekommen.«

»Schlechtes!« entgegnete der, »noch nichts Schlechtes!« und knirschte dabei nur so mit den Zähnen: »Und womit habt ihr euch in den Nächten beschäftigt? Die Kissen des Mannes geklopft, was?«

Aber sie ließ nicht nach: Laß ihn frei und laß ihn frei.

»Wenn du mir so kommst,« sagte Boris Timofejewitsch, »dann hör mal: dein Mann wird kommen und dann werden wir dich, du ehrliches Weib, mit unseren Händen im Pferdestall auspeitschen, ihn aber, den Schuft, ihn laß ich schon morgen ins Loch werfen.«

Zu diesem Entschluß war Boris Timofejewitsch gekommen, aber zur Ausführung des Entschlusses kam er nicht.

 

Fünftes Kapitel

Zur Nacht aß Boris Timofejewitsch Pilze mit einem Grützlein und bald darauf bekam er das Sodbrennen; und plötzlich packte es ihn in der Herzgrube und darauf mußte er erbrechen und starb schließlich gegen Morgen und zwar starb er genau so, wie in seinen Speichern die Ratten starben, für die Katerina Lwowna immer eigenhändig eine besondere Speise richtete und zwar eine Speise mit einem ihr zur Obhut übergebenen weißen, gefährlichen Pülverchen. Und gleich darauf ließ Katerina Lwowna ihren Ssergej aus der steinernen Vorratskammer des Alten und legte ihn ohne Scheu vor den Augen der Menschen auf das Bett ihres Mannes, damit er sich dort von den Peitschenschlägen des Schwiegervaters erholen könnte; den Schwiegervater selber aber, Boris Timofejewitsch, beerdigte man ohne den geringsten Argwohn nach den Regeln des Christentums. Niemand wunderte sich, keinem kam auch nur der leiseste Verdacht: Boris Timofejewitsch war eben gestorben und zwar gestorben, nachdem er zuvor Pilze gegessen, genau so wie viele sterben, wenn sie giftige Pilze gegessen haben. Mit der Beerdigung Boris Timofejewitschs hatte man es eilig, man wartete nicht einmal die Ankunft seines Sohnes ab, denn das Wetter war damals sehr heiß, und zudem hatte der Bote, der ausgeschickt worden war, Sinowij Borissowitsch zu holen, ihn nicht mehr auf der Mühle angetroffen. Ihm war nämlich unterdessen ein billiger Wald zum Kauf angeboten worden, hundert Werst von dort, und so war er denn hingefahren, sich den ansehn und hatte niemandem genau gesagt, wohin er fuhr.

Nachdem diese Sachen zu Ende geführt worden, war Katerina Lwowna nicht mehr zu halten. War sie schon vorher keine von den Verzagten gewesen, so war es jetzt einfach unverständlich, was sie wohl im Sinne haben mochte; ordentlich geschwollen stolzierte sie durchs Haus und gab Befehle und ließ Ssergej auch nicht auf eine Minute aus den Augen. Im Hause gab es hierüber ein großes Staunen, aber Katerina Lwowna wußte mit ihrer freigebigen Hand einen jeden für sich zu gewinnen und so war mit einem Male das ganze Staunen aus. – »Unsere Hausfrau,« hieß es, »hats mit dem Ssergej, das ist alles.« – Und schließlich ist es ihre Sache und sie wirds verantworten müssen.

Unterdessen jedoch wurde Ssergej wieder ganz gesund und kam zu Kräften und machte sich aufs neue, der wackersten einer, ein munterer Falke, an Katerina Lwowna heran und aufs neue begann das verliebte Leben der beiden. Aber nicht nur für sie rollte die Zeit: es eilte nach Hause nach langer Trennung der beleidigte Gatte, Sinowij Borissowitsch.

 

Sechstes Kapitel

Draußen brütete nach dem Mittagessen eine höllische Hitze und eine geschäftige Fliege wurde immer unerträglicher. Katerina Lwowna verschloß die Laden des Schlafzimmerfensters und verhängte es von innen mit einem wollenen Tuche und legte sich darauf zu Ssergej auf das hohe Kaufmannsbett, um auszuruhen. Und es schlief Katerina Lwowna und schlief doch wieder nicht, ein Alp drückte sie, über und über naß wurde sie und atmete so heiß und so schwer. Und es fühlte Katerina Lwowna, daß es schon hohe Zeit sei, aufzuwachen, Zeit in den Garten zu gehen, Tee zu trinken, und doch konnte sie sich nicht erheben. Die Köchin kam und klopfte an die Tür. »Der Ssamowar,« rief sie, »steht unter dem Apfelbaum und wird kalt.« Katerina Lwowna richtete sich gewaltsam auf und begann, den Kater zu liebkosen. Der Kater aber schmiegte sich zwischen sie und Ssergej und war so hübsch, so grau und groß, und so fett war er, so rund … und einen Schnurrbart hatte er, wie der Abgabenverwalter. Katerina Lwowna vergrub sich geradezu in sein flaumiges Fell, er aber ruckte ihr mit der Schnauze immer näher, und endlich stieß er mit seiner stumpfen Schnauze an ihre elastische Brust und schnurrte dazu ein Lied so leise, als wollte er von der Liebe erzählen. »Wie ist dieser Riesenkater hereingekommen?« dachte Katerina Lwowna. »Auf dem Fensterbrett steht Rahm, den wird er bestimmt ausschlecken, der Schuft. Man müßte ihn hinausjagen,« beschloß sie und wollte den Kater packen, aber er glitt wie Nebel durch ihre Finger. »Und woher wohl dieser Kater gekommen sein mag?« dachte sie in ihrem alpgequälten Schlaf. »In unserem Schlafzimmer hat es noch nie einen Kater gegeben und plötzlich ist einer da, und zwar was für einer!« Und wieder versuchte sie, den Kater zu packen, und wieder gelang es ihr nicht. »Ja, was soll denn das bedeuten? Am Ende ist das gar kein Kater?« dachte Katerina Lwowna. Der Schrecken fuhr ihr durch die Glieder und mit einem Male waren Schlaf und Müdigkeit fort. Katerina Lwowna schaute sich im Gemach um: kein Kater war da, da war nur der hübsche Ssergej und preßte mit seiner gewaltigen Hand ihre Brust an sein glühendes Gesicht.

Katerina Lwowna erhob sich, setzte sich auf den Bettrand und küßte ihren Ssergej und liebkoste ihn, rückte das verschobene Kissen zurecht und begab sich darauf in den Garten, Tee zu trinken. Die Sonne aber stand schon ganz tief und auf die heißerhitzte Erde senkte sich ein wundervoller, ein zauberischer Abend herab.

»Ich habe mich verschlafen,« sagte Katerina Lwowna zu Axinja und setzte sich auf den Teppich unter dem blühenden Apfelbaum. »Und was das wohl bedeuten könnte, Axínjuschka?« fragte sie die Köchin und putzte das Geschirr mit dem Teetuch.

»Was denn, Mütterchen?«

»Daß halb im Traum und halb in Wirklichkeit ein Kater zu mir gekrochen kam.«

»Nein, so was?«

»Ja, wahrhaftig, ein Kater kroch zu mir.«

Und Katerina Lwowna erzählte sodann, wie der Kater zu ihr gekrochen kam.

»Warum du ihn nur gestreichelt hast?«

»Du bist gut! Ich weiß doch selber nicht, warum ich ihn streichelte.«

»Wirklich wunderbar!« rief die Köchin.

»Ich bin selber ganz erstaunt.«

»Das bedeutet bestimmt etwas in der Art, als würde sich jemand an dich heranmachen, oder es wird dergleichen was dabei herauskommen.«

»Und was?«

»Was? ja meine Liebe, das wird dir niemand erklären können, was, aber etwas in der Art wird es sein.«

»Zuerst sah ich im Schlaf immer den Mond und nachher kam der Kater,« setzte Katerina Lwowna fort.

»Der Mond, das ist ein Kindchen.«

Katerina Lwowna errötete.

»Geruhst du nicht, dir Ssergej schicken zu lassen?« forschte Axinja, die sich immer mehr als Vertraute aufspielte.

»Ja freilich,« entgegnete Katerina Lwowna, »du hast recht, schick ihn her, ich will ihm Tee geben.«

»Nun also, ich sagte doch – ihn herschicken,« entschied Axinja und watschelte wie eine Ente zur Gartentür.

Katerina Lwowna erzählte auch Ssergej vom Kater.

»Leere Träume,« meinte Ssergej.

»Aber warum, Ssergej, habe ich niemals vorher diese Träume gehabt?«

»Vorher, vorher war alles anders! Vorher, wenn ich da nur mit einem Auge auf dich blickte, wollte ich schier verschmachten – und jetzt! Dein ganzer weißer Leib ist in meiner Hand.«

Ssergej umschlang Katerina Lwowna und wirbelte sie durch die Luft und warf sie zum Spaß auf den dicken Teppich.

»Oh, mir dreht sich der Kopf,« sagte Katerina Lwowna. »Ssergej! Komm, setz dich neben mich,« rief sie dann und schmiegte sich und streckte sich in wollüstiger Bewegung.

Der junge Mann bückte sich, als er unter die tief herabhängenden und ganz von weißen Blüten überströmten Zweige des Apfelbaums trat und nahm auf dem Teppich zu Füßen von Katerina Lwowna Platz.

»Du schmachtetest also nach mir, Ssergej?«

»Freilich schmachtete ich.«

»Wie schmachtetest du? Das mußt du mir erzählen.«

»Wie soll man das erzählen? Kann man denn beschreiben, wie man schmachtet? Sehnsucht hatte ich.«

»Und wieso fühlte ich dann nicht, Ssergej, daß du dich nach mir verzehrtest? Das fühlt man doch, sagt man.«

Ssergej schwieg.

»Und warum sangst du Lieder, wenn du dich um mich grämtest, was? Ich hab ja gehört, wie du auf der Galerie sangest!« fuhr Katerina fort und streichelte ihn.

»Warum hätte ich keine Lieder singen sollen? Die Mücke singt auch ihr Leben lang, und doch ist es nicht zum Vergnügen,« entgegnete Ssergej trocken.

Es entstand eine Pause. Katerina Lwowna war vollauf entzückt von den Geständnissen Ssergejs.

Sie wollte weitersprechen, aber Ssergej runzelte die Augenbrauen und schwieg.

»Schau nur, Ssergej, ein Paradies, welch ein Paradies!« rief Katerina Lwowna und betrachtete durch die dichten, auf sie herabhängenden blühenden Zweige des Apfelbaumes den reinen dunkelblauen Himmel, an dem ein voller und hübscher Mond stand.

Der Mondschein, der seinen Weg durch die Blätter und Blüten des Apfelbaumes nahm, glitt mit absonderlichen kleinen hellen Flecken über das Gesicht und die ganze Gestalt der rücklings liegenden Katerina Lwowna; die Luft war sehr still; ein zarter und warmer Windhauch bewegte die schlaftrunkenen Blätter zuweilen und atmete den süßen Duft der blühenden Gräser und Bäume. Etwas Sehnsüchtiges lag darin, etwas Sanfteinschläferndes, das ein Verlangen nach Zärtlichkeit und viele dunklen Wünsche wachrief.

Katerina Lwowna erhielt keine Antwort und verstummte und schaute immer noch durch die blaßroten Apfelblüten den Himmel an. Ssergej schwieg ebenfalls, aber was ihn beschäftigte, war nicht der Himmel. Mit beiden Armen hielt er seine Knie umschlungen und blickte gedankenvoll auf seine Stiefel.

Goldene Nacht! Soviel Ruhe ringsum, soviel Silber, dieser Duft und welche segensreiche, lebenspendende Wärme. Weit hinter der Schlucht, die an die Rückseite stieß, stimmte jemand ein klingendes Lied an: am Zaun im dichten Faulbaum schlug laut die Nachtigall; eine schlaftrunkene Wachtel zwitscherte in ihrem Nest, das an einer hohen Stange befestigt war, und sehnsüchtig seufzte hinter der Mauer des Stalls das fette Pferd; auf der Weide aber, die hinter dem Gartenzaun war, jagte geräuschlos ein Rudel spielender Hunde und verschwand in den unförmigen schwarzen Schatten der halbzerfallenen alten Salzspeicher.

Katerina Lwowna stützte sich auf ihre Ellbogen und betrachtete das hochaufgeschossene Gartengras; das Gras funkelte nur so im Mondenschein, der von den Blüten und Blättern tropfte. Ganz vergoldet war es von diesen launenhaften und hellen Flecken, die darüber hinflimmerten und hinglitten, als wären es lebhafte glühende Falter oder als wäre ein Mondnetz über das Gras geworfen und bewege sich hin und her.

»Ach, Ssergej, wie wunderbar schön!« rief Katerina Lwowna und blickte sich um.

Aber gleichgültig schaute Ssergej.

»Was ist dir, Ssergej, du bist so unfreundlich? Oder ist dir am Ende meine Liebe bereits zuwider?«

»Wozu Unsinn schwatzen!« erwiderte Ssergej trocken und bückte sich faul, um Katerina Lwowna zu küssen.

»Ein Treuloser bist du, Ssergej,« eiferte Katerina Lwowna, »ein Unbeständiger.«

»Ich kann diese Worte nicht anerkennen,« entgegnete Ssergej ruhig.

»Warum küßt du mich dann so?«

Ssergej erwiderte nicht.

»So tun es nur die Ehemänner mit ihren Frauen,« fuhr Katerina Lwowna fort und spielte mit seinen Locken, »daß sie einander nur den Staub von den Lippen putzen. Küsse mich so, daß von diesem Apfelbaum über uns die jungen Blüten auf die Erde fallen.«

»So, ja, so,« flüsterte Katerina Lwowna und umschlang ihren Liebsten und küßte ihn mit leidenschaftlicher Hinneigung.

»Hör mal, Ssergej, was ich dir sagen möchte,« begann Katerina Lwowna nach einer kleinen Weile, »warum sprechen eigentlich alle einstimmig von dir, du seiest ein Treuloser?«

»Wem kann es schon Vergnügen machen, über mich zu schwatzen?«

»So sprechen die Leute.«

»Es könnte sein, daß ich gegen solche treulos war, die nichts anderes wert waren.«

»Und warum, du Narr, hast du dich mit solchen, die nichts wert waren, eingelassen? Mit solchen, die nichts wert sind, soll man auch keine Liebe haben.«

»Erzähl mir! Als ob das eine Sache wäre, die von der Überlegung abhinge? Nichts als Verführung. Hat man mit so einer friedlich und ohne jede andere Absicht das Gesetz überschritten, schon hängt sie einem am Halse. Da sprich mir noch von Liebe!«

»Hör mal, Ssergej! wie all die anderen waren, das weiß ich nicht und will es auch nicht wissen, aber genau so, wie du weißt, daß du mich herumbekommen hast, genau so weißt du auch, daß es weniger mein eigener Wille war, als deine Schlauheit; wenn aber du mich, Ssergej, betrügen solltest, wenn du jemals mich einer andern zuliebe, sei sie auch, wie immer sie sei, vergessen solltest, – dann merke dir, mein lieber Freund, und verzeih es mir, aber lebendig kommst du mir nicht davon.«

Ssergej fuhr in die Höhe.

»Aber Katerina Lwowna, du mein Augenlicht!« sagte er, »so schau doch nur selber, wie unsere Sache steht, du hast freilich bemerkt, daß ich heute nachdenklich bin, aber du willst nicht verstehen, daß ich nicht anders als nachdenklich sein kann. Es könnte sein, daß mein ganzes Herz von geronnenem Blute bedeckt ist!«

»Sprich, Ssergej, sprich deinen Kummer aus.«

»Da ist nicht viel zu erzählen! Das Nächste, was nun kommt, wird sein, daß mit Gottes Beistand dein Gatte herkommen wird, dann wird es heißen, Ssergej Filippowitsch, wird es heißen, zieh ab, marsch auf den Hinterhof zu den Musikanten, und schau dort vom Speicher zu, wie in Katerina Lwownas Zimmer das Lämpchen brennt und wie sie die Federbetten klopft und wie sie sich mit ihrem gesetzlichen Ehegemahl, mit Sinowij Borissowitsch, zur Ruhe begibt.«

»Dazu wird es nicht kommen!« sang Katerina Lwowna lustig und fuhr mit der Hand durch die Luft.

»Wieso wird es dazu nicht kommen? Ich glaube eher, daß es ohne das nicht gehen wird. Und ich, Katerina Lwowna, ich habe auch ein Herz und kann auch meine Qualen haben.«

»So hör doch endlich damit auf.«

Dieser Ausbruch von Ssergejs Eifersucht war Katerina Lwowna sehr nach Sinn und sie brach in ein Gelächter aus und machte sich wieder daran, ihn zu küssen.

»Und schließlich,« fuhr Ssergej fort und befreite leise seinen Kopf aus der Umklammerung der bis zu den Schultern entblößten Arme Katerina Lwownas, »schließlich muß ich wiederholen, daß mein ganz und gar erbärmliches Vermögen die Ursache ist, daß ich so denke und hundertmal so denken muß. Wenn ich Ihnen sozusagen gleich wäre, irgend so ein großer Herr oder ein Kaufmann wäre, ja dann, Katerina Lwowna, wollte ich auch nicht daran denken, mich je in meinem Leben von Ihnen zu trennen. So aber, sagen Sie doch selber, wer bin ich denn eigentlich hier? Nachdem ich erfahren, wie man Sie an Ihren weißen Händchen nimmt und in das Schlafzimmer führt, soll ich das alles jetzt in meinem Herzen ertragen und dadurch vor mir selber vielleicht auf ewige Zeit zu einem verächtlichen Menschen werden? Katerina Lwowna! Ich bin ja nicht, wie all die andern, denen alles gleichviel ist, wenn sie nur das Vergnügen, das eine Frau gibt, erlangen. Ich fühle ja, wie die Liebe tut und wie sie an meinem Herzen frißt, als wäre sie eine schwarze Schlange …«

»Warum erzählst du mir immer solche Sachen?« unterbrach ihn Katerina Lwowna.

Ssergej tat ihr leid.

»Katerina Lwowna! Wie soll ich nicht davon sprechen? Wie denn anders, als davon sprechen? Wenn er vielleicht alles schon weiß und erzählt bekommen hat, und wenn vielleicht schon sehr bald, möglicherweise schon morgen keine Spur von Ssergej hier im Hause mehr zu finden sein wird?«

»Nein, nein, Ssergej, nicht einmal davon sprechen darfst du! Das gibts nicht, daß ich ohne dich bliebe,« beruhigte ihn Katerina Lwowna immer mit den gleichen Liebkosungen, »wenn er wirklich darauf erpicht sein sollte – entweder ich oder er, dich aber werde ich nicht lassen.«

»Es ist völlig unmöglich, Katerina Lwowna, daß das geschehen könnte,« entgegnete Ssergej und schüttelte traurig und wehmütig den Kopf. »Dieser Liebe wegen bin ich meines Lebens nicht mehr froh. Hätt ich doch eine geliebt, die nicht über mir steht, hätt ich mich doch damit begnügt. Und wie lang soll wohl unsere Liebe dauern? Kann es Ihnen denn rühmlich erscheinen, eine Geliebte zu sein? Ja, wenn ich vor dem heiligen, vor dem ewigen Altare Ihr Mann würde, dann, ja, dann könnte ich, wenn ich mich auch stets geringer als Sie erachten würde, wenigstens öffentlich und vor allen Leuten zum Ausdruck bringen, wieviel mir daran gelegen ist, mir das Wohlwollen meiner Gemahlin zu erringen …«

Diese Worte Ssergejs berauschten Katerina Lwowna ebenso wie seine Eifersucht und sein Wunsch, sie zu heiraten, – ein Wunsch, der jeder Frau, ungeachtet ihrer noch so kurzen Verbindung mit dem Manne, immer angenehm ist. Katerina Lwowna war jetzt bereit, Ssergej durch Feuer und Wasser zu folgen, ins Gefängnis und ans Kreuz. Er hatte sie dermaßen verliebt gemacht, daß es für ihre Anhänglichkeit keine Grenze mehr gab. Ihr Glück machte sie halb toll; ihr Blut schäumte und schon hörte sie nichts mehr. Hastig verschloß sie Ssergejs Mund mit ihrer Hand und sagte, indem sie seinen Kopf an ihre Brust drückte:

»Ich weiß schon, wie ich aus dir einen Kaufmann mache und wie ich mit dir ein Leben führen werde, wie es sich gehört. Du aber bekümmere mich nicht mehr, solange diese Sache noch nicht über uns steht.«

Und wieder Küsse und wieder Liebkosungen.

Der alte Handlungsgehilfe, der im Speicher schlief, hörte trotz seines festen Schlafes durch die Stille der Nacht bald ein Raunen, unterbrochen von leisem Lachen, an sein Ohr dringen, als berieten spielende Kinder, wie sie wohl boshafter das sieche Alter verlachen könnten, bald wieder war ihm, als höre er ein helles und lustiges Gelächter, als kitzelten zudringliche Nixen wen. Und all das war nur Katerina Lwowna, die, im Mondlicht plätschernd und auf dem weichen Teppich hin- und herrollend mit dem jungen Angestellten ihres Mannes spielte und scherzte. Und der volle Apfelbaum überschüttete sie mit seinen jungen weißen Blüten, aber auch das ließ einige Zeit darauf nach. Und unterdessen ging die kurze Sommernacht vorüber, der Mond verkroch sich hinter dem spitzgiebligen Dach der hohen Speicher und blickte immer trüber und trüber auf die Erde hinab; vom Küchendach her ertönte ein durchdringendes Katzenduett, dann hörte man ein Spucken und ein wütendes Fauchen, und gleich darauf rollten geräuschvoll abstürzend, zwei oder drei Kater auf ein neben dem Dach aufgeschichtetes Bretterbündel herab.

»Gehen wir schlafen,« sagte Katerina Lwowna langsam und erhob sich wie zerschlagen vom Teppich, auf dem sie im Hemd und Unterrock lag, und schritt, so wie sie war, über den stillen, fast ausgestorbenen Hof des Kaufmannshauses, und Ssergej trug den Teppich hinter ihr drein und die Jacke, die sie während des Spielens abgestreift hatte.

 

Siebentes Kapitel

Kaum, daß Katerina Lwowna sich völlig ausgezogen auf das weiche Pfühl gelegt und die Kerze ausgeblasen hatte, überkam sie schon ein tiefer Schlaf. Und so fest schlief Katerina Lwowna nach all dem Spiel und Scherz ein, daß auch ihr Fuß schlief und ihr Arm schlief; und doch hörte sie noch durch ihren tiefen Schlaf, daß leise die Türe geöffnet wurde und daß auf ihr Bett mit schwerem Sprung der Kater von vorhin fiel.

»Was soll denn das nun wieder, das mit dem Kater?« fuhr es der schlaftrunkenen Katerina Lwowna durch den Kopf, »absichtlich habe ich diesmal die Türe mit eigener Hand fest abgeschlossen, das Fenster ist zu – und doch ist er wieder da. Ich will ihn hinauswerfen,« und Katerina Lwowna versuchte aufzustehen, aber ihre Arme und Beine versagten ihr den Dienst; der Kater jedoch, er strich über sie hin und schnurrte so eigentümlich, als wären es Worte der Menschen, die er spräche. Katerina Lwowna überlief es.

»Nein,« dachte sie, »so geht das nicht weiter, morgen muß unbedingt Wasser aus der Dreikönigskirche auf das Bett, denn das ist mir ein sehr sonderbarer Kater, der sich da an mich herangemacht hat.«

Der Kater aber schnurrte dicht über ihrem Ohr und stieß sie mit der Schnauze und sagte: »Was denn,« sagte er, »was bin ich für ein Kater! Und wieso denn! Du hast ganz recht, Katerina Lwowna, wenn du meinst, daß ich gar kein Kater bin, denn ich bin ja der namhafte Kaufmann Boris Timofejewitsch. Und nur das eine ist bei mir nicht ganz in Ordnung, nämlich, daß innen alle meine Eingeweide geborsten sind von der Bewirtung meines Schwiegertöchterchens. Darum,« schnurrte er weiter, »bin ich auch, sieh nur mal an, so klein geworden und erscheine denen als Kater, die sich wenig Gedanken darüber machen, wer ich in Wirklichkeit bin. Und wie steht es denn, wie geht es denn, wie lebst du heuer bei uns, Katerina Lwowna? Und hältst du auch getreulich deine Pflicht? Ich bin absichtlich vom Friedhof gekommen, um nachzuschauen, wie du und Ssergej Filippowitsch das Bett deines Gatten wärmt. Schnurr – schnurr, weißt du, ich sehe nämlich gar nicht mehr. Du brauchst mich nicht zu fürchten, denn, sieh mal, von deiner Bewirtung sind mir sogar die Augen herausgequollen. Schau mir nur in die Augen, Freundchen, keine Angst!«

Und Katerina Lwowna schaute und schrie laut auf. Zwischen ihr und Ssergej lag wieder der Kater. Der Kopf aber des Katers war der des Boris Timofejewitsch und zwar genau so groß, wie der Kopf des Verstorbenen, an Stelle der Augen aber waren zwei feurige Räder da, die sich nach verschiedenen Richtungen drehten, und wie sie sich drehten!

Ssergej erwachte, er beruhigte Katerina Lwowna und schlief wieder ein; ihr war aber inzwischen der Schlaf vergangen – und das war gut so.

Mit weit offenen Augen lag sie da und vernahm mit einem Male, daß jemand über den Zaun in den Hof stieg. Die Hunde warfen sich auf ihn, aber gleich darauf waren sie ruhig, – und zwar war es, als umschmeichelten sie den Ankömmling. Und noch eine Minute – und da schnappte unten das eiserne Schloß und die untere Eingangstüre ging auf. – »Kommt mir das nur so vor, oder ist wirklich mein Sinowij Borissowitsch zurückgekehrt, denn das war jemand, der die Tür aufsperrte,« dies schoß Katerina Lwowna durch den Kopf und hastig stieß sie Ssergej wach.

»Lausch mal, Ssergej,« sagte sie und richtete sich auf den Ellenbogen auf und spitzte die Ohren.

Und wahrhaftig, auf der Treppe hörte man jemand leise, vorsichtig Schritt für Schritt machen und zur verschlossenen Schlafzimmertür heraufsteigen.

Im Hemd sprang Katerina Lwowna schnell vom Bett und öffnete das Fenster. Im gleichen Augenblick sprang Ssergej barfuß auf die Galerie und umklammerte schon mit seinen Beinen jene Säule, mittels deren er bereits einige Male aus dem Schlafgemach der Hausfrau entkommen war.

»Nein doch, nicht nötig, nicht nötig! Kauer dich dort hin … nicht zu weit von hier,« flüsterte Katerina Lwowna, reichte Ssergej seine Schuhe und seine Kleidung durchs Fenster und glitt selber in einem Nu wieder unter die Bettdecke und lag still.

Ssergej tat, was Katerina Lwowna verlangte: er glitt nicht an der Säule hinab, sondern versteckte sich unter eine Bastmatte auf der Galerie.

Unterdessen hörte Katerina Lwowna, wie ihr Mann an die Türe heranschlich und den Atem anhaltend horchte. Sie konnte sogar hören, wie sein eifersüchtiges Herz schneller pochte: aber nicht Mitleid überkam Katerina Lwowna dabei, sondern ein boshaftes Gelächter.

»Ja such ihn nur, den gestrigen Tag,« mußte sie denken und lächelte dabei und atmete wie ein unschuldiger Säugling.

So vergingen zehn Minuten; endlich wurde es Sinowij Borissowitsch zuviel, noch länger an der Tür zu stehen und zuzuhören, wie seine Frau schlief; er klopfte.

»Wer ist da?« antwortete Katerina Lwowna nach einer Weile mit verschlafener Stimme.

»Ich,« entgegnete Sinowij Borissowitsch.

»Bist du es, Sinowij Borissowitsch?«

»Ich, ich! Hörst du denn nicht?«

Und wieder sprang Katerina Lwowna nur vom Hemde bekleidet auf und ließ den Mann ins Schlafgemach und schlüpfte wieder ins warme Bett.

»Vor Sonnenaufgang ist es jetzt immer frisch,« meinte sie, sich fest in ihre Decke hüllend.

Sinowij Borissowitsch trat ein, schaute sich um, bebte, zündete eine Kerze an und schaute sich noch einmal um.

»Und wie geht es, wie steht es?« fragte er darauf seine Gattin.

»Nichts Besonderes,« entgegnete Katerina Lwowna und schickte sich an, eine Kattunbluse anzuziehen.

»Den Ssamowar machen?« fragte sie.

»Wozu, weck Axinja, mag die es tun.«

Katerina Lwowna glitt ohne Strümpfe in ihre Morgenschuhe und eilte hinaus. Sie blieb über eine halbe Stunde fort. In dieser Zeit blies sie selber die Kohlen im Ssamowar an und flatterte leise zu Ssergej auf die Galerie hinaus.

»Bleib dort,« flüsterte sie.

»Wie lange denn noch?« fragte Ssergej ebenfalls flüsternd.

»Oh, wie dumm du bist! Bleib, solange ich dir nicht etwas anderes sage.«

Und Katerina Lwowna drückte ihn selber auf seinen alten Platz zurück.

Ssergej konnte auf der Galerie alles hören, was im Schlafgemach geschah und so hörte er denn auch, wie die Tür ging und Katerina Lwowna wieder ins Zimmer trat. Alles konnte er hören, Wort für Wort.

»Was triebst du so lange?« fragte Sinowij Borissowitsch seine Frau.

»Den Ssamowar machte ich,« entgegnete sie ruhig.

Eine Pause entstand. Ssergej konnte hören, wie Sinowij Borissowitsch seinen Rock an den Kleiderständer hängte. Und gleich darauf wusch er sich und spuckte und sprudelte das Wasser nach allen Richtungen; dann bat er um ein Handtuch; gleich darauf fingen sie wieder an zu sprechen.

»Nun, und wie habt ihr den Vater beerdigt?« erkundigte sich der Mann.

»Wie man das eben tut,« erwiderte die Frau, »er ist gestorben und man hat ihn beerdigt.«

»Und wie sonderbar das gekommen ist!«

»Ja, Gott weiß,« entgegnete Katerina Lwowna und klapperte mit dem Teegeschirr.

Niedergeschlagen ging Sinowij Borissowitsch durchs Zimmer.

»Nun, und Sie, wie haben Sie die Zeit verbracht?« begann Sinowij Borissowitsch aufs neue seine Frau auszufragen.

»Unsere Vergnügungen sind, meine ich, jedermann bekannt. Auf Bälle gehen wir nicht und Theater besuchen wir keine.«

»Es scheint jedoch, Sie haben keine große Freude, daß Ihr Mann wiedergekommen ist?« fuhr Sinowij Borissowitsch scheel blickend fort.

»Wir sind doch keine Kinder mehr, um so ohne Sinn und Verstand einander zu begrüßen. Wie soll ich denn meine Freude zeigen? Ich arbeite und laufe doch nur zu Ihrem Vergnügen.«

Und wieder eilte Katerina Lwowna hinaus, diesmal, um den Ssamowar zu holen, und wieder schlüpfte sie zu Ssergej und zupfte ihn und sagte: »Nicht einschlafen, Ssergej!«

Und wußte auch Ssergej ganz und gar nicht, wohin das führen sollte, immerhin machte er sich fertig.

Katerina Lwowna kehrte zurück und traf Sinowij Borissowitsch auf dem Bett kniend an, wie er seine silberne Uhr mit der Glasperlenkette über das Kopfende hängte.

»Wie kommt es, Katerina Lwowna, daß Sie, obwohl Sie allein waren, das Bett für zwei gemacht haben?« wandte er sich plötzlich mit einer sonderbaren Stimme an seine Frau.

»Ich wartete immer auf Sie«, entgegnete Katerina Lwowna, ihn ruhig anblickend.

»Und dafür danke ich Ihnen ergebenst … Wieso aber kommt dieser Gegenstand da auf Ihr Federbett?«

Und mit diesen Worten hob Sinowij Borissowitsch Ssergejs kleinen wollenen Gürtel von der Decke und hielt ihn seiner Frau vor Augen.

Aber Katerina Lwowna hatte im Nu die Antwort.

»Das fand ich im Garten,« sagte sie, »und habe mir den Unterrock damit aufgebunden.«

»Freilich!« sprach Sinowij Borissowitsch mit besonderer Betonung, »von Ihren Unterröcken haben wir auch manches zu Ohren bekommen.«

»Und was denn haben Sie zu Ohren bekommen?«

»Nun, von Ihren mancherlei guten Taten.«

»Ich habe nichts an dergleichen Taten aufzuweisen.«

»Das wird sich herausstellen, das wird sich alles herausstellen,« entgegnete Sinowij Borissowitsch und schob sein leeres Glas seiner Frau hin.

Katerina Lwowna schwieg.

»Alle Ihre Taten, Katerina Lwowna, werden wir ans Tageslicht bringen,« fuhr Sinowij Borissowitsch nach einer guten Weile fort und runzelte die Brauen.

»Ihre Katerina Lwowna ist nicht so ängstlich, wie Sie annehmen, sie hat keine große Angst davor,« entgegnete diese.

»Was! was!« fuhr Sinowij Borissowitsch sie mit erhöhter Stimme an.

»Nichts – Sie sind ausgerutscht,« entgegnete seine Frau.

»Sieh dich mal vor, du! Du scheinst mir sehr geschwätzig geworden zu sein!«

»Und warum sollte ich etwa nicht geschwätzig sein?« gab Katerina Lwowna zurück.

»Hättest du lieber mehr auf dich selber achtgegeben.«

»Ich brauche nicht auf mich achtzugeben. Weiß Gott, wessen lange Zunge Ihnen etwas aufgebunden haben mag, ich aber soll alle Beschimpfungen ruhig hinnehmen?! Das sind mir Neuigkeiten!«

»Nichts da von langen Zungen, ich habe zuverlässige Nachrichten über Ihre Liebschaften.«

»Über welche Liebschaften von mir?« rief Katerina Lwowna, unwillkürlich in die Höhe fahrend.

»Ich weiß schon, über welche.«

»Nun, und wenn Sie es wissen, dann sagen Sie es doch klarer!«

Sinowij Borissowitsch verstummte und schob seiner Frau aufs neue die leere Schale hinüber.

»Da sieht mans ja, Sie wissen es nicht einmal zu sagen!« rief Katerina Lwowna mit Verachtung und warf zornig den Teelöffel auf die Schale ihres Mannes. »Nun so sprechen Sie doch, mit wem hat man mich verleumdet? Wer ist denn in Ihren Augen mein Liebhaber?«

»Sie werden es schon erfahren, es hat keine solche Eile.«

»Hat man Ihnen vielleicht von Ssergej etwas vorgequasselt?«

»Wird man erfahren, Katerina Lwowna, wird man schon erfahren. Unsere Macht über Sie hat uns noch niemand abgenommen und kann niemand von uns nehmen … Sie werden selber schon zu sprechen anfangen …«

»Eh! unausstehlich ist das,« rief Katerina Lwowna zähneknirschend und wurde dann blaß wie ein Linnen und sprang plötzlich zur Türe hinaus.

»Also, da ist er,« sagte sie einige Augenblicke darauf und zog Ssergej an seinem Ärmel ins Zimmer. »Fragen Sie ihn und mich aus nach alledem, was Sie zu wissen behaupten. Und es könnte schon sein, daß du vielleicht mehr erfahren wirst, als du wissen möchtest.«

Sinowij Borissowitsch verlor fast die Fassung. Bald schaute er Ssergej an und bald seine Frau, die mit gekreuzten Armen sich ruhig auf den Bettrand gesetzt hatte, – er begriff absolut nicht, wohin das führen sollte.

»Was soll das heißen, du Schlange?« stieß er endlich mit Mühe hervor, ohne sich von seinem Sessel zu erheben.

»Frag ihn doch nach alledem, was du so gut zu wissen behauptest,« entgegnete Katerina Lwowna dreist. »Du hattest im Sinne, mich mit der Strafe zu schrecken,« fuhr sie fort und zwinkerte vielsagend mit den Augen. »Dazu wird es aber nie kommen; das aber, was ich mir, lange bevor du mir mit diesen deinen Versprechungen kamst, für dich ausgedacht habe, das werde ich bestimmt ausführen.«

»Was soll das wieder? Hinaus!« schrie Sinowij Borissowitsch Ssergej zu.

»Warum nicht gar!« spottete Katerina Lwowna.

Geschwind schloß sie die Türe ab, steckte den Schlüssel in die Tasche und nahm aufs neue in ihrer ungezwungenen Stellung auf dem Bett Platz.

»Und jetzt, Ssergej, komm her, komm nur, mein Täubchen,« so winkte sie den jungen Angestellten zu sich.

Ssergej schüttelte seine Locken zurück und setzte sich dreist neben die junge Hausfrau.

»Herr! mein Gott! Ja, was ist denn das? Ja, was tut ihr denn da, ihr Heillosen?« schrie purpurn vor Zorn Sinowij Borissowitsch und erhob sich von seinem Sessel.

»Was? Oder gefällt dir das nicht? Schau nur, schau, mein hübscher Falke, wie schön das ist!«

Katerina Lwowna lachte und küßte trotz der Gegenwart ihres Mannes Ssergej leidenschaftlich.

Aber im gleichen Augenblick glühte auf ihrer Backe eine betäubende Ohrfeige und gleich darauf eilte Sinowij Borissowitsch zum offenen Fenster.

 

Achtes Kapitel

»A – a, das also! … nun, mein Bester, vielen Dank, darauf wartete ich nur!« rief Katerina Lwowna: »Also dann nicht, wie ich es wollte und nicht wie du willst …«

Und mit einer Armbewegung stieß sie Ssergej fort, warf sich hastig auf ihren Mann und packte, noch bevor Sinowij Borissowitsch das Fenster zu erreichen vermocht hatte, mit ihren schmalen Fingern von hinten seinen Hals und warf ihn wie ein nasses Hanfbündel zu Boden.

Sinowij Borissowitsch, der schwer hinschlug und mit dem Hinterkopf hart auf den Boden stieß, war wie von Sinnen. Diesen schnellen Ausgang hatte er ganz und gar nicht erwartet. Diese erste Gewalttat, die seine Frau gegen ihn anwendete, bewies ihm, daß sie sich zum Äußersten entschlossen hatte, um ihn nur endlich loszuwerden, und daß seine augenblickliche Lage außerordentlich gefahrdrohend war. Dies alles schoß Sinowij Borissowitsch, während er hinstürzte, durch den Kopf und darum schrie er nicht etwa, denn er wußte, daß seine Stimme nur die Sache beschleunigen dürfte. Schweigend blickte er um sich und heftete seine Augen mit dem Ausdruck des Zornes, des Vorwurfs und der Qual auf seine Frau, deren schmale Finger ihm sofort die Gurgel zupreßten.

Sinowij Borissowitsch setzte sich nicht zur Wehr, seine Arme lagen, wenn auch mit geballten Fäusten, lang hingestreckt und zuckten nur zuweilen krampfhaft. Der eine war sogar ganz frei, den anderen drückte Katerina Lwowna mit ihrem Knie auf den Fußboden.

»Halt ihn,« flüsterte sie gleichgültig Ssergej zu und wendete sich darauf ihrem Manne zu.

Ssergej setzte sich auf seinen Herrn und preßte mit seinen Knien dessen Arme nieder. Er wollte ihn unterhalb der Hände Katerina Lwownas an der Gurgel packen, aber er schrie im gleichen Augenblick wie wahnsinnig auf. Beim Anblick dessen, der ihn so gekränkt hatte, riß blutige Rache die letzten Kräfte in Sinowij Borissowitsch hoch: ein gewaltsamer, fürchterlicher Ruck und er befreite seine von Ssergejs Knien an den Boden gedrückten Arme und fuhr mit ihnen in die schwarzen Locken Ssergejs, mit seinen Zähnen verbiß er sich in seine Gurgel. Aber nicht lange: denn gleich darauf stöhnte Sinowij Borissowitsch schwer auf und ließ den Kopf zurückfallen.

Bleich und fast atemlos stand Katerina Lwowna über ihrem Mann mit ihrem Liebhaber; in ihrer rechten Hand war ein schwerer gußeiserner Leuchter, sie hielt ihn an seinem oberen Ende, den schweren Teil nach unten. Über Sinowij Borissowitschs Schläfe aber und Wange floß ein dünner Faden roten Blutes.

»Einen Priester …« stöhnte Sinowij Borissowitsch dumpf und rückte voll Abscheu seinen Kopf so weit als möglich von dem auf ihm sitzenden Ssergej ab. »Beichten,« flüsterte er noch undeutlicher, erbebte und schielte dorthin, wo sich sein warmes Blut in seinen Haaren verfing.

»Es wird auch so gehen,« murmelte Katerina Lwowna.

»Man muß ein Ende mit ihm machen,« warf sie zu Ssergej hin, »pack ihn fest an die Gurgel.«

Sinowij Borissowitsch ächzte nur.

Katerina Lwowna bog sich vor und preßte mit ihren Händen die Hände Ssergejs noch fester an die Gurgel ihres Mannes und legte ihr Ohr auf seine Brust. Fünf stille Minuten, dann erhob sie sich und sagte: »Schon gut, es genügt.«

Ssergej erhob sich ebenfalls und holte tief Atem. Sinowij Borissowitsch lag mit eingedrückter Gurgel und zerspaltener Schläfe am Boden. Linkerhand war ein nicht gerade großer Blutfleck unter seinem Kopf, aber es floß kein Blut mehr aus der geronnenen und von Haaren verklebten kleinen Wunde.

Ssergej trug den Körper Sinowij Borissowitschs in das Kellergewölbe, das unterhalb jenes Speichers mit den Steinwänden lag, in den der verstorbene Boris Timofejewitsch ihn selber damals gesperrt hatte, und kehrte dann zurück. Gleichzeitig wusch Katerina Lwowna, welche die Ärmel ihrer Bluse zurückgeschlagen und ihren Rock hochgeschürzt hatte, auf das emsigste den Blutfleck, den Sinowij Borissowitsch auf dem Fußboden des Schlafgemachs zurückgelassen, mit einer Bürste und Seife fort. Das Wasser im Ssamowar war noch warm, das Wasser für den vergifteten Tee, mit dem Sinowij Borissowitsch seine Hausherrnseele zu erfrischen gedachte, – und so wurde denn der Fleck fortgewaschen, ohne daß auch nur eine Spur zurückblieb.

Mit diesem fertig, ergriff Katerina Lwowna eine große kupferne Spülschale und einen eingeseiften Scheuerlappen.

»Leucht mal,« rief sie Ssergej zu und ging zur Tür. »Halt das Licht tiefer,« sagte sie und betrachtete sorgfältig alle die Bretter des Fußbodens, über die Ssergej den Leichnam Sinowij Borissowitschs bis zur Grube geschleift hatte.

Nur an zwei Stellen fand man zwei winzige Flecken, keiner größer als eine Kirsche. Katerina Lwowna fuhr mit dem Scheuerlappen herüber und sie verschwanden.

»Da hast dus, warum schleichst du wie ein Dieb zu deiner Frau, warum spionierst du sie aus,« sagte Katerina Lwowna endlich, richtete sich auf und schaute dabei in der Richtung zum Speicher.

»Schluß jetzt,« sagte Ssergej, aber der Klang seiner eigenen Stimme macht ihn schaudern.

Als sie ins Schlafzimmer zurückkehrten, brach im Osten gerade ein feiner purpurner Streifen der Morgenröte durch und schaute, ganz leicht die blütenbedeckten Apfelbäume vergoldend, durch die grünen Stäbe des Gartengitters in Katerina Lwownas Zimmer.

Gähnend und sich bekreuzigend, über der Schulter einen alten Halbpelz, kroch aus dem Speicher auf den Hof der alte Kommis und ging in die Küche.

Vorsichtig schloß Katerina Lwowna die an einer Schnur hängenden Fensterläden und sah Ssergej aufmerksam an, als wollte sie in seine Seele schauen.

»So, und nun bist du der Kaufmann,« sagte sie und legte ihre weißen Arme dabei auf Ssergejs Schulter.

Ssergej gab keine Antwort.

Ssergejs Lippen bebten und es war, als schüttelte ihn ein Fieber. Aber Katerina Lwownas Lippen waren kalt.

Zwei Tage darauf hatte Ssergej große Schwielen an der Hand und zwar von der schweren Schaufel und dem angestrengten Graben; dafür aber war Sinowij Borissowitsch in seinem Kellergewölbe so gut untergebracht, daß es ohne Hilfe seiner Frau oder ihres Liebhabers keinem je gelungen wäre, ihn aufzufinden bis zum Tage der Auferstehung.

 

Neuntes Kapitel

Ssergej trug ein rotes Tuch um den Hals und klagte, es hätte sich ihm was auf die Kehle gelegt. Inzwischen aber und zwar noch bevor die Spuren, die Sinowij Borissowitschs Zähne auf Ssergejs Gurgel zurückgelassen, verschwunden waren, begann man immermehr, über das Ausbleiben von Katerina Lwownas Gatten zu sprechen. Und noch häufiger als die anderen brachte Ssergej selber das Gespräch auf ihn. So zum Beispiel, wenn er mit den anderen Burschen abends auf der Bank an der Pforte saß, pflegte er zu fragen: »Was das wohl sein mag, Kinder, daß unser Herr noch immer nicht da ist?«

Und die braven Burschen wunderten sich.

Von der Mühle kam Nachricht, der Herr hätte Pferde bestellt und sei nach Hause gefahren. Der Kutscher, der ihn gefahren, sagte, Sinowij Borissowitsch sei sehr mißvergnügt gewesen und hätte ihn zum Schluß auf wunderliche Art fortgeschickt: Drei Werst von der Stadt, gerade unterhalb des Klosters, sei er vom Wagen gestiegen, habe seinen Reisesack genommen und sei verschwunden. Und wer diese Erzählung hörte, wunderte sich noch mehr.

Sinowij Borissowitsch war verschwunden, das war alles. Nachforschungen wurden angestellt, aber es kam nichts dabei heraus: der Kaufmann blieb untergetaucht, wie im Wasser. Aus den Aussagen des verhafteten Fuhrmanns ging nur hervor, daß der Kaufmann am Fluß unterhalb des Klosters ausgestiegen und seines Weges gegangen sei. Es kam keine Klarheit in die Sache, Katerina Lwowna jedoch lebte inzwischen mit ihrem Ssergej in aller Öffentlichkeit, zumal sie sich ja im Witwenstande befand. Aufs Geratewohl wurde freilich erzählt, hier wäre Sinowij Borissowitsch gesehen worden und dort, trotzdem aber kehrte Sinowij Borissowitsch nicht heim, und Katerina Lwowna wußte besser als alle, daß es ihm nicht mehr möglich war, heimzukehren.

So verging ein Monat, aber auch ein zweiter und dritter, und dann wußte Katerina Lwowna, daß sie schwanger war.

»Unser wird das Kapital, Ssergej, ich habe einen Erben,« sagte sie zu Ssergej und ging dann mit ihrem Ansuchen zum Stadtrat, so und so sei die Sache und sie fühle sich schwanger. Und die Geschäfte gerieten ins Stocken. Man möge ihr nunmehr bewilligen, das Geschäft zu führen.

Ein Handelsgeschäft darf nicht untergehen. Katerina Lwowna war die gesetzliche Frau ihres Mannes, Schulden waren keine in Sicht, man mußte es ihr mithin schon gestatten, und so gestattete man es.

Also lebte denn Katerina Lwowna und herrschte, und ihr zuliebe wurde Ssergej nunmehr Ssergej Filippowitsch genannt. Plötzlich aber – eine neue Bescherung. Aus Liwny nämlich wurde dem Stadthaupt geschrieben, daß nicht nur Boris Timofejewitschs Kapital in dem Geschäft stecke, sondern auch zur größeren Hälfte das Geld seines minderjährigen Neffen Fjódor Sachárowitsch Ljámin beteiligt sei, und daß man diese Sache untersuchen müsse und nicht ganz und gar Katerina Lwowna überlassen dürfte. Die Nachricht kam und es sprach das Stadthaupt mit Katerina Lwowna, und kaum war eine Woche vergangen – hopp! da kam aus Liwny eine alte Frau mit einem kleinen Knaben.

»Ich,« sagte sie, »ich bin die Base des verstorbenen Boris Timofejewitsch und das da ist mein Neffe Fjodor Ljamin.«

Und Katerina Lwowna mußte sie empfangen.

Ssergej, der vom Hof her sowohl die Ankunft, wie auch den Empfang, den Katerina Lwowna den Ankömmlingen bereitete, beobachtet hatte, wurde weiß wie ein Tuch.

»Was hast du?« fragte ihn die Hausfrau, seine Totenblässe bemerkend, als er hinter den Ankömmlingen her in den Vorraum trat, um jene zu mustern.

»Nichts,« entgegnete er und ging aus dem Vorraum in den Flur, »ich denke nur, wie höchst merkwürdig dieses Liwny ist,« fügte er mit einem Seufzer hinzu und schloß die Flurtüre hinter sich.

»Nun, und jetzt, was jetzt?« fragte Ssergej Filippowitsch Katerina Lwowna, als sie nachts beim Ssamowar saßen. »Jetzt, Katerina Lwowna, stellt es sich heraus, daß unsere Sache nichts war.«

»Wieso denn nichts, Ssergej?«

»Weil jetzt alles geteilt werden wird. Wie kann man denn eine faule Sache verwalten?«

»Ja, ist es dir denn wirklich zu wenig, Ssergej?«

»Ich spreche jetzt nicht von mir; mir sind nur Zweifel gekommen, daß wir niemals im Leben Glück haben werden.«

»Warum denn, weshalb denn, Ssergej, sollten wir niemals Glück haben?«

»Ja, eben, weil ich Sie so sehr liebe, Katerina Lwowna, und weil es mein Wunsch ist, Sie als wirkliche Dame zu sehen und nicht so, wie es bisher war,« entgegnete Ssergej Filippowitsch. »Und jetzt wird gerade das Gegenteil wahr, daß wir, bei dem gegen früher verringerten Kapital uns sehr werden einschränken müssen.«

»Und glaubst du wirklich, Ssergej, daß mir das so wichtig ist?«

»Es ist ja wahr, Katerina Lwowna, und es mag schon sein, daß Ihnen das nicht wichtig ist. Für mich aber und zwar, weil ich Sie liebe und weil ich die gemeinen und neidischen Blicke der Leute kenne, ist es ein schrecklicher Schmerz. Sie können darüber freilich anders denken, meine Meinung ist aber nun einmal, daß ich unter diesen Umständen niemals recht glücklich sein werde.«

Und so blies denn Ssergej Katerina Lwowna seine Not in die Ohren, daß nämlich er, Ssergej, durch eben diesen Fjodor Ljamin der allerunglückseligste Mensch geworden sei, da er jetzt nicht mehr die Möglichkeit habe, sie, Katerina Lwowna, vor der gesamten Kaufmannsgilde herauszustreichen und hervorzuheben. Und noch ein jedes Mal führte Ssergej alles darauf zurück, daß, wenn nicht dieser Fjodor wäre, Katerina Lwowna neun Monate nach dem Verschwinden ihres Mannes ein Kind zur Welt bringen täte, und daß mithin das ganze Kapital ihr dann allein zufallen würde und daß dann ihr Glück ohne Maß und Grenzen sein könnte.

 

Zehntes Kapitel

Und dann hörte Ssergej mit einem Male auf, vom Nachfolger zu sprechen. Kaum jedoch waren Ssergejs Reden verstummt, da setzte sich sogleich im Kopf und im Herzen Katerina Lwownas der Gedanke an Fjodor Ljamin fest. Nachdenklich wurde sie und sogar unfreundlich gegen Ssergej. Ob sie nun schlief, oder im Haushalt tätig war, oder zu Gott betete, in ihrem Sinn war immer nur das eine: »Wieso denn? Und weshalb denn in der Tat muß ich durch ihn mein Kapital einbüßen? Habe ich nicht genug gelitten und nicht genug Sünden auf meine Seele geladen?« Dies waren Katerina Lwownas Gedanken: »Er aber kommt mir nichts dir nichts her und nimmt es mir einfach weg … Und wenn es noch ein Erwachsener wär, so aber – ein Kind, ein Knabe …«

Früh gab es diesmal Frost. Von Sinowij Borissowitsch kamen begreiflicherweise keinerlei Gerüchte mehr. Katerina Lwowna wurde immer voller und war sehr nachdenklich geworden; auf ihre Rechnung trommelten die Trommeln in der Stadt und man staunte weidlich, wieso und warum die junge Ismailowa immer unfruchtbar gewesen, immer mager und kränklich und nun mit einem Male sich vorn zu runden begann. Der knabenhafte Miterbe aber, Fjodor Ljamin, spazierte in seinem leichten Eichhörnchenpelz auf dem Hof und hatte seine Lust daran, wo es gefroren war, das Eis zu zerknacken.

»He, Fjodor Ignatjewitsch! He, Kaufmannssohn!« rief ihm zuweilen die Köchin Axinja zu, wenn sie auf dem Hof an ihm vorübereilte, »schämst du dich denn nicht, du Kaufmannssohn, in Pfützen zu wühlen?«

Der Miterbe jedoch, der solche Verwirrung über Katerina Lwowna und ihren Geliebten gebracht hatte, schlug mit den Beinen aus wie ein sorgloses Böcklein und schlief noch sorgloser neben dem alten Weiblein, das ihn pflegte, und dachte nicht und wußte nicht, daß er jemanden über den Weg gelaufen wäre oder jenem gar sein Glück geschmälert haben könnte.

Endlich aber bekam Fjodor vom vielen Herumstreichen die Windpocken, und es kam dazu noch eine schmerzhafte Erkältung der Brust und so mußte der Knabe ins Bett. Anfangs gab man ihm allerhand Tränklein aus Gräsern und Wurzeln, schließlich jedoch schickte man nach dem Arzt.

Der Arzt kam und verschrieb Arzneien, die dem Knaben jede Stunde verabreicht werden mußten, und bald gab sie die gute Alte ihm, bald bat sie Katerina Lwowna, es zu tun.

»Tus nur,« pflegte sie zu sagen, »Katerinchen, denn du, mein Mütterchen, trägst nun selber deine Last und stehst Gottes Fügung entgegen; darum tus nur.«

Und Katerina Lwowna schlug der Alten die Bitte nicht ab. Ob nun diese spät abends ins immerwährende Gebet lief, um »für den auf dem Krankheitslager liegenden Jüngling Fjodor« zu beten, oder in die Frühmesse, um Gesundheit zu erflehen, beim Kranken saß Katerina Lwowna, tränkte ihn und gab ihm, wenn die Stunde gekommen war, die Arznei.

Und so ging denn die Alte zum Abendgottesdienst und Nachtgebet auf Mariä Opfer und bat Katerinchen, nach Fjodor zu sehen. Dem Knaben ging es dazumal bereits besser.

Katerina Lwowna ging zu Fjodor, der aufgerichtet im Bett saß und von seinem Eichhörnchenpelzchen bedeckt, im Heiligenleben las.

»Was liest du da, Fjodor?« fragte Katerina Lwowna und nahm in einem Sessel Platz.

»Ein Heiligenleben les ich, Tantchen.«

»Gefällts dir?«

»Sehr gefällt es mir, Tantchen.«

Katerina Lwowna stützte sich auf ihren Arm und betrachtete Fjodor, der leise die Lippen bewegte, und plötzlich war es, als rissen sich Dämonen von ihrer Kette los und mit einem Male waren nur noch jene Gedanken in ihr, wieviel Kummer ihr dieser Knabe zugefügt habe und wie gut alles wäre, wenn es ihn nicht gäbe.

»Nun, und wenn …« schoß es Katerina Lwowna durch den Kopf. »Er ist ja doch krank; er bekommt Arzneien … wenn man krank ist, kann manches passieren … Man wird sagen, daß der Arzt nicht die rechte Arznei getroffen habe.«

»Ist es nicht Zeit, Fjodor, die Arznei zu nehmen?«

»Ja, ja bitte, Tantchen,« entgegnete der Knabe und nahm den Löffel und fuhr dann fort: »Es gefällt mir sehr, Tantchen, was von den Heiligen geschrieben ist.«

»Lies nur weiter,« meinte Katerina Lwowna und musterte mit kaltem Blick das Zimmer und heftete ihn endlich auf die mit Eisblumen bedeckten Fenster.

»Die Fensterladen müssen geschlossen werden,« sagte sie und ging ins Wohnzimmer und von dort in den Saal und von dort nach oben in ihr Zimmer und setzte sich dort hin.

Fünf Minuten vergingen, schweigend kam Ssergej zu ihr nach oben, er trug einen feschen Halbpelz, der von dichthaarigem Seebärfell eingefaßt war.

»Sind alle Laden zu?« fragte Katerina Lwowna.

»Ja,« entgegnete Ssergej hastig und putzte mit der Lichtschere den Docht der Kerze und stellte sich darauf an den Ofen.

Ein Schweigen entstand.

»Heuer ist wohl das Nachtgebet nicht so bald zu Ende?« fragte Katerina Lwowna.

»Morgen ist ein großer Feiertag, es wird wahrscheinlich lange dauern,« erwiderte Ssergej.

Wieder entstand eine Pause.

»Ich muß zu Fjodor, er ist ganz allein,« sagte Katerina Lwowna und erhob sich.

»Ganz allein?« fragte Ssergej und sah sie düster an.

»Ganz allein,« antwortete sie flüsternd. »Was denkst du?«

Und von Auge zu Auge sprang es wie ein blitzschwangeres Verstehen, keines aber sprach zum andern auch nur ein Wort mehr.

Katerina Lwowna ging nach unten und schritt durch die leeren Zimmer. Still war es überall; ruhig brannten die Lämpchen; ihr eigener Schatten glitt über die Wände hin; die durch die geschlossenen Fensterläden geschützten Scheiben begannen sich zu erwärmen und das Glas wurde feucht. Fjodor saß noch immer aufgerichtet und las. Als er Katerina Lwowna erblickte, sagte er nur:

»Tantchen, bitte, nehmen Sie dies Buch und geben Sie mir, bitte, jenes vom Schrank mit den Heiligenbildern.«

Katerina Lwowna erfüllte die Bitte des Neffen und gab ihm das Buch.

»Fjodor, willst du nicht lieber schlafen?«

»Nein, Tantchen, ich will auf das Großmütterchen warten.«

»Warum denn auf sie warten?«

»Sie versprach, mir vom Nachtgottesdienst ein geweihtes Brot mitzubringen.«

Katerina Lwowna erbleichte plötzlich, unter ihrem Herzen bewegte sich zum ersten Male ihr eigenes Kind, kalt fuhr es ihr durch die Brust. So stand sie ein wenig inmitten des Zimmers und ging dann, die erkälteten Hände reibend, hinaus.

»Jetzt!« flüsterte sie, als sie leise ihr Schlafgemach betrat und Ssergej in der gleichen Stellung am Ofen stehen sah.

»Was?« fragte Ssergej kaum hörbar und räusperte sich.

»Er ist allein.«

Ssergej runzelte die Augenbrauen, er atmete schwer.

»Komm,« sagte Katerina Lwowna und kehrte hastig in der Türe um. Ssergej zog eilig seine Stiefel aus und fragte nur:

»Was brauch ich?«

»Nichts,« entgegnete Katerina Lwowna, es war nicht mehr als ein Hauch, und zog ihn still an der Hand nach sich.

 

Elftes Kapitel

Der kranke Knabe fuhr zusammen und ließ sogar das Buch sinken, als Katerina Lwowna zum dritten Male zu ihm kam.

»Was hast du, Fjodor?«

»Ach Tantchen, wie ich erschrocken bin,« entgegnete er und lächelte ängstlich und schmiegte sich in seine Bettdecke.

»Wovor bist du denn erschrocken?«

»Wer war das, der mit Ihnen kam, Tantchen?«

»Wo denn? Mit mir, liebes Kind, ist niemand gekommen.«

»Wirklich niemand?«

Der Knabe rutschte in seinem Bett zum Fußende und schaute blinzelnd zur Tür hin, durch die die Tante gekommen war, allmählich wurde er ruhiger.

»Es kam mir wahrscheinlich nur so vor,« meinte er.

Katerina Lwowna setzte sich nicht, sie stützte sich mit den Ellenbogen auf die Kopflehne des Bettes.

Fjodor blickte die Tante an und fragte, warum sie so schrecklich blaß sei.

Als Antwort auf diese Bemerkung hüstelte Katerina Lwowna einige Male und schaute gespannt auf die Tür, die zum Wohnzimmer führte.

Leise knackte dort ein Brett im Fußboden.

»Das Leben meines Engels, des heiligen Theodor Stratilatos, lese ich jetzt, Tantchen. Hat der ein gottgefälliges Leben geführt!«

Aber noch immer schwieg Katerina Lwowna.

»Tantchen, wollen Sie sich nicht setzen, und ich lese Ihnen wieder was vor?« fragte schmeichelnd der Neffe.

»Wart, ich bin gleich wieder da, ein Lämpchen im Saal brennt nicht richtig,« gab Katerina Lwowna zur Antwort und ging schnellen Schrittes hinaus.

Im Wohnzimmer erklang ein sehr leises Flüstern; und doch drang es in der großen Stille rings bis an das feine Ohr des Kindes.

»Tantchen! Was soll denn das? mit wem flüstern Sie dort?« schrie der Knabe mit Tränen in der Stimme, »kommen Sie doch her, Tantchen: ich fürchte mich so,« rief er nach einem Augenblick noch weinerlicher und ihm war, Katerina Lwowna spräche im Wohnzimmer »jetzt!«, ein Wort, das der Knabe auf sich bezog.

»Wovor fürchtest du dich?« fragte Katerina Lwowna, wobei ihre Stimme sonderbar heiser klang, gleichzeitig betrat sie das Zimmer mit kühnem, entschlossenem Schritt und stellte sich vors Bett, so daß ihr Körper die Wohnzimmertür vor den Augen des Kranken verdeckte.

»Leg dich doch hin,« sagte sie gleich darauf.

»Ich mag nicht, Tantchen.«

»Nein Fjodor, gehorch mir jetzt, leg dich … es ist Zeit … leg dich,« wiederholte Katerina Lwowna.

»Aber warum denn, Tantchen! wenn ich doch gar nicht mag.«

»Nein, leg dich,« fuhr Katerina Lwowna fort und wieder hatte sich ihre Stimme verändert und war unsicher geworden, sie faßte den Knaben dabei unter seine Achseln und drückte ihn auf das Kopfkissen.

In diesem Augenblick schrie Fjodor wild auf: er hatte Ssergej erblickt, der blaß und barfuß ins Gemach trat.

Katerina Lwowna verschloß mit ihrer Handfläche den vor Entsetzen weit aufgerissenen Mund des erschreckten Kindes und rief:

»Mach schneller; halt ihn, damit er nicht zappelt!«

Ssergej packte Fjodor an Armen und Beinen und mit einer einzigen Bewegung erstickte Katerina Lwowna das Kinderantlitz des kleinen Dulders mit den großen weichen Kissen und preßte ihre kräftige und elastische Brust darauf.

Vier Minuten lang herrschte im Zimmer ein Grabesschweigen.

»Fertig,« flüsterte Katerina Lwowna und erhob sich, um sich wieder in Ordnung zu bringen, da erbebten die Wände des Hauses, das so viele Verbrechen verbarg, von betäubenden Schlägen, die Fenster klirrten, der Boden schwankte, die Ketten, an denen die Lämpchen hingen, bebten und über die Wände glitten phantastische Schatten.

Ssergej erzitterte und floh, was er fliehen konnte; Katerina Lwowna eilte ihm nach und hinter ihnen her schallte ein tosender Lärm. Es war, als rüttelten unterirdische Kräfte das Haus bis in seine Grundmauern.

Katerina Lwowna fürchtete nur das eine, daß der vor Angst gehetzte Ssergej vielleicht auf den Hof laufen könnte und in seinem hellen Entsetzen alles ausplaudern würde, er raste aber geradewegs zum Dach hinauf.

Die Treppe hinaufstürmend krachte Ssergej in der Dunkelheit mit der Stirn an die halbangelehnte Tür und flog stöhnend wieder herab, da ein abergläubisches Grauen ihn völlig toll gemacht hatte.

»Sinowij Borissowitsch, Sinowij Borissowitsch!« murmelte er, Hals über Kopf die Treppe herabfliegend und Katerina Lwowna, die über ihn gestolpert war, nach sich ziehend.

»Wo denn?« fragte sie.

»Dort über uns flog er mit einem Eisenband vorüber. Da ist er wieder! Ach, ach!« schrie Ssergej: »Er donnert, wie er donnert« –

Jetzt wurde mit einem Male klar, daß viele Fäuste von der Straße her an alle Fenster schlugen, aber auch, daß jemand die Türe aufzubrechen versuchte.

»Narr! so steh doch auf, du Narr!« schrie Katerina Lwowna und huschte mit diesen Worten zu Fjodor und bettete sein totes Haupt in der allernatürlichsten Stellung eines Schlafenden auf dem Kissen und öffnete darauf mit fester Hand die Türe, durch die eine Schar von Menschen zu brechen im Begriff war.

Das Schauspiel war furchtbar. Katerina Lwowna stand ein wenig höher als die Menge, die die Freitreppe belagerte, und sah, wie unzählige fremde Menschen über den hohen Zaun kletterten und von dort in den Hof sprangen; auf der Straße war ein wirres Getöse von menschlichen Stimmen.

Und noch war Katerina Lwowna nicht zum Verständnis der Lage gekommen, als das Volk, das die Freitreppe besetzt hielt, sie bereits über den Haufen gerannt und in ihre Gemächer zurückgedrängt hatte.

 

Zwölftes Kapitel

Der ganze Lärm aber war folgendermaßen entstanden: die Kirchen waren zum Nachtgottesdienst auf den zwanzigsten Feiertag immer gesteckt voll, denn war auch die Stadt, in der Katerina Lwowna lebte, nur eine Kreisstadt, so war sie doch gleichzeitig auch eine ansehnliche und werktätige Stadt, und erst recht voll war die Kirche, in der morgen der Festgottesdienst vor sich gehen sollte: nicht einmal im Raum innerhalb der Kirchenmauern hätte ein Apfel zu Boden fallen können. Meistens wurde der Gesang von einem Chor ausgeführt, der aus jungen Burschen der Kaufmannsgilde zusammengestellt war und von einem Dirigenten aus den Kreisen der Liebhaber der Volkskunst geleitet wurde.

Fromm ist unser Volk und eifrig besucht es Gottes Kirchen, und zudem empfindet dieses Volk in gewissem Sinne künstlerisch: die Pracht der Kirche und ein klarer, harmonischer Gesang sind sein allerhöchstes und ebenso allerreinstes Entzücken. Wo ein Sängerchor mitwirkt, dahin strömt gewöhnlich die Hälfte der Stadt, zumal die gewerbetreibende Jugend: die Kommis, die Burschen und Laufburschen, die Handwerker von den Fabriken und den anderen Industriewerken, aber auch die Besitzer mit ihren Ehehälften, – all das drängt sich in die eine Kirche; und wenn schon nicht in der Kirche, so will doch jeder zum mindesten auf dem Vorhof stehen oder unter einem Kirchenfenster, und sei es auch bei siedendster Hitze oder bei knisterndstem Frost, wenigstens hören will er, wie die Orgel dröhnt und wie der schmetternde Tenor die kapriziösesten Variationen herausbringt.

Diesmal war der Altar zu Ehren Mariä Opfer in der Pfarrkirche, zu der das Ismailowsche Haus gehörte, errichtet und so befand sich denn auch am Vorabend dieses Feiertages und zwar um die gleiche Zeit, in der das geschilderte Begebnis mit Fjodor vorfiel, die Jugend der ganzen Stadt in dieser Kirche und plauderte beim Nachhausegehen geräuschvoll von den Vorzügen des allgemein bekannten Tenor und ebenso von den zufälligen Mißgriffen des ebenso allgemein bekannten Basses.

Diese musikalischen Fragen wurden jedoch beileibe nicht von allen erörtert, es gab auch Menschen in dieser Menge, die sich für andere Fragen interessierten.

»Hört einmal, Kinder, man spricht Neues und sehr Sonderbares über die junge Ismailowa,« warf, als sie sich dem Hause der Ismailows näherten, ein junger Maschinist hin, den einer der Kaufleute aus Petersburg für seine Dampfmühle hatte kommen lassen. »Man erzählt sogar,« fuhr er fort, »daß keine Minute verginge, in der sie nicht mit ihrem Kommis Ssergej etwas hätte.«

»Längst allen bekannt,« erwiderte ein Schafspelz, mit blauem Nanking überzogen. »Und in der Kirche ist sie auch nicht gewesen.«

»Was da Kirche? das schlechte Frauenzimmer ist so liederlich geworden, daß sie weder Gott mehr scheut, noch ihr Gewissen, noch das Auge der Menschen.«

»Da, schaut, im Hause ist Licht,« bemerkte der Maschinist und wies auf eine helle Ritze in einem der Fensterläden.

»Guck mal durch die Spalte, was sich dort tut?« kicherten sofort einige Stimmen.

Der Maschinist stemmte sich auf zwei Schultern hoch, doch kaum hatte er sein Auge an die Oeffnung gebracht, als er auch sogleich entsetzt zu schreien begann:

»Bruder, Täubchen! Jemand wird hier erwürgt, erwürgt wird jemand.«

Und verzweifelt hämmerte der Maschinist an die Fensterläden. Weitere zehn Mann folgten seinem Beispiel, schwangen sich an den Läden empor und setzten ihre Fäuste in Bewegung.

Die Menge schwoll mit jedem Augenblick an und so kam es zu der uns bereits bekannten Belagerung des Ismailowschen Hauses.

»Selber hab ichs gesehen, mit meinen eigenen Augen hab ichs gesehen,« bezeugte der Maschinist vor der Leiche des toten Fjodor. »Das Kind lag aufs Bett gepreßt und sie würgten es zu zweit.«

Ssergej wurde noch am gleichen Tage abgeführt, Katerina Lwowna jedoch brachte man nach oben in ihr Zimmer und stellte zwei Posten davor.

Unerträglich kalt war es im Ismailowschen Hause. Die Oefen wurden nicht geheizt und die Türen standen spannweit auf: eine gedrängte Schar von Neugierigen wechselte die andere ab. Alle beeilten sich, den bereits im Sarge liegenden Fjodor anzuschauen und ebenso den anderen großen Sarg, dessen Oeffnung ein breites Tuch fest verhüllte. Auf Fjodors Stirn lag ein weißer Atlaskranz, der die rote Narbe verhüllen sollte, die von der Eröffnung des Schädels nachgeblieben war. Der gerichtsärztliche Leichenbefund ergab, daß Fjodor erstickt worden war und bei den ersten Worten des Priesters vom schrecklichen Gericht und von der Strafe der Unbußfertigen brach Ssergej, den man zum Sarg Fjodors geführt hatte, in Schluchzen aus und gestand freimütig nicht nur seine Schuld an der Ermordung Fjodors, sondern bat auch, man möge den ohne ein christliches Begräbnis verscharrten Sinowij Borissowitsch wieder ausgraben. Da der Leichnam von Katerina Lwownas Gemahl in trockenem Sande gelegen hatte, war er noch nicht ganz zerfallen: man grub ihn aus und bettete ihn in einen großen Sarg. Außerdem bezeichnete Ssergej zum allgemeinen Entsetzen die junge Hausfrau als seine Mithelferin an beiden Verbrechen. Katerina Lwowna jedoch hatte auf alle Fragen nur die eine Antwort: »Davon weiß und ahne ich nichts.« Ssergej wurde mit ihr konfrontiert und veranlaßt, sie dieser Untaten zu überführen. Mit einigem Erstaunen, wenn auch ohne Zorn, hörte Katerina Lwowna seine Geständnisse an und äußerte dann ziemlich gleichgültig:

»Wenn es ihm Vergnügen macht, das auszusagen, dann will ich nicht mehr leugnen: ich habe getötet.«

»Und weswegen?« fragte man sie.

»Seinetwegen,« entgegnete sie und wies auf Ssergej, der dabei den Kopf sinken ließ.

Die Verbrecher wurden festgesetzt und die ungeheuerliche Sache, die allgemeine Aufmerksamkeit und Entrüstung erregte, nahm einen schnellen Verlauf. Schon Ende Februar verkündete das Kriminalgericht der Kaufmannswitwe dritter Gilde Katerina Lwowna und Ssergej das Urteil, es war beschlossen worden, sie auf dem Marktplatz der Stadt zu züchtigen und sie darauf nach Sibirien zu verschicken, wo sie Zwangsarbeit tun sollten. Anfang März an einem kalten und frostigen Morgen zog der Henker die festgesetzte Zahl blauroter Striemen über Katerina Lwownas entblößten weißen Rücken und teilte dann auch Ssergejs Schultern die für ihn bestimmte Portion aus und stempelte darauf sein hübsches Gesicht mit den drei Brandmalen der Zwangsarbeit.

Ssergej erregte das allgemeine Mitleid – in viel höherem Grade als Katerina Lwowna. Beschmutzt und blutig stürzte er, als er vom schwarzen Schafott herunterstieg, nieder, Katerina Lwowna jedoch ging sehr ruhig und gab nur acht, daß das rauhe Hemd und die grobe Gefangenenkleidung nicht zu sehr ihren zerfleischten Rücken berührten.

Doch als man ihr im Krankenhause des Gefängnisses ihr Kindchen zeigen wollte, sagte sie nur: »Hol es doch der und jener!« und kehrte sich zur Wand und preßte ohne Schmerzenslaut, ja ohne die geringste Klage ihre Brust auf das harte Lager.

 

Dreizehntes Kapitel

Der Gefangenentransport, zu dem Ssergej und Katerina Lwowna gehörten, trat seinen Marsch zu einer Zeit an, die freilich dem Kalender nach Frühling hieß, in der die Sonne jedoch, einem Sprichwort des Volkes zufolge, zwar »hell scheint, aber nicht warm wärmt«.

Katerina Lwownas Kindchen wurde der Obhut jener alten Frau übergeben, des verstorbenen Boris Timofejewitschs Base, denn da es als der gesetzliche Sohn des ermordeten Mannes der Verbrecherin anerkannt wurde, war das Kind nunmehr der einzige Erbe des gesamten Ismailowschen Vermögens. Katerina Lwowna freute sich darüber und gab das Kind mit großem Gleichmut her. Ihre Liebe zum Vater des Kindes ging nämlich, wie das häufig mit der Liebe allzu leidenschaftlicher Frauen geschieht, nicht einmal zu einem geringen Teil auf das Kind über.

Uebrigens gab es für sie weder Licht noch Dunkel, weder Gut noch Böse und ebenso weder Langeweile noch Freude; sie begriff nichts mehr und liebte keinen und nicht einmal sich selber. Voller Ungeduld wartete sie auf den Abmarsch des Transportes, denn bei dieser Gelegenheit hoffte sie, ihren Ssergej wiederzusehen, an das Kind aber, an ihr Kind vergaß sie sogar zu denken.

Katerina Lwownas Hoffnungen betrogen sie nicht: schwer in Ketten geschmiedet schritt der gebrandmarkte Ssergej mit ihr in der gleichen Schar durch die Pforten des Gefängnisses.

Ein jeder Mensch gewöhnt sich, so gut ers eben vermag, auch an die widerwärtigste Lage und behält in jeder Situation, so gut es eben geht, die Fähigkeit, seinen kümmerlichen Freuden nachzujagen; Katerina Lwowna jedoch brauchte sich nicht erst an etwas zu gewöhnen; sie sah ja ihren Ssergej und mit ihm vereinigt war ihr auch der Weg zur Zwangsarbeit von Glück überblüht.

Nicht viel an Wert trug Katerina Lwowna in dem groben Leinenbeutel mit sich und noch weniger bares Geld hatte sie. Aber auch das war, längst bevor sie Nischnij-Nowgorod erreicht hatte, in die Hände der Etappen-Unteroffiziere übergegangen, damit diese ihr gestatteten, auf den Wegen neben ihrem Ssergej zu gehn und ihr die Möglichkeit gaben, in dunkler Nacht in irgendeinem Winkel eines schmalen Etappen-Korridors ein Stündchen bei ihm zu sein, in seinen Armen.

Aber Katerina Lwownas gestempelter Freund war sehr unfreundlich zu ihr geworden: ein jedes Wort mußte sie aus ihm herauspressen, und selbst die heimlichen Zusammenkünfte mit ihr, für die sie hungrig und durstig nur zu gerne aus ihrem schmächtigen Beutelchen die für sie selber so notwendige Silbermünze gab, selbst diese waren ihm wenig wert und nicht selten pflegte er zu sprechen:

»Anstatt mit mir die Winkel in den Korridoren beim Auf- und Ablaufen abzuwetzen, könntest du eigentlich die Gelder mir geben, die du dem Unteroffizier gabst.«

»Ich gab ihm ja nur fünfundzwanzig Kopeken, Ssergej,« versuchte Katerina Lwowna sich zu rechtfertigen.

»Ist das etwa kein Geld? Hast du so viele Fünfundzwanziger auf dem Wege aufgelesen, denn wie viele hast du schon verschleudert.«

»Dafür jedoch, Ssergej, waren wir beisammen.«

»Auch ein großes Vergnügen, nach all diesen Foltern beisammen zu sein! Mein Leben verdamm ich, und du kommst mir da mit Zusammenkünften.«

»Mir, Ssergej, ist alles gleich, wenn ich dich nur sehen kann.«

»Nichts als Dummheiten,« entgegnete Ssergej.

Und biß auch manchmal Katerina Lwowna sich bei solchen Antworten die Lippen blutig und traten auch zuweilen, wenn sie im Dunkel der Nacht zusammen waren, in ihre sonst tränenlosen Augen Tränen des Zornes und der Wut, immerhin ertrug sie es und schwieg und tat, was sie konnte, sich selber zu betrügen.

Auf diese neue Art zueinander eingestellt, kamen sie nach Nischnij-Nowgorod. Hier vereinigte sich ihr Transport mit einem zweiten Transport, der von Moskau her nach Sibirien marschierte.

Und in der Frauenabteilung dieses zweiten und größeren Transportes stachen unter der Menge anderen Volkes zwei sehr bemerkenswerte Persönlichkeiten hervor. Die eine, die Soldatenfrau Fiona aus Jaroslawl, war ein wundervolles und schönes Weib von hohem Wuchs, ihr langes Haar war dicht und schwarz, braun jedoch ihre schmelzenden Augen, die von dichten Wimpern wie von einem geheimnisvollen Schleier umhüllt waren; und die andere, das war eine siebzehnjährige, schmalgesichtige Blondine mit zarter rosiger Haut, einem winzigen Mündchen, Grübchen in den frischen Wangen und goldblonden Locken, die launisch unterhalb des grobleinenen Gefangenen-Kopftuches über die Stirne quollen. Und dieses Mädchen wurde von ihrem Transport Ssonetka genannt.

Die schöne Fiona war von weicher, aber träger Gemütsart. In ihrem Transport kannten alle sie gut, und keiner der Männer war besonders erfreut, wenn er einen Erfolg bei ihr erzielte, und keiner besonders betrübt, wenn er wahrnehmen mußte, daß sie den gleichen Erfolg auch einem anderen Bewerber gewährte.

»Tantchen Fiona ist ein gutes Weibchen, sie kann keinen kränken,« so scherzten die Gefangenen einstimmig.

Ssonetka aber war von ganz anderer Art.

Von ihr sagte man:

»Sie ist wie ein Aal: immer durch die Finger, greifen kann man sie nicht.«

Ssonetka hatte Geschmack und hielt auf Auswahl und sogar vielleicht auf eine sehr strenge Auswahl, es war ihr nicht recht, daß man ihr die Leidenschaft frisch gekocht darbrachte, sie verlangte sie mit pikanten und würzigen Zutaten präpariert, mit Leiden und mit Opfern: Fiona dagegen war eine russische Einfalt, die sogar zu träge war, jemand: »Geh fort« zu sagen, und die immer nur das eine wußte, nämlich, daß sie ein Weib war. Frauen dieser Art werden von Räuberbanden sehr hoch geschätzt, von Gefangenen-Transporten und von den Petersburger sozialdemokratischen Kommunen.

Das Auftauchen dieser beiden Weiber in den nunmehr vereinigten Transporten, denen auch Ssergej und Katerina Lwowna angehörten, war für die letztere von tragischer Bedeutung.

 

Vierzehntes Kapitel

Schon in den ersten Tagen des gemeinsamen Marsches der vereinigten Transporte von Nischnij-Nowgorod nach Kasan bewarb sich Ssergej offenkundig um die Gunst der Soldatenfrau Fiona und brauchte nicht über Mißerfolg zu klagen. Fiona, die schmachtende Schönheit, ließ Ssergej nicht verschmachten, wie sie ja überhaupt ihrer Güte wegen niemand schmachten ließ. Die dritte oder vierte Etappe war es, da hatte sich Katerina Lwowna durch Bestechung schon in der frühen Dämmerung eine Zusammenkunft mit Ssergej zu verschaffen gewußt und lag da, ohne zu schlafen, und wartete gespannt, wann wohl der wachthabende Unteroffizier kommen würde, um ihr leise einen Rippenstoß zu geben und ihr zuzuraunen: »beeil dich!« Einmal schon hatte sich die Türe geöffnet und eine der Frauen war hindurchgeschlüpft, und noch einmal öffnete sich die Tür und hastig glitt von ihrer Pritsche eine andere Gefangene, um ebenfalls hinter dem Führer herlaufend, zu verschwinden; endlich wurde das Tuch gezupft, unter dem Katerina Lwowna lag. Eilig erhob sich die junge Frau von der von den vielen Gefangenen, die schon auf ihr geruht hatten, speckig glänzenden Schlafbank, warf das Tuch um ihre Schultern und gab dem Führer zum Zeichen, daß sie fertig sei, einen Rippenstoß.

Als Katerina Lwowna den Korridor entlang eilte, stieß sie nur an der einen Stelle, die zudem von einer trübe brennenden Kerze nur düster erleuchtet war, auf zwei oder drei Paare, die sich von ferne durch nichts zu erkennen gaben. Aber als Katerina Lwowna am Raum für die männlichen Sträflinge vorüberkam, schallte durch das in die Tür geschnittene Guckloch ein verhaltenes Gelächter.

»Schau, wie sie wiehern,« knurrte Katerina Lwownas Führer, packte sie dann an der Schulter und stieß sie in einen Winkel und entfernte sich.

Mit der Hand tastend, erkannte Katerina Lwowna ein Tuch und einen Bart, ihre andere Hand jedoch berührte ein warmes Frauengesicht.

»Wer ist das?« fragte Ssergej gedämpft.

»Und was suchst du hier? und mit wem bist du hier überhaupt?«

Im Dunkeln riß Katerina Lwowna das Kopftuch von ihrer Nebenbuhlerin. Diese wich jedoch zur Seite aus, rannte fort und flog, über jemand im Gang stolpernd, hin.

Aus dem Männerraum schallte lautes Gelächter.

»Schurke!« flüsterte Katerina Lwowna und schlug mit den Enden des Tuches, das sie seiner neuen Freundin vom Kopf gerissen, Ssergej ins Gesicht.

Ssergej erhob bereits seine Hand gegen sie, aber geschickt glitt Katerina Lwowna über den Gang und war bereits an ihrer Tür. Das Gelächter aus dem Männerraum schallte ihr so laut nach, daß der Posten, der apathisch vor dem Licht stand und sich auf die Stiefelspitzen spuckte, den Kopf erhob und brüllte:

»Kusch.«

Schweigend legte sich Katerina Lwowna nieder und lag so bis zum Morgen. Zwar wollte sie sich sagen: »Ich lieb ihn ja nicht mehr,« und doch fühlte sie, daß sie ihn noch stärker, noch viel mehr als zuvor liebte. Und vor ihren Augen war nur dies eine, immer nur dies eine, wie seine Hand unter dem Kopf von jener anderen bebte und wie seine andere Hand die warmen Schultern umfing.

Die arme Frau weinte und ersehnte unwillkürlich die gleiche Hand, sie möchte unter ihrem Kopf liegen und seine andere Hand ihre hysterisch zuckenden Schultern umfangen.

»Immerhin könntest du mir mein Kopftuch wiedergeben,« so wurde sie am nächsten Morgen von der Soldatenfrau Fiona geweckt.

»Ah, dann warst du es? …«

»Gib es mir wieder, bitte!«

»Und du, warum stellst du dich zwischen uns?«

»Wodurch stelle ich mich denn zwischen euch. Wahrhaftig, als ob das Liebe wäre oder so was der Art, daß du dich darüber ärgerst?«

Katerina Lwowna dachte ein wenig nach, zog dann unter ihrem Kopfkissen das Kopftuch, das sie nachts heruntergerissen hatte, hervor, warf es der Fiona zu und drehte sich zur Wand.

Und nun war ihr etwas leichter zumute.

»Pfui,« fuhr es ihr durch den Kopf. »Ist es denn denkbar, daß ich wegen dieses bemalten Waschkübels eifersüchtig bin? Mag sie verrecken! Ich sollte mich schämen, mich mit ihr auch nur zu vergleichen.«

»Und du, Katerina Lwowna, paß mal auf,« sagte ihr tags darauf Ssergej, während sie marschierten. »Merke dir, bitte, dies: erstens, daß ich kein Sinowij Borissowitsch für dich bin, und zweitens, daß du keine großmächtige Kaufmannsfrau mehr bist: nicht immer gleich so aufbrausen, wenn du so gut sein willst. Wir lassen uns nicht mehr ins Bockshorn jagen.«

Aber Katerina Lwowna entgegnete kein Wort, und so verging eine Woche. Zwar schritt sie immer noch neben Ssergej, aber sie wechselten kein Wort miteinander, keinen Blick mehr. Da sie sich beleidigt fühlte, hielt sie ihre Rolle durch und wollte keineswegs den ersten Schritt zur Versöhnung in diesem ihrem ersten Streit mit Ssergej machen.

Doch während dieser Zeitspanne, da Katerina Lwowna mit Ssergej böse war, begann Ssergej mit der hellen Ssonetka anzubandeln. Bald warf er ihr einen Gruß zu: »Unsere spezielle Hochachtung!« bald lächelte er sie an, bald endlich versuchte er, ihr begegnend, sie zu umfassen und an sich zu ziehen. Dies alles sah Katerina Lwowna und mehr als zuvor entbrannte ihr Herz.

»Sollte ich mich nicht doch mit ihm versöhnen?« überlegte sie nachdenklich und stolperte und sah nicht mehr, wohin sie trat.

Aber als erste mit der Versöhnung zu kommen, – mehr als zuvor verbot der Stolz ihr das. Inzwischen jedoch war Ssergej immer dringlicher hinter Ssonetka her und schon merkten es alle, daß die unbezwingbare Ssonetka, die sich immer wie ein Aal wand und nie mit Händen greifen ließ, plötzlich mehr und mehr zahm wurde.

»Du jammertest damals über mich,« meinte einmal Fiona zu Katerina Lwowna, »und was tat ich dir schon? Mein Fall war kurz und ging vorüber, an deiner Stelle würde ich auf Ssonetka achtgeben.«

»Verwünschter Stolz, unbedingt will ich mich heute noch mit ihm aussöhnen,« beschloß Katerina Lwowna und dachte eigentlich nur noch darüber nach, wie sie diese Versöhnung geschickter herbeiführen könnte.

Aus dieser beschwerlichen Lage half ihr Ssergej selber heraus.

»Lwowna!« rief er, als sie rasteten, »komm doch heuer nachts auf eine Minute zu mir heraus: ich muß was mit dir besprechen.«

Katerina Lwowna schwieg.

»Oder wie, bist du vielleicht noch immer böse und magst nicht kommen?«

Und wieder entgegnete Katerina Lwowna nichts.

Aber sowohl Ssergej, wie auch alle andern, die Katerina Lwowna beobachteten, bemerkten wohl, daß sie, während man sich dem Etappenquartiere näherte, sich an den ältesten Unteroffizier heranmachte und ihm siebzehn Kopeken zusteckte, die sie als Almosen nach und nach gesammelt hatte.

»Sobald ich wieder was erhalte, mache ich die Summe voll,« bettelte Katerina Lwowna.

Der Unteroffizier steckte das Geld in den Ärmelaufschlag und entgegnete nur:

»Schon gut.«

Als diese Unterhandlungen zu Ende geführt waren, räusperte sich Ssergej und zwinkerte Ssonetka zu.

»Ach, Katerina Lwowna, du!« sagte er dann und umarmte sie, als sie die Stufen zum Etappenquartier hinanstiegen. »Kinder, mit dieser Frau verglichen, gibt es in der ganzen Welt keine zweite mehr.«

Katerina Lwowna errötete und erstickte fast vor Glück.

Und kaum, daß nachts die Türe sich leise öffnete, war sie im Nu draußen: sie bebte und tastete im dunklen Korridor mit ihren Händen nach Ssergej.

»Meine Katja!« rief Ssergej und umarmte sie.

»Du Böser, mein Böser!« entgegnete ihm Katerina Lwowna durch Tränen und verschmolz mit seinen Lippen.

Der Posten ging auf dem Gang auf und ab, manchmal blieb er stehen und spuckte auf seine Stiefel und schritt dann wieder auf und ab, hinter ihren Türen schnarchten die armen Sträflinge, eine Maus nagte an einer Feder, unter dem Herde überboten die Heimchen einander im Zirpen. Katerina Lwowna war immer noch selig.

Aber der Rausch ließ nach und hörbar wurde die unvermeidliche Prosa.

»Verteufelt weh tun mir vom Fußgelenk an bis hinauf zum Knie alle Knochen,« klagte Ssergej, als er in einem Winkel des Korridors neben Katerina Lwowna auf dem Fußboden saß.

»Und was könnte man dagegen tun, Ssergej?« fragte sie, sich unter seine Decke kauernd.

»Ob ich mich wohl in Kasan ins Lazarett melden soll?«

»Oh, was sagst du da, Ssergej?«

»Was soll ich denn tun, wenn es so verteufelt weh tut?«

»Du willst zurückbleiben, während man mich vorwärtstreibt?«

»Was soll ich tun? Es reibt, sag ich dir, so sehr reibt es, daß sich am Ende noch die ganze Kette in den Knochen hereinfressen wird. Freilich, wenn ich wollene Strümpfe zum Darüberziehen hätte,« fügte er dann nach einer Weile hinzu.

»Strümpfe? Ich habe noch ein Paar neue Strümpfe, Ssergej.«

»Es ist ja doch umsonst!« meinte Ssergej.

Aber Katerina Lwowna sagte kein Wort mehr, sie schlüpfte in ihre Kammer, sie wühlte in der Dunkelheit ihr Bündel um und um und sprang gleich darauf zu Ssergej hinaus und brachte ihm ein paar warme, blaue Wollstrümpfe mit farbigen Zwickeln.

»Ja, so könnte es vielleicht noch gehen,« meinte Ssergej, als er von Katerina Lwowna Abschied nahm und von ihr ihr letztes Paar Strümpfe empfing.

Glückselig legte sich Katerina Lwowna auf ihre Schlafbank und schlief sofort fest ein.

Sie hörte nicht, daß bald nachdem sie zurückgekehrt war, Ssonetka sich auf den Korridor hinausschlich und von dort erst kurz vor dem Morgengrauen wiederkam.

Dies geschah, als man nur noch zwei Tagemärsche bis Kasan hatte.

 

Fünfzehntes Kapitel

Ein kalter, unfreundlicher Morgen mit jähen Windstößen, mit Regenschauern und Schneeflocken empfing unwirtlich den Transport, als er die Pforten des muffigen Etappengebäudes verließ. Katerina Lwowna kam munter hinaus, aber kaum hatten sie sich in Reih und Glied gestellt, da erbebte sie von Kopf bis zu Fuß und wurde grüngrau im Gesicht. Dunkel wurde es ihr vor den Augen, alle Gelenke taten ihr weh und es war, als wollten sie sich lockern. Ssonetka stand nämlich vor Katerina Lwowna und trug die ihr so wohlbekannten blauen Wollstrümpfe mit den bunten Zwickeln.

Fast leblos machte sich Katerina Lwowna auf den Weg, ihre Augen aber hefteten sich mit einem furchtbaren Blick an Ssergej und wichen nicht mehr von ihm.

Als der erste Rastplatz erreicht war, näherte sie sich ruhig Ssergej und flüsterte nur dies eine: »Schuft!« und spuckte ihm dann unerwartet gerade ins Gesicht.

Ssergej wollte sich auf sie stürzen, aber man hielt ihn zurück.

»Wart du nur!« rief er und trocknete sich ab.

»Bravo, gut geht sie mit dir um!« verspotteten die Sträflinge Ssergej und besonders hell klang das Gelächter von Ssonetka.

Diese Sache war ganz und gar nach Ssonetkas Geschmack.

»Das werde ich dir nicht schenken,« drohte Ssergej zu Katerina Lwowna hin.

Ganz erschöpft vom Unwetter und dem mühseligen Wege schlief Katerina Lwowna mit zerrissener Seele unruhig auf ihrer Pritsche in dem folgenden Etappengebäude ein, und dennoch überhörte sie, daß zwei Männer in die Frauenabteilung kamen.

Bei ihrem Eintritt erhob sich Ssonetka von ihrer Pritsche, wies mit ihrer Hand stumm auf Katerina Lwowna, legte sich gleich darauf wieder hin und hüllte sich fest in ihr Bettuch. Und im gleichen Augenblick flog Katerina Lwownas Tuch dieser über den Kopf und auf ihrem Rücken, den nur noch das grobe Hemd schützte, tanzte, von kräftiger Männerfaust geschwungen, das dicke Ende eines zweimal zusammengelegten Strickes.

Zwar schrie Katerina Lwowna auf, aber das Tuch, das ihren Kopf umhüllte, erstickte jeden Laut. Sie wollte aufspringen, aber ohne Erfolg, ein kräftiger Sträfling saß auf ihren Schultern und hielt ihre Arme.

»Fünfzig,« sagte schließlich eine Stimme, und nicht schwer war es, in dieser Ssergejs Stimme zu erkennen, gleich darauf eilten die nächtlichen Besucher schnell hinaus.

Katerina Lwowna befreite ihren Kopf und sprang auf, aber es war niemand mehr da, und nur ein boshaftes, halbersticktes Kichern wurde irgendwo in der Nähe hörbar. Und Katerina Lwowna erkannte, daß es Ssonetka war.

Die Kränkung war übermäßig und übermäßig war auch der Zorn, der in diesem Augenblick in Katerina Lwownas Seele kochte. Fast besinnungslos stürzte sie vor und bewußtlos fiel sie Fiona, die sie auffing, in die Arme.

Und an dieser vollen Brust, die noch unlängst Katerina Lwownas ungetreuem Liebsten die süßesten Gefühle der Wollust bereitet hatte, weinte sie jetzt ihr unerträgliches Leid aus, und wie das Kind sich an die Mutter schmiegt, so schmiegte sie sich an ihre törichte und weiche Nebenbuhlerin. Denn jetzt waren sie beide einander gleich, beide waren im Wert gleich befunden und beide verlassen worden.

Beide gleich! … Fiona, die sich dem ersten besten Zufall hingab, und Katerina Lwowna mit ihrem erschütternden Liebesdrama!

Aber nichts mehr vermochte Katerina Lwowna zu kränken. Nachdem sie sich ausgeweint, erstarrte sie und mit hölzerner Ruhe schickte sie sich an, zum Appell zu erscheinen.

Die Trommel schlug: tam-tarara-tam, die gefesselten und nichtgefesselten Sträflinge strömten nach draußen, Ssergej genau so wie Fiona und wie Ssonetka und Katerina Lwowna, aber auch der Sektierer, der mit dem Juden zusammengeschmiedet war, und der Pole an der gleichen Kette mit einem Tataren.

Alle drängten sich und ordneten sich, so gut es gehen wollte, und dann gings los.

Freudloses Bild: diese Handvoll Menschen, losgerissen von der übrigen Welt und ohne jeden Schatten von Hoffnung auf eine bessere Zukunft, stampfen durch den kalten und schwarzen Dreck der schlechten Straßen und alles ringsum widerwärtig und grauenhaft, der unendliche Schmutz, der graue Himmel, die entblätterten und nassen Weiden und in ihren starrenden Zweigen eine rechthaberische Krähe. Und der Wind, der bald klagt und bald wütet, bald heult und bald brüllt.

Durch diese höllischen, die Seele zerreißenden Klänge, die den Schrecken des Bildes noch mehr vertiefen, schallen die Ratschläge der Frau des Hiob aus der Bibel: »Verfluche den Tag deiner Geburt, gehe hin und stirb.«

Wer aber auf diese Worte nicht hört, wen in dieser betrübten Lage der Gedanke an den Tod nicht verlockt, sondern abstößt, der muß etwas ausfindig machen, das diese heulenden Stimmen zu übertönen vermöchte, und zwar durch noch etwas Abscheulicheres. Der einfache Mann begreift das gut: er läßt dann Freiheit seiner ganzen tierischen Einfachheit, er macht Dummheiten und verspottet sich selber und alle Menschen und jedes Gefühl. Und er, der niemals zuvor je zart war, dann wird er doppelt böse.


»Nun, Kaufmannsfrau? Nun, euer Gnaden, sind wir bei guter Gesundheit?« Frech warf Ssergej diese Frage Katerina Lwowna hin, kaum daß sie das Dörfchen, in dem der Gefangenentransport übernachtet hatte, hinter der nassen Anhöhe aus den Augen verloren.

Und gleich nachdem er dies gesprochen, wandte er sich zu Ssonetka, warf seinen Umhang um sie und sang mit einer hohen Falsett-Stimme:

Hinterm Fenster blond ein Köpfchen seh ich durch den Schummer,
Ja, ich weiß, du schläfst nicht, Schelmin, schläfst noch nicht, mein Kummer –
Und mein Mantel soll dich hüllen, daß uns niemand sähe …

Bei diesen Worten umarmte Ssergej Ssonetka und küßte sie laut vor den Augen des ganzen Transportes …

All das sah Katerina Lwowna und sah es doch nicht. Sie schritt des Weges, als sei sie gar kein lebendiger Mensch mehr. Man stieß sie, man zeigte ihr, wie unanständig sich Ssergej und Ssonetka benahmen. Sie wurde der Gegenstand vieler Spottreden.

»Laßt sie doch,« trat Fiona für sie ein, als jemand aus dem Transport sich anschickte, die stolpernde Katerina Lwowna zu verhöhnen. »Seht ihr denn etwa nicht, ihr Teufel, daß die Frau ganz und gar krank ist?«

»Hat wohl nasse Füßchen bekommen,« witzelte ein junger Sträfling.

»Versteht sich, der Kaufmannsstand, die zarte Jugend,« warf Ssergej ein.

»Freilich, wenn man nur etwas wärmere Strümpfchen hätte, dann ginge es wohl noch,« fuhr er fort.

Und nun war es, als erwachte Katerina Lwowna.

»Widerlicher Wurm!« rief sie, zu schwach, es zu unterdrücken. »Ja, spott nur, du Schuft, spott nur!«

»Nein, nein, Kaufmannsfrau, das sagte ich nicht zum Spott, sondern, weil die Ssonetka da ganz vortreffliche Strümpfe zu verkaufen hat, und da dachte ich eben, ob nicht am Ende, dachte ich, unsere Kaufmannsfrau sie kauft.«

Viele lachten. Katerina Lwownas Gang war wie der eines aufgezogenen Automaten.

Das Wetter wurde immer toller. Aus den grauen Wolken, die den Himmel bedeckten, schütteten dicke nasse Schneeflocken nieder, die sofort zerschmolzen, kaum daß sie die Erde berührten, und hierdurch den unentrinnbaren Dreck nur noch verschlimmerten. Endlich zeigte sich in der Ferne ein dunkler bleifarbiger Streifen, dessen Ende nicht abzusehen war. Dieser Streifen war die Wolga. Es wehte ein kräftiger Wind und über die Wolga rollten hin und zurück die langsam anschwellenden, breitschlundigen und dunklen Wogen.

Langsam näherte sich der Transport der durchnäßten und durchfrorenen Sträflinge der Überfahrtstelle und machte dort in Erwartung der Fähre halt.

Nach und nach kam dann auch die über und über nasse und dunkle Fähre heran; die Mannschaften schickten sich an, die Sträflinge auf ihr unterzubringen.

»Auf dieser Fähre, hörte ich, soll man Branntwein bekommen können,« bemerkte einer der Sträflinge, als die Fähre, mitten in einer Wolke von nassem Schnee, vom Ufer abstieß und sich auf den Wellenkämmen des aufgerührten Stromes schaukelte.

»Ja, tatsächlich, es wäre jetzt nicht unübel, eine Kleinigkeit zu schmeißen,« pflichtete ihm Ssergej bei und fuhr dann, um Ssonetka einen Spaß zu machen, fort, Katerina Lwowna weiter aufzustacheln: »Kaufmannsfrau, wie wärs, magst du mich nicht aus alter Freundschaft mit einem Gläschen Schnaps traktieren? Sei nicht geizig. Erinnere dich doch, mein Liebchen, an unsere Liebe von einst und wie wir beide, meine Lust, uns die Zeit vertrieben, die langen Herbstnächte hindurch miteinander waren, und deine lieben Anverwandten ohne Priester und ohne Küster ins ewige Jenseits beförderten.«

Katerina Lwowna schauderte vor Kälte. Und es war nicht nur die Kälte, die unter ihre nasse Kleidung drang und sie bis auf die Knochen durchnäßte, in Katerina Lwownas Organismus ging gleichzeitig auch noch etwas anderes vor. Ihr Kopf brannte wie Feuer; die Pupillen ihrer Augen waren erweitert, ein irrender, aber stechender Glanz war in ihnen, und unbeweglich hafteten sie an den wandernden Wellen.

»Ja, ein Schnäpschen, das würde auch ich jetzt gerne trinken, es ist entsetzlich kalt,« girrte Ssonetka.

»Kaufmannsfrau, wie wärs, traktier uns!« machte Ssergej immer weiter.

»Hast du denn kein Gewissen!« hielt ihm Fiona vor und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.

»Das gereicht dir ganz und gar nicht zur Ehre,« unterstützte der Sträfling Gordjuschka die Soldatenfrau.

»Wenn du dich schon nicht vor ihr schämst, so solltest du sie wenigstens vor den andern in Ruhe lassen.«

»Ih, du Allerwelts-Tabaksdose!« schrie Ssergej Fiona an. »Hat sich was, schämen! Wovor soll ich mich denn groß schämen und vielleicht habe ich sie überhaupt niemals geliebt, und jetzt … Ssonetkas abgetragener Schuh ist mir lieber als die Fresse dieser geschundenen Katze: was kannst du also dagegen sagen? Mag sie meinetwegen das Schiefmaul Gordjuschka lieben, oder aber …« (er drehte sich um und blickte den zu Pferde sitzenden Wachtmeister in seinem Filzmantel und seiner Militärmütze mit der Kokarde an und fügte hinzu) »– oder aber noch besser, wenn sie sich an den Etappenherrn heranschlängelt: unter seinem Filzmantel ist man zum mindesten vor dem Regen geschützt.«

»Und dann könnte man sie die Offiziersfrau nennen,« girrte Ssonetka.

»Freilich! … Und die Strümpfe, das wäre dann eine Kleinigkeit für sie,« pflichtete Ssergej ihr bei.

Katerina Lwowna sprach kein Wort zu ihrer Verteidigung: immer angespannter sah sie auf die Wogen und stumm bewegten sich ihre Lippen. Sie vernahm mehr als die abscheulichen Redensarten Ssergejs, ein sonderbares Stöhnen und Getöse drang aus den brechenden und klatschenden Wogenschwällen an ihr Ohr. Und plötzlich erschien vor ihr aus einer brechenden Woge Boris Timofejewitschs blauer Kopf und aus einer zweiten schaute taumelnd ihr Gemahl und hielt in seinen Armen den niedergeschlagenen Fjodor. Katerina Lwowna gab sich große Mühe, sich an ein Gebet zu erinnern und bewegte wohl die Lippen, aber es flüsterten ihre Lippen – »Wie wir beide uns die Zeit vertrieben, die langen Herbstnächte hindurch miteinander waren und durch grausen Tod viel Menschen aus der lichten Welt beförderten.«

Katerina Lwowna zuckte zusammen. Ihr irrender Blick wurde immer fester und immer wilder. Ihre Arme streckten sich einmal und noch einmal irgendwohin in den Raum und fielen doch immer wieder herab. Und noch eine Minute – und mit einem Male kam sie ganz ins Schwanken und bückte sich, ohne dabei ihre Augen von der dunklen Flut abzuwenden, und packte Ssonetka am Bein und stürzte sich mit ihr in einem großen Schwunge über den Bord der Fähre.

Alle rings erstarrten vor Schreck. Eine Welle trug Katerina Lwowna nach oben und wieder sank sie unter, eine andere Welle trug Ssonetka empor.

»Den Bootshaken auswerfen! Den Bootshaken!« schrie man auf der Fähre.

Der schwere Bootshaken wirbelte an seiner langen Leine durch die Luft und fiel ins Wasser, doch schon war Ssonetka aufs neue verschwunden. Zwei Augenblicke darauf warf sie, von der Strömung inzwischen schon weit fortgetrieben, die Arme wieder in die Luft, aber gleichzeitig tauchte aus einer anderen Welle Katerina Lwowna fast bis zum Gürtel aus dem Wasser empor und warf sich auf Ssonetka, wie ein kräftiger Hecht sich auf einen weichschuppigen kleinen Fisch stürzt, und beide wurden nicht mehr gesehen.


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