Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Korlshof

Auf keinem Hofe in ganz Ohlenhof geht es so still zu, wie auf dem Korlshofe; das macht, weil bloß ein Häusling darauf wohnt, denn die Hengstmanns oder Korlsbauern, wie sie meist genannt werden, sind bis auf eine Tochter ausgestorben.

Der Korlsbauer war schon von jeher ein Mann von wenig Worten, aber seitdem seine Frau nach dem ersten und einzigen Kinde, einer Tochter, zu liegen kam, sprach er bloß noch ganz wenig mehr; denn er grämte sich, daß er keinen Hoferben hatte, und daß sein Name, der siebenhundert Jahre bei dem Hofe gewesen war, verschwinden sollte.

Seiner Frau hatte er das aber keinmal entgelten lassen. Er ertrug es mit Geduld, wenn sie am Tage in einemfort seufzte und stöhnte, und er murrte nicht, mußte er nachts bei ihr aufsitzen und ihre Hand halten, wenn sie ihr schweres Herzklopfen hatte.

Er bildete sich ein, daß er die Strafe verdient habe; denn er hatte seine Frau bloß geheiratet, weil die Familien es so abgemacht hatten, und ihretwegen eine Häuslingstochter mit einem Kinde sitzen lassen. Er hatte sich in Frieden mit dem Mädchen auseinandergesetzt, das hinterher einen guten Mann bekam, und der Junge wurde ein tüchtiger Mensch, aber Hengstmann wurde vor sich den Vorwurf nicht los, daß er unrecht gehandelt habe, bloß weil er vor seinem Vater Angst hatte; denn der hatte auf den Tisch geschlagen und geschrien: »Auf den Korlshof heiratet keine Häuslingstochter und damit basta! Willst du es dennoch tun, so geh deiner Wege!«

So hatte er denn eine Bauerntochter geheiratet. Die brachte ein Mädchen zur Welt und blieb von da ab ein halber Mensch. Hengstmann stieß es das Herz ab, als er einmal in Moorhop, wo sein alter Schatz hingeheiratet hatte, hörte, daß sie außer seinem Jungen noch vier andere habe, einer so stark und gesund wie der andere. »Das ist die Strafe!« hatte er gedacht, als er nach Hause kam und seine Frau ansah, die im Backenstuhle saß und stöhnte und mit ihrer weinerlichen Stimme den Mägden Anweisungen gab. Aber er ließ sie seine Gedanken nicht merken und hatte Geduld mit ihr, solange sie lebte. Als sie dann starb, trauerte er von Herzen um sie; denn er hatte sich an sie gewöhnt, und seitdem niemand mehr neben dem Ofen saß und jammerte, war es ihm, als sei kein Leben mehr im Hause.

Das war auch der Fall, denn Luise, seine Tochter, war gar zu still. Sie war ein hübsches Mädchen, bloß etwas bleichsüchtig und so schüchtern, wie es sich nicht für eine Vollmeierstochter gehörte. Niemals ging sie zu einem Tanzfest, machte auch nur gezwungen Besuche bei der Bekanntschaft und schlug in der Kirche nicht einmal die Augen auf. Ihre Arbeit tat sie gut, aber wenn es irgend ging, so ließ sie die Großmagd gewähren, denn es widerstand ihr, Anweisungen zu geben. Ihr Vater liebte sie, gerade weil sie so schüchtern war, aber er schüttelte doch im stillen den Kopf über sie, wenn sie neben der Großmagd stand und sich benahm, als sei das die Bauerntochter und sie selber die Magd. »Das ist die Strafe,« dachte er und seufzte.

Als er einmal am Sonntagnachmittag allein mit ihr zu Hause war, hatte er sie nach allerlei Vorreden gefragt, ob sie sich dagegen sperren werde, wenn er den Hof seinem Sohn geben würde. Sie hatte den Kopf geschüttelt und gesagt: »Tu das, Vater; denn ihm kommt der Hof zu, und ich werde doch wohl nicht freien.« Da war er nach Hannover gefahren, wo sein Sohn als Unteroffizier stand. Dem Bauern wurde die Brust eng, als er den bildschönen, großen Mann in der blauen Königsulanenuniform vor sich stehen sah, ganz sein Ebenbild, aber mit lustigen Augen und einem frohen Munde. Doch die Augen des jungen Mannes waren kalt und seine Lippen eng geworden, als sein Vater mit seinem Plane herauskam. Er hatte den Kopf geschüttelt und geantwortet: »Ich bleibe beim Militär.« Ein halbes Jahr darauf fiel er in Afrika. »Das ist die Strafe,« dachte der Korlsbauer, als er davon hörte, und nun sprach er noch weniger.

Mit der Zeit schien es aber doch so, als ob Luise freien werde. Hinrich Lohmann, der zweite Sohn vom Remmertshofe, ein stattlicher und fleißiger junger Mann, fand Gefallen an ihr, und mit einem Male kam Leben in das Mädchen. Ihre Augen wurden blanker, ihre Stimme lauter, ihr Gang freier; und war sie vordem fast zu schlank gewesen, so wurde sie jetzt voll und rund. Auch ihr Vater munterte sich wieder mehr auf; denn die Aussicht, Enkelkinder hüten zu dürfen, frischte ihm das Herz auf. Und er dachte: »Wenn auch die Hengstmanns selber aussterben, der Name bleibt doch beim Hofe,« denn Lohmann hatte sich bereit erklärt, darum einzukommen, den Namen des Hofes führen zu dürfen. So wurde es denn abgemacht, daß im Herbste die Hochzeit sein sollte. Die Näherin war schon bestellt, der Heiratsvertrag war aufgesetzt, da bekam der Bauer einen Schlaganfall und starb, ohne wieder zu sich gekommen zu sein.

Luise, die an ihrem Vater sehr gehangen hatte, klappte völlig zusammen und war froh, daß ihr Oheim Lübke aus Howe kam und ihr bei der Beerdigung half. Und da es mitten in der Ernte war, so dankte sie Gott, daß der Ohm, der seinen Hof seinem Sohn gegeben hatte, vorerst bei ihr blieb und nach dem Rechten sah; denn um die Feldarbeit hatte sie sich nie viel gekümmert. Im Grunde hatte sie vor dem Oheim Angst; denn der alte Mann, der mit seinen sechzig Jahren noch wie ein junger arbeiten konnte, war so ganz anders als ihr Vater; er sprach laut und mit einer harten Stimme, alle seine Worte waren klar und bestimmt, und mit einem Blick seiner hellen Augen brachte er die Menschen dahin, wo er sie hin haben wollte. Seine Nichte tat, was er ihr sagte. »Dafür sind die Mädchen da,« sagte er, wenn sie sich irgendeine Arbeit vornahm; »schone dich man, du bist noch zu angegriffen.« Da sie gern las, so beschaffte er ihr allerlei Bücher, und nun saß sie da und las, oder sie schlief. »Viel schlafen, das tut dir gut,« sagte der Ohm, und war um so freundlicher mit ihr, je später sie aufstand.

Ihr Verlobter kam mit der Zeit immer seltener; denn der alte Lübke hatte eine Art, ihn zu behandeln, die ihm nicht zusagte. Schließlich blieb er ganz fort; denn als er einmal wiedergekommen war, war Luise nicht zu sprechen gewesen. »Sie schläft,« sagte Lübke; »sie muß jeden Nachmittag ordentlich schlafen, dieweil sie so schwach ist.« Hinrich Lohmann hatte nichts gesagt und war nach Hause gegangen. »Na, was ist denn mit dir los?« hatte ihn sein Bruder gefragt, aber er hatte ihm keine Antwort gegeben. Er ließ die Dinge laufen, wie sie wollten. Einmal begegnete Luise ihm, als er durch das Dorf ging, tat aber so, als sähe sie ihn nicht, und bog in einen Nebenweg ein. Seitdem ging er ihr aus dem Wege und sprach sie nicht mehr an, wenn sie ihm begegnete. Zuletzt nahm er eine Stelle als Großknecht auf dem Dieckmannschen Hofe in Krusenhagen an, wo der Bauer gestorben war und der Sohn noch in die Schule ging, so daß kein Mann auf dem Hofe war. Wenn er gewollt hätte, konnte er die Bäuerin heiraten; aber da die Kinder, die er mit ihr gehabt hätte, den Hof doch nicht bekamen, so konnte aus der Sache nichts werden und er blieb Großknecht.

Das sind nun sieben Jahre her. Luise Hengstmann zog, als das Trauerjahr fast um war, zu ihrem Vetter nach Howe, dem sie ihren Hof für fünfhundert Taler verpachtet hat. Hätte sie ihn an einen Fremden verpachtet, so hätte sie leicht das Vierfache bekommen. Für Wohnung und Kost bezahlt sie ihrem Vetter die Hälfte der Pachtsumme. Sie hat es gut auf dem Lübkeschen Hofe. Sie hat ihre eigene Dönze, in der viele Bücher sind, bekommt zu essen, was sie will, braucht keine Arbeit zu tun und kann bis zehn Uhr schlafen, und wenn sie will, noch länger. Das tut sie denn auch. Sie schläft, und wenn sie nicht schläft, dann liest sie, alltags Romane und Sonntags erbauliche Bücher. Sie ist noch viel stiller und schüchterner geworden, als sie vor der Zeit war, ehe sie Hinrich Lohmann kennen lernte. Der kümmert sich nicht mehr um sie. Anfangs fragten ihn seine Verwandten wohl einmal, wann er denn freien wolle, aber da er darauf keine Antwort gab, ließen sie ihn in Ruhe.

In Ohlenhof schüttelte anfangs alles die Köpfe, als Lübke den Korlshof pachtete und Luise nach Howe zog, und als es hieß: »Das mit Luise Hengstmann und Hinrich Lohmann ist auseinandergegangen,« da sagte manch einer: »Wenn da man nicht eine Niederträchtigkeit von Lübkens Vater hinterstecken tut!« Aber da es keinen weiter was anging, als Luise und Hinrich selber, so ließ man seine Finger davon, und auch Hinrichs Bruder, der Remmertbauer, sagte nichts, so wenig es ihm paßte, daß sein Bruder immer noch Knecht spielte, und daß ihrer Familie der schöne Hof entgangen war. Als der Pastor einmal mit ihm über die Sache redete, antwortete er: »Mein Bruder hat ganz recht; was soll er mit einer Frau, die den halben Tag schläft und die übrige Zeit Romanbücher liest?«

Die Pastorin, die die beiden jungen Leute gut leiden konnte und sie gern wieder zusammengebracht hätte, hatte Luise einmal aufgesucht, konnte aber nicht vertraulich mit ihr sprechen; denn Lübkes nötigten sie in die beste Stube, tischten großartig auf und machten es ihr unmöglich, an das Mädchen heranzukommen. Sie hatte sich deswegen einige Zeit nachher an Hinrich Lohmann herangemacht, aber der hatte bloß geantwortet: »Frau Pastorin, das ist aus. Ich laufe keinem Menschen nach. Ich habe mir ihr gegenüber nichts zuschulden kommen lassen, und sie ist mir aus dem Wege gegangen.« Als die Pastorin meinte, das läge wohl weniger an dem Mädchen selber, als an ihrem Oheim und ihrem Vetter, da hatte sie ganz verspielt. »Sie war alt genug, daß sie ihren freien Willen hatte,« erwiderte er: »die Schuld liegt bei ihr. Sie meinen es gewißlich gut, Frau Pastorin, aber wenn sie mir jetzt auch selber käme, das renkt sich nicht wieder ein.«

Zu ihrem Manne sagte sie dann: »Sie sind wie aus Eichenholz, diese Menschen; es ist schrecklich!« Der Pastor nickte: »Ja, liebe Elfriede, schrecklich ist das wohl im Einzelfalle, aber in der Hauptsache ist es gut. Eichenholz hält viel aus.«


 << zurück weiter >>