Jack London
Ein Sohn der Sonne
Jack London

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Aloysius Pankburns wunder Punkt

I.

Ein so wachsames Auge David Grief auch für alles hatte, was nach Abenteuern aussah, so vorbereitet er auch immer darauf war, hinter der nächsten Kokospalme etwas Unerwartetes hervorspringen zu sehen, so war der Anblick Aloysius Pankburns doch eine Überraschung für ihn. Es geschah auf dem kleinen Dampfer Berthe. Grief fuhr mit dem Dampfer, um so schnell wie möglich von Raiatea nach Papeete zu gelangen, und ließ seinen Schoner nachkommen.

Als er Aloysius Pankburn zum ersten Male sah, stand dieser schon etwas angesäuselte Herr einsam in der winzigen Bar neben dem Barbierladen und trank einen Cocktail. Und als Grief eine halbe Stunde später aus den Händen des Barbiers entlassen wurde, hing Aloysius Pankburn immer noch einsam trinkend über der Bar.

Nun es ist nicht gut für einen Mann, wenn er einsam trinkt, und Grief warf im Vorbeigehen einen forschenden Blick auf ihn. Er sah, daß er einen gut gewachsenen jungen Mann von etwa dreißig Jahren mit hübschen Zügen, gut gekleidet, offenbar den besseren Ständen angehörend, kurz, einen Gentleman vor sich hatte. Eine Andeutung von Verfall, die zitternde Hand, die das Getränk vergoß, und der nervöse, flackernde Blick zeigten Grief unverkennbar, daß er es mit einem chronischen Säufer zu tun hatte.

Nach dem Mittagessen stieß er wieder auf Pankburn. Diesmal geschah es an Deck, und der junge Mann hing über der Reling, starrte blinzelnd auf einen Mann und eine Frau, die ihre Deckstühle dicht aneinandergerückt hatten, und weinte wie ein Trunkener. Grief bemerkte, daß der Mann seinen Arm um die Dame geschlungen hatte. Aloysius Pankburn weinte über diesen Anblick.

»Das ist doch kein Grund zum Heulen«, sagte Grief ermunternd.

Pankburn sah ihn an und zerfloß in einen aus tiefstem Mitleid mit sich selber geborenen Tränenstrom. »Es ist hart«, seufzte er. »Sehr, sehr hart. Das ist mein Geschäftsführer. Mein Angestellter. Ich zahle ihm ein hohes Gehalt. Und so verdient er es sich!«

»Warum entlassen Sie ihn denn nicht?« rief Grief.

»Ich kann nicht. Sie würde den Whisky einschließen. Sie ist meine Krankenschwester.«

»Dann werfen Sie sie doch hinaus und trinken Sie, bis Sie platzen.«

»Das kann ich auch nicht. Er hat all mein Geld. Wenn ich es täte, würde er nicht mit einem Groschen herausrücken, daß ich mir was zu trinken kaufen könnte.«

Diese schmerzliche Aussicht entfesselte einen neuen Tränenstrom. Griefs Interesse erwachte. Eine so ungewöhnliche Situation hatte sich nie vorgestellt. »Sie sind beide engagiert, um auf mich aufzupassen,« schluchzte Pankburn, »um mir das Trinken abzugewöhnen. Und das tun sie auf diese Weise. Sie lungern auf dem Schiff herum, und ich kann mich zu Tode trinken. Es ist nicht recht, sage ich Ihnen, es ist nicht recht. Sie sind ausdrücklich angestellt, um aufzupassen, daß ich nicht trinke, und da lassen sie mich saufen wie ein Schwein, bloß, damit ich sie nicht störe. Beklage ich mich, dann drohen sie, mir nicht einen einzigen Tropfen mehr zu erlauben. Was soll ich armer Teufel tun? Mein Tod wird über sie kommen, das ist alles. Kommen Sie und leisten Sie mir Gesellschaft.«

Er ließ die Reling los und wäre umgefallen, hätte Grief ihn nicht am Arm gepackt. Plötzlich schien sich eine Wandlung mit ihm zu vollziehen, er richtete sich auf, schob das Kinn angriffslustig vor, und seine Augen glitzerten.

»Aber ich lasse doch nicht zu, daß sie mich umbringen. Und es wird ihnen leid tun. Ich bot ihnen fünfzigtausend an – für später natürlich. Aber sie lachten nur. Sie wissen nicht Bescheid. Aber ich.« Er kramte in seiner Überziehertasche und holte einen Gegenstand hervor, der in dem schwachen Licht aufleuchtete. »Sie wissen nichts hiervon. Aber ich.« Er blickte mit einem plötzlichen Mißtrauen auf Grief. »Was meinen Sie dazu, wie? Was meinen Sie?«

David Grief sah einen degenerierten Säufer vor sich, der mit einem Kupfernagel ein verliebtes Pärchen töten wollte, denn ein Kupfernagel war es, was der andre in der Hand hielt, offenbar ein alter Schiffsnagel.

»Meine Mutter glaubt, ich sei hier, um vom Trinken kuriert zu werden. Sie ahnt nichts. Ich habe den Arzt bestochen, mir eine Reise zu verschreiben. Sobald wir nach Papeete kommen, wird mein Geschäftsführer einen Schoner chartern, und dann segeln wir los. Aber sie ahnen nicht, was dahinter steckt. Sie glauben, es sei versoffenes Geschwätz. Ich weiß Bescheid. Ich allein weiß Bescheid. Gute Nacht. Ich gehe jetzt zu Bett, es sei denn, daß Sie mir bei meinem Schlummertrunk Gesellschaft leisten wollen. Nur einen Schluck, verstehen Sie?«

II.

In der folgenden Woche hatte Grief unzählige Male einen seltsamen Anblick von Aloysius Pankburn. Und ebenso erging es allen andern in der kleinen Inselhauptstadt, denn einen solchen Skandal hatte Lavinas Gasthof, hatte die ganze Küste noch nicht erlebt. Mittags lief Aloysius ohne Kopfbedeckung, nur in Badehosen durch die Hauptstraßen vom Hotel zum Wasser hinunter. Er forderte einen Heizer von der Berthe zu einem regelrechten Boxkampf auf vier Runden in den Folies Bergères heraus, und wurde in der zweiten Runde k. o. geschlagen. In einem Anfall von Säuferwahnsinn versuchte er, sich in einem zwei Fuß tiefen Tümpel zu ertränken, und in der Trunkenheit machte er einen prächtigen Kopfsprung aus fünfzig Fuß Höhe von der Takelung der Mariposa aus, die am Pier vertäut war. Er charterte den Kutter Toerau für einen Preis, für den er ihn zweimal hätte kaufen können, und entging den Folgen nur, weil sein Geschäftsführer die Zahlung verweigerte. Er kaufte dem alten blinden Aussätzigen auf dem Markte seine sämtlichen Waren ab und verkaufte selbst Brotfrüchte, Pisangs und Bataten zu so herabgesetzten Preisen, daß die Gendarmerie den Ansturm der kauflustigen Eingeborenen abwehren mußte. Dreimal wurde er wegen Ruhestörung verhaftet, und dreimal mußte sein Geschäftsführer seine Liebeserklärungen unterbrechen, um die Strafe zu bezahlen, die seinem Herrn von einer geldbedürftigen Kolonialverwaltung auferlegt wurde.

Dann fuhr die Mariposa nach San Francisco, mit dem Geschäftsführer und der Krankenschwester als Ehepaar, noch in ihrer Hochzeitskleidung, an Bord. Vor der Abreise hatte der Geschäftsführer Aloysius rücksichtsvoll acht Fünfpfundscheine ausgehändigt mit dem vorausgesehenen Erfolge, daß Aloysius einige Tage später völlig zusammengebrochen und dem Delirium tremens nahe erwachte. Lavina, die sogar unter den Abenteurern und Gaunern der Südseeküsten ihres guten Herzens wegen bekannt war, pflegte ihn gesund und verheimlichte ihm die ganze Zeit, während seine Vernunft langsam wiederkehrte, daß weder ein Geschäftsführer noch Geld zur Bezahlung seines Unterhaltes mehr da war.

Einige Abende später begab es sich, daß David Grief, lässig unter dem Sonnensegel ausgestreckt, die mageren Spalten des Papeete-Couriers durchlief. Plötzlich setzte er sich auf und rieb sich die Augen. Es war unglaublich, aber es stand da. Die alten Südseemärchen waren also nicht tot. Er las:

Gesucht

zur Hebung eines Schatzes im Werte von fünf Millionen ein Mann, der den Transport nach einer unbekannten kleinen Insel im Stillen Ozean und die sonstigen Kosten tragen will, gegen halbe Beteiligung an der Ausbeute.

Offerten an

Folly bei Lavina.

Grief sah auf die Uhr. Es war noch früh, erst acht. »Herr Carlsen«, rief er in der Richtung einer glühenden Pfeife. »Rufen Sie die Bootsmannschaft. Ich gehe an Land.«

Die rauhe Stimme des norwegischen Steuermanns ließ sich vorn hören, dann stellte ein halbes Dutzend stämmiger Rapainsulaner das Singen ein und bemannte das Walboot.

»Ich möchte gern mit Folly reden, Herrn Folly, nehme ich an«, sagte Grief zu Lavina.

Er bemerkte, wie sich in ihren Augen sofort reges Interesse ausdrückte; dann wandte sie den Kopf und rief etwas in der Sprache der Eingeborenen durch zwei Zimmer in die Küche. Einige Minuten später watschelte ein barfüßiges, einheimisches Mädchen herein und schüttelte den Kopf.

Lavina war offensichtlich enttäuscht.

»Sie sind ja auf der Kittiwake, nicht wahr?« sagte sie. »Ich werde ihm sagen, daß Sie hier waren.«

»Es ist also ein Er?« nickte Grief.

Lavina nickte.

»Ich hoffe, daß Sie etwas für ihn tun können, Kapitän Grief. Ich bin nur eine gutmütige Frau. Ich kenne mich nicht aus. Aber er ist solch ein netter Junge, und es mag sein, daß er die Wahrheit sagt. Sie können das besser beurteilen. Sie sind nicht so weichherzig wie ich. Darf ich Ihnen einen Cocktail mixen?«

III.

Grief war wieder auf seinen Schoner zurückgekehrt und lag im Halbschlaf, mit einem drei Monate alten Magazin zugedeckt, auf einem Deckstuhl, als er plötzlich durch ein merkwürdiges Schnaufen und Stöhnen außenbords geweckt wurde. Er öffnete die Augen. Auf dem eine Viertelstunde entfernt liegenden chilenischen Kreuzer hörte man acht Glockentöne. Es war Mitternacht. Wieder hörte er das Schnaufen und gleichzeitig ein Plätschern im Wasser. Er war sich anfangs nicht klar darüber, ob das Geräusch von einem Amphibium herrührte oder von einem Menschen, der jammernd dem ganzen Universum seine Not klagte.

Mit einem Sprunge war David Grief an der niedrigen Reling. Gerade unter sich sah er einen phosphoreszierenden Schimmer über einer Stelle schäumenden Wassers und hörte das Schnaufen. Er lehnte sich hinüber, packte einen Mann unter den Armen und zog nach verschiedenen wechselnden Griffen die nackte Gestalt Aloysius Pankburns an Bord.

»Ich hatte keinen Pfennig«, klagte er. »Da mußte ich herschwimmen und konnte Ihr Fallreep nicht finden. Es war eine scheußliche Geschichte, nehmen Sie's mir nicht übel. Wenn Sie ein Handtuch hätten, in das ich mich einwickeln könnte, und einen steifen Grog, würde ich bald wieder in Ordnung sein. Ich bin Herr Folly, und ich denke mir, daß Sie Kapitän Grief sind, der mich aufgesucht hat. Nein, ich bin nicht betrunken. Mich friert auch nicht. Das ist es nicht. Aber Lavina hat mir heute nur zwei Glas bewilligt. Ich bin eben vorm Umklappen, weiter nichts, und ich fing schon an, Gespenster zu sehen, als ich das Fallreep nicht finden konnte. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich mit nach unten nehmen wollten. Sie sind der einzige, der auf meine Annonce geantwortet hat.«

Er zitterte jämmerlich trotz der warmen Nachtluft, und als sie in die Kajüte kamen, beeilte sich Grief, ihm noch vor dem Handtuch ein halbvolles Glas Whisky zu geben.

»Nun schießen Sie los«, sagte Grief, nachdem er seinen Gast in ein Hemd und eine Segeltuchhose gesteckt hatte. »Was bedeutet Ihre Anzeige? Ich bin ganz Ohr.«

Pankburn warf einen flehenden Blick auf die Whiskyflasche, aber Grief schüttelte den Kopf.

»Also schön, Kapitän, aber erst schwöre ich Ihnen bei allem, was noch von meiner Ehre übrig ist, daß ich ganz nüchtern – nicht die Spur betrunken bin. Ferner muß ich Ihnen sagen, daß das, was ich Ihnen erzählen werde, wahr ist, und ich werde es kurz machen, denn ich weiß, daß Sie ein Geschäftsmann und ein Mann der Tat und daß Sie an Körper und Geist gesund sind. Ihnen haben nie die tausend Würmer des Alkohols jede Fiber Ihres Körpers benagt. Sie waren noch nie in der Hölle, in der ich jetzt brenne. Und nun hören Sie.

Meine Mutter lebt noch. Sie ist Engländerin. Ich bin in Australien geboren, in New York und Yale erzogen. Ich bin Doktor der Philosophie und ein Taugenichts. Dazu bin ich Säufer. Ich habe Athletik betrieben. Ich habe bis hundertzehn Fuß getaucht, und ich bin Inhaber von mehreren Amateurrekorden. Ich schwimme wie ein Fisch. Ich bin dreißig Meilen in schwerer See geschwommen. Noch einen andern Rekord halte ich. Ich habe mehr Whisky vertilgt als irgendein Mensch sonst in meinem Alter. Um etwas zu trinken zu kriegen, könnte ich Ihnen fünf Groschen stehlen. Und ich will Ihnen die ganze Wahrheit erzählen: Mein Vater war Amerikaner – aus Annapolis. Den Bürgerkrieg machte er als Seekadett mit. Im Jahre 66 war er Leutnant auf der Suwanee, die von Paul Shirley befehligt wurde. Im selben Jahre bunkerte die Suwanee auf einer Südseeinsel – der Name tut nichts zur Sache. An Land in einem Wirtshaus sah mein Vater an der Wand drei kupferne Nägel – Schiffsnägel.«

David Grief lächelte ruhig.

»Den Namen der Kohlenstation kann ich Ihnen nennen«, sagte er.

»Wissen Sie auch etwas von den Nägeln?« fragte Pankburn mit gleicher Ruhe. »Bitte, sie sind nämlich jetzt in meinem Besitz.«

»Gewiß. Sie befanden sich in der Bar des Deutschen Oskar in Peenoo-Peenoo. Johnny Black hatte sie in der Nacht, als er starb, von seinem Schoner an Land gebracht. Er war gerade nach einer langen Fahrt aus dem Westen zurückgekehrt, wo er Trepang gefischt und mit Sandelholz gehandelt hatte. Die ganze Küste kennt die Geschichte.«

Pankburn schüttelte den Kopf.

»Weiter«, drängte er.

»Es war natürlich vor meiner Zeit«, erklärte Grief. »Ich kann nur berichten, was ich gehört habe. Dann lief ein Kreuzer aus Ecuador, von Westen kommend, auf dem Heimwege die Insel an. Die Offiziere erkannten die Nägel. Johnny Black war tot, aber sie erwischten seinen Steuermann und sein Logbuch und fuhren dann weiter. Sechs Monate später kamen Sie, ebenfalls auf der Heimreise, wieder nach Peenoo-Peenoo. Es war ihnen mißglückt, aber man vergaß die Geschichte bald.«

»Als die Aufrührer nach Guyaquil marschierten,« nahm Pankburn den Faden wieder auf, »hielten die Beamten jede Verteidigung für aussichtslos und verpackten daher die Schatzkiste der Regierung. Sie enthielt etwa eine Million Golddollar – alles in englischer Münze –, und man brachte sie an Bord des amerikanischen Schoners Flirt. Am nächsten Morgen sollte das Schiff abfahren. Aber der amerikanische Kapitän machte sich heimlich in der Nacht davon. Können Sie weitererzählen?«

»Ja, es ist eine alte Geschichte«, meinte Grief. »Da kein andres Schiff im Hafen lag, konnten die Beamten nicht wegkommen. Rücken gegen Rücken mußten sie sich verteidigen. Rohjas Salced entsetzte die Stadt durch einen Eilmarsch. Die Revolution war zusammengebrochen, und der einzige, uralte Dampfer, der die Seemacht von Ecuador repräsentierte, wurde zur Verfolgung der Flirt ausgeschickt. Zwischen der Banksgruppe und den Neuen Hebriden fingen sie sie ab, wie sie mit geheißtem Notsignal herumirrte. Der Kapitän war am Tage zuvor am Schwarzwasserfieber gestorben.«

»Und der Steuermann?« fragte Pankburn herausfordernd.

»Der Steuermann war eine Woche zuvor beim Wassereinnehmen auf einer der Banksinseln von den Eingeborenen getötet worden. Darum hatten sie jetzt keinen Menschen mehr an Bord, der etwas von Navigation verstand. Die ganze Mannschaft wurde gefoltert. Es war zwar nach den internationalen Gesetzen nicht erlaubt, und die Leute würden auch gern bekannt haben, aber sie konnten nicht. Sie konnten nur von drei Nägeln erzählen, die in Bäume am Strande geschlagen worden waren, aber wo die Insel lag, ahnten sie nicht. Im Westen, weit im Westen – das war alles, was sie wußten. Von dem Folgenden gibt es nun zwei Fassungen. Nach der einen starb die ganze Mannschaft unter der Folter: nach der andern wurden die, welche sie überstanden, an die Rahnock gehängt. Wie dem auch sei, jedenfalls mußte der Kreuzer heimkehren, ohne den Schatz oder den Ort, wo er versteckt war, gefunden zu haben. Johnny Black brachte die drei Nägel nach Peenoo-Peenoo und ließ sie beim Deutschen Oskar, aber wie und wo er sie gefunden hat, erzählte er nie.«

Pankburn starrte unabgewandt auf die Whiskyflasche.

»Nur zwei Finger breit«, wimmerte er.

Nach kurzer Überlegung bewilligte Grief ihm ein kleines Glas. Pankburns Augen begannen zu leuchten, und er schien neuen Lebensmut zu fassen.

»Und hier kann ich fortfahren und die fehlenden Einzelheiten ergänzen«, sagte er. »Johnny Black hat es erzählt. Er berichtete es meinem Vater. Schrieb ihm von Levuka aus, kurz bevor er nach Peenoo-Peenoo kam, um zu sterben. Mein Vater hatte ihm eines Nachts bei einer Schlägerei in einer Kneipe in Valparaiso das Leben gerettet. Ein Perlenfischer hatte die drei Nägel einem Nigger auf der Donnerstagsinsel abgekauft. Johnny Black hatte sie von ihm zum Kupferwert erstanden. Er wußte von ihnen nicht mehr als der, der sie ihm verkauft hatte, bis er auf der Heimfahrt, um Karettschildkröten zu fangen, eben die Küste anlief, wo der Steuermann der Flirt getötet worden sein sollte. Aber er war gar nicht getötet worden, die Eingeborenen hielten ihn nur gefangen, bis er am Brand im Kiefer, der Folge eines Pfeilschusses, starb. Vor seinem Tode erzählte er Johnny Black die Geschichte, und der schrieb sie meinem Vater von Levuka aus. Er wußte, daß es aus mit ihm war – Krebs. Mein Vater holte sich die drei Nägel zehn Jahre später beim Deutschen Oskar – er war damals Kapitän der Perry. Und mein Vater hat mir in seinem Testament die Nägel nebst den nötigen Angaben vermacht. Ich kenne die Insel, kenne Längen- und Breitengrad der Küste, wo die drei Nägel in den Baumstämmen saßen. Die Nägel habe ich jetzt bei Lavina. Längen- und Breitengrad habe ich im Kopf. Na, was meinen Sie dazu?«

»Faul«, lautete Griefs schnelles Urteil. »Warum hat Ihr Vater nicht selbst den Schatz geholt?«

»Er brauchte ihn nicht. Ein Onkel hinterließ ihm sein Vermögen. Er nahm seinen Abschied, wurde von einer Art Manie für Krankenschwestern gepackt, und meine Mutter ließ sich von ihm scheiden. Auch sie machte eine Erbschaft und ließ sich mit einer Rente von 30 000 Dollar in Neuseeland nieder. Ich wurde gewissermaßen zwischen ihnen geteilt und verlebte die halbe Zeit in Neuseeland, die andre Hälfte in den Vereinigten Staaten, bis mein Vater voriges Jahr starb. Jetzt hat meine Mutter mich ganz. Er hinterließ mir all sein Geld – ein paar Millionen –, aber meine Mutter hat einen Vormund für mich ernannt, weil ich trinke. Ich habe eine ganze Menge Geld, kann aber nicht über einen Pfennig mehr verfügen, als man mir mit Ach und Krach zugesteht. Aber mein alter Herr, der von meinem Trinken gehört hatte, hinterließ mir die Nägel. Ich bekam sie hinter dem Rücken meiner Mutter durch seinen Rechtsanwalt. Er soll gesagt haben, das sei mehr wert als eine Lebensversicherung, und wenn ich auch nur die Spur von Rückgrat hätte, sollte ich sehen, das Geld zu kriegen; dann könnte ich saufen, daß mir die Zähne im Munde rasselten, und bis an mein seliges Ende. Millionen in den Händen meines Vormunds, haufenweise Geld bei meiner Mutter – wenn sie ins Krematorium kommt, gehört der ganze Schwindel mir – und noch eine Million, die nur darauf wartet, ausgegraben zu werden – und dabei muß ich Lavina um zwei Glas Whisky täglich anbetteln. Ist das nicht ein Höllenleben – bei meinem Durst?«

»Wo liegt die Insel?«

»Weit von hier.«

»Wie heißt sie?«

»Nicht zu machen, Kapitän Grief. Sie können mit Leichtigkeit eine halbe Million an der Sache verdienen; Sie brauchen nur nach meiner Anweisung zu steuern, und wenn wir gut unterwegs sind, werde ich es Ihnen sagen.«

Grief zuckte die Achseln und ließ den Gegenstand fallen. »Jetzt gebe ich Ihnen noch ein Glas, und dann lasse ich Sie an Land rudern«, sagte er.

Pankburn war bestürzt. Gut fünf Minuten kämpfte er mit sich, dann befeuchtete er sich die Lippen mit der Zunge und kapitulierte.

»Wenn Sie mir versprechen, hinzufahren, will ich es Ihnen jetzt sagen.«

»Selbstverständlich bin ich bereit, zu fahren. Deshalb habe ich Sie ja gefragt. Wie heißt die Insel?«

Pankburn sah auf die Flasche. »Ich glaube, ich möchte das Glas jetzt haben, Kapitän.«

»Nein, das gibt es nicht. Wenn Sie an Land gegangen wären, hätten Sie es bekommen. Sie sollen mir Bescheid über die lnsel sagen, und da müssen Sie nüchtern sein.«

»Francisinsel, wenn Sie es denn durchaus wissen wollen; Bougainville nannte sie die Barbourinsel.«

»Ach, die einsame Insel im Kleinen Korallenmeer«, sagte Grief. »Die kenne ich. Liegt zwischen Neuirland und Neuguinea. Ein Loch jetzt, war aber mal ganz gut zu der Zeit, als die Flirt da war und die drei Nägel eingeschlagen wurden, und als der Perlenfischer sie kaufte. Dort war es, wo der Dampfer Castor, der Arbeiter für die Plantagen in Upolo werben sollte, vernichtet und seine ganze Mannschaft niedergemacht wurde. Ich kannte den Kapitän. Die Deutschen schickten dann einen Kreuzer hin, der den Busch bombardierte, ein halbes Dutzend Dörfer niederbrannte, ein paar Nigger und eine ganze Menge Schweine tötete – das war der ganze Effekt. Die Nigger dort waren immer eine böse Gesellschaft, aber ganz schlimm wurden sie erst vor vierzig Jahren. Damals, als sie den Walfänger überfielen. Warten Sie mal – wie hieß er noch?«

Er schritt an das Bücherbrett, zog das staubige »Südsee-Diktionär« heraus und blätterte darin.

»Ja, hier ist es. Francis oder Barbour«, las er. »Die Eingeborenen kriegerisch und verräterisch – Melanesier – Kannibalen. Walfänger Western überfallen – so hieß er. Sandbänke – Riffe – Ankergründe – ah, Redscar, die Owen-Bucht, die Likikili-Bucht, da wird es wohl sein. Tiefe Einschnitte, Mangrovensümpfe, bei neun Faden guter Grund, wenn man die weiße Klippe in Südwest hat.«

Grief blickte auf.

»Ich wette, daß es da ist, Pankburn.«

»Und wollen Sie hinfahren?« fragte der andre eifrig.

Grief nickte.

»Die Geschichte klingt ganz vernünftig. Ja, wenn es hundert Millionen oder dergleichen geheißen hätte, dann würde ich nicht einen Gedanken darauf verschwendet haben. Wir segeln morgen, aber unter einer Bedingung. Sie müssen sich ganz unter meinen Befehl stellen.«

Sein Gast nickte froh und eifrig.

»Das heißt, Sie kriegen keinen Tropfen zu trinken.«

»Das ist recht hart«, jammerte Pankburn.

»Es ist Bedingung. Ich bin Arzt genug, um dafür zu sorgen, daß es Ihnen nicht schadet. Und Sie werden arbeiten – schwer arbeiten – als Matrose. Sie werden die regelmäßigen Wachen gehen und was es sonst zu tun gibt, aber achtern mit uns essen und schlafen.«

»Also schön – abgemacht.« Pankburn streckte die Hand aus, um den Pakt zu besiegeln. »Wenn ich nur nicht dabei um die Ecke gehe«, fügte er hinzu.

David Grief füllte ihm mitfühlend das Glas dreifingerhoch und reichte es ihm hin. »Trinken Sie.«

Pankburn streckte die Hand aus. Aber mit plötzlich erwachender Energie hielt er in der Bewegung inne, hob den Kopf und warf die Schultern zurück. »Ich glaube, ich lasse es lieber bleiben«, begann er. Dann wurde er jedoch wieder von seiner Schwäche übermannt, und er griff hastig nach dem Glase, als fürchte er, daß es zurückgezogen würde.

IV.

Es ist eine weite Reise von Papeete, einer der Gesellschaftsinseln, bis nach dem Kleinen Korallenmeer – vom hundertfünfzigsten Grad westlicher bis zum hundertfünfundfünfzigsten Grad östlicher Länge, in der Luftlinie etwa so weit wie eine Reise quer über den Atlantischen Ozean. Aber die Kittiwake fuhr nicht in der Luftlinie. Die zahllosen Interessen David Griefs änderten ihren Kurs immer wieder. So stattete er der unbewohnten Roseninsel einen kurzen Besuch ab, um ihre Möglichkeiten mit Bezug auf Kolonisierung und Anbau von Kokospalmen zu untersuchen. Dann steuerte er nach Tui Manua, einer der östlichen Samoainseln, um von dem sterbenden König der drei Inseln einen Anteil am Handelsmonopol zu erhalten. Von Apia brachte er mehrere abgelöste Agenten sowie eine Ladung Stückgut nach den Gilbertinseln. Er machte einen Abstecher nach dem Ontong-Java-Atoll, besichtigte seine Pflanzungen auf Ysabal und kaufte den Küstenhäuptlingen im nordwestlichen Malaita Ländereien ab. Und auf dieser weiten Fahrt machte er allmählich Aloysius Pankburn zum Manne.

Dieser immer Durstige wohnte zwar achtern, mußte aber die Arbeit eines einfachen Matrosen verrichten. Und er mußte nicht allein am Rade stehen, Ausguck halten und Leinen und Taljen heißen, ihm wurde auch die schmutzigste und mühevollste Arbeit zugeteilt. Er wurde in die Takelung geheißt und mußte die Masten von oben bis unten schrubben, er mußte das Deck scheuern und so lange mit frischen Zitronen abreiben, bis ihn der Rücken schmerzte. Aber seine schlaffen Muskeln wurden stark dabei. Als die Kittiwake vor Anker lag und ihr Kupferboden von der eingeborenen Mannschaft mit Kokosnußschalen abgeschrabt wurde, mußte Pankburn wie jeder andre von seiner Schicht unter Wasser arbeiten.

»Schauen Sie sich an«, sagte Grief. »Sie sind jetzt zehnmal so stark wie damals, als Sie an Bord kamen. Sie haben nicht ein einziges Glas bekommen und sind nicht gestorben, sondern haben sich das Gift hübsch aus dem Körper herausgetrieben. Das haben Sie der Arbeit zu verdanken. Die ist besser als Krankenschwestern und Geschäftsführer. Wenn Sie durstig sind – bitte! Trinken Sie.«

Mit einigen geschickten Schlägen seines dickrückigen Dolchmessers hieb Grief ein dreieckiges Loch in die Schale einer von den Fasern befreiten Kokosnuß. Die dünne, kühle Flüssigkeit quoll milchig und leicht aufbrausend hervor. Pankburn beugte sich vor, setzte diese natürliche Tasse an den Mund, warf dann den Kopf zurück und trank, bis sie leer war. Viele solcher Nüsse leerte er täglich. Der schwarze Steward, ein sechzigjähriger Eingeborener von den Neuen Hebriden, und sein Gehilfe, ein Lark-Insulaner von elf Jahren, mußten dafür sorgen, daß sie stets zur Hand waren.

Pankburn hatte nichts gegen die schwere Arbeit einzuwenden. Er verschlang sie geradezu, drückte sich nie und schlug die Eingeborenen stets um mehrere Längen, wenn es galt, einen Befehl auszuführen. Was er in der Periode, als der Alkohol aus ihm herausgetrieben wurde, aushielt, war wirklich heroisch. Als aber der letzte Rest vom Gift ausgeschieden war, blieb doch immer noch der Drang nach Alkohol in seinem Hirn. Und so kam es, daß er, als er gegen sein Ehrenwort in Apia an Land gelassen wurde, hier den Versuch unternahm, alle Wirtschaften trockenzulegen, indem er ihre gesamten Vorräte aussoff. Um zwei Uhr morgens traf David Grief ihn vor dem Tivoli, aus dem Charley Roberts ihn mit Gewalt hinausgeworfen hatte. Aloysius sang wie in alten Tagen den Sternen seine Not. Den Takt schlug er dazu in etwas handgreiflicher Weise, indem er Charley Roberts mit bewundernswerter Genauigkeit Korallenstücke in die Fenster warf.

David Grief nahm ihn mit, setzte ihm aber erst am nächsten Morgen den Kopf zurecht. Er besorgte das auf dem Deck der Kittiwake, und was er tat, war kein Kinderspiel. Grief bearbeitete Pankburn mit geballten Fäusten und bloßen Knöcheln, stieß und schlug ihn, kurz, versetzte ihm die schrecklichsten Prügel, die er je erhalten hatte.

»Zum Heil Ihrer Seele, Pankburn«, sagte er tröstend, um seinen Schlägen Nachdruck zu verleihen. »Um Ihrer Mutter willen. Um Ihrer Nachkommenschaft willen. Zum Besten für die Welt und für das ganze kommende Menschengeschlecht. Und damit Sie sich die Lektion merken, wollen wir noch einmal von vorn beginnen. Also: dies zum Heil Ihrer Seele. Und das um Ihrer Mutter willen; und das um der Kinder willen, von denen Sie sich noch nichts träumen lassen; und weil Sie ein Mann werden, wenn ich Sie in die Mache nehme. Jetzt sollen Sie Ihre Medizin kriegen. Ich bin noch nicht fertig. Ich habe eben erst angefangen. Ich habe noch viele Gründe, die ich Ihnen jetzt auseinandersetzen werde.«

Die braunen Matrosen, der schwarze Steward und der Koch sahen zu und amüsierten sich königlich. Sie dachten nicht daran, sich die Köpfe über die mysteriösen, unerforschlichen Wege der weißen Männer zu zerbrechen. Carlsen, der Steuermann, billigte vollkommen die Handlungsweise seines Herrn, während Albright, der Superkargo, sich lächelnd den Schnurrbart drehte. Sie waren beide Seeleute, die ein rauhes Leben führten, und der Alkohol war für sie ein Problem, das nicht nach den Büchern der Ärzte gelöst wurde.

»Boy! Einen Eimer frisches Wasser und ein Handtuch«, befahl Grief, als er fertig war. »Zwei Eimer und zwei Handtücher«, fügte er hinzu, als er seine eigenen Hände betrachtete.

»Sie sind mir ja ein schöner Kerl«, sagte er zu Pankburn. »Sie haben alles verdorben. Ich hatte das Gift schon vollständig aus Ihnen herausgepumpt, und jetzt rauchen Sie direkt davon. Wir müssen ganz von vorne anfangen. Herr Albright, erinnern Sie sich an die alte Kette, die in einem großen Haufen an der Landungsstelle lag? Versuchen Sie, den Besitzer zu finden, kaufen Sie die Kette und lassen Sie sie an Bord schaffen. Es müssen mindestens hundertfünfzig Faden sein. Pankburn, morgen früh werden Sie anfangen, den Rost loszuhämmern, und wenn das gemacht ist, werden Sie die Kette mit Sandpapier scheuern. Dann wird sie gestrichen. Und Sie werden nichts andres tun, bis sie so glatt und fein wie eine neue ist.«

Aloysius Pankburn schüttelte den Kopf.

»Ich verschwinde. Die Francisinsel kann meinetwegen zum Teufel gehen. Ich habe Ihre Sklaverei satt. Wollen Sie mich gefälligst sofort an Land setzen. Ich bin ein weißer Mann und lasse mich nicht auf diese Art behandeln.«

»Herr Carlsen, Sie werden dafür sorgen, daß Herr Pankburn an Bord bleibt.«

»Ich werde Sie dafür zur Rechenschaft ziehen!« schrie Aloysius. »Sie dürfen mich nicht festhalten.«

»Ich kann Sie noch einmal vermöbeln«, antwortete Grief. »Und ich will Ihnen etwas sagen, Sie versoffener Bengel: Ich werde Sie so lange prügeln, wie meine Gelenke aushalten, oder bis Sie mich anflehen, die rostige Kette säubern zu dürfen. Ich habe Sie nun einmal in die Mache genommen, und ich werde einen Mann aus Ihnen machen, und wenn Sie dabei zum Teufel gehen. Jetzt begeben Sie sich nach unten und ziehen Sie sich um. Und heute nachmittag werden Sie mit dem Hammer zur Stelle sein. Herr Albright, lassen Sie die Kette an Bord schaffen, Herr Carlsen wird Ihnen das Boot dazu geben. Und halten Sie ein Auge auf Pankburn. Wenn er schlapp macht oder Schüttelfrost kriegt, geben Sie ihm einen Schluck – aber nicht zuviel. Nach solcher Nacht wird er es nötig haben.«

V.

Die ganze Nacht, die die Kittiwake noch in Apia lag, hämmerte Aloysius Pankburn noch den Rost von der Kette. Zehn Stunden täglich hämmerte er. Und die ganze weite Fahrt bis nach den Gilbertinseln hämmerte er ebenfalls. Dann kam das Scheuern mit Sandpapier. Hundertfünfzig Faden sind fast dreihundert Meter, und jedes einzelne Glied der Kette wurde geglättet und poliert wie wohl noch keine Kette je. Und als das letzte Glied den Anstrich mit schwarzer Farbe erhalten hatte, kam er selber zu Grief und sagte:

»Geben Sie mir noch mehr solche Dreckarbeit. Ich werde auch noch mit andern Ketten fertig werden. Und haben Sie keine Angst. Ich trinke keinen Tropfen mehr. Jetzt bin ich im Training. Sie haben meinen wunden Punkt berührt, als Sie mich verprügelten, aber ich sage Ihnen, darüber werden wir noch einmal reden. Training! Jetzt trainiere ich, bis ich durch und durch hart und sauber bin wie diese Kette. Und eines schönen Tages, Herr David Grief, irgendwo und irgendwie werde ich genügend in Form sein, und dann verdresche ich Sie, wie Sie mich verdroschen haben. Ich werde Ihr Gesicht bearbeiten, daß Ihre eignen Nigger Sie nicht wiedererkennen.«

Grief strahlte.

»Jetzt reden Sie wie ein Mann«, rief er. »Die einzige Möglichkeit, wenn Sie mich verdreschen wollen, ist, daß Sie ein Mann werden. Und dann werden Sie vielleicht – –«

Er hielt inne in der Hoffnung, daß der andre den Gedanken aufgreifen sollte. Und Aloysius griff ihn auf, und etwas wie Erleuchtung trat plötzlich in seine Augen.

»Und dann mache ich mir vielleicht nichts mehr daraus, meinen Sie?«

Grief nickte.

»Ja, das ist das Verfluchte«, klagte Aloysius. »Ich glaube wirklich, daß es so kommen wird. Aber einerlei, jetzt will ich doch weiter an mir arbeiten, trotz allem.«

Die warme Sonnenglut in Griefs Gesicht schien noch wärmer zu werden. Er streckte die Hand aus. »Pankburn, dafür habe ich Sie gern.«

Aloysius ergriff die Hand und schüttelte mit betrübter Ehrlichkeit den Kopf.

»Grief,« seufzte er, »Sie haben meinen wunden Punkt berührt, meinen Stolz, und ich fürchte, das kann ich nicht verwinden.«

VI.

An einem tropenschwülen Tage, als das letzte Aufflackern des Passats erstarb, um der Jahreszeit gemäß vom Monsun abgelöst zu werden, fuhr die Kittiwake durch die Brandung in die buschbewachsene Küste der Francisinsel. Mit Hilfe von Kompaß und Glas fand Grief den Vulkan, der die Einfahrt von Redscar markierte, lief an der Owenbucht vorbei und trieb mit dem letzten Windhauch in die Likikilibucht. Im Schlepp der beiden Walboote und unter fortwährendem Loten Carlsens drang die Kittiwake langsam in einen tiefen, engen Einschnitt ein. Einen Strand gab es nicht. Die Mangroven wuchsen direkt aus dem Wasser heraus, und gleich dahinter erhob sich steil die Dschungel, hie und da von zackigen Felsspitzen durchbrochen. Als sie nach einer Meile die weiße Felswand in Westsüdwest hatten, ließen sie in neun Faden Tiefe den Anker fallen.

Den Rest des Tages und den ganzen folgenden Vormittag blieben Sie auf der Kittiwake und warteten. Kein Kanu ließ sich sehen, keine Spur menschlichen Lebens zeigte sich. Abgesehen von gelegentlichem Plätschern eines Fisches oder dem Schreien eines Kakadus schien alles ausgestorben zu sein. Einmal flatterte jedoch ein riesiger Schmetterling – er maß sicher zwölf Zoll von einer Flügelspitze zur andern – hoch über ihren Mastspitzen nach der jenseitigen Dschungel.

»Es hätte keinen Sinn, ein Boot auszuschicken und mit anzusehen, wie es überfallen wird«, sagte Grief.

Pankburn war ungläubig und erbot sich, allein an Land zu gehen. Er wollte sogar schwimmen, wenn man ihm die Jolle nicht gäbe.

»Die Nigger haben den deutschen Kreuzer sicher nicht vergessen«, erklärte Grief. »Und ich wette, daß der Busch jetzt von ihnen wimmelt. Was meinen Sie, Herr Carlsen?«

Der erfahrene Südseeabenteurer stimmte ihm nachdrücklich bei.

Spät am Nachmittag des zweiten Tages befahl Grief, das eine Walboot zu Wasser zu lassen. Er nahm selbst am Bug Platz, zündete sich eine Zigarette an und nahm eine Dynamitstange mit einer kurzen Lunte in die Hand, um Fische zu schießen. An den Duchten standen ein halbes Dutzend Winchesterbüchsen. Albright, der das Ruder übernahm, hatte einen Mauser in Reichweite. So ruderten sie an der grünen Mangrovemauer vorbei. Hin und wieder ließen sie die Riemen ruhen und lauschten auf die tiefe Stille.

»Ich wette zwei zu eins, daß der Busch voll von ihnen ist«, flüsterte Albright.

Pankburn lauschte einen Augenblick und nahm dann die Wette an. Fünf Minuten darauf sichteten sie einen Schwarm Seebarben. Die braunen Matrosen hörten auf zu rudern. Grief berührte die kurze Lunte mit seiner Zigarette und warf die Bombe. So kurz war die Lunte, daß das Dynamit im selben Augenblick explodierte, als es das Wasser berührte. Und im selben Augenblick explodierte auch der Busch. Wildes, höhnisches Geschrei ertönte, und schwarze nackte Körper sprangen wie Affen durch die Mangroven.

Im Walboot war jede Büchse erhoben. Dann trat eine Pause ein. Etwa hundert Schwarze, einige mit altertümlichen Sniderflinten, die meisten jedoch mit Streitäxten, feuergehärteten Speeren und Pfeilen mit Knochenspitzen bewaffnet, hingen rings an den Wurzeln, die aus der Bucht herauswuchsen. Jede Partei beobachtete die andre auf eine Entfernung von zwanzig Fuß über das Wasser hinweg. Ein alter, einäugiger Neger mit abstoßendem Gesicht hatte seine Sniderflinte von der Hüfte aus auf Albright angelegt, der seinerseits wiederum mit dem Mauser auf ihn zielte. So vergingen ein paar Minuten. Die getroffenen Fische trieben an die Oberfläche oder zappelten, noch halb bewußtlos, auf dem Grunde des klaren Wassers.

»Es ist gut, Jungens«, sagte Grief ruhig. »Senkt die Gewehre und über Bord mit euch. Herr Albright, werfen Sie den Tabak dieser einäugigen Bestie zu.«

Während die Rapa-Leute nach den Fischen tauchten, warf Albright ein Päckchen Tabak ans Land. Der Einäugige nickte und verzog sein Gesicht zu einem liebenswürdigen Grinsen. Die Waffen wurden gesenkt, die Bogen entspannt und die Pfeile wieder in ihre Köcher gesteckt.

»Tabak kennen sie doch«, bemerkte Grief, als sie wieder zum Schiff zurückruderten. »Wir werden sicher bald Besuch bekommen, öffnen Sie eine Kiste, Herr Albright, und nehmen Sie einige Messer heraus. – Aha, da kommt schon ein Kanu.«

Der einäugige Alte mußte in seiner Eigenschaft als Häuptling und Anführer allein paddeln und im Namen seines Stammes der Gefahr trotzen. Als Carlsen sich über die Reling beugte, um dem Gast an Bord zu helfen, wandte er den Kopf und sagte leise:

»Sie haben das Geld ausgegraben, Herr Grief. Der alte Bettler ist ganz beladen damit.«

Der Einäugige wurde zappelnd an Deck gezogen. Er grinste friedfertig, aber es gelang ihm nicht ganz, die ausgestandene und noch nicht überwundene Angst zu verbergen. Eins seiner Beine war lahm, offenbar infolge einer furchtbaren Narbe, die, zolltief, von der Hüfte bis zum Knie lief. Er war gänzlich unbekleidet, aber seine Nase war an einem Dutzend Stellen durchlöchert, und in jedem Loch, steckte ein geschnitzter Knochensplitter, so daß die Nase einem Stachelschwein glich. Um den Hals trug er eine Schnur, an der eine Reihe Goldsovereigns auf die schmutzige Brust herabbaumelten. In seinen Ohren hingen silberne Halbkronenstücke, und an seinem Nasenknorpel, grün und blind, aber nicht zu verkennen, ein großes englisches Pennystück.

»Hören Sie, Grief«, sagte Pankburn mit verstellter Gleichgültigkeit. »Sie sagen, daß die Kerle nur Tabak und Perlen kennen. Schön. Folgen Sie meinem Rat. Die Nigger haben den Schatz gefunden, und wir müssen ihn von ihnen erstehen. Nehmen Sie die ganze Mannschaft beiseite und instruieren Sie sie, daß sie tun sollen, als ob sie sich nur für die Pennystücke interessieren. Verstehen Sie? Die Goldstücke wollen wir gar nicht sehen, und die Silbermünzen gehen eben noch an. Die Pennys sind das einzige, woraus wir uns etwas machen.«

Pankburn überwachte den Handel. Für den Penny in der Nase des Einäugigen gab er zehn Stück Tabak. Da jedes Stück Grief einen Cent kostete, war das entschieden ein schlechtes Geschäft. Für die Halbkronenstücke gab Pankburn jedoch nur je ein Stück. Von den Sovereigns wollte er überhaupt nichts wissen. Und je abweisender er sich verhielt, desto dringlicher wurde der Einäugige. Schließlich gab Pankburn doch nach, wenn auch sehr widerwillig, fast zornig. Es war ganz offensichtlich ein großes Entgegenkommen, daß er für das ganze Halsband mit den zehn Sovereigns zwei Stücke Tabak bezahlte.

»Ich ziehe den Hut vor Ihnen«, sagte Grief beim Abendessen zu Pankburn. »Die Geschichte geht ja glänzend. Sie haben die Werte umgekehrt. Die Kerle halten die Pennys für unschätzbar und die Goldstücke für wertlos. Folglich halten sie die Pennys fest und zwingen uns, ihnen das Gold abzukaufen. Pankburn, Ihr Wohl! – Boy! Noch eine Tasse Tee für Herrn Pankburn!«

VII.

Es folgte eine goldene Woche. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend lag ein Schwarm von Kanus auf ihren Paddeln zweihundert Fuß vom Schiff entfernt. Dort war die Grenze gezogen, die die Rapa-Matrosen mit ihren Gewehren hielten. Nur ein Kanu zur Zeit durfte längsseits kommen, und nur einem einzigen Schwarzen wurde erlaubt, über die Reling zu klettern. Hier, unter dem Sonnensegel, wurde gehandelt. Die vier Weißen lösten sich allstündlich ab. Die Preise waren gewissermaßen durch den Handel zwischen Pankburn und dem Einäugigen festgelegt: Fünf Sovereigns kostete ein Päckchen Tabak, für zwanzig Päckchen erhielt man hundert Goldstücke. Auf diese Weise brachte mancher Kannibale tausend Dollar in Gold und zog beglückt mit Tabak im Wert von vierzig Cent über die Reling ab.

»Ich hoffe, daß wir Tabak genug haben«, murmelte Carlsen zweifelnd, als die zweite Kiste geöffnet wurde.

Albright lachte.

»Wir haben fünfzig Kisten im Raume«, sagte er, »und nach meiner Schätzung bringen drei Kisten hunderttausend Dollar. Da nur eine Million vergraben ist, so müßten dreißig Kisten reichen, wenn wir natürlich auch einen gewissen Betrag auf das Silber und die Pennys rechnen müssen. Diese Ecuadorianer müssen alles Geld vergraben haben, das sie kriegen konnten.«

Es kamen nur sehr wenige Pennystücke und Schillinge auf den Markt, obgleich Pankburn dauernd ängstlich nach ihnen forschte. Pennys waren das einzige, wonach er Verlangen trug, und er ließ seine Augen gierig blitzen, sobald einer zum Vorschein kam. Seine Berechnung erwies sich als richtig: die Wilden brachten zuerst das wertlose Gold. Da die Pennys fünfzigmal soviel einbrachten wie die Goldstücke, mußten sie zurückgehalten und aufbewahrt werden. Auf den Lagerplätzen in der Dschungel saßen sicher die weisen Graubärte, steckten die Köpfe zusammen und beschlossen, den Pennypreis noch weiter in die Höhe zu treiben, sobald sie das wertlose Gold losgeworden waren. Wer konnte wissen, ob die merkwürdigen weißen Männer nicht dazu gebracht werden konnten, zwanzig Stück Tabak für jeden zu geben.

Gegen Ende der Woche ließ das Geschäft nach. Das Gold kam nur noch tropfenweise herein, und nur zögernd wurde ein Penny für zehn Stangen abgegeben; immerhin kamen mehrere tausend Dollar in Silber herein.

Am Morgen des achten Tages wurde überhaupt nicht gehandelt. Die Graubärte hatten ihren Entschluß gefaßt, und es wurden zwanzig Stücke Tabak für einen Penny verlangt. Der Einäugige verkündete den neuen Preis. Die weißen Männer schienen die Sache sehr ernst zu nehmen, sie unterhielten sich leise und eindringlich. Hätte der Einäugige verstanden, was sie sagten, so wäre ihm wohl ein Licht aufgegangen.

»Wir haben jetzt etwas mehr als Achthunderttausend in Gold, außer dem Silber, bekommen«, sagte Grief. »Und soviel wird auch ungefähr da sein. Die andern Zweihunderttausend sind vermutlich in den Busch gewandert. Wenn wir in drei Monaten wiederkommen, dann werden die Salzwasserleute sie wahrscheinlich wieder zurückerhandelt haben, und auch der Tabak wird unterdessen auf die Neige gegangen sein.«

»Ja, es wäre Verschwendung, jetzt Pennys zu kaufen«, grinste Albright. »Es würde meiner Kaufmannsseele wehtun.«

»Wir scheinen ein bißchen Landwind zu bekommen«, bemerkte Grief und blickte Pankburn an. »Was meinen Sie?«

Pankburn nickte.

»Also schön.« Grief maß Stärke und Stetigkeit des Windes an seiner Backe. »Herr Carlsen, holen Sie den Anker ein, und machen Sie die Segel los! Und lassen Sie die Boote zum Schleppen klarmachen. Auf den Wind können wir uns noch nicht verlassen.« Er nahm ein Paket mit sechs- bis siebenhundert Stück aus der Tabakkiste, legte es dem Einäugigen in die Hände und half dem bestürzten Wilden über die Reling. Als das Vorsegel hochging, erhob sich ein Jammergeschrei in den Kanus, die an der Grenzlinie lagen. Und als der Anker geheißt war, und die Kittiwake die leichte Brise spürte, paddelte der einäugige Alte, den drohend auf ihn gerichteten Flinten zum Trotz, längsseits und gab durch heftiges Gestikulieren zu erkennen, daß der Stamm bereit sei, den Penny für zehn Stücke Tabak zu verkaufen.

»Boy! Eine Trinknuß!« rief Pankburn.

»Sie wollen nach Sydney Heads«, sagte Grief.

»Und dann?«

»Ich will mit Ihnen wieder herkommen und die übrigen Zweihunderttausend holen«, antwortete Pankburn. »Unterdessen lasse ich mir einen Südseeschoner bauen. Ferner will ich meinen Vormund vor Gericht zitieren und feststellen lassen, ob es noch einen Grund gibt, mir das Geld meines Vaters vorzuenthalten. Und Sie können sich darauf verlassen, daß ich den Leuten meine Meinung sagen werde.«

Er spannte stolz seine Armmuskeln, packte die beiden schwarzen Stewards und stemmte sie wie ein paar Hanteln über seinen Kopf.

»Kommen Sie! Schwingen Sie den Vorbaum aus!« rief Carlsen.

Pankburn ließ die Stewards fallen und rannte nach vorn, um den Befehl auszuführen. Mit zwei Sprüngen ließ er einen Rapa-Matrosen weit hinter sich.

 


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