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Die Plumber

Neue Freie Presse, 17.7.1898

Man könnte sich unser Säkulum ganz gut ohne Tischler denken – wir würden dann eiserne Möbel gebrauchen. Wir könnten ebenso gut den Steinmetz streichen – der Zementtechniker würde seine Arbeiten übernehmen. Aber ohne den Plumber gäbe es kein neunzehntes Jahrhundert. Er hat ihm seinen Stempel, aufgedrückt, er ist uns unentbehrlich geworden. Und doch müssen wir ihn französisch benennen. Wir sagen zu ihm: Installateur.

Das ist falsch. Denn dieser Mann ist der Träger der germanischen Kulturanschauung. Die Engländer waren die Hüter und Wahrer dieser Kultur, und daher gebührt ihnen auch der Vorrang, wenn wir für den Mann uns anderwärts nach einer Benennung umsehen müssen. Zudem stammt das Wort aus dem Lateinischen – plumbum, das Blei, und ist daher sowohl für die Engländer als auch für uns kein Fremdwort, sondern ein Lehnwort.

Durch ein und einhalb Jahrhunderte schon beziehen wir unsere Kultur aus zweiter Hand: von den Franzosen. Wir haben uns nie gegen die Führerschaft Frankreichs aufgelehnt. Jetzt, wo wir nun merken, daß wir von den Franzosen düpiert wurden, jetzt, wo wir einsehen, daß die Franzosen die ganze Zeit über von den Engländern am Gängelbande geführt wurden, machen wir gegen die englische, die germanische Kultur Front. Von den Franzosen geleitet zu werden, war uns sehr angenehm; der Gedanke aber, daß eigentlich die Engländer die Führer sind, macht uns nervös.

Und doch hat die germanische Kultur ihren Siegeszug über den ganzen Erdball angetreten. Wer ihr entgegenkommt, wird groß und mächtig: die Japaner. Wer sich ihr entgegenstemmt, wird zertreten: die Chinesen. Wir müssen die germanische Kultur akzeptieren, und wenn wir Deutsche uns noch so sehr dagegen sträuben. Es hilft uns nichts, auch wenn wir Zeter und Mordio gegen die »englische Krankheit« anstimmen. Unsere Lebensbedingung, unsere Existenz hängt davon ab.

Die Engländer lagen etwas abseits vom großen Weltgetriebe. Und wie uns die Isländer den germanischen Mythos durch Jahrtausende treu bewahrt haben, so brach an der englischen Küste und an den schottischen Bergen die romanische Welle, die auch den letzten Rest germanischer Kultur aus den deutschen Landen hinweggeschwemmt hatte. Die Deutschen wurden Romanen im Fühlen und Denken. Nun erhalten sie durch die Engländer ihre eigene Kultur wieder zurück. Und wie der Deutsche immer in bekannter Zähigkeit an dem einmal Erworbenen festhält, so sträubt er sich jetzt auch gegen die englische Kultur, weil sie ihm neu erscheint. Hatte es doch schon Lessing Mühe gekostet, den Deutschen die Größe germanischer Denkungsart zu erschließen. Etappenweise mußte eine Position gegen die verschiedenen Gottscheds genommen werden, und erst neulich tobte der Kampf in der Tischlerwerkstätte.

Unsere Gottscheds und mit ihnen alle Nachahmer französischer Kultur und Lebensgewohnheit stehen auf einem verlorenen Posten. Vorbei ist die Furcht vor den Bergen, vorbei die Scheu vor der Gefahr, vorbei die Angst vor dem Straßenstaub, dem Waldgeruch, der Ermüdung. Vorbei ist die Angst vor dem Schmutzigwerden, die heilige Scheu vor dem Wasser. Als die romanische Weltanschauung noch regierte, zur Zeit des großen Ludwig also, da hat man sich nicht schmutzig gemacht, aber man hat sich auch nicht gewaschen. Gewaschen hat sich nur das gemeine Volk. Die Vornehmen wurden emailliert. »Das muß ein schönes Schwein sein, das sich jeden Tag waschen muß«, sagte man wohl damals ... In Deutschland spricht man wohl noch heute so. Las ich doch erst diese Antwort neulich in den »Fliegenden«, die dort von einem Vater gebraucht wird, als ihm sein kleiner Bub die Verordnung des Lehrers mitteilt, sich täglich waschen zu müssen.

Die Angst vor dem Schmutzigwerden kennt der Engländer nicht. Er geht in den Stall, streichelt sein Pferd, setzt sich darauf und fliegt über die weite Heide. Der Engländer macht alles selbst, er jagt, steigt auf die Berge und sägt Bäume. Das Zusehen macht ihm keine Freude. Auf der englischen Insel hat die germanische Ritterlichkeit ein Asyl gefunden und hat sich nun von neuem die Welt erobert. Zwischen Maximilian, dem letzten Ritter und unserer Epoche liegt die lange Zeit der romanischen Fremdherrschaft. Karl VI. auf der Martinswand! Ein unmöglicher Gedanke! Die Allonge-Perücke und die Alpenluft! Da hätte wohl der Kaiser die Spitzen der Berge nicht als einfacher Jäger besteigen dürfen. Er hätte höchstens, wenn er den für die damalige Zeit seltsamen Wunsch geäußert hätte, in der Sänfte hinaufgetragen werden müssen.

In dieser Zeit hatten die Plumber nichts zu tun und auf diese Weise sind sie auch um ihren Namen gekommen. Wohl gab es Wasserleitungs-Anlagen, Wasser für Springbrunnen, Wasser zum Anschauen. Aber für Bäder, für Duschen, für Waterclosets wurde nicht gesorgt. Zum Waschen ging man mit dem Wasser sehr sparsam um. In den deutschen Dörfern mit romanischer Kultur kann man noch heute Waschbecken erhalten, mit welchen wir schon zu Engländern gewordenen Städter mit dem besten Willen nichts anzufangen wissen. Das war nicht immer so. Deutschland war im Mittelalter durch seinen Wasserverbrauch berühmt. Die großen öffentlichen Badestuben (nur der Bader, der Friseur, ist uns davon mehr übrig geblieben) waren täglich überfüllt, und jedermann nahm täglich mindestens ein Bad. Und während in den späteren Königsschlössern überhaupt keine Bäder zu finden sind, war das Badezimmer im deutschen Bürgerheim der glänzendste und prächtigste Raum des Hauses. Wer kennt nicht das berühmte Badezimmer im Fugger-Hause in Augsburg, dieses Juwel deutscher Renaissancekunst! Und Sport und Spiel und das edle Waidwerk, das alles wurde, als die germanische Weltanschauung maßgebend war, nicht nur von den Deutschen gepflegt.

Wir sind zurückgeblieben. Als ich vor einiger Zeit eine amerikanische Dame fragte, welches ihr der bemerkenswerteste Unterschied zwischen Österreich und Amerika dünkte, antwortete sie mir: The plumbing! Die Installations-Arbeiten. Heizung, Beleuchtung und die Wasserleitungs-Anlagen. Unsere Hähne, Ausgüsse, Waterclosets, Waschtische etc. sind noch weit, weit hinter den englischen und amerikanischen Einrichtungen zurück. Daß wir, wenn wir uns die Hände waschen wollen, erst auf den Korridor gehen müssen, um das Wasser im Kruge zu holen, daß es Toiletten ohne Waschgelegenheiten gibt, das erscheint dem Amerikaner als das auffallendste. In dieser Beziehung verhält sich Amerika zu Österreich wie Österreich zu China. Man wird einwenden, daß es solche Einrichtungen auch schon bei uns gibt. Gewiß, aber nicht überall. Auch in China gibt es englische Waschgelegenheiten, für die Reichen sowohl als für die Fremden. Aber das Gros des Volkes kennt sie nicht.

Eine Wohnung ohne Badezimmer! In Amerika eine Unmöglichkeit. Der Gedanke, daß es am Ende des 19. Jahrhunderts ein Land von Millionen gibt, dessen Einwohner sich nicht alle täglich baden können, wäre für Amerika eine Ungeheuerlichkeit. Daher kann man auch in den niedersten Vierteln New Yorks um 10 Cents im Massenquartier reinlicher und angenehmer schlafen als in unserem Dorfgasthause. Daher gibt es in Amerika nur einen Wartesaal einer Klasse, in dem auch bei dem größten Andrange nicht der geringste Geruch zu verspüren ist.

In den 30er-Jahren machte einer vom jungen Deutschland – es war Laube in den »Kriegern« – einen großen Ausspruch: Deutschland gehört ins Bad. Bedenken wir doch recht: Eigentlich brauchen wir gar keine Kunst. Wir haben ja noch nicht einmal eine Kultur. Hier könnte der Staat rettend eingreifen. Statt das Pferd beim Schwanz aufzuzäumen, statt das Geld auf die Erzeugung der Kunst zu verwenden, versuche man es mit der Erzeugung einer Kultur. Neben Akademien baue man auch Bade-Anstalten und nebst Professoren stelle man auch Bademeister an. Eine höhere Kultur hat schon eine höhere Kunst zur Folge, die dann, wenn sie sich offenbaren will, mit oder ohne Hilfe des Staates zu Tage tritt.

Aber der Deutsche – ich denke nur an die große Allgemeinheit – verbraucht zu wenig Wasser für den Körper und für das Haus. Er tut es nur, wenn er muß, wenn ihm gesagt wird, daß es seiner Gesundheit zuträglich ist. Ein schlauer Bauer in Schlesien und ein schlauer geistlicher Herr in den bayrischen Bergen haben das Wasser als Heilmittel verordnet. Das half. Leute von der ausgemachtesten Wasserscheu pritschelten jetzt im Wasser. Und gesund werden die Leute auch. Das ist ja ganz natürlich. Wer kennt nicht die Geschichte von dem Eskimo, der einem Reisenden gegenüber über ein altes Brustleiden klagte. Der Reisende klebte ihm ein Heftpflaster auf die Brust und verhieß dem ungläubigen Patienten Heilung zum nächsten Tage. Das Pflaster wurde abgenommen, die Schmerzen waren gewichen und damit eine dicke Schmutzschicht, die an dem Pflaster hängen geblieben war. Eine Wunderkur!

Traurig ist, daß viele Menschen nur mit Hilfe solcher Mittel zum Waschen und Baden zu bewegen sind. Wäre das Bedürfnis allgemein vorhanden, der Staat müßte ihm Rechnung tragen. Und wenn nicht jedes Schlafzimmer seinen eigenen Baderaum hätte, so müßte der Staat Riesenbäder bauen, gegen welche sich die Thermen des Caracalla wie eine Badestube ausnehmen würden. Der Staat hat ja ein Interesse daran, das Reinlichkeitsbedürfnis im Volke zu heben. Denn nur jenes Volk kann wirtschaftlich mit den Engländern gleichen Schritt halten, das diesen im Wasserverbrauche nahe kommt; nur jenes Volk ist berufen, die Weltherrschaft von den Engländern zu übernehmen, das diese im Wasserverbrauche übertreffen wird.

Der Plumber aber ist der Pionier der Reinlichkeit. Er ist der erste Handwerker im Staate, der Quartiermacher der Kultur, der heute maßgebenden Kultur. Jedes englische Waschbecken mit dem Wassereinlauf und Abguß ist ein Merkmal englischen Fortschrittes. Jeder englische Herd mit seinen Einrichtungen für das Braten und Rösten des Fleisches am offenen Feuer ist ein neuer Sieg des germanischen Geistes. Auch auf der Wiener Speisekarte macht sich eine solche Umwälzung bemerkbar. Der Verbrauch des Roastbeefs, der am Rost gebratenen Steaks und Cutlets wird immer größer, während der Verbrauch des Wiener Schnitzels und Backhendels, dieser italienischen Gerichte, und der geschmorten, gekochten und gedünsteten französischen Speisen immer mehr zurückgeht.

Auch der Herd gehört zur Bietung des Plumbers, und wir sehen in der Abteilung des Niederösterreichischen Gewerbevereines in der Rotunde eine Hotel- und Herrschaftsküche vom Hofmaschinisten Preynößl mit allen erforderlichen Herden aufgestellt, die einen Ruhepunkt in dem Hexensabbat bildet, den die verschiedenen Stile in dieser Abteilung der Jubiläums-Ausstellung aufführen. Die Herde sind wohl das Beste, was uns in dieser Beziehung vorgeführt wird. Man sieht sofort, daß wir, wenn auch weniger auf Reinlichkeit, so doch aufs gute Essen halten. Das Musterstück liefert wohl die Firma Kurz, Rietschel & Henneberg in Gestalt eines Admirals-Kochapparates für den Panzerkreuzer »D«. Da gibt's kein Ornament, nichts Überflüssiges, nur die reine, korrekte Form, und diese, verbunden mit dem spiegelnden blanken Messing, wird in jedem modern denkenden Menschen jenes Gefühl der befriedigenden Freude hervorrufen, die man sonst nur bei absoluten Kunstwerken empfindet. Mir geht es wenigstens so, und ich glaube, daß sich auch bald andere finden werden, die den Mut haben, das einzugestehen. Leider ist auch hier zu berichten, daß eine der hervorragendsten Firmen dieser Branche ihre Sparherde mit goldbronzierten gußeisernen Akantusblättern versehen hat. Schrecklich! Auch Joseph Heinrich hat wohl mit seinem Herd über das Ziel hinausgeschossen. Der Herd verträgt heute auch nicht mehr das diskreteste Ornament. Der einzige Schmuck der Küche – und das gilt auch für die Küchenmöbel – ist die Reinlichkeit.

Die eisernen Öfen leiden wohl alle auch an dem Übelstande, daß man das Problem ihrer Konstruktion in den verschiedenen Stilen lösen will. Das geht natürlich nicht. Einen Ofen neuester Konstruktion machen die paar aufgeschraubten Rokokoschnörkel noch nicht zum Rokoko-Ofen. Die einfachsten Objekte wirken auch hier wieder am vornehmsten und sind daher die besten. Hier zeichnen sich Hofmaschinist Rudolph Geburth aus, H. Heim, Eduard Mattausch, die Olmützer Gesellschaft »Moravia«, Lambert Reifschneider, die Gesellschaft »Helios« – hier nur der in Messing montierte Kachelofen – Joseph Viktorin und der ganz versteckte Tobias Streicher, der trotz einzelner kleiner Mängel in der Form doch die elegantesten und geschmackvollsten Öfen (Kachel und Messing) zur Ausstellung gebracht hat.

Am schwächsten sind wohl unsere Bade-Einrichtungen. Statt die Wanne mit weißen Kacheln auszukleiden, nimmt man hierzulande lieber farbige, damit, wie mir ein Fabrikant – er hat nicht ausgestellt – naiv versicherte, der Schmutz weniger gesehen werde. Die Blechwannen werden, statt mit weißer Farbe, der einzigen, die dafür taugt, auch dunkel emailliert. Schließlich gibt es Blechbadewannen, die den Schein erwecken wollen, daß sie aus Marmor bestehen. Es gibt Leute, die das glauben, denn auch diese marmorierten finden ihre Käufer. Auch für jene braven Leute, die noch auf dem Indianer-Standpunkte stehen – bekanntlich ornamentiert der Indianer alles, was ihm erreichbar ist – wurde bestens vorgesorgt. Man findet Rokoko-Ventile und Rokoko-Hähne und auch einen Rokoko-Waschtisch. Ein wahres Glück ist es, daß einige Firmen sich auch der Nichtindianer angenommen haben. So sehen wir bei M. Steiner vorzügliche, ganz glatte und daher elegante amerikanische Kopfduschen – eine neue Erfindung – und bei G. Esders tüchtige und korrekte Einrichtungen sowohl in Form wie in Farbe. Vom rein technischen Standpunkte wäre noch erwähnenswert, daß die Kurbelventile in der Plumberei jetzt, im Zeitalter der Radventile, gar keine Berechtigung mehr haben. Das ist ein alter Zopf, der abgeschnitten zu werden verdient. Das Kurbelventil ist nicht billiger, hat jedoch eine frühere Abnützung und viele andere Unzukömmlichkeiten zur Folge. Wenn aber unsere Plumber nicht wollen, so möge das Publikum in seinem eigenen Interesse nachhelfen und auf die Anbringung von Radventilen dringen.

Die Hebung des Wasserverbrauches ist eine der dringendsten Kulturaufgaben. Mögen dabei unsere Wiener Plumber ihre Pflicht voll und ganz erfüllen, um uns dem großen Ziele näher zu bringen, mit den übrigen Kulturvölkern des Abendlandes auf derselben Kulturhöhe zu stehen. Denn sonst könnte uns etwas sehr Unangenehmes, etwas sehr Beschämendes passieren. Sonst könnten – wenn nämlich beide Völker in demselben Tempo vorgehen – die Japaner die germanische Kultur früher erreichen, als die Österreicher.


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