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37. Ein Schlangenbiß

Am Abend des 9. Novembers begaben sich Ulrich und Friedrich an den Waldsaum in die Nähe des Flusses, um womöglich ein Wild zu erlegen, denn der Genesende sollte seinen Braten zum Nachtessen haben; wußten sie doch, wie viel Wert er sogar in gesunden Tagen auf ein saftiges Stück Fleisch legte.

Mehrere Krokodile, die sie erblickten, verschmähten sie, da ihnen Krokodilbraten ein zweifelhafter Genuß schien; anderes Wild aber wollte sich nicht zeigen. Die Affen, die zu ihren Häupten umhersprangen und lärmten, kamen ja für sie nicht in Betracht.

Da es noch ziemlich hell war, konnten sie übrigens hoffen, daß noch genug jagdbare Tiere zu späterer Stunde erscheinen würden; sie mußten sich nur gedulden, und das waren sie als Jäger gewohnt.

Ihre Geduld wurde jedoch auf keine lange Probe gestellt. Kaum zwanzig Schritt von ihnen schlüpfte bald ein Geschöpf aus der Erde, das einem Meerschweinchen glich, jedoch ein Meter in der Länge maß. Es war dick und mit kurzem seideglänzendem Haar bedeckt; die kahlen Ohren gespitzt, lauschte es eine Zeitlang gespannt; dann richtete es sich auf den langen Hinterläufen wie ein Hase auf und äugte mit den großen braunen Augen scheu im Kreise umher. Als es nichts Verdächtiges wahrnahm, begann es, sich ganz nach Katzenart mit den kurzen Vorderpfoten zu putzen; dann spähte es wieder eine Weile sorgsam umher und stieß endlich einen rollenden Pfiff aus. Gleich darauf erschienen noch zwei Tiere derselben Art am Ausgang der kleinen Höhle, aus der das erste geschlüpft war.

Ulrich und Friedrich gaben nun gleichzeitig Feuer, und als sich hierauf zwei der Tiere überschlugen, streckten sie unverzüglich auch das dritte mit einem zweiten Doppelschuß zu Boden. Die Flinten überwerfend eilten sie dann auf ihre Jagdbeute zu. Ihre Opfer waren ihnen völlig unbekannt, doch vermuteten sie, daß dieselben einen guten Braten abgeben würden.

Ulrich erreichte bald den Platz, wo alle drei schon verendet lagen, während Friedrich sich mit dem Fuße in eine Schlingpflanze verwickelte, und da er mitten im Laufe war, lang hinfiel, so daß sein Gewehr ein paar Schritte weit weggeschleudert wurde.

Behende richtete er sich sofort wieder auf; aber vor ihm erhob sich gleichzeitig der breite Kopf einer etwa drei Meter langen Schlange. Offenbar war Friedrich im Falle auf die Schlange geraten, und diese blies nun in höchster Wut den widerlichen, plattgedrückten Kopf auf, der einer Riesenkröte glich und mit dem dick aufgeblähten Halse zu einer Masse verschmolz.

Der bedrohte Knabe erhob abwehrend den Arm und sprang vollends auf die Füße; aber mit einer blitzschnellen Bewegung fuhr ihm das häßliche Reptil ans Handgelenk, in das es die scharfen Zähne tief einschlug.

Inzwischen hatte Ulrich sich nach dem zurückbleibenden Bruder umgesehen und zu seinem Entsetzen die hochaufgerichtete Schlange bemerkt. Rasch lief er herbei, da er von seinem Standpunkte aus nicht auf das Reptil schießen konnte, ohne gleichzeitig auch Friedrich zu treffen. Aber noch ehe er Hilfe bringen konnte, hing schon das abscheuliche Tier am Arme seines Opfers. Ohne sich zu besinnen, umklammerte Ulrich rasch den dicken Hals der Schlange mit beiden Händen und preßte ihn so fest zusammen, daß die Unholdin den Rachen weit aufriß und Friedrichs Arm fahren ließ.

Zugleich führte sie aber mit dem Leib so gewaltige Bewegungen aus, daß Ulrich bald merkte, er werde sie nicht mehr lange so festhalten können – und was dann?

Doch Friedrich riß, sobald er sich befreit fühlte, sein Jagdmesser aus dem Gürtel und bearbeitete den giftgeschwollenen Kopf der Natter mit wuchtigen Stößen. Die heftigen Windungen und Zuckungen des muskelstarken Leibes wurden immer schwächer, und so gelang es Ulrich, das verblutende Scheusal vollends zu erdrosseln, bis seine gänzliche Erschlaffung anzeigte, daß seine letzte Lebenskraft entflohen war.

»Hoffentlich ist es keine Giftschlange,« sagte Ulrich in großer Besorgnis.

Friedrich schwieg. Er verhehlte sich nicht, daß der Biß unter Umständen lebensgefährlich sein konnte, denn bereits begann sein Arm unter heftigen Schmerzen anzuschwellen.

Rasch beluden sich die Brüder mit ihrer Jagdbeute nebst der toten Schlange und eilten zum Lager zurück, das glücklicherweise nicht weit entfernt war. Dort loderten bereits die Feuer.

Als Matatoa das Wild erblickte, das die jungen Jäger herbeitrugen, stieß er einen Freudenruf aus: »Paka, Paka! Das sind Leckerbissen!« Auch Schulze erkannte das wilde Riesenkaninchen Venezuelas und freute sich bereits auf die köstlichen Mahlzeiten, die es heute und am Sonntag geben würde. Von den Venezolanern wird das Paka »Lapa« genannt.

Diese Feinschmeckerbetrachtungen unterbrach jedoch ein Schrei des Entsetzens, den Unkas ausstieß, als Friedrich nun auch die tote Schlange zu Boden gleiten ließ.

» Culebra sapa, die Krötenschlange!« rief er aus. »Die giftigste aller Schlangen! Sie hat doch keinen der jungen Herren gebissen?!«

Stumm wies Friedrich auf seinen geschwollenen Arm, den er kaum mehr zu bewegen vermochte.

»Schnell, schnell!« rief Unkas, indem er einen Feuerbrand ergriff. »Wenn wir den Guaco morado nicht finden, so ist unser guter Sennor verloren. Das Gift wirkt ungeheuer rasch.«

Und schon war er auf und davon, gefolgt von Ulrich, der, ebenfalls mit einem brennenden Scheit bewaffnet, in seiner Herzensangst ihm nachstürmte, ohne zu bedenken, daß seine Begleitung für Unkas eigentlich nutzlos war, da er keine Ahnung hatte, welcher Art das Heilmittel sei, um das es sich handelte, und wo man es finden könne. Es beseelte ihn eben der einzige Gedanke, daß rasche Hilfe not tue, und daß er nicht untätig verweilen dürfe, wo es des Bruders Leben galt.

Inzwischen griff Schulze zu seiner Reiseapotheke und entnahm ihr ein Fläschchen Salmiakgeist. Er rieb Friedrichs Wunde tüchtig mit der Flüssigkeit ein, füllte sodann einen Becher mit starkem Rum, unter den er auch etwas Salmiak mischte, und reichte ihn dem Jüngling mit den Worten: »Da, trinken Sie rasch und auf einen Zug aus! Es ist das sicherste Mittel gegen den Biß einer Giftschlange. Der Alkohol beugt einer Herzlähmung vor, und Ammoniak ist das wirksamste Gegengift. Wenn Unkas auch den Guaco finden sollte, dessen Heilkraft allerdings unbestritten ist, so dürfte er doch viel zu spät damit kommen, um Ihnen noch helfen zu können.«

Unkas drang unterdessen, von Ulrich gefolgt, immer tiefer in den Wald ein. Er jammerte in einem fort über die Erfolglosigkeit seines Suchens. Plötzlich aber rief er freudig aus: »Cobalongo!« indem er auf einen mächtigen Baum wies, dessen Stamm mindestens fünfzig Meter hoch war und von breiten brettartigen Luftwurzeln getragen wurde, die Wänden glichen. Diese Wurzeln nahmen einen Raum von etwa zwanzig Metern im Umfange ein und vereinigten sich in einer Höhe von fast sieben Metern zu dem etwa acht Meter umfassenden Stamm. Stamm und Wurzeln waren von einer Unzahl Schlingpflanzen umsponnen.

»Wenn wir hier den Bejuco del Guaco nicht finden, dann finden wir ihn überhaupt nicht,« murmelte der Indianer, mit der Fackel am Boden hinleuchtend. »Aber hier, hier! Ich wußte es ja!« Und hastig griff er nach einer auf der Erde hinkriechenden Schlingpflanze und riß eine Menge der breiten eirunden Blätter ab, die oben dunkelgrün, auf der Rückseite schön violett gefärbt waren.

Ulrich beeilte sich, auch einen Vorrat der wertvollen Blätter zu sammeln; dann aber jagten beide wieder zurück, daß Funken von ihren beinahe abgebrannten Fackeln stoben. Unkas' natürlicher Ortssinn ließ sie den kürzesten Weg finden.

Zu ihrer Freude fanden sie bei ihrer Ankunft am Lagerplatz Friedrich ganz munter.

Schulze erklärte ihn für gerettet, Unkas jedoch schüttelte den Kopf. »Er muß dennoch sterben, wenn er den Guaco nicht trinkt,« versicherte er und zerhackte einige Blätter, die er in einer Schale Rum Friedrich zu schlucken gab; hierauf rieb er noch die Wunde mit dem grünen Blattsafte ein.

Der reichliche Alkoholgenuß machte Friedrich schwindeln; kaum konnte er noch einige Bissen des herrlichen Pakabratens genießen, den Matatoa inzwischen zubereitet hatte, dann mußte er in seine Hängematte gehoben werden, die er nicht mehr selber erklettern konnte; dort verfiel er sofort in festen Schlaf.

Die anderen ließen sich das Mahl noch schmecken; dann lagerten sie, aus den Pfeifen qualmend, um das Feuer, und Schulze lobte immer und immer wieder den vorzüglichen Kaninchenbraten, der alle Küchengenüsse übertreffe, für die er bisher geschwärmt habe.

Unkas erzählte hierauf von dem wunderbaren Schlangenvogel, der, so groß wie eine Taube und von der Gestalt eines Sperbers mit gabelförmigem Schwanz, die gefährlichsten Giftschlangen angreife und sich durch Fressen der Blätter der Guacomorado-Liane gegen deren Bisse feie. Sein Schrei lautet deutlich »Guaco, Guaco!« und hat ihm selber, sowie der seltenen Schlingpflanze, deren unschätzbare Eigenschaften durch ihn den Menschen bekannt wurden, den Namen gegeben.

Am Sonntagmorgen erwachte Friedrich gekräftigt und munter; er spürte nicht die geringsten nachteiligen Folgen von dem Schlangenbisse, und die Zahnspuren begannen bereits zu vernarben.

Strittig blieb es, ob der Salmiakgeist mit dem Alkohol, wie der Professor behauptete, oder der Guaco, den Unkas für das einzige Heilmittel hielt, diese vorzügliche Wirkung hervorgebracht hatte. Friedrich meinte: »Doppelt g'näht hebt gut!« und erklärte, seine Rettung Schulze und Unkas gleicherweise zu verdanken.

Matatoa zog der Schlange die Haut ab, die Friedrich zum Andenken an die überstandene Todesgefahr mitnehmen wollte. Unkas trocknete die übrigen Guacoblätter an der Sonne, damit, wenn je ein ähnlicher Unfall wieder vorkäme, sofort der unfehlbar heilkräftige Tee daraus bereitet werden könne. Denn als Tee wird der Guaco gewöhnlich verabreicht, und nur in besonders dringenden Fällen begnügt man sich damit, die Blätter im Alkohol zu genießen.

Der Sonntag wurde in Stille und Ruhe gefeiert, und die Paka lieferten wiederum die Würze der Mahlzeiten.

Sowohl Schulze wie Friedrich fühlten sich so lebenskräftig, daß der Aufbruch für die ersten Morgenstunden des Montags in Aussicht genommen werden konnte. Alle waren gründlich ausgeruht und freuten sich, mit frischen Kräften die Reise wieder anzutreten.

Keiner von ihnen ahnte, daß der unfreiwillige Aufenthalt sie vor einem unliebsamen, vielleicht gefährlichen Zusammentreffen mit den drei Mestizen bewahrt hatte. Diese waren unseren Freunden nur noch um ein geringes voran und wußten ebensowenig, wie nahe ihnen die verhaßten deutschen Jünglinge waren.


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