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20. Kapitel.
Drei sind, die da zeugen im Himmel


Ein Herr und Heiland, den wir jauchzend grüßen
Zu Bethlehem im sel'gen Weihnachtslicht!
Ein Gotteslamm, dem wir zu Füßen fallen,
Wenn unsre Sünde uns das Herz zerbricht;
Ein Geist, der unsre Herzen straft und tröstet,
Der sie erquickt und hält auf ew'gem Pfad –
Ein Gott, ein lieber Vater unser aller,
Der seiner Kinder sich erbarmet hat.

In derselben Stunde, als Florian Sylvester die Jungfrau im Mönchsgewande über die verschneiten Felder nach Neubrandenburg führte, saß in der Blutstraße in seinem Studiergemach Georg Maltzan und schrieb. Eine schwere Arbeit war's. »Wie dünket euch um Christo? Weß Sohn ist er?« lautete das Thema.

Was dem Professor in den Sinn gekommen war, diese Frage in einem Kreise, der zum wenigsten aus Studenten der Theologie bestand, aufzuwerfen – er wußte es nicht. Wohl hundertmal hatte er die Arbeit beiseite gelegt, wer zwang ihn, eine Schrift abzufassen, deren Inhalt ihm zuwider war; niemand hatte das Recht, ihm auch nur den geringsten Vorwurf zu machen, wenn er sie unbeachtet ließ. Aber – und das war's, was ihn immer wieder zu dem verhängnisvollen Thema hinzog – würden sich nicht Aller Blicke auf ihn richten, ihn, auf den alle Professoren mit Stolz und Anerkennung, alle Studenten mit Bewunderung und Neid blickten, wenn er auf diese Himmel und Erde bewegende Frage keine Antwort gab – keine oder eine, vor der ihm selber graute!?

Müde stützte er das Haupt in die Hand und sah mit trübem Blick in die Glut im Kamin. Ein Zug tiefer Trauer lag auf den männlich schönen Zügen, ein Leid eingebrannt in die Tiefen der Seele, wie die Schrift im Gestein, die bestimmt ist, ein Menschenleben zu überdauern. Ein Zug des tiefsten Elends stand in diesem jungen Antlitz, den kein frohes Wort, kein Sang und Spiel vertrieb, – seit die Braut ihm um seines Unglaubens willen das Jawort zurückgegeben, war's mit seinem Frohsinn aus, schwermütig und müde zog er seine Straße. Das Einzige, was ihn noch fesselte, war sein Studium, dem er sich auch vielleicht deshalb mit ganzer Seele hingab, um sein Leid eine Weile zu vergessen und das Schlagen seines Gewissens, welches ihn um seines weggeworfenen Bekenntnisses willen anklagte, zu übertäuben. Lange Zeit schien ihm dies auch zu gelingen. Er arbeitete bis in die Nächte hinein, begab sich auf jedes Gebiet und forschte und grub, bis er seine Tiefen ergründet, – nur ein Gebiet blieb ihm fremd, und weil er sein trotziges Herz vor dem, dessen Herrlichkeit noch kein Mensch ergründet, nicht beugen wollte, weil der Glaube ihm ein ungekanntes und unbegehrtes Ding war, so blieb ihm, dessen scharfer Verstand sonst alles erfaßte, das verborgen, was schon dem Kindlein auf der Mutter Schoß lieb und heilig ist.

Georg Maltzan wühlte sich selber immer tiefer in den Unglauben hinein; sein Bekenntnis: Ich glaube an Gott! war ein bloßes Lippenwerk, obgleich er sich einbildete, daß er an ihn glaubte, und in der Tiefe seiner Seele auch wohl noch ein Funken Gottesbewußtsein schlummerte. Die Heilsthatsachen waren ihm ein reines Dogma, das innere Leben eines Christen eine phantastische Gefühlsschwärmerei, das Wort ›Sünde‹ die durch blinde Fanatiker eingeführte Herabwürdigung der erstgeschaffenen Kreatur – kurz, es war wenig von dem übrig geblieben, was der Knabe einst zu den Füßen frommer Eltern empfangen.

Seufzend erhob er sich, die Arbeit endgültig von sich schiebend – was sollte das lange Brüten über einer Sache, die sein Herz nichts anging, die sein Verstand als unbeachtenswert verworfen hatte.

Dann nahm er Mantel und Barett von der Wand und eilte die Treppen hinab auf die Straße. Dichter Schnee wirbelte ihm entgegen; ohne zu wissen, wohin er wollte, stürmte er vorwärts. Eine Unruhe hatte sich seiner bemächtigt, von deren Grund er sich keine Rechenschaft geben konnte und wollte – sie war schon manchmal an seiner Thür gewesen, aber er hatte sie immer auf irgend eine Weise zu verscheuchen gesucht. Heute jedoch war's ihm unmöglich. Gedanken wurden in ihm aufgewirbelt in dieser Neujahrsnacht, Gedanken über Gericht und Ewigkeit, über Glauben und Unglauben, – grauenvolle Gedanken über ein weggeworfenes Bekenntnis und verachtete Gottesgnade. War der Satan hinter ihm drein, oder was packte ihn? In den ersten Jahren seiner Studienzeit war er noch manchmal in Gottes Haus gegangen. Von der Kanzel der alten Petrikirche herab klang aus dem Munde eines Nicolaus Slüter das Evangelium rein und unverfälscht. Mit unerschrockenem Mute predigte der ›schwarze Ketzer‹ So nannten ihn seine Feinde wegen seines starken, schwarzen Haarwuchses. Luthers Lehre und brachte ein leuchtend Bekenntnis von der Gnade und Liebe Gottes in Christo ohne Scheu ans Licht. Seine volkstümliche, plattdeutsche Redeweise half ihm, bald festen Anhang zu finden, und die in gleichem Maße wachsenden Anfeindungen der katholischen Partei hinderten ihn nicht im Fortführen seiner Sache.

Lange war's her, seit Georg Maltzan unter der Kanzel des schwarzen Ketzers gesessen, aber die Worte, die er damals vernommen, hatte die Zeit nicht ausgelöscht.

Ein sonniger Apriltag war's, die Glocken von Sankt Peter hatten den Sonntag Quasimodogeniti eingeläutet, und die knospenden Bäume blickten durch die bunten Kirchenfenster, wo der mecklenburgische Reformator einem großen Volk das Wort des Lebens verkündete. Eine gewaltige Predigt war's, auf Grund der Epistel des ersten Sonntags nach Ostern, 1. Joh. 5, 4-10, mit ihrem weltüberwindenden Zeugnis von der Dreieinigkeit. Ein heiliges, unumstößliches, apostolisches Wort war's, das ihnen gebracht wurde, das fühlten sie alle, die an jenem Sonntag in Sankt Peters Kirchenstühlen mit angehaltenem Atem saßen – und die, welche aus Neugier gekommen, um die Rednergabe des geistvollen Mannes zu bewundern, die sich hereingedrängt hatten im Unglauben, um das Heiligste zu verspotten und zu verlästern – am allerschärfsten traf es sie – wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt, fiel das Bekenntnis des Gottesknechtes auf den Unglauben nieder und vernichtete das Lügengewebe seiner Entschuldigungen.

»Drei sind, die da zeugen im Himmel! Der Vater, das Wort und der heilige Geist, und die drei sind eins!« klang es mit unumstößlicher Gewißheit von Sankt Peters Kanzel.

»Ihr habt keinen Gott und Vater im Himmel, so ihr nicht den als euren Herrn und Meister anbetet, der unser armes Fleisch und Blut angenommen, der unsere Sünde getragen und uns mit seinem Blut das Kindesrecht am Vaterherzen Gottes erworben, – ihr habt keinen Heiland, so ihr nicht glaubet an den heiligen Geist, so ihr ihm nicht eure Herzen öffnet, daß er euch versiegele das Kleinod eures Heils! – Nur einer zeigt uns unseren Heiland, nur einer öffnet unsere blinden Augen, Gottes Heilsrat zu erkennen und sein Erbarmen über unserer Schuld zu sehen, – nur einer reißt uns aus dem Schlamm der Sünde und stellt uns auf den Weg des Friedens, – der Geist des Lebens und der Gnade, der zum erstenmal im Taufwasser das in Sünden Empfangene und Geborene heiligt und ihm sein Kindschaftsrecht im Himmel verspricht.

Denn niemand kann Jesum einen Herrn heißen, ohne durch den heiligen Geist, ohne seine Zucht, seine Strafe, seinen Trost, seine Versiegelung der Gewißheit seines Heils, und weiter – wer den Sohn nicht kennt, der sein blutüberströmtes Kreuz zur Sühne für unsere Sünde vor Gott gebracht, wer ihm nicht huldigt als seinem König und Erlöser im Glauben und Gehorsam, der sieht nur den Richter und Rächer seiner Sünde in dem, der das Liebste für ihn hingab. Der hat nichts – der ist bettelarm, wenn er abgerufen wird, nichts, damit er bedecken kann der Sünden Menge, nichts, das ihn rettet von dem entsetzlichen Endurteil: ›Gehet hin von mir, ihr Verfluchten!‹

Drei zeugen im Himmel – drei sind's, die da zeugen auf Erden: der Geist in dem Wort, dem lebendigmachenden des Evangeliums, damit er uns erleuchtet und die tiefen Schäden unserer Sünde aufdeckt, damit er das Verlorene zurückruft zu dem Hirten und Bischof seiner Seelen – – Das Wasser, nämlich das Wasser der heiligen Taufe, das gnadenreiche Bad des Lebens und der neuen Geburt im heiligen Geist, das uns einsetzt in das ewige Erbe und uns zu Gottes Kindern macht – –

Das Blut, das teure, für uns vergossene am Stamm des Kreuzes, das uns täglich reinigt von aller Sünde, das uns im Sakrament die Vergebung unserer Sünde versiegelt zum ewigen Leben, zur seligen Gemeinschaft mit ihm, der das Verlorenste sucht und Einkehr bei ihm hält.

Dies alles zielt auf den Kern und Stern unsres Christenglaubens zurück: daß wir einen Heiland haben, der uns das ewige Leben schenkt – allen, die an ihn glauben. Nur der überwindet, der an den Sohn Gottes glaubt, das heißt, der ihn hat, der sich im Vollbesitz seiner Heilandsliebe weiß und dem Herrn unumschränkte Gewalt über sein Herz einräumt.

Du betrügst dich selbst, wenn du sagst, du glaubtest an Gott, als an deinen Vater, so lange du die Gottessohnschaft Jesu Christi leugnest, du trittst dein Heil mit Füßen, wenn du dem Manne mit der Dornenkrone deine Anbetung verweigerst und ihn unter die sündigen Söhne des ersten Adams zählst, ob du ihn zur Entschuldigung deines Unglaubens den Edelsten deines Volkes nennst, du verachtest dein eigenes Heil, und trittst gotteslästernd vor den Gesalbten des Herrn.

Du bist nichts ohne ihn, du hast nichts ohne ihn – nichts als die Zentnerlast deiner ungesühnten Sünde und den Lohn, der ihrer wartet: ›Hinweg, ich kenne dich nicht!‹« – Ja, es lebte in seiner Seele das Wort des schwarzen Ketzers! Eingebrannt war's in die tiefsten Tiefen seines Herzens und machte seine Macht geltend – oft, nur zu oft – aufrüttelnd, verklagend, mahnend! – –

Und wieder trat's heute vor seine Seele – ein ernster Bote in der Sylvesternacht. Jahre waren vergangen, seit sie, die er mehr geliebt als sein Leben, vor ihn getreten war und ihn mit bebenden Lippen gefragt: Jürg, glaubst du an den Heiland oder suchst du ihn? seit sie die vernichtende, ihr ganzes Lebensglück zertrümmernde Antwort aus seinem Munde vernommen: Nein – ich suche ihn nicht! Noch sah er sie vor sich, wie sie marmorweißen Angesichts den Brautring von der Linken streifte, noch sah er den Blick voll Jammer und Elend, als sie das Gemach verließ und mit eigener Hand die Thür des Hochzeitssaales verschloß – und doch hatte er nicht anders gekonnt – ob es ihn selbst fast in die Nacht des Wahnsinns getrieben – er konnte nicht unwahr werden, am allerwenigsten gegenüber dieser tiefen, heiligen Liebe.

Aber hatte er denn die volle Wahrheit gesprochen, suchte er wirklich nicht den Heiland, irrte sein Herz nicht verzweifelt umher und griff nach Stützen, die zerbrechen mußten, wenn der Tod bei ihm anklopfte? Warum war sein Friede dahin, seit er nicht mehr an die heiligen Geschichten glauben wollte, die ihm die Mutter einst erzählt? Mit dem Glauben war sein Friede verschwunden – nicht einmal zufrieden war er mehr – sondern ein am Leben Verzweifelnder. Zurück konnte er nicht – wie hätte er das ergreifen können, was er verworfen – unmöglich! Und wer bürgte ihm dafür, daß das Verachtete für ihn noch Kraft und Trost enthielt? Warum ließ es ihm keine Ruhe, das Wort jenes Mannes am Predigtamt von St. Peter? Donnernd klopfte es immer wieder an, und das weltüberwindende Bekenntnis: »Drei sind, die da zeugen im Himmel,« trug immer wieder seine erschütternd heilige Wahrheit in seine dunkle Seele. Sein Grübeln und Deuteln, es half ihm nichts, immer wieder hämmerte es in seinem Gewissen. Du hast keinen Glauben, wenn du nicht an die Dreieinigkeit glaubst, dein Bekenntnis »Ich glaube an Gott« nützt dir nichts und fordert dich nur vor seinen Richtstuhl! Drei sind, die da zeugen im Himmel!

»Du hast das Wort Gottes empfangen rein und unverfälscht!« hatte Ilsabe ihm vorwurfsvoll zugerufen, ehe sie sein letztes Wort vernahm. Ein gewaltiger Ernst lag in diesem Ausspruch, hätte er es nie empfangen, so läge jetzt nicht die Last der Verantwortung für seine Seele auf ihm – und doch – was gingen ihn, der nichts glaubte, die Worte Gericht und Ewigkeit an? Waren sie nicht die Traumgebilde erregter Gemüter? Noch keiner war zurückgekommen von jenseits der Erde – wer bürgte ihm für ein ewiges Leben?

Mit der Flut verzagter und trotziger Gedanken wanderte er durch die verschneiten Straßen, ziellos – über sich Schneetreiben und Sylvestergeläut.

Über den Marktplatz eilte er, tief verschneit blickte das alte Rathaus im Spitzbogenstil in die Winternacht hinaus, menschenleer war der weite Platz, einsam stand der Brunnen, und die Flocken rieselten auf die stillen, steinernen Gestalten, die ernsten Angesichts das zugefrorene Gewässer bewachten. Einige verspätete Kirchgänger eilten in warmer Gewandung durch die Straßen; finster blickte er ihnen nach – drüben schimmerten St. Petri helle, bunte Scheiben, und drinnen sammelte sich das Volk, um der Sylvesterpredigt Slüters zu lauschen. Die Thür des Gotteshauses stand offen, ernster Orgelton traf sein Ohr: »Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen,« tönte es ergreifend durch die Nachtstille, mahnend an das Ende und die letzten Dinge.

Vorüber wollte er, aber die wunderbare Melodie zog ihn hinein, er wußte selber nicht wie. Unter dem Orgelchor in der Thür blieb er stehen – er konnte den Blick des Mannes auf jener Kanzel nicht ertragen, diese Augen hatten sich schon einmal mit ihrem ganzen, tiefen Ernst in die seinen versenkt, dieser Mund schien seine Worte immer gerade an ihn zu richten, – und sie hinterließen immer einen Stachel.

Ein kurzes Wort hatte Nikolaus Slüter zum Text gewählt: Mark. 13, 31: Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. Er legte seiner Gemeinde dasselbe in schlichter, ergreifender Weise aus. Anknüpfend an den raschen Flug der Zeit, die ein Jahr nach dem andern dahinrafft, rief er ihr ein ernstes Mahnwort zu, des Todes und der Ewigkeit gedenkend, ein an das Gericht erinnerndes, das der Herr halten werde, wenn nach seiner Verheißung Himmel und Erde vergangen. »Nichts bleibt als das Wort unseres Gottes,« schloß er, »keines seiner Worte wird vergehen, keine seiner Verheißungen trügen, weder die des Gerichts noch die der Gnade. Und wenn heute der Verworfenste vor ihn tritt mit dem Zöllnergebet auf den Lippen, der Heiland lebt noch, der die armen Sünder annimmt, das Wort gilt noch heute für dich und mich: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen!«

Der Segen war gesprochen, still und ernst verließ die Gemeinde das Gotteshaus. Am Pfosten unter dem Chor aber stand ein Mann, bebend vor tiefer seelischer Erregung, und weinte wie ein Kind.

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