E. Marlitt
Die zweite Frau
E. Marlitt

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13.

Sie wandte sich schweigend ab und betrat einen Weg, der am Jägerhäuschen vorüber nach dem Walde lief. Hinter den Scheiben des Küchenfensters sah sie Frau Löhn am Herde stehen, und nicht weit von ihr tauchte Gabriels blasses Gesicht wie ein Schemen aus einer dunklen Ecke auf; dahin war er vorhin geflüchtet, als ihn der Hofmarschall während der Debatte mit einer heftig fortscheuchenden Bewegung aus dem Kreise der Hochgeborenen verwiesen hatte ... Es war ein arger Mißgriff ihrerseits gewesen, zu gunsten des Knaben zu sprechen – sie hatte damit seine Lage unzweifelhaft verschlimmert und dabei »ihr Genick gebrochen«, wie ihr eben der Hofmarschall triumphierend und unfein versichert – die widerwillig geduldete »zweite Frau« hatte mit diesem Schritt ihre Stellung dermaßen erschüttert, daß es nur eine Frage der Zeit war, wann sie in ihre Heimat zurückkehre ... Bei diesem Schluß atmete sie wie befreit auf, ein blendendes, hochbeglückendes Licht fiel in ihre Seele – jetzt ging der Anstoß zur Trennung von der anderen Seite aus, jetzt brauchte sie selbst nicht Hand anzulegen, um die Kette abzustreifen, in die sie, von einem grenzenlosen Irrtume befangen, selbst den Kopf gesteckt hatte. Jetzt freute sie sich des Mutes, mit welchem sie diesen orthodoxen Teufelsgläubigen ihre Ueberzeugung ins Angesicht geschleudert hatte – war nicht jedes Wort ein zerschmetternder Schlag auf Mainaus Verdummungsprogramm gewesen? ... In ihren Händen konnte er unmöglich die Sorge für den Hausfrieden, die Erziehung des Erben von Mainau belassen, wenn er verreiste; das litt schon der Hofmarschall nun und nimmer, und ihm selbst war sicher auch das Verlangen danach vergangen. Er brauchte auch das widerwärtige Aufsehen nicht mehr zu berücksichtigen – zum Eklat war es ja eben am Kaffeetische gekommen ... Frei werden! ... Dort das verhaßte Schloß, in welchem sie schon so viel gelitten, erschien ihr von einem versöhnlichen Schimmer umgeben; sie wollte die hier verlebte Prüfungszeit, wenn sie einmal hinter ihr versunken war, für einen schweren, glücklich abgestreiften Traum halten und seiner nicht mehr gedenken ... Zurück zu Magnus und Ulrike! Mit ihnen wieder zusammenleben und weiterforschen in Rudisdorf, im trauten Gartensalon! ... Wie gern wollte sie jetzt die schlimmen Launen der Mama, ihre heftigen Zornausbrüche ertragen! Die Hölle dort – wie die Geschwister sich ausgedrückt, war nichts gegen die Qualen des Verlassenseins in der Fremde. Sie ging ja auch nicht zur Mutter, sondern zu Magnus – er hatte es ja fest und entschieden erklärt, daß Rudisdorf Heimat und Zufluchtsort für die Schwestern zu allen Zeiten sein werde ... O Magnus! Thränen füllten ihre Augen bei der Vorstellung, ihn wiederzusehen.

Hinter ihr stürmten in diesem Augenblicke die Jagdhunde freudig bellend aus dem Jägerhäuschen; sie wandte den Kopf – dort kam eben Mainau und beschwichtigte mit einer gebieterischen Handbewegung die an ihm aufspringende Meute ... Wollte er in das Jägerhaus gehen, vielleicht den Shawl der Herzogin holen, der dort niedergelegt war? ... Wie stolz und hoch er seinen Kopf trug, als sei er die personifizierte Mannesthat und Manneskraft! Und er war doch der Erbärmlichste von allen – er sprach wider Wissen und Gewissen und schwieg wiederum bei den rohesten Angriffen, lediglich um einer Frau nicht beizustehen, die nicht in seine Pläne paßte ... Sie ging rasch weiter, als habe sie ihn nicht gesehen; aber da stand er schon neben ihr.

»Wie, Thränen, Juliane? ... Du kannst weinen?« sagte er mit der ganzen Wollust gesättigter Grausamkeit und sah ihr mit funkelnden Augen unter das Gesicht. Zornig fuhr sie mit dem Taschentuch über die Augen. »Nun, ereifere dich nicht – niemand weiß besser als ich, daß sie nicht aus weichem Herzen kommen. Es gibt Thränen der Erbitterung, des gekränkten Stolzes –«

»Und der tieffsten Reue,« unterbrach sie ihn.

»Ah, du bereust deinen Heldenmut von vorhin? ... Wie schade – ich habe alles, was du sagtest, für die innigste Ueberzeugung gehalten, habe gemeint, du würdest nötigenfalls für jedes Wort märtyrhaft zu sterben wissen ... Du bereust also? ... Soll ich dir den Hofprediger schicken? Er suchte dir vorhin mit ganz unerklärlicher Bereitwilligkeit zu Hilfe zu kommen – die Herzogin ist außer sich darüber ... Soll ich schicken, Juliane? Einen liebenswürdigeren Beichtvater hat die Welt nicht – ich weiß es von Valerie.«

»Ich sollte es gestatten,« sagte sie, erbittert auf seinen lächelnden Hohn eingehend, »um mich in Hexen- und Gespensterglauben unterrichten zu lassen, damit ich« – sie verstummte unter glühendem Erröten mit einer ausdrucksvoll zurückweisenden Gebärde gegen ihn.

»Damit du geliebt würdest, wie ich vorhin ausgesprochen,« ergänzte er.

»Hier nicht! Hier nicht!« rief sie in Leidenschaft ausbrechend und streckte die Arme verneinend über die Schönwerther Gegend nach dem Schlosse hin. »Ich bereue,« setzte sie ruhiger hinzu, »daß ich mit meiner unbesonnenen Fürsprache Gabriels Geschick beschleunigt habe – alles andere, was ich ausgesprochen, bin ich bereit Wort für Wort zu wiederholen, ja, wenn ich dazu herausgefordert werden sollte, noch ganz anders zu begründen, jener hochgestellten Lügenhaftigkeit und deinem ätzenden Spott gegenüber ... Ich bereue ferner –«

»Lasse  mich  das aussprechen, Juliane – ich möchte mir das nicht gern aus Frauenmunde sagen lassen,« unterbrach er sie plötzlich sehr ernst unter jenem raschen Farbenwechsel seiner Wangen, der sie heute schon einmal innerlich erschüttert hatte. »Du bereust ferner, daß du so blindlings, unwissend, so taubenhaft harmlos in die Ehe gegangen bist, und richtest nun gegen mich, ›den erfahrenen Mann, der genau wissen mußte, was er that, was er verlangte,‹ deine leidenschaftlichen Anklagen« –

»Ja, ja!«

»Und wenn nun auch er bereute?«

»Du wolltest, Mainau? Du würdest mir gestatten zu gehen? Heute noch?« fragte sie mit zurückgehaltenem Atem und aufstrahlenden Augen – sie preßte beide Hände wie inbrünstig bittend auf ihre Brust.

»So war es nicht gemeint, Juliane,« antwortete er, sichtlich bestürzt über diesen mühsam verhaltenen Jubel. »Du hast mich falsch verstanden,« betonte er mit einem eigentümlich nervösen Aufzucken der Lippen. »Lassen wir das jetzt – es ist hier weder Zeit noch Ort für eine Verständigung.«

»Verständigung?« wiederholte sie tonlos und ließ die Arme sinken. »Sie ist ja ganz unmöglich! Wozu denn dieses Hinschleppen? ... Mein Gott, ich habe ja jetzt nicht einmal mehr den guten Willen, die ehrlich gemeinten Vorsätze, mit denen ich die neue Lebensstellung angetreten – ich bin verbittert und behaupte nur mühsam meine äußere Ruhe – mit Kopf und Herzen bin ich in Rudisdorf – nicht hier! Das läßt sich wohl eine kurze Zeit durchsetzen, aber lebenslang – unmöglich! ... Eine Verständigung!« – Sie lachte bitter auf. – »Vor vier Wochen noch hätte ich sie aus eigenem Antriebe gesucht, im aufrichtigen Wunsche, die so unverzeihlich leichtsinnig übernommenen Pflichten zu erfüllen; heute, nach allem, was vorgefallen, nicht mehr! Ich weise sie zurück.«

»Aber ich nicht, Juliane!« rief er heftig, mit schwellenden Stirnadern ... Einen Moment stand sie stumm und eingeschüchtert vor ihm, den sie in solchen Augenblicken fürchtete; aber war es nicht am besten für beide Teile, wenn es noch in dieser Stunde zum Bruch kam?

»Ich glaube zu verstehen, weshalb du vorderhand mein Verbleiben in deinem Hause wünschest, und das ist mir in diesem schweren Moment eine große Genugthuung,« sagte sie sanft. »Du hast erkannt, daß ich dein Kind mit aufrichtiger Liebe an mein Herz genommen habe – gib mir Leo mit nach Rudisdorf, Mainau! Ich schwöre dir, daß ich nur für ihn leben, ihn wie meinen Augapfel behüten will. Ich weiß, Magnus und Ulrike werden ihn freudig aufnehmen; was alles kann er lernen von diesen zwei Menschen, die geistig so hochbegabt sind! ... Dann kannst du unbesorgt draußen in der Welt sein und auf Jahre verreisen – gib mir Leo mit, Mainau!« Sie hielt ihm bittend die Hand hin – er stieß sie heftig zurück.

»Wahrhaftig, es gibt eine Nemesis! ... Ich möchte sie lachen hören, alle, alle!« Er warf, selbst hohnlachend, den Kopf zurück und starrte in die blaue Luft hinein, als sähe er alle, die er meinte, vorüberfliegen. »Weißt du, wie die furchtbar gezüchtigte Eitelkeit aussieht, Juliane? ... Ich werde es dir später einmal sagen; jetzt nicht, noch lange nicht, bis –« Die junge Frau schritt plötzlich, ihm, der mit dem Rücken nach dem Jägerhäuschen stand, schweigend ausbiegend, nach den Ahornbäumen – dort kam die Herzogin in Begleitung der Hofdame ... Wie peinlich für Liane! Die brennenden, neugierig vorwärtsstrebenden Augen der fürstlichen Frau hatten die heftige Bewegung beobachtet, mit welcher Mainau ihre Hand zurückgestoßen. Tieferrötend, wie mit Rosenglut überschüttet, ging sie den Damen entgegen – das boshafte Lächeln, das den Mund der Hofdame verzog, entging ihr nicht und machte sie noch befangener.

Ah, die Frau Herzogin hatte eben einen unerquicklichen Auftritt durch ihr Erscheinen unterbrochen! Der Eheherr hatte die junge Frau wegen ihrer Taktlosigkeit von vorhin gescholten und ihre Bitte um Verzeihung in so rauher Weise zurückgewiesen, wie es eben nur – die entschiedenste Abneigung vermochte. Jetzt gestand sie sich mit vollkommenster Ruhe, daß dem befangen daherkommenden »Rotkopf« dort zum vollendeten Bild des echt deutschen Gretchens nur die weissagende Sternblume in der Hand fehle – warum sollte sie nicht zugeben, daß diese von allen Seiten geschmähte und angefeindete zweite Frau von bestechendem Liebreiz sei? – Faust liebte sie ja nicht; er behandelte sie grausam, weil – nun, weil sein Tollkopf dieses Mädchen mit den rotgoldenen Flechten nicht so rasch wieder abzuschütteln vermochte, wie er es in glühender Rachsucht an sich gerissen hatte.

»Meine beste Frau von Mainau, warum isolieren Sie sich!« rief sie der jungen Frau gütig und herzlich entgegen. Sie trug ein Körbchen voll Obst in den Händen und hätte sie es ein wenig höher gehalten, so wäre man versucht gewesen, zu glauben, sie wolle »Tizians Tochter« als lebendes Bild verkörpern, in einer so anmutigen Stellung blieb sie stehen und erwartete die Herankommenden. »Hier mein Dank für Ihre schönen Blumen – ich habe sie mit eigener Hand gebrochen,« sagte sie und reichte Liane eine Frucht hin. Die Hofdame warf einen erstaunten Blick auf die Gabe; sie war es nicht gewohnt, ihre stolze Herzogin auf diese freundschaftliche Art und Weise danken zu sehen – vielleicht wußte sie noch nicht, daß eine leidenschaftliche empfindende Frau, im Bewußtsein des vollendeten Sieges, über die Grenzen hinaus glück- und gnadenspendend zu sein vermag gegen die – Unterlegene ... Die Frau Herzogin ging noch weiter – war diese wunderschöne Hand, die nach der Frucht griff, nicht eben in unüberwindlicher Antipathie fortgestoßen worden? »Und nun einen Vorwurf, liebe, junge Frau! Warum haben Sie uns bis heute gemieden?« fragte sie mit sanfter Freundlichkeit. »Ich hoffe Sie in der allernächsten Zeit bei mir zu sehen.«

Liane streifte mit einem raschen Seitenblick den neben ihr stehenden Mann – seine Nasenflügel bebten leise, als unterdrückte er ein ironisches Lächeln; im übrigen hatte er wieder jene vornehm lässige Haltung angenommen, die jedes Interesse an dem, was um ihn her vorging, leugnete. »Hoheit mögen mich entschuldigen, wenn ich dem Befehl nicht nachkomme,« sagte die junge Frau entschlossen. »Mainau wird in wenigen Tagen seine Reise antreten und mir erlauben, mich nach Rudisdorf zurückzuziehen.« – Da war es ausgesprochen, und zwar so unbefangen wie möglich; die Lösung geschah unter vollkommen friedlichem Anstrich.

»Wie, Baron Mainau – soll ich das glauben?« fragte die Herzogin allzu rasch, wie atemlos – sie vergaß sich so sehr, daß die Hofdame in ein verlegenes Hüsteln verfiel.

»Warum denn nicht, Hoheit?« antwortete er, gleichmütig die Schultern emporziehend; »Rudisdorf hat eine außerordentlich gesunde Lage und bietet die ungestörteste Stille für Geister, die sich am liebsten in sich selbst vertiefen ... Wenn auch selbst ein unstäter Wandervogel, denke ich doch billig genug, einem anderen es nicht zu verwehren, wenn er in sein Nest zurückkehren will ... Nimm dich in acht, Juliane, er wird dir dein hübsches Kleid zerreißen!« – er meinte Leos riesenhaften Leonberger Hund, der wahrscheinlich, bis dahin im Jägerhaus eingesperrt, sich eigenmächtig befreit hatte, und nun wie rasend vor Freude an der jungen Frau in die Höhe sprang. »Der tolle Bursche hat sich wahrhaftig in eine förmliche Passion für dich verrannt, – was soll aus dem armen Narren werden, Juliane? – Leo wird sich von ihm nicht trennen wollen!«

Liane biß sich auf die Lippen – das war die Antwort auf ihre Bitte von vorhin, und in welcher frivolen, kaltlächelnden Weise wurde sie ihr gegeben! ... Den Blick, der sie begleitete, sah nur die Hofdame; sie beschrieb ihn später der Herzogin als den Inbegriff von Widerwillen – wie ein Funken sei er über »die rothaarige Frau« hingefahren.

14.

Mittlerweile durchstreiften die fürstlichen Kinder mit Leo den Park. Sie hatten es sehr bald langweilig gefunden, reifes und unreifes Obst abzureißen und den Weg mit angebissenen Früchten zu bestreuen. Der Kaffeetisch hatte auch keine Anziehungskraft für sie – Frau Löhn wurde mit ihren Tassen, Milchgläsern und Kuchentellern entschieden zurückgewiesen; desto verlockender klangen die einzelnen kreischenden Laute aus den Affenkehlen vom indischen Garten herüber. Zwar war es den Prinzen streng verboten, das Thal von Kaschmir allein, ohne die Begleitung Erwachsener zu betreten, hauptsächlich des Teiches wegen, der eine bedeutende, ja, verrufene Tiefe hatte. Aber jenes Verbot beirrte sie wenig; drüben unter den Ahornbäumen ging es ja so laut und lebhaft zu; die Mama und Herr Werther kamen jetzt gewiß nicht, und die Hofdame »hatte ihnen ganz und gar nichts zu sagen«, wie der Erbprinz seinem Gespielen Leo im tiefsten Vertrauen versicherte.

Zuerst wurde der Stier aufgescheucht, der sich vergnügt auf dem Uferrasen sonnte; er war aber bejahrt und sehr friedfertiger Natur und zog sich schleunigst hinter die Boscage zurück. Die Schwäne auf dem Teiche flohen vor den gutgezielten Steinwürfen flügelschlagend in ihr Haus, und das flimmernde Volk der Gold- und Glanzfasane zerstob lautlos in alle Schlupfwinkel beim Geräusche der trabenden und verfolgenden Kinderfüße.

»Du, Leo, steckt denn die Hexe noch immer drin?« fragte der Erbprinz, nach dem indischen Hause zeigend.

Leo nickte. »Wenn ich nur dürfte« – sagte er und hieb mit seiner Gerte durch die Luft.

»Jagt sie doch fort – oder werft sie ins Wasser!«

»Dummheit – der weiß nicht einmal, daß Hexen nicht untergehen! Sie schwimmen doch immer obendrauf, und wenn es hundert Jahre dauern sollte – die Berger hat's gesagt, die wußte es ganz genau.«

Der Erbprinz blieb mit offenem Munde stehen; das Wunder war ihm neu; aber er wurde dadurch erst recht in seinen Vernichtungsplänen bestärkt. »Wenn wir Schießpulver hätten,« meinte er, »da könnten wir sie ganz bequem in die Luft sprengen. Hauptmann von Horst hat mir gestern erst in der Stunde erklärt, wie man das macht – man legt einen Schwefelfaden hin –«

»Pulver gibt's im Jägerhäuschen,« schrie Leo auf – er war Feuer und Flamme. Die Hexe in die Luft sprengen! Heisa, das gäbe einen Hauptspaß!

Die Kinder liefen durch die Plantagen; sie begegneten dem Erzieher, der sie suchte, und kamen auch an dem Spaliere vorüber, wo die Mama Obst pflückte; aber sie waren schlau genug, von ihrem Geheimnisse kein Wort verlauten zu lassen – es sollte ja eine große Überraschung geben. Geräuschlos huschten sie in das Jägerhaus.

Der Schlüssel steckte wirklich im Gewehrschranke; hinter den Glasscheiben hing verlockend ein zwar in den Ruhestand versetztes, aber reich verziertes Pulverhorn, und der Jägerbursche war nicht in der Stube. Der Erbprinz stieg auf einen Stuhl, nahm das Horn vom Nagel und prüfte den Inhalt – es war bis herauf gefüllt. Nach Schwefelfaden aber sah er sich vergeblich um; indes der kleine durchlauchtigste Kopf wußte sich zu helfen. Dort auf dem Nachttische lag das fadendünne Endchen des Wachsstockes, und aus einem Becher guckten Schwefelhölzchen. »Es geht auch so,« sagte er und steckte das gesamte Material in die Tasche.

In diesem Augenblicke trat der Jägerbursche herein und überflog mit einem Blick die ganze Situation. Es war ein junger Mann mit finsteren Zügen, von dem sich Mosje Leo nicht Gutes versprechen mochte. »Mache, daß du hinauskommst!« befahl der Kleine in grobem, herrischen Tone, dem man aber doch die Angst um das eroberte Pulverhorn anhörte.

»Oho – aus meiner eigenen Stube?« versetzte der Jäger – das Blut stieg ihm in das braune Gesicht. Er ging auf den Erbprinzen zu, der, das Pulverhorn mit beiden Händen auf den Rücken haltend, in eine Ecke retirierte, und griff ohne Umstände über die Schulter des fürstlichen Knaben; aber er kam schlimm an – Seine Durchlaucht trat mit den Füßen nach ihm; der andere kleine Prinz zerrte ihn am Rockschoß zurück, und Leo sprang mit hochgehobener Gerte auf ihn los.

»Warte, ich werde es machen, wie der Großpapa!« schrie er. »Weißt du noch, wie er dich mit der Hetzpeitsche über das Gesicht geschlagen hat?«

Der Bursche wurde bleich bis an die Lippen – er hob die Faust, um den ungebärdigen Knaben zu Boden zu schlagen. »Brut!« knirschte er, sich mühsam bezwingend. »Meinetwegen! Thut doch, was ihr wollt! Immerhin! Für euch alle wär's am besten, man steckte einen Schwefelfaden unter euch an!«

Er ging hinaus und warf die Thür schmetternd in das Schloß. Die Kinder warteten in atemloser Spannung, bis seine Schritte auch hinter der Küchenthür verklungen waren, dann schlüpften sie hinaus.

Wenige Minuten darauf kam die Beschließerin aus dem Hause gelaufen und sah, die Hand gegen den Sonnenschein über die Augen haltend, angestrengt über die Anlagen hin. Das geschah in dem Augenblick, wo Baron Mainau in Begleitung der Damen nach den Ahornbäumen zurückkehrte.

»Was gibt's, Löhn?« fragte er die sichtlich erregte Frau.

»Im indischen Garten sind sie – die Kinder nämlich, gnädiger Herr – ich hab' den kleinen Baron noch laufen sehen,« versetzte sie hastig. »Daß Gott erbarm – sie haben ja Schießpulver und Schwefelhölzchen mitgenommen! Eben sagt's mir der Jäger.«

Die Herzogin stieß einen Schreckenslauf aus und hing sich an Mainaus Arm, der sofort den Weg nach dem Thal von Kaschmir einschlug. Liane und die Hofdame folgten, und der Erzieher, der sorglos drüben durch die Spaliere schlenderte, setzte auf einen sehr ungnädigen Zuruf der Herzogin hin auch schleunigst seine langen Beine in Bewegung.

Sie kamen eben recht, um jenes Entsetzen zu empfinden, das uns angesichts einer furchtbaren, an einem Haar schwebenden Gefahr schüttelt. Inmitten der Veranda des indischen Hauses, unmittelbar auf der schimmernden Palmriedmatte, hatten die Kinder das Schießpulver zu einem kleinen Haufen zusammengeschüttet, ihn in der Mitte vertieft und das Lichtstümpfchen hineingesteckt – da brannte das dünne Stengelchen lichterloh – die leiseste Erschütterung, ein starkes Ausatmen konnte es umwerfen, oder einen Funken vom Docht lösen. Die Pulvermenge hätte allerdings nicht genügt, um, wie es gewünscht wurde, »das Hexenhaus« in die Luft zu sprengen; die Gefahr lag in der grenzenlosen Harmlosigkeit der Kinder, die sich selbst ganz und gar nicht in die Mitleidenschaft bei der Sache zu denken vermochten – sie hockten aneinander gedrängt um die sogenannte »Mine«, und die Gesichter darüber neigend, warteten sie atemlos auf den interessanten Moment, wo die Flamme so weit niedergekrochen sei, um an dem Pulver zu lecken.

Leo kauerte zwischen den beiden Prinzen und konnte zuerst die Herbeieilenden sehen. »Still, Papa – wir sprengen die Hexe in die Luft!« rief er bald flüsternd und die Augen kaum bewegend hinüber.

Mit einem Sprunge stand Mainau vor der Veranda, und ohne die leicht zu erschütternden Stufen zu betreten, reckte er sich weit hinüber und zerdrückte die kleine Flamme in seiner Hand. Als er das Gesicht zurückwandte, war es fahl wie das eines Gespenstes; die Herzogin aber sank unter einem hysterischen Aufschluchzen in die Arme der Hofdame. Sie erholte sich jedoch augenblicklich wieder.

»Die Prinzen gehen heute ohne Abendbrot zu Bette und dürfen morgen zur Strafe nicht ausreiten, Herr Werther!« befahl sie hart und streng, während Mainau seinen Knaben an den Schultern hielt und ihn unter heftigem Schelten derb schüttelte.

Liane trat hinzu und legte beide Arme um das aufweinende Kind. »Willst du ihn wirklich für die Sünden seiner vorigen Erzieherin züchtigen, Mainau?« fragte sie mit sanftem Ernst. »Ich meine, du darfst das so wenig, wie man das Volk für derartige Grausamkeiten verantwortlich machen kann, sobald es in seinen finsteren Wahnvorstellungen systematisch erhalten und bestärkt wird.« – Sie strich mit bebender Hand zärtlich über die wunderschönen Kinderaugen, die nur der entschlossene Griff der väterlichen Hand vor dem furchtbaren Geschick der Erblindung behütet hatte.

Das Gesicht der Herzogin nahm plötzlich jene totenhafte Wachsweiße an, die Liane schon bei ihrer ersten Begegnung im Walde erschreckt hatte – die fürstliche Frau vergaß, daß der Erzieher der Kinder, die Hofdame, er selbst, dem so leicht das gefürchtete, triumphierende Spottlächeln auf die Lippen trat, um sie her standen; sie sah nur, wie das junge liebliche Weib den Knaben an ihr Herz drückt, und das war sein Kind, sein Ebenbild, an welches diese gelassene junge Frau so ruhig und selbstverständlich ihre Mutterrechte geltend machte – das war nicht zu ertragen! – Die mühsam niedergehaltene Eifersucht fiel sie an wie ein plötzlich eintretender Wahnsinn. So weit vermochte sie sich aber doch zu beherrschen, daß sie der Verhaßten nicht sofort mit höchsteigenen Händen den Knaben wegriß, wenn sie auch völlig aus der Rolle der gnädig und huldvoll gesinnten Herrscherin fiel.

»Verzeihen Sie, meine Liebe! Ihre Anschauungen sind so seltener Art, daß sie mir zu meinem alten, lieben Schönwerth zu passen scheinen, als wolle man die Trikolore auf die ehrwürdigen Türme dort pflanzen,« sagte sie schneidend und zeigte nach dem Schlosse. »Ich kann mir nicht helfen, und Sie mögen mir deshalb auch nicht gram sein, aber mir ist immer, als hörte ich irgend eine Gouvernante, irgend eine simple Schulze oder Müller, ihre wunderlichen Ansichten entwickeln – gilt Ihnen das Vorrecht, den glänzenden Namen Mainau zu tragen, so wenig?«

»Hoheit, bis vor wenigen Wochen war ich die Gräfin Trachenberg,« unterbrach sie die junge Frau, mit stolzer Ruhe ihren alten, hocharistokratischen Familiennamen betonend. »Wir sind verarmt, und auf den letzten Trägern des Namens liegt der Makel der Selbstverschuldung – aber der Stolz auf die Heldenthaten und das fleckenlose Verhalten einer langen Ahnenreihe ist trotz alledem mein Erbteil; ich weiß gewiß, daß ich es nicht schädige, wenn ich menschlich fühle und denke, und deshalb können auch die Mainaus unbesorgt sein.«

Die Herzogin klemmte zornig die Unterlippe zwischen ihre feinen, spitzen Perlenzähnchen, und an der wogenden Bewegung der Rockfalbeln sah man, daß ihre kleinen Füße den Kies ungeduldig bearbeiteten – die Hofdame und der Prinzenerzieher bemerkten erbebend dieses Zeichen ausgesprochenster allerhöchster Ungnade.

Mainau hatte sich, solange Liane sprach, abgewendet, als wolle er gehen; jetzt sah er über die Schulter zurück. »Hoheit, ich bin unschuldig,« versicherte er, beide Hände spöttisch beteuernd auf das Herz legend. »Ich kann wirklich nicht dafür, daß Sie im ›lieben, alten Schönwerth‹ eine solche Antwort hören müssen – ich glaubte selbst an schlichten Taubensinn. Diese Dame mit dem sanften Lavallièregesichtchen hat nicht allein den berühmten Namen, sondern auch das Schwert ihrer heldenhaften Vorfahren geerbt – es sitzt ihr in der Zungenspitze – ich weiß ein Lied davon zu singen.« Er zuckte unter höhnischem Auflachen die Achseln.

Diese kleine, scharf zugespitzte Szene, bei der jedes Wort der eben zerdrückten Lichtflamme inmitten des Schießpulvers glich, wurde unausgesetzt von dem leisen Weinen der kleinen Prinzen begleitet – der heldenmütige Erbprinz wollte sein geliebtes Karottengericht auf dem Abendbrottisch nicht einbüßen, und sein Bruder weinte um den Pony, den er morgen nicht sehen durfte. Herrn Werthers eifrig geflüstertes Zureden verfing nicht, und als er sie, ohnehin geängstigt durch das sichtbare Zürnen der Herzogin, rasch hinwegführen wollte, da brach das moderierte Klagduett in ein lautes Aufschreien aus.

Fast zugleich hörte man den Fahrstuhl des Hofmarschalls eiligst heranrollen. Mit angstbleichem Gesicht kam der alte Herr näher; als er aber die gesamte Gesellschaft heil und unversehrt erblickte, befahl er dem Jägerburschen, der ihn fuhr, zu halten – er wollte offenbar den nächsten Umkreis des indischen Hauses meiden. Mit ihm kamen auch der Hofprediger und Frau Löhn, beide in sichtlicher Aufregung, die wohl das Weinen der Kinder erhöht hatte.

»Um Gotteswillen, Raoul, was gehen hier für unerhörte Dinge vor?« rief der alte Herr. »Ist es wahr, wie die Löhn sagt, daß die Kinder mit Schießpulver gespielt haben?«

»Ein Spiel mit tieferem Sinn, Onkel – die Lotosblume sollte schließlich doch noch in die Gefahr kommen, als Hexe zu sterben: die Kinder haben sie in die Luft sprengen wollen,« antwortete Mainau mit halbem Lächeln.

»Wär's nur vor sechzehn Jahren geschehen!« stieß der Hofmarschall mehr murmelnd heraus, wobei sein Blick scheu das Bambusdach streifte. »Aber nun frage ich, wie kommt das Pulver in die Hände der Kinder? ... Wer hat es Ihnen gegeben, mein Prinz?« wandte er sich an den konsequent heulenden Erbprinzen.

»Der Mann da!« sagte er und zeigte nach dem Jägerburschen, der unbeweglich, in dienstlicher Haltung, hinter dem Fahrstuhl stand. Der kleine Feigling hatte nicht den Mut, für seine That verantwortlich zu sein; er wälzte sie auf die Schultern eines anderen.

»Aber das ist ja gar nicht wahr!« rief Leo aufgebracht – seine unbestechliche Wahrheitsliebe und Geradheit empörten sich gegen diese Lüge. »Dammer hat uns das Pulver nicht gegeben; er wollte es ja gar nicht leiden – er war nur schrecklich grob und wollte mich zu Boden schlagen, und dabei hat er uns ›Brut‹ geschimpft und hat gesagt, für und alle wäre es besser, wenn ein Schwefelfaden unter uns angesteckt würde.«

»Hund!« fuhr der Hofmarschall wütend nach dem Jägerburschen herum – er schnellte empor, sank aber ächzend vor Schmerz wieder zurück. »Da siehst du nun, Raoul, wohin deine Humanitätsanwandlungen führen! Man ernährt diese Tagediebe und schützt sie mit unerschöpflicher Güte vor dem Hungertode; wenn man aber nicht stündlich mit der Hetzpeitsche hinter ihnen steht, da werden sie frech, stehlen, wo sie können, und schließlich ist man nicht einmal seines Lebens vor ihnen sicher.«

»Beweisen Sie mir einen einzigen Diebstahl, gnädiger Herr!« rief der Jäger mit auflodernder Heftigkeit – der Mann war schrecklich anzusehen mit seinen rollenden Augen und der dunklen Zornglut, die seine Wangen bedeckte. »Ein Tagedieb wär' ich? Ich arbeite redliche –«

»Ruhig, Dammer – entfernen Sie sich!« gebot Mainau und zeigte nach dem Jägerhause.

»Nein, gnädiger Herr, ich habe die Ehre so gut wie Sie, und ich halte vielleicht mehr darauf als die großen Herren, denn ich hab' nichts weiter ... Geschlagen haben Sie mich schon einmal mit der Hetzpeitsche,« sagte er mit fliegendem Atem zu dem Hofmarschall – die Worte stürzten ihm förmlich von den Lippen – »ich bin still gewesen, denn ich muß meinen alten Vater ernähren – aber vergessen hab' ich's nicht. Von Ihrer unerschöpflichen Güte sprechen Sie? – Wo Sie können, beschneiden Sie uns den Lohn – Sie schämen sich nicht, uns groschenweise das Geld abzupressen – die ganze Welt weiß, wie geizig und hart Sie sind! ... So, nun ist's gesagt, nun gehe ich fort aus Schönwerth; aber hüten Sie sich vor mir!« Er ergriff mit seinen kräftigen Fäusten den Fahrstuhl, schüttelte ihn heftig und stieß ihn dann von sich, daß er tief in das Gebüsch hineinfuhr.

Die Hofdame und die Kinder schrieen auf, und die Herzogin flüchtete nach dem indischen Hause zurück; Mainau aber riß in sprachloser Empörung einen Pfahl aus der Erde und holte weit aus – ein weicher Schmerzensschrei zitterte durch die Luft.

»Nicht schlagen, Mainau!« rief Liane unmittelbar darauf mit zuckenden Lippen und ließ die rechte Hand an der Seite niedersinken – sie war lautlos herbeigeflogen, um den Schlag abzuwehren, und während der Jägerbursche gewandt auswich und hohnlachend fortstürmte, war sie getroffen worden.

Einen Augenblick stand Mainau wie versteinert vor dem Geschehenen – dann schleuderte er unter einer Verwünschung den Pfahl weit von sich und wollte mit beiden Händen die verletzte Rechte erfassen; aber er fuhr unwillkürlich zurück vor dem Hofprediger. Dieser Priester hätte sich nicht fanatischer vor das Tabernakel stürzen können, um es gegen Barbarenhorden zu schützen, als er plötzlich zwischen Mainau und der jungen Frau stand – er handelte sichtliche unter der zwingenden Gewalt einer jäh auflodernden Leidenschaft, wie hätte er sonst Miene machen können, den schlanken Leib der geschlagenen Frau an sich zu ziehen, während er mit einer heftigen Gebärde die Rechte gegen den Thäter erhob!

»Nun, Herr Hofprediger, wollen Sie mich ermorden?« fragte Mainau, unbeweglich stehen bleibend, mit langsamen Nachdrucke – er maß den Mann im langen Rocke mit tödlicher Kälte vom Kopf bis zu den Füßen; das schmerzliche Entsetzen, das eben noch sein Gesicht geisterhaft gefärbt hatte, war einem verletzenden Ausdrucke von lächelndem Hohne gewichen – diese Ruhe brachte den Geistlichen sofort zur Besinnung. Er trat zurück und ließ beide Arme sinken.

»Der Schlag war zu entsetzlich,« murmelte er wie entschuldigend.

Mainau wandte ihm den Rücken. Dicht vor Liane stehend, versuchte er, in ihre Augen zu sehen – sie blieben tief gesenkt. Mit einer sanften Bewegung griff er nach der geschlagenen Hand; sie wurde tiefer in die Falten des Kleides gedrückt.

»Es hat nichts zu bedeuten – ich kann die einzelnen Finger leicht bewegen,« versicherte die junge Frau sanft unter einem schattenhaften Lächeln. Jetzt sah sie auf – ihre Augen glitten teilnahmslos, fast müde an dem sprechenden Blicke hin, der auf ihr ruhte, und sahen mit einem schwer zu beschreibenden Ausdrucke von Sehnsucht in die blaue Luft hinaus.

»Sie hören, es hat nichts zu sagen, Sie könne sich beruhigen, Herr Hofprediger,« sagte Mainau, sich umwendend. »Mir wird es schon schwerer – die schöne Hand dort wird morgen schon wieder mit gewohnter Meisterschaft den Stift führen; ich dagegen muß zeitlebens den Makel, eine Dame körperlich verletzt zu haben, auf meinem Rufe als Kavalier herumschleppen.« – Welche schneidende Schärfe stand dieser Stimme zu Gebote! »Nur an eines möchte ich auch Sie erinnern, Herr Hofprediger – wie mag der unversöhnliche Orden, dem Sie angehören, über Ihre ungewöhnliche Teilnahme denken? ... Es ist die Hand einer Ketzerin – verzeihe, Juliane! – die Sie bemitleiden.«

Der Hofprediger hatte sich bereits vollkommen gefaßt. »Sie sprechen gegen Ihr besseres Wissen, Herr Baron, indem Sie uns einer solchen Härte zeihen,« versetzte er kalt. »Wir werden im Gegenteile nie vergessen, daß auch jene Verirrten uns angehören durch die Taufe –«

»Diese Auffassung dürfte wohl auf einigen Widerspruch bei Luthers Bekennern stoßen,« unterbrach ihn Mainau kurz auflachend – er schien Lianes energisch protestierende Gebärde nicht zu bemerken und ging der Herzogin entgegen, die sich eben wieder näherte.

»Was für haarsträubende Dinge müssen Hoheit in Schönwerth erleben!« sagte er, unbefangen und leicht in den oberflächlichen Hofjargon übergehend.

Die fürstliche Frau sah ihn ungläubig prüfend an – er hatte wirklich ein eiskaltes Gesicht ... Bei aller Todfeindschaft, die sie im tiefsten Herzen der jungen Frau entgegentrug, erweckte ihr doch der Schmerz, der dort auf dem erblaßten Antlitze nachzuckte, eine mitleidige Regung – und er blieb ungerührt, er hatte nicht ein bittendes Wort um Verzeihung über die Lippen gebracht – diese zwei Menschen kamen sich nicht näher bis in alle Ewigkeit.

»Ach, Mama, wie sieht deine Hand aus!« schrie Leo auf; er hatte, sich an die Mutter anschmiegend, die verhüllenden Rockfalten weggeschoben, und da war die wie mit Scharlach bedeckte niederhängende Hand sichtbar geworden. »Papa, so schlimm hab' ich's mit Gabriel doch nie gemacht.«

So unverdient der Vorwurf auch war, aus dem Munde des Knaben klang er erschütternd. Liane selbst beeilte sich, den Eindruck zu verwischen. Sie wehrte Mainau ab, der, wenn auch mit finsterer Stirn, abermals auf sie zutrat, und versicherte auf den Vorschlag der Herzogin, heimfahren und den Arzt herausschicken zu wollen, daß sich mit frischem Wasser das Brennen in der Haut am schnellsten werde beseitigen lassen; man möge ihr gestatten, sich auf eine Viertelstunde an den Brunnen neben dem indischen Hause zurückzuziehen.

»Das haben Sie von Ihrer Komödie, meine Gnädigste!« sagte der Hofmarschall impertinent, während der Prinzenerzieher langsam den Rollstuhl wendete, um ihn fortzufahren. »Sie haben vielleicht auf der Bühne gesehen, wie sich eine Dame zwischen zwei Duellanten wirft – da macht sich's ganz nett – aber die wohlverdiente Züchtigung eines frechen Burschen mit aristokratischen Händen abzuwehren, fi donc – ich halte das für sehr unanständig! Die geborene Prinzessin von Thurgau, Ihre erlauchte Großmama, auf die Sie sich mit so großem Nachdrucke berufen, müßte sich in der Erde umdrehen –« er verstummte und fuhr erstaunt herum. Mainau hatte schweigend die Lippen fest aufeinandergepreßt, den Erzieher ohne weiteres beiseitegeschoben und rollte nun den Stuhl in förmlichem Sturmschritte vorwärts. Die anderen folgten, während der Hofprediger den indischen Garten bereits verlassen hatte.

15.

Eben noch der Schauplatz der aufregendsten Szenen, lag das »Thal von Kaschmir« jetzt wieder unter jener traumhaften, leise durchsummten Stille, wie sie dem heißen Sommernachmittage auf dem Lande eigen ist. Von dort, wo der steinerne Schwan einen Wasserstrahl in das Brunnenbecken goß, scholl schwaches Plätschern, und aus dem Gebüsche stecke ein metallisch schimmernder Glanzfasan seinen grünen Federbusch, um über die Kiesfläche vor dem Hause unter leisem, geisterhaftem Geräusche hinzuhuschen. Nach dem letzten Verrollen des Fahrstuhles weit drüben hätte man meinen mögen, häßliche, aufregende Schattenbilder einer Laterna magika seien für einen Augenblick an dem Hause mit dem Bambusdache vorbeigeflogen, ein solch unberührter Friede breitete sich wieder darüber hin – aber dort quer über dem Wege lag noch der weithin geschleuderte Pfahl, und auf der Veranda dräute der verhängnisvolle Pulverhaufen, den der in lautloser Majestät hinter dem Hause vorkommende Pfau erstaunt beguckte. Auf der kühlen Brunnenflut des Beckens schwammen weiße Rosenblätter, flockig und so massenhaft, als habe der von Rosengesträuch halb verstrickte, wasserspeiende Schwan sein Gefieder abgeschüttelt. Die junge Frau tauchte ihre schmerzende Hand hinein, und jetzt erschrak sie selber, so unförmlich und rotflammend erschien das verletzte Glied zwischen den schwimmenden Blättern.

»Gnädige Frau, da müssen wir Kompressen auflegen,« sagte Frau Löhn – sie kam aus dem indischen Hause, und über dem Arme hingen ihr weiße Leinwandstreifen ... Sie bekreuzte sich nicht und schlug auch nicht die Hände zusammen bei dem Anblicke; das war nicht ihre Art – dennoch hatte diese barsche Frau, die ihren unzerstörbaren Gleichmut, ihre innere Kälte und Herzlosigkeit stets selbst mit einer förmlichen Genugthuung hervorhob, etwas an sich, was Liane auffiel – ihre kräftigen Hände schlugen vor innerer Aufregung, als sie ein Stück Leinwand in das Wasser tauchte. »Ja, ja – das ist schon so die Mode in Schönwerth,« sagte sie mit einem Seitenblicke auf das feurige Mal, »ein Schlag auf die Hand, daß man meint, es bleibt kein Knochen heil, oder ein wütiger Griff an so eine arme kleine Kehle –«

Die junge Frau sah ihr erstaunt in das Gesicht; aber Frau Löhn rang eben den Leinwandfleck aus und schleuderte einen sprühenden Tropfenregen auf den Kies.

»Die da drin liegt, könnte etwas erzählen,« setzte sie dumpf hinzu und zeigte mit der triefenden Hand hinter die Glasthür des indischen Hauses. »Ich sage immer, für die Frauenzimmer ist das Schloß dort ein schlimmer Boden« – sie sprach dasselbe aus wie der Hofprediger – »und wie Sie angekommen sind, gnädige Frau, so fein, so ›zärtlich‹ – da haben Sie mir in der Seele leid gethan.«

Ihr geschärfter Blick fuhr über das Gebüsch hin und den Weg entlang, aber kein unberufener Zeuge war zu entdecken – nur ein kleiner Affe glitt von einem Baumwipfel auf das benachbarte Bambusdach und hockte auf dem First nieder ... Frau Löhn nahm behutsam die verletzte Hand aus dem Wasser und legte die Kompresse darauf – tief darüber hin gebückt, sagte sie mehr vor sich hin: »Ja, da liefen sie dazumal alle im Schlosse zusammen – ich meine vor dreizehn Jahren – und in der Küche hieß es, vor der roten Stube – da lag der gnädige Herr schon halb und halb im Sterben – hätten sie ›Die aus dem indischen Hause‹ tot gefunden, der Schlag hätte sie gerührt; hm ja, so jung und so schmächtig und so schneeweiß – solche Leute rührt der Schlag nicht, gnädige Frau ... und nachher wurde sie auch gebracht, und dem Manne, der sie trug, hing sie über dem Arme wie ein armes weißes Lämmchen, das sie erschlagen haben – er hat sie für tot da hineingetragen und auf die Stelle gelegt, wo sie noch liegt – nach dreizehn Jahren ... Ich bin neben ihm her gegangen; ich bin zwar hart – nein, gnädige Frau, in der Stunde will ich einmal die Wahrheit sagen – ich bin nicht hart; ich hab' gar ein dummes, weichmütiges Herz in der Brust, und dazumal gar, da hab' ich gemeint, es würde mir in Stücke zerrissen, als die arme Frau unter meinen Händen die Augen wieder aufschlug und sich sogar vor der alten Löhn fürchtete und meinte, sie sollte wieder – gewürgt werden –«

Liane stieß einen Laut des Entsetzens aus – Frau Löhn aber rannte ein Stück Weges entlang und sah über den Garten hinweg; dann umkreiste sie das Haus und kehrte beruhigt zurück.

»Wer ›A‹ sagt, muß auch ›B‹ sagen,« fuhr sie mit gedämpfter Stimme fort, »und hab' ich mir einmal das Herz über die Lippen laufen lassen, da kann ich nicht mitten drin aufhören. Der Doktor – auf gut Deutsch gesagt, ein Halunke – meinte, die blauen Flecken an dem schneeweißen Hälschen kämen von Blutstockungen – ja, Blutstockungen! Zehn Finger sind's gewesen, die sich da festgekrallt hatten, zehn Finger, sage ich, gnädige Frau.«

»Wer hat es gethan?« fragte Liane mit stockendem Atem. Jedem anderen Menschen hätte sie vielleicht klug durch ein entschiedenes Verbot das schlimme Geheimnis in die Brust zurückgedrängt, um nicht Mitwisserin zu werden – aber diese ernsthafte Frau, die dreizehn Jahre lang mit Aufbietung aller Willenskraft und geistigen Stärke eine eiserne Maske vorgehalten, imponierte ihr und riß sie hin durch die Art und Weise, wie sie halb widerwillig, halb überwältigt von innerer Bewegung, für einen Moment die Riegel von ihrer Seele wegschob.

»Wer es gethan hat?« wiederholte Frau Löhn mit einem funkelnden Blicke. »Die Hände, die immer gleich nach der Hetzpeitsche greifen wollen, die Finger mit den Nägeln, die sich so einwärts biegen, als wollten sie nur immer zusammenscharren und als könnten sie nie genug kriegen ... Gnädige Frau, er ist ein Teufel!« –

»Er muß sie bitter gehaßt haben –«

»Gehaßt?« lachte die Beschließerin fast gellend auf. »Ist das Haß bei einem Manne, wenn er sich auf den Boden wirft und um Erbarmen heult und winselt? ... Ja, ja – wer möchte es dem gelben, vertrockneten Gerippe noch ansehen, daß er wie von der Furie besessen hinter so einem armen Weibe her gewesen ist! ... Da auf der Veranda habe ich gestanden und habe durchs Fenster mit angesehen, wie er vor ihr auf den Knieen gelegen hat. Mit den Händen hat sie nach ihm gestoßen und geschlagen und ist nachher an mir vorbeigeflogen in die Nacht hinaus. Dazumal war er noch flink auf den Beinen – er hat sie durch den ganzen Garten gehetzt; aber sie war ja nur so eine Feder – wie ein Schneeflöckchen war sie. Sie war längst wieder drin und hat den Schlüssel umgedreht und lag vor der Wiege, wo der kleine Gabriel schlief – da kam er erst wieder an. Ich habe in meiner dunklen Ecke erst geflucht und dann gelacht – keine drei Schritte weit von mir hat er gestanden und wütend mit der Faust auf das Holzgitter geschlagen; aber es half alles nichts – er mußte abziehen.«

Liane erschien plötzlich die ganze Szenerie um sie her anders beseelt – die Frau erzählte so lebendig.

Sie sah das junge Weib auf flüchtigen Füßen den Teich umkreisen, Angst und Abscheu in dem schönen, zurückgewendeten Gesichte – und hinter ihr ihn, den Mann der Formen, den kalten Höfling mit der impertinenten Zunge, als halb wahnwitzigen Verfolger – wie war das möglich? ... Unwillkürlich trat sie einen Schritt vom Brunnen weg, um einen Einblick in das indische Haus zu gewinnen; aber hinter den Fenstern und der Glasthür hingen unbeweglich die steifen, bunten Matten.

»Ja, nicht wahr, Sie haben Mitleid mit ihr, gnädige Frau?« fragte die Beschließerin, den Blick auffangend. »Es ist jetzt seit zwei Tagen immer gar still drin; sie schläft viel – um's kurz zu sagen – sie schläft dem Tode entgegen; keine vier Wochen mehr, da ist alles vorbei.«

»War denn niemand da, der sie beschützte?« fragte die junge Frau mit feuchtem Auge.

»Wer denn? ... Der sie übers Meer gebracht hatte, der selige gnädige Herr, der steckte viele Monate in der roten Stube; da hingen die Rouleaus herunter und kein Fenster durfte aufgemacht werden, und wenn ihm die Angst kam, da ließ er auch noch die Läden vorschlagen und steckte Papierschnitzel in die Schlüssellöcher, daß – der Teufel ja nicht hereinkommen könnte ... Er ist ein grundgescheiter Herr gewesen; aber mit der Krankheit hat er auf einmal alles schwarz gesehen, und daß das nicht besser wurde, dafür haben zwei gesorgt – der mit dem geschorenen Kopfe und der andere, den sie vorhin fortgefahren haben. Da hat's geheißen, er sei krank, weil er den Heidentempel im indischen Garten gebaut habe, und weil sein Herz an der ›Straßentänzerin‹ hing – und er hat's geglaubt ... Du lieber Gott, was alles kann man aus einem Menschen machen, wenn er krank ist und es ihm dunkel im Kopfe wird! Hat er aber einmal nach der Frau gefragt, die ihm doch das Liebste auf der Welt gewesen ist, da haben sie gesagt, sie sei untreu geworden und fände Gefallen an einem anderen – pfui, wie ist dazumal gelogen und betrogen worden! ... Und sie haben alle mitgespielt, wie sie waren im Schlosse – Gott verzeih's ihm – mein verstorbener Mann auch. Er war Kammerdiener beim seligen gnädigen Herrn, und wäre um Amt und Brot gekommen, wenn er nur gemuckst hätte.«

Das auszusprechen mochte ihr sehr schwer werden und einen inneren Kampf kosten, denn zum erstenmal fuhr sie mit der Hand über die Augen, um eine Thräne wegzuwischen. »Und da habe ich mir auch ein bitterböses Gesicht einstudiert und alle Welt grob angeschnurrt, und die Frau im indischen Hause war mir ein Dorn im Auge, und ihr Kind erst recht ... So ist's gekommen, daß ich den Gabriel aus der Taufe heben mußte, und daß sie mich gewählt haben, die kranke Frau zu pflegen ... Nicht wahr, gnädige Frau, ich kann die Komödie gut spielen? Es sieht ganz natürlich aus, wenn ich den Gabriel drüben im Schlosse anfahre und in den Ecken 'rumstoße ... Ach, und er ist mein Herzblatt, mein Augentrost – ich könnte mein Herzblut tropfenweise für ihn hingeben. Habe ich ihn doch auferzogen vom ersten Atemzuge an, und Thränen genug geweint über das arme Köpfchen, aus dem mich die Augen doch immer so geduldig und liebevoll ansahen, wenn ich auch noch so hart that!« Ihre Stimme brach; jetzt weinte sie in der That bitterlich in ihre Schürze.

»Und er ist doch einer von ihrer Familie,« setzte sie nach einer kurzen Pause sich bezwingend hinzu und ließ mit einer trotzigen Gebärde die Schürze fallen. »Er ist doch ein Mainau, so wahr die Sonne da oben steht – und wenn der selige gnädige Herr ihn auch nie mit einem Auge hat sehen dürfen – sein Kind ist und bleibt der Gabriel.«

»Das alles hätten Sie dem jungen Herrn sagen sollen, als er die Erbschaft antrat,« sagte Liane ernst.

Die Beschließerin prallte förmlich zurück und hob die Hände heftig protestierend. »Gnädige Frau – dem?« fragte sie, als höre sie nicht recht. »Ach, das ist nicht Ihr Ernst! Wenn der junge gnädige Herr den Gabriel nur von der Seite ansieht, da zittre ich schon – hu, der Blick geht mir durch Mark und Bein! ... Es ist ja wahr, der Herr Baron ist sonst sehr gut. Er thut viel für die Armen und leidet kein Unrecht, das auf der Hand liegt; aber – er will vieles nicht sehen, er läßt sich nicht gern stören in seiner Lebensfreude, und da geht's – husch – über manches hinweg, was ganz anders untersucht werden müßte ... Er weiß ja doch auch, weshalb die Kranke immer so aufschreit, wenn die Frau Herzogin vorbeikommt.« – Sie verstummte.

»Nun, weshalb?« fragte Liane gespannt.

Die Beschließerin sah sie verlegen von der Seite an. »Je nun – der junge Herr Baron sieht seinem Onkel so ähnlich, daß unsereins manchmal darauf schwören möchte, der verstorbene gnädige Herr sei leibhaftig wieder da ... Und da ist er einmal am indischen Hause vorbeigegangen und hat die Frau Herzogin am Arme gehabt« – sie sah sich scheu um – »und die sieht ihn ja immer mit Augen an, als wollte sie ihn verbrennen – ich bin ja nicht dabei gewesen, ich weiß es ja nicht – aber die kranke Frau hat in ihrem Kopfe gemeint, der da draußen sei ihr Liebster, und hat in heller Eifersucht aufgeschrieen – seitdem ist sie immer so unruhig, wenn die Hoheit vorbeireitet ... Das beweist doch, wie lieb sie den verstorbenen Herrn gehabt hat – aber der Herr Baron sagt immer nur: ›die Frau ist wirr im Kopfe‹, und damit ist die Sache abgemacht ... Nein, er rührt keinen Finger, und wenn der liebe Gott nicht ein Einsehen hat, da muß mein armer Junge ohne Gnade in drei Wochen fort in die geistliche Dressur – und nachher wird er unter die Heiden geschickt; da ist er ihnen freilich nicht mehr im Wege.«

»Das geschieht aber doch nur, weil es der Verstorbene gewünscht hat.«

Die Beschließerin sah der jungen Frau mit einem langen, sprechenden Blick in die Augen. »Ja, so sagen sie drüben im Schlosse, aber – wer's glaubt! Haben Sie den bewußten Zettel gelesen?«

Liane verneinte.

»Ich glaub's – wer weiß, wie er aussieht! ... Sehen Sie, gnädige Frau, an dem Abende, wo Sie unversehens in das indische Haus kamen und so liebevoll mit dem Gabriel waren, da habe ich innerlich aufgejubelt und habe gedacht: endlich schickt unser Herrgott seinen guten Engel. Der Engel sind Sie auch geblieben – ich habe es vorhin erst wieder gesehen, wo Sie so mutig vor der ganzen schrecklichen Gesellschaft dem armen Jungen beistehen wollten; aber durchdringen werden Sie in dem Hause nie. Dahinein paßt nur eine, wie die selige gnädige Frau, die gleich mit beiden Füßen stampfte und den Schloßleuten alles an den Kopf warf, was ihr eben in die Hände kam, und wenn es Stahl und Eisen und spitzige Messer und Scheren waren ... Und da will ich lieber still sein und von dem, was ich weiß, nichts weiter auf Ihr gutes, sanftes Herz legen, denn – Sie haben für sich selber zu kämpfen, wenn Sie nur ein ganz kleines Stückchen Heft in der Hand behalten wollen ... Er, der alte böse Mann, wühlt unter Ihren Füßen wie ein Maulwurf – er will Sie um jeden Preis wieder hinausbeißen – und der andere, der Sie nach Schönwerth gebracht hat – seien Sie mir nicht böse, gnädige Frau, aber es muß heraus – der wird Sie nicht schützen, nicht halten. Das wissen und sehen wir alle. Wenn ihm das Treiben des alten Herrn zu bunt wird, da kehrt er Schönwerth den Rücken, macht drei Kreuze und fährt in die weite Welt hinein – was hinter ihm bleibt, das ist ihm sehr einerlei und – die arme junge Frau dazu.«

Eine flammende Röte ergoß sich über Lianes Gesicht – welche Rolle spielte sie in diesem Hause! Die gerade, ungeschminkte Ausdrucksweise der Frau zeichnete ihre zweifelhafte, unwürdige Stellung in schreckhaft klaren Umrissen. »Das wissen und sehen wir alle,« hatte sie eben gesagt – sie war ein Gegenstand der mitleidigen Beobachtung. Der ganze Stolz der »Trachenbergerin«, aber auch die gekränkte Frauenwürde wurde in ihr lebendig. Aeußerlich wenigstens durfte sie die Demütigungen, die sie erleiden mußte, nicht zugestehen. »Das alles geschieht infolge eines Uebereinkommens zwischen dem Baron und mir, liebe Frau Löhn; darüber haben andere kein Urteil,« sagte sie freundlich gelassen und hielt der Frau, die betroffen schwieg, die Hand hin, um über die Kompresse einen trockenen Leinwandstreifen binden zu lassen ... Am äußersten Ende des Weges erschien eben auch die abgesandte Hofdame mit Leo, »um sich im allerhöchsten Auftrag der Frau Herzogin nach der armen Patientin umzusehen« – wie sie sich beim Näherkommen ausdrückte.

Die Beschließerin verschwand für einen Augenblick im indischen Hause, während Liane, in Begleitung der Hofdame und Leo an der linken Hand führend, nach den Ahornbäumen zurückkehrte. Sie schauerte in sich zusammen, als sie dort »dem gelben vertrockneten Gerippe« im Fracke mit jedem Schritte näher kam, als sie die bleichen Hände mit den nervös auf dem Tische spielenden Fingern sah, die mit einem wütenden Griff ein Menschenleben nahezu erdrückt hatten ... Ob diese Finger nicht auch mörderisch die Kehle der alten Frau gepackt hätten, die jetzt, rasch hinter ihr herkommend, in das Jägerhaus ging, wenn ihm die Ahnung gekommen wäre, daß sie um sein schwarzes Geheimnis wisse, ja daß sie es eben verraten? Der Mann hatte einen dunklen Schatten, zwei unablässig nach dem Tage der Enthüllung, der Sühne ausspähende Augen neben sich, ohne es zu wissen. Wer hätte das hinter dem mürrischen Steingesicht, in der so ruhig und derb daherkommenden Gestalt gesucht, die jetzt, als sei kein einziges jener fürchterlichen Worte über ihre Lippen geschlüpft, den Anwesenden, und auch Liane, unbefangen eine Platte voll Erfrischungen präsentierte!

16.

Das Geräusch der wegfahrenden herzoglichen Equipagen war längst verrollt. Auf einen »bittenden Befehl« der Herzogin hatte Mainau sein Pferd vorführen lassen, um sie ein Stück Weges zu begleiten; zugleich war dem Hofprediger die Auszeichnung zu teil geworden, im Fond neben die fürstliche Frau befohlen zu werden – die Prinzen mußten sich mit dem Rücksitz begnügen. Die Hoheit war offenbar in sehr glücklicher Stimmung – sie wußte ja nicht, daß sich bei diesem Anblick manche Faust in der Residenz insgeheim ballen würde – wer hätte ihr das sagen sollen? Und wenn auch – bah, was lag ihr an der Meinung im Volke, wenn es galt, ihre Kirche zu verherrlichen? Die regierende Linie des herzoglichen Hauses war nicht katholisch – der Erbprinz und sein Bruder wurden im protestantischen Glauben erzogen; dagegen war die Seitenlinie, welcher die Herzogin entsprossen, im Schoß der alleinseligmachenden Kirche verblieben. Die zumeist protestantische Bevölkerung des Landes war deshalb nie sehr erbaut gewesen von der Wahl des Regierenden, welche die bigotteste der Durchlauchtigsten Kousinen auf den Thron gehoben hatte. Es währte auch damals nicht lange, da war der Kaplan des wenig begüterten Seitenzweiges Hofprediger geworden, und wenn nicht die Hand des Todes jäh dazwischen gegriffen hätte, dann wäre – so raunte man sich zu – ein Glaubenswechsel auf dem Throne unausbleiblich gewesen; denn der Herzog hatte seine Gemahlin abgöttisch geliebt und sich ihrem Einfluß in allen Stücken blindlings unterworfen ... Wie das personifizierte Glück und Unheil saßen sie bei der Abfahrt von Schönwerth nebeneinander, die rosenfarbene, heiter lächelnde Fürstin und der schwarze Priester mit dem eigentümlich erblaßten Gesicht, der heute für alle verschwenderisch gespendete Huld und Gnade nur ein finsteres Lächeln hatte.

Mit der Verbeugung gegen die Herzogin hatte sich Liane zugleich von Mainau verabschiedet und ihn gebeten, sich für heute ganz in ihre Appartements zurückziehen zu dürfen, was er ihr vom Pferd herab mit spöttisch zuckenden Mundwinkeln ohne weiteres zugestanden ... Nun war sie allein – der Hofmarschall hatte Leo reklamiert, um nicht so einsam am Abendtisch zu sein, falls Mainau in der Stadt bleiben werde – allein, sich selbst überlassen, in ihrem blauen Boudoir. Sie hatte einen weißen Schlafrock übergeworfen und sich, weil ein stechender Kopfschmerz sie folterte, von der Kammerjungfer das schwere Haar vollständig lösen lassen – da brachte ihr stets Erleichterung.

Trotz dem Kopfweh und mit der verbundenen, heftig schmerzenden Hand hatte sie sich doch einen kleinen Tisch vor die Chaiselongue getragen, um an Ulrike zu schreiben; aber mitten in dem Erguß war sie gezwungen gewesen, die Feder hinzuwerfen und mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen sich auf das Ruhebett hinzustrecken.

Da lag sie, den Kopf auf der untergelegten linken Hand, in das blaue Polster geschmiegt, stundenlang unbeweglich und sah die glänzenden Atlasfalten der gegenüberliegenden Wand alle Tinten der Abendbeleuchtung, vom glühenden Purpur bis zum flimmernden Goldgelb widerspiegeln. Ueber den Busen herab fiel ihr ein breiter Strom des wogenden Haares und lag drunten auf den blauen Cyanen des Teppichs; diese vollen, schweren Ringel konnte der letzte Abendstrahl noch erreichen – sie funkelten fast dämonisch, wie jenes rote Metall, das die Gnomen eifersüchtig hüten ... So still und gelassen sie sich auch äußerlich verhielt, so fieberhaft jagte ein Reigen von Gedanken durch ihr aufgeregtes Gehirn. Sie mußte an »die luftige, aus Spitzen zusammengewobene Seele« denken, die mit Messern und Scheren um sich geworfen hatte – diese jasminduftende Valerie war das Schoßkind bei Hofe gewesen, der böse alte Mann sprach nur in vergötternder Ekstase von ihr, und Mainau – nun, er hatte diese Frau nie geliebt; er gedachte ihrer nur unter dem beißendsten Hohn – es war wohl auch nur eine Konvenienzheirat, und zwar eine total verunglückte gewesen. Aber er, der sonst jede irgendwie drückende Fessel rücksichtslos abwarf, er hatte auch hier stillgehalten. Er war, wenn ihm »das Treiben zu bunt« geworden, in die weite Welt gegangen, und nur der Tod, nicht das scheidende Wort war zwischen diese Ehe getreten – und das alles, um den Eklat zu vermeiden! ... Welcher Widerspruch in dem Manne, der in bezug auf Verirrungen, wie Liebesabenteuer, Duellgeschichten, tolle Wetten, nicht die geringste Rücksicht auf das Urteil der Welt nahm – er fürchtete sich wie ein Kind vor jedem Schritte, der einen begangenen Irrtum, einen Mißgriff seines Verstandes gleichsam dokumentieren und vielleicht ein wenig Spott und Schadenfreude bei seinen Standesgenossen hervorrufen konnte ... Diese Schwäche berücksichtigend, hatte sie auch heute der Herzogin gegenüber eigenmächtig, aber in der schonendsten Form die bevorstehende Trennung angedeutet, und so war es ihm sicher erwünscht gewesen, denn er war mit der größten Ruhe auf ihr Bestreben eingegangen ... Nicht lange mehr dauerte die Qual, dann war sie wieder daheim – freilich ohne Leo. Bei diesem Gedanken preßte sie die Augen tiefer in das Kissen; sie hatte das Kind unbeschreiblich lieb, und schon jetzt nagte der Trennungsschmerz an ihr; aber selbst ihm konnte sie das Opfer nicht mehr bringen, zu bleiben, jetzt, wo sie einen Blick in die Vergangenheit des Hofmarschalls gethan und täglich, stündlich die Fortwirkung seiner Sünden mit ansehen mußte, ohne einschreiten oder auch nur sprechen zu dürfen ... Ein Schauder, wie Fieberschütteln, rieselte durch die weich, in plastischer Schönheit sich hinschmiegenden Glieder der jungen Frau – ihr graute selbst vor der Luft, die sie in Gegenwart des Mannes mit den mörderischen Händen noch einatmen mußte.

Inmitten dieser Vorstellungen berührte ein leises Geräusch ihr Ohr – war es doch, als müsse dort an der Thür »das gelbe vertrocknete Gerippe« im Fracke impertinent lächelnd stehen und mit den dünnen, verkrümmten Fingern die Falten der Portiere zurückraffen – sie fuhr mit einem schwachen Schreckenslaute empor.

»Ich bin's, Juliane,« sagte Mainau, unter dem blauen Behange hervortretend ... Ich bin's – als ob das nicht noch erschreckender für sie gewesen wäre! – Seit dem Momente, wo er sie zur Trauung abgeholt, hatte er ihr Zimmer nicht wieder betreten. – Sie sprang auf und griff nach der Klingelschnur.

»Weshalb?« fragte er, ihre Hand erfangend.

Unter glühendem Erröten schüttelte sie das Haar nach dem Nacken zurück und suchte es zu verbergen, indem sie mit dem Rücken hart an die Wand trat. »Ich brauche Hanna für einen Augenblick,« sagte sie kurz und grollend.

Er lächelte. »Du vergissest, daß unsere heutige Damenwelt in dieser Haartracht selbst auf der Promenade erscheint – und dann, wozu diese Etikette? Habe ich nicht das unbestrittene Recht, ohne Anmeldung hier eintreten und nach meiner kranken Frau sehen zu dürfen, wann ich will?« – Er strich langsam über das seidenglänzende Haargewoge, das sich trotz aller Bemühungen der jungen Frau doch wieder über Schultern und Arme ergoß, und wie eine Tunika aus Goldgewebe das weiße Kleid bedeckte. – »Welche Pracht!« sagte er.

»Eine etwas verblaßte Schattierung der Trachenbergschen Familienfarbe,« versetzte sie bitter lächelnd, während ihre Linke mit einer kalten Gebärde hinabglitt, um seine Hand abzuwehren.

Er stand einen Augenblick betroffen, wobei seine Wangen sich leise färbten – an Ton und Ausdruck mußte er erkennen, daß sie nur einen seiner rücksichtslosen Aussprüche wiederhole; er sann offenbar darüber, wo sie ihn gehört haben könne. »Ich habe den Arzt mitgebracht, Juliane,« sagte er nach momentanem Schweigen rasch über eine sichtlich unangenehme Empfindung hinweggehend. »Darf er hereinkommen?«

»Ich möchte ihn nicht bemühen. In Rudisdorf waren wir nicht gewohnt, den Arzt um jeder Kleinigkeit willen zu konsultieren – er wohnte viel zu weit entfernt und –« sie brach ab, wozu denn abermals bekennen, daß sie zu arm gewesen und aus Ersparnis zum Selbstarzt geworden seien! »Das frische Brunnenwasser hat seine Schuldigkeit vollkommen gethan,« setzte sie rasch hinzu.

»Er soll dich auch nicht durch eine Untersuchung der belästigen – zu meiner großen Beruhigung sehe ich ja, daß sie dir zu schreiben gestattet,« antwortete er mit einem Blick auf die Schreibutensilien und den daneben liegenden angefangenen Brief an Ulrike. »Ich will nur den Folgen der Gemütsbewegung vorgebeugt wissen – ich habe eben gesehen, daß dich eine Art Nervenschauer schüttelte.«

Er hatte also schon länger hinter der Portiere gestanden und sie beobachtet ... Warum mit einemmale die Besorgnis, nachdem er bei dem Vorfalle selbst und auch später die verletzendste Kälte und Teilnahmlosigkeit an den Tag gelegt? – »Deshalb?« betonte sie mit halbem Lächeln, den Kopf über die Schulter nach ihm wendend. »Du scheinst zu vergessen, daß ich eine ganz andere Lebensschule durchmachen mußte, als die meisten meiner Standesgenossinnen – ich müßte nicht Ulrikes Schwester, nicht meines Bruders ›Famulus‹ gewesen sein! Wir haben wirklich nie Zeit gehabt, in aristokratischer Weise unsere Nerven zu berücksichtigen und zu verhätscheln; wir haben uns derb abgehärtet, wie es diejenigen müssen, die innerlich unabhängig bleiben und ihre geistige Bewegung ungehemmt sehen wollen ... Ich bitte die, den Doktor schleunigst zu entlassen – er wartet doch wohl draußen?« Sie sprach die letzten Worte hastig, aber mit Nachdruck – er konnte nicht mißverstehen, daß sie auf diese Weise seinen »Krankenbesuch« abzukürzen wünsche.

»Er wartet nicht draußen, und wenn auch, er könnte sich das ruhig gefallen lassen – der gute Mann sitzt drüben im Gartensalon und läßt sich seine Flasche Burgunder schmecken,« versetzte er und trat tiefer in das Zimmer – seine Augen glitten über die Wände hin. »Ach, sie da! Das blaue Boudoir – aufrichtig gestanden, meine ganze Antipathie – ist merkwürdig wohnlich und traulich geworden. Die mattweißen Elfenbeingruppen vor den blauen Atlasbehängen machen einen malerischen Eindruck; sie beleben das Zimmer, wie die weißen Azaleenbäume dort am Fenster ... Und daß hier auch einmal ein Tisch steht! – Ja, siehst du, das ist's gewesen, was mich immer so angewidert hat – dieses stundenlange, sybaristische, faule Versinken Valeries in diesem gleißenden Polsterwerke.«

Er warf einen Blick durch die weit zurückgeschlagenen Thür des anstoßenden Salons. »Und wo malst du denn, Juliane? Ich sehe keinerlei Arrangements – doch nicht in der Kinderstube?«

»Nein, ich habe mir das Kabinett neben meinem Ankleidezimmer dazu eingerichtet.«

»Den engen, kleinen Winkel, der, wie ich mich erinnere, nicht einmal eine vorteilhafte Beleuchtung hat? Wie kommst du auf diese merkwürdige Idee?«

Sie sah im fest und voll ins Gesicht. »Ich glaube, die, welche die Kunst in ihrer Heiligkeit erfassen, haben einige Fühlfäden mehr in der Seele – sie sind sehr empfindlich in unsympathischer, feindlicher Atmosphäre –«

»Und ziehen sich beleidigt zurück – das geht gegen meine Ansichten von Damendilettantismus. Ich habe doch recht, wenn ich auch heute dahin bekehrt worden bin, daß es Ausnahmen gibt ... Was soll denn aber nun im Winter werden? Das Kabinett ist nicht heizbar.«

»Im Winter?« wiederholte die junge Frau in staunendem Schrecken – sie faßte sich jedoch rasch. »Ach so – du hast wahrscheinlich nicht bemerkt, daß im Rudisdorfer Gartensalon ein prächtiger Kamin steht – trotz der Glasfront läßt sich der große Raum doch sehr gut heizen, und wird es je zu kalt, dann bewohne ich mit Ulrike in der Bel-Etage ein hübsches, warmes Eckzimmer, das du nicht kennst.«

Eine tiefe Gereiztheit glomm in dem Blicke, welchen er an der vollkommen ruhig dastehenden Gestalt seiner jungen Frau niedergleiten ließ – nur an dem Heben und Senken des Busens konnte er bemerken, daß sie in fast atemloser Spannung sprach.

»Sitzt die Schrulle wirklich so fest da drin?« fragte er langsam, und berührte mit dem Zeigefinger leicht ihre weiße Stirn.

»Ich weiß nicht, was du mit diesem Worte bezeichnen willst,« versetzte sie, mit kühlem Ernste zurückweichend – sie strich unwillkürlich über die Stelle, die er berührt hatte, als gelte es, einen Makel wegzuwischen. »Für Schrullen ist mein Kopf wohl noch zu jung – ich nehme mich auch sehr in acht vor dem innerlichen Kajolieren irgend einer kleinlichen, einseitigen Liebhaberei ... Du brachtest aber diese ›Schrulle‹ in Verbindung mit meiner Rückkehr nach Rudisdorf – ist sie nicht unser beider Wunsch und Wille?«

»Ich meine, dir heute bereits das Gegenteil versichert zu haben,« sagte er – es war ein angenommener Gleichmut, mit dem er die Achseln zuckte – sie wußte, daß er bei dem nächsten widerspruchsvollen Wort ihrerseits auffahren würde, aber sie ließ sich nicht einschüchtern.

»Zuerst allerdings,« gab sie zu; »aber später, im Beisein der Herzogin, hast du dich vollkommen einverstanden erklärt –«

Er lachte auf, so bitter und schallend, daß sie erschrocken verstummte. »Ich glaube wohl, daß es deinem verletzten Stolz und Hochmut eine köstliche Genugthuung gewesen wäre, wenn ich in jenem deinerseits wirklich an den Haaren herbeigezogenen Moment erklärt hätte: ›Diese Frau will sich um jeden Preis von mir losmachen – ich bitte sie aber fußfällig, mich nicht zu verlassen; sie wirft mir alles, was ich ihr biete, vor die Füße, und kehrt lachenden Mutes in ihre alte Armut und Entbehrung zurück, lediglich um sich – zu rächen!‹ ... Schöne, junge Frau, eine solche eklatante Revanche vor solchen Ohren, wie sie heute begierig auf jedes deiner Worte lauschten, gestattet kein Mann seiner Frau, selbst wenn er – sie lieben sollte.«

Lianes heiße Wangen erblaßten vor innerer Aufregung – sie war tief beleidigt – auf seine letzten Worte hörte sie gar nicht mehr; sie wolle sich rächen, hatte er gesagt.

»Mainau, ich bitte dich ernstlich, nicht in so ungerechter und verletzender Weise vorzugehen,« unterbrach sie ihn mit fliegendem Atem. »Rache! Ich habe dieses Gefühl nie kennen gelernt und weiß bis zu diesem Augenblicke nicht, in welcher Weise es wohl die Menschenseele erschüttern mag; aber ich denke mir, jeder Racheanwandlung muß wohl eine Leidenschaft vorangehen, und ich wüßte nicht, daß mein Aufenthalt in Schönwerth eine solche, sei es nach welcher Richtung hin, in mir erweckt hätte ... Der Hofmarschall hat mich oft tief gekränkt – ich habe dir aber selbst erklärt, daß ich den Kranken in ihm berücksichtige und soviel wie möglich seine Angriffe mit ruhigem Blute zurückweise ... Und dir gegenüber? Wie könnte ich Kränkungen rächen wollen, die keine sein sollen und deshalb für mich auch keine sind? – Wir können uns beiderseits kein tiefes Weh zufügen.«

»Juliane, hüte dich! In diesem Augenblicke ist jedes deiner Worte ein wohlüberlegter Messerstich – du weißt es sehr genau, daß du verbittert bist.«

»Das verneine ich entschieden,« sagte sie ruhig und unbeirrt; »verletzt und entmutigt bin ich, aber nicht verbittert. Entmutigt deshalb, weil mir mein Wirken in deinem Hause vorkommt, als ob ich Wasser mit Sieben schöpfe – auch bei Leos Erziehung drängt sich mir diese Ueberzeugung auf – es wird mir von anderer Seite zu viel entgegengearbeitet ... Ich habe eben angefangen, über diese Angelegenheit an Ulrike zu schreiben.«

»Ah, das ist ja die beste Gelegenheit, mich zu informieren,« rief er, rasch an den Tisch tretend.

»Das wirst du nicht thun, Mainau,« sagte sie ernst, aber mit bebenden Lippen und legte die Hand protestierend auf seinen Arm, der nach dem Briefe griff.

»Das werde ich sicher thun,« versetzte er, heftig ihre Hand abschüttelnd. »Ich habe das unbestrittene Recht, Briefe meiner Frau zu lesen, die mir verfänglich erscheinen ... Sieh in den Spiegel dort, Juliane! Solche erblaßten Lippen hat das böse Gewissen ... Ich werde dir den Brief vorlesen.«

Er trat in das Fenster und las laut, mit sarkastischer Betonung: »›In vierzehn Tagen spätestens komme ich nach Rudisdorf – für immer, Ulrike! ... Da steht dieser Erlösungsschrei so kalt und nüchtern auf dem Papier – er wird dir keine Vorstellung davon geben können, wie sonnig es in mir geworden ist, seit ich weiß, daß ich wieder mit dir und Magnus zusammenleben werde‹. – Armes Schönwerth!« schaltete er mit bitterem Spott ein. – »›Glaube ja nicht, daß die Lösung eine gewaltsame ist; sie vollzieht sich in richtiger Konsequenz zwischen zwei Seelen, die bis in alle Ewigkeit nicht zusammen gehören, von denen die eine aber das Aufsehen bei den Menschen fürchtet, während die andere zurückbebt vor jedem in die Stille der Häuslichkeit fallenden zornigen Wort – der Bruch geschieht mithin leise, unhörbar – die skandalsüchtige Welt bleibt sicher unbefriedigt ... Eines Tages wird die Baronin Mainau aus Schloß Schönwerth verschwunden sein, lautlos verschwunden aus den Räumen, in denen sie kurze Zeit als ›Schattenherrin‹ gewaltet, aus dem Gedächtnis der Leute, die ihre unhaltbare Stellung vom ersten Augenblicke an begriffen und in der kaum Eingetretenen zugleich die Scheidende gesehen und bemitleidet haben ... Und deine Liane? Man hatte sie nicht mit der Wurzel dem heimischen Boden entnommen, sie wird nach kurzer Unterbrechung weiterwachsen unter dem Sonnenschein eurer Augen – meinst du nicht, Ulrike? ... Du weißt, ich habe es immer grausam gefunden, eine Pflanze abzuschneiden und mit der Wunde in eiskaltes Wasser zu stellen – und jetzt ist dieses Mitgefühl erst recht lebendig in mir geworden; ich weiß, wie das wehe thut. Eineige kecke Triebe und Schößlinge meiner Seele lasse ich verwelkt in Schönwerth zurück – das allzu kühne Vertrauen auf die eigene moralische Kraft und das unkluge Herausfordern der Gesellschaft, die auch nicht einen Hauch von Lebensodem für mich und meine Anschauungen hat – diese Lehre kann mir nicht schaden ... Sieh, ich mußte damals, als er auf der Terrasse zu Mama sagte: ›Liebe kann ich ihr nicht geben, ich bin aber auch gewissenhaft genug, in ihrem Herzen keine wecken zu wollen‹, hinabgehen und ruhig den Ring in seine Hand zurücklegen; nicht um der versagten Liebe willen – dazu hatte ich ja kein Recht; ich brachte ihm ja auch noch kein solches Gefühl entgegen – sondern weil die letzten Worte eine grenzenlose Eitelkeit bekunden‹« – das Blut schoß dunkel in Mainaus Gesicht; heftig die Unterlippe zwischen die Zähne klemmend, hielt er im Lesen inne und warf über das Papier hinweg einen tiefgereizten und doch unsicheren Blick auf seine Frau.

In dem Augenblicke, wo er vom bösen Gewissen gesprochen, hatte sie ihre Arme ruhig unter dem Busen verschränkt; und so stand sie noch; nur war es, als recke sich die schlanke Gestalt unter seinem Blicke noch stolzer auf; ein feiner, schöngewölbter Fuß erschien unter dem Kleidsaume und stemmte sich fest auf den elastischen Cyanenteppich – eine Stellung, welche die sonst so graziös geschmeidige Erscheinung neu und fremd machte – aber die dunkelblonden Wimpern lagen tief auf ihren Wangen; ohne es gewollt zu haben, sagte sie dem Manne dort eine häßliche Wahrheit in das Gesicht; er mußte sich schämen, und sie errötete mit ihm.

Er trat dicht an sie heran. »Du hast vollkommen recht mit deinem Urteil,« sagte er scheinbar beherrscht; »ich bin ja nicht blind gegen diese meine große Schwäche – und wenn ich mir jetzt denke, daß du mit deinem fein unterscheidenden Ohr, mit deiner scharfen Kritik eine so plumpe Aeußerung von mir gehört hast, so – steigt mir das Blut ins Gesicht ... Aber nun, du gestrenge Richterin, mache dich dir auch einen Vorwurf – ich war eitel; du aber warst falsch, als du – Verachtung im Herzen – die Lippen schlossest und mit mir gingst –«

»Lies noch einige Zeilen,« unterbrach sie ihn bittend, ohne aufzusehen.

Er ging nach dem Fenster zurück – es dämmerte stark. – »›Ich wußte, daß ich nach einem solchen Ausspruche aus seinem Munde nie und nimmer in Versuchung kommen würde, auch nur einen Funken von Sympathie für ihn zu empfinden,‹« las er mehr für sich – »›und daß ich dennoch mit ihm ging und zum zweitenmal das heilige Ja am Altare entwürdigte, das machte mich zum Mitschuldigen bei einem ungeheuren Frevel – und dafür gibt es keine Beschönigung, denn ich hatte die urteilslosen Backfischjahre längst hinter mir.‹«

Jetzt flog sie auf ihn zu und griff nach dem Briefblatte; aber er streckte den linken Arm kräftig abwehrend nach ihr aus, und den Kopf fest gegen die Scheiben gedrückt, las er weiter: »›Ulrike, Mainau ist ein schöner Mann; er ist verschwenderisch ausgestattet mit jenem Esprit, der in der Konversation funkelt und blendet, der mit seiner unnachahmlichen Nonchalance, gleichsam hingeworfen, wohl ein Frauenherz zu umstricken vermag – aber wie sinkt diese prächtige Salonerscheinung kläglich zusammen neben unserem stillen Denker in der Rudisdorfer Studierstube, neben Magnus, der in seinem schwachen, ungeschmückten Körper einen rastlos arbeitenden Geist birgt, hinter dessen ernster Stirn das komödienhafte ›was wirst du wohl für Effekt machen?‹ niemals Raum gefunden hat! ... Siehst du, in dieser einen Frage wurzeln alle Tollheiten, die man Mainau nachsagt, seine Duellgeschichten, Liebesabenteuer, selbst seine belehrenden Reisen, auf denen er da und dort wie ein Märchenprinz phantastisch emportaucht und vor allem nur das Auffallende, Blendende wegnascht. Niemand betont seine vielen Fehler mehr als er, gleichwohl möchte er um alles nicht einen einzigen einbüßen, weil sie kavaliermäßige Unarten sind und von der oberflächlichen vornehmen Welt als originell kajoliert werden ... Mit mehr Ernst und Strenge gegen sich selbst und weniger umschmeichelt von verlorenen Frauenseelen, hätte er ein ganzer Mann werden können, aber‹« – hier hatte sie vorhin die Feder weggeworfen.

»Es ist wahr, verbittert bist du nicht, Juliane,« sagte er, unter einem ironischen, aber eigentümlich heiseren Auflachen den Brief auf den Tisch legend. »Verbitterung läßt keine solche objektive, leidenschaftslose Beurteilung zu, mit der du mein ganzes Sein und Wesen wie einen angespießten unglücklichen Schmetterling unter die Lupe genommen hast ... Du hast ferner vollkommen recht, wenn du dich bei dieser Auffassung meines Charakters um jeden Preis von mir loszumachen suchst. – Das wird dir nach dem, was heute vorgefallen, nicht mehr schwer werden – selbst im unerbittlichen Rom wird man nicht umhin könne, den einen Scheidungsgrund zu berücksichtigen – ich habe dich ja geschlagen.«

»Mainau!« schrie sie auf – der Ton, in welchem er sprach, ging ihr durch und durch.

Er schritt, ohne sie anzusehen, an ihr vorüber, in den Salon – dort ging er einigemal auf und ab, dann trat er an die Glasthür und starrte finster schweigend hinaus in die Abenddämmerung ... Wie würde Freund Rüdiger in sich hineingelacht haben bei einem Einblicke in die Appartements der jungen Frau! ... Sie stand zwischen den weißen Azaleenbäumen im blauen Boudoir. Mit dem ganzen Schimmer des gefeierten Loreleihaares rieselten die gelösten, vielgeschmähten roten Flechten, »die ›er‹ wohl bei seiner Frau, niemals aber an einer Geliebten sehen wollte«, zwischen dem blütenbeschneiten zarten Geäste der Azaleen hinab, und die mitleidig belächelten »blassen Veilchenaugen à la Lavallière« sahen mit dem Ausdrucke eiserner Entschlossenheit vor sich hin. Und Mainau? Noch vor kurzem hatte der die Briefe, die er von ihr erhalten werde, »als steife Stilübungen einer ernsthaften Pensionärin mit Wirtschaftsberichten als Vorwurf« prophetisch bezeichnet – jetzt hatte er einen Brief von ihr gelesen – der Aufruhr, der sichtlich hinter dieser düster gefurchten Stirn wogte, das unbewußte nervöse Spiel der Finger auf den leise klingenden Scheiben ließen nicht auf jene »keine schlaflose Nacht« bringende Gemütsruhe schließen, die er vorausgesetzt.

17.

Es war so still geworden nach dem Schreckensrufe der jungen Frau. In der Voliere des anstoßenden großen Empfangssalons regten sich noch einigemal aufflatternd die kleinen Vögel, ehe sie zur Nachtruhe die Köpfchen unter die Flügel steckten, und draußen auf der hallenden Steinmosaik des langen Säulenganges klang manchmal der flüchtige Fuß eines vorübereilenden Lakaien; aus dem blauen Boudoir aber, das mit seinen hellglänzenden Wänden unter der Portiere hervor einen bleichen Schein in den dunkelnden Salon warf, kam auch nicht das leiseste Geräusch – sollte die junge Frau das Zimmer verlassen haben? – Bei diesem Gedanken fuhr Mainau mit dem Schrecken einer plötzlich erlittenen Beleidigung empor – hatte er erwartet, sie werde ihm nachkommen, weil seine Stimme, was ihn in jenem Augenblicke selbst überrascht, sie erschüttert und bewegt hatte, wie alle, ja alle anderen Frauen auch? Hatte er gemeint, dieser unbestechliche, starke Geist habe doch unbewußt jene Saite des schwachen Weibes in sich, die unter den verführerischen Lauten von Männerlippen widerhallt und ihn schließlich doch zu den Füßen des Siegers zwingt? ... Rasch, aber unhörbar über den teppichbelegten Boden schreitend, trat er unter die Portiere.

Die junge Frau war nicht hinausgegangen – die linke Hand auf den Sims gestützt, das liebliche Profil ihm zugewendet, stand sie in sich gekehrt noch im Fenster; die zartgeschwellten Lippen lagen leicht aufeinander, und bei dem Geräusch, das Mainaus Eintreten verursachte, wandte sie langsam den Kopf, und die großen, tiefen Augen sahen ihn ruhig ernst an. Hier war kein Kampf gekämpft worden – sie war ja längst mit sich fertig.

»Leo wird mir das Leben schwer machen, wenn er wieder in sein altes Quartier umsiedeln muß,« warf er hin, ihren Blick mit einer Art von starrer Kälte erwidernd.

Ein tiefer Seufzer glitt über die Lippen der jungen Frau; ihre Augen füllten sich mit Thränen. »Du wirst das nicht lange mit ansehen müssen – du gehst ja fort,« sagte sie leise, auf den Boden sehend.

»Jawohl, ich gehe, und diesmal werde ich mich dem Leben stürmischer als je in die Arme werden – wer will mir das verargen? Hinter mir die Eisregion des Tugendstolzen, des kalt zersetzenden Verstandes, und vor mir der bunte Reigen des Genusses – draußen ein umjubelter ›Märchenprinz‹, und hier ein gemaßregelter, mit geringschätzendem Seitenblicke kalt gemusterter Mann.«

Er schritt nach der Ausgangsthür. »Hast du noch etwas zu sagen, Juliane?« fragte er, sich halb umwendend, über die Schulter zurück.

Sie schüttelte verneinend den Kopf, und doch preßte sie die Hand auf das Herz, als unterdrücke sie gewaltsam ein aufwallendes Verlangen.

»Wir sind heute zum letztenmal allein zusammen,« betonte er, ihre Bewegung mit scharfem Blicke verfolgend.

Rasch entschlossen näherte sie sich ihm. »Ich habe dir vorhin viel Bitteres gesagt – ohne es zu wollen; es thut mir leid, und doch – bin ich noch nicht zu Ende ... Du hast mich selbst aufgefordert – willst du mich anhören?«

Er bejahte, blieb aber, die Hand auf das Thürschloß gelegt, unbeweglich stehen.

»Ich habe dich wiederholt sagen hören, daß dir für das nächste halbe Jahr nicht eine einzige Aufgabe in der Heimat zu erfüllen bliebe ... Mainau – sollte wirklich ein Vater – sei seine Lebensstellung, welche sie wolle – berechtigt sein, sich von seinen Pflichten dergestalt loszusagen, daß ihm die Erziehung seines Kindes keine Aufgabe ist? ... Weiter: In welchen Händen läßt du dein einziges Kind zurück? ... Du sprichst selbst mit Nichtachtung von dem starren, unhaltbaren Dogmenwerke, das deine Kirche neuerdings predigt, und das, bis in das Reich des finstersten Aberglaubens hinein, vom Hofprediger und deinem Onkel streng aufrecht erhalten wird, und doch überläßt du ihrer Führung sorglos den jungen Kopf deines Kindes, noch mehr, du schweigst gegen deine Ueberzeugung –«

»Ach, das ist die Strafe dafür, daß ich dir heute bei dem unerquicklichen Streite um des Teufels Existenz nicht sekundiert habe! Bah – wer wird sich herablassen, gegen solchen Widersinn auch nur ein Wort zu verlieren – er geht an sich selbst zu Grunde ... Leo ist auch geistig mein Sohn – er wird den Ballast abschütteln, sobald er selbständig zu denken anfängt.«

»So bequem denken viele, die handeln müßten, und nur so ist es zu erklären, daß die wahnsinnigste Vermessenheit des Menschengehirns, die der alte Mann in Rom proklamiert, in unserem Jahrhundert auch nur aufzutauchen vermochte ... Bist du wirklich sicher, daß Leo die innere Wandlung so leicht überstehen wird wie du? Ich weiß, daß die ersten religiösen Zweifel und Kämpfe Wunden in der Seele zurücklassen – weshalb sie mutwillige und unvermeidlich heraufbeschwören und mit ihnen vielleicht das gesamte religiöse Bewußtsein für immer erschüttern? ... Wie wir auch eine Kinderseele bewachen und studieren mögen, sie bleibt dennoch ein Geheimnis in sich und für uns, die wir auch bei einem geschlossenen Blütenkelche nicht sagen können, ob er nicht doch plötzlich verkrüppelte Blätter entfalten wird – so viel weiß ich nun schon, seit ich mit Leo zusammenlebe und ihn unausgesetzt beobachte. Ich bitte dich dringend, lasse ihn nicht in den Händen des Hofpredigers!«

Er schwieg, aber seine Finger glitten vom Thürschlosse.

»Gut,« sagte er, wie nach einem augenblicklichen Ueberlegen, »ich will diese Bitte als eine Art letzten Willens vor deinem Scheiden respektieren – ist dir's recht so?«

»Ich danke dir!« rief sie herzlich und bot ihm die Linke.

»Nein, mir liegt nichts an solch einem Händedrucke; wir haben ja aufgehört – gute Kameraden zu sein,« sagte er sich abwendend. »Uebrigens« – ein unbeschreibliches Gemisch von Satire und frivolem Spotte flog um seinen Mund – »bist du nicht sehr dankbar. Dein sehr guter Freund, der Herr Hofprediger, bricht, wo er kann, in schrankenloser Selbstverleugnung eine Lanze für dich – und du intrigierst gegen ihn?«

»Er weiß am besten, daß ich diese Ritterdienste nicht wünsche,« erwiderte sie gelassen. »Am ersten Abende meines Hierseins hat er sich mir bereits genähert – ich bin aber nicht gesonnen, mich auf diesem schlauen, indirekten Wege bekehren zu lassen.«

»Bekehren?« lachte Mainau schallend auf. »Sieh mich an, Juliane!« – er ergriff ihre Linke und preßte sie heftig – »meinst du das wirklich? Bekehren – zum Katholizismus bekehren? – ich will die Wahrheit wissen! – Hat er seine berühmte Predigerstimme schmeichelnd gemißbraucht, der wundersame Gottesmann? Juliane, sei ehrlich – wenn er je gewagt hat, dich auch nur mit seinem Atem zu berühren –«

»Was ficht dich an?« zürnte sie, mit stolzer Gebärde ihre Hand aus der seinen ringend. »Ich verstehe dich nicht. Es fällt mir nicht ein, irgend etwas vor dir zu verheimlichen, das auf deinem Grund und Boden ausgesprochen worden ist, sobald du mich danach befragst – und so antworte ich dir: Er hat mir gesagt, Schönwerth sei ein heißer Boden für Frauenfüße, gleichviel ob sie aus Indien, oder aus einem deutschen Grafenhause kämen – zugleich versuchte er, mich auf unausbleibliche schlimme Augenblicke vorzubereiten.«

»Prächtig eingefädelt! ... Das muß man ihm lassen, er hat Geist, der Mann. Er sieht auf den ersten Blick das, was blöde Augen erst dann erkennen, wenn es für sie verloren ist ... Ja, siehst du, Juliane – Valerie war ein vortreffliches Beichtkind, und er hat recht, wenn er wünscht, daß auch die neue Herrin von Schönwerth in das alte Geleise einlenke, um – des religiösen Friedens willen – so ist's gemeint, nicht wahr?«

»Ich denke – oder vielmehr, daran zweifle ich keinen Augenblick,« erwiderte sie und sah ihn mit den großaufgeschlagenen Augen ehrlich und fest an. »Deshalb verwahre ich mich ja eben, wie ich dir bereits erklärt, stets entschieden gegen seine Einmischung.«

»Stählern genug mag dein Wille sein; er wird es ja wohl auch bleiben ... Juliane, ich wollte, ich hätte nicht so tief in den Abgrund der Gesellschaft geblickt, dann würde ich auf diese Schrift hier« – er neigte den Kopf gegen ihr Gesicht – »wie auf das Evangelium schwören; aber« – er lachte bitter auf. »Ja, ja – dieser Kopf da mit der prachtvollen Goldflut, er würde nicht übel in die Engelschöre der katholischen Kirche passen – ich glaub's dem frommen Bekehrer gern, und es ist auch süß, als Engel verherrlicht zu werden – du weißt's nur noch nicht, Juliane! – Nun, ich werde selbst energisch Mittel und Wege gegen diese Bekehrung ergreifen –«

»Wozu dies alles?« fiel die junge Frau ein. »Du gehst ja fort, und ich –«

»Ich sollte meinen, das hättest du nun oft genug ausgesprochen!« rief er zornig und stampfte mit dem Fuße auf. »Du wirst ja wohl die Gnade haben müssen, mir zuzugeben, daß ich einzig und allein zu bestimmen habe, ob und wann ich reisen will.«

Sie schwieg – zu welcher Verkehrtheit ließ sich dieser Mann durch sein unberechenbares Temperament hinreißen! – Als ob nicht er selbst bis zu dem heutigen Tage mit dem Vorgefühl des höchsten Genusses von dieser Reise unablässig gesprochen hätte!

»Gestehe es nur, Juliane, bei jener Vorbereitung auf die schlimmen Augenblicke hat der liebenswürdige, indiskrete, fromme Mann auch mein Privatleben nicht geschont,« sagte er leichthin, während er eine der Elfenbeingestalten vom Sockel herablangte, um sie aufmerksam zu betrachten.

»Das setzt ein ruhiges Anhören meinerseits voraus,« antwortete sie verletzt. »So viel Pflichtgefühl wirst du mir zutrauen, daß ich eine Verunglimpfung deiner Person nie geduldet haben würde, selbst wenn das fremde Urteil meiner eigenen Ueberzeugung entsprochen hätte. Der muß eine Frau schon tief verachten, der ihr Nachteiliges über ihren Mann mitzuteilen wagt.«

»Wenn abgeschiedenen Seelen das Gefühl der Scham verbleibt, wie muß dann Valerie in diesem Augenblick aussehen!« rief er, die elfenbeinerne Ariadne auf das Postament zurückstoßend. »So beruht deine ungünstige Meinung von mir einzig auf deiner eigenen Beobachtung?«

Sie wandte sich schweigend ab.

»Wie? – Dann haben andere in deiner Gegenwart über mich gesprochen – der Onkel?« – wie stümperhaft spielte er in dem Moment den Gleichgültigen!

»Ja, Mainau. Er klagte neulich dem Hofprediger – dein ewiges Reisen erfülle ihn mit Besorgnis – Leos wegen. Du streiftest durch die Welt, um der Langeweile zu entgehen, und doch gäbe es daheim für dich auf Jahre hinaus mehr als genug zu thun. Allerdings seien deine Besitzungen wahre Goldgruben – sie würden aber von treulosen Händen ebenso rücksichtslos ausgebeutet, wie von dir selbst. Das Wirrsal in der Verwaltung spotte aller Beschreibung – er schaudere stets, wenn ihm auch nur ein flüchtiger Blick hinein vergönnt werde.«

Mainau hatte ihr erbleichend den Rücken gewendet und sah angelegentlich zum Fenster hinaus. Sie sprach mit hörbarer Befangenheit – das war allerdings eine Angelegenheit, in die sie sich nicht mischen durfte, am allerwenigsten jetzt noch, wo sie schon halb und halb die geschiedene Frau war; aber sie sprach für Leos Zukunft – was sie in diesen kurz zugemessenen Minuten des letzten Alleinseins noch für ihn erreichen konnte, das mußte sofort geschehen.

»Bah – du kennst ja den Onkel mit seiner fieberhaften Angst vor einer möglichen Verringerung des Mainauschen Besitztums – sein gieriges Zusammenraffen wird nachgerade unerträglich; er übertreibt haarsträubend, der alte Mann,« sprach er, ohne ihr das Gesicht zuzuwenden. »Ich sage dir, in wenigen Wochen ist der ganze Plunder geordnet, und die Sache läuft von selbst wieder am Schnürchen – was dann? ... Soll ich zur Abwechslung selbst hinter dem Pfluge hergehen, oder vielleicht, weil ich keinen Funken Musik in mir habe, Hoftheaterintendant werden? Oder soll ich mich zu irgend einem vakanten Ministerposten melden? Ich habe hier und da, in Berlin und Bonn, an der Jurisprudenz genascht, vor allem aber zwei Feldzüge mitgemacht, dazu mein guter Adel – was braucht es mehr?« – Er schüttelte sich. – »Nie und nimmer! ... Nun rate mir, weise Sphinx, wie soll ich mir die Zeit in Schönwerth vertreiben, wenn auch meine zweite Frau mich verlassen haben wird?«

»Ist dir nie die Lust gekommen, zu schreiben?«

Er fuhr herum und sah sie sprachlos an. »Willst du mich unter die Schriftsteller stecken?« fragte er endlich mit einem ungläubigen Lächeln.

»Wenn du denkst wie Mama und der Hofmarschall, dann freilich darfst du meine Andeutung nicht dahin auffassen, als gelte es – das ›Gedrucktwerden‹,« antwortete sie mit einem heiteren Anflug in der Stimme. »Du erzählst interessant und fließend – ich bin überzeugt, du hast einen vortrefflichen Stil; du wirst noch effektvoller schreiben, als du sprichst« – seltsam, der eitle, durch die lockeren Sitten und üppigen Schmeicheleien der Halbwelt verdorbene Mann, er schlug die Augen nieder und errötete scheu wie ein zartes Mädchen bei dem kargen Lob der ernsten jungen Frau. »Ich hätte dir manchmal abends beim Thee nachschreiben mögen,« setzte sie hinzu.

»Ah da hat also die scharfe Kritik verkappt und geräuschlos neben mir gesessen, während ich mich manchmal versucht fühlte, zu fragen, wieviele Nadelstiche wohl zu einem Blumenblatt in den unvermeidlichen Teppich gehören möchten ... Juliane, es war nicht edel, mich diese tölpelhafte Rolle spielen zu lassen – nein, schweige!« rief er, als sie unter einem stolzen Heben des Kopfes die Lippen zu einer herben Erwiderung öffnete – »die Strafe war nur allzu gerecht! ... Ich muß dir gestehen,« sagte er zögernd, »daß es mir in der That oft in den Fingern gezuckt hat, zum Beispiel meine Reiseeindrücke niederzuschreiben; aber der erste schüchterne Versuch in Briefform, den ich von London aus in die Heimat schickte, hat ein so eklatantes Fiasko gemacht, daß ich die Feder für immer entmutigt hingeworfen habe. Der Onkel schrieb mir ganz empört über ›diese langatmigen Salbadereien, diese taktlosen indiskreten Mitteilungen‹ hinsichtlich verschiedener Höfe, bei denen ich doch ›so unverdient gnädig‹ aufgenommen worden sei, und verbat sich ernstlich die Fortsetzung, da ein solcher Brief leicht in falsche Hände kommen und ihn wie mich selber kompromittieren könne, und bei Valerie fand ich, heimgekehrt, das Fragment einer solchen ›langweiligen Epistel‹ – wie sie lachend versicherte – um einen Flakonstöpsel gewickelt.«

Leo kam in diesem Augenblicke hereingestürmt – der Doktor sei beim Großpapa, und da habe man ihm erlaubt, nach der Mama zu sehen. Er starrte seinen Papa mit großen Augen erstaunt an – wie kam er denn auf einmal hierher, wo ihn der Kleine noch nie gesehen?

»Je, Papa, was thust du denn da im blauen Zimmer?« fragte er mit dem ganzen Befremden, aber auch mit der Eifersucht des bisherigen Alleinherrschers in den Wohnräumen der Mama.

Mainau errötete flüchtig und schob den Knaben sanft an den Schultern zur jungen Frau hin. »Geh, mein Junge, lege einmal deine Arme um den Hals der Mama – sieh, ich darf nicht um eine Linie weiter vorgehen, als sie erlaubt – und bitte, sie möge noch ein klein wenig Geduld mit dir und auch – mit mir haben, bis wir voneinander gehen!«

»Ach, ich gehe ja mit, Papa!« rief der Kleine und schlang seine Arme um die Hüften der jungen Frau. »Die Mama hat mir abends beim Schlafengehen immer versprochen, daß sie mich mitnimmt zu Onkel Magnus und Tante Ulrike, wenn sie einmal nach Rudisdorf reist.«

»Wie! Woher weißt du denn schon, daß die Mama nach Rudisdorf geht?« fragte Mainau überrascht.

»Der Herr Hofprediger und dem Erbprinzen seine Mama haben am Jägerhäuschen davon gesprochen – ganz heimlich – wir haben's aber doch gehört, der Erbprinz und ich ... Gelt, Mama, du nimmst mich mit?«

»Du mußt den Papa herzlich bitten, daß er dir manchmal einen Besuch gestattet,« entgegnete sie mit tiefgesenkten Lidern, aber fester Stimme und ließ ihre schönen, schlanken Finger durch die Locken des Kindes gleiten.

»Wir wollen sehen,« sagte Mainau kurz und rauh. »Sieh da, Juliane, deine allerliebste Erklärung von heute nachmittag scheint die Wirkung des elektrischen Funkens zu haben – morgen werden sich die Spatzen auf den Dächern unserer guten Residenz erzählen, daß seine Heiligkeit in Rom alle Hände voll zu thun habe, um mit Umgehung des eisernen Gesetzes zwei Menschen voneinander zu trennen, die sich schlechterdings nicht ineinander finden können ... Hm – selbstverständlich wirst du nicht vor meiner Abreise gehen?«

»Ich füge mich darin ganz und gar deinen Anordnungen – ist es dir recht, dann verlasse ich Schönwerth erst, wenn eine Tagesreise hinter dir liegt.«

Er nickte leicht mit dem Kopfe, dabei trat er rasch an den Tisch, bog den Brief an Ulrike zusammen und steckte ihn in seine Brusttasche. »Noch habe ich das Recht, zu konfiszieren – der Brief gehört mir!« Er verbeugte sich ironisch tief und feierlich, als habe er Audienz bei der Fürstin gehabt, vor der überraschten jungen Frau und verließ das Zimmer ... Leo aber brach plötzlich in ein leidenschaftliches Weinen aus – das Kind fühlte, daß es seinen Schutzengel verlieren sollte.


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