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Dreizehntes Kapitel.

Wer auf Abenteuer ausgeht, findet oft mehr, als er sucht. – Ich werde in den Schooß meiner Familie eingeführt, aber nicht ohne Schmerz. – Der Familienkreis besteht bis jetzt nur aus Engeln.

—————

Wie lange ich in dieser Verzückung blieb, weiß ich nicht; endlich aber wurde ich durch einen derben Schlag auf die Schulter geweckt, und als ich mich umwandte, sah ich Julians lachendes Gesicht über mir.

»So ganz allein an dem Fuße des Altars?« sagte er. »Ihr seid wahrhaftig der andächtigste Mann in Barcelona. Habe ich unabsichtlich einen Bekehrten aus Euch gemacht? Aber ernstlich gesprochen, wie findet Ihr die Ceremonien in unserer Kirche?«

»Abscheulich! Wollte Gott, daß ich nie Zeuge davon gewesen wäre.«

»Das ist nicht schön, Troughton. Vielleicht meint Ihr namentlich die lebendige Darstellung der Jungfrau Maria? Dies ist eine aus langem Alterthum hervorgebrachte Sitte, und Viele, die sonst in ihrem ganzen Leben für keine religiöse Idee zu gewinnen wären, sind durch derartige Aufregungen zur Andacht geweckt worden. Der weise und wahrhaft fromme Christ sieht in solchen vorbildlichen Darstellungen nichts Unrechtes. Aber wenn wir die Sache im Lichte eines heiligen Schauspiels betrachten, wie gefiel Euch die Sennorita in ihrer Rolle?«

»Sie war nur zu göttlich. Wer ist sie?«

Und ich zitterte bei meiner Frage.

»Die einzige Tochter eines spanischen Kaufmanns, den der gute König Joseph aus Madrid vertrieb, nachdem er ihn zuvor wie einen Schwamm ausgedrückt hatte.«

»Eine Spanierin? Ihr goldenes Haar, ihr durchscheinender Teint, das rosige Roth ihrer Wangen, die schön gerundete Gestalt – wie wenig gleicht Alles dies den schmächtigen, dunkelfarbigen Schönheiten Spaniens! Sie kann keine Spanierin sein, Julian.«

»Oh, da kennt Ihr Eure Landsmänninen nicht. Aus zwanzig spanischen Mädchen ist alles reine Blut gedrückt, um ein blondes Geschöpf wie die Sennorita zu machen; folglich sind die dunkeln Schönheiten ungebührlich dunkel, und die Blonden ungewöhnlich blond. Nein, sie ist durchaus spanisch und die anerkannte Schönheit von Barcelona.«

»Aber ihr Name, guter Julian – ihr Name?«

»Man nennt sie nur die Trottoni, eine sehr fröhliche und fromme kleine Katholikin, kann ich Euch versichern.«

»Ja, und Ihr habt heute mehr als einen Engel aus ihr gemacht. Bitte, Sennor,« sagte ich mit Bitterkeit, »kleidet sich dieses himmlische Wesen auch in die gewöhnliche Mantilla, und trägt sie Euer eigentümlich kurzes spanisches Gewand?«

»O ja; ihre schönen Knöchel hätten sonst allen Grund, sich zu beklagen.«

»Und sie weiß ohne Zweifel auch ihren Fächer zu schwingen?«

»Kein Frauenzimmer in Barcelona versteht diesen unerläßlichen Zierrath mit mehr Anmuth zu führen.«

»Gut – sehr gut – und sie ist wohl auch recht zuvorkommend. Sie läßt sich vielleicht herab, für einen schönen Cavalier die Cigarre anzuzünden und nach einigen anmuthigen Zügen sie in dessen Mund zu stecken?«

»Das ist so Landessitte, Ardent. Sie hat mir erst gestern Abend diese Gunst erwiesen.«

»Den Teufel that sie! Doch es gefällt mir so – es thut mir gut – ungemein gut.«

»Würde es Euch nicht besser thun, wenn Ihr bei ihr eingeführt werden könntet? Als ich Euch gestern Nacht verließ, traf ich sie bei einer Tertulia. Wenn es Euch angenehm ist, will ich Euch heute Abend nach ihrem Hause nehmen.«

»Nie, nie! ich will die Illusion nicht zerstören. Ich habe sie in der Weise gesehen, in welcher allein man sie sehen sollte. Doch von etwas Anderem. Ich fühle, daß ich nur ein kurzes, aber mühsames Leben vor mir habe, um einem Irrwische nachzujagen.«

Nachdem ich dem weiteren Drängen meines Freundes, ihn zu begleiten, mannhaften Widerstand entgegengesetzt hatte, begab ich mich nach meiner stillen Wohnung, um durch Nachdenken den Eigensinn eines zu sanguinischen Temperaments zu bändigen, das mich vielleicht schnell in Elend, wo nicht gar in Wahnsinn hetzte; aber ich konnte mich des Traumgesichts der Jungfrau Maria und des quälenden Gedankens, sie mit einer angezündeten Cigarre im Munde zu sehen, nicht entschlagen.

Der Leser bemerkt natürlich, daß meine Zeit der ersten Liebe gekommen war, ohne daß ich selbst es wußte, und daß ich mich in meiner verdrießlichen Lage ziemlich unvernünftig geberdete. Wer hat je gesehen, daß die Liebe den Charakter eines Mannes oder Weibes anders, als in den Augen des geliebten Gegenstandes verbesserte? Was mich betraf, so wurde ich ungeduldig und reizbar. Ich verließ selten meine Wohnung vor Einbruch der Dunkelheit, und streifte dann mit Jugurtha und Bounder an dem Seegestade hin, wobei ich mir unaufhörlich die Versicherung gab, daß ich der unglücklichste Mensch sei, und mein Bestes that, um diese Behauptung wahr zu machen.

Es waren nun vierzehn Tage entschwunden, und ich wurde täglich mürrischer und schwermüthiger; auch hatte ich während dieser ganzen Periode weder Julian noch Isidora gesehen. Die wenigen Erkundigungen, die ich eingezogen hatte, überzeugten mich, daß sich mein Vater und seine Familie nicht zu Barcelona aufhielten; aber meine Sehnsucht, sie zu sehen, war längst entschwunden.

Endlich wagte ich es, auszugehen, um für mich und meine Begleitung eine Wohnung außerhalb der Stadt zu miethen, da ich in diesem Falle weniger der Belästigung ausgesetzt war, und mit meinem Gefolge die ganze Nacht durch umherstreifen konnte, ohne befürchten zu müssen, von der Schildwache gestört zu werden, oder durch meine mitternächtlichen Spaziergänge den Argwohn der guten Stadtbewohner zu wecken.

Der Juli näherte sich seinem Ende, und das Wetter wurde sehr heiß, so daß mir meine Vorstadtwohnung sehr zu Statten kam. Sie bestand allerdings nur in einer ärmlichen Hütte; indeß war, Dank sei es der Vorsorge meines Jugurtha, die Nahrung desto besser. So lebte ich in einer völligen Abgeschiedenheit bis zum dritten August, um welche Zeit all' meine Thatkraft abermals auf eine höchst seltsame Weise in's Spiel gezogen wurde.

Die Nacht war klar und dunkel; über uns breitete sich einer jener köstlichen spanischen Sommerhimmel aus, die alle Nerven wonnig durchbeben. Wir hatten einen weiteren Ausflug gemacht, als gewöhnlich. Ich und Jugurtha waren gut bewaffnet, da in Spanien Jedermann seine Wehr mit sich trägt, und was unseren Gefährten Bounder betraf, so war er gewohnt, sich nie zu entwaffnen. Wir geriethen auf unbekannte Pfade, und ohne Rücksicht auf verbotene Gründe wanderten wir weiter, wo der Duft der thauigen Orangenblüthen am verlockendsten war. Endlich befanden wir uns plötzlich dicht vor einem langen, niedrigen Gebäude, das durchaus keine Aehnlichkeit mit den spanischen Villa's, dagegen eine desto größere mit einem englischen Cottage ornée hatte. Der Anstand gebot uns, augenblicklich umzukehren; aber der sanfte Ton einer Musik, zu welcher gesungen wurde, verlockte uns, nicht nur zu bleiben, sondern auch näher zu gehen. Wer läßt sich nicht lieber einladen, als ausschließen? Wir schlichen näher an das Haus, und da die Fenster, welche bis auf den Boden heruntergingen, offen waren, so konnten wir mit leidlicher Bestimmtheit unterscheiden, was in dem Hauptzimmer vorging. Es war eine häusliche Scene, die aber nichts Malerisches bot. Wir standen nicht nahe genug, um die Gesichter der kleinen Gesellschaft unterscheiden zu können, welche aus einem ältlichen Herrn, einer Frau in dem schönsten Sommer des Lebens und einer sehr jungen Dame bestand.

Der alte Herr trug eine wohlgepuderte Perrücke und war sehr emsig an einem Schreibepult beschäftigt, wo er unterschiedliche Papiere ordnete und mit Adressen versah; die Frau arbeitete an einem Stickrahmen, und das Mädchen sang zu der ewigen spanischen Guitarre. Letztere hatte ihr Gesicht mit der Mantille beschattet; ihre Gestalt war theilweise von dem einzigen Lichte einer großen Schirmlampe abgekehrt, die auf dem Pulte des emsigen, alten Herrn brannte. Das Gemach schien nicht am besten möblirt zu sein; aber doch lag über dem Ganzen ein stiller, heimischer Charakter, der ungemein wohlthuend auf meine Gefühle wirkte.

Ich hörte den Gesang deutlich genug, achtete aber nicht viel darauf, da die Hymne, welche ich kürzlich in der Kirche unserer Frauen vom Meere gehört hatte, ohne Unterlaß in meinen Ohren nachhallte.

Ich näherte mich allmählig mehr und mehr dem französischen Fenster, während meine Begleiter in kurzer Entfernung von mir stehen blieben, und hielt nicht inne, bis meine Rechte eigentlich auf dem Gesimse aufruhte. In dieser großen Nähe machte Einiges von der Romantik und dem friedlichen Verkehr vergangener Tage mein Herz unruhig, und wider Willen fühlte ich mich nach dem wohlmöblirten Besuchszimmer in Lotbury mit seinen für mich verlorenen Pleiaden, den Fräulein Falk (obgleich ihrer nur fünf waren), zurückversetzt.

Und die Stimme der jungen Sängerin – ich begann aufzumerken, dann Gefallen daran zu finden, und wie endlich einige der gedämpften, feierlichen Töne süßer und klarer, als die süßesten und klarsten Noten ihrer Guitarre, in der Reichheit ihrer Melodie in mein Bewußtsein übergingen, fand ich, was ich zuvor nicht bemerkt hatte, daß der Gesang ausgezeichnet schön war. Ich sehnte mich, das Antlitz des Mädchens zu sehen, das noch immer über die Guitarre gebeugt war, und es stund nicht lange an, bis mich der schlimmste aller Flüche – die des erfüllten Wunsches traf.

Eine ergreifend süße Cadenz von Seite der jüngeren Dame weckte die ältere; sie sprang mit dem gewöhnlichen spanischen Rufe, der aber für englische Ohren unfromm tönt – »Jesus!« auf und eilte auf die Sängerin zu, um sie auf die Stirne zu küssen.

Ich hatte eben noch Zeit, zu bemerken, daß die matronenhafte Dame in der reichen Fülle maurischer Ueppigkeit »ungemein schön« war – eine dunkle Schönheit, die dem Busen des Mannes oft weit süßer dünkt, als die lichtere; ich sage, ich hatte eben noch Zeit, dies zu bemerken, als das kleine Geräusch auch den Herrn mit der weißen Perücke veranlaßte, von seinen Papieren aufzuschauen, und seine milden, verblichenen Züge leuchteten von Innigkeit.

»Meine Tochter!« rief er zärtlich.

Sie erhob sich augenblicklich und hatte im Nu ihre weißen Arme um seine vom Alter gebeugten Schultern geschlungen, während die ältliche Dame herantrat und sich über Beide niederbeugte. Es war eine jener schönen Gefühlsaufwallungen, die man – ach, und auch dann wie selten! – nur in der Einsamkeit des häuslichen Kreises, die man aber ja nicht Verödung nennen darf, findet.

Doch was war Alles dies für mich? Nichts. Ich hatte in jenem Momente Augen, ohne zu sehen. Erst in spätern Jahren, als ich zu tausend und tausendmalen über jene Scene nachdachte, fielen mir alle diese vorläufigen Einzelnheiten bei.

Ach! was war es für mich? Denn in dem Moment, als das Mädchen sich scherzend auf das Knie ihres Vaters setzte, schüttelte sie ihr Haar bei Seite, daß es um sie herflog, wie wellenförmige Strahlen goldenen Lichtes, die unter den Falten ihrer schwarzen Mantilla hervorzuquellen schienen, und mir in dieser Weise plötzlich die himmlische Lieblichkeit des Antlitzes entschleierten, das ich nie wieder zu sehen gebeten hatte, wenn ich es nicht immer und ewig sehen sollte! Es war das Antlitz der Sennora de la Mar – sie, vor der so Viele anbetend die Kniee beugten – der die Orgel ihre Hallelujahs entgegentönte – die Verkörperung der jungfräulichen Mutter!

Wie kam es, daß ich in jenem Augenblicke mich zuerst überzeugen wollte, daß mein Dolch noch immer wohlbehalten in meinem Busen stack – daß ich hastig nach den Schlössern meiner Pistolen sah? Sann ich auf ihren – oder auf meinen Tod? Die Handlung war unwillkürlich. Im nächsten Augenblick zog ich, ohne daß ich mir je einen Grund anzugeben vermochte, Jugurtha vorwärts, und deutete auf die Gruppe. Der Neger brachte seine flache breite Nase in Berührung mit dem Glase und verzog seinen ohnehin schon sehr großen Mund zu einem Grinsen unbeschreiblichen Entzückens. Auch der Hund war herangekommen und hatte sich den Zuschauern angeschlossen.

In dieser Lage hatte ich eben noch Zeit, ein kurzes Gebet auszustoßen, es möchte ein Trupp von Banditen die Thüren des Zimmers sprengen, damit ich darüber herfallen und sie erschlagen könne. Mit einemmale wandte jedoch die Mutter ihr Gesicht zu uns und bemerkte das seltsame, etwas garstige Schauspiel des Negergesichtes, welches an das Fenster geleimt schien.

Ein Schrei, ein Aufspringen und ein Ruf nach den Dienstboten! Kaum gelang es mir noch, zurückzutreten, als wir plötzlich von bewaffneten Männern umringt waren, und ehe ich Zeit gewann, meine Pistolen loszumachen, hatte man mich auf das eine Knie niedergeworfen. Der Dolch des Don Mantez blitzte über mir. Jetzt wäre Alles verloren gewesen und mir eine lange, lange Frist herber Kämpfe erspart geblieben, wenn nicht der treue Bounder bessere Wache gehalten hätte, als wir. Ehe der Stoß geführt werden konnte, war er dem Meuchelmörder an der Kehle, und es wurde mir möglich, den erhobenen bewaffneten Arm zu ergreifen. Mittlerweile hieb Jugurtha mit seinem schweren Stutzsäbel, wie ein Teufel um sich und hielt in der That einen ganzen Kreis von Angreifern im Schach.

Dies konnte jedoch nicht lange währen. Sie schlossen sich allmählig näher an mich und meinen Gegner an, bis zuletzt wir Alle unter furchtbarem Geklirre durch das Fenster in das Gemach gedrängt wurden, wo der erstaunte alte Herr, seine erschreckte Gattin und Tochter, und das vor Ueberraschung sprachlose Gesinde standen.

Nachdem wir in das Gemach gerollt waren, konnte ich mich leicht der Waffe, die gegen mich erhoben worden war, bemächtigen und aufstehen. Aber Mantez war in einer jämmerlichen Lage; Bounder wollte nicht loslassen, und nur die schwarze Halsbinde des zu Boden gestreckten Kapitäns rettete ihn vor augenblicklichem Tode. Aber dennoch drohte ihm Erdrosselung. Jugurtha war umringt und seine Arme wurden gewaltsam von seinen vier Gegnern zurückgehalten, obschon ihre vereinte Kraft kaum im Stande war, ihn zu bändigen. Auf diese schien er jedoch fast gar keine Rücksicht zu nehmen, denn alle seine Blicke und Geberden deuteten nur auf Mantez, dessen Kopf von dem wüthenden Hunde ungestüm gegen den Boden geschlagen wurde, während sein Gesicht ein leichenhaftes Schwarz annahm.

Sobald ich mich aller persönlichen Belästigung entrissen hatte, trat ich in die Mitte des Zimmers, zog meine Pistolen heraus, spannte sie und stierte umher, um zu sehen, wen ich in meinem Grimme zuerst opfern solle. Aber während ich diese mordsüchtige Runde machte, trafen meine Augen auf die schöne Mutter und die liebliche, aber jetzt todtenbleiche Tochter. Meine Hände sanken und ich rief laut:

»Nein – nicht hier – nicht jetzt – nicht vor solchen Zeugen.«

Ohne Zweifel war auch die Wildheit aus meinen Zügen entschwunden, denn der alte Herr trat furchtlos auf mich zu und sagte:

»Sennor Student (denn der Leser wird sich erinnern, daß ich mich in die Tracht eines solchen gekleidet hatte), von allen diesen Eindringlingen scheint Ihr allein nicht von dem Dämon des Mordes besessen zu sein. Könnt Ihr nicht diesen ehrenwerthen Kapitän den Zähnen des furchtbaren Thieres entreißen?«

»Warum sollte ich? Der Bube hat eben erst versucht, mich meuchlerisch zu ermorden.«

»Ihr habt Widerstand geleistet,« sagte einer von den Vieren, welche mehr als genug zu thun hatten, um Jugurtha zu bändigen. »Erkennet mich – ich bin der Hauptalquazil und komme, um diese Person, welche die Verhüllung eines Studenten vorgenommen hat, als einen Spion, Betrüger und Landstreicher, der sich kürzlich noch für einen Don Ardentizabello de Trompe Hilla ausgegeben hat, wie auch noch wegen vieler anderer Verbrechen auf den Eid des sehr ehrenwerthen Kapitän Don Mantez hin zu verhaften. Wie Ihr daher auch heißen mögt, ruft Euren Hund zurück und kommt augenblicklich in's Gefängniß.«

Nun gab es einen neuen heftigen Kampf gegen den unbändigen Jugurtha, weshalb der Alquazil, so gut es in seinem athemlosen Zustand gehen wollte, rief:

»Sennor Trottoni, ich befehle Euch und Euren Dienern im Namen der Obrigkeit, bei Verhaftung dieses mit Pistolen bewaffneten Betrügers Beihülfe zu leisten.«

»Ihr thut besser, wenn Ihr dies bleiben laßt,« sagte ich, mich an das aufgebotene Personal wendend. »Die ersten zwei, welche sich mir nähern, sind des Todes.«

»Und mittlerweile,« rief die ältliche Dame in Todesängsten, »bringt dieses Ungeheuer den edlen Kapitän um. Großmüthiger Fremder, ich flehe Euch an, den Hund zurückzurufen oder ihn todtzuschießen.«

»Ich würde mich glücklich schätzen,« entgegnete ich mit einer Verbeugung gegen sie, »eine so würdige Dame in allen Dingen zu verbinden; aber in dieser Kleinigkeit kann es nicht geschehen.« Dies sagte ich natürlich spanisch; dann aber fuhr ich bitter in englischer Sprache fort:

»Ungeheuer! der Himmel sei Zeuge, wer von diesen beiden das Ungeheuer ist! Möge er stückweise aufgefressen werden – der feige Meuchelmörder!«

»Ihr sprecht Englisch?« sagte der alte Mann in großer Aufregung, gleichfalls in englischer Sprache. »Im Namen des barmherzigen Gottes, wer seid Ihr? Sprecht und redet die Wahrheit.«

»Sennor, ich bin kein Spion – kein Betrüger – kein Landstreicher – kein Vagabund – sondern Ardent Troughton, ein schiffbrüchiger Kaufmann.«

»Von der Brigg Jane?«

»Ja, von derselben, die in der letzten Zeit von einem gewissen Tomkins kommandirt wurde.«

»Dann befehle ich dir bei deinen kindlichen Pflichten, diesen Hund zurückzurufen. Ich bin Troughton der Aeltere – dein wilder Begleiter tödtet den Verlobten deiner Schwester.«

Dies war mit so ruhiger Würde gesprochen, daß ich augenblicklich gehorchte. In einem Nu kauerte sich der Hund zu meinen Füßen. Damals verstund ich nichts vom Ganzen – ich wußte nichts – that, was man mich hieß – und handelte wie eine Maschine. Ich war betäubt, und doch erfüllte mich ein so dumpfes Schmerzgefühl, begleitet von dem Bewußtsein eines tiefen Verbrechens, welches mir bis in's Mark schnitt – ein Gefühl, ähnlich dem eines Verurtheilten während seines schweren, traumgeängstigten Schlafes, der seiner Hinrichtung vorangeht. Hätte man mir in diesem Augenblick befohlen, die Pistolenmündung an meinen eigenen Kopf zu setzen, so würde ich es theilnamlos – ja, soll ich es gestehen – fast mit Wonne gethan haben.

Jugurtha, der mir den unbedingtesten Gehorsam und die treueste Anhänglichkeit zollte, hatte kaum bemerkt, daß ich nicht länger den Tod des Kapitän Mantez wünschte, als er sein Ringen gleichfalls aufgab, worauf ihn die Polizeigehülfen aus eigenem Antriebe frei ließen und unter dem Beistand meines Vaters und seiner Diener sich emsig mit Wiederbelebung des erdrosselten Kapitäns bemühten, was ihnen jedoch erst nach einiger Zeit gelang.

Während dieser Vorgänge zog ich mich in die dunkelste Ecke des Gemachs zurück und lehnte mich, die Pistolen noch immer in den Händen, in wilder Verwirrung an die Wand. Der erste Gebrauch welchen der Kapitän von seinen wiederwachenden Lebensgeistern machte, bestand darin, daß er seinen tödtlichen Haß gegen mich zu erkennen gab; da er mich jedoch nicht offen ermorden konnte, so sah er sich genöthigt, seinen Groll dahin zu zügeln, daß er dem Alquazil befahl, mich augenblicklich nach dem Stadtgefängnisse zu bringen.

*


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