Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Die verschiedenen Parteien waren in voller Tätigkeit. Der Rat der Cosiniery versammelte sich im Karmeliterkloster unter dem Vorsitz des Paters Ambrosius, und die Führer der Verbindung, welche bis dahin durch ihre geheimen Fäden unumschränkt die Bewegung beherrscht hatten, gestanden sich ein, daß sie durch die stattgefundene wirkliche Erhebung trotz des unmittelbaren Sieges derselben einen großen Teil ihres Einflusses eingebüßt hatten und in Gefahr standen, die Leitung gänzlich zu verlieren.

Der Hauptmann von Tanzki erklärte, daß er nicht mehr für den militärischen Bund, der die Armee umfaßte und den er nach den Beschlüssen der Cosiniery geleitet hatte, einstehen könne, da der Nimbus, welcher den General Chlopicki umgab, dessen Autorität stärker machte als seinen eigenen Einfluß auf die bisher unbedingt zu ihm stehenden Mitglieder des Bundes, und Potocki mußte ebenfalls anerkennen, daß die ausgebrochene Bewegung die das Volk durchziehenden Fäden verwirrt und die Leitung der Massen dem Zufall preisgegeben habe, wenn irgend ein redegewandter Führer aus dem Volke selbst emporsteigen sollte. Dazu mußten alle einräumen, daß die Frucht der Erhebung und des so blutig erkämpften Sieges vollständig in die Hände des Verwaltungsrats übergegangen sei, der sich auf dem besten Wege befände, die alten Zustände mit geringen Konzessionen wieder herzustellen. Die jüngeren und feurigeren Mitglieder des Rats der Cosiniery verlangten rücksichtsloses Handeln, Kasimir und Konstantin Backlowicz drangen darauf, das Volk aus seiner gleichgültigen Ruhe aufzurütteln und um jeden Preis gegen die russischen Truppen und den Großfürsten zu führen, dieselben zu vernichten oder über die Grenze zu werfen, damit ein unheilbarer Bruch und ein Entscheidungskrieg herbeigeführt werde, andere stimmten dagegen, alles auf eine Karte zu setzen, und selbst der Hauptmann von Tanzki, der sonst zu den eifrigsten Vertretern einer gründlichen und entscheidenden Revolution gehörte, mahnte von einen solchen ab, weil er an der Möglichkeit zweifelte, die polnischen Truppen dazu fortzureißen, und überzeugt war, daß bloße Volkshaufen von den russischen Regimentern vernichtet werden würden.

Nach langen Debatten kam man unter der Autorität des Paters Ambrosius, der durch seine klare und ruhige Sicherheit allen imponierte, zu festen Beschlüssen. Es sollte zunächst sogleich ein öffentlich auftretender patriotischer Verein gebildet werden, welcher durch seine Mitglieder aus allen Volkskreisen die Massen zu beherrschen vermöchte. Dieser Verein sollte den Verwaltungsrat zwingen, ein Regierungskomitee, das den tatsächlichen Zustand und den Bruch mit der Vergangenheit anerkennen müßte, zu bilden und in dies Komitee Mitglieder aus den Kreisen der radikalen Patrioten aufzunehmen. Diese Mitglieder sollten nach der geheimen Leitung der Cosiniery die Regierung zu einem Vorgehen drängen, das den Krieg notwendig mache, so daß endlich Chlopicki gezwungen würde, die Truppen gegen Rußland zu führen oder vor dem Volk als Verräter dazustehen und seine Popularität und Macht zu verlieren. Sodann wurde beschlossen, daß Konstantin sogleich nach Paris reisen und bei der dortigen Regierung die Anerkennung der provisorischen Regierung als einer von Rußland unabhängigen Macht und den Empfang eines Vertreters derselben in Paris zu erlangen. Alles sprach dafür, daß dies erreicht werden würde, denn der Kaiser Nikolaus hatte noch immer die Annahme eines französischen Gesandten in Petersburg verweigert und die Regierung des Königs Louis Philipp war dadurch um so tiefer verletzt, als ihr bekannt war, daß die russische Diplomatie die heilige Alliance und England zu einem Kriege gegen Frankreich zu drängen versuchte. Es mußte für Frankreich daher sehr erwünscht kommen, den polnischen Aufstand zu benutzen, um Rußland zu lähmen und im Fall des Krieges einen wichtigen Verbündeten und eine bei dem ganzen Volke populäre Sache zu gewinnen. Umgekehrt konnte man hoffen, daß, wenn Frankreich offen für Polen eintrat, dessen Sache auch große Sympathien in Deutschland finden und Rußland dann vielleicht vor einem solchen Kampf zurückschrecken und in eine Befreiung Polens willigen würde.

Konstantin widerstrebte es aufs tiefste, in diesem Augenblick das Vaterland, das sich in einer so schweren Krisis befand, zu verlassen; aber der Beschluß, welcher ihm seine Mission auftrug, war einstimmig und das zu erreichende Ziel war so wichtig und entscheidend für einen glücklichen Ausgang des polnischen Befreiungskampfes, daß an sich dessen Ausführung wichtiger war als sein persönliches Eintreten in die Reihen der Kämpfer.

Kasimir führte ihn, als die Sitzung beendet war, in seine Wohnung.

»Zögere nicht,« sagte er ernst, »diese Nacht noch mußt Du abreisen.«

»Diese Nacht noch, und soll ich nicht Abschied nehmen?«

»Abschied nehmen – von wem?« unterbrach ihn Kasimir streng. »Laß mich nicht glauben, daß ein persönliches Gefühl in diesem Augenblick Platz in Deinem Herzen finden könnte neben der Pflicht gegen das Vaterland.«

»Mein Gott,« sagte Konstantin, tief bewegt, »Du kennst mein Herz, Kasimir – kannst Du es mir verdenken, wenn ich in dieser Zeit, die Luitgarde so schwer erschüttert hat, an ihren Schutz denke?«

»Luitgarde steht im Schutze ihres Vaters, jede Gefahr hätte ihr nur durch den Gemahl kommen können, dem sie in eitler Verblendung ihre Hand gereicht. Als Du sie Dir für immer verloren glaubtest, wendetest Du Dich dem Dienst der heiligen Sache zu, laß mich nicht glauben, daß Du schwankend wirst, da sie frei geworden. Ist einmal für das Vaterland der Sieg erkämpft, dann wirst auch Du frei sein – ich werde es beklagen, wenn Du dann Dein Leben an eines Weibes Liebe hängst, aber Du wirst dann frei sein, zu tun, was Dein verblendetes Herz ersehnt, jetzt aber halte ich Dich bei dem Gelübde, das Du in meine Hand abgelegt bei dem Namen Gottes und bei Deiner Ehre, und jetzt verlange ich von Dir, daß Du ohne Abschied abreisest, damit auch nicht das Zucken einer fremden Empfindung sich zwischen Dich und Deine Pflicht stellt.«

»Du hast recht,« sagte Konstantin, den Kopf neigend, »ich gehorche!«

Kasimir umarmte ihn.

»Ich wußte es, daß Du nicht schwanken konntest. Doch nun noch eins«, sagte er dann, indem er seinen Schreibtisch aufschloß und ein versiegeltes Papier aus demselben nahm. »Nimm dies mit, es ist ein unschätzbarer Talisman, der vielleicht das entscheidende Gewicht in die Wagschale werfen kann. Ich habe Euch schon gesagt, daß Oesterreich bereit ist, für uns einzutreten und sogar einem selbständigen Königreich Polen Galizien zurückzugeben unter der Bedingung, daß Frankreich und England zustimmen und daß ein österreichischer Erzherzog zum Könige von Polen erhoben Wird. Gib dies Papier dem französischen Minister, er wird sich überzeugen, daß der österreichische Vorschlag ernst gemeint ist und daß die Regierung des Königs Louis Philipp durch die Annahme desselben in einem Augenblick eine entscheidende Stellung in Europa und eine glänzende Genugtuung für die hochmütige Beleidigung erreichen kann. Louis Philipp wird glänzend und fest dastehen im Innern Frankreichs wie vor dem Auslande, indem er im Bunde mit Oesterreich erreicht, was Napoleon nicht erreichen konnte oder wollte.«

»Mein Gott, welche Zukunft zeigst Du mir!« rief Konstantin, dessen trübe Blicke sich strahlend erleuchteten. »Gib mir Flügel, um morgen in Paris sein zu können! Lebe wohl, und Gott gebe, daß ich bald mit froher Botschaft heimkehren kann!«

Er eilte davon und schon im Morgengrauen flog sein Reisewagen auf der Straße nach der preußischen Grenze hin.

Auch der zweite Beschluß des Rats der Cosiniery wurde schnell und pünktlich ausgeführt.

Der patriotische Verein konstituierte sich am nächsten Tage. Fast alle Bewohner von Warschau wurden seine Mitglieder und er stellte an den Verwaltungsrat die Forderung, eine Anzahl von Mitgliedern aus der Partei der radikalen Patrioten aufzunehmen und eine provisorische Regierung zu bilden.

Das ganze Volk unterstützte laut und dringend dieses Verlangen, so daß der Fürst Lubecki sich demselben nicht mehr entziehen konnte. Es wurde also ein wirkliches Regierungskomitee gebildet und in dasselbe drei radikale Patrioten aufgenommen, welche für den definitiven Bruch und den Krieg mit Rußland eintraten. Aber schon durch das Zahlenverhältnis war dafür gesorgt, daß diese neu aufgenommenen Mitglieder in der Minderheit bleiben mußten. Darauf achtete aber das Volk in seinem Siegesrausch nicht und jubelte dem neuen Regierungskomitee zu.

Der patriotische Verein hielt in seinen Sitzungen hochklingende Reden voll Mut und Kriegslust, einzelne ließen sich dazu fortreißen, heftige persönliche Ausfälle gegen die Zögernden zu machen, die sie Abtrünnige und Verräter an der Sache des Volks nannten.

Unter den also Angegriffenen befand sich auch Chlopicki. Er hörte davon und geriet in einen unbeschreiblichen Zorn, der ihn so sehr angriff, daß er sich zur Ader lassen mußte.

Die Kunde davon durchflog die Stadt und alle Freunde des Generals verbreiteten eifrig in den verschiedenen Kreisen die Erbitterung über einen solchen verleumderischen Angriff gegen den vom ganzen Volke verehrten Mann, den einzigen militärischen Führer des Aufstandes.

Eine fortwährend wachsende Menge versammelte sich vor dem Hause des Generals. Man wollte ihn sehen, man wollte ihn des Vertrauens und der Verehrung versichern und die Entrüstung über die ihm zugefügte Beleidigung ausdrücken.

Er aber ließ niemand vor und erklärte, daß er mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben wolle, nachdem ihm für seine Bereitwilligkeit, dem Vaterlande zu dienen, ein solcher Undank zuteil geworden.

Während das Volk in dichten Massen die Wohnung des Generals umdrängte und zu den geschlossenen Fenstern einen Hochruf nach dem andern hinaufsendete, erschien der Fürst Lubecki, um die Ernennung Chlopickis zum Obergeneral der polnischen Armee von seiten des Regierungskomitees zu überbringen.

Man hatte diese Ernennung einstimmig beschlossen, die vermittelnde Majorität wußte ja, daß Chlopicki der erbitterte Feind des Krieges war, und die radikale Minderheit hatte es nicht gewagt, der bis zur Begeisterung gesteigerten Popularität des Generals entgegenzutreten.

Chlopicki, der von einigen befreundeten Generalen und Stabsoffizieren umgeben war, hörte die Botschaft des Fürsten Lubecki mit finsterem Schweigen an.

Dann aber sprang er auf, schlug mit der geballten Faust auf den Tisch und warf das von dem Regierungskomitee unterzeichnete Dokument zur Erde.

»Was soll mir diese Ernennung?« rief er. »Ich bedarf keiner Ernennung von einer Regierung, die keine Kraft und keinen Willen hat und sich von revolutionären Vereinen einschüchtern und in ihren Beschlüssen bestimmen läßt! Einer solchen Regierung zu gehorchen, kommt mir nicht in den Sinn. Ich habe selbst die Macht, zu befehlen, und will diese Macht zur Rettung des Vaterlandes gebrauchen. Sagen Sie das ihren Herrn Kollegen, Fürst Lubecki, ich werde sogleich selbst zu ihnen kommen und ihnen meinen Willen kund geben.«

Lubecki wollte Vorstellungen machen, Chlopicki hörte nicht auf ihn, er fertigte den Befehl aus, daß die sämtlichen Truppen nach dem Marsfelde zur Parade antreten sollten. Dann legte er hastig die große Uniform mit den russischen Orden an und ließ für sich und seine Umgebung Pferde vorführen, um nach der Sitzung der Regierung zu reiten.

Als er unter der Tür seines Hauses erschien, schallte ihm begeisterter Jubelruf entgegen und die Massen umdrängten ihn, als er davon ritt.

Fürst Lubecki folgte ihm unbeachtet in seinem Wagen. Die Luft erzitterte von den Hochrufen, als der General vor dem Bankgebäude abstieg.

Er trat, den Hut auf dem Kopf, von einer Anzahl von Offizieren begleitet, in den Sitzungssaal, wo die Mitglieder des Komitees noch versammelt waren und in den ihm der Fürst Lubecki nach einigen Augenblicken folgte.

»Sie haben mich zu Ihrem General ernannt, meine Herren,« sagte er, »ich bestreite Ihnen das Recht einer solchen Ernennung und erkläre sie für überflüssig, da ich den Befehl über die Armee in meinen Händen halte und weder mit Ihnen noch mit jemand anders die Verantwortung dafür teilen will. Ich ergreife die Diktatur und erkläre jeden, der mir von diesem Augenblick an nicht gehorcht, für einen Verräter am Vaterlande!«

Die sämtlichen Regierungsmitglieder waren starr vor Erstaunen und Schrecken, einige wollten Vorstellungen machen, aber unter den donnernden Jubelrufen des Volks, die von unten herauf klangen, rief Chlopicki, indem er die Hand an den Griff seines Degens legte:

»Es gilt keine Debatte hier, meine Herren, sondern Gehorsam! Die inneren Feinde des Vaterlandes sind gefährlicher als die äußeren, und ich würde mit diesen Feinden, welche glauben, hier bei uns die Zügellosigkeit der Revolution wie in Frankreich zur Herrschaft bringen zu können, fertig werden, darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Beschäftigen Sie sich mit der Aufrechterhaltung der Ordnung, der Verwaltung und Rechtspflege des Landes, dazu gebe ich Ihnen den Auftrag, aber vergessen Sie nicht, daß keine Ihrer Verfügungen zu Recht gilt und zur Ausführung kommen wird, wenn ich nicht meine Genehmigung dazu erteile.«

Er wendete sich kurz um und ließ die Mitglieder der Regierung in sprachlosem Erstaunen zurück.

Die Radikalen wollten einen Protest gegen die Diktatur erheben, die übrigen aber stimmten dagegen. Alle sahen die Unmöglichkeit ein, bei der Stimmung des Volkes irgend etwas gegen Chlopicki zu unternehmen.

So schloß man die Sitzung, um die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten.

Chlopicki aber stieg wieder zu Pferde und ritt, von einem glänzenden Stabe begleitet und überall von den Jubelrufen des Volkes begrüßt, nach dem Marsfelde, wo die sämtlichen dort befindlichen Regimenter in einem großen Viereck aufgestellt waren.

Der General hielt in der Mitte. Er verkündete mit kräftiger Kommandostimme, daß er die Diktatur zur Aufrechterhaltung der Ordnung in Warschau und dem ganzen Königreich Polen übernommen habe und von den Truppen Treue gegen die Verfassung und unbedingten Gehorsam für seine Befehle verlange.

Die Regimenter antworteten mit einem einstimmigen Hochruf.

Chlopicki ritt die Front ab und kehrte dann in seine Wohnung zurück, wo er eine kurze Proklamation aufsetzte, welche dasselbe enthielt, was er dem Regierungskomitee und den Soldaten gesagt hatte und welche am nächsten Morgen an allen Straßenecken angeheftet wurde.

So hatte denn der Aufstand ein militärisches Oberhaupt mit unbeschränkter Macht und ein Regierungskomitee, das gar keine Vollmachten besaß und nur die Geschäfte von Sekretären des Diktators zu führen hatte. Ganz Warschau aber jubelte und vielfach waren die Straßen illuminiert. Die Russen waren abgezogen, ein polnischer General, der unter Kosciuszko und Napoleon gefochten hatte, stand an der Spitze des Landes, und jedermann glaubte, daß nun die langersehnte Freiheit und Unabhängigkeit erkämpft sei. Der patriotische Verein war vollkommen ohnmächtig gemacht und seine Mitglieder, die irgendwie tätig hervorgetreten waren, mußten zufrieden sein, wenn sie in der Verborgenheit sich den Mißhandlungen des Volks entziehen konnten.

Die erste Tat des neuen Diktators war ein in den demütigsten Ausdrücken abgefaßter ehrfurchtsvoller Brief an den Kaiser Nikolaus, in welchem er bat, das Vorgefallene zu verzeihen, welches nur das Werk eines jugendlichen Phantasten gewesen sei. Er bürgte für die Erhaltung der Ordnung und bat den Kaiser nur um die Gnade, seinerseits dem Wunsch des Volks gemäß die vom Kaiser Alexander gegebene und von den europäischen Mächten verbürgte Verfassung von achtzehnhundertundfünfzehn aufrecht zu erhalten und auf diejenigen Maßregeln verzichten zu wollen, welche den Bestimmungen jener Verfassung nicht entsprächen.

Mit diesem Briefe sendete er einen seiner Adjutanten nach Petersburg ab und verbot, in seiner Gegenwart ein Wort von einem möglichen Kriege gegen Rußland zu sprechen.

Das Regierungskomitee seinerseits, in welchem die radikalen Mitglieder sich vollständig der Mehrheit unterworfen hatten, da sie keine Möglichkeit sahen, mit ihren Ansichten durchzudringen, beschloß ebenfalls Verhandlungen mit dem Kaiser auf derselben Grundlage, welche Chlopicki vorgeschlagen hatte.

Man setzte eine Instruktion auf und gab dem Fürsten Lubecki den Auftrag, selbst nach Petersburg zu gehen, um bei dem Kaiser die Gewährung der gestellten Bitten zu erlangen.

Der einzige Punkt, welchen das Komitee noch hinzufügte, war die Befreiung von Litauen und die Zurückgabe dieser Provinz an das verfassungsmäßige Königreich Polen.

Der Fürst Lubecki sendete einen Kurier nach Petersburg, um die Erlaubnis für sein Erscheinen dort zu erbitten. Diese Erlaubnis wurde gewährt. Der Fürst erhielt Pässe und reiste, nachdem er dem Diktator pflichtschuldigst seine Instruktion vorgelegt und dieser dieselbe noch erheblich gemildert hatte, mit der Vollmacht des Regierungskomitees ab.

Am Abend des Tages, an welchem Chlopicki die Diktatur aus eigenem Entschluß übernommen hatte, aber fuhr ein mit vier Pferden bespannter Reisewagen auf dem Wege nach Wilna von Warschau ab.

In dem Wagen saßen zwei Herren und zwei Damen.

Die Damen waren die Gräfin Plater und Marie Naszanowicz, die Herren die Leutnants Wisocki und Zalewski, welche die Uniformen mit einfachen Reiseanzügen vertauscht hatten.

So endete die Revolution vom neunundzwanzigsten November, deren Sieg das Volk in jubelndem Rausch feierte.

Die verschiedenen Elemente der Bewegung sendeten ihre Boten nach allen Seiten aus: Boten demütiger Unterwerfung nach Petersburg, Boten des unversöhnlichen Kampfes nach Litauen und Boten diplomatischer Vermittlung durch die europäischen Mächte nach Paris und London. Wie Konstantin Backlowicz von dem Rate der Cosiniery abgeschickt war, so entsendete auch das Regierungskomitee den Grafen Wielopolski an den französischen und englischen Hof, um das Fürwort der Kabinette für eine Verständigung mit dem Hof von Sankt Petersburg zu erbitten. Aus demselben Keim schossen die ganz verschiedenartigsten Triebe auf, während nur ein einziger kräftig aufgewachsener Stamm wirklich die Frucht der Freiheit und Unabhängigkeit hätte tragen können, für welche so viele ihr Blut zu vergießen bereit waren.

*

Das Postschiff von England war in Calais angelangt.

Unter zahlreichen Passagieren, welche demselben entstiegen, befand sich Konstantin Backlowicz.

Er sah blaß und abgespannt aus, seine Augen blickten trübe wie der Wintertag, der die stäubenden Schneewolken über den Kanal trieb.

Der größte Teil der Ankommenden eilte nach dem Stationsgebäude der Diligence, wo die Wagen und Beiwagen bereit standen, während die Pferde von den Postillionen angeschirrt wurden, um sogleich vorgelegt zu werden, wenn die Passagiere, von denen ein großer Teil durch die Seekrankheit erschöpft war, ihre Diner eingenommen und ihr Gepäck geordnet haben würden.

Konstantin trat in einen nahe dem Landungsplatz liegenden Gasthof, bestellte Postpferde und einen leichten Wagen, da ihm die Fahrt mit der Diligence zu langwierig war, denn er hätte sich Flügel gewünscht, um nach Paris zurückzukehren, da von der Vollendung seiner Mission in diesem Augenblick die Zukunft seines Vaterlandes abhing.

Er setzte sich zu einer einfachen Mahlzeit nieder und der Kellner brachte ihm die Tageszeitung, unter denen sich der soeben von Paris angekommene »Moniteur« befand.

Gleichgültig blickte Konstantin auf das Blatt. Plötzlich aber hefteten sich seine Augen brennend und fieberhaft glänzend, mit dem Ausdruck des Entsetzens auf die amtlichen Bekanntmachungen, welche sonst in ihrem einförmigen Kanzleistil wenig Interesse bei dem Publikum erregten.

Die Ursache seines Schreckens bildeten einige einfache Zeilen.

Er las, während das Blatt in seiner Hand zitterte, die kurze Notiz:

»Der Herzog von Mortemart ist zum Botschafter nach Petersburg ernannt und wird sich in den allernächsten Tagen dorthin begeben.«

Unmittelbar darunter stand:

»Der Herr Graf Pozzo di Borgo, Botschafter Seiner Majestät des Kaisers von Rußland, wird morgen in feierlicher Audienz Seiner Majestät dem Könige die Kreditive zu überreichen die Ehre haben, welche ihn bei der französischen Regierung beglaubigen.«

Das Blatt entfiel Konstantins Hand.

»Unmöglich,« flüsterte er, »ganz unmöglich! Das wäre die Auslieferung Polens, das wäre eine neue verhängnisvolle Schuld derjenigen, welche die siegreiche Erhebung des Volks zu schüchternen Unterhandlungen mit dem Kaiser herabgedrückt haben, der nun mit seiner kühnen und geschickten Diplomatie zuvorgekommen ist und uns die Zukunft abschneidet.«

Er blickte starr vor sich nieder und saß eine Zeitlang wie gebrochen da.

»Nein, nein,« sagte er dann, »es kann nicht möglich sein, daß Frankreich so sein eigenes Interesse vergißt. Die diplomatischen Beziehungen sind wieder aufgenommen, das geht aus dieser Verfügung unzweifelhaft hervor. Der König bedarf ja einer Vertretung, um für Polen einzutreten, er bedarf ihrer um so mehr, wenn der Kampf unvermeidlich wird, um demselben den Charakter eines völkerrechtlichen Krieges zu geben.

So wird es sein«, flüsterte er, wie in einer neuen Hoffnung aufatmend, ohne daß aber von seinem bleichen Gesicht die angstvolle Unruhe verschwand.

Er hatte nur wenige Bissen gegessen und ein Glas Wein getrunken. Dann sprang er auf und sendete einen Boten aus, um die Ankunft der Pferde zu beschleunigen.

Eine halbe Stunde darauf stieg er in den Reisewagen, drückte dem Postillion ein Goldstück in die Hand und pfeilschnell flogen die Pferde mit dem leichten Gefährt auf der Straße nach Paris dahin.

Kaum war er nach einer qualvollen Fahrt, die kein Ende zu nehmen schien, in seinem Hotel angekommen, als er an den Minister Laffitte schrieb und um eine Audienz bat, die ihm auch sogleich gewährt wurde.

Laffitte empfing ihn mit einer ernsten traurigen Miene und fragte, was er in England erreicht habe.

»Nichts,« erwiderte Konstantin bitter, »Lord Palmerston hat mich durch Vermittlung meiner Freunde am Tage nach meiner Ankunft mit großer Artigkeit empfangen, aber das einzige, wofür ich ihm dankbar sein kann, ist die Klarheit und Deutlichkeit, mit welcher er mir seine Meinung und seinen Entschluß aussprach.«

»Und diese Meinung war?« fragte Laffitte.

»Europa bedürfe den Frieden,« erwiderte Konstantin, »und England, das sich noch immer von den schweren Kriegszeiten und dem Druck des Kontinentalsystems zu erholen habe, empfände dieses Friedensbedürfnis noch mehr als alle anderen Mächte. Der polnische Aufstand sei eine innere russische Angelegenheit und niemand könne das Recht in Anspruch nehmen, den Kaiser von Rußland daran zu verhindern, wenn er die von Europa garantierten Verhältnisse seines Reiches wieder herstellte. Die Idee, ein Königreich Polen, unter einem österreichischen Erzherzog aufzurichten, sei eine unpolitische Phantasie und jeder Versuch, sie auszuführen, sei eine zwischen die der Ruhe bedürftigen Mächte Europas geschleuderte Brandfackel. Einem solchen Versuch werde England niemals zustimmen, sich demselben vielmehr mit aller Entschiedenheit entgegenstellen; er könne den Polen nur raten, sich sofort zu unterwerfen, in solchem Falle allein würde sich die englische Regierung bereit finden können, für die Straflosigkeit der Beteiligten und die möglichste Berücksichtigung der nationalen Wünsche des polnischen Volks, für das er persönlich die größte Sympathie hege, ein vermittelndes Wort zu sprechen. Das ist die Antwort, die ich erhalten habe,« schloß Konstantin, während ein wehmütiges Lächeln um Laffittes Lippen spielte. »Aber«, fuhr er fort, »meine Freunde haben mir zugleich die Versicherung gegeben, daß, wenn der Kampf ernstlich geführt und demselben durch Frankreichs Eintritt der Charakter eines europäischen Krieges gegeben werde, Lord Palmerston sowohl durch die politischen Interessen als durch den Aufschwung der öffentlichen Meinung Englands gezwungen sein werde, auch seinerseits eine feste Stellung zu der polnischen Frage zu nehmen und daß diese Stellung niemals eine für Rußland freundliche werde sein können. Von Ihnen also«, sagte er mit einem durchdringend fragenden Blick, »hängt unser Schicksal ab. Frankreich hat abermals die Gelegenheit, das Lebenswort über die ringende polnische Nation auszusprechen, zu dem Napoleon nicht den Mut fand.«

»Und wenn der siegreiche Schlachtenfürst diesen Mut nicht fand,« fragte Laffitte, die Augen vor Konstantins brennendem Blick niederschlagend, »können Sie glauben, daß die gegenwärtige Regierung ihn finden soll, welche einen Krieg für ein Würfelspiel um ihre Existenz hält und vielleicht darin recht hat?«

»Ich habe es geglaubt,« sagte Konstantin, »weil Eure Exzellenz mich darauf hoffen ließen.«

»Ich bin nicht der König von Frankreich, mein Herr,« erwiderte Laffitte, »und trage auch nicht die Verantwortung für die auswärtige Politik. Der Graf Sebastiani, welcher die Verantwortung vor dem französischen Volk und vor der Geschichte zu tragen hat, glaubte, die Wiederanknüpfung der diplomatischen Beziehungen, welche von Rußland angeboten wurde, nicht ablehnen zu dürfen, und ich war nicht in der Lage, dagegen Einspruch zu erheben, so sehr ich auch, ich bekenne es Ihnen, eine andere Politik gewünscht hätte.«

»Ich habe bereits gelesen, daß der Herzog von Mortemart nach Petersburg geht – Eure Exzellenz werden es nicht für eine Indiskretion betrachten können, wenn ich mir die Frage erlaube, welche Instruktion der Herzog in betreff der Angelegenheit meines Vaterlandes auf seinen Posten mitnimmt?«

»Ich finde Ihre Frage natürlich und halte mich für berechtigt, dieselbe zu beantworten: Der Herzog wird die Urheber und Teilnehmer des Aufstandes in Warschau der Nachsicht und Gnade des Kaisers empfehlen und zugleich den Wunsch aussprechen, daß die polnische Verfassung von achtzehnhundertundfünfzehn möglichst erhalten bleibe.«

Der Seufzer, welcher aus Konstantins Brust bei diesen Worten aufstieg, klang fast wie ein Schrei der Entrüstung.

»Die Kämpfer für die Freiheit des Vaterlandes der Nachsicht des Kaisers empfehlen –« rief er, »die Verfassung von achtzehnhundertundfünfzehn erhalten, welche eine vergoldete Kette ist und die Selbständigkeit und Freiheit des Volks ebenso eng einschnürt, als ob der vergoldete Flitterschein davon weggeblieben wäre! Und das tut Frankreich, das große, mächtige Frankreich, das so viel polnisches Blut als Opfer für seine Siege und seinen Ruhm angenommen hat?«

»Ich muß Sie bitten, mein Herr,« fiel Laffitte ein, »nichts zu sagen, was ich als Franzose und als Mitglied der französischen Regierung nicht anhören dürfte!«

Diese Worte klangen weniger zornig als schmerzvoll und traurig.

»Eure Exzellenz dürfen unbesorgt sein,« sagte Konstantin bitter. »Ich werde den Schmerz über die Erfahrung, die ich in dieser Stunde gemacht, in mich verschließen und habe Ihnen persönlich nur noch für Ihre Gesinnung und Ihren guten Willen zu danken, der leider hat erfolglos bleiben sollen.«

Er verbeugte sich kurz und ging hinaus, ohne daß Laffitte ein Wort weiter sprach, um ihn zurück zu halten.

»Ein mächtiger Grundstein für den neu aufgerichteten Thron«, sagte Laffitte, ihm traurig nachblickend, »ist da zerbrochen worden. Um unter den Königen Europas geduldet zu werden, ist die Gelegenheit versäumt, sich gefürchtet und geachtet zu machen. Wehe, wenn das französische Volk jemals empfindet, was ich in dieser Stunde diesem jungen Mann gegenüber empfand: dann wird der neue Thron zusammensinken wie bröckelnder Sand.«

Konstantin flog, ohne auch nur einen Augenblick zu rasten, mit Kurierpferden nach Warschau zurück.

Er fand hier alles verändert.

Nachdem der diplomatische Schachzug des Kaisers ihn von der französischen Intervention gedeckt hatte, waren die Verhandlungen mit dem Fürsten Lubecki kurz abgebrochen, der Kaiser hatte erklärt, daß er die Erhebung milde zu beurteilen geneigt sei, daß jedoch die sofortige Unterwerfung der ungesetzlichen Regierung ohne jede Bedingung auf Gnade und Ungnade erfolgen müsse.

Ganz in demselben Sinne hatte er den Brief Chlopickis beantwortet, in welchem er dem Diktator zugleich persönlich für seine Loyalität und die Aufrechthaltung der Ordnung dankte, zugleich hatte der General Diebitsch den Befehl erhalten, mit einer starken Armee, unter welcher sich die kaiserliche Garde befand, in Polen einzurücken.

Auf diese Mitteilung, welche durch eine in väterlichem Ton gehaltene Proklamation des Kaisers an das Volk bestätigt wurde, trat in Warschau der Reichstag zusammen und beschloß gegen den energischen Widerstand des Diktators die Absetzung der Dynastie Romanow und den Krieg gegen Rußland.

Chlopicki legte mit der Erklärung, daß er niemals die polnische Armee zur Schlachtbank führen werde, die Diktatur nieder und verweigerte, aller Bitten ungeachtet, jede weitere Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten.

So fand denn Konstantin alles zum Kriege bereit, die trüben Nachrichten, die er aus Paris brachte, waren keine Neuigkeit mehr, da die vollständige Zurückhaltung Frankreichs schon von Petersburg aus bekanntgeworden war, und so war denn nichts weiter zu tun, als den Krieg, der nun zu spät und unter den ungünstigsten Verhältnissen begonnen wurde, mit aller Macht zu führen.

Es bildeten sich neue Regimenter und Freikorps von Sensenmännern. Die Begeisterung im Volke war groß, aber unter den Führern der Armee und den Häuptern der Regierung dauerte die Uneinigkeit fort, und nirgends war eine Stelle vorhanden, von welcher eine feste Leitung ausgegangen wäre. Der Bund der Cosiniery hatte nichts mehr zu tun, da die allgemeine Bewegung die Fäden zerriß, und die einzelnen Mitglieder desselben konnten nur noch im persönlichen Kampf ihre Pflichten gegen das Vaterland erfüllen.

Konstantin trat in eines der neugebildeten Linienregimenter ein, und am Tage vor dem Ausmarsch suchte er das Haus des Grafen Jaczkonowski auf, das er seit der verhängnisvollen Nacht des Aufstandes nicht mehr gesehen hatte.

Das sonst so gastfreie und vielbesuchte Haus war öde und still, ein geselliges Leben gab es in Warschau nicht mehr, da alle Kreise vollständig von der Politik in Anspruch genommen wurden, und mit der Politik wollte der Graf nichts zu tun haben; er hatte den planlos und ohne alle einheitliche Leitung begonnenen Aufstand von Anfang an gemißbilligt und für erfolglos erklärt. Die Führer der Bewegung, welche nun gegen seinen Willen weiter vorwärts gedrängt waren, als sie es jemals beabsichtigt hatten und sich plötzlich wieder ohne genügende Vorbereitung vor einem Kriege sahen, für den die militärische Leitung fehlte und in welchem verschiedene auf einander eifersüchtige Generale der einheitlichen russischen Macht gegenüberstanden, fürchteten des Grafen scharfes Urteil, dem sie innerlich recht geben mußten und dem sie doch äußerlich nicht zustimmen mochten.

So blieb denn der Graf traurig allein, und wenn er es nicht für unwürdig gehalten hätte, in einer solchen Zeit das Vaterland, dem er vielleicht doch noch einmal durch seinen Rat und seine Vermittlung nützlich werden könnte, zu verlassen, so würde er am liebsten ins Ausland gereist sein, um nicht Zeuge so vieler Leiden und späteren Demütigungen zu sein, die er mit seinem klaren Blick unausweichlich kommen sah.

Luitgarde war ruhig und still ergeben in das Schicksal, das sie betroffen, ihr ganzes Herz gehörte in feuriger Begeisterung der Sache des Vaterlandes und so unerschütterlich sie auch sonst dem Urteil ihres Vaters vertraute, so wollte sie sich doch nicht dazu entschließen, seine Hoffnungslosigkeit zu teilen. Sie vermied deshalb, mit ihm darüber zu sprechen, und wendete ihre ganze Tätigkeit den Vorbereitungen zu, welche für die Ausrüstung der Kämpfer und für die spätere Pflege der Verwundeten getroffen wurden.

Alle vornehmen Damen in Warschau beteiligten sich an dieser Arbeit, man fertigte Wäsche und Kleidungsstücke an, man sammelte Geld und sorgte für Betten und Verbandzeug.

An der Spitze dieser ganzen Tätigkeit stand der Pater Ambrosius, der, da nun für die Cosiniery nichts mehr zu tun war, seine politische Tätigkeit ganz aufgegeben hatte und nur an die Erfüllung seiner geistlichen Pflichten dachte.

Das Karmeliterkloster wurde in dem größten Teil seiner Räume zu einem Hospital eingerichtet und alle Welt arbeitete daran, dies so vortrefflich als möglich herzustellen.

Konstantin fand den Grafen allein.

Dieser umarmte ihn, sah ihn schmerzlich bewegt an und sagte:

»Welch eine traurige Zeit, mein Freund, reich an Leiden und Opfern und leer an Hoffnungen; denn auch die letzte Hoffnung auf den Beistand Frankreichs, die ich zwar niemals geteilt habe, ist ja nach den neuesten Nachrichten verloren, und Chlopicki hat recht, der Krieg wird nur eine Schlachtbank für die Söhne des Vaterlandes sein – das vergossene Blut wird nur harte Knechtschaft bringen, während der Frieden unser armes Volk endlich zu freudigem, ruhigem Genuß des Lebens hätte führen können. Ich darf so sprechen, denn ich habe an Kosciuszkos Seite für das Vaterland gefochten. Bei Gott, mir würde es auch jetzt nicht an dem Mut und der Kraft fehlen, in die Reihen der Kämpfer zu treten, wenn ich diesen Krieg nicht für ganz erfolglos und für ein schweres Unglück halten müßte nach meiner festen und unumstößlichen Ueberzeugung.«

»Ich kenne Ihre Hoffnungslosigkeit,« erwiderte Konstantin, »wenn ich sie auch freilich weder teilen darf, noch zu widerlegen, vermag, aber wie es auch immer sei, was auch immer kommen möge, für mich gibt es nur eine Pflicht. Diese befiehlt mir, mich in die Reihen zu stellen, wo die Söhne Polens für die Freiheit kämpfen, und nicht zu überlegen, ob der Kampf zum Siege führen könne.«

»Stände ich in Ihrem Alter,« sagte der Graf, »so würde ich handeln wie Sie, ich werde kein Wort sprechen, um sie zurückzuhalten, aber ein tiefer Schmerz erfüllt mich bei dem Gedanken, daß Sie Ihr Leben vergeblich einsetzen, vergeblich vielleicht verlieren werden. Wie noch schmerzvoller ist mir der Gedanke daran, wie es hätte sein können, wenn nicht dies unglückselige Mißverständnis zwischen uns allen gewaltet hätte – wenn Sie mein Sohn geworden wären. Ich darf es Ihnen jetzt sagen, daß dies mein innigster Wunsch war, und wäre er erfüllt, so wäre auch Luitgarde vor dem finsteren Schicksal bewahrt geblieben, dem sie jetzt verfallen.«

»Und wäre es so gekommen,« sagte Konstantin ernst, »wäre mir das holde Glück zuteil geworden, dessen hohen Wert ich erst zu spät schätzen lernte, so würde es an meinem Entschluß in diesem Augenblick nichts ändern, denn meine Pflicht zu erfüllen, die ich dem Vaterlande schuldig bin, davon würde mich auch das Glück, das ich damals verscherzte, nicht zurückhalten können. Aber im Augenblick des Abschieds fühle ich doppelt den Verlust, und ich möchte ihn ersetzen, so gut ich es vermag, und mir die Begeisterung gewinnen, zu kämpfen, zu siegen oder zu sterben.«

Ehe er weiter sprechen konnte, trat Luitgarde ins Zimmer.

Sie war schwarz gekleidet und sah ernst und bleich aus, aber sie war schöner als je, ihre Blicke hatten an innerer Vertiefung unendlich gewonnen.

»Ich habe gehört daß Sie da sind,« sagte sie, indem eine flüchtige Röte ihre bleichen Wangen färbte, »und darum komme ich, um Ihnen ein Abschiedswort zu sagen, das mir erlaubt ist, denn ich weiß ja, daß Sie, um Abschied zu nehmen, gekommen sind.«

»So ist es, Luitgarde,« rief Konstantin, ihre Hand ehrerbietig an seine Lippen führend, »aber ich möchte, daß in der Stunde des Abschieds ein Ton der Hoffnung anklingt, der mich begleiten soll in dem heiligen Kampf. – Sie wissen, Luitgarde, und vor Ihrem Vater soll es kein Geheimnis sein, daß ich Sie geliebt habe, als noch Mißverständnis und falscher Stolz mir den Mund verschloß. Sie wissen, daß ich Sie liebe und ewig lieben werde.«

»Ich weiß es –« erwiderte Luitgarde, in deren Gesicht eine wehmütige Freude aufleuchtete.

»Mein Gott, mein Gott,« seufzte der Graf, »warum hat es so kommen müssen – o, hätte ich deutlicher gesprochen, vielleicht wäre doch alles anders geworden!«

»Es hat so kommen sollen,« sagte Luitgarde, »mein eitler Sinn, meine Selbsttäuschung hat bestraft werden müssen und ist hart und schwer bestraft worden.«

»Nun aber, Luitgarde,« rief Konstantin, »nun ist die Strafe, wenn Sie das Schicksal, das Sie traf, als eine solche betrachten, durch dieselbe Hand der Vorsehung, die sie Ihnen auferlegte, von Ihnen genommen, Sie sind frei von den Fesseln, die Sie im Leben gefangen hielten, frei ohne Ihre und ohne meine Schuld, ich ziehe hinaus in den Kampf, zu welchem meine Pflicht mich ruft und in welchem mein Leben jeder feindlichen Kugel gehört. Auf diesem Weg, auf dem der Tod mir bei jedem Schritt entgegentritt, will ich den tröstenden, begeisternden Gedanken mitnehmen, daß Sie mir in unauflöslichem Seelenbunde gehören, daß ich Sie wiederfinde, wenn Gott erlaubt, zu einem glückseligen Bunde in dem befreiten Vaterlande oder dereinst in der Ewigkeit. Schwören Sie mir, mein zu sein in dieser oder in jener Welt, wenn der Kampf beendet ist, und ich werde freieren und froheren Mutes hinausziehen.«

Luitgarde erhob abwehrend die Hand.

Sie erbleichte und trat erschrocken zurück.

»Sprechen Sie nicht weiter, Konstantin!« rief sie. »Niemals wird ein solcher Schwur über meine Lippen kommen. Ich sage Ihnen hier vor meinem Vater und vor Gott, ich hätte Sie lieben können, damals schon, wenn Sie ein Wort gesprochen hätten, das meine Täuschung zerstört haben würde – ich habe Sie geliebt, als es in mir klar wurde und ich auch in Ihr Herz blicken konnte, meine Liebe wird Ihnen folgen irr den heiligen Kampf, und wenn wir uns einst wiederfinden in der Ewigkeit, wo alles Irdische von uns abfällt, dann werden unsere Seelen, so hoffe ich, zu reinem und verklärtem Bunde sich an einander schließen, aber niemals werde ich Ihnen auf Erden die Hand reichen.«

»Aber Sie sind frei, Luitgarde,« rief Konstantin, »unsere Kirche selbst erlaubt Ihnen, im neuen Bunde Ihre Täuschung zu vergessen und verlorenes Glück wieder zu finden.«

»Er hat recht, Luitgarde,« sagte der Graf, »warum willst Du seine Bitte zurückweisen, die er fast im Angesicht des Todes an Dich richtet?«

»Weil ich es muß,« erwiderte Luitgarde »Ich bin frei vor der Welt, das weiß ich wohl, aber nicht vor meinem eigenen Gefühl und meinem Gewissen. Er, der edle und stolze Sohn des Vaterlandes, der sein Blut für Polens Freiheit dahin geben will, er darf niemals, niemals mir seine reine Hand reichen, die einst einem Feinde des Vaterlandes gehört – einem Feinde und einem Verräter –« fügte sie schaudernd hinzu.

»Friede sei mit den Toten!« sagte Konstantin bittend. »Er steht vor Gott, der ihn gnädig richten wird, da er hier auf Erden schon seine Strafe gefunden.«

»Ich will den Frieden des Toten nicht stören,« sagte Luitgarde, »ich werde für ihn zu beten nicht müde werden, aber niemals werde ich vergessen, daß ich seinen Namen getragen und den Flecken feiner Schuld in meinem irdischen Leben nicht von mir Entfernen kann – mein Entschluß ist unwiderruflich und auch Dein Wort nicht, mein Vater, wird mich darin wankend machen! Leben Sie wohl, Konstantin, meine Liebe gehört Ihnen und wird Sie begleiten auf allen Wegen Ihres Lebens und in die Ewigkeit. Auf Erden werden wir uns nicht wiedersehen, so lange dieser Kampf dauert, werde ich die Pflicht erfüllen, die allen polnischen Frauen obliegt, und wenn die Waffen wieder ruhn, sei es im Siege oder im Untergange, dann werde ich im Dienst des Himmels die Reinigung suchen von dem Flecken des Namens, den ich in eitler Selbsttäuschung auf mich genommen.«

Sie drückte Konstantin die Hand. Tränen strömten aus ihren Augen, aber ihre Miene behielt den Ausdruck fester Entschlossenheit.

»Luitgarde,« rief Konstantin außer sich, »hören Sie mich!«

Er wollte sie zu sich heranziehen, aber sie zog schnell ihre Hand zurück, wendete sich ab und verließ festen Schrittes das Zimmer.

Konstantin wollte ihr nacheilen und sie zurückrufen.

Der Graf aber legte die Hand auf seinen Arm und sagte:

»Lassen Sie sie gehen, sie hat vielleicht recht in diesem Augenblick. Ihr Gefühl wenigstens kann ich nicht tadeln – überlassen Sie die Zukunft Gott, der die Zeit in seiner allmächtigen Hand hält, die Zeit kann vieles ändern und vieles heilen.«

»Die Zeit gehört uns heute nicht,« sagte Konstantin, finster vor sich niederblickend. »Mag sie denn in die Vergangenheit versinken und mag es Gott überlassen bleiben, ob er sie wieder auftauchen lassen will. – Leben Sie wohl, mein väterlicher Freund, und wenn Sie mich nicht Wiedersehen, so sollen Sie, ich schwöre es Ihnen, von mir hören, daß ich meines Namens und meines Vaterlandes würdig geblieben bin.«

Der Graf umarmte ihn stumm und Konstantin ging festen Schrittes hinaus. Aber auch aus seinen Augen flossen Tränen, und er gab sich nicht die Mühe, dieselben zurückzuhalten.


 << zurück weiter >>