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23. Kapitel

Der Fürst Nikascha hatte während der Dauer des Krieges so viel zu tun, daß er kaum dazu kam, die Trennung von seinem Schwiegersohn und von Wladimir Ossipowitsch, dem Sohn seines Herzens, wie er ihn nannte, zu empfinden. Er war unermüdlich tätig, um auf seine Weise das große nationale Unternehmen zu unterstützen, dazu trieb ihn nicht nur sein natürlicher, angeborener und mit ihm großgewordener Patriotismus, sondern auch die persönliche Dankbarkeit gegen den Kaiser, der ihn und die Seinen so hoch ausgezeichnet hatte. Er war Vorsitzender von drei Hilfskomitees, und die Beiträge, die er an Geld sowie an Naturalien aller Art für die Soldaten im Felde, die Kranken und Verwundeten lieferte, erregten die allgemeine Verwunderung und wurden kaum durch die Spenden der Mitglieder des kaiserlichen Hauses selbst überboten.

An jedem Morgen frühstückte er mit seiner Tochter Marpha gemeinschaftlich, um sich von ihr die Nachrichten erzählen zu lassen, welche sie von ihrem Mann erhalten hatte. Dann besuchte er mit regelmäßiger Pünktlichkeit die Gräfin Swiatowski, um auch von ihr zu erfahren, was Wladimir aus dem Hauptquartier geschrieben, und nachdem er so viel kleine Anekdoten und gelegentliche Äußerungen des Kaisers sich eingeprägt, als sein Gedächtnis auf einmal immer nur fassen konnte, begann er dann eine Tournee durch die vornehmsten Salons von Petersburg, um überall seine kleinen Erzählungen auszustreuen und mit wichtiger Miene hinzuwerfen, daß der Mann seiner Tochter und der Sohn seiner Kusine sich im Gefolge Seiner Majestät befanden, er daher natürlich stets auf das genaueste unterrichtet sei, was dort vorging. Es geschah dabei nicht selten, daß der gute Fürst in seinem Eifer dieselbe Geschichte mehrmals in demselben Salon erzählte, daß er verschiedene, der Zeit nach nicht zusammengehörende Dinge durcheinanderwarf, die Namen von Personen verwechselte oder die Pointe vergaß, aber um solche Kleinigkeiten kümmerte er sich sehr wenig und ließ sich durch dieselben in seinem Eifer, alle Welt mit Nachrichten zu versorgen und überall den Patriotismus auf das lebhafteste anzufeuern, nicht beirren.

In der Tat gewann der Fürst, den man vorher nur wegen seines Namens und seines Reichtums beachtet und noch bitterer und unverhohlener verspottet haben würde, als man es aus Scheu vor Wladimir und Blagonow im stillen tat, in dieser Zeit eine persönliche Bedeutung und kam gewissermaßen in die Mode, der nationale Patriotismus mit stark slawischem Akzent gehörte zum guten Ton. Der Fürst bewies nicht nur durch die großartigsten Gaben seine patriotische Gesinnung, sondern er zeigte auch in seinem ganzen persönlichen Auftreten und in seinem Wesen eine ganz der Zeitrichtung entsprechende nationale Farbe. Sein ganzes Haus war, seit der Kaiser zur Armee gegangen und überall die slawischen Komitees ihre Tätigkeit entwickelten, mehr und mehr auf altrussischen Fuß zurückgebracht, die Dienerschaft war außer bei ganz großer Gala in nationale Tracht gekleidet, und auf der Tafel des Fürsten fand man die prononciertesten nationalen Gerichte in reichster Auswahl und kunstgerechtester Vollendung. Der alte Iwan Gregorjewitsch hatte das entschiedenste Übergewicht wiedergewonnen und war die unumschränkte rechte Hand des Fürsten in allem, was die Form des äußeren Lebens betraf, denn Herr Sacharin kümmerte sich um alle diese Dinge nicht, er war der Finanzminister für die Verwaltung der großen Güter und zahlte die Rechnungen des Haushalts, unbekümmert um die Phantasien, nach denen der Fürst sein Leben einrichtete. Monsieur Constant befand sich in vollständigster Ungnade, der Fürst ging frei und offen in seinem Schafpelz durch das ganze Palais, rauchte überall, fluchte im kräftigsten Russisch auf die Türken, die Engländer sowie alle europäischen Völker, welche nicht in das Feld zogen, um dem Zaren in seinem Kampf gegen die Heiden Hilfe zu leisten, und als Herr Constant eines Tages einige Bemerkungen über die tausendfältigen Verstöße gegen die von ihm eingeführten Regeln, des guten Tones gewagt, hatte der Fürst ohne weitere erläuternde Worte ihm seine Meinung so deutlich und kräftig zu erkennen gegeben, daß der von seiner Höhe herabgestürzte Kammerdiener sich von nun an damit begnügte, mit schweigendem Achselzucken und mitleidig spöttischem Lächeln im Hause umherzugehen.

Das Beispiel fand in der vornehmen Gesellschaft Nachahmung, und da die meisten Mitglieder dieser Gesellschaft durch ihre französische Erziehung dem nationalen Wesen und den nationalen Sitten ziemlich fremd geworden waren, so nahm man sich vielfach auch in der äußeren Haltung und in der Sprache den in der zeitgemäßen Richtung so entschieden voranschreitenden Fürsten Kudiakow zum Vorbild, und manche Kraftausdrücke, die er in seiner beschränkten Vergangenheit von den Bauern seiner kleinen Besitzung angenommen hatte, fanden nun Eingang in die vornehmsten Salons und wurden von den elegantesten Damen wiederholt, so daß der Fürst, den man vor kurzem nur mitleidig spöttelnd in der Gesellschaft duldete, sich plötzlich fast zum tonangebenden Führer dieser selben Gesellschaft erhoben sah.

Er selbst war überglücklich über diese Veränderung, er hatte nicht mehr nötig, sich einen lästigen und widerwärtigen Zwang aufzuerlegen, er konnte all seinen Neigungen folgen, sich in freier Natürlichkeit zeigen, und war dennoch sicher, immer in der ganzen Gesellschaft mit hochachtungsvoller Auszeichnung behandelt, um Rat gefragt und nachgeahmt zu werden.

So saß er denn an demselben Tage, an welchem Herr Sacharin in seiner bescheidenen Parterrewohnung den Baumeister Martinow empfing, in seinem Kabinett beim Frühstück. Die Trüffeln und französischen Pasteten waren verschwunden, man sah nur den Sterlet der Wolga, den Kaviar von Astrachan, die saftigen Bärenschinken und eine große Reihe von verschiedenen gebrannten Wassern in Steinkrügen und viereckigen Flaschen, auch der Quas, dieses alte Nationalgetränk aus gegorener Gerste, fehlte nicht. Iwan Gregorjewitsch brachte nach diesem kräftigen Frühstück, währenddessen der Fürst unzählige grimmige Verwünschungen gegen die Türken und die Engländer ausgestoßen hatte, den Tschibuk mit der Kohle, und Herr Constant, welcher im Schlafzimmer nebenan die Garderobe des Fürsten ordnete, schien keine Empfindung weder für die dicken Tabakswolken noch für den durchdringenden Duft der scharfen Zwiebeln zu haben, welche auf dem Tisch des Fürsten standen.

In diesem Augenblick behaglicher Ruhe, in welchem der Fürst noch einmal alle die kleinen Anekdoten aus dem Hauptquartier, welche er sich für seine heutige Visitentournee gesammelt, in seinem Geiste zu ordnen versuchte, wurde er durch die hastige Meldung eines aus dem Vorzimmer hereinstürzenden Dieners überrascht, daß der gnädige Herr Leutnant Feodor Michaelowitsch soeben in einem Fiaker vom Bahnhof in das Palais gefahren sei. Zitternd vor Aufregung, mit einem freudigen Aufschrei, sprang der Fürst empor, aber ehe er noch die Tür erreicht hatte, trat bereits Blagonow in das Kabinett. Der Fürst schloß ihn zärtlich in seine Arme, küßte ihn schallend auf beide Nacken, wobei es geschah, daß er dem jungen Mann noch den letzten Mund voll Tabak in das Gesicht blies, und fragte dann hastig, ob Wladimir nicht mitgekommen sei; als Blagonow verneinte, machte er ein so enttäuschtes, trübseliges Gesicht, daß sein Schwiegersohn fast hätte über die so deutlich gezeigte Vorliebe für Marphas früheren Verlobten eifersüchtig werden können, wenn nicht sein Herz und seine Gedanken von so ganz anderen Sorgen erfüllt gewesen wären.

Mit kurzen Worten erzählte Blagonow, daß die Garden den Befehl zum Ausmarsch nach dem Kriegsschauplatz erhalten hätten, und daß er es für seine militärische Pflicht gehalten habe, sich seinem Regimente anzuschließen.

»Recht, recht,« rief der Fürst, indem er ihn noch einmal in seine Arme zog und wiederholt küßte, »das macht mich stolz auf dich; ich hätte niemals geglaubt, daß ein Musikant ein so guter Soldat werden könnte.«

Als ihm dann Blagonow einen Gruß des Kaisers überbrachte und erzählte, daß Seine Majestät seine patriotische Haltung mehrmals anerkennend erwähnt habe, wurde der Fürst immer glücklicher und heiterer, plauderte und fragte unaufhörlich und bemerkte es nicht, daß Blagonow unruhig und finster sich umsah und immer einsilbiger antwortete; als er endlich betroffen darüber, daß Marpha, die doch seine Ankunft erfahren haben mußte, noch immer nicht erschien, um die Erlaubnis bat, sich zurückzuziehen und seine Frau zu begrüßen, rief der Fürst lachend:

»Ah, das ist richtig, ich vergaß das; ja, ja, du sollst sogleich deine Frau umarmen, die stolz sein kann, daß sie einen so tüchtigen Soldaten zum Manne hat.«

Aber statt Blagonow zu entlassen, sendete er Iwan Gregorjewitsch hin, um seine Tochter zu rufen.

Unruhig, hochklopfenden Herzens wartete Blagonow, jede Sekunde wurde ihm zu einer qualvollen Ewigkeit, es schien ihm, daß Marpha nach so langer Trennung ihm schneller hätte entgegenfliegen sollen, und immer peinlicher wurde die bange Unruhe, welche ihn während seiner ganzen Reife gequält hatte, und welche er hier nun um jeden Preis zu beenden entschlossen war.

Endlich trat Marpha ein, fast schien ihr Fuß auf der Schwelle zu zögern, und Blagonow erschrak bei ihrem Anblick; sie trug ein dunkles, ganz einfarbiges Kostüm, ein schwarzer Spitzenschleier bedeckte ihr Haupt und verhüllte fast ganz ihre reichen Haarflechten, so daß man beim ersten Anblick hätte glauben können, sie befände sich in tiefer Trauer. Ihr Gesicht war bleich und schien von schweren inneren Kämpfen bewegt, ihre Züge erschienen edler als früher, aber die Frische der Jugend und der stolze, freudige Mut war von demselben verschwunden; der Blick eines Malers hätte sie schöner gefunden, aber diese Schönheit war traurig und erregte schmerzlich wehmütiges Mitleid.

»Marpha,« rief Blagonow in einem Ton, in welchem sich alle Empfindungen zusammendrängten, die sein Herz stürmisch bewegten, »Marpha!«

Sie hatte die Augen zu Boden gesenkt, als sie eintrat, bei seinem Ruf schlug sie den Blick auf, eine Sekunde lang flammte darin freudiges Entzücken, wonniges Glück – dann aber zuckte sie zusammen wie in jähem Schreck, ihr Auge hüllte sich in Tränen und senkte sich wieder vor seinem Blick zu Boden.

Blagonow eilte zu ihr hin, umschlang sie mit seinen Armen und flüsterte, sie an seine Brust drückend, in ihr Ohr:

»Ich bin hier, Marpha, ich bin bei dir, fürchte dich nicht.«

Wieder erglühten ihre Wangen in aufflammender Freude, sie richtete den Kopf auf, und in langem, heißem Kuß fanden sich ihre Lippen Zusammen. Da ertönte hinter ihnen die trockene, klare Stimme des Herrn Sacharin, welcher, sich auf der Schwelle tief verneigend, sagte:

»Ich bitte um die Erlaubnis, den gnädigen Herrn Feodor Michaelowitsch ehrerbietigst zu begrüßen und meiner gnädigsten Herrschaft meine freudige Teilnahme an diesem frohen Ereignis auszusprechen.«

Marpha zuckte zusammen und wand sich aus Blagonows Arm; dieser stand mit zusammengepreßten Lippen da, drohender Zorn blitzte aus seinen Augen, feste Entschlossenheit lag auf seinen Zügen, während Marpha zitternd und schwankend sich an einen Sessel lehnte.

»Gib ihm die Hand, mein Sohn,« rief der Fürst, »gib ihm die Hand, dem braven Paul Andrejewitsch, der alle meine Sachen so vortrefflich verwaltet; er ist eine Perle, er verlangt nie etwas für sich, er bestiehlt mich nicht wie die anderen und verdient es Wohl, daß wir ihn zu unserem Hause rechnen, da er doch sein ganzes Leben unserem Dienste hingibt.«

Blagonow zögerte; er hatte bemerkt, wie Sacharin, der in demütiger Haltung dastand, Marpha einen flüchtigen, strengen und gebieterischen Blick zuwarf, und wie die junge Frau unter diesem Blick erbleichend sich beugte. Noch höher loderte sein Zorn auf, aber er fühlte, daß er sich noch beherrschen müsse, um volle Klarheit zu gewinnen, und seine Bewegung niederkämpfend, trat er zu dem Sekretär hin, um demselben mit einigen leise gemurmelten, unverständlichen Worten die Hand zu reichen. Sacharin verbeugte sich tief, während er seine kalte Hand in die des jungen Offiziers legte, und zog sich zurück, nachdem der Fürst ihm noch befohlen, die nächsten Bekannten des Hauses – und das war eine ziemlich bedeutende Zahl – zum Diner einzuladen.

Blagonow hoffte vergebens, während des Tages einen Augenblick zu finden, um mit Marpha allein zu sein und sie über ihre geheimnisvolle Mitteilung zu befragen; der Fürst verlangte, daß er ihn zur Gräfin Swiatowski begleite, um ihr und Marica unmittelbare Nachricht von Wladimir zu bringen, er verließ ihn keinen Augenblick und blieb sogar fortwährend sprechend und fragend in seinem Toilettenzimmer, während Blagonow sein Reifekostüm ablegte und für den Besuch sich ankleidete. Dann führte er ihn trotz seines Widerstrebens durch die halbe Stadt mit sich, um mit seinem unmittelbar aus dem kaiserlichen Hauptquartier angekommenen Schwiegersohn Parade zu machen, und endlich mußte Blagonow, trotz der Unruhe und Sorge, welche ihn innerlich verzehrten, die Pein eines großen Diners aushalten, bei welchem alle Welt ihn neugierig ausfragte, während der Fürst Nikascha, von dem Kaiser beginnend, auf alle Großfürsten und alle Generale der russischen Armee begeisterte Toaste ausbrachte.

Marpha war den ganzen Tag über bleich, traurig und einsilbig, sie unterstützte Blagonow in seinen Bemühungen, einen Augenblick zu vertraulichem Alleinsein zu gewinnen, durchaus nicht und schien sogar in scheuer Ängstlichkeit seinen Blicken auszuweichen, so daß der junge Mann immer unruhiger und sorgenvoller wurde und auf die zahllosen an ihn gerichteten Fragen oft völlig verkehrte Antworten gab.

Endlich entfernten sich die Gäste später als gewöhnlich, da jeder immer noch etwas von den Ereignissen auf dem Kriegsschauplatz und dem Leben des Hauptquartiers erfahren wollte. Der Fürst hatte sein letztes Glas Tee getrunken und seinen letzten Tschibuk geraucht, und endlich erlöste er Blagonow von seiner Qual, indem er ihn und Marpha noch einmal umarmte und sich dann in sein Zimmer zurückzog, während die Diener mit Armleuchtern der jungen Herrschaft nach deren Wohnung voranschritten. Auf dem Korridor stand Herr Sacharin, sich noch einmal ehrerbietig verneigend, und Blagonow beschleunigte seinen Schritt, als er fühlte, wie Marphas Arm in dem seinen zitterte.

Endlich, endlich waren sie dann allein in den Räumen, in denen sie nur so kurze Zeit vor dem Ausbruch des Krieges das Glück ihrer jungen Liebe genossen; alles atmete hier freundliche, behagliche Eleganz, und aus allen diesen lauschigen Räumen schien der traute Reiz der Heimat Blagonow entgegenzuatmen. Er aber beachtete das alles nicht, mit hochklopfendem Herzen faßte er die Hand seiner Frau, welche bleich und zitternd, gesenkten Blickes vor ihm stand, und sagte:

»Ich bin gekommen, Marpha, weil ich dich in Not und Sorge wußte, von tückischer Hinterlist bedroht; jetzt bin ich bei dir, sage mir alles, erkläre mir, was dein Brief bedeutet, ich bin gefaßt, jeder Gefahr entgegenzutreten, jedem Feinde zu trotzen.«

»Frage mich nicht, mein Geliebter,« erwiderte Marpha tonlos, »an jedem Wort, was ich dir antworten würde, hängt unser Glück, dein Leben vielleicht; laß mich, ich beschwöre dich bei unserer Liebe, dies Geheimnis bewahren und folge nur dem Rat, den ich dir gebe, immer und überall, so wird ja Gott vielleicht die Gefahr vorüberführen.«

»Nein, Marpha, nein,« rief Blagonow, heftig ihre Hand schüttelnd, »nein, das wird nicht geschehen, ich verlange von dir bei dem Schwur, den du mir am Altar geleistet, daß du mir sagst, was geschehen ist. Einen Feind, den man sieht, kann man bekämpfen, die Gefahr, die im Dunkeln schleicht, muß endlich uns mutlos und feig machen. Sprich, sage mir alles, ich' verlange es, ich habe das Recht, es zu verlangen.«

»Nein, nein,« rief Marpha, angstvoll die Hände ringend, »nein, ich beschwöre dich, laß mich schweigen, denn jedes Wort aus meinem Munde wäre dein Todesurteil.«

»Nun denn,« rief Blagonow, »so höre auch mich. Ich weiß, daß dies Geheimnis, das du mir verbergen willst, mit jenem elenden Sacharin zusammenhängt, und ich schwöre dir, wenn du in deinem Schweigen beharrst, so werde ich jetzt in dieser Stunde hingehen und den Nichtswürdigen, der es wagt, sich zwischen dich und mich zu stellen, mit meinen eigenen Händen erwürgen – entweder soll er sein tückisches Geheimnis bekennen oder es mit sich in die Hölle nehmen.«

Blagonows Gesicht war von wilder Wut verzerrt, er wendete sich zur Tür, und seine aufs äußerste gesteigerte Aufregung ließ keinen Zweifel darüber, daß er seine Drohung wahr machen werde. Marpha eilte ihm nach und hielt ihn mit ihren Zitternden Händen zurück.

»Höre mich, mein Geliebter, höre mich. Auch ich würde denken und handeln wie du, wenn die Gefahr nur mich bedrohte, aber die Angst für dein Leben, die Liebe zu dir macht mich feig.«

»So verwünsche ich diese Liebe,« rief Blagonow knirschend, »denn lieber will ich sterben, ja lieber will ich deine Liebe verlieren, als in elender Sklaverei mich einer dunklen, unbekannten Macht beugen. Du kennst meinen Entschluß, sprich, oder ich werde jenen zum Sprechen zwingen.«

Noch einen Augenblick stand Marpha zitternd und schwankend da, dann aber blitzte auch in ihren Augen kühner und entschlossener Mut auf, sie schlang ihre Arme um Blagonows Hals und sagte:

»Ja, ja, du hast recht, mein Geliebter, deine Gegenwart löst die bangen Zweifel und gibt auch mir den alten Mut und das alte Vertrauen wieder. Alles ist besser, als daß ein Geheimnis uns trennt, und vereint werden wir jede Gefahr überwinden oder würdig unterliegen.«

Sie zog ihn in die Mitte des Zimmers auf einen von Blumen und Blattpflanzen umgebenen Diwan, ängstlich blickte sie nach den Wänden und den Portieren, dann lehnte sie sich an seine Schulter und sprach zu seinem Ohr gebeugt in leisem, flüsterndem Ton:

»Ich hatte dir meinen Verdacht mitgeteilt, daß deine Briefe geöffnet würden; du gabst mir ein Zeichen an, mir darüber Gewißheit zu verschaffen, und in der Tat, das Haar, welches deinen Brief an dem Umschlag befestigte, war zerrissen. Der Brief war nur durch die Hände Sacharins gegangen, es war kein Zweifel, daß er der Täter sein mußte. Voll Entrüstung beschied ich ihn zu mir und warf ihm seine freche Neugier vor – aber statt zu leugnen, Ausflüchte und Entschuldigungen zu suchen oder meine Verzeihung zu erflehen, erwiderte er mir kalt, nicht wie ein angeklagter Diener, sondern in hochmütig gebieterischem Ton des Herrn, daß er allerdings die Briefe geöffnet habe, weil er im Interesse der Vermögensverwaltung meines Vaters genau unterrichtet sein wolle über alle Wechselfälle des Krieges und über alles, was im Hauptquartier vorgehe, und als ich zornig auffuhr, fast erstarrt über seine Keckheit, da erklärte er mir ganz trocken und geschäftsmäßig mit höhnischer Sicherheit, daß dein Leben in seinen Händen sei, er besitze die Beweise, daß du jener geheimen, seit Jahren von der Polizei verfolgten Verschwörung angehörest, welche den Umsturz des Thrones und des Staates verfolge, und wenn ich nicht in allem seinem Willen gehorchen würde, so werde er die Anzeige machen, die ohne Zweifel deine Verurteilung zum Tode oder die Deportation in die Bergwerke Sibiriens zur Folge haben müsse. Er befahl mir – oh, der Elende sprach als gebietender Herr – daß ich von dir immer ausführlichere und genauere Mitteilungen verlangen solle, er verlangte den Brief zu lesen, in dem ich dies tun würde, und erklärte, daß dein Leben verfallen sei, wenn ich auch nur die leiseste Andeutung über das Vorgefallene wagen würde.

Mein Blut erstarrte zu Eis, als er so sprach; im ersten Augenblick dachte ich an einen Betrug, durch den er sich retten und mich einschüchtern wolle, aber da erinnerte ich mich, was du einst zu mir gesprochen, wie du mich selbst einst zum Werkzeug jener dunklen Verschwörung hattest machen wollen, und diese Erinnerung, welche oft schon wie ein schwarzer Schatten aus den Tiefen meiner Seele aufgestiegen war, ließ mich entsetzt verstummen. Es war also dennoch wahr, was er sagte, er hatte wirklich die Macht, seine Drohung auszuführen, er hielt dein Leben in seiner Hand; mein Stolz bäumte sich auf – aber meine Liebe beugte ihn nieder, ich durfte dein Leben nicht aufs Spiel setzen, ich mußte abwarten, daß die Zeit mir Mittel der Rettung bringen würde, mit gebrochenem Herzen beugte ich mich dem Willen des Entsetzlichen.

Der Zufall schien mir eine Waffe gegen ihn zu geben«, fuhr sie fort; »ich erhielt anonyme Briefe, welche mir mit genauen Angaben mitteilten, daß Sacharin meinen Vater betrüge, daß er sich von großen Lieferanten falsche Quittungen habe geben lassen; man forderte mich auf, meinem Vater davon Mitteilung zu machen, an den man selbst nicht gelangen könne, da alle Briefe an ihn durch Sacharins Hände gingen, und man erbot sich, sobald die Sache untersucht werden solle, die Beweismittel anzugeben.

Einen Augenblick atmete ich auf, ich hoffte, ihn nun in meinen Händen zu haben, aber als ich weiter darüber nachdachte, sank meine Hoffnung schnell zusammen. Wie wäre es möglich gewesen, meinen Vater gegen Sacharin einzunehmen, dem er ja so unbeschränktes Vertrauen schenkt; vielleicht war auch jene Anzeige nur eine Tat des Neides und der Mißgunst, denn alle Welt lobte doch die musterhafte Verwaltung Sacharins, und meines Vaters Vermögen war stets so wohl geordnet, daß kaum ein Verdacht gegen seinen, Sekretär aufkommen konnte, und dann, jeder Schritt, den ich getan hätte, würde ja sogleich seine Rache geweckt und ihn zur Erfüllung seiner entsetzlichen Drohung getrieben haben. Das ist mein Geheimnis, mein Geliebter,« sagte sie, ihn fester in ihre Arme schließend, »das Geheimnis, unter dem ich mehr gelitten habe, als die Sprache es auszudrücken vermag, und vielleicht habe ich schon ein Verbrechen begangen, indem ich dir jene Warnung sendete, die dich hierhergeführt.

Nun aber, da du alles weißt, beschwöre ich dich, sage mir, ob wirklich ein Geheimnis in deiner Vergangenheit ruht, das jenem Fürchterlichen, den ich verabscheue wie einen bösen Geist der Finsternis, dein Leben in die Hände gibt. Fühlst du dich frei und sicher, hat er mich mit einer leeren Drohung getäuscht – oh, so soll er hinabgestoßen werden in die vernichtende Tiefe der Erniedrigung, so soll er tausendfach büßen, was er mich hat leiden lassen – aber«, sagte sie mit dumpfer Stimme, »wenn es wahr ist, was er sagte, wenn er imstande ist, auszuführen, was er gedroht hat, dann, mein Geliebter, laß uns schweigen, dulden und warten, Gott wird uns nicht verlassen und uns ein Mittel geben, um die furchtbare Fessel zu brechen.«

Blagonow hatte in finsterem Schweigen zugehört, jetzt stand er auf, nahm, vor sie hintretend, ihre beiden Hände in die seinen und sagte mit kalter, entschlossener Ruhe:

»Ja, Marpha, es gibt einen schwarzen, verhängnisvollen Punkt in meiner Vergangenheit, ja, ich habe jener finsteren Verschwörung angehört, deren Spuren man bis jetzt vergeblich gesucht hat und auch immer vergeblich suchen wird, weil niemand oder nur einer vielleicht ihren ganzen Umfang kennt, so daß man immer nur einzelne Maschen des großen Netzes fassen kann. Ich habe mich losgelöst von jenem Bunde, als in dir das Glück, die Liebe und der Glauben meinem Leben aufgingen, offen und frei habe ich meinen Schwur zurückgenommen, aber wahr ist es, daß, wenn jemand meine Vergangenheit kennt und sie anzeigt, mein Untergang gewiß ist.«

»Oh,« rief Marpha, »dann gibt es keine Rettung, dann müssen wir uns dem Willen dieses Fürchterlichen beugen – dann beschwöre ich dich, zu schweigen und zu dulden, denn ich habe nicht den Mut, das Glück deiner Liebe zu verlieren.«

»Nein, Marpha, nein«, sagte Blagonow; »wäre es ein Glück, in solcher Sklaverei zu leben, und wäre auch das höchste Glück einer solchen Erniedrigung wert? Ich habe mich niemals vor einer Gefahr gebeugt, ich bin niemals einem Kampf ausgewichen, ich habe dem Tode getrotzt, als ich dich mir verloren glaubte, und ich will auch jetzt lieber deiner und meiner würdig bleiben, als durch elende, feige Unterwerfung ein Glück erkaufen, das dennoch niemals sicher wäre. Mir ist leicht und Wohl, nun ich alles weiß, festen Schrittes werde ich der Gefahr entgegengehen, und ich bin gewiß, nun wir vereint sind, werde ist sie besiegen. Ich sehe«, sagte er mit feierlichem Ernst, »immer klarer den Weg vor mir, den ich gehen muß, und mein Fuß wird nicht zittern; der tückische Feind zielt nach meinem Herzen, wohlan denn, möge er es wagen, Leben um Leben.«

Hoch und stolz stand er vor ihr, alle trübe Unklarheit, alle scheue Bangigkeit war von ihm gewichen, hell und klar blickten seine Augen, und von seiner Stirn strahlte die Siegeszuversicht, welche aus dem festen Willen, dem unbeugsamen Mut und der wohlberechneten Kraft entspringt.

»Ja, du hast recht,« rief Marpha, indem sie mit schimmernden Blicken zu ihm aufsah, »besser ist es, in kühnem Ringen mit der Gefahr zugrunde zu gehen, als in unwürdiger Furcht sich knirschend erniedrigender Knechtschaft zu beugen – du hast recht, deine Abwesenheit machte mich mutlos, nun du da bist, fühle ich wieder den alten trotzigen Sinn in mir, der sich nur der Liebe zu dir gebeugt hat. Ich frage nicht, was du tun wirst, nicht, wie du den Feind zu fassen denkst, ich glaube an dich, denn auf deiner Stirn steht der Sieg geschrieben. Nun aber fort mit aller bangen, finsteren Sorge, die den Geist trübt und das Herz belastet; ich hatte Mut und Kraft verloren in der sehnenden Einsamkeit, in der Trennung von dir – auf morgen den Kampf, heut gilt es, mich selbst wiederzufinden in unserer Liebe.«

Sie hob die Hände zu ihm empor, ein Strom von Glut brach aus ihren feuchtschimmernden Augen – er sank zu ihren Füßen nieder – ihre Arme umschlangen ihn, nach so langer Trennung vereinigten sich ihre Lippen in heißen Küssen, und im süßen Glück des Augenblickes verschwand die Erinnerung aller vergangenen Leiden aus ihren aneinander schlagenden Herzen.


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