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Sechstes Kapitel.

Die »Medusa«. – Der Seeräuber wirft seine Maske ab. – Der erste Mord. – Die junge Dame.

 

Noch ahnte auf Steinwärder niemand etwas Böses, und noch war es dem Schiffsbaumeister Arnold nicht in den Sinn gekommen, über Alvarado nähere Erkundigungen einzuziehen, da war dieser letztere bereits eifrig bemüht, sein Thun und Treiben in ein möglichst undurchsichtiges Dunkel zu hüllen, ähnlich jenem Seetier, dem Oktopus, der das Wasser rings um sich mit einem bräunlichen Safte zu trüben pflegt, wenn er unbeobachtet sein will.

In einem abseits gelegenen Gastzimmer eines kleinen Wirtshauses zu Bremerhaven saß ein fremdländisch aussehendes Individuum in Schiffertracht hinter dem rotbraun gestrichenen Tisch. Die Brauen des Mannes waren gerunzelt, seine Finger trommelten ungeduldig auf der Tischplatte, und das vor ihm stehende Glas Grog war noch unberührt.

»Heute abend muß das Fahrzeug eintreffen,« murmelte er in französischer Sprache vor sich hin, indem er dabei die Wand gegenüber anstarrte, »und dann kommt der zweite Akt der Komödie. Hoffentlich ist der Junge einverstanden.«

Ein Klopfen an der Thür sagte ihm, daß jemand Einlaß begehre, und da ein Anklopfen in Wirtshäusern sonst nicht Brauch ist, so mußte er darin eine Vorsichtsmaßregel erkennen.

»Herein!« rief er barsch.

Die Thür öffnete sich, und ein Mann erschien in der niedrigen Stube, dem man ebenfalls auf den ersten Blick den Seefahrer ansehen konnte.

»Nun?« fragte der Erste.

»Der Dampfer ist soeben auf der Weser zu Anker gegangen.«

» Bueno! Das wäre also gelungen. Nun aber der Junge; will er sich zu der Maskerade hergeben?«

»Ja, wenn er gut bezahlt wird.«

»Er soll gut bezahlt werden. Dann wäre so weit alles in Ordnung. Gehen Sie sogleich an Bord und sehen Sie sich die Besatzung an. Reden Sie mit den Leuten und sehen Sie zu, aus welchem Stoff sie gemacht sind; suchen Sie die Besten aus, Sie wissen ja, welche Sorte wir brauchen können. Die andern werden morgen abbezahlt. Die Maschinisten und Heizer behalten wir, denke ich.«

»Die Besten soll ich aussuchen? Meinen Sie die tüchtigsten Seeleute?«

»Meinetwegen, es müssen aber auch zugleich die mordverbranntesten Kerle sein. Ich muß eine Mannschaft haben, die mir blindlings gehorcht, blindlings, verstehen Sie? Gut. Ist das in Ordnung, dann erscheinen Sie in Ihrer neuen Rolle an Bord. Sie haben mich also verstanden.«

»Vollkommen, Sennor Alvarado.«

» Bueno. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Gehen Sie, ich erwarte Sie hier.«

Die »Medusa« war in echt seemännischer Weise auf dem Strome zu Anker gegangen; die Mannschaft hatte das Deck aufgeklart und freute sich bereits auf den freien Abend an Land, als ein Boot den Mann, den wir soeben mit Alvarado im Gespräch gesehen, an Bord brachte.

Derselbe, ein starkknochiger, flachshaariger Ostfriese, kam breitspurig über das Fallreep, schaute sich mit anmaßender Miene an Deck um und fragte dann die ihm zunächst Stehenden:

»Wer ist der Schiffsführer?«

»Der bin ich,« sagte ein rechtschaffen und gutmütig aussehender Mann; »ich habe die ›Medusa‹ im Auftrage der Firma E. W. Arnold von Hamburg hierher gebracht. Und wer sind Sie?«

»Wer ich bin? Ich bin der Eigentümer dieses Schiffes. Ich will die Leute abmustern und nach Hamburg zurückschicken, wenn nicht etwa einer oder der andre bei mir an Bord bleiben will.«

Er schaute bei diesen Worten fragend im Kreise der inzwischen herangetretenen Mannschaft herum.

Alles schwieg. Dieser Eigentümer schien den Leuten nicht sonderlich zu gefallen. Endlich antwortete einer für alle:

»Wir möchten lieber nicht an Bord bleiben.«

»Gut. Findet euch morgen früh um neun Uhr auf eurem Konsulat ein, dort sollt ihr abgemustert werden.«

Damit stieg er die Fallreepsleiter wieder hinab und fuhr an Land. Hier angekommen suchte er in dem kleinen Wirtshause den Sennor Alvarado wieder auf und blieb mit demselben in eifriger Unterhaltung beisammen bis in die sinkende Nacht.

Am nächsten Morgen, um dieselbe Zeit, als die Hamburger Mannschaft zusamt dem Schiffsführer den Dampfer verließ, erschien der Eigentümer wieder an Bord, begleitet von einer jungen Dame, welche bleich und leidend aussah.

»Unsere Abreise verzögert sich etwas, meine Liebe,« sagte er so laut, daß die mit ihren Kisten und Bündeln über die Regeling gehende Mannschaft ihn hören mußte, »ich bin gezwungen, an Stelle dieser Leute eine neue Besatzung anzumustern, und deshalb mußt du dich noch einige Tage gedulden.«

Die junge Dame erwiderte kein Wort, und das Paar verschwand in der Kajüte.

Die neue Mannschaft wurde angeworben, die Schiffsvorräte wurden ergänzt und die Kohlenbunker aufgefüllt und für alles, was zu bezahlen war, gab der Eigentümer Wechsel, welche auf den Namen hochgeachteter und wohlbekannter Leute lauteten.

Nach drei Tagen war die »Medusa«, welche durch ihr schmuckes Äußere allgemeine Aufmerksamkeit erregt hatte, seeklar. Die Maschine wurde geheizt, die neue Mannschaft stand an Deck umher, der Befehle Alvarados gewärtig, der in letzter Stunde mit dem »Eigentümer« an Bord gekommen war und sich nun in seiner wahren Gestalt als Kommandant und unumschränkter Herr zeigte. Wittmarsch, der Ostfriese, nahm nun ebenfalls den Charakter wieder an, der ihm gebührte; er war der Helfershelfer Alvarados bei dem Betruge gewesen und hatte sich demselben besonders durch die geschickte Nachahmung der Handschriften bei den Wechselfälschungen nützlich gemacht, an Bord der »Medusa« aber fuhr er fortan als dessen Steuermann. Die Dame aber, angeblich Kapitän Deinhards Tochter, kam nicht mehr zum Vorschein.

Der Anker wurde aufgewunden und die »Medusa« dampfte ungehindert die Weser hinab und in die offene See hinaus. Niemand der Mannschaft schöpfte den geringsten Verdacht. Das Wetter war prächtig, und schon nach wenigen Tagen durchfurchte das tüchtige Fahrzeug die langen, blauen Wogen des Atlantischen Oceans. Alles ging nach Wunsch; die Matrosen verwunderten sich zwar darüber, daß der Dampfer eine so ungewöhnliche Anzahl von Geschützen nebst großen Munitionsvorräten führte, sie zerbrachen sich aber deswegen nicht lange erst die Köpfe; die Sache ginge sie nichts an, meinten sie, und so lange sie gute Behandlung und genug zu essen hatten, wollten sie sich um so etwas keine grauen Haare wachsen lassen.

Die »Medusa« richtete ihren Kurs auf Gibraltar, legte aber wider Erwarten hier nicht an und gab auch keine Antwort auf die Signale der Festung. Kaum in das Mittelländische Meer eingelaufen, fiel eine Bö über das Schiff her und die Mannschaft erhielt zum ersten Mal Gelegenheit, sich im ernstlichen Kampf mit Wind und Wogen zu bethätigen. Als die Bö vorüber war, die, nach Art dieser Sturmstöße, kaum eine halbe Stunde gewährt hatte, ließ Alvarado alle Mann nach hinten rufen.

»Ihr habt euch gut gehalten, Leute,« sagte er. »Ein Schiff, das weniger gut bedient war, hätte in einer solchen Bö schwere Havarie machen, wohl gar kentern können. Da das Wetter jetzt aber wieder fein ist, so macht euch daran und streicht mir den weißen Schornstein schwarz und die blauen Boote weiß. Der Zimmermann soll euch die Farben herausgeben.«

Die Leute schüttelten die Köpfe über diesen seltsamen Befehl, machten sich aber an die Arbeit, und am Abend war der vorher blendend weiße Schornstein schwarz gemalt, und die himmelblau gewesenen Boote erschimmerten wie Schnee. Aber nicht genug damit; auch der Name »Medusa« wurde allenthalben überstrichen und durch den weniger klassisch und hochtrabend klingenden »Pelikan« ersetzt. Die Leute führten auch diesen Befehl aus, jedoch nicht ohne zu murren. Der Dampfer war aber das Eigentum eines Privatmannes, und dieser konnte sein Schiff taufen und umtaufen wie und so oft ihm beliebte.

Die sonderbaren Einfälle des Kapitäns hatten aber damit noch nicht ihr Ende erreicht. Er stellte sich selbst ans Ruder und schickte die Mannschaften, die die Wache an Deck hatten, zu den übrigen hinunter in die Kojen, damit sie sich ausruhen könnten, wie er sagte. Dann wendete er mit Hilfe des Steuermannes und des Maschinisten das Fahrzeug, welches alle Segel stehen hatte, herum und hielt wieder auf Gibraltar zu. Ringsum lag die Nacht aus dem Meere. Der Wind war östlich und füllte die Leinwand, die Maschine arbeitete nur mit halber Kraft, und weder das Topplicht noch die Seitenlaternen durften angezündet werden.

Diese plötzliche Änderung des Kurses wurde von den Leuten sogleich bemerkt; sie steckten zuerst die Köpfe zusammen, dann aber beschlossen sie, sich Klarheit darüber zu verschaffen, wohin das Fahrzeug eigentlich bestimmt sei. Ihre Neugierde und ihre Verwunderung sollte an demselben Abend noch höher gespannt werden.

Die Straße von Gibraltar war wiederum passiert, und das Schiff rauschte von neuem in den Atlantischen Ocean hinaus.

Da ertönte die Stimme des Steuermanns.

»Heda!« rief er. »Kommt hier achteraus, lascht die Jolle los und setzt sie über Bord!«

»Was?« sagte einer der Matrosen, »die Jolle soll über Bord? Warum?«

»Weil ich's euch sage!« entgegnete der Steuermann. »Ich habe meine Ordres und muß gehorchen; und auch ihr habt zu gehorchen.«

»Das wissen wir,« erwiderte der Matrose. »Wir wollen aber auch wissen, was all das Blendwerk und der heimliche Kram zu bedeuten hat. Was Gutes wird's nicht sein.«

»Ihr weigert euch also, die Arbeit zu thun, die euch geheißen wird,« rief der Steuermann. »Das ist Meuterei! Zum letzten Mal, wollt ihr gehorchen?«

Die Matrosen sahen einander an und rührten sich nicht. In diesem Augenblick ließ Alvarado das Ruder los, kam nach vorn und rief:

»Den Ersten, der seinen Dienst verweigert, schieß' ich über den Haufen! Wittmarsch, gehen Sie ans Ruder.«

Der Steuermann ging nach hinten.

»Schornsteine malen und Boote über Bord schmeißen und all solches Blendwerk ist kein Dienst für ehrliche Seeleute,« sagte der Matrose, der bereits vorher das Wort geführt hatte. »Ich habe als Vollmatrose angemustert, nicht aber als Anstreicher oder Wracker.«

»Kein Wort mehr!« schrie Alvarado, einen Revolver hervorziehend. »Los die Jolle und über Bord mit ihr!«

Die Leute zögerten.

»Über Bord mit der Jolle, sag' ich! Auch diese Bojen über Bord, ebenso die Fässer da!«

Die Jolle, welche auf der Achterluk festgezurrt war, wurde losgebunden, über die Regeling gehoben und ins Wasser geworfen; demselben Schicksal verfielen einige Rettungsbojen und zwei leere Wasserfässer; sämtliche Gegenstände waren noch mit dem Namen »Medusa« versehen.

»So war's recht, Leute,« sagte der dunkelhäutige Kapitän. »Und laßt's euch gesagt sein: wer nun noch einmal das Maul aufthut und murrt, den schieße ich nieder wie einen Hund.«

»Selber ein Hund!« sagte der brave Matrose, der sich geweigert hatte, beim Überbordwerfen des Bootes Hand anzulegen. »Selber ein Hund! Wenn ich's noch erlebe, dann sollen die Behörden erfahren, was hier für Scheinwerk und Augenverblendung getrieben worden ist.«

»Du willst's also nicht anders!« rief der Kapitän und hob den Revolver.

Die Leute standen still und rührten sich nicht. Es fehlte ihnen nicht an Mut, aber sie waren waffenlos und hätten ihrem Gefährten nicht beistehen können, selbst wenn sie gewollt hätten.

»Versprecht mir, alle, daß ihr mir unbedingten Gehorsam leisten wollt,« fuhr Alvarado fort, »oder ich wende sofort nach Gibraltar um und überliefere euch dort dem Gericht als Meuterer.«

Die Matrosen gaben verdrossen ihre Zusage, nur der brave, furchtlose Mann und mit ihm noch zwei andere weigerten sich.

»Nun, du da,« sagte Alvarado, »gelobst du Gehorsam?«

»Ich denk nicht dran!« antwortete der Matrose. »Laß uns nur zurücklaufen nach Gibraltar, wenn du's wagst. Aber du wagst es nicht, denn sie könnten dich dort hängen! Traut ihm nicht, Leute, der Kerl hat schlimme Absichten!«

»Ja, und zunächst diese, du Narr!« schrie Alvarado.

Ein Schuß, ein kurzer Schrei, und der Matrose schlug schwer nieder an Deck. Die Maschinisten kamen die Treppe herauf, um zu sehen, was es gäbe.

Die Antwort lag dort auf den Planken. Das rieselnde Blut und der dünne, blaue, sich emporkräuselnde Pulverdampf sagten, daß soeben an Bord der »Medusa« der erste Mord geschehen war.

Die beiden Gefährten des Gefallenen standen unschlüssig, und aus dem Logis der Matrosen kamen die Mannschaften der anderen Wache an Deck gestürzt. Aus der Kajüte aber tauchte die junge Dame auf, die in Bremerhaven an Bord gekommen war.

»Was ist das?« rief sie, ängstlich umherschauend. »Was geht hier vor? Mein Gott, da liegt ein Toter! Kapitän, warum haben Sie mich nicht längst an Land gesetzt, wie Sie versprachen? Sie haben mich betrogen, und den Mann dort haben Sie ermordet! Ich werde Sie den Gerichten überliefern!«

»Mich den Gerichten überliefern!« lachte der Pirat. »Her zu mir, Leute! Wer steht zu mir und wer nicht?«

Wittmarsch und sechs oder sieben der Mannschaft, wüste und verkommene Gesellen, stellten sich auf seine Seite.

Die beiden andern Matrosen traten neben die junge Dame.

»Fürchten Sie sich nicht, Fräulein,« sagten sie, »wir stehen Ihnen bei, so lange wir noch eine Hand rühren können.«

»Ich bin kein Fräulein,« lautete die Antwort. »Fernere Verstellung ist hier nicht mehr am Platze. Ich bin ein Handlungs-Commis aus Bremen und habe mich von dem Steuermann da bestechen lassen, mich zu verkleiden und eine Zeit lang seine Tochter vorzustellen; zu welchem Zweck, das weiß nur er und der Kapitän dort. Nur soviel ist mir klar geworden, daß es einen Betrug galt. In Gibraltar wollten sie mich an Land setzen und mir, außer der verabredeten Summe, noch das Geld zur Heimreise geben. Ich habe aber keinen Pfennig bis jetzt erhalten. – Kapitän Alvarado, ich fordere Sie auf, unverzüglich umzuwenden und mich an Land zu bringen!«

Statt aller Antwort erhob der Pirat den Revolver und schlug auf den jungen Mann an. Wittmarsch aber fiel ihm in den Arm.

»Genug davon für heute, Kapitän,« sagte er. »Setzen Sie ihn und die beiden andern an Land, das ist geratener.«

»Aussetzen werde ich sie,« knirschte Alvarado. »Aber erst weiter draußen; dann mögen sie sehen, wie sie an Land kommen. – Unter Deck mit euch!«

Der junge Mensch in seinen Frauenkleidern ging mit den beiden Matrosen hinab in das Logis, welches sich vorn unter der Back befand; dorthin wurde auch der Verwundete getragen, den man in seine Koje legte.

Die unkenntlich gemachte »Medusa« aber verfolgte ihren Weg hinaus in die unermeßliche Weite des Oceans, nachdem der Kapitän, ehe er in die Kajüte hinabging, dem Mann am Ruder den Kurs »Süd-Süd-West« angegeben hatte.

*

In der nächstfolgenden Nacht ließ Alvarado ein kleines Boot zu Wasser bringen; man schaffte ein Fäßchen Trinkwasser und ein Säckchen Schiffsbrot hinein und zwang dann den Handlungs-Commis aus Bremen, der noch immer seine Damenkleider trug, und die beiden gesinnungstüchtigen Matrosen, sich ebenfalls hinab zu begeben. Eine Weile noch behielt man sie im Schlepptau, dann durchschnitt Alvarado eigenhändig die Fangleine des Bootes und überließ die Unglücklichen in der öden Wasserwüste ihrem Schicksal.


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