Hans Morgenthaler
Matahari
Hans Morgenthaler

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In der Einsamkeit der Wälder.

Wir waren unterwegs nach dem Tal des Nam Dam, des Schwarzen Wassers. Aris war schon dort, Hollukki und ich, Arbeitsgerät und Lebensmittel auf einem Ochsenkarren mitführend, folgten nach. Trotz des Regens.

Der Fahrweg durch den lockern Bambuswald war aufgeweicht. Der Schlamm reichte den plumpen Büffeln bis an den Bauch. Alles war grau vor Schmutz und Kot, wir, die Tiere und die ganze trostlose Gegend.

Wie errinnendes Gras guckten die grünen Spitzchen des jungen Reises aus dem Wasser der wenigen Äcker am Weg, und da und dort trieben Frauen ihre Herden in den Reisfeldern herum, auf diese einfache Art und Weise pflügend.

Manchmal regnete es hastig und rasch in grossen Tropfen, dann wieder versuchte die Sonne, wie in einem Riesenspinnennetz hängend, durch die Wolken zu dringen, blass und fahl und doch mit erstaunlicher Kraft.

Regen in den Tropen ist das Furchtbarste für den Weissen und so schlimm wie Schneesturm im hohen Norden. Zwar unterliegt ihm der Mensch nicht plötzlich und rasch wie jenem, sondern meist erst nach Wochen, aber weil er dabei unmerklich hinsiecht und seinem Ende fast ahnungslos entgegengeht, ist diese tropische Regenzeit um so tückischer.

Einem Kuki, der eigentlich in einem behaglichen Bungalow leben könnte, muss man es hochanrechnen, 130 wenn er seinen Tuan in die Wirrnisse des Dschungels begleitet. Tausende täten das um keinen Preis. Der Dschungel ist für sie der Inbegriff des Ärgsten.

Glücklicherweise gibt es aber überall, wo Menschen sind auf Erden, auch Verhältnisse zwischen diesen, deren Dauer und Festigkeit nicht nur an Geld und derartige materielle Werte gebunden ist, sondern auch im Osten finden sich Beispiele von unglaublich treuen, erstaunlich geduldigen und merkwürdig fleissigen Angestellten, wie auch von unbegreiflich strengen und ruppigen Meistern, die dennoch lange Zeit hindurch die gleichen Diener besitzen.

Hollukki, fühlte ich, kam durch Dick und Dünn mit mir, weil er ein gewisses Zutrauen zu mir gefasst hatte. Ich war sein Tuan. Dieser Tuan war so und so gut. Jetzt hatte dieser Herr den Beschluss gefasst, im Wald etwas suchen zu wollen. Das war zwar verrückt bei dem Regen, aber ich bin sein Boy, sagte sich Hollukki, und gehe mit ihm trotz der Strapazen. Wenn mein Meister wirklich der Herr ist, den ich bisher in ihm sah, dann ist's schon recht.

Nicht weil ich jeden Moment hart und streng war und hochmütig wie ein König, hielten meine «Sklaven» im Wald bei mir aus, sondern weil es ein Weltgesetz zu sein scheint: Dass das Niedrigere dem Höhern diene und das Kleine sich in den Dienst des Grossen stelle – – drum dienten Hollukki und Aris mir so treu, dachte ich. Aus dem gesunden Gefühl heraus: So muss es sein, und wird ihm und uns und dem Ganzen zum Heil gereichen. –

131 Mit halbverschluckten Zurufen steuerte unser Fuhrmann den Karren, der fortwährend in Wasserlöcher patschte waldeinwärts, und sein Uuh Uuh uuiii! – – – ! mit dem er die Ochsen zu äusserster Arbeit anspornte, rang sich gequält aus der tiefen Kehle – – gequält, aus Hass gegen den abscheulichen Weg und die Beschwerden des schmutzigen Tages, verzweifelt gedehnt Uhuhuhuuuiiii – ä! war ich ein Dummkopf, die Aufgabe zu übernehmen, dem Tuan seine Ware so tief in die Wälder zu bringen – – – für dreissig Tikale.

Von den härtesten Stunden für den Dschungelfahrer sind jene, da er mit all seinen Siebensachen schon mitten in der Wildnis diese Kämpfe seiner Führer und Träger um das seelische Gleichgewicht mitmachen muss und im Zweifel bleibt, ob sie aushalten oder ihn samt seinem Gepäck im Morast sitzen lassen werden. Da kann ein energisches Wort ebenso nützlich sein wie gefährlich.

Es ging gegen Abend und der Weg war noch weit. «Der Weg!» Ich wusste, dass der breitausgehauene, für Ochsenkarren fahrbare Teil desselben bald aus sei. Bis dahin würde der Fuhrmann mitgehen. Ich selber eilte nun allein voraus zwei Stunden weit zu Aris's Lagerplatz, um die Kuli zu rufen, die das Gepäck am selben Abend noch ins Biwak am Fuss der Berge hinaufschaffen sollten.

Es ist nie düsterer im Wald als bei Regen, nie kühler, nie heisser. Von allen Zweigen tropft's, deine Kleider sind durchnässt bis auf den letzten Faden, und du fühlst dich kalt und schwül im gleichen Augenblick, fast wie im Fieber.

132 Dampfend vor Anstrengung, über und über mit Schlamm bedeckt, und müd zum Hinfallen, erreichte ich das Lager. Schwer lagen die Wolken in den Baumkronen, langweilig leierten die ersten erwachten Grillen die Nacht ein und es regnete wieder leise, als Aris mich begrüsste:

«Viele wilde Elefanten! Tuan, viele Blutegel – – – aber auch viel Erz!»

Da erinnerte ich mich wieder der taumelnden Freude, die mich erfüllt hatte, als ich nach zwanzig unnützen Versuchen gutes Minenland im Wald selber zu finden, hier endlich den grossen Erfolg vorauszusehen glaubte. Wie es mir gelungen war, einen schlauen Chinesen zu überlisten, rasch nach der Hauptstadt zu fahren und das Land mit einer Konzession zu belegen.

Jetzt sollte das Wertvolle trotz Regen, Moskito und Fieber und ungeachtet aller Gefahren geprüft und untersucht werden.

Nur zäher Arbeit werden Resultate, sagte eine Stimme in mir. Und es schien mir grad recht, dass ich da eine harte Nuss zu knacken hatte. Und gerade darum, weil das Hierbleiben bei dem Regenwetter ungewöhnlich, ja wahnsinnig sei, würde ich jetzt um keinen Preis weichen. Den Dschungel könne man (glücklicherweise) noch nicht in Seidenbetten studieren.

Aris, der von Zinn und Minenland mehr verstand als mancher Weisse, begriff meine Unternehmungslust. Auf viele Kilometer Entfernung Bäche abwatend, hatten wir immer wieder in jeder Waschschüssel mehr als genug 133 von den blauschwarzen Erzkörnern gefunden. Es war nur noch eine Frage der nähern Untersuchung, ob zwischen den Wasserläufen auch erzhaltiger Grund sei, ob der Zinnstein mit der Tiefe zunehme usw., um den Platz zu einem zukunftsreichen zu machen.

Nie bin ich mit mir und mit meinem Leben zufriedener, als wenn ich etwas getan habe oder im Begriffe bin zu tun, das eigenes ist, und das die grosse Menschenmenge nicht macht. Aber auch nie sonst bin ich unglücklicher.

Das Tapfere, Mutige in mir sagt: Es hat keinen Sinn, dass du all jenes tust, was andere auch können. Du sollst Grenzenloses, du sollst Neues schaffen. Mit ihnen, die mehr geregelte Arbeitskraft und Werktagsausdauer besitzen, kannst du dich doch nicht messen. Da sollst du beginnen, wo die andern aufhören.

Und darauf antwortet meist leise und schüchtern der Feigling und Behaglichkeitssucher in mir: Gewiss, schon recht, aber so gut deine stolze Erkenntnis ist, und so prächtig, wenn auch mühsam und gefährlich die Idee – – sie kostet dir deine Kraft und Gesundheit, ja vielleicht das Leben und ist deshalb schlecht.

Es gibt Menschen, die die vernünftige Arbeit verfluchen und im Unvernünftigen um so grösseres leisten, die vorziehn, einem grossen Gedanken zuliebe zu sterben, statt im alltäglichen Glück zu leben.

In ihnen sind das Gute und Böse, Freude und Leid und Leben und Tod unausgesetzt in wirbelndem Ringen begriffen, sie sind voll Zwiespalt, bald unbefriedigt, bald 134 herrlich, nie fest und bestimmt, und alles, was in ihnen vorgeht, ist der trotzige Ausdruck des Gegenteils.

Aus dem Ringkampf ihrer zwei Halbwelten entstehen ihre Werke, die oft sonderbar sind, aus ihrem Abscheu vor dem Schlechten – – Verbrechen, aus ihrer Verachtung geregelter Spiessbürgerarbeit – – Taten, die dennoch aus einer Unsumme von Anstrengung und Opfer aufgebaut sind. Kein anderer kämpft sich hartnäckig ans Licht wie sie, die stets den Augenblick nahe sehen, da es mit ihnen kopfüber und unabwendbar dem Teufel zugehen wird.

Für solche Menschen ist das einfachste Leben eine grausame Zumutung, alles Schöne-Geordnete verdächtig, alles Gute zu gut, und wenn so einer, der hell und dunkel zugleich ist, so einer mit brennenden Wünschen und voll gärenden Zweifels in die aufheizende Enge des Dschungels gerät, und in die Gewalttätigkeit tropischen Klimas, dann wird in kürzester Zeit sein Leben verlodert sein, wenn nicht irgend ein gütiger Schutzengel die saure Pflicht auf sich nimmt, mit seinem hellen Schein über ihm zu wachen.

*

Von meinem Biwakplatz am Schwarzwasser gelangte ich so auf einen Schlag mitten in den jungfräulichen Dschungel, wie man etwa von der Berglihütte aus plötzlich und unvermittelt in die Herrschaft des Grindelwaldner Eismeeres tritt. Das Tal, durch das der Fluss sich wand, war schmal, und ringsum reihte sich unabsehbar 135 und mit knorrigem Dornenwald bedeckt ein Berg an den andern.

Mein Camp stand in der Nähe eines mächtigen Yangbaumes, der uns das nötige Harz für die Fackeln lieferte. Wie Briefkasten waren schlitzartige Nischen in seinen Stamm gehauen, in denen die brennbare Flüssigkeit sich sammelte, und von seinem Fuss aus führten nach allen Richtungen Wildpfade in den Wald. Im Lebenshaushalt der Braunen spielt ein solcher Baum eine so wichtige Rolle wie ein ganzes Kirchdorf in einer europäischen Landschaft.

Ein einfaches Schirmhüttlein wartete da auf mich. Wie ein fliegender Marktstand in der Stadt. Wände hatte es keine. Nur eine Pritsche und ein Dach. Das letztere war gebildet aus zwei Lagen längsgespaltener Bambusstangen, die untere Schicht wie Dachrinnen mit der Höhlung nach oben gelegt, und die obere Lage vom Bambusrinnen deckte die Fugen zwischen je zwei untern zu. Halbmeterlange, wie lackierte Eichenblätter halfen mit ein Plätzlein sichern, wo mein Matrazlein und das «Gelbe» und das «Rote» einigermassen geschützt blieben, wenn's nicht zu stark regnete.

Anlehnend war auch für Hollukki ein Laubhüttlein erbaut, wo in mühsamer Küchenarbeit die holzigen Hongkonger Büchsenerbsen überwältigt wurden. Wenn ich müd und hungrig von der Arbeit kam, schaute ich gern vom Bambusschragen dort hinüber und den blauen Räuchlein nach, die von Hollukki's Tätigkeit zeugten und wartete gespannt auf das hellklingende: «Tuan, makan!»

136 Wenig unterhalb des Lagers floss das Schwarzwasser vorüber, meist als sauberes Flüsslein über die mit dunklem Moos bewachsenen Steine plätschernd; nach den Platzregen aber schwoll es oft ungeheuerlich plötzlich zum brausenden gelbgrünen Strom an. Dann klang donnernd und tosend sein Gebrüll herauf und vermischte sich mit dem tausendfachen Stimmgewirr des Dschungels.

Bambus hing in lockern Büscheln allerorten über den Platz und zwischen lichteren Stellen durch sah man auf die weglosen Waldberge.

Wenig abseits hatten auch meine Kuli und Arbeiter sich ein Obdach errichtet. Das war noch einfacher als meines, und sie lagen da nachts einer neben dem andern dicht über dem Boden und fast im Wasser. Ich lebte wochenlang mit ihnen zusammen, ganz auf sie angewiesen.

An den im Osten alltäglichen Ausdruck «Kuli» (ein malayisches Wort, das ungelernter Arbeiter bedeutet) muss sich wohl jeder neukommende Europäer erst gewöhnen. Aber auch jeder wird bald mit angenehmem Erstaunen finden, dass ihm nicht das Üble und Geringschätzige anhaftet, das der Westen mit dem Wörtlein verbindet. Wer tief genug im Wald war, für den wird vom «Kuli» bald alles Unliebsame abgefallen sein, und wenn immer er das Wörtlein hört, wird sich bei ihm die helle Vorstellung vom «dienstbaren Geist» einstellen.

Für die Dschungelleute und Waldsiamesen, mit denen ich es meist zu tun hatte, wollte mir die Bezeichnung «Kuli» lange nicht passen, so wenig als es schicklich 137 ist, unsere unabhängigen Bergler und Sennen «Arbeiter» zu nennen. Das Unfreie des etwa «Fabrikarbeiters» liegt da zu nahe dabei.

Ich hatte nie deutlicher das Gefühl, jemand zu sein, bei meinen Mitmenschen etwas zu gelten, und nie ist mir mehr Liebe und teilnehmende Sorgfalt entgegengebracht worden, als wenn ich mit meinen Kuli im Wald war.

Oft habe ich mich ganz allein einem wildfremden Führer anvertraut, der mich tief in den Wald geleitet und heil wieder herausgebracht hat. Der stundenlang vorausgehend und den Weg schneidend auf jedes Zweiglein sorgsam aufpasste, und auf jeden Dorn, der etwa den Herrn verletzen könnte, und doch bestand unser gegenseitiges Verhältnis scheinbar nur in dem lächerlich geringfügigen Umstand, dass ich ihm abends nach der Arbeit einen Tikal, einen siamesischen Franken gab.

Der wichtigste unter all meinen Leuten war Nai Dehng – Herr Rot, der Schlanke mit den vierzehn Barthaaren und den eintätowierten Badehosen, deren zierliches Spitzenmuster bei jedem Schritt, den er tat, unterm Lendentuch hervorschaute. Er gehörte einem Stamm der mehr nördlichen Lau-Völker an, war aber jetzt P'hu Yai im benachbarten Walddörflein Tung Quang und kannte als solcher seine Gegend besser als irgend jemand. Doch kam er nur ausnahmsweise, etwa bei besonders wichtigen Grenzfragen mit mir.

Auch einige der übrigen Leute stammten von Tung Quang. Ich bewunderte die Starken, die nach Feierabend noch Kraft genug hatten (oder war's Schwäche – !), 138 heim zu ihren Familien zu gehn zum Übernachten. Sie hatten einen zweistündigen Marsch bis dort, waren aber regelmässig morgens früh wieder zurück.

Sie besorgten gleichzeitig die Nahrungsmittelzufuhr, taten Botendienste und waren die gelegentlichen Waldbriefträger. Sobald meine Anwesenheit bekannt geworden war, tauchten dann und wann Leute auf, oft von tageweit herkommend um Arbeit zu suchen. Der regelmässige Franken im Tag schien ihnen verlockend. Aber meist war ihre Begeisterung nur von kurzer Dauer.

«Waldsiamesen wollen lieber fast verhungern und dabei frei sein, statt viel Geld zu verdienen, aber regelmässig arbeiten zu müssen,» sagte Aris.

«Wie die Dichter!» dachte ich.

Sobald so einer ein paar Tikal im Sack hat, schnürt er sein leichtes Bündel und empfiehlt sich: «Herr, ich gehe!»

Es ist merkwürdig mit den Kuli. So entfernt und abliegend all ihre Begriffe von den unseren sind, es gibt unter ihnen doch solche, die vom ersten Zusammentreffen an sympathisch sind neben andern, die es nie werden.

Tschuy sah von Ferne aus wie ein wundervoller Mensch, hatte aber bei näherem Zusehn die verloderten Augen eines armseligen, fast nur von Kräutern und Insekten lebenden Waldmenschen.

Siang's Vater war sicher ein Chinese. Jedesmal wenn ich ihn sah, dachte ich: Schöner, Sanfter, hast du wohl auch eine Schwester? Führe mich zu ihr, zeige sie mir!

139 Die meisten aber waren kurzgesagt unwichtig. Unter Kuli sind Persönlichkeiten selten.

Krot fiel durch sein Naturmenschentum auf. Er war vielleicht der einfachste und echteste Wilde, den ich je sah: stark wie Herkules und gutmütig wie ein Kind. Die langen Haare hielt er mit einer Rattanschnur über der Stirne zurück, seine Augen strahlten von merkwürdigem innerem Feuer und wenn er den Mund auftat, war es, als ob der Wald selber sprach. «Krap!» war sein Wort. Es ist für uns Weisse fast unmöglich, «Krap» tief und dunkel genug auszusprechen. «Krap» heisst: «Ja, Herr!», «zu dienen», «zu Befehl!» fast.

Krot war so einfach und ursprünglich, dass sogar die übrigen Kuli ihn nicht recht begriffen und für dumm hielten. Aber er war das nicht.

Seine Haut war dunkel, aber gepflegt. Er unterliess es auch am kältesten Morgen nicht, sein Bad zu nehmen, massierte alle Muskeln und rieb sich das pechschwarze Haar mit dem Fett des Yken, des kleinen siamesischen Rehes ein. Der Regen lief von seiner glatten Haut ab wie das Wasser von einem Seehund. Sorgsam reinigte er seine Zähne nach jeder Mahlzeit.

Er war wie ein Tier im besten Sinne. Nichts ging ihm über den Wald. Ich erinnere mich, wie er an einem trüben Regenabend, da jedermann um ein trockenes Plätzlein am Feuer froh war, vor mich trat: «Herr, ich gehe in den Wald!» und für einige Tage verschwand.

Ganz unvermutet und als ob er kaum ein paar Schritte weggewesen wäre, tauchte er jeweils wieder auf. Er hatte 140 eine Frau im Dorf – – – heisst das, als kein anderer mehr diese Frau begehrte, hängte sie sich an ihn. Vielleicht war ihm deshalb der Wald so lieb.

Ich hatte Krot gern. Keiner verstand wie er mit dem Messer umzugehn, und die Wildspuren zu lesen. Oft gingen wir zu zweit tageweit in die Berge, und nie hat einer mit mehr Recht und stolzer und belustigter über meine unerfahrenen Fragen nach den Geheimnissen des Dschungels gelacht als er. Unheimlich wurde mir Krot erst, als ich sah, wie aus der Fleischpastete, die er zum Reis ass, die Würmer erschreckt fortliefen.

*

Die erste Arbeit im Wald bestand immer darin, dass Richtlinien vorgetrieben wurden. Die Grenzen des Landstückes, das erworben werden sollte, mussten Schritt um Schritt herausgeschnitten, und Dschungelweglein eröffnet werden, weil der Wald sonst vollständig undurchdringlich war.

Täglich bin ich so am Nam Dam, das krumme Messer im Gürtel, wie die Eingeborenen auf Abenteuer ausgezogen.

Zu den tiefsten Freuden, die das Leben zu bieten hat, gehören Entdeckungen auf Neuland. Und wäre das noch nicht berührte Landflecklein nur klein, es wird immer ein besonderes Gärtlein des Glückes sein, und reicher an Schönheit und Wundern als der gepflegteste jardin public einer raffinierten Menschheit.

141 Die Tatsache, dass am Schwarzwasser zwar schon Chinesen und Siamesen vor mir Zinn gesucht hatten, aber nie ein Weisser, war Grund genug, diese Gegend für mich zu einem Paradies zu machen, wenn auch zu einem mit Dornen.

Um eine Grenzlinie von fünfundsiebzig Sen Länge (1 Sen = 40 Meter) und zwei Meter Breite durch den Wald vorzutreiben, brauchten drei vier Kuli mehrere Tage. Hier hatte ich fünfhundert Sen zu schneiden quer über Hügel und Berge, durch finstere Schluchten, und oft war erst ein zweistündiger Anmarsch an den Arbeitsplatz nötig.

Erst nachdem so ein Minenland zugänglich gemacht war und kreuz und quer Linien vorgeschnitten waren, konnte mit dem Absenken von Schächten zur Untersuchung des Grundes geschritten werden.

In den frühen Morgenstunden war der Himmel oft klar. In allen Farben glitzerten Wassertropfen auf den Blättern. Nebelschwadenhauch lag über dem Waldtal, wo der Fluss sich durchwand, der weiten Ebene und dem Meer zu, und die Luft war frisch.

Affen turnten und wimmerten auf hohen Durianbäumen herum, grosse und kleine, fast weisse, seidenhaarige und dunkle mit hellen Menschengesichtern. Und wenn wir dann in den Wald hinauszogen, zuversichtlich und stark und einen schönen Tag erwartend, gackerten und krächzten die wilden Hühner und Hähne, als ob wir uns nicht mitten in der Wildnis, sondern in der Nähe eines geordneten Bauerndörfchens befänden.

142 Sonnenstrahlen blitzen hell und heiter auf dem Laub üppiger, saftstrotzender Dschungelpflanzen, und man fühlte in der kühlen Luft, wie herrlich das freie Waldleben bei gutem Wetter sei.

Aber, eh es Mittag wurde, deckte sich immer wieder der Himmel, dichte, windgeschüttelte Wolken stiessen über die Berge vor, warfen dahin und dorthin einen ersten Guss und es dauerte meist nicht lange, so brauste durch das ganze Tal das Plätschern des geschlossenen, bis zum nächsten Morgen nicht mehr aufhörenden Regens.

Dann barg ich mich abwartend in einem hohlen Baum oder unter einem grossblättrigen Dickicht, aber seit mich einmal auf die geringfügigste Abkühlung hin ein Schüttelfrost gepackt hatte, zögerte ich nie mehr lange und rannte heim, wenn es doch keine Aussicht auf Besserung gab.

Es war nichts Ungewöhnliches, dass abends der eine oder andere meiner Kuli Fieber hatte, Fieber fast bis zum Delirium, das seine Augen glasigstarr machte und seinen Atem zum Gurgeln und Pfeifen, fast zum Röcheln brachte – – aber am nächsten Tag war meist alles wieder gut.

In Fiebergegenden stehen die Menschen so unterm Bann der Malaria, dass sie sich gar nicht zu wehren versuchen. Wenn das Fieber kommt, nehmen sie es stoisch hin wie ein anderes Unglück, das nicht aufzuhalten ist, kugeln sich zusammen, leiden stumm und warten, bis es vorüber sein wird. Dann lachen sie fast, und können nicht begreifen, dass es sie so fest gepackt hatte.

143 Ich verteilte regelmässig Chinin. Die Leute kannten es und nahmen es dankbar.

Morgen um Morgen brachen wir zur Arbeit auf, bahnten uns einen Weg durch den Wald, wateten stundenlang im Fluss (ein Fussbad bis an den Bauch hinauf gehört in Siam zum täglichen Brot des Geologen), da ein bischen herumgrabend und kratzend, dort ein paar Leute an einem angefangenen Schacht zurücklassend, Zinnerz und Gold suchend. Jeder von uns hatte seine Cokosnussschale mit, und oft sass ich selber stundenlang am Wasser und drehte die Waschschüssel mit dem Sand und der Erde drin solange herum, bis das geschlemmte kostbare Erz zurückblieb.

«Hier ist's besser, dort ist nicht viel zu erwarten, wenn wir tiefer graben könnten, würden wir mehr finden!» das waren so die Gespräche, die Aris und ich zusammen hatten. Der Wille, unsere Arbeit gründlich zu tun, vielleicht auch Wünsche ähnlich denen des goldsuchenden Abenteurers, hielten uns ganz gefangen.

Ich sass oft im Wasser und vergass im Rauschen des Baches die Zeit und das Essen, von der Heimat ganz zu schweigen, und wenn ich dann plötzlich aufschaute, war der Wald so um mich, der undurchdringliche, verworrene Dschungel mit tausend einzelnen Ästen und Stämmen und Zweigen, mit Luftwurzeln, Lianen und Kletterpflanzengeschlinge, dass es ermüdend war und aussichtslos schien, etwas genauer betrachten zu wollen. Oder der Wind schüttelte die Bäume geheimnisvoll, merkwürdige Vögel sassen am Ufer, rote Fische zogen 144 stumm durch das klare Wasser, dass ich mir vorkam wie ein verzauberter Prinz im Bann eines Märchens.

Wir machten etwa gute Funde, wo das Erz in schwarzen Körnern im Sand lag, zu grossen Reichtümern zusammen geschwemmt, oder Enttäuschungen wurden uns zuteil – – – wo wir nach tagelangem Suchen Resultate erwarteten, war nichts zu finden.

Ich liess oft Aris mit den Kuli vorangehen und folgte etwa eine Stunde später nach. Einmal hatte ich verschiedene Mannschaften auf einer Linie arbeiten, drei Schächte im Abstand von je hundertsechzig Meter wurden abgetäuft.

Als ich eines Morgens zum zweitletzten Arbeitsplatz kam, standen die Arbeiter des abgelegensten Schachtes erregt mit den andern Leuten zusammen, heftig etwas besprechend.

«Aris!» –

«Tuan!»

«Warum sind die Kuli nicht an ihrem Platz?»

«Man kann heute nicht wagen, dort drüben zu arbeiten – – – Tiger!»

Nach dem was Aris mir weiter erzählte, muss es drollig ausgesehen haben. Als der erste Mann, zur Arbeit bereit, ins Loch hinunter schlüpfen wollte, sprang in hellen Sätzen ein Tiger über die Arbeitsstelle weg. Der Kuli im Schacht kletterte angsterfüllt auf und ab und wusste nicht, ob er sich ganz in seinem Versteck verkriechen oder ob er fortrennen sollte.

Natürlich wurde an diesem Schacht dann trotzdem gearbeitet. Denn Siam ist in bezug auf den Tiger ein 145 harmloses Märchenland. Ich habe nie gehört, dass ein Mensch angefallen oder gar gefressen worden wäre. Trotzdem, nach den Spuren zu schliessen, die man überall trifft, das Land voll von dem Raubzeug ist. Es scheint, dass das Fehlen grosser kultivierter Landstrecken und Plantagen und andererseits das Vorhandensein vielen Wildes und grosser Büffelherden den Tiger noch nicht zu Dreistigkeiten, wie in andern indischen Ländern, gezwungen hat.

Ein schwarzer Panther kam in einer Mine allabendlich bis hundert Meter von den Hütten, wo über fünzig Kuli wohnten, legte sich dort wie eine Katze auf Ausschau, als hätten wir für ihn das Plätzchen gesäubert, wo wir ein neues Haus aufzustellen gedachten, und von da aus orientierte er sich über den Hühnerhof, aber falsch, ging bald darauf in die Falle und wurde mit Vergnügen von den Kuli mit Stemmeisen totgeschlagen.

Begegnet bin ich nur einem persönlich, vielleicht war es sogar nur ein Leopard. Er lag fünfzig Meter vom Fahrweg entfernt im Gras. Dicht nebenan weidete eine Kuhherde und eine Frau setzte Reis. Hollukki sagte auf einmal: «Schau dort Tuan – – – Katze!» und wir hielten es kaum für nötig, an den Ochsenkarren, hinter dem wir herschritten, aufzuschliessen, trotzdem ich, wie immer in Siam, vollständig ohne Waffe war.

*

Als das Grenzenschneiden zu einem gewissen Abschluss gekommen war, stellte ich eine Mannschaft Chinesen an, und diese Minenkundigen gingen daran, 146 kunstgerechte Stollen und Löcher zu graben. Für sie wurde eine Hütte errichtet.

Chinesen sind etwas ausdauernder und geschickter bei regelmässiger Arbeit, aber auch anspruchsvoller und den Mühsalen des Waldlebens weniger gewachsen als die Siamesen.

Aris hatte mir zum voraus warnend gesagt, dass die Chinesen nicht gern zu dieser harten Arbeit kommen würden, so fern von aller Welt (ich musste ihnen das Essen über den Lohn hinaus gratis geben und einen Chinesenkoch für sie mieten), im übrigen werde er, Aris, die Sache einrichten. – – –

Ich war nicht sehr erstaunt, als ich eines Tags mitten unter dem Trüpplein knorriger Kuli ein Weiblein entdeckte.

Erst dachte ich, sie gehöre dem Kulikoch; aber nicht lange dachte ich das – – –

War das nicht eine tapfere Frau. Wie sie mit diesen Leuten im harten Walde lebte, ihr rauhes Leben teilte, mit ihnen wohnte, für sie waschte, nähte, kochte und da war.

War das schliesslich soviel anders, als wenn man einer Maultierkolonne eine – – –

Jeden Abend kam sie in elastischen Schritten aus dem Häuslein, ging im Dunkel des Waldes baden, einmal hörte ich sie zur chinesischen Geige singen und unsere Waldniederlassung widerhallte von ihrem Lachen.

Aber das Idyll dauerte nicht lange – – –

Plötzlich erklärte Aris sehr streng: «Die Frau muss weg!» – – «Ja, gut, meinetwegen!» sagte ich unbestimmt, 147 da ich von solchen Dingen wirklich wenig verstand, «mir scheint auch, sie laufe mit jedem Kuli in den Wald!»

«Itu tida apa – – – nicht das ist das Schlimme,» wehrte sich jetzt Aris, «aber – – sie nimmt nicht einmal eine Matte als Unterlage mit – – – !»

Mit der Frau gingen die Chinesen und ich musste mir wieder mit Siamesen behelfen.

*

Am Nam Dam war ich wirklich ganz im Reich des Elefanten. Manchmal kam frühmorgens, eh ich kaum recht erwacht war, ein Kuli schon mit einem Bündel Waldgemüse zurück, oder irgend ein anderes Geschäft hatte ihn ein paar Schritte hinter das Camp geführt, z. B. das tägliche Werk des «buang nasi – des Reiswegwerfens,» wie in malayisch ein unästhetischer Akt feinfühlig genannt wird, und dieser Ankömmling berichtete regelmässig: Heute Nacht sind die Elefanten dort und dort durch, bei jenem Fruchtbaum haben sie zu Abendessend ein ganzes Bambusdickicht umgetreten, oder ihre frische Spur kreuzt den Bach an jener Stelle, wo wir gestern einen neuen Schacht angefangen haben. Ich war so gewohnt, jeden Morgen das Neueste über die Elefanten zu hören, wie man in der Stadt mit einem flüchtigen Blick rasch der Morgenausgabe seines Leibblattes die letzten Nachrichten entnimmt.

An einem stürmischen Morgen, als der Wind durch den Wald heulte, sagte Aris: «Heute können wir nicht arbeiten. Die Elefanten fürchteten sich auch und sind 148 talaus gewandert, alle zusammen, einer hinter dem andern, so dass ein hartgetrampeltes Weglein entstand, haben sie den finsteren, grossbäumigen Wald verlassen und sind dahin gezogen, wo nur lichter Bambus steht. Es war wirklich gefährlich. Baumriesen fielen dröhnend, das ganze Tal mit ihrem Todesgebrüll erfüllend und allerorten stürzten prasselnd tote Äste – selber wie stattliche Bäume – durch das Lianen- und Schlingpflanzengewirr herab, manchmal ganze kleine Unterholzwäldchen zusammenreissend.

Wir lagen den ganzen Tag halbverängstigt im Camp unterm grossen Yangbaum, der, selber noch kerngesund, uns ein Schutz sein sollte.

Immer wieder traf ich auf meinen Gängen zur Arbeit auf die frischen Spuren wilder Elefanten. Unwahrscheinlich gross, fast nicht zum Glauben, gähnten mir oft die ovalen Löcher aus dem schlammigen Untergrund etwa an Ufern entgegen, reihten sich zu Ketten, formten hartgetretene Pfade den Hängen entlang und wurden gelegentlich so auffällig und das Bild der Gegend bestimmend, dass ich jeden Moment das Erscheinen des Urhebers all der Merkwürdigkeiten erwartete.

Aber ich bin dem wilden Elefanten nie persönlich begegnet. Nicht einmal bin ich mir vollständig klar darüber geworden, was geschehen würde, wenn wir in der Enge des Waldes plötzlich auf ihn stossen würden.

Manchmal, wenn wir lautlos in dichtem Gebüsch einer hinter dem andern gingen, geführt von Dehng, knackte irgendwo nebenaus ein Ast oder ein Bambusknotenstück 149 unter dem Tritt eines grossen Tieres, und dann belebten sich die finsteren Gesichter meiner Siamesen, und mehr als einmal rannten sie alle so schnell wie möglich gegen die Stelle hin, dass ich ganz allein blieb.

Als ich Krot fragte: «Was geschieht, wenn wir den Elefanten begegnen – – – ? Dann zertrampelt er uns alle – – – ?» bekam ich keine klare Auskunft. Halb lachte Krot, halb machte er ein sehr ernstes Gesicht, und der Sinn seiner Gurgelworte war der:

Einer, der den Elefanten im Wald allein begegnet, muss aufpassen und tut am Besten, sich zu empfehlen, zu beten und abzutraben.

Zwei oder mehrere Leute miteinander können es wagen, zuzusehn, und je nachdem er gut gelaunt sei oder böse, werde der Elefant vielleicht, sehr wahrscheinlich, ziemlich sicher, möglicherweise, Reissaus nehmen oder nicht –.

Einmal erwachte ich mitten in der Nacht.

Ein dumpfes Geräusch ausserhalb aller Vorstellung und Erfahrung war zu hören. Irgend eine unbestimmte Macht, die sonst nicht da war. Ich drückte mich neugierig über die schlafenden Leiber der Leute nach vorn.

Mein Hüttchen und die schräg gegen den Bach hin abfallende Lichtung lag im Dunkeln, nur die Talseite gegenüber und die höchsten Spitzen der Berge waren von der zittrigen, schwachen Helle des hinter Wolken aufgegangenen Mondes beleuchtet.

Das Campfeuer war vollständig ausgebrannt. Nur wenige vereinzelte Grillen zirpten, das Schwarzwasser rauschte wie immer, sonst war die Nacht ruhig.

150 Da krachte plötzlich, noch fern, aber doch deutlich vernehmbar, splitterndes Holz auf, – – – es wurde wieder ruhig für Minuten und dann, schon ganz nahe, erneutes Knallen von brechendem Bambus.

Wie die Vorboten eines kommenden Unglückes, nahte etwas Unwiderstehliches. – – –

Ein Kuli drehte sich stöhnend herum.

Aris sass auf. Halb im Schlaf, und doch sehr wach hauchte er:

«Tuan, die Elefanten!»

Wir lauschten gemeinsam in die Nacht hinaus, nochmals war ein helles Krachen und dumpfes Riesenstampfen zu hören – – –.

«Elefanten fürchten die Fliegen, die um die Wohnstätten der Menschen sind – – !» hörte ich Aris noch stammeln und unterm leisen, leisen Singen des Waldes schlief ich bald wieder ein.

Als ich am Morgen zum nächsten Arbeitsplatz kam, waren ringsum armsdicke Bambusstangen wie Zündhölzer geknickt und zertreten, und wie Schnüre ineinandergeknäuelt. Das Regenzelt über der Arbeitsstelle hatten die Tiere niedergerissen und einen grossen Haufen Reis, der nicht Reis war, in Riesenballen darübergeworfen.

«Tschang hak mot!» fluchte Aris erbost auf siamesisch. «Der Elefant muss doch alles verderben – – – !» 151

*

In Aris' geistigem Innern nahm sein Tuan allmählich zwar nur und in langsamer Entwicklung ein bestimmteres Bild an. Aris studierte seinen Meister. Das merkte ich, wenn er, sich unbeachtet wähnend, vor mir sass und mich anstaunte, ich hörte es aus seinen Worten heraus, wenn er mit Dritten über den Tuan sprach, oder spürte es besonders deutlich, wenn ich selber mit ihm plauderte. Da erkannte ich auch, dass es immerhin ein sonderbares Bild war.

Eines Tages schickte mir Dehng, der Dorfobmann von Tung Quang einen Boten, um mir mitzuteilen, dass er den Besuch des Mr. Smith, eines Weissen, eben empfangen habe. Der Herr sei für zwei Tage sein Gast.

Aris übergab mir mit feierlichem Gesicht diese «freudige Botschaft.

Ich sagte nur: «Sehr gut, dass ich das weiss, ich war gerade fast im Begriff, nach dem Dorf zu gehn.»

Da schaute wieder aus Aris' Gesicht hülflose, fast beschämte Verständnislosigkeit, er glaubte jeden Augenblick, der Tuan werde ins Dorf hinabrennen, aus Freude, einen Europäer zu treffen, und war nach all seinen langen Studien doch überzeugt, dass sein Tuan das niemals tun werde.

152 «Sein Herr soff selten, liebte die Gesellschaft seiner weissen Brüder nicht und sah doch, auch wenn er ganz seinem eigenen Willen leben durfte, immer gelangweilt aus.»

«Du bist mir ein noch nicht gelöstes Rätsel, Tuan, jedenfalls das seltsame Produkt einer merkwürdigen Kultur – – – !»

Ungern gab Aris' stolze Stirne durch ein paar schwere Falten das zu. Seinen Herrn bald vollständig zu kennen, war sonst seine grösste Errungenschaft.

Das besonders gut (hahahaha! gut!) gelungene Endprodukt einer langen Kette raffinierter Erziehungsmethoden – – – dachte ich still für mich.

*

Einen ganzen Monat lang rannte ich so täglich mit der Freude eines naiven Jünglings, der noch meint, dass das Leben nur schön sei, in den Wald.

Da hatte ich wiedermal ein Stück Dasein von durchaus grosser Merkwürdigkeit, fern dem Geschwätz der Stadt, ungewöhnlich, das heisst wertvoll – – also ganz im Einklang mit dem, was meine Philosophie mir immer vorschrieb. Jeden Morgen war es denkbar, dass ich irgend einem wilden Tier begegnen könnte, jeder Tag mochte die Entdeckung eines besonders reichen Minenstückes bringen, jeder Abend wurde nur über hartnäckige körperliche Anstrengungen weg erreicht...

Oft, wenn ich bis zum Kopf hinauf in einem Schlammloch steckte und wie ein Waldschwein drin wühlte, dachte ich lachend:

153 Merkwürdig, woher bekam ich diese tierhafte Lust? Bin ich nicht in sauberen Schulstuben aufgewachsen! Warum behagt es mir hier? Kommt das nicht fast einer Verurteilung meiner ganzen Vergangenheit gleich – – ?

Aber so ganz richtig meines Lebens froh wurde ich am finstern Schwarzwasser doch nicht.

Ich fühlte mich allzusehr im Zwang eines seltsamen Daseins, das doch auch nicht ganz zu mir zu passen schien. Meine gesunde Jugend kam mir in den Sinn, und jetzt war ich so der Vergänglichkeit ausgeliefert, in einer zwar ruhigen, mir behagenden Umwelt, als einziger Meister im Umkreis von hundert Meilen – – aber doch dem Verderben preisgegeben, wie eine Pflanze in einem dunkeln Zimmer.

Und mehr und mehr begann ich zu leiden.

Zwar versprach die Arbeit noch Resultate und «ohne hartnäckige Untersuchung wird schliesslich aus dem besten Ding nichts», aber das Leben da in der Einöde und im Kot wurde doch nach und nach sogar für mich, der nie viel Verständnis für Parkett und Salon hatte, zu hart.

Furchtbar der tropische Urwald zur Regenzeit. Von allen Zweigen streckten Blutegel ihren schlängelnden Leib in die Luft, gierig nach Opfern. Während der Arbeit in Bächen und feuchten Schluchten fluchte alle Augenblicke einer der Leute leise auf und las sich einen Sauger von den nackten Füssen.

Wenn wir auf den Hochrücken, wo stehendes Wasser selten war unsere Erzproben in den gelben Pfützen grosser Elefantenfussabdrücke waschten, musste fortwährend ein 154 Kuli dem Arbeitenden die Blutegel von den Händen und Armen ablesen. Oft hatte ich selber Dutzende von eiternden Bisswunden an den Beinen und viel Blut ging verloren, Blut, das nirgends kostbarer ist als in den Tropen.

Namentlich als Neuling im Dschungel hatte ich unter den Blutegeln zu leiden, als ich noch in Wut geriet wegen jedem, der anbiss und die Viecher einfach wegriss. Später, als ich sie mit einer brennenden Zigarre ärgerte, bis sie freiwillig losliessen, so dass nicht mehr die abgerissenen Köpfe in den Wunden blieben, ging's besser... Durch die Ösen der Schuhriemen drangen sie ein oder von oben her durch den Kragen den Rücken hinab, was besonders unbeliebt war.

Später trug ich die Segeltuchschuhe an den blossen Füssen – – man kann doch nicht zehnmal die Strümpfe ausziehen im Tag – – talkte meine Beine ein wie die Eingeborenen, und wenn dann je einer zu beissen versuchte, erwischte ihn sein Schicksal bald.

In Schlechtwetterzeiten war es so dunkel am Nam Dam, dass die gefährlichen Fiebermücken sich mitten am Tag ins Freie wagten. Ja, so schlimm war es – – ich sah dort überhaupt keine andern Mücken als Anopheles, während ich mich nicht erinnern könnte, sonst irgendwo im Land eine solche bemerkt zu haben, all die zwei Jahre hindurch.

Vorsorglich nahm ich Chinin, soviel ich ertragen konnte. Aber dann wurde ich schwerhörig, mein Magen, sonst schon revolutionär ob des ewigen «chicken and rice» stellte seine Mitwirkung noch völlig ein. Eins half 155 dem andern – rückwärts, im Dschungel geht's mit der Gesundheit nur abwärts, nie erholt sich im Urwald, wer unter normal sank mit seinem Kräftehaushalt.

Und wenn wir abends nach den Strapazen des Tages im ungemütlichen, moderig-feuchten Obdach lagen, fielen Legionen von Läusen und Wanzen und Flöhen aller Arten über uns her, die gärende, keimschwangere Fieberluft selber nagte an uns, zermürbte unsere schlechtgenährten Körper, und immer öfter wälzte ich mich schlaflos – – ein Opfer der «Binatang halus».

Das ist eine Tiergattung, die kein Zoologe kennt. Es sind reissende Raubtiere malayischer Dichtung. Binatang bedeutet ein wildes Tier, etwa ein Tiger und halus ist der feinste Ausdruck für winzig und klein. Aris zerrte mit diesem herrlichen Wort all jene, von blossem Auge nicht sichtbaren und sonst nur mikroskopisch zu erfassenden Lebewesen ans Tageslicht, die in diesen Gegenden auf der Haut der Menschen wohnen und mir so manche Nacht verdarben.

So fühlte ich mich selten mehr wohl. Es war mit mir, wie wenn gegen Frühling ein langer Winter den Leuten in den Knochen hockt mit Influenza. Müd in den Gliedern, unfroh im Herzen, war ich nicht stark und nicht krank, lahm und gedrückt.

Ich wusste, dass unser aller Leben auf dem Spiel stand. Ich empfand fast etwas wie Mitleid mit den Kuli, die den ganzen Tag im Wasser arbeiteten. Jede Nacht husteten sie, einige spieen Blut. Alle waren mager.

Bergauf musste ich selber schnaufen wie eine Kuh. 156 Ich fand mich in Schweiss gebadet während der kühlen Nächte und fror manchmal merkwürdig mitten am Tag. Oft rannte ich noch kräftig, als ob nichts wäre, des Morgens zur Arbeit – – aber schon nach einer Stunde oder zwei des Wasserwatens und Laufens und Waschens und mich durch Gebüsch und Dornen Durchdrückens, wurde mir schwarz vor den Augen, und eine unbezähmbare Unlust trieb mich ins Lager zurück.

Eines Nachmittags, als ich so missmutig zurückkam, war Dehng da mit einem Brief.

«Aus deinem Vaterland, Tuan,» sagte Hollukki.

Es ist erstaunlich, wie schlau Briefe mir ins Innere nachreisten. Wenn ich im Umkreis einer Gegend, so gross wie die halbe Schweiz der einzige Weisse war, so fand mich ein Brief eben deshalb. Von der letzten Eisenbahnstation war dieser da mit einem fahrenden, chinesischen Schweinehändler bis halbwegs Tung Quang gewandert, dort wusste ein Kuli, dass Dehng mich kenne, und schliesslich legte dieser den kostbaren in eine trockene Bananenblattscheide und lief extra die zwei Stunden zu mir hin. Das harmloseste Schreiben hat für Waldleute, namentlich für solche, die irgendeine Ahnung von Obrigkeit haben, etwas Aufregendes an sich, wie für uns etwa eine amtliche Aufforderung vor's Steueramt.

Frater ursus, Victor montium

Poeta et Scienciator – – Artista et Exploratore – – – ! so lautete die Anrede, als ich den Brief aufschlug – – von einer unbekannten Dame – – – – – – – – – – – – – – – – – – – !

157 Poeta, Exploratore – – – – – Orang utan – – dachte ich.

Kann man mich nicht einmal hier in Ruhe lassen, im fernen Urwald, wo ich bin, und hingehöre. Was für ein Recht meint eigentlich Europa auf mich zu haben

Der Spruch hielt mich wach bis tief in den Abend. Ich dachte über das Leben nach. Über all das, was das Dasein schön macht: Reichtum ist hübsch, Liebe ist gut, Ruhm, o ja, auch darauf gab ich einst viel – ! Alles, wenigstens in irgendeiner spukigen Form schon dagewesen!

Erst als die halbe Nacht herum war, gelang es mir, den Brief als das zu nehmen, was er war:

Ein wunderbar feinsinniges Zeichen der Sympathie, eine mütterlich-bekümmerte Stimme Europas, ein weckender Mahnruf: He, du dort im Sumpf, schwimme tapfer kopfhoch! Aber vergiss uns hier nicht darob, auch wenn das Wasser angenehm warm sein sollte –.

Und gestatte uns, dir mit einem Grüsschen, wenn auch halb unbekannterweise in deinem, manchmal gewiss auch rauhen Leben zu helfen – –.

Früh am nächsten Morgen, als es noch dunkel war, weckte mich die Kälte – Victor montium – Orang utan – und als ich aufsprang vom harten Lager, war der Himmel von allen Wolken reingefegt und versprach einen schönen Tag. An den frohen Brief denkend, rief ich:

«Aris, ich will auf den Berg!»


158 Dort oben tat sich mir die Weit neu auf. Ich jauchzte und erinnerte mich an die schönsten Tage meiner Jugend. Und dachte an meinen zweiwöchigen Aufenthalt auf jenem andern siamesischen Berg, dem Ronpibun Hill im Süden, wo ich Abend für Abend das Eindunkeln der Riesenebene schaute und im Widerschein sass der hinter den Bergen ins Meer versinkenden Sonne.

Dann kehrte ich heim ins Biwak, steckte eine schwarze birmesische Zigarre an, liess zwei Harzfackeln rüsten, trank Tee mit Whisky vermischt, lehnte mich an einen der Hauspfosten und schrieb, das «Gelbe» als Pult benützend:

12. Januar ......    

Mein lieber Bernhard!

Heute ist Sonntag, Winter bei Euch und ich vermute Dich irgendwo hoch über den Nebeln. Du wirst jetzt, wie wir so manchmal gemeinsam durften, auf lieben Ski durch die verschneite Pracht winterlicher Bergwälder gleiten, Du wirst – – glücklich sein.

Ob Du wohl dabei auch so an mich zurückdenkst, wie ich heute an Dich!?! An mich, der den Bergen, dem Schnee und dem Eis fern sein muss, an ihn, der jetzt unter steilerer Sonne in krankheisser Luft den Gesundheit und Kraft in sich tragenden Winter entbehrt.

O dass Du das hier mitansehen könntest! Es gibt doch auch ohne Schnee Seligkeiten!

Heute bin ich mit Aris, meinem malayischen Diener, weit in die Urwaldberge vorgedrungen. Wir haben uns durch Stechpalmenwald und Lianen gehauen und über 159 eine mauerschmal und steil aufragende weisse Quarzplatte einen Gipfel erreicht – – – endlich einmal über dem Wald!

Wie wundervoll! Ich klebte in den äussersten Zweigen eines knorrigen Baumes, während Aris von Krone zu Krone kletterte, ringsum die Aussicht säubernd.

Diese sanften Waldwellen! Wie weich, wie harmlos und doch welch mühsame Arbeit hinter uns.

Jäh ragte der Berg aus der weiten Palmenebene auf, und da ein klarer Tag drüber lag, leuchtete ganz hinten an der weissen Küste der siamesische Golf auf, und gleichzeitig konnte ich über die Berge weg einen blauen Saum indischen Wassers ahnen.

Da oben ist in mir etwas klarer geworden, etwas, das ich bisher nur dumpf in mir spürte: Nicht allein nur die Freude an der Überwindung der eigenen, mehr und mehr wachsenden Ichschwere ist, was dich wieder und wieder zum Berg hinauf zieht, nein, schon allein nur der Gewinn «Tiefblick» wiegt die Mühe auf – – – wieder einmal auf diese bucklige Welt hinabschauen zu dürfen!

Im wilden Land ist das um so wertvoller. Aus tausend Meter schaust du da tiefer hinab als im Berner Oberland aus viertausend Meter Höhe. Hier bist du der einzige, der da hinaufläuft, nur du glaubst hier etwas suchen zu sollen, und keiner von all diesen andern Menschen im ganzen Land könnte auf deinem Berg etwas finden – –

Dieser prachtvoll grüne, wellige Teppich, in seiner Unermesslichkeit aus nur leise geahnten Cokos- und 160 Betelpalmwedeln gewoben! Mit sonnverbrannten, strohgelben Reisfeldeinlagen.

Wie weich und frisch er daliegt, wenn Matahari frühmorgens weit, weit hinten als rote Scheibe aus dem Meer heraufsteigt!

Oder welche Ungeheuerlichkeit, wenn die schwarzgelben Wolken des Waldbrandes vom Sturmwind schief drüber hingetrieben werden, wenn das Tropengewitter steil sich drüber auftürmt,

oder abends der einsame Kalkkegel weit draussen im Ebenen beim Spätlicht bleich über das Palmenmeer schaut, und Berg um Berg sich nach Süden verliert, regenblau und klar und schwer wie in Föhnluft – – –

*

So ganz im Zwang des Waldes und harter Arbeit erwachte ich manchmal nicht sehr rosig, die Malaria schwellte meine Leber, dass ich sie wie ein hartes Polster unter den Rippen fühlte.

Es ist eigentlich traurig, in einen solchen Zustand hineinzugelangen, und wer einmal so weit ist, der wird früher oder später irgendetwas Schreckliches tun, es kommt ihn plötzlich eine grosse Lust an, diejenigen zu plagen und zu beleidigen, die es am besten mit ihm meinen. Der Boy, der Kuki vor allem, muss sich da gefasst machen auf fast unglaubliche Widerwärtigkeiten, die sein Herr ihm plötzlich zufügt, mit einer Grausamkeit, die um so grösser ist, als ja der Tuan im Vergleich zum Kuki es doch immerhin noch einigermassen gut hat im Wald.

161 «Mau makan! – ich will essen!» ruft man da etwa und sobald Hollukki sauber die Teller und Löffel und Gabeln ausgebreitet hat, und das einladendste Essen so freundlich wie möglich vor dem Tuan bereit liegt, zeigt dieser auf einmal ein ganz furchtbar kleines Interesse übrig für die Herrlichkeiten, wendet sich geringschätzig ab (immer deutlichere Blicke der Verachtung gegen den Boy schleudernd, der sehr demütig und ein bisschen ängstlich das aufsteigende Gewitter im Tuan sieht) und dann, nach längerem Unberührtlassen ergreift der Tuan vielleicht die Frühstücksplatte und schmeisst mit irgendeiner ehrverletzenden Bemerkung das Huhn oder den Schinken oder was immer es ist in den Dreck: «Das kann kein Hund fressen – – mach Eier!»

Und bis dann die Eier kommen hat man entweder den Rausch überstanden und weint fast am Grunde seines Herzens in verstecktem Mitleid für den Kuki und aus Verzweiflung über sich selbst, und lächelt freundlich und ermutigend Hollukki zu, lebhaft bedauernd, dass das schöne Huhn gegangen ist, oder aber – und dann ist der Fall ein schwerer – fliegen die Eier unerbittlich dem Huhn nach.

Es handelt sich da nicht um mehr oder weniger Erziehung, die man hat oder nicht hat, um Bildung, Raufboldenhaftigkeit oder wie sie all die Züge im Charakter der Menschen benennen. Das ist Geschwätz aus der Stadt. Der Tropenkoller ist der negative Ausschlag im Gleichgewichtssystem Kraft-Schwäche, und entschuldigt und verständlich in dem Moment, da die 162 Widerwärtigkeiten und Mühsale das Grenzmass, das der Betreffende auszuhalten vermag, übersteigen, so dass der Waldwahnsinn sichtbar und offen zum Ausbruch kommt wie irgendeine andere Krankheit.

An einem solchen bärbeissigen Morgen – ich hatte der «Binatang halus» wegen die halbe Nacht schlaflos und rauchend vor dem Lagerfeuer gehockt – stellte Hollukki hoffnungslos fest: «Jetzt ist auch unser Tuan verrückt!» Aris pflichtete weise bei: «Was willst du, alle Weissen sind so!» Und dann fuhr er, wie um den Kuki zu trösten, fort: «Aber unser Meister ist wenigstens nur gutartig verrückt und nicht besoffen verrückt!»

Hollukki seufzte: «Glücklicherweise!» 163

Oft kam ich ganze lange Tage nicht zur Ruhe. Unter dem Druck des in meinem müden Menschen drin glimmenden Fiebers flackerten die Gedanken krank und irr durch mein Hirn, ich wollte wandern gehn, irgendwohin laufen, oder niederliegen und sehr ruhig und behaglich sein – sprang im nächsten Augenblick aber wieder vom Bambusschragen auf und lief um den engen, abgeholzten Raum meiner Waldniederlassung wie ein frischeingefangener Tiger am Gitter seines Käfigs entlang.

«Lümmel!» schimpfte ich mich, «warum bist du so, und hast einen solchen Urochsenberuf und musst, statt wie die andern Weissen in der Stadt ein fröhliches Leben zu führen, in diesem tierischen Sumpf hinsiechen!» Und dann schlug ich mich dem ersten besten Wildpfad entlang in die Büsche, allein und grimmig, das Messer in der Faust und stimmte halb aus Notwehr und als letztes Hülfsmittel gegen die Verzweiflung, und halb in Würdigung meiner elenden Lage und in bitterm Galgenhumor das malayische Orang utan-Liedlein an:

Hidup matscham orang utan, tengah di batang poco'
Lama t'ada nampa'prampuan – – – (bis)
– – – prampuan, yang bai'
Sa-pandschang hari di-utan
Tidor kras, t'ada tilam – – –
Aris, lekas pigi tschari prampuan
– – – Ana'darah bai'!

164 oder frei zu deutsch:

Leben wie ein Orang utan zwischen Baumstämm' drinnen,
Schon lange nichts Gutes, Zartes mehr gesehen
– – – keine schöne Frau. Den ganzen Tag im Wald
Ein hartes Bett ohne Matratze – – –
Aris, geh lauf, such schnell
– – – ein lustiges Mägdlein!

Dann ekelte mir vor meinen Kuli, aller Humor meiner lieben Diener half nichts, die Welt lag dumpf und eng um mich, der Wald wucherte mit tausend knorrigen Ästen und Wurzeln dicht über mein Leben hin, und aus allen Bäumen rauschten schwermütige Melodien, dass ich mir wie lebendig begraben vorkam und für immer allem Schönen, Holden und Guten verloren.

Zum Verzweifeln vor allem diese träg dahinschleichenden Abende, da du geordnet erzogener Mensch im verlotterten Bambuskongsi wohnst mit den Kuli zusammen. Da das ewige «Wald und immer nur Wald» sich um deine Seele zu schlingen beginnt wie eine erstickende Masse, da die kurzen, einst so lustigen Fragen der Siamesen «woher?», «wohin?», «was machst?» zu leeren, sinnlosen Echos werden, da Tag um Tag wird und vergeht in hirnlos eintöniger Gleichförmigkeit und in dir diese Sehnsucht auslöst, diesen verzehrenden Wunsch nach Deinesgleichen und Geistesmenschen.

Da du mit deinem Schicksal zu rechten beginnst und die Überlegenheit der nervenlosen, zufriedenen Asiatengesichter dein Blut zur Empörung reizen, da du wie diese sein und mit irgendeinem dieser 165 Anspruchslosen dein gelangweiltes Leben austauschen möchtest, etwa mit Ah Tsau, dem schönen Chinesen mit der Lebensauffassung eines fröhlichen Schweines, der sich in Selbstverteidigung so gut wie möglich durchs Dasein frisst, heute hier einen Batzen verdienend, morgen dort einen stehlend, so einem unter Millionen, der keine Verpflichtungen hat, vollständig frei ist, und dem kein Hahn nachkräht, wenn er geht. Der in der ersten besten Hütte Glück und neue Lebenskraft findet, so einer mit dem Wahrspruch: «Geniesse und nimm was nur immer du kannst an Herrlichkeiten, Opium, gutem Essen und Frauen und wenn du verreckst, so war es vorausbestimmt».

Oder solch ein Waldsiamese, der den Tag am Schatten verträumt und die Nacht bei den Frauen.

Da du ein Kuli sein möchtest, der unbeschadet untertauchen darf kopfüber in die geheimnisvoll lockende Pracht eines winkligen Chinesendorfes. Da es wie Verzweiflung über dich kommt, da du laut in den Wald hinausschreien möchtest: «O Herrgott, komm hilf und gib mir jemand, der mit mir lebt, der mit mir sich freut und mit mir lacht» – – – – – – – – – – – – – – –

Wenn es so weit kam mit mir, wenn ich im Begriff war, im Sumpf des Waldes zu versinken, schwer unterzugehn wie ein Bleiklumpen im Meer, wenn die Sonne mir gar nicht mehr scheinen wollte und ewiger Regen die Flucht auf den Berg mit der stärkenden Rundsicht nicht zuliess oder sogar diese letzte Zuversicht nicht mehr half, dann zog ich ein frisches Kakikleid an und verliess mein Biwak.

166 «Mau pigi Kampong – Aris, ich will ins Dorf!«

Aris schnitt jedesmal eine Grimasse, bevor er sich dazu verstand, mich unter solchen Umständen zu begleiten. Halb erstaunt, halb lächelnd und doch bang grinste er, weil er wusste, dass ich im Dorf meine Ehre und Würde und überhaupt meinen ganzen weissen Menschen wie ein zu enges, lästiges Kleid wegwerfen und unbegreiflich dumme Spässe machen würde, gar nicht wie andere Tuan, die sich zur Beseitigung von «gedrückten Stimmungen» und zur Wiederherstellung ihres Lebensgleichgewichtes – vernünftig amüsieren.

An einen solchen Morgen der Flucht erinnere ich mich als an einen besonders lichten.

Nach langer Zeit brach zum erstenmal wieder die Sonne durch die Wolken, und der hellerleuchtete Hallenraum zwischen den Bambusbüschen war erfüllt vom frohen Gegacker der Waldhühner. Wildtauben girrten weltabseits, ruck, ruck, ruck auf höchsten Bäumen, während ich in langen Schritten den leicht abfallenden Pfad geniessend, dem Dschungel entfliehend Tung Quang zuschritt.

Im Dörflein ging ich zu einer Frau, die ich von früher her kannte – um mit ihr handelseinig zu werden über ein paar faustgrosse Steine mit Goldkörnern, Handstücke, die ich für meine Sammlung erwerben wollte.

Das Weiblein war eher schön als irgendetwas anderes, zwar schon alt, gegen dreissig und galt bei allen Leuten als verwegen. Ich konnte mich mit ihr besser unterhalten als mit hundert andern – sie war Krot's des Waldmenschen Frau.

167 Ich wusste schon, dass sie bei ihren Dorfgenossen nicht gut angeschrieben und verpönt war. Dehng, der Dorfobmann von Tung Quang, hatte nicht genug Finger an den Händen, um all ihre ehemaligen Männer aufzuzählen und wer von ihr sprach, lächelte wie verabredet auf den Stockzähnen.

Aris flüsterte mir zu:

«Tuan, nimm sie nur, – – – Krot ist im Wald!»

– – – – Sie war sozusagen eine geistreiche Frau in braun, lebhafter als die Durchschnittssiamesin, mit Nerven versehen, voll Zweideutigkeit im Wesen, aber ohne eine Spur von Gemeinheit, trotzdem mir schien, als ob sie aus Erfahrung in Erwartung lachte, als ich das erstemal kam.

Der spasshaft-harmlose Schabernack mit dem Frauentierchen – – ich half ihr Goldproben auf der Chinesenwage messen – – ihre Mutter lag blinzelnd im gleichen Raum auf dem Bauch – – stimmte mich froh (jedesmal wenn ich dorthin ging) und als wir dann gegen Abend den Rückmarsch in den Wald antraten, war ich gut gelaunt und lachte und scherzte mit Aris.

Aber bevor wir zu Hause anlangten, mussten wir sechsmal bis an den Bauch durchs Schwarz-Wasser, da in den Bergen ein Gewitter losgebrochen war, so dass die gute Stimmung vom Nachmittag bei uns beiden leider bald wieder verflog. –

Ich sass, aufs Abendfutter wartend, auf einem Baumstrunk, als Aris mit erregten Worten plötzlich loslegte:

«Jetzt wollen wir dann nicht mehr so viel reisen! 168 Tuan, dein Leben ist zu hart. Schau, die andern Weissen hier im Land, die haben ein Haus und eine Frau und wohnen richtig irgendwo und nur von Zeit zu Zeit gehen sie in den Wald.

Du aber wanderst ohne zu rasten, läufst mehr herum als gut ist für dich, und deine Gesundheit bricht zusammen unter dem unsteten Leben im Wald.

Sogar wir braunen Menschen halten das auf die Dauer nicht aus. Siehst du nicht, wie das Fieber an Hollukki frisst, wie er mager geworden ist – – – Silaka!»

Das war wahrscheinlich die längste Rede, die Aris je an mich richtete. Ich sah deutlich, dass sie geradewegs aus seinem Herzen kam und auf meine Kräfte war ich in der Tat längst nicht mehr stolz. Es mag deshalb recht kleinmütig geklungen haben, als ich erwiderte :

«Ja, es ist wahr. Ich werde jetzt dann am ‹Grossen Berg› ein Häuschen aufstellen und ein paar Monate ein ruhiges Dasein führen.»

«Das hast du schon lange gesagt, Tuan – – – aber nie getan!»

Sind wir nicht Wanderer, Aris! Ist dieses freie Leben nicht auch herrlich? Willst du wie die andern, wie die Stadtmenschen absitzen und schwach werden? rief ich gereizt und legte mich schlafen.

«Pass auf, der Tuan ist zornig!» hörte ich Hollukki auf siamesisch (damit ich's nicht verstehen sollte) Aris zuflüstern.

Es regnete trübselig. Leise und trostlos fiel Tropfen um Tropfen der furchtbaren Nässe in den Wald, von 169 Blatt zu Blatt übers Hüttendach rollend, am Boden raschelnd im Laub.

Ich zog meine Decke enger um die Schultern. All das Feuchte stimmte kühl und frostig. Aus der Tiefe des Waldgrundes rauschte das Schwarz-Wasser polternd herauf. – – – –

Aris' flammende Rede hatte mein Herz – um die Wahrheit zu sagen – mit frohem Schimmer erfüllt, und jedes einzelne seiner Worte frass sich jetzt, während ich langsam einschlief, in mein Inneres hinein wie die letzten, hellaufleuchtenden Spritzer einer Rakete in den dunkeln Nachthimmel – –

Aber erst nach mehreren Tagen mit neuen Wirrsalen und Strapazen war ich soweit, mich wieder in den Bereich jener lieblichen Fragen und Erörterungen über ein eigenes Haus und Heim zu wagen.

Freiwillig, unfreiwillig, im Bann eines seltsamen Zwanges kam ich darauf zurück.

«Aris, was sagtest du neulich an jenem Abend, als wir von Tung Quang zurückkehrten?»

«Ja, Tuan, du hast ein Haus und eine Frau nötig!»

«Pfui Teufel, Aris!»

«Keineswegs Pui Töfel, Tuan, ich weiss es!»

«Unsinn, schweig!» Und da Gedanken in mir lebendig wurden, die irgendwohin mussten, begann ich zu predigen:

«Aris, schau, wir Wanderer, die nicht sesshaft wie die Bauern und die Krämer sind, deren Leben heute ist wie gestern und morgen wie heute sein wird, wir, die beim Lied des Tagwachtvogels in die Berge ziehn und 170 beten in der Herrlichkeit des Sonnenaufgangs über weiten Wäldern – –

wir würden niemals in der Stille eines eigenen Bungalows in Ruhe sitzen bleiben können, wir würden weiter wandern müssen und würden – Ihr gegenüber würden wir früher oder später schlecht – – –»

Ausser Atem gebracht durch die Überzeugung, die in meinem gescheiten Spruch lag, langaufgespeicherte Überzeugung, die sich gewaltsam (wenn auch ziemlich unpassend) Bahn brach, schaute ich Aris an.

Er hatte nichts verstanden! Und ich merkte bald, dass nicht das Wohl seines Tuan sich in erster Linie seiner Sorgfalt erfreute, sondern vor allem sein eigenes unbefriedigtes Menschlein.

Es scheint, dass auch über den grössten Wanderer und über den zigeunerhaftesten Weltenerleben-Woller früher oder später das Verhängnis hereinbricht, mit einer fast unwiderstehlichen Sehnsucht der Wunsch nach einem geordneten Leben, nach einem eigenen Weib und Heim.

«Aber ich will eine Frau, Tuan!» platzte Aris heftig heraus.

«Sie weiss es schon. Ich habe schon einen Vertrag in der Tasche. Tuan, ich habe bekanntlich bei dir zweihundert Tikal zu gut, und wenn du mir hundert dazu vorstrecken willst, dann kann ich S'pia kaufen. S'pia ist gut!»

Aris stand da vor mir in den noch weit über die Knie hinauf nassen und erdeverschmierten Arbeitshosen, Schlammspritzer im Gesicht, und seine Augen sahen 171 gequält und mitleiderweckend aus. «Du herrlicher Laki-Laki (Ehemann)!» sagte ich zu ihm. Aber er zeigte in diesem Moment wenig Verständnis für Spass. Jedes Ding hat seine Grenzen. Aris' Humor hatte an einem kleinen Ort Platz, als er weiter eiferte:

«Tuan, S'pia ist gut. Sie besitzt ein eigenes Häuschen, zwanzig Rai Reisfelder und ihr Vater ist ein Ehrenmann. Wenn du mir hilfst, S'pia zu gewinnen, Tuan, diene ich dir solang du in Siam bleibst und werde weiter mit dir laufen, wohin du nur immer befiehlst.»

Da surrte ich ihn ziemlich grob an:

«Grausamer, wie kannst du Waldschwein von deiner S'pia verlangen, dieses unstete Leben mit dir zu teilen, du, der eines Tages plötzlich tot sein könnte, vom Elefanten zertreten, ertrunken im Meer oder vom Fieber zerfressen. Aris, schlechter Mensch du, hast du nicht Erbarmen mit ihr? Und überhaupt, ich gebe das Geld nicht. Sobald du sie hast, wird die Schöne von dir verlangen, dass du im Haus bei ihr sitzest, gemächlich beim Reissetzen helfest und mit ihr am Schatten liegest.

Willst du nicht lieber statt dessen mit mir kommen? Die fernen Berge im Norden kennen lernen, wo die Luft kühl und gesund ist und schöne Frauen leben, im Vergleich mit welchen deine S'pia nur eine schäbige Bambusratte ist.

Kannst du nicht auch durch deine Wander- und Landeskenntnisse, durch deinen Beruf dir die alten Tage sicherstellen? Ist das nicht besser?

Und deinen Herrn willst du einfach im Stich lassen!»

Und mich wegwendend, fuhr ich halblaut wie für mich allein fort (das ist ein ausgezeichnetes Mittel im Verkehr mit Untergebenen):

«Silaka! Alle diese Leute sind gleich schlecht. Kein einziger ist besser als irgendein dummer Kuli!»

Aber auch durch diese Beleidigung liess sich Aris nicht irre machen.

«Tuan, ich fordere deine Aufmerksamkeit nur für eine kleine Minute», bettelte er weiter.

Ich habe den Heiratsvertrag geschrieben in der Tasche. Wenn du mir dreihundert Tikal gibst, kann ich S'pias Vater die drei gewünschten Ziegen und sechs schöne Tücher kaufen, und die Hochzeitszeremonien werden bald vorbei sein. S'pia wird zu Hause bleiben und hat mir erlaubt, sofort mit dir zu wandern, wann und wohin du befiehlst – – –.»

Jetzt hatte ich grosse Not. Immerhin kam mir eine letzte Ausrede in den Sinn.

«Aris» sagte ich ganz langsam und jedes Wort schwer betonend: «Du auf der Wanderschaft, und deine Frau weit weg, mitten im Dorf – unter – jungen – – Leuten – – – – !»

Aber Aris beschwichtigte mich sofort:

«Ich kann ruhig reisen, Tuan. S'pia ist nicht gefährlich hübsch – – –» und, um nicht wie ein Dummkopf vor mir zu stehen, ergänzte er rasch: «nicht sehr hübsch – – aber doch auch weich – – !»

173 Da erkannte ich, dass ich verloren hatte, dachte nur noch: «vorteilhaft, wirklich praktisch!» und gab ihm das Geld.

*

Es wurde immer mühseliger im Wald. Zweifel stellten sich ein, ob der Platz das halten werde, was er auf den ersten Blick versprach. Schlechte, unverständlich geringe Resultate fanden sich dicht neben guten. Das Fieberklima musste mit in Rechnung gezogen werden. Die halb verwachsenen Grenzen einer alten, vielleicht noch gültigen Konzession, einem Siamesen gehörend, griffen tief hinein und schnitten das reichste Stück des ganzen Tales heraus.

Es schien fraglich, ob jemals Leute zu regelmässiger Arbeit es hier aushalten würden. Sogar die stärksten Siamesen wurden krank. Ich musste immer mehr, ob ich wollte oder nicht, darüber nachdenken, wie unsinnig es sei, bei den geringer werdenden Aussichten an diesem harten Versuch zu hängen. – – – – – – – –

Eines Morgens, als ich erwachte, stand Aris unschlüssig beim Kuki.

Ich sah auf die Uhr.

«Warum gehst du nicht zur Arbeit mit den Leuten?»

«Sie sind nicht da, Tuan.» –

«Wie, noch nicht aus dem Dorfe zurück? Da werden wir wieder neue Kuli suchen müssen, wenn den alten die Arbeit verleidet ist.» – Nach zwei Minuten kam Aris und berichtete:

174 «Tuan, Krot ist soeben angekommen. Die andern drei hatten Bauchweh in der Nacht, und zwei sind schon gestorben. – – –»

Jetzt wusste ich, dass die Cholera, die in den grossen Städten seit Wochen schleichend ihre Opfer forderte, sich über das Land ausgebreitet habe. 175

 


 


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