Balder Olden
Ich bin Ich
Balder Olden

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel

Das Testament stammte aus einer Zeit, da Karl Engel nicht eigentlich an Sterben dachte, sondern an Liebe und neues Werben – nur aus Ordnungsliebe, für den Fall von gänzlich Unerwartetem, hatte er Anordnungen getroffen.

Er empfahl dem Haupterben, seinem »geliebten und hochgeschätzten Neffen«, für gemeinsame Schutzbefohlene nach Kräften zu sorgen.

So weit ging Karl Engels Respekt vor dem »cant« englischer Prüderie, die sein Leben verdorben hatte, daß er es auch übers Grab hinaus nicht wagte, Miß Violet, seinen Augentrost in späten Tagen, zu nennen und laut zu bedenken.

Hier war der erste Schritt, Dämonen loszuwerden.

Eine Summe, die in London-East phantastisch war, in guten Bürgerkreisen als stattliche Mitgift gelten konnte, war aus Peters' Erbschaft sofort liquid. Die schickte er ins muffige Nest der Carpenters.

Es war vielleicht kein Trost für Violet, unter ihresgleichen reich zu sein, denn sie hatte mehr als Reichtum verloren. Aber daß sie nun in Pfunden denken und sprechen konnte, – eine andere Stellung in der Familie, im Leben überhaupt, würde das ihr geben!

Daß die Gabe, trotz des elastisch gefaßten Testaments, so etwas wie eine freiwillige Leistung Peters' war, mußte ihren Haß ablenken, ihre Erinnerung an den foreign nephew mildern.

Vielleicht war es Verschwenderwahnsinn, vielleicht machte es ihn nur verdächtig? Aber Peters war fast schon verdorben im Bann ihres Hasses. 106

Mit dieser Summe, für die kein Dank erfolgte, kaufte er sich Augen voll Schlaf.

Er wohnte auf der anderen Seite des Holland-Parkes in Notting Hill. Zwischen seinen Fenstern und dem gespenstischen Haus lagen die abertausend Bäume mit ihrem Rindenduft, dem sauren Atem verwester Blätter, lagen Teiche und Wiesen, Tag wie Nacht ein Meer wallender Nebel.

Daß der Holland-Park, als einziger Park Londons, dem Publikum versperrt war, gab eine seltsam tiefe Beruhigung. In Notting Hill war es Peters, als lebte er auf einem anderen Ufer des Styx.

Er wurde bedient! Konnte läuten, einen Wunsch äußern, ein artiges Mädchen in Bewegung setzen, wenn ihn die Angst packen wollte.

Briefpost, viermal täglich, kam, gab Gewißheit, daß überall Lebende mit ihm rechneten.

Er war ein Mann voll Zukunft! An der Reinheit seines vergangenen Lebens zweifelten alle, niemand an dem Reichtum seiner Zukunft.

Aus dieser Zukunft das Rechte zu machen, war jetzt die Aufgabe, wenn das Spukhaus verkauft, Möbel und Bilder, Instrumente und Manuskripte in die besten, bestzahlenden Hände gebracht, das Geld nach Gerechtigkeit verteilt, jede Pflicht gegen den Toten erfüllt.

Unter vielen nachträglichen Kondolenzen, Einladungen, den herzlichsten Worten kaum Gekannter, war auch ein kurzes Schreiben von Mr. Louistone, Mauds Vater.

Beileid, Herzlichkeit – nur ein paar Worte, die aber den Wunsch nach einer Wiederbegegnung enthielten. Kein Gruß von Maud.

Aber Mr. Louistone wird demnächst mit seiner Tochter in London sein! 107

Für sich selbst brauchte Peters nicht Gold noch Ehren. Aber um das zu rechtfertigen, was hinter ihm lag, mußte die Gesellschaft ihn preisen als einen, der sie bereichert hatte, vorwärtsgebracht, Fenster aufgestoßen!

Auch Maud war nicht zu gewinnen, es sei denn durch historische Taten. Nicht durch ererbtes Geld, nicht durch den Ruf eines »allright fellow«.

Peters Gesicht war klein und faltig geworden, die Haargrenze über der längst ausgemeißelten Stirn noch höher gedrängt, sein Mund hatte ein Zucken angenommen –. Acht Tage nur! Acht Nächte im November 82 hatten ihn so geformt.

»Ich bin Ich« – war geblieben.

 


 << zurück weiter >>