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Siebzehntes Kapitel.
Der kleine Sadras.

Sadras hatte, treu dem gegebenen Worte, das Gebüsch, was ihm als Versteck diente, bisher nicht verlassen.

Von dort aus hatte er dem nächtlichen Feste zuschauen und Bhandara sich unter jene schreiende und trunkene Menge mischen sehen können.

Dann hatte er, nicht ohne Besorgnis, denn er begann seinen Herrn zu lieben, bemerkt, wie er in dem Augenblick in die Pagode ging, als die Leuchtfeuer erloschen.

»Er wird sich verirren,« murmelte der brave Knabe.

Als auch die Gaukler und »Sâpwallah« eintraten und die Tempeltüre schlossen, verließ Sadras, der sich nicht mehr halten konnte, sein Versteck und schlich sich an die Stufen.

Eine unwiderstehliche Neugierde trieb ihn zur Pagode. Er wollte sehen, was im Inneren vorging und ob sein Herr sich einer Gefahr aussetzte.

Als er all jene Trunkenen bemerkte, die laut schnarchten und auf den Stufen und um die Holica-Statue herumlagen, zog sich Sadras vorsichtig zurück, aus Furcht, jemanden zu wecken und entdeckt zu werden.

Er entfernte sich vorsichtig und schlich um die gewaltige Pagode, in der Hoffnung, irgendeine Öffnung zu finden, die ihm Eintritt gestattete.

Unter einem Fenster, was sich sieben Meter über dem Erdboden befand, blieb er stehen und spähte.

Fackellicht schien durch die bunten Fensterscheiben, so daß sie hell glitzerten.

»Wenn ich da hinauf könnte,« murmelte er.

Der Aufstieg war nicht schwierig, denn auch an den Außenwänden befanden sich Säulen, Statuen, Reliefbildwerke, Löwenköpfe und Elefanten, die wunderlich ihre Rüssel übereinander kreuzten.

Sadras war gewandt wie ein Affe und für sein Alter sehr kräftig.

Er klammerte sich an einen Elefantenrüssel, der sich mit einem Kapitäl verband, das eine Statue Ramas trug, und schwang sich hinauf, indem er seine nackten Füße gegen die rissigen Wände stemmte.

Leicht kam er auch über die Statue, klammerte sich am Rande eines Kapitäls an, zog sich mit der Kraft seiner Arme hinauf und erreichte endlich das Fenster, dem einige Scheiben fehlten.

Gerade in diesem Augenblicke feuerte Bhandara seine erste Kugel ab.

Mit unsagbarer Besorgnis wohnte er dem verzweifelten Kampfe bei, der für den armen »Kornak« so verhängnisvoll auslief, und hörte genau die letzten Worte des Fakirs.

Bestürzt, schweißgebadet, verließ der Knabe das Fensterbrett, glitt an der Statue herunter, rutschte am Rüssel hinab und kam auf den Boden.

Er hatte nur einen Gedanken: die Jäger suchen und sie von dem Vorgefallenen in Kenntnis setzen.

Das war das einzige Mittel, Bhandara zu retten.

Eiligst sprang er durch den Wald, dann über das Diamantgebiet, zu einer Faktorei, die sich in der Nähe der Stadt befand. Dort war er bekannt, da er einige Monate, während der Baumwollenernte, bei dem Besitzer in Diensten war.

Obwohl es kaum 2 Uhr morgens sein konnte, zögerte Sadras nicht, das »Gong« zu schlagen, was an der Tür angebracht war.

»Ich brauche ein Pferd für meinen neuen Herrn,« sagte er zum Diener, der herbeieilte, um zu öffnen. »Ich gebe dir zehn Rupien, wenn du mir eins für 24 Stunden vermietest.«

Die Summe war zu hoch, um sie sich entgehen zu lassen. Der Diener weigerte sich nicht einen Augenblick, und da er den Knaben kannte, nahm er sich nicht einmal die Mühe, seinen Herrn zu wecken.

»Der Besitzer wird mir sicher keine Vorwürfe machen, wenn ich ihm eine Handvoll Rupien zu verdienen gebe,« sagte er. »Warte einige Minuten, kleiner Sadras.«

Bald öffnete sich ein Stall der Faktorei und der Diener brachte eins jener Pferdchen inländischer Rasse, die man Poney nennt und von den Engländern auch in Indien eingeführt sind.

»Gehst du weit?« fragte der Diener, indem er die Rupien einstrich.

»Ich werde dein Pferd gut behandeln, das verspreche ich dir.«

Ohne sich der Steigbügel zu bedienen, sprang er in den Sattel, ergriff die Zügel und galoppierte ab.

Wie die meisten Indier Bundelkands war Sadras ein guter Reiter. Von klein auf war er gewöhnt, die Hochebenen auf dem Rücken jener feurigen Pferdchen zu durchstreifen, und es war nicht zu befürchten, daß der Ritt in einen Purzelbaum ende.

Er durchkreuzte wieder die Diamantfelder und bog nach Norden, wo sich undeutlich eine Hügelkette erhob. Es waren die großen Minen, die der furchtbare »Menschenfresser« heimsuchte, so daß die Bergleute gezwungen waren, ihre Arbeit aufzugeben.

Sadras kannte das Lager nicht, er war aber sicher, die Jäger irgendwo zu finden.

Die Hügel und die zweite Diamantzone hatte er schon überschritten, als er am Waldsaume zwei Leuchtfeuer durch die Dunkelheit schimmern sah.

»Ob es das Lager der Jäger ist,« fragte er, langsamer reitend, um sein Pferd verschnaufen zu lassen. »Nur sie können es sein, denn in diese Gegend getraut sich nach dem Auftauchen der ›Bâg‹ kein Mensch mehr.«

Als er schärfer hinschaute, entdeckte er neben den Feuern einen großen Wagen und menschliche Schatten.

»Das müssen die Jäger sein,« murmelte er.

Er feuerte sein Pferd wieder an und ritt über die steinigen Hügel, die sich vor dem Walde ausdehnten.

Etwa hundert Schritte war er noch entfernt, als er vor einem der Leuchtfeuer einen Mann bemerkte, der rief:

»Wer da?«

»Ein Freund des weißen Jägers,« antwortete der Knabe, indem er gewandt zur Erde sprang.

Der wachhabende »Schikari« kam mit angelegtem Karabiner zu ihm.

Als er den Knaben sah, war er erstaunt.

»Wer sendet dich, Junge?« fragte er.

»Ein Freund des großen Jägers,« antwortete Sadras.

»Hast du denn keine Furcht, nachts unbewaffnet hierher zu kommen? Das ist das Gebiet des ›Menschenfressers‹.«

»Ich habe keine Furcht. Wo ist der weiße Jäger? Ich habe eine eilige Botschaft für ihn.«

»Er ist noch nicht zurück.«

»Ich muß ihn aber sofort sprechen.«

Der »Schikari« ging zu seinen Gefährten und setzte sie von dem Wunsche des Knaben in Kenntnis.

»Auch der zweite Tiger wird jetzt erlegt sein,« sagte der Oberste der Buschschläger. »Habt ihr jene Flintenschüsse nicht gehört?«

»Ja,« antworteten alle.

»Dann können wir den Jägern entgegengehen.«

»Oder Signale geben,« sagte ein anderer. »Wenn sie Schüsse hören, werden sie begreifen, daß hier etwas Wichtiges vorgeht und werden sofort zurückkehren.«

»Gebt sofort Zeichen,« sagte Sadras. »Der weiße Jäger wird euch dankbar sein, denn das, was ich ihm mitteilen, muß, ist von größter Wichtigkeit.«

Die »Schikari« schossen ihre Karabiner in die Luft und wiederholten nach einer Minute die Schüsse.

Bald darauf kamen aus dem Walde drei Schüsse hintereinander.

»Wenn sie uns antworten, müssen sie verstanden haben, daß wir sie zurückrufen,« sagte einer der »Schikari«. »Vielleicht sind sie schon auf dem Marsche.«

»Wiederholen wir die Signale.«

Auf die vier Schüsse antworteten auch die Karabiner der Jäger und diesmal bedeutend näher.

»Sie kommen,« sagte der Oberste.

Kaum 20 Minuten waren nach dem letzten Schusse vergangen, als sie Toby, Indri und Dhundia, die den zweiten Tiger trugen, aus dem Walde kommen sahen.

Der Oberste der »Schikari« beeilte sich, ihnen entgegenzulaufen.

»Sahib,« sagte er, indem er sich an Toby wandte – »eben ist ein Knabe aus Pannah mit einer eiligen Botschaft für Euch gekommen.«

»Von seiten des Radscha?« fragte Toby.

»Ich weiß nicht: hier ist der Knabe.«

Sadras war den Jägern entgegengelaufen und grüßte sie mit einer tiefen Verbeugung.

»Wer sendet dich?« fragte Toby, indem er ihn aufmerksam betrachtete.

»Ein Mann, der mich gestern in seine Dienste nahm und angab, ein Freund des weißen Jägers zu sein.«

»Wie heißt er?«

»Das weiß ich nicht, wenn du aber dieses Schreiben liest, was er mir übergab, wirst du es jedenfalls erfahren, ›Sahib‹.«

»Gib mir es.«

Sadras griff in den Gürtel, der seine Hüften umschloß und zog ein vierfach gebrochenes Stück Papier hervor.

»Laß mich allein lesen,« sagte er zu Indri. »Ich kann mir schon denken, um was es sich handelt.«

Er begab sich eiligst zum Lager, setzte sich neben das Feuer und las besorgt das Schreiben.

Es enthielt nur wenige Zeilen, die aber genügten, um auch den unerschrockenen Jäger außer Fassung zu bringen.

 

»›Sahib‹,« hatte der »Kornak« geschrieben, »irgend jemand hat uns verraten, und der Grund unseres Unternehmens ist dem Fakir bekannt. Feinde wachen über Euch und belauschen jede Eurer Bewegungen.

Das Versteck des Fakirs habe ich entdeckt, heute abend spüre ich ihm nach. Wenn sie mich töten, rächt mich.«

Bhandara.

 

Als Toby jene Zeilen las, war er zweimal mit der Rechten über die Stirn gefahren, um den Schweiß abzuwischen, der sie bedeckte.

»Wir sind verraten worden!« murmelte er knirschend, »und man überwacht uns! Dann ist Indri verloren.«

»Ich hatte es mir gedacht, wer aber wird dieser Verräter sein? Parvati, der infame Minister des ›Guicowar‹? Oder jener Dhundia, der mir jedesmal, wenn ich ihn ansehe, den Eindruck einer Schlange macht? Ich tat recht daran, so zu handeln und werde nicht zu bereuen haben, vorsichtig und mißtrauisch gewesen zu sein.«

Er schaute umher.

Indri beschäftigte sich mit dem Tiger. Dhundia dagegen saß auf einem Steinhaufen und beobachtete den Jäger, als wenn er aus seinem Gesicht die verschiedenen Gedanken lesen wollte.

»Er scheint mich zu beobachten,« murmelte Toby. »Seien wir auf der Hut.«

Er faltete das Schreiben zusammen, steckte es in die Tasche, näherte sich Indri und sagte:

»Einer meiner Freunde sendet mir ein Schreiben. Er ladet mich zu einer Jagdpartie ein.«

»Es ist vier Meilen von hier, jenseits der Minen von Kamarga.«

»Da er wußte, daß ich mich hier befand, wünschte er mich zu sehen, damit ich ihm ein Rhinozeros erlegen helfe, das seine Pflanzungen verwüstet.«

»Und wirst du hingehen?«

»Du kommst auch mit, Indri.«

»Wer soll dann die Tigerfelle dem Radscha überbringen?«

»Das wird Dhundia besorgen,« antwortete Toby.

»Wünscht ihr meine Begleitung nicht?« fragte dieser, ein wenig gereizt.

»Eure Gegenwart ist in Pannah nützlicher, als in den Minen,« antwortete Toby. »Ihr werdet bis zu unserer Rückkehr den weißen Jäger beim Radscha vertreten.«

»Bleibt ihr lange fort?«

»Einige Tage.«

Da fühlte sich Toby an den Schultern berührt.

Es war Sadras.

»Was willst du noch, Junge?« fragte der Jäger fast barsch.

»Ich muß dich sprechen, ›Sahib‹.«

»Ich weiß, was du mir sagen willst,« antwortete Toby. »Du willst mit mir kommen?«

»Ich stehe zu deiner Verfügung, ›Sahib‹.«

»Wann brecht ihr auf?« fragte Dhundia, der schlechter Laune war.

»Sofort,« sagte Toby. »Wenn euch der Radscha empfangen sollte, so sagt ihm, daß er auch mich bald sehen wird.«

»Ohne euch auszuruhen, wollt ihr gehen?«

»Ich bin ans Wachen gewöhnt und glaube, daß auch Indri einverstanden ist.«

»Wir werden später im ›Bengalow‹ deines Freundes schlafen,« antwortete der Ex-Favorit des »Guicowar«, der schon begriff, daß Toby einen wichtigen Grund haben mußte, um so eilig aufzubrechen.

»Gehen wir also,« sagte der Jäger. »Es dämmert und wir werden einen prächtigen Spaziergang machen.«

Auf Sadras Pferdchen ließ er Lebensmittel und Munition laden, warf den Karabiner über die Schultern und lud Indri ein, ihm zu folgen.

Inzwischen spannten die »Schikari« die Ochsen an die Wagen, um nach Pannah zurückzufahren.

Nachdem Dhundia Indri nochmals gebeten hatte, baldigst wiederzukommen, da es beim Radscha Wichtigeres zu tun gäbe, als in den Wäldern der Hochebene, legte er sich auf die Kissen der »Rhut«, in der Absicht, ein Schläfchen zu halten.

Als Sadras Toby nach dem Walde, anstatt auf die Diamantfelder zuschreiten sah, näherte er sich ihm und sagte:

»›Sahib‹, dort befindet sich die Pagode nicht.«

»Folge mir nur,« antwortete der Jäger.

»Was meint er für eine Pagode?« fragte Indri, der nichts von alledem verstand. »Wohnt denn dein Freund in einem Tempel?«

»Still, Indri,« antwortete Toby. »Bald sollst du alles erfahren.«

Ohne zu reden, lief er bis zum Waldsaum, spähte scharf nach den Bäumen und warf sich ins Gebüsch.

»Schau nach, ob der ›Rhut‹ abgefahren ist,« sagte er dann zu Indri.

»Er hat das Lager schon verlassen und durchquert eben das Diamantgebiet.«

Der Jäger suchte einen vor Sonnenstrahlen wohlgeschützten Platz, klopfte den Flecken ringsum ab, um sich zu überzeugen, daß ihn niemand überraschen könne, setzte sich dann und gab Indri Bhandaras Brief, indem er einfach sagte:

»Lies.«

Kaum hatte der Ex-Favorit des »Guicowar« einen Blick über jene Zeilen geworfen, als ihm ein Schrei entschlüpfte, während seine braune Haut erbleichte.

»Verraten! – – –« rief er mit halberstickter Stimme. »Ich bin verloren! – – –«

»Das bist du noch nicht, mein guter Freund,« sagte Toby energisch.

»Wenn man den Zweck meiner Reise kennt, bin ich ruiniert.«

»Nein, Indri, denn wir werden jene geheimnisvollen Feinde bekämpfen, die im Dunkeln schleichen, um dich zu Grunde zu richten.

Hören wir jetzt diesen Knaben, der uns wertvolle Nachrichten, geben kann.

Wo ließest du den Mann, der dir diesen Brief übergab?«

»In der Pagode, ›Sahib‹. Von einem Fenster aus wohnte ich dem Kampfe bei und verließ es nicht eher, bis ich ihn, von der Menge überwältigt, stürzen sah.«

»Bhandara gefangen!« riefen Indri und Toby wie aus einem Munde.

»Ist dies vielleicht der Name meines Herrn?« fragte Sadras.

»Ja, erzähle alles, denn wir wissen noch nicht, was deinem Herrn zugestoßen ist,« sagte Indri.

Als Toby und der Ex-Favorit Bhandaras Unglück hörten, entfuhren beiden dieselben Worte:

»Wir müssen ihn retten!«

»Ich bin bereit, euch zur Pagode zu führen,« sagte Sadras.

»Wie können wir aber mit so vielen Feinden kämpfen, die zu allem entschlossen sind?« fragte Indri. »Und Dhundia hast du auch zurückgeschickt! – – – Das war wenigstens ein Mann mehr.«

»Ich entfernte ihn, weil ich ihn im Verdacht habe,« sagte Toby ernst.

»Ich fühle instinktmäßig, daß uns ein Verräter umschwärmt.«

»Welchen Zweck sollte Dhundia haben, mich zu verraten?«

»Das weiß ich nicht, aber ich mißtraue ihm. Wenn jener Mensch nun mit Parvati im Einvernehmen stünde?«

»Toby, du öffnest mir die Augen.«

»Fällen wir jetzt noch kein Urteil. Wir haben noch keinen Beweis, der unseren Verdacht bestätigen könnte. Trotzdem ist es mir lieber, wenn Dhundia möglichst weit weg von uns ist.

Deswegen erfand ich auch das Geschichtchen mit meinem Jagdfreunde.«

»Danke Toby, du bist mutig und klug, der rechte Mann, den ich für mein gefährliches Unternehmen nötig habe.

Und was tun wir jetzt? Wenn meine Feinde nun den Radscha von meinem Plane schon in Kenntnis gesetzt haben?«

»Dann hätte er uns verhaften lassen,« sagte Toby. »Wir sind noch frei, also hat noch niemand gewagt, ihn zu benachrichtigen.«

»Ich möchte den Grund wissen, warum der Fakir mir entgegenarbeitet.«

»Vielleicht weiß ihn Bhandara, und deswegen müssen wir unser Möglichstes tun, ihn aus seiner Gruft zu reißen.«

»In der Zwischenzeit könnte er sterben.«

»Eine Woche, oder auch länger, wird er dem Hunger widerstehen und in sieben bis acht Tagen kann man Wunder verrichten,« sagte Toby.

»Und der Radscha?«

»Wird uns sehen, wenn es uns beliebt.«

»Und Dhundia?«

»Kann uns suchen, wenn er will.«

»Das wird ihm leicht gelingen, denn ein weißer Mann bleibt in einer Stadt, die fast ausschließlich von Indiern bewohnt wird, nicht unbemerkt.«

»Ich werde mich als Indier Indri verkleiden, so werden sie meine Spuren verlieren.«

»Lassen wir jetzt den ›Lichtberg‹ in Frieden und beschäftigen wir uns mit Bhandara; jener wird uns nicht entgehen, während dieser sterben und in seiner Gruft wichtige Geheimnisse vergraben kann.«

»Was rätst du mir?«

»Auf anderem Wege sofort nach Pannah zurückgehen, Haut wechseln und dann zur Pagode dringen.«

»Ohne Leute in Sold zu nehmen, die uns helfen können?« fragte Indri.

»Ich handle lieber allein,« antwortete Toby. »Weder von den ›Sâpwalla‹ noch vor den Gauklern habe ich Angst, am wenigsten vor jenem schuftigen Fakir.

Wenn wir Bhandara befreit haben, schlagen wir alle die, die unser Geheimnis kennen, und machen sie unschädlich.«

»Ein Unternehmen, was so schwierig ist, daß es mich abschreckt, Toby,« sagte Indri traurig.

»Bevor wir sie nicht alle vernichtet haben, werden wir nicht in den Besitz des ›Lichtbergs‹ kommen, denn die kleinste Anzeige würde mir und dir das Leben kosten.«

Er wandte sich an Sadras, der ihnen schweigsam zugehört hatte.

»Wie heißt du?« fragte ihn Toby.

»Sadras, ›Sahib‹.«

»Hast du deinen neuen Herrn lieb gewonnen?«

»Ja, denn er war gut und freigebig.«

»Kennst du die Männer, die ihn gefangen genommen haben?«

»Zwei würde ich auch unter Tausenden wiedererkennen.«

»Wer sind sie?«

»Einer ist ein Schlangenbändiger von riesiger Gestalt, der auch meinen Herrn zu Boden warf und in den Keller trug. Ich weiß, daß er Barwani heißt.«

»Und der andere?« fragte Indri.

»Ist ein Gaukler.«

»Hast du auch den Fakir gesehen?«

»Ja, aber ich weiß nicht, ob ich ihn wiedererkennen würde.«

»Dieser Knabe ist unglaublich intelligent und wird uns vorzügliche Dienste leisten,« sagte Toby. »Gehen wir nach Pannah, Indri, verkleiden wir uns, daß wir unerkenntlich sind, dann handeln wir. Ah! – – – Ich vergaß meine beiden Diener.

Sie müssen noch im ›Bengalow‹ des Radscha sein. Es sind zwei mutige Männer, auf die wir uns verlassen können.«

»Aber Dhundia ist im ›Bengalow‹,« sagte Indri.

»Dieser Knabe wird sie benachrichtigen, daß ich sie brauche, ohne daß Dhundia etwas merkt.

Wir reden und vergessen, daß Bhandara bald mit dem Hunger zu kämpfen haben wird.

Hund von einem Fakir! – – – Deine Haut werde ich bekommen! – – –«

Sie ließen Sadras aufs Pferd steigen, damit er sich nicht zu sehr ermüden sollte, und schritten rüstig durch das Diamantgebiet.

Sie folgten jedoch nicht dem »Ruth«, denn sie wollten die Stadt am andern Ende erreichen und sich weder von den »Schikari« noch von den Gefährten des Fakir sehen lassen.

Mittags, als die sengende Sonne die Leute von den Straßen verjagt hatte, betraten die beiden Jäger und Sadras die Stadt, indem sie durch eine halbeingestürzte Festung schritten.

»Kennst du irgend einen Kleiderverkäufer?« fragte Toby den Knaben.

»Ja, ›Sahib‹,« antwortete dieser.

»Dann suchen wir vor allen Dingen eine Herberge, die nicht allzu luxuriös ist.«

Sadras, von ihren Absichten in Kenntnis gesetzt, führte sie in einen Vorort, wo verschiedene Bambushütten standen.

Toby ließ den Besitzer rufen und mietete eine, die vereinzelt in einem mit Indigo bepflanzten Garten stand.

»Ich brauche sie, um meine Waffen und Munition abzulegen,« hatte er zum Besitzer gesagt. »Sie zu Hause behalten ist bei den vielen unachtsamen und neugierigen Dienern zu gefährlich.«

Er zahlte das Doppelte der verlangten Summe und nahm ohne weiteres Besitz davon.

Nach einer halben Stunde kam Sadras, der sein Pferd in die Faktorei zurückgebracht hatte, mit zwei Indiern wieder, die mit Kleidern jeder Farbe und jeder Größe beladen waren.

Toby, der sich als Europäer gern großmütig zeigte, kaufte die ganze Auswahl, die, wie er sagte, für seine »Schikari« sei, dann suchte er das Passende aus.

Es waren gebrauchte Anzüge, aber noch in bestem Zustande. Alles war vertreten: Kleider für Maratt, Scheik, Soldaten, »Beisi«, Landleute, »Sudra« und auch für Diener.

Toby wählte einen prächtigen gelben Turban mit blauen Streifen und einen Pandschagesenanzug, der seinem massigen und kräftigen Körper gut passen mußte, während Indri ein altes Scheikkostüm hervorzog, das früher wahrscheinlich einem Häuptlinge jener kühnen und kriegslustigen Berghirten angehört hatte.

»Beginnen wir mit unserer Verwandlung,« sagte der Jäger.

Sadras war abermals fortgegangen, und kehrte bald mit verschiedenen Dosen und Schachteln zurück, die Tinkturen, verschiedene Pomaden und einige Rasiermesser enthielten.

Toby befestigte einen kleinen Spiegel an der Wand und rasierte sich Schnurr- und Knebelbart weg, während sich Indri den Kopf schor, denn die Indier haben nicht die Gewohnheit, die Haare lang zu tragen.

Hierauf wusch er sich verschiedene Male in einem Waschbecken, worin sich eine bronzefarbene Tinktur befand, die prächtig glänzte.

Als ihm die Haut dunkel genug schien, zog er das gewählte Kostüm an.

»Was meinst du, Indri?« fragte er.

»Ich habe nie einen so hübschen Pandschagesen gesehen,« sagte der Ex-Favorit. »Dir fehlen nur noch die goldenen Ohrringe.«

»Jener brave Junge hat mir schon welche gebracht. Sie sind nicht von Gold, trotzdem wird die Täuschung vorzüglich sein. Glaubst du, daß mich der Fakir so erkennen kann?«

»Wenn du dich nicht in meiner Gegenwart bemalt und umgekleidet hättest, so würde ich dich selbst nicht wiedererkennen,« antwortete Indri, der sein Gesicht eben schwarz färbte.

»Und du, kleiner Sadras?«

Der Junge fing an zu lachen.

»Mir ist's, als wenn ich dich vorher nie gesehen hätte, ›Sahib‹,« antwortete er.

»Dann werde ich auch jenen Gauner von einem Fakir täuschen. Höre mir an, kleiner Sadras.«

»Sprich, ›Sahib‹.«

»Weißt du den ›Bengalow‹, wo wir wohnten?«

»Ja, ich war mit Bhandara dort.«

»Dort habe ich zwei Diener, die Thermati und Poona heißen, zwei Helden, die uns bei unserem schwierigen Unternehmen viel helfen können.

Du sollst sie hierher führen, aber Dhundia darf nicht wissen, daß ich es bin, der sie wünscht.«

»Ich werde mich von ihm nicht sehen lassen, ›Sahib‹,« antwortete der Knabe.

»Bist du fähig, diesen nicht einfachen Auftrag auszuführen?«

»Verlaß dich auf mich, ›Sahib‹. Deine Leute werden hier erscheinen und niemand wird etwas davon erfahren.«

»Geh, Junge; du bist klüger und gewandter als ein Mann.«

»Und jetzt,« sagte er, indem er sich an Indri wandte, »gehen wir frühstücken und legen unsern Plan zurecht.«


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