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Zweiter Theil.

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1.

Als Anzoleto erwachte, fühlte er auch seine Eifersucht gegen den Grafen wieder erwachen. Tausend streitende Gefühle nahmen abwechselnd Besitz von seiner Seele. Zuerst jene andere Eifersucht, welche Corilla gegen Consuelo's Genie und Glück in ihm aufgerüttelt hatte. Es drängte sich diese Eifersucht in seinen Gedanken immer weiter vor, je mehr er den Triumph seiner Braut mit dem verglich, was in seinem gekränkten Ehrgeiz er nur seine eigene Niederlage nannte. Sodann die Furcht, einst noch in Wirklichkeit, wie er es jetzt in der allgemeinen Meinung bereits war, bei dieser hinfort berühmten und allmächtigen Frau, deren Liebe und Alleinbesitz ihm Tages zuvor noch so geschmeichelt hatte, von einem Andern ausgestochen zu werden

Die eine Eifersucht lag mit der andern in Streit, und er wußte nicht, welche von beiden, wenn er sich ihr ganz überließe, stark genug sein würde, um die andere zu ersticken. Sollte er, um Consuelo von dem Grafen zu entfernen, mit ihr Venedig verlassen und anderswo das Glück aufsuchen? Sollte er sie seinem Nebenbuhler preisgeben und selbst hinwegziehen, um irgendwo allein und von ihr unverkleinert nach größerm Erfolg zu ringen?

In seiner Unschlüssigkeit, welche von Augenblick zu Augenblick peinigender wurde, stürzte er sich, statt bei seinen wahren Freunden Ruhe zu suchen, von Neuem in das Unwetter, indem er wieder zur Corilla ging. Diese goß Oel ins Feuer; noch eindringlicher als am vorigen Tage, hielt sie ihm die ganze Ungunst seiner Lage vor.

– Keiner, sagte sie, ist Prophet in seinem Vaterlande. Von vornherein ist nicht diejenige Stadt dein Element, wo du geboren bist, wo man dich in Lumpen auf dem öffentlichen Platze umherlaufen sah, wo Jedermann (und diese Adligen prahlen, weiß Gott nur gar zu gern, mit ihren, immerhin eingebildeten Wohlthaten an den Künstlern), wo Jedermann sich sagen kann: Ich bin es, der ihn protegirt hat; ich habe zuerst sein Talent entdeckt; ich habe ihn Dem und Dem empfohlen; ich habe ihn Dem und Dem vorgezogen. Du hast hier viel zu lange unter freiem Himmel gelebt, mein armer Anzoleto! Dein schöner Kopf war lange zuvor allen Vorübergehenden aufgefallen, ehe man ahnte, daß du eine Zukunft haben würdest. Wie willst du Leuten Sand in die Augen streuen, welche dich auf ihrer Gondel rudern sahen, um mit etlichen Strophen aus dem Tasso, die du absangst, ein Paar Heller oder mit Botenlaufen dein Abendbrot zu verdienen! Consuelo, welche häßlich war und lange zurückgezogen lebte, ist hier ein fremdes Wunder. Auch ist sie ja Spanierin, ihr Dialekt ist nicht venetianisch. Wäre sie sogar widerwärtig, so wird man doch noch ihre schöne, etwas seltsam klingende Sprache anziehend finden. Von deinem kleinen Erfolg im ersten Akte mußt du drei Viertel auf Rechnung deiner Schönheit schreiben; und daran war man im letzten Akte schon gewöhnt.

– Setzen Sie doch gefälligst hinzu, daß die artige Schramme, die Sie mir über dem Auge beibrachten – ich sollte sie Ihnen nie vergessen – nicht wenig dazu beitrug, mich im letzten Akte um diesen nichtsnutzigen Vortheil zu bringen.

– Nichtsnutzig? Ja, in den Augen der Männer, wiewohl ein wahrer Vortheil in denen der Weiber. In den Salons wirst du mit den letzteren herrschen, aber ohne die ersteren wirst du auf dem Theater freilich unterliegen. Und wie willst du die Männer erobern, wenn es ein Weib ist, das sie dir streitig macht? Ein Weib, das sie nicht nur unterjocht, wenn wirklich Dilettanti, das vielmehr alle, auch die, welche nichts von Musik verstehen, durch seinen Liebreiz, durch den Zauber des Geschlechtes berauscht! Ha, um mit mir zu ringen, wie viel Talent, wie viel Kunstbildung hatte Stefanini, hatte Saverio, hatten Alle nöthig, die neben mir die Bühne betraten.

– Nach dieser Voraussetzung, theure Corilla, würde ich eben so viel Gefahr laufen, wenn ich neben dir aufträte, als jetzt neben der Consuelo. Gesetzt, ich hätte nun daran gedacht, dich nach Frankreich zu begleiten, ei, so hättest du mir da einen trefflichen Wink gegeben.

Diese Worte, die dem Anzoleto entfuhren, waren ein Lichtstrahl für Corilla. Sie sah, daß sie ihre Streiche schärfer geführt hatte, als sie bisher zu hoffen gewagt, denn wenigstens war der Gedanke, Venedig zu verlassen, schon in der Seele des Geliebten aufgetaucht. Kaum gewahrte sie die Hoffnung, ihn mit sich hinwegführen zu können, als sie alles aufbot, um ihn für diesen Plan vollends zu gewinnen. Sie setzte sich herab so tief sie konnte und erhob ihre Nebenbuhlerin mit einer Bescheidenheit ohne Grenzen über sich. Sie überwand sich so weit, daß sie sagte, sie wäre weder groß genug als Sängerin noch schön genug, um das Publikum zur Leidenschaft zu entflammen.

Und da das alles wirklich mehr als sie im Sagen dachte, die Wahrheit war, da Anzoleto es übrigens auch von selbst wahrgenommen und über Consuelo's gewaltige Ueberlegenheit sich nie getäuscht hatte, so fand es Corilla nicht sehr schwer, ihn davon zu überzeugen. Sie wurden daher bei dieser Zusammenkunft fast schon einig über ihre Verbindung und Flucht; Anzoleto ging ernstlich darauf ein, obgleich er sich immer eine Hinterthür offen hielt, durch welche er bei Gelegenheit wieder entwischen konnte.

Da es der Corilla nicht entging, daß noch einige Unschlüssigkeit in ihm zurückgeblieben war, so drang sie in ihn, seine Debüts fortzusetzen, und schmeichelte ihm mit der Hoffnung auf einen besseren Ausgang der folgenden Vorstellungen, während sie in ihrem Innern überzeugt war, daß diese unglücklichen Versuche ihm Venedig und Consuelo völlig verleiden würden.

Von seiner Maitresse begab sich Anzoleto zu seiner Freundin. Ein unbezwingbarer Drang sie wieder zu sehen, trieb ihn zu ihr. Es war das erstemal, daß er einen Tag begonnen und beschlossen hatte, ohne ihren keuschen Kuß auf die Stirne zu empfangen. Da er sich aber nach dem was mit Corilla vorgegangen war, seiner Veränderlichkeit zu schämen hatte, so suchte er sich selbst zu überreden, daß er bei seiner Braut sich nur die Gewißheit ihrer Untreue und den gänzlichen Verzicht auf seine Liebe holen wollte. Ohne allen Zweifel, sagte er zu sich, wird der Graf sich die Gelegenheit und ihren Verdruß über mein Ausbleiben zu Nutze gemacht haben; wie, solch ein lockerer Passagier hätte die Nacht mit ihr unter vier Augen zugebracht, und das arme Ding wäre nicht unterlegen? Unmöglich! –

Indessen trieb ihm dieser Gedanke doch den kalten Schweiß auf die Stirne, er dachte weiter, er stellte sich Consuelo's Reue und Verzweiflung vor: das brach sein Herz, er beflügelte seinen Schritt, und glaubte nicht anders als sie in Thränen gebadet zu finden. Dann wieder sagte ihm eine innere Stimme, stärker als alle übrigen, ein Wesen von dieser Reinheit, diesem Seelenadel könne nicht so schnell, so schmählich fallen; und er hemmte seinen Fuß und dachte an sich, an das Gehässige seiner Aufführung, an die Selbstsucht seines Ehrgeizes, an die Lügen, denen er sein Leben, an die Vorwürfe, denen er sein Gewissen zur Beute gegeben hatte.

Er fand Consuelo in ihrem schwarzen Kleide, vor ihrem Tischchen, so heiter und so fromm in Blick und Haltung wie nur je. Sie lief auf ihn zu mit ihrer gewohnten Herzlichkeit und fragte voll Besorgniß, aber ohne Vorwurf, ohne Mißtrauen, wie er die Zeit, seitdem sie einander nicht gesehen, zugebracht hätte.

– Ich war leidend, antwortete er ihr in der tiefen Niedergeschlagenheit, die sein Schuldbewußtsein ihm verursachte. Der Stoß am Kopfe gegen eine Coulisse, wovon ich dir die Strieme zeigte und dir sagte, es sei nichts, hat mir dennoch eine solche Erschütterung im Gehirn zu Wege gebracht, daß ich den Pallast Zustiniani verlassen mußte, aus Furcht in Ohnmacht zu fallen und daß ich den ganzen Morgen das Bett gehütet habe.

– O mein Gott! rief Consuelo, und küßte die Wunde, die ihre Nebenbuhlerin ihm geschlagen hatte; du warst leidend, und bist es wohl noch?

– Nein! die Ruhe hat mir gut gethan. Denke nicht weiter daran, und sage mir, wie du es gemacht hast, um so allein in der Nacht nach Hause zu kommen?

– Allein? O nicht doch, der Graf hat mich in seiner Gondel nach Hause gebracht.

– Ach! dacht' ich's doch! rief Anzoleto mit befremdendem Tone. Und hat er dir wohl so unter vier Augen gar viel Schönes gesagt?

– Was hätte er mir sagen können, das er mir nicht schon hundertmal vor aller Welt gesagt hätte? Er verzieht mich und würde mich eitel machen, wenn ich nicht vor diesem Uebel auf meiner Hut wäre. Uebrigens waren wir nicht unter vier Augen; mein lieber Meister war so gut, auch mitzufahren. O, der einzige Freund!

– Meister? Einziger Freund? Wer? fragte Anzoleto schon beruhigt und wieder in Gedanken.

– Nun, der Porpora! Woran denkst du denn?

– Ich denke, liebe Consuelo, an deinen Triumph von gestern Abend. Und du nicht?

– Weniger als an den deinigen, das schwöre ich dir.

– Den meinigen. O, spotte nicht, meine schöne Freundin! Der meinige war so fahl, daß er aufs Haar einer Niederlage glich.

Consuelo erschrak und wurde bleich. Sie hatte, ungeachtet ihrer merkwürdigen Festigkeit, doch nicht kaltes Blut genug gehabt, um zu unterscheiden was von dem Beifall des Abends ihr, was ihrem Geliebten galt. Es haben Huldigungen dieser Art etwas Betäubendes, dem sich der besonnenste Künstler nicht entziehen kann, und mancher so wenig, daß er vielleicht die Unterstützung einer Kabale für ein Beifallsjauchzen nimmt. Consuelo hatte im Gegentheile die Gewogenheit ihres Publikums sich minder groß vorgestellt als sie wirklich war; sich fast fürchtend vor dem entsetzlichen Lärm, hatte sie kaum dessen Meinung begriffen und den Vorzug, den man ihr vor Anzoleto gab, nicht bemerkt. Nun schalt sie ihn in ihrer Unbefangenheit, daß er gleich Anfangs zu viel Glück verlange, und da sie sah, daß sie ihn weder überzeugen noch seine Traurigkeit verscheuchen konnte, machte sie ihm sanfte Vorwürfe, daß er zu ruhmbegierig sei und zu großen Werth auf den Beifall der Welt lege.

– Ich habe es dir schon immer gesagt, fuhr sie fort, du ziehst den Ertrag der Kunst der Kunst selber vor. Hat man sein Bestes gethan, fühlt man, daß man es gut gemacht hat, dann, dünkt mich, kann ein wenig Beifall mehr oder minder der inneren Zufriedenheit nichts hinzuthun und nichts nehmen. Denke an das, was mir der Porpora sagte, als ich zum erstenmale im Pallaste Zustiniani sang: wer sich von wahrer Liebe zu seiner Kunst durchdrungen fühlt, kann sich nicht fürchten ...

– Dein Porpora und du, fiel Anzoleto ihr verdrießlich in die Rede, ihr könnt freilich von eueren schönen Maximen leben. Nichts ist leichter als über das Unglück philosophiren, wenn man selbst im Glücke sitzt. Der Porpora ist zwar arm und angefeindet, aber er hat einen berühmten Namen; er hat Lorbeeren genug gepflückt, daß sein altes Haupt in Ruhe unter ihrem Schatten bleichen kann. Du, die du dich unbesiegbar fühlst, hast für die Furcht keinen Raum im Herzen. Du schwingst dich mit dem ersten Sprunge auf die höchste Staffel und wirfst denen, die nur kriechen können, vor, sie wären schwindlig. Das ist nicht sehr menschenfreundlich, Consuelo, und in hohem Grade unbillig. Auch paßt dein Satz gar nicht auf mich. Du sagst, man müsse die Beistimmung des Publikums verachten, wenn man seine eigene hat; wenn mir nun aber dieses innere Zeugniß fehlt? Siehst du denn nicht, daß ich grausam unzufrieden mit mir selbst bin? Hast du denn nicht gesehen, wie abscheulich ich war; nicht gehört, wie jämmerlich ich sang?

– Nein! denn das ist wirklich nicht der Fall. Du warst nicht über, nicht unter deinem Maße; die Aufregung hatte dir beinah nichts von deinen Mitteln genommen; überdies verlor sie sich auch bald, und was du ordentlich kannst, hast du ganz gut gemacht.

– Und was ich nicht kann? sagte Anzoleto, indem er seine großen schwarzen Augen, hohl von Ermattung und Verdruß, fest auf sie richtete.

Sie seufzte und schwieg einen Augenblick, dann küßte sie ihn und sagte:

– Was du nicht kannst, das mußt du lernen. Hättest du während der Proben nur ernst studirt ... habe ich es dir nicht zuvor gesagt? Allein es ist jetzt keine Zeit zum Schelten, sondern es ist die Zeit, alles wieder gut zu machen. Komm, nehmen wir uns nur zwei Stunden täglich und du sollst sehen, wie rasch du das, was dir jetzt hinderlich ist, besiegen wirst.

– Das läßt sich wohl auch in Einem Tage machen?

– Nein! aber in etlichen Monaten allerhöchstens.

– Und unterdessen spiele ich morgen! unterdessen fahre ich fort, vor einem Publikum zu debütiren, das mich weit mehr nach meinen Mängeln als nach meinen guten Eigenschaften richtet.

– Das aber deine Fortschritte bemerken wird.

– Wer weiß! Wenn es mich einmal nicht leiden mag?

– Es hat dir das Gegentheil bewiesen.

– O ja! du meinst, es bat Nachsicht gehabt.

– Ja! Auch das, mein Freund! Wo du dich schwach zeigtest, hat es dir Wohlwollen bewiesen, wo du dich stark zeigtest, hat es dir Gerechtigkeit widerfahren lassen.

– Und inzwischen werde ich nach dem allen ein erbärmliches Engagement erhalten.

– Der Graf liebt den Glanz in Allem und spart kein Geld. Und hat er übrigens nicht mir mehr angeboten, als wir beide brauchen, um in Ueberfluß zu leben?

– Das ist die Sache. Ich würde von deinem Glück mitleben.

– Habe ich nicht lange genug von deiner Gunst mitgelebt?

– Es handelt sich nicht um das Geld. Möge er mir wenig Gage geben, danach frage ich nichts. Aber er wird mich für die zweiten oder dritten Partien engagiren.

– Er hat keinen andern primo uomo zur Hand. Seit langer Zeit rechnet er auf dich und denkt nur an dich. Und übrigens ist er ganz und gar für dich eingenommen. Du sagtest auch, er würde unserer Verheirathung entgegen sein. Keinesweges! er scheint sie eher zu wünschen, und fragt mich oft, wann ich ihn zu meiner Hochzeit bitten würde.

– Ah, in der That? Vortrefflich! Ei, großen Dank, mein Herr Graf!

– Was meinst du?

– Nichts. Nur, Consuelo, war es sehr unrecht von dir, daß du mich nicht abgehalten hast zu debütiren, bis meine Fehler, die du so gut kennst, durch bessere Studien beseitigt waren. Denn du kennst sie, meine Fehler, ich sage es noch einmal.

– Habe ich es an Offenheit fehlen lassen? Habe ich dich nicht häufig gewarnt? Du aber gabst mir stets zur Antwort, das Publikum verstünde sich nicht darauf; und als ich hörte, was für eine günstige Aufnahme dein erstes Debüt im Salon des Grafen gefunden hatte, da dachte ich ...

– Daß sich die vornehme Welt nicht besser darauf versteht als das gewöhnliche Publikum?

– Ich dachte, daß deine Vorzüge mehr hervorstechen werden als deine Mängel; und so, scheint mir, ist es auch in beiden Fällen gewesen.

– Im Grunde, dachte Anzoleto, hat sie Recht, und wenn ich meine Debüts aufschieben könnte ... Allein da liefe ich Gefahr, daß man einen anderen Tenor an meiner statt beriefe, der mir nachher nicht wieder weichen würde. Höre! sagte er, nachdem er mehrmals im Zimmer auf und nieder gegangen, welche Fehler habe ich eigentlich?

– Was ich dir schon oft sagte: zu viel Keckheit und zu wenig Vorbereitung, ein Feuer, das mehr aus Fieberhitze als aus Gefühl entsprungen scheint, dramatische Effekte, welche weniger die Empfindung als die Absicht verrathen. Du hast dich nicht in das Ganze deiner Parthie hineingelebt. Du hast sie bruchstückweise gelernt. Du hast nichts darin gesehen als eine Reihe von mehr oder weniger brillanten Effekten. Du hast ihre Entwicklung, Steigerung und Abstufung nicht begriffen. Voll Ungeduld, deine schöne Stimme und die Fertigkeit, die dir in Einigem zu Gebote steht, zu zeigen, hast du, kaum aufgetreten, schon dein Aeußerstes gethan. Bei jeder Gelegenheit hast du nach einem Effekte gehascht und der eine Effekt ist immer genau wie der andere gewesen. Am Ende des ersten Aktes kannte man dich schon, wußte man dich schon auswendig; man dachte aber nicht, daß das nun alles wäre und rechnete auf etwas ganz Erstaunliches für den Schluß. Dieses Etwas besaßest du nicht. Deine innere Kraft war erschöpft und deine Stimme hatte nicht mehr dieselbe Frische. Das fühltest du und wolltest beides erzwingen; das wurde nun auch gefühlt, und man blieb, zu deiner Verwunderung, gerade in dem Augenblicke kalt, wo du die höchste Leidenschaft entwickelt zu haben meintest. In diesem Augenblicke sah man nicht den von Leidenschaft hingerissenen Künstler, sondern den Akteur, der auf Beifall Jagd macht.

– Und wie machen es denn die Andern? schrie Anzoleto mit dem Fuße stampfend, habe ich sie nicht gehört, nicht alle gehört, die man seit zehn Jahren in Venedig beklatscht hat? Hat nicht der alte Stefanini geschrien, wenn ihm die Stimme ausging? Und dennoch wurde er wüthend beklatscht.

– Es ist wahr, und ich habe es nie begriffen, wie das Publikum sich so täuschen konnte. Vermuthlich hatten sie die Zeit im Sinne, wo er mehr vermocht hat und wollten ihn nicht das Unglück seines Alters fühlen lassen.

– Und die Corilla, dieses Götzenbild, das du umstürzest, forcirte sie nicht die Situationen? Griff sie sich nicht an, um Einem angst und bange zu machen? War sie wohl wirklich begeistert, wenn das Publikum sie bis in die Wolken hob?

– Eben weil ich ihre Mittel trüglich, ihre Effekte abscheulich, ihr Spiel und ihren Gesang von Geschmack und Adel entblößt fand, deshalb trat ich so furchtlos auf die Bühne, denn ich glaubte wie du, daß sich das Publikum nicht darauf verstünde.

– Ach, sagte Anzoleto mit einem tiefen Seufzer, du berührst meine Wunde, arme Consuelo

– Wie das, mein geliebtes Herz?

– Wie das, du fragst noch? Wir haben uns getäuscht, Consuelo. Das Publikum versteht sich wohl darauf. Sein Herz entdeckt ihm was seine Unwissenheit ihm verbirgt. Es ist ein großes Kind, das belustigt und aufgereizt sein will. Es begnügt sich so lange, bis man ihm Besseres zeigt, dann aber stellt es Vergleichungen an und weiß zu unterscheiden. Die Corilla konnte es in der vorigen Woche noch entzücken, obgleich sie falsch sang und keinen Athem hatte. Du trittst auf und verloren ist die Corilla, ausgelöscht, begraben. Laß sie wieder auftreten, und man wird sie auszischen. Wenn ich neben ihr debütirt hätte, so würde ich einen vollständigen Erfolg gehabt haben, wie damals, wie das erstemal beim Grafen, wo ich neben ihr sang. Aber neben dir bin ich verdunkelt worden. Es konnte nicht anders sein, und es wird immer so sein. Das Publikum war in Flittern verliebt. Es sah Glas und Rauschgold für Edelgesteine an und war geblendet. Nun zeigt man ihm einen ächten Diamant und siehe, es begreift schon nicht mehr, wie es sich hatte so arg betrügen können. Nun will es nichts mehr von den falschen Steinen wissen. Das ist mein Unglück, Consuelo! daß man mich zur Schau gestellt hat, eine venetianische Glasperle neben einer Perle aus dem Meeresschooße.

Consuelo empfand nicht die ganze Bitterkeit und Wahrheit dieser Bemerkungen. Sie maß dieselben der Liebe ihres Verlobten bei und erwiderte das was sie für süße Schmeichelei hielt, nur mit Lächeln und mit Liebkosungen. Sie behauptete, er würde sie noch übertreffen, wenn er sich nur Mühe geben wollte und machte ihm Muth durch die Versicherung, daß nichts leichter wäre als so wie sie zu singen. Dies war ihr voller Ernst, denn sie hatte sich nie durch irgend eine Schwierigkeit aufhalten lassen und wußte nicht, daß eben die Anstrengung selbst das vornehmste Hinderniß für den ist, welcher nicht die Liebe dazu und die Ausdauer hat.

2.

Durch Consuelo's Offenherzigkeit wie durch Corilla's Falschheit angetrieben, daß er sich wieder öffentlich hören lasse, fing Anzoleto an, ernstlich zu üben, und sang bei der zweiten Aufführung der Ipermnestra seinen ersten Akt bei weitem reiner. Die Anerkennung blieb nicht aus. Aber da Consuelo's Erfolg in demselben Maße wuchs, war er mit dem seinigen wieder nicht zufrieden, und von neuem überführt, daß er ihr immer nachstehen würde, verlor er völlig Muth und Selbstvertrauen.

Von Augenblick an sah er alles schwarz. Es kam ihm vor, als hörte man nicht auf ihn, als machten sich die nächsten Zuschauer flüsternd über ihn lustig, als sähen ihn die Kunstliebhaber, die in den Coulissen ihn aufmunterten, mit bedauernden Mienen an. Alle ihre Lobsprüche schienen ihm doppelsinnig und den übleren Sinn glaubte er auf sich gemünzt. Die Corilla, in deren Loge er während des Zwischenaktes ging, um ihr Urtheil zu hören, stellte sich ängstlich und fragte, ob er auch nicht krank wäre.

– Wie so? rief er ungeduldig.

– Deine Stimme ist heute belegt und du scheinst angegriffen ... Muth! mein theurer Anzoleto, heraus mit deinen Mitteln, denn du gebrauchst sie nicht, aus Furcht oder aus Niedergeschlagenheit.

– Habe ich meine erste Arie nicht gut gesungen?

– Fast nicht so gut als das erste Mal. Es hat mir das Herz zusammengeschnürt, daß ich fast ohnmächtig wurde.

– Aber es ist doch applaudirt worden.

– Lieber Himmel! ... Nun, ich habe Unrecht, dir eine Täuschung zu rauben, es thut ja nichts. Nur vorwärts ... aber suche doch, dir die Stimme klar zu machen.

– Consuelo, dachte er nun, hat mir wohl guten Rath zu geben gemeint. Ja sie, sie handelt aus Instinkt und was sie selbst unternimmt, das gelingt ihr. Woher sollte sie aber so viel Erfahrung haben, daß sie mir den richtigen Weg zeigen könnte, um dieses widerspenstige Publikum herumzubringen! Indem ich ihrem Rathe folge, büße ich meine Vortheile ein, und die Verbesserung meiner Manier bleibt unbeachtet. Wohlan! zurück zu der früheren Kühnheit! Machte ich nicht in meinem ersten Debüt beim Grafen die Erfahrung, daß ich selbst diejenigen, die ich nicht bestach, wenigstens blenden konnte? Sagte mir nicht der alte Porpora selbst, ich hätte Fehler des Genies? Wohlauf denn! Möge das Publikum meine Fehler ertragen und meinem Genie sich unterwerfen!

Er strengte seine Lungen an, that Wunder im zweiten Akt und wurde mit Verwunderung gehört. Einige klatschten, Andere thaten dem Klatschen Einhalt. Das Publikum in Masse fragte sich, ob das großartig oder unsinnig wäre.

Noch ein wenig Keckheit mehr und Anzoleto hätte vielleicht gesiegt; aber dieser Fehlschlag brachte ihn so außer Fassung, daß ihm der Kopf schwindelte und er den Rest seiner Rolle schimpflich umwarf.

Bei der dritten Aufführung hatte er wieder Muth gewonnen, und entschlossen seinen eigenen Weg zu gehen, ohne auf Consuelo's Rath zu hören, wagte er die seltsamsten Capricen, die unverschämtesten Bizarrerien. O Schande! Zwei bis dreimal unterbrach ein Pfeifen die tiefe Stille, mit welcher seine verzweifelten Kunststücke aufgenommen wurden. Der gütige, großmüthige Theil des Publikums brachte das Pfeifen zur Ruhe und fing an zu klopfen, aber es war unmöglich zu verkennen, daß sich darin nur Wohlwollen für die Person, aber nicht Lob für den Künstler kund gab.

Anzoleto riß sein Kostüm entzwei, als er in seine Loge kam, und kaum war das Stück zu Ende, so lief er zur Corilla, schloß sich mit ihr ein, voll Wuth und Erbitterung und war bereit, mit ihr bis an das Ende der Erde zu fliehen.

Drei Tage verflossen, ohne daß er Consuelo wieder sah. Nicht Haß fühlte er, nicht Kälte (im Grunde seiner von Vorwürfen gemarterten Seele liebte er sie noch und litt Todesqual sie nicht zu sehen) – aber er hatte wirklich Furcht vor ihr. Er empfand die Uebermacht dieses Wesens, das durch seine Größe vor dem Publikum ihn erdrückte und in der Stille mit seinem Zutrauen, seinem Willen nach Willkür schalten konnte. In seiner Aufregung hatte er nicht so viel Selbstherrschaft, um der Corilla zu verbergen, wie sehr er noch an seiner edeln Braut hing und welchen Einfluß diese noch auf seine Ueberzeugungen hatte

Der Corilla bereitete er dadurch die bittersten Kränkungen, die sie aber Kraft genug hatte zu verhehlen. Sie beklagte ihn, sie forschte ihn aus, und als sie ihm das Geheimniß seiner Eifersucht abgelockt hatte, wagte sie einen Hauptschlag, sie ließ Zustiniani unter der Hand ihre eigene Vertraulichkeit mit Anzoleto wissen, indem sie voraussetzte, daß der Graf sich die schöne Gelegenheit nicht würde entgehen lassen, den Gegenstand seiner Wünsche davon zu unterrichten und Anzoleto die Rückkehr unmöglich zu machen.

Nachdem Consuelo einen ganzen Tag einsam in ihrer Mansarde hingebracht hatte, fing sie an sich zu beunruhigen; noch ein Tag verging in vergeblicher Erwartung und peinigender Angst, und als die Nacht einbrach, hüllte sie sich in einen dichten Mantel (denn die berühmte Sängerin war nicht mehr gleich dem unbekannten Mädchen sicher vor bösem Leumund) und lief nach der Wohnung, welche Anzoleto seit einigen Tagen in einem der vielen Gebäude, welche der Graf in der Stadt besaß, auf dessen Veranlassung bezogen hatte. Sie fand ihn nicht und erfuhr, daß er selten die Nacht dort zubrächte.

Dieser Umstand diente noch nicht dazu, ihr seine Untreue aufzudecken. Sie wußte, wie sehr er daran gewöhnt war, poetisch umherzuschweifen, und bildete sich ein, er habe sich an die Pracht seines neuen Aufenthaltes noch nicht gewöhnen können, er werde wohl in einem seiner alten Schlupfwinkel zu finden sein. Sie wollte es wagen, ihn auch dort zu suchen, als sie plötzlich in der Hausthüre, durch welche sie sich eben entfernen wollte, ihrem alten Lehrer Porpora gegenüber stand.

– Consuelo, sagte dieser leise zu ihr, es ist umsonst, daß du dein Gesicht verhüllst, ich habe deine Stimme gehört. Und die kann ich nicht verkennen. Was willst du hier zu einer solchen Stunde, armes Kind, was suchst du in diesem Hause?

– Ich suche meinen Bräutigam, antwortete Consuelo, indem sie sich an den Arm ihres alten Lehrers hängte. Ich weiß nicht, warum ich mich schämen sollte, es meinem besten Freunde zu gestehen. Ich weiß wohl, daß Sie meine Liebe zu ihm nicht gut heißen, aber es ist mir doch nicht möglich, Sie zu hintergehen. Ich bin voll Unruhe. Seit vorgestern im Theater habe ich Anzoleto nicht gesehen. Er muß krank sein.

– Krank! Er! sagte der Professor und zuckte die Achseln. Komm mit mir, armes Mädchen! wir müssen mit einander plaudern. Und da du endlich selbst darauf kommst, mir dein Herz zu öffnen, so muß ich dir auch das meinige öffnen. Gieb mir den Arm, wir wollen im Gehen reden. Höre mich an, Consuelo, und nimm dir wohl zu Herzen, was ich dir sagen werde. Du darfst und sollst nicht das Weib dieses jungen Mannes werden. Ich verbiete es dir im Namen des lebendigen Gottes, der mir das Herz eines Vaters für dich gegeben hat.

– O lieber Meister, antwortete sie voll Schmerz, verlangen Sie mein Leben zum Opfer, aber nicht meine Liebe.

– Ich verlange nichts, ich fordere, sagte Porpora fest; dein Geliebter ist ein ruchloser Mensch. Er wird dich in Jammer und in Schande stürzen, wenn du nicht augenblicklich ihm entsagst.

– Lieber Meister, antwortete sie schmeichelnd und mit trübseligem Lächeln, wie oft haben Sie mir das gesagt ... und ich habe umsonst versucht, Ihnen zu gehorchen. Sie hassen dieses arme Kind. Sie kennen ihn nicht, und ich bin gewiß, Sie werden noch von Ihrem Vorurtheile zurückkommen.

– Consuelo, sprach der Meister mit noch größerer Kraft, ich weiß, ich habe dir bisher umsonst gepredigt und gewehrt. Ich habe darüber gesprochen wie der Künstler zum Künstler spricht, und habe auch deinen Bräutigam nur als Künstler betrachtet. Heut spreche ich zu dir als Mann, ich spreche zu dir von einem Manne, ich spreche zu dir als einem Weibe. Dies Weib hat seine Liebe unrecht verschenkt, jener Mann ist ihrer unwerth, und der Mann, der es dir sagt, ist seiner Sache gewiß.

– O mein Gott! Anzoleto meiner Liebe unwerth! Er, mein einziger Freund, mein Beschützer, mein Bruder! Ach, Sie wissen nicht, wie er mir zur Seite gestanden, wie er mich in Ehren gehalten, seit ich auf der Welt bin. Ich muß Ihnen das erzählen.

Und Consuelo erzählte ihm die ganze Geschichte ihres Lebens und ihrer Liebe, beides nur eine und dieselbe Geschichte.

Porpora war gerührt, aber er blieb unerschüttert.

– In dem allen, sagte er, sehe ich nichts als deine Unschuld, deine Treue, deine Tugend. Was ihn betrifft, so sehe ich wohl, wie sehr ihm dein Umgang ein Bedürfniß war, und dein Unterricht, dem er, was du auch immer darüber denkst, das Wenige verdankt, was aus ihm geworden ist; aber es ist nicht minder wahr, daß dieser sittsame und getreue Liebhaber nichts weiter als der Wegwurf aller verlorenen Frauenzimmer von Venedig ist, daß er die Glut, die du in ihm entflammst, in liederlichen Häusern löscht und daß er nur daran denkt, dich auszubeuten, während er anderwärts seine schändlichen Leidenschaften befriedigt.

– Wachen Sie über Ihre Worte, entgegnete Consuelo mit erstickter Stimme; ich bin gewohnt, an Sie zu glauben wie an Gott, o mein lieber Meister! aber in Betreff Anzoleto's bin ich gerüstet, Ihnen Ohren und Herz zu verschließen ... Ach! lassen Sie mich hinweg, setzte sie hinzu und versuchte, ihren Arm aus dem seinigen zu reißen, Sie geben mir den Tod.

– Deiner verderblichen Leidenschaft will ich den Tod geben, und dir durch die Wahrheit das Leben, erwiederte er, den Arm des Mädchens fester an sein edeles, zürnendes Herz pressend. Ich weiß, daß ich rauh bin, Consuelo. Ich kann nicht anders sein, und deshalb habe ich, so lang ich konnte, den Schlag zurückgehalten, den ich dir versetzen muß. Ich habe gehofft, daß du selbst die Augen aufthun und das, was um dich her vorgeht, sehen werdest. Aber anstatt durch Erfahrung klüger zu werden, stürzest du dich blindlings mitten in den Abgrund. Aber ich, ich will dich nicht hineinstürzen lassen! du bist das einzige Wesen, das mir seit zehn Jahren werth ist. Du sollst nicht umkommen, nein! du sollst nicht.

– Aber mein Freund, ich bin nicht in Gefahr; Glauben Sie denn, daß ich lüge, wenn ich Ihnen schwöre, bei allem, was uns heilig ist, daß ich das Gelübde, welches ich am Todesbette meiner Mutter abgelegt, in Ehren gehalten habe! Anzoleto hält es ebenso in Ehren. Ich bin also, da ich noch nicht sein Weib bin, auch nicht seine Maitresse.

– Aber es kostet ihn ein Wort, so bist du beides.

– Meine Mutter selbst hat uns das Versprechen abgenommen.

– Und dennoch hast du heute Abend diesen Menschen aufgesucht, der dein Mann nicht werden will und nicht werden kann?

– Wer hat Ihnen das gesagt?

– Würde ihm denn die Corilla je erlauben ...?

– Die Corilla? Was ist gemein zwischen ihm und der Corilla?

– Es sind nur zwei Schritte von hier zur Wohnung dieser Dirne ... du hast deinen Verlobten gesucht ... wir wollen ihn bei ihr abholen. Hast du den Muth dazu?

– Nein! nein! tausendmal nein! schrie Consuelo, indem ihre Kniee wankten und sie sich gegen die Mauer stützte. Lassen Sie mir das Leben, Meister! Tödten Sie mich nicht, bevor ich gelebt habe. Ich sage Ihnen, Sie geben mir den Tod.

– Du mußt diesen Kelch trinken, versetzte der unerbittliche Greis, ich übernehme hier die Rolle des Schicksals. Durch meine Zärtlichkeit, durch meine Weichherzigkeit habe ich die Menschen stets nur undankbar und dem zu Folge unglücklich gemacht, ich muß nun denen, die ich liebe, die lautere Wahrheit einschenken. Das ist das einzige Gute, das noch ein vom Unglück ausgedörrtes und vom Leiden versteintes Herz vollbringen kann. Ich beklage dich, meine arme Tochter, daß du keinen sanfteren und zarteren Freund hast, um dir in dieser unglücklichen Krise beizuspringen. Aber so wie ich durch die Menschen geworden bin, so muß ich auf die andern wirken, und mit Wetterstrahlen muß ich darein leuchten, da ich nicht mit Sonnenschein erwärmen kann. Also, Consuelo, keine Schwachheit zwischen uns. Hier tritt ein in diesen Pallast. Ich will, daß du deinen Geliebten in den Armen der unzüchtigen Corilla überraschest. Kannst du nicht gehen, so werde ich dich schleppen. Wenn du zusammenbrichst, so trage ich dich. Ha! der alte Porpora hat noch Kraft, wenn das Feuer des göttlichen Zornes in seinen Eingeweiden brennt!

– Erbarmen, Erbarmen! schrie Consuelo bleicher als der Tod. Lassen Sie mich noch zweifeln ... Noch einen Tag, einen einzigen Tag noch gönnen Sie mir, an ihn zu glauben; ich bin nicht vorbereitet auf diese Marter ...

– Nichts, keinen Tag, keine Stunde, antwortete er unbeugsam; denn diese Stunde, wenn sie entrinnt, ich werde sie nicht wieder finden, um dir die Wahrheit unter die Augen zu bringen; und diesen Tag, den du forderst, der Schandbube würde ihn benutzen, um dich wieder in das Joch der Lüge zu schmieden. Du kommst mit mir, ich befehle es dir, ich will es.

– Nun ja, wohlan! ich gehe mit, rief Consuelo, deren Liebe mit einemmale heftig auflodernd ihr wieder Kraft gab; ich gehe mit, ich will sehen, ob Sie Recht haben, ob mein Geliebter nicht treu ist; denn es ist eine schmähliche Täuschung, welche Sie befängt und wohinein Sie auch mich reißen wollen. Voran denn, Henker, der Sie sind! ich folge Ihnen und ich fürchte Sie nicht.

Porpora nahm sie beim Wort; er faßte ihren Arm mit seiner nervigen Hand, wie mit einer eisernen Zange, und zog sie nach sich in das Hans, in welchem er wohnte, zog sie durch alle Corridore, Treppe für Treppe hinauf, bis auf eine obere Terrasse, von welcher man über ein niedrigeres, gänzlich verödetes Haus den Pallast der Corilla sah, finster von oben bis unten mit Ausnahme eines einzigen offenen Fensters, welches erleuchtet war und auf die schwarze, todtenstille Façade des öden Hauses hinausging. Es schien von diesem Fenster aus, als könnte man von keinem Punkte her gesehen werden, denn ein vorspringender Balken machte es unmöglich, von unten hinauf zu schauen; in gleicher Linie war nichts und nach oben hin nur die Bedachung von Porporas Hause, welches nicht so lag, daß es einen Einblick in den Pallast der Sängerin verstattete. Aber die Corilla wußte nicht, daß es am Rande dieses Daches ein mit Blei eingefaßtes Gesimsstück gab, auf welchem der Maestro aus einer Künstlerschrulle jeden Abend hinter einem großen Schornstein stand, die Sterne zu beobachten, sich vor den Menschen zu verstecken oder seinen musikalischen Entwürfen nachzuhängen. So hatte der Zufall ihn dazu geführt, das Geheimniß von Anzoleto's Liebschaft zu entdecken und Consuelo brauchte nur mit dem Auge die Richtung zu verfolgen, welche er ihr zeigte, um ihren Geliebten mit ihrer Nebenbuhlerin in wollüstigem Beisammensein zu erblicken.

Sie wandte sich augenblicklich wieder ab und Porpora, der, voll Furcht, daß in der Verzweiflung ein Schwindel sie ergriffe, mit übermenschlicher Kraft sie festhielt, führte sie wieder in das untere Stockwerk hinab und ließ sie in sein Zimmer treten, wo er Thür und Fenster schloß, um den Ausbruch, welchen er erwartete, in Heimlichkeit zu begraben.

3.

Es gab aber keinen Ausbruch. Consuelo war stumm und zerschmettert. Porpora redete sie an. Sie antwortete nicht, und deutete ihm mit der Hand an, nichts zu fragen; dann stand sie auf, trank in heftigen Zügen eine ganze Karaffe mit Eis gekühlten Wassers aus, welche auf dem Klavier stand, ging ein paar Mal im Zimmer auf und nieder und setzte sich wieder ihrem Lehrer gegenüber ohne ein Wort zu sprechen.

Der starre Greis begriff die Tiefe ihres Leidens nicht.

– Nun, sprach er, hatte ich dich getäuscht? Was denkst du jetzt zu thun?

Ein Schmerzensschauder durchzuckte die Bildsäule; sie fuhr mit der Hand über ihre Stirn, dann, sprach sie:

– Nichts denke ich zu thun, bis ich begreife, was mir geschieht.

– Was ist denn noch zu begreifen?

– Alles! denn ich begreife noch nichts. Sie sehen mich sinnen, um die Ursache meines Unglücks zu entdecken, und ich finde nichts was es mir erklären könnte. Was habe ich denn dem Anzoleto Leides gethan, daß er mich nicht mehr liebt? Welche Schuld habe ich auf mich geladen, daß ich in seinen Augen verächtlich worden bin? Sie können es mir nicht sagen, Sie können nicht, denn ich, die ich mein Gewissen frage, ich sehe nichts darin was mir den Schlüssel dieses Räthsels gäbe. Oh, ein unbegreifliches Wunder ist es. Meine Mutter hat an die Kraft von Liebestränken geglaubt: ob diese Corilla, ob sie vielleicht zu zaubern versteht?

– Armes Kind! sagte der Maestro, wohl ist hier eine Zauberin im Spiele, aber sie heißt: Eitelkeit! ja wohl ein Zaubertrank, aber er heißt: Neid. Mag diesen die Corilla eingeschenkt haben, angesteckt damit hat sie diese Seele nicht, die so empfänglich dafür war. Anzoleto's unreine Adern durchströmte dieses Gift schon längst. Eine Dosis mehr hat ihn aus einem Betrüger, was er war, zu einem Verräther, aus einem Undankbaren, was er immer war, zu einem Treulosen gemacht.

– Was für Eitelkeit? Was für Neid?

– Die Eitelkeit alle Anderen zu übertreffen, der Neid, dich zu übertreffen, die Wuth von dir übertroffen zu sein.

– Ist das glaublich? Kann ein Mann eifersüchtig sein auf die Vorzüge einer Frau? Kann ein Liebender den Erfolg seiner Geliebten hassen? Giebt es denn wirklich dergleichen, was ich gar nicht weiß, was ich durchaus nicht begreifen kann?

– Du wirst es nie begreifen, aber erfahren wirst du es in jeder Stunde deines Lebens. Wisse, daß ein Mann in der That ein Weib beneiden kann, wenn dieser Mann ein eitler Künstler ist, und daß ein Liebhaber die Erfolge seiner Geliebten hassen kann, wenn das Theater dies Sphäre ist, in der sie sich bewegen. Ein Schauspieler ist kein Mann, Consuelo! ein Schauspieler ist ein Weib. Er lebt nur von krankhafter Eitelkeit, er denkt an nichts als an die Befriedigung seiner Eitelkeit, er ringt nach nichts als sich in Eitelkeit zu berauschen. Die Schönheit eines Weibes thut ihm Schaden. Das Talent eines Weibes sticht das seinige aus. Ein Weib ist sein Nebenbuhler, oder vielmehr er ist die Nebenbuhlerin eines Weibes; er vereinigt in sich alle Kleinlichkeiten, Launen, Ansprüche und Lächerlichkeiten einer Kokette. Sieh, das ist der Charakter der meisten Männer vom Theater. Es giebt große Ausnahmen, aber sie sind selten, sie sind so verdienstlich, daß man sie fußfällig verehren und sie höher schätzen sollte als die gelehrtesten Doctoren. Anzoleto gehört nicht zu den Ausnahmen, vielmehr ist er unter den Eiteln der Eitelsten einer: das ist der Schlüssel zu seinem ganzen Betragen.

– Aber wie unbegreiflich ist diese Rache! wie armselig, wie wirkungslos diese Ausflucht! Was kann denn die Corilla ihm zur Entschädigung bieten für das was ihm beim Publikum fehlgeschlagen ist? Wenn er mir sein Leid offen bekannt hätte ... ach, es brauchte nur ein Wort! vielleicht würde ich ihn begriffen haben, jedenfalls mit ihm gelitten; ich hätte auf mich selbst verzichtet, um ihm Raum zu machen.

– Eiteln Seelen ist es eigen, die Menschen um des Glückes willen zu hassen, das diese ihnen wegnehmen. Und die Liebe, ach! ist es ihr nicht eigen, dem Geliebten die Freuden zu mißgönnen, die man ihm nicht selbst bereitet? Während dein Liebhaber das Publikum verabscheut, welches dich mit Ruhm überhäuft, hassest du nicht die Nebenbuhlerin, welche ihn mit Freuden berauscht?

– Sie sprechen da ein tiefes Wort, lieber Meisters und ich will es weiter bedenken.

– Ein wahres Wort. Während dich Anzoleto um dein Glück auf der Bühne haßt, hassest du ihn um seine Freuden im Boudoir der Corilla.

– Nein, das nicht. Ihn könnte ich nicht hassen, und Sie überzeugen mich, daß es schwach und schimpflich wäre, meine Nebenbuhlerin zu hassen. Bleibe ihm denn dieses Vergnügen, womit sie ihn berauscht; und doch kann ich nicht daran denken ohne zu schaudern. Warum? Ich weiß es nicht. Ist nun dies ein unwillkürliches Vergehen, so ist auch wohl Anzoleto nicht so strafbar, wenn er meinen Triumph haßt.

– Du bist sehr bereit, die Dinge so auszulegen, daß sein Betragen und seine Gesinnung entschuldigt scheinen. Aber nein! Anzoleto ist nicht schuldlos und achtungswerth in seinem Leiden wie du. Er betrügt dich, er erniedrigt dich, während du dich anstrengst, ihn zu rechtfertigen. Uebrigens habe ich nicht Haß und Rache dir einflößen wollen, sondern Ruhe und Gleichgültigkeit. Die Handlungsweise dieses Menschen ist durch seinen Charakter bestimmt. Nie wirst du ihn ändern. Hiernach entschließe dich und denke an dich selbst.

– An mich selbst! das heißt an mich allein? an mich ohne Hoffnung und ohne Liebe?

– Denke an die Musik, an die göttliche Kunst, Consuelo! Möchtest du behaupten, daß du diese nur um Anzoleto's willen liebst?

– Ich liebe die Kunst auch um ihrer selbst willen, aber ich habe in meinen Gedanken nie diese beiden unzertrennlichen Dinge von einander geschieden: mein und Anzoleto's Leben. Und ich sehe nicht ein, wie etwas von mir übrig bleiben soll um irgend etwas zu lieben, wenn die nothwendige Hälfte meines Lebens mir entrissen wird.

– Anzoleto war für dich nur eine Idee und diese Idee gab dir Leben. An ihre Stelle wirst du eine größere, reinere, noch mehr lebendig machende Idee setzen. Deine Seele, dein Geist, kurz dein Wesen wird nicht mehr einer zerbrechlichen, täuschenden Form zum Raube sein, du wirst das erhabene Ideal befreit von diesem irdischen Schleier anschauen, du wirst dich in den Himmel schwingen und wirst mit Gott selbst leben in heiligem Lob und Preis.

– Meinen Sie, daß ich Nonne werden soll, wie Sie es früher schon mit mir vorhatten?

– Nein, das hieße den Gebrauch deiner künstlerischen Kräfte auf ein einziges Genre beschränken und du sollst sie alle umfassen. Was du auch thun und wo du sein mögest, auf dem Theater wie im Kloster, immer kannst du eine Heilige sein, eine priesterliche Jungfrau, die Braut des himmlischen Ideals.

– Was Sie da sagen, zeigt mir ein erhabenes Bild, umringt von geheimnißvollen Zeichen. Lassen Sie mich heimgehen, lieber Meister. Ich habe nöthig, mich zu sammeln und mich zu erkennen.

– Das ist das rechte Wort, Consuelo! du hast nöthig, dich zu erkennen. Bis hieher hast du dich ganz verkannt, indem du deine Seele und deine Zukunft einem in jeder Hinsicht tief unter dir stehenden Wesen dahin gabst. Du hast deine Bestimmung verkannt, indem du nicht sahest, daß du ohne deines Gleichen bist und daß demnach kein Bündniß für dich in dieser Welt möglich ist. Du hast Einsamkeit, unbedingte Freiheit nöthig. Ich wünsche dir weder Mann, weder Geliebten, weder Familie, weder Leidenschaften, weder Bande irgend einer Art. So, in diesem Sinne habe ich stets dein Dasein, deine Laufbahn mir gedacht. An dem Tage, wo du dich einem Sterblichen überlässest, wirst du deine Göttlichkeit verlieren. Ach, hätten die Mingotti, die Molteni, meine ruhmvollen Schülerinnen, meine mächtigen Schöpfungen, mir glauben wollen, sie hätten in unbestrittener Glorie auf Erden gewandelt. Allein das Weib ist schwach und nach Neuem lüstern; die Eitelkeit verblendet es, nichtige Begierden regen es auf, der Eigensinn reißt es fort. Was für Frucht haben sie von der Befriedigung ihrer Unruhe geärntet? Stürme, Ermattung, Verlust oder doch Schmälerung ihres Genies. Willst du nicht mehr sein als sie, Consuelo? Hast du nicht einen Ehrgeiz nach Höherem als allen den falschen Gütern dieses Lebens? Möchtest du nicht das eitle Verlangen deines Herzens tilgen, um die schönste Krone zu erwerben, welche jemals dem Genie zur Aureole diente?

Der Porpora sprach noch lange fort, aber mit einer Kraft und Beredsamkeit, welche ich nicht wiederzugeben vermöchte. Consuelo hörte ihn an, den Kopf gesenkt, die Augen an den Boden geheftet. Als er geendet hatte, sagte sie:

– Meister! Sie sind groß; ich aber bin es nicht genug, um Sie zu fassen. Es scheint mir, daß Sie die Natur des Menschen beleidigen, indem Sie seine edeln Leidenschaften verdammen. Es scheint mir, daß Sie die Triebe ersticken wollen, welche uns Gott selbst eingepflanzt hat, um die wilde, widermenschliche Selbstsucht in eine göttliche Kraft umzuwandeln. Vielleicht würde ich Sie besser fassen, wenn ich eine bessere Christin wäre: ich werde zusehen es zu werden; das ist es, was ich Ihnen versprechen kann.

Sie schied, dem Anscheine nach ruhig, aber im Grunde ihrer Seele zernichtet. Der große, menschenscheue Künstler brachte sie bis in ihre Wohnung, ihr immer predigend, ohne sie zu überzeugen. Indessen that er ihr wohl, indem er ihrem Nachdenken ein weites Feld tiefer und ernster Betrachtungen eröffnete, unter welchen Anzoleto's Verbrechen sich verlor wie ein vereinzeltes Beispiel, das schmerzlich aber feierlich sie in ein Labyrinth sinnvoller Anschauungen einführte.

Lange Stunden brachte sie mit Beten, Weinen, Sinnen hin, dann schlief sie ein mit dem Bewußtsein ihrer Tugend und voll Hoffnung auf einen erleuchtenden und rettenden Gott.

Am andern Morgen kam Porpora und zeigte ihr an, daß eine Probe der Ipermnestra für Stefanini stattfände, welcher Anzoleto's Rolle übernähme. Anzoleto war krank, hütete das Bett und klagte über Stimmlosigkeit. Consuelo's erste Bewegung war, zu ihm zu laufen, um ihn zu pflegen

– Spare dir diese Mühe, sagte der Professor, er befindet sich vortrefflich, der Arzt des Theaters hat sich davon überzeugt, und er wird heut Abend bei der Corilla sein. Aber Graf Zustiniani, der recht gut versteht, was die Sache soll, und nichts dawider hat, daß er mit seinen Debüts eine Pause mache, hat dem Arzt untersagt, die Täuschung aufzudecken und den guten Stefanini gebeten, noch ein paar Mal wieder zu spielen.

– Aber mein Gott, was gedenkt denn Anzoleto zu thun? Ist seine Entmuthigung so groß, daß er das Theater ganz verlassen will?

– Ja, das Theater San Samuel. Er reist in einem Monate mit der Corilla nach Frankreich ... Das nimmt dich Wunder? Er entflieht dem Schlagschatten, welchen du auf ihn wirfst. Er legt sein Schicksal in die Hände einer Frau, die er weniger zu fürchten braucht, und die er ebenfalls verrathen wird, wenn er sie nicht mehr nöthig hat.

Consuelo erbleichte und preßte beide Hände auf ihr Herz, das brechen wollte. Vielleicht hatte sie sich noch geschmeichelt, Anzoleto zu sich zurückzuführen, indem sie ihm sanft seinen Fehltritt vorhielte, indem sie ihm anböte, ihre eigenen Debüts aufzuschieben. Diese Nachricht war ihr ein Stich ins Herz. Sie konnte es nicht fassen, daß sie den nicht wiedersehen sollte, den sie so geliebt hatte.

– Ah, das ist ein böser Traum, schrie sie; ich muß zu ihm, er muß mir dies Gesicht erklären. Er kann dieser Frau nicht folgen, es wäre sein Untergang. Und ich, ich kann ihn nicht hineinrennen lassen, ich werde ihn halten, ich werde ihn seine wahren Interessen erkennen lassen, wenn es wahr ist, daß er für nichts anderes mehr Sinn hat ... Kommen Sie mit mir, lieber Meister, wir dürfen nicht so von ihm lassen  ...

– Ich würde von dir lassen, ich, und auf immer, rief Porpora voll Unwillen, wenn du dich so erniedrigtest. Dich diesem Elenden anbetteln, ihn einer Corilla streitig machen? Ha, heilige Cäcilia! erwehre dich deiner Zigeunerabkunft und rühre dich, die blinden, zügellosen Triebe, die du von daher hast, zu ersticken. Auf, mit mir! die Probe wartet. Du wirst wider Willen heut Abend doch ein Vergnügen davon haben, mit einem Meister wie Stefanini zu singen. Da sollst du einen bewußten, bescheidenen und edeln Künstler sehen.

Er zog sie mit sich ins Theater, und da zum ersten Male empfand sie die schauerliche Seite dieses Künstlerlebens, gekettet an die Anforderungen des Publikums, verdammt, ihr Gefühl zu ersticken und ihrer Aufregung Gewalt anzuthun, um sich fremde Gefühle aufzuzwingen und der Aufregung Anderer zu fröhnen. Diese Probe, dann die Toilette und die Aufführung am Abend waren eine grausame Marter. Anzoleto erschien nicht.

Zwei Tage darauf mußte sie in einer Buffaoper von Galuppi auftreten: Arcifanfano re de' matti. Man hatte diese Farce Stefanini zu Liebe gewählt, der darin von bewundernswürdiger Komik war. Consuelo mußte sich zwingen, die lachen zu machen, welche sie weinen gemacht hatte. Sie war glänzend, reizend, überaus spaßhaft – mit dem Tod im Herzen. Zwei, dreimal mußte sie tief in der Brust schluchzen und das verhaltene Weinen brach in einer gewaltsamen Lustigkeit aus, grauenvoll anzusehen für den, der darum gewußt hätte.

Als sie in ihre Loge zurückkam, fiel sie in Krämpfe. Das Publikum wollte sie noch vor sich sehen, um ihr seinen Beifall zu bezeigen, sie zögerte, es entstand ein ungeheurer Lärm, man wollte die Bänke zerschlagen, über die Lampen springen. Stefanini kam sie zu holen und fand sie halb gekleidet, das Haar in Unordnung, bleich wie ein Gespenst; sie ließ sich auf die Bühne ziehen und überschüttet von einem Blumenregen, ward sie genöthiget, sich zu bücken, um einen Lorbeerkranz aufzunehmen.

– Ha, die wilden Bestien! seufzte sie, in die Kulisse zurückeilend.

– Meine Schöne, sagte der alte Sänger, der ihr die Hand reichte, du bist sehr leidend; aber diese Dingelchen da, setzte er hinzu, ihr einen Blumenstrauß reichend, welchen er für sie aufgehoben hatte, sind ein kostbares Specificum für alle unsere Uebel. Du wirst dich daran gewöhnen und es wird der Tag kommen, wo du dein Leid und deine Abspannung nur an den Abenden fühlst, an denen man versäumen wird dich zu bekränzen.

O, sind sie eitel und klein! dachte die arme Consuelo. Als sie in ihre Loge eingetreten war, sank sie in Ohnmacht, buchstäblich auf einem Blumenbett, denn man hatte alles auf der Bühne aufgerafft und durch einander auf ihr Sopha geworfen. Die Auskleiderin lief hinauf, um den Arzt zu rufen. Graf Zustiniani blieb einige Augenblicke allein an der Seite seiner schönen Sängerin, die bleich und geknickt lag wie die Jasminblätter unter ihrem Haupte.

In diesem Augenblick der Verwirrung und Trunkenheit, verlor Zustiniani den Kopf und gab dem tollen Einfalle nach, sie durch seine Liebkosungen wieder zu beleben. Aber sein erster Kuß war unleidlich auf den keuschen Lippen Consuelo's. Sie raffte sich auf, um den Grafen zurückzustoßen, als wäre sein Kuß ein Schlangenbiß gewesen.

– Ah! fort von mir, rief sie, sich wie in Irre geberdend, fort von mir Liebe und Liebkosungen und süße Worte! Nie Liebe! Nie einen Gatten! Nie einen Geliebten! Nie Kinder! Mein Meister hat es mir gesagt. Freiheit! Ideal! Einsamkeit! Ruhm! –

Und sie zerfloß in Thränen so herzzerreißend, daß der Graf voll Bestürzung sich neben ihr auf die Kniee warf und das Aeußerste that, sie zu beruhigen. Aber er hatte nichts Linderndes dieser verwundeten Seele zu bieten, und seine Leidenschaft, die in diesem Augenblick ihre höchste Fieberhitze erreichte, gab sich wider seinen Willen kund. Er begriff nur zu wohl die Verzweiflung der verrathenen Liebenden. Er gab der Schwärmerei des hoffnungsvollen Liebenden Worte. Consuelo schien ihn zu hören und zog mechanisch ihre Hand aus den seinigen, mit einem wirren Lächeln, welches der Graf für eine schwache Aufmunterung nahm. Es giebt Männer, die sonst in der Welt voll Takt und Scharfblick, bei solchen Unternehmungen ganz albern sind.

Der Arzt erschien und gab ihr das beruhigende Mittel, das unter dem Namen »Tropfen« in Mode war. Consuelo wurde sodann in ihren Mantel gehüllt und in die Gondel gebracht. Der Graf trat mit ihr ein, sie mit seinen Armen unterstützend, und immerfort von seiner Liebe redend, zweifelsohne mit einer gewissen Beredsamkeit, die ihm unwiderstehlich däuchte. Nachdem er eine Viertelstunde lang gesprochen hatte und keine Antwort erhielt, flehte er um ein Wort, um einen Blick.

– Auf was soll ich denn antworten? sagte Consuelo, wie aus einem Traume erwachend; ich habe nichts vernommen.

Zustiniani war im ersten Augenblicke muthlos, dachte aber dann, eine günstigere Gelegenheit werde nicht wiederkommen und die gebrochene Seele werde in diesem Augenblicke zugänglicher sein, als nach ruhiger Ueberlegung und vernünftigem Entschluß. Er fing also wieder an zu reden und traf auf dasselbe Schweigen, dieselbe Zerstreutheit, und nur noch einen gewissen unbewußten Trieb, seine Arme und seine Lippen zurückzuweisen, der nicht nachließ, obgleich auch nicht Kraft genug zum Zorne darin war. Als die Gondel anlegte, versuchte er Consuelo einen Augenblick zurückzuhalten, um ein ermuthigenderes Wort ihr abzugewinnen.

– Ach! Herr Graf, antwortete sie sanft und kalt, entschuldigen Sie den Zustand von Schwäche, worin ich mich befinde; ich habe nicht recht hingehört, allein ich verstehe Sie. Oh! ja, ich habe sehr gut verstanden. Ich bitte Sie, mir die Nacht zu gönnen, um nachzudenken, um aus der Verwirrung, in der ich mich befinde, zu mir selbst zu kommen. Morgen, ja ... morgen werde ich Ihnen ohne Umschweif antworten.

– Morgen, theure Consuelo! o, das ist ein Jahrhundert; allein ich will mich unterwerfen, wenn Sie mir zu hoffen erlauben, daß wenigstens Ihre Freundschaft ...

– Ja, ja, ja! Warum nicht hoffen? antwortete Consuelo mit ungewöhnlicher Stimme, indem sie den Fuß an das Ufer setzte. Aber folgen Sie mir nicht, setzte sie hinzu mit einer gebieterischen Bewegung, welche ihn in die Gondel zurückwies. Sonst würden Sie nichts zu hoffen haben.

Scham und Unwille hatten ihr wieder Kraft gegeben, aber eine nervöse, fieberische Kraft, die sich, während sie ihre Treppe hinaufstieg, in einem krampfhaften, erschreckenden Lachen Luft machte.

– Sie sind sehr lustig, Consuelo! rief ihr in der Dunkelheit eine Stimme zu, welche sie fast zu Boden geschlagen hätte. Ich wünsche Ihnen Glück zu Ihrer guten Laune!

– Ha, ja! antwortete sie, gewaltsam Anzoleto's Arm ergreifend und hastig mit ihm nach ihrem Zimmer hinaufsteigend; ich danke dir, Anzoleto! Du hast Recht, mir Glück zu wünschen, ich bin in Wahrheit vergnügt, o herrlich vergnügt.

Anzoleto, der sie erwartete, hatte die Lampe schon angezündet. Als das bläuliche Licht beiden auf die entstellten Züge fiel, graute ihnen vor einander.

– Wir sind sehr glücklich, nicht wahr, Anzoleto? sagte sie mit grasser Stimme, und verzog ihre Züge zu einem Lächeln, wovon ein Thränenstrom über ihre Backen stürzte. Was meinst du zu unserem Glück?

– Ich meine, Consuelo! versetzte er mit bitterem Lächeln und mit trockenen Augen, es hat uns etwas Mühe gekostet, uns darein zu finden, aber es wird mit der Zeit schon gehen.

– Du schienst mir in der That recht eingewöhnt im Boudoir der Corilla.

– Und du, ich finde dich schon recht vertraut mit der Gondel des Herrn Grafen.

– Des Herrn Grafen? ... Also das wußtest du, Anzoleto, daß der Herr Graf mich zu seiner Maitresse hat machen wollen?

– Ei, und um dich nicht zu geniren, meine Theure! habe ich bescheidentlich meinen Rückzug genommen.

– Ach, du wußtest das? und das war der Augenblick, den du gewählt hast, um mich zu verlassen?

– Habe ich nicht recht daran gethan? Und bist du nicht mit deinem Loose zufrieden? Der Graf ist ein reicher, prächtiger Liebhaber und der arme durchgefallene Debütant hätte ihm nicht die Wage halten können, denk ich.

– Porpora, mein Meister, wie Recht hattest du: ein schändlicher Mensch! Hinaus, gehen Sie hinaus, Sie sind nicht werth, daß ich mich rechtfertige, und ich würde mich für beschimpft halten, wenn Sie unsere Trennung bedauerten. Hinaus! sage ich. Aber erst sollen Sie wissen, daß Sie in Venedig frei debütiren und mit der Corilla in San Samuel auftreten können: nie wieder wird die Tochter meiner Mutter ihre Füße auf diese unedeln Bretter setzen, die sie das Theater heißen.

– Die Tochter Ihrer Mutter, der Zingara, wird demnach wohl die große Dame spielen in der Villa Zustiniani's an den Ufern der Brenta? Das wird ein herrliches Leben sein, und ich bin entzückt darüber.

– O meine Mutter! rief Consuelo, und gegen ihr Bett gekehrt auf ihre Kniee stürzend vergrub sie das Gesicht in der Decke, welche der Zingara zum Sterbelaken gedient hatte.

Anzoleto wurde erschreckt und erschüttert von dieser gewaltsamen Bewegung und von dem furchtbaren Schluchzen, das er in der Brust Consuelo's grollen hörte. Heftige Bisse fielen die seinige an und er sprang hinzu, um seine Freundin in seine Arme zu nehmen und aufzuheben. Aber sie erhob sich selbst, sie warf ihn mit wilder Gewalt zurück und stieß ihn zur Thüre, indem sie schrie:

– Hinaus von mir, hinaus von meinem Herzen, hinaus von meinem Gedächtniß!Adieu! Adieu auf ewig!

Anzoleto war gekommen mit einem Gedankens schneidender Selbstsucht, und doch dem besten freilich, auf den er hätte verfallen können. Er hatte sich nicht stark genug gefühlt, sich von ihr loszureißen und er hatte einen mittleren Weg gefunden, um alles zu vereinigen, nämlich ihr zu sagen, daß Zustiniani's verliebte Pläne ihre Ehre bedrohten und sie so vom Theater zu entfernen. In diesem Vorhaben lag eine Huldigung, die er der Keuschheit und dem Stolze Consuelo's darbrachte. Er wußte, daß sie nicht fähig war, in einer zweideutigen Stellung zu unterhandeln und, eine Protection anzunehmen, die sie hätte erröthen machen. Er hegte noch in seiner strafbaren und verderbten Seele einen unerschütterlichen Glauben an die Unschuld dieses jungen Mädchens, das er so keusch, so treu, so hingegeben wiederzufinden hoffte, wie er es einige Tage zuvor verlassen hatte.

Wie aber diese heilige Scheu vor ihr vereinigen mit seinem Plane, sie zu täuschen und ihr Bräutigam, ihr Freund zu bleiben, ohne mit der Corilla zu brechen? Er wollte die letztere wieder auf die Bühne ziehen, um mit ihr aufzutreten und konnte nicht daran denken, sich von ihr zu trennen in einem Augenblick, da sein Erfolg ganz von ihr abhängen zu sollen schien.

Er hatte diesen frechen, nichtswürdigen Plan inzwischen durchgedacht und er behandelte Consuelo darin wie gewisse Italienerinnen ihre Madonnen, vor denen sie in der Stunde der Reue beten und denen sie in der Stunde der Sünde ein Tuch vors Gesicht hängen.

Als er sie so glänzend und dem Anscheine nach so übermüthig in ihrer Buffarolle auf dem Theater sah, fürchtete er schon, zu viel Zeit mit dem Ausreifen seines Planes verloren zu haben. Als er sie wieder in die Gondel des Grafen treten und nachher mit einem convulsivischen Gelächter heimkommen sah, und die Pein dieser verstörten Seele nicht begriff, glaubte er, daß es nun zu spät sei und Aerger und Verdruß bemächtigten sich seiner.

Aber als er sie von seinen Beschimpfungen sich aufraffen, als er sich verächtlich hinausgestoßen sah, kehrte die Hochachtung zugleich mit der Furcht in ihn zurück und er irrte lange auf der Treppe und auf der Riva umher und wartete, ob sie ihn nicht zurückrufen würde. Er wagte sich selbst bis an ihr Zimmer und pochte an und flehte durch die Thür um Verzeihung. Aber eine Todtenstille herrschte in diesem Zimmer, dessen Schwelle er nie wieder mit Consuelo überschreiten sollte. Er zog sich beschämt und voll Verdruß zurück und nahm sich vor, am andern Tage wieder zu kommen, wo er dann glücklicher zu sein hoffte.

– Bei dem allen, sagte er zu sich, wird mein Plan gelingen; sie weiß, daß der Graf sie liebt; das Geschäft ist also zur Hälfte gethan.

Uebermüdet wie er war, schlief er in den Tag hinein, und erst Nachmittags begab er sich zur Corilla.

– Eine große Neuigkeit! rief ihm diese entgegen und streckte die Arme nach ihm aus; die Consuelo ist fort.

– Fort? Und mit wem? Allmächtiger Gott! Und wohin?

– Nach Wien, um dort den Porpora zu erwarten. Sie hat uns alle angeführt, die kleine Larve. Sie war für das kaiserliche Theater engagirt, wo Porporas neue Oper gegeben werden soll.

– Fort! fort, ohne mir ein Wort zu sagen! rief Anzoleto und stürzte zur Thür.

– O, das wird dir nichts helfen, sie in Venedig zu suchen, sagte die Corilla mit boshaftem Lächeln und mit einem triumphirenden Blick. Sie ist in aller Frühe hinübergefahren nach Palestrina Dieses Palestrina (nicht mit dem bekannteren Gebirgsstädtchen in der Nähe Roms zu verwechseln) ist eine Laguneninsel unterhalb Venedigs. Unterhalb, also auf der Straße nach Süden, nach Pomposa, Ravenna, Rimini. Die Ueberfahrt nach Palestrina könnte nur den Zweck haben, um in dem Hafen des dicht dabei gelegenen Chioggia (Chiozza im venetian. Dialekt) zu Schiffe zu gehen nach Triest. Consuelo muß aber guten Wind gehabt haben, um in den sieben oder acht Stunden, die seit ihrer Abreise verflossen sein können, schon Triest erreicht und noch ein Stück ins Land hinein zurückgelegt zu haben. Das Dampfboot braucht gewöhnlich mehr. Vielleicht verwechselt die Corilla hier Palestrina mit Fusina, von wo auf die Landstraßen nach dem Westen und Norden gehen. – Anm. d. Ueb., und ist schon weit auf dem Festlande. Zustiniani, der sich geliebt glaubte und nun sieht, daß man ihn zum Besten gehabt, ist wüthend; er liegt zu Bett und hat das Fieber. Aber er hat eben jetzt den Porpora zu mir geschickt, um mich zu bitten, daß ich heute Abend singen möchte, und Stefanini, der das Theater sehr satt hat und je eher je lieber in seinem Schloß die Annehmlichkeiten eines zurückgezogenen Lebens zu genießen wünscht, erwartet den Wiederanfang deiner Debüts mit Schmerzen. Denke also daran, morgen in der Ipermnestra wieder aufzutreten. Ich, ich eile in die Probe, wo ich erwartet werde. Du magst, wenn du mir nicht glaubst, einen Gang durch die Stadt machen, da wirst du dich von der Wahrheit überzeugen.

– Ha, Furie! schrie Anzoleto, du siegst! aber du raubst mir mein Leben.

Und er fiel ohnmächtig auf den gewirkten Teppich der Courtisane hin.

4.

Am meisten in Verlegenheit wegen der Rolle, welche er zu spielen hätte, war in Folge von Consuelo's Flucht Graf Zustiniani. Hatte er doch ausgesprengt und ganz Venedig glauben gemacht, daß die wundervolle Debütantin seine Maitresse wäre: welche Auslegung nun, die seiner Eigenliebe schmeicheln konnte, sollte er dem Umstand geben, daß sie bei dem ersten Versuche einer Erklärung von seiner Seite sich schnell und geheimnißvoll seinen Wünschen und Hoffnungen entzogen hatte? Manche bildeten sich ein, er halte sie, ein eifersüchtiger Wächter seines Schatzes, auf einem seiner Landsitze verborgen.

Als man aber von Porpora, dessen schroffe Schonungslosigkeit sich nie verleugnete, erfuhr, daß seine Schülerin sich bewogen gefunden habe, nach Deutschland zu reisen, wo sie ihn selbst erwarten würde, brauchte Niemand mehr die Beweggründe dieses seltsamen Entschlusses weit zu suchen. Der Graf suchte sich zwar zu verstellen und keinerlei Verdruß oder Ueberraschung zu zeigen, allein sein Mißmuth verrieth sich wider seinen Willen, und man hörte auf, ihm den Sieg beizumessen, wegen dessen man ihn glücklich gepriesen hatte. Der größere Theil des Wahren an der Sache wurde aller Welt klar, nämlich Anzoleto's Untreue und Corilla's Nebenbuhlerschaft und die Verzweiflung der armen Spanierin, welche man lebhaft zu beklagen und schmerzlich zu vermissen anfing.

Anzoleto war in der ersten Aufregung zu Porpora gelaufen, aber dieser hatte ihn strenge abgewiesen:

– Frage mich nicht, ehrgeiziger, herzloser, ungetreuer Jüngling, hatte ihm der Meister zürnend geantwortet, du bist nie der Zuneigung dieses edeln Mädchens werth gewesen und nie sollst du von mir erfahren, was aus ihr geworden ist. Ich werde alles thun, was in meinen Kräften steht, um dir die leiseste Spur von ihr zu verbergen, und solltest du einst durch Zufall wieder mit ihr zusammentreffen, dann, hoffe ich, wird dein Bild, so wie ich es wünsche und daran arbeite, aus ihrem Herzen und aus ihrer Erinnerung hinweggelöscht sein.

Von Porpora war Anzoleto nach der Corte-Minelli geeilt. Er hatte Consuelo's Zimmer schon von einem neuen Miether in Besitz genommen und ganz mit dessen Arbeitsgeräth vollgepfropft gefunden. Es war ein Glasperlenfabrikant., der seit längerer Zeit im Hause wohnte und der seine Werkstatt mit großer Freude in dieses Zimmer verlegt hatte.

– Aha, du bist's, mein Junge! rief er dem jungen Tenore zu; du willst mich wohl in meinem neuen Logement besuchen? Ich habe da nun ein herrliches Arbeitscabinet und meine Frau ist ganz vergnügt, daß sie unten Platz für alle ihre Kinder gewonnen hat. Was suchst du? Hat die Consuelo vielleicht irgend etwas hier vergessen? Suche, mein Kind, sieh nach. Ich habe nichts dawider.

– Wo sind ihre Möbel hingekommen? fragte Anzoleto ganz bestürzt und schmerzlich bewegt, daß er keine Spur mehr von Consuelo an diesem den reinsten Freuden seines ganzen bisherigen Lebens geweihten Orte fand.

– Die Möbel sind unten auf dem Hofe. Sie hat alles der Mutter Agathe geschenkt, das ist recht schön von ihr. Die Alte ist arm und wird sich ein paar Groschen baares Geld daraus machen. O, die Consuelo hat immer ein gutes Herz gehabt. Sie ist nicht einen Heller in der Corte schuldig geblieben und hat alle Welt noch zum Abschiede beschenkt. Sie hat nichts mitgenommen als ihr Crucifix. Es ist aber bei dem allen eine possierliche Geschichte, dieser Abzug mitten in der Nacht und ohne einem Menschen ein Wort davon zu sagen. Meister Porpora ist heute in der Frühe dagewesen und hat alles in Ordnung gebracht: es war wie die Vollstreckung eines Testaments. Allen Nachbarn hat es bitter leid gethan, aber auf die Letzt tröstet man sich, wenn man denkt, daß sie ganz gewiß in einem schönen Pallast am Canalazzo wohnen wird, jetzt wo sie reich und eine große Dame ist! Ich für mein Theil, ich habe es immer gesagt, daß sie mit ihrer Stimme noch Glück machen wird. Sie hat sich so viel Mühe gegeben. Nun! wann ist die Hochzeit, Anzoleto? Ich hoffe doch, du wirst mir was abkaufen zu Geschenken für die jungen Mädchen im Quartiere, he?

– Ja wohl, ja wohl! antwortete Anzoleto ganz verwirrt. Er entfloh mit dem Tod im Herzen, und auf dem Hofe sah er alle alten Weiber aus der Nachbarschaft versammelt, die auf Consuelo's Bett und Tisch im Aufstreich boten: dieses Bett, in dem er sie schlafen, diesen Tisch, an dem er sie arbeiten gesehen!

– O mein Gott! nichts, nichts mehr von ihr! rief er unwillkührlich und die Hände ringend. –

Er hätte die Corilla ermorden mögen.

Nach drei Tagen trat er mit der Corilla im Theater auf. Beide wurden mit Schimpf und Schande ausgezischt, man mußte den Vorhang niederlassen und konnte das Stück nicht zu Ende spielen: Anzoleto war wüthend, die Corilla unbewegt.

– Das trägt mir nun deine Protection ein! rief er ihr drohend zu, als sie sich mit einander allein befanden.

Die Prima Donna antwortete ihm mit vieler Ruhe:

– Du erhitzest dich um ein Nichts, mein gutes Kind! man sieht, daß du das Publikum nicht kennst und seinen Launen noch nicht Stand gehalten hast. Ich war so gefaßt auf die heutige Schlappe, daß ich mir gar nicht die Mühe gemacht habe, meine Rolle durchzugehen; und ich habe es dir nur deshalb nicht vorhergesagt, weil ich wohl wußte, daß du mit der Gewißheit, ausgepfiffen zu werden, nicht den Muth haben würdest, vor dem Publikum zu erscheinen. Jetzt aber mußt du erfahren, was uns noch bevorsteht. Das nächste Mal wird uns noch ärger mitgespielt werden. Drei, vier, sechs, acht Aufführungen vielleicht werden so hingehen; aber während dieser Stürme wird sich eine Opposition zu unseren Gunsten kund geben. Und wären wir die niedrigsten Landläufer der Welt, der Geist des Widerspruchs und der Unabhängigkeit würde uns doch von Tage zu Tage eifrigere Anhänger werben. Es giebt eben so viele Leute, die sich groß zu machen glauben, wenn sie Andere beschimpfen, als es ihrer giebt, die sich groß zu machen glauben, wenn sie sich der Beschimpften annehmen. Ein Dutzend Male wird der Saal ein Schlachtfeld der Pfeifenden und Klatschenden sein, dann werden die Widersacher allmählig müde werden, die Hartnäckigsten werden noch ein wenig brummen und wir werden in eine neue Phase eintreten. Diejenige Hälfte des Publikums, die sich unserer annahm, ohne recht zu wissen warum, wird uns mit einiger Kälte anhören, wir werden wieder eine Art Debüt durchzumachen haben, und es liegt dann, so wahr Gott lebt, nur an uns, das Publikum hinzureißen und Sieger zu bleiben. Ich sage dir für diesen Moment große Triumphe voraus, lieber Anzoleto! der Zauber, der bisher auf dir lag, wird gelöst sein, du wirst die Lust der Aufmunterung und des süßen Lobes athmen und wirst dadurch zu Kräften kommen. Denke nur an den Effekt, den du das erste Mal, als du bei Zustiniani sangst, hervorgebracht hast. Du hattest nicht Zeit, deine Eroberung zu befestigen, ein glänzenderes Gestirn stieg zu rasch auf, um dich nicht zu verdunkeln; aber dieses Gestirn ist unter den Horizont zurückgesunken und du mußt dich nun bereit halten, mit mir wieder aufzusteigen in den höchsten Himmel.

Es kam alles so wie die Corilla es vorausgesagt hatte. Man ließ die beiden Liebenden in der That während einiger Tage den Verlust, den das Publikum in Consuelo erlitten hatte, schwer büßen. Aber ihre Beharrlichkeit, dem Sturm zu trotzen, erschöpfte diesen Zorn, der zu heftig losgeplatzt war, um lange auszudauern. Der Graf unterstützte die Anstrengungen der Corilla. Und in Betreff Anzoleto's that er zwar Schritte, um einen primo uomo nach Venedig zu ziehen; da er diese jedoch vergeblich sah in so später Jahreszeit, wo alle Engagements bei den vornehmsten Theatern Europas abgeschlossen waren, fügte er sich in das Unvermeidliche und nahm ihn zum Mitkämpfer in dem Strauß an, der zwischen dem Publikum und der Administration seines Theaters ausgefochten wurde.

Dieses Theater war zu glänzend in Aufnahme, als daß ihm die allgemeine Gunst um Dies und Das verloren gehen konnte. Geheiligte Gewohnheiten ließen sich durch so etwas nicht über den Haufen werfen. Alle Logen waren für die Saison vermiethet. Die Damen hielten darin ihren Salon und die Unterhaltung ging wie gewöhnlich. Die wahren Dilettanti grollten einige Zeit; sie waren nicht zahlreich genug, um sich bemerklich zu machen. Auch sie wurden endlich des Haders überdrüssig und eines schönen Abends, als die Corilla mit Feuer gesungen hatte, wurde sie einstimmig gerufen. Sie erschien, Anzoleto nach sich ziehend, den man nicht verlangt hatte und der mit bescheidener, furchtsamer Miene einer sanften Gewalt nachzugeben schien. Er erhielt seinen Antheil an dem Beifall und wurde Tags darauf wirklich mit gerufen.

Endlich, ehe ein Monat vergangen war, war Consuelo vergessen, wie ein Blitz, der den Sommerhimmel durchschneidet. Corilla machte Furore wie zuvor und verdiente es vielleicht mehr, denn die Nacheiferung hatte ihr mehr »Entrain« gegeben und die Liebe gab ihr bisweilen einen gefühlteren Vortrag ein.

Anzoleto hatte zwar seine Fehler nicht abgelegt, aber es war ihm geglückt, seine unbestreitbaren Vorzüge zu entfalten. Man hatte sich an jene gewöhnt und bewunderte diese. Seine reizende Erscheinung bezauberte die Frauen; in den Salons riß man sich um ihn, und um so mehr, als Corilla's Eifersucht den Koketterien, deren Gegenstand er war, etwas Pikanteres gab.

Auch die Clorinda entfalten ihre Mittel auf der Bühne, nämlich ihre schwerfällige Schönheit und die lascive Nonchalance einer Beschränktheit ohne Gleichen, aber nicht ohne Reiz für eine gewisse Klasse von Zuschauern. Zustiniani hatte, um sich von seinem ziemlich tiefen Gram zu zerstreuen, aus ihr seine Maitresse gemacht, belud sie mit Diamanten und stieß sie in die ersten Rollen hinein, indem er hoffte, sie zur Nachfolgerin der Corilla zu bilden, welche für die nächste Saison ein definitives Engagement in Paris hatte.

Corilla sah diese Concurrenz, von der sie weder jetzt noch künftig etwas zu fürchten hatte, ohne Neid; sie fand vielmehr ein boshaftes Vergnügen darin, diese Unfähigkeit, die sich ohne Anstand zum Besten gab und vor nichts zurückwich, recht hervortreten zu lassen. Die beiden Creaturen lebten daher in gutem Einvernehmen und beherrschten eigenmächtig die Administration. Sie brachten jede ernsthafte Oper, die sie wollten, auf das Repertoir und nahmen Rache an Porpora, indem sie die seinigen zurücksetzten, um seinen unwürdigsten Nebenbuhlern zum Glanze zu verhelfen. Sie vereinigten ihren Einfluß, um allem, was ihnen mißfiel, zu schaden und alles zu begünstigen, was sich vor ihrer Macht demüthigte. Die Folge davon war, daß man in diesem Jahre in Venedig die Werke aus der Zeit des Verfalls beklatschte und es ganz vergaß, daß daselbst die wahre, die große Musik vordem geherrscht hatte.

Mitten in seinen Erfolgen und im Genusse seines Wohllebens (denn er hatte ein Engagement vom Grafen erlangt, das vortheilhaft genug war) fand sich Anzoleto von allem angeekelt und erlag unter der Last eines traurigen Glückes. Es war ein Jammer, ihn zu sehen, wenn er sich in die Proben schleppte; er hing am Arme der triumphirenden Corilla, bleich, verhärmt, schön wie ein Engel, stumpf und fade, daß es ein Spott war, gelangweilt wie jeder, der angebetet wird, erloschen und elend unter den Lorbeern und Myrten, die er so leicht und so üppig gepflückt hatte. Selbst auf der Bühne, wenn er mit seiner glühenden Geliebten in Handlung war, konnte er es nicht lassen, ihr durch stolze Haltung und unverhohlenen Ueberdruß seinen Widerwillen zu bezeigen. Wenn sie ihn mit den Augen verschlang, schienen seine Blicke dem Publikum zu sagen: Glaubt nur nicht, daß ich alle diese Liebe theile. Wer mich davon befreien wollte, würde mir im Gegentheile einen großen Dienst erweisen.

Verleitet und verdorben durch Corilla, kehrte Anzoleto jetzt gegen sie die Schärfe der Selbstsucht und des Undanks, die sie in ihm gegen die ganze Welt aufgeregt hatte. Es blieb nur noch ein einziges wahres und in seinem Wesen reines Gefühl ihm übrig: die unzerstörbare Liebe, die er trotz seiner Laster für Consuelo im Herzen nährte. Er konnte sie sich, Dank seiner leichtfertigen Natur, auf Augenblicke aus dem Sinne schlagen, aber er konnte nicht davon gesunden und diese Liebe brach in ihm wie ein innerer Vorwurf, wie eine Marter mitten unter seinen sträflichen Verirrungen immer wieder hervor.

Ungetreu der Corilla, sich in tausend galante Intriguen verstrickend, heut mit der Clorinda, um sich im Geheimen an dem Grafen zu rächen, morgen mit einer berühmten Schönheit aus den höchsten Kreisen, übermorgen mit der unsaubersten Dirne aus dem Chor, und von dem reizenden Boudoir zur frechen Orgie, von den Gluten der Corilla zu den bedachtlosen Ausschweifungen der Tafel überspringend, schien er es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, jede Erinnerung an die vergangene Zeit gewaltsam in sich zu ersticken.

Aber mitten in diesem unordentlichen Leben schien sich ein Gespenst an seine Fersen zu heften, und unwillkürlich schluchzte seine Brust, wenn er mitten in der Nacht, in der Gondel, mit seiner lärmenden, lustberauschten Gesellschaft, an den dunkeln Gebäuden der Corte Minelli hinfuhr.

Die Corilla, welche, wie alle gemeinen Seelen nur nach Maßgabe der Verachtung und Erniedrigung, welche sie erfuhr, zu lieben fähig war, hatte sich seine schlechte Behandlung lange Zeit gefallen lassen, bis sie endlich dennoch einer so unheilvollen Leidenschaft müde wurde. Sie hatte sich geschmeichelt, diese wilde, unabhängige Natur zu bezähmen und in Ketten zu schlagen. Daran hatte sie mit heißer Begierde gearbeitet und hatte alles daran gesetzt. Als sie einsah, daß es ihr nie gelingen würde, fing sie an ihn zu hassen und suchte sich zu zerstreuen und zu rächen.

In einer Nacht, als Anzoleto in der Gondel mit Clorinda durch die Kanäle irrte, sah er eine andere Gondel an der seinigen vorüberschlüpfen, deren ausgelöschte Laterne auf ein verstohlenes Rendezvous schließen ließ. Er gab wenig Acht darauf, aber die Clorinda, die in ihrer Furcht, entdeckt zu werden, immer auf der Lauer war, flüsterte ihm zu:

– Laß uns langsamer fahren. Es ist des Grafen Gondel. Ich habe den Gondelier erkannt.

– Wenn das ist, laß uns schneller fahren, versetzte Anzoleto; ich will sie einholen, um zu sehen, mit welcher Untreue er dich für die deinige bezahlt.

– Nein, nein! Kehren wir um! rief die Clorinda. Er hat ein so scharfes Auge und ein so feines Ohr! Wir müssen uns hüten, ihn aufmerksam zu machen.

– Vorwärts, sage ich dir! heischte Anzoleto seinem Barcarolen zu, ich will die Barke überholen, die du da vor uns siehst.

Es war, ungeachtet der Bitten und der Angst Clorinda's, die Sache eines Augenblicks. Die beiden Barken streiften sich von neuem und Anzoleto vernahm aus der benachbarten Gondel ein schlecht ersticktes Lachen.

– Nun siehe da, sagte er, das ist ehrlicher Krieg: die Corilla ist es, welche mit dem Herrn Grafen die Abendkühle genießt.

Bei diesen Worten sprang Anzoleto auf das Vordertheil seiner Gondel, nahm das Ruder seinem Barcarol aus den Händen und holte mit einigen raschen Schlägen die vordere Gondel noch einmal ein, streifte sie wieder, und – sei es, daß er seinen Namen mitten aus dem Gelächter der Corilla herausgehört, oder daß er einen Anfall von Tollheit hatte – er hob mit lauter Stimme an:

– Theuerste Clorinda, du bist ohne Widerrede die schönste und die liebenswertheste von allen Frauen.

– Dasselbe sagte ich jetzt eben zur Corilla, antwortete der Graf im Augenblick, indem er aus dem Cabinette trat und sich mit großer Ungezwungenheit gegen die andere Gondel kehrte; und jetzt, da unsere beiderseitige Fahrt am Ende ist, könnten wir füglich tauschen, als ein paar ehrliche Leute, die in Kostbarkeiten von gleichem Werthe handeln.

– Der Herr Graf läßt meiner Loyalität Gerechtigkeit widerfahren, erwiederte Anzoleto in demselben Tone. Ich will ihm, mit seiner gnädigen Erlaubniß, meinen Arm anbieten, damit er mit Bequemlichkeit sein Gut in Empfang nehme, wo er es findet.

Der Graf, der ich weiß nicht was für einen höhnischen und verächtlichen Einfall gegen ihn und ihrer beiden gemeinschaftliche Maitressen auslassen wollte, streckte seinen Arm aus, um sich auf Anzoleto zu stützen. Aber der Tenorist, von Hasse verzehrt in kochender Wuth, warf sich plötzlich mit dem ganzen Gewicht seines Körpers auf die Gondel, daß sie umschlug, und schrie:

– Weib für Weib, Herr Graf und – Gondel für Gondel.

Er überließ seine Opfer ihrem Schicksale und die Clorinda ihrer tödtlichen Angst und den Folgen des Abentheuers, und erreichte schwimmend das gegenüberliegende Ufer; dann rannte er durch die finsteren und verschlungenen Gassen in seine Wohnung, wechselte in Hast die Kleider, raffte alles Geld zusammen, welches er liegen hatte, lief hinaus, warf sich in die erste Schaluppe, welche unter Segel ging, und hinfliegend gen Triest, schnippte er mit den Fingern zum Zeichen seines Sieges, als er die Thürme und Kuppeln von Venedig beim ersten Schimmer des Morgens in die Wellen tauchen sah.

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5.

Im Böhmerwalde, dem Gebirgszuge, welcher Böhmen von Baiern trennt, erhob sich noch vor hundert Jahren ein altes Schloß von weitläufiger Anlage, das, ich weiß nicht welcher Ueberlieferung zu Folge, Riesenburg hieß Der kundige Leser wird in den folgenden Abschnitten dieser von nun an ganz auf deutschem Boden spielenden Geschichte auf einige Willkürlichkeiten oder Irrthümer in den geschichtlichen und örtlichen Voraussetzungen stoßen, gewiß aber diese um so geneigter entschuldigen, als sich hier deutsche Geschichte und deutsche Verhältnisse im Allgemeinen mit weit mehr Sachkenntniß und Gewissenhaftigkeit geschildert finden, als es bei französischen Novellisten gewöhnlich der Fall ist. Zu Aenderungen hat der Uebersetzer sich nicht berufen geglaubt. Es wäre ja wohl auch eine zu deutsche Pedanterei, Staffage und Costüm mit feinster historischer Sonde zu untersuchen, und höchstens nur dann erlaubt, wenn der Verfasser aus Prahlerei und ohne höheren ästhetischen Zweck als um recht bunt die Farben zu mischen, einen Aufwand von geschichtlichem Flitterwerk angebracht hätte: nicht aber hier, wo Schauplatz, Zeit der Handlung, Charaktere der handelnden Personen, alle geschichtlichen Beziehungen und Berührungen mit großem Bedacht, der inneren Wahrheit des Ganzen wegen, und im Dienste des Grundgedankens, aus welchem der Roman entwickelt ist, gewählt und künstlerisch zu einem Ganzen geordnet sind. – A. d. U.. Es sah von weitem wie eine alterthümliche Festung aus, war aber nur ein Lustschloß. Das Innere desselben war in dem damals schon veralteten, doch immer prächtigen und vornehmen Geschmack Ludwigs XIV. verziert; und an dem Gebäude selbst war der mittelalterliche Baustyl hier und da mit Glück abgeändert, wenigstens in denjenigen Theilen, welche die Herren von Rudolstadt, die Besitzer dieser reichen Herrschaft, bewohnten.

Diese Familie, von böhmischem Ursprunge, hatte ihren deutschen Namen angenommen, als sie in der unglücklichsten Zeit des dreißigjährigen Krieges sich von der Reformation wieder lossagte. Ein edler, tapferer Ahnherr, ein unbeugsamer Protestant, war auf dem Berge bei seinem Schloß von einer fanatischen Söldnerbande grausam niedergemacht worden. Seine Wittwe, aus einer sächsischen Familie, rettete ihr Vermögen und das Leben ihrer jungen Kinder durch den Uebertritt zur katholischen Kirche und indem sie die Erziehung der Erben von Rudolstadt den Jesuiten anvertraute. Nach zwei Generationen, während Böhmen stumm und unterdrückt, die österreichische Macht völlig befestigt und Ruhm und Unglück der Reformation, wenigstens dem Anscheine nach, vergessen war, übten die Herren von Rudolstadt friedsam die christlichen Tugenden, bekannten den römischen Glauben und lebten auf ihren Gütern in Ueberfluß, aber in patriarchalischer Einfalt als gute Aristokraten und treue Diener Maria-Theresiens.

Sie hatten ehemals Beweise ihrer persönlichen Tapferkeit im Dienste Kaiser Karls VI. abgelegt. Aber der letzte Sproß dieses erlauchten und tapfern Geschlechtes, der junge Albert, des Grafen Christian von Rudolstadt einziger Sohn, hatte zu allgemeiner Verwunderung in dem österreichischen Erbfolgekriege, der so eben beendet war, keine Dienste genommen und hatte sein dreißigstes Jahr erreicht, ohne eine andere Bedeutung erworben oder erstrebt zu haben, als die ihm durch Geburt und Reichthum zugefallen war. Wegen dieses sonderbaren Benehmens hatte seine Monarchin ihn schon in Verdacht gehabt, mit ihren Feinden in geheimem Einverständniß zu stehen. Aber Graf Christian hatte, als ihm einmal die Ehre widerfuhr, seine Kaiserin in seinem Schlosse aufzunehmen, die Aufführung seines Sohnes durch Gründe gerechtfertigt, welche sie, wie es schien, zufrieden gestellt hatten. Von der Unterhaltung Maria-Theresiens mit dem Grafen von Rudolstadt war nichts bekannt geworden.

Ein seltsames Geheimniß herrschte im Schooße dieser frommen und mildthätigen Familie, welche seit zehn Jahren mit keinem Nachbar engeren Umgang pflog, welche sich durch kein Geschäft, keine Lustbarkeit, kein politisches Ereigniß von ihren Gütern hinweglocken ließ, welche reichlich und ohne Murren alle Kriegsauflagen bezahlte, ohne mitten unter den öffentlichen Stürmen und Leiden sich aus ihrer Ruhe schrecken zu lassen, welche endlich ganz abweichend von der gewöhnlichen Lebensart der Familien ihres Standes zu leben schien und Allen Mißtrauen einflößte, obgleich man von ihrem äußern Thun nie etwas anderes zu bemerken Gelegenheit fand als gute Werke und edle Handlungen.

Weil man sich dieses schroffe und abgeschlossene Leben nicht zu erklären vermochte, klagte man die Rudolstadt bald einer menschenfeindlichen Gesinnung, bald des Geizes an; da aber ihr Verhalten fort und fort diese Beschuldigungen Lügen strafte, so sah man sich darauf beschränkt, ihnen einfach eine zu große Trägheit und Stumpfheit vorzuwerfen.

Man erzählte sich, Graf Christian habe nur das Leben seines einzigen Sohnes und des letzten Erben seines Namens nicht in diesen unglückseligen Kriegsläufen aussetzen wollen und die Kaiserin habe zur Ablösung der persönlichen Dienste desselben eine hinlänglich starke Summe Geldes, um ein Husarenregiment zu equipiren, angenommen.

Die edeln Damen, welche mannbare Töchter hatten, sagten, Graf Christian habe weise gehandelt; als sie jedoch in Erfahrung brachten, daß der Graf entschlossen scheine, seinen Sohn in seiner eigenen Familie zu vermählen, indem er ihm die Tochter seines Bruders, des Barons Friederich zur Gattin bestimmt haben sollte, als sie vernahmen, daß die junge Baronin Amalie das Kloster in Prag, in welchem sie erzogen worden, verlassen hätte, um fortan bei ihrem Vetter auf Riesenburg zu wohnen, da erklärten diese edeln Damen einmüthig, daß die Familie Rudolstadt eine Rotte Wölfe wäre, allesamt immer einer ungeselliger und wilder als der andere. Nur einige unbestechliche Diener und einige ergebene Freunde wußten um das Geheimniß der Familie und hüteten es treulich.

Diese edle Familie saß eines Abends um einen Tisch, der mit Wildpret und mit vielen nahrhaften Speisen beladen war, denn unsere Vorfahren in den slavischen Ländern waren der vom Hofe Ludwigs XIV. aus in die aristokratischen Sitten des größten Theils Europas übergegangnen Verfeinerung zum Trotze damals noch den Gewohnheiten ihrer Väter treugeblieben. Ein riesenmäßiger Kamin, in welchem ganze Eichenkloben brannten, erwärmte den weiten und düsteren Saal.

Graf Christian hatte eben mit lauter Stimme das Benedicite beendet, welches die übrigen Mitglieder der Familie stehend angehört hatten. Zahlreiche Bediente, alle greise und ernsthaft, in Landestracht, in langen Mameluckenhosen und mit großen Schnauzbärten, beeilten sich mit Weile um ihre verehrten Gebieter.

Der Schloßkaplan saß zur Rechten des Grafen, und des Letzteren Nichte, die junge Baronin Amalie, an seiner Linken, der »Herzensseite«, wie er sich gefiel mit väterlicher ernstgemessener Galanterie zu sagen. Baron Friederich, sein jüngerer Bruder, den er immer seinen kleinen Bruder nannte, weil derselbe erst sechzig Jahre alt war, saß ihm gegenüber. Seine älteste Schwester, das Stiftsfräulein Wenceslawa von Rudolstadt, eine ehrwürdige Sechzigerin mit einem gewaltigen Höcker beladen und zum Erschrecken mager, saß am obern Ende des Tisches, und Graf Albert, Christians Sohn, Amaliens Verlobter, der letzte Rudolstadt, kam bleich und traurig und setzte sich mit zerstreuter Miene an das andere Ende, gegenüber seiner edeln Tante.

Von allen diesen schweigsamen Personen war Albert ohne Frage am wenigsten geneigt und am wenigsten gewohnt, die Andern aufzumuntern. Der Kaplan hatte eine so tiefe Ergebenheit für seine Herrschaft und so viel Ehrfurcht vor dem Haupte der Familie, daß er den Mund nicht aufthat, ohne durch einen Blick des Grafen Christian dazu angeregt zu sein, und dieser war von so ruhiger und gesammelter Natur, daß er fast niemals das Bedürfniß fühlte, in den Andern eine Ablenkung von seinen eigenen Gedanken zu suchen.

Baron Friederich war ein weniger tiefer Charakter und hatte mehr Beweglichkeit, aber keinen regsameren Geist. Eben so sanft und wohlwollend wie sein ältester Bruder, stand er diesem an Verstand und innerem Feuer nach. Seine Frömmigkeit war ganz Sache des Herkommens und der Angewöhnung. Seine einzige Leidenschaft war die Jagd. Damit brachte er seinen ganzen Tag hin, kam jeden Abend heim, ermüdet nicht – er war eine eiserne Natur – aber erhitzt, außer Athem und hungrig. Er aß für Zehne, trank für Dreißig, verlustigte sich beim Desert ein wenig mit Geschichtchen, wie sein Hund Saphir den Hasen gegriffen, oder wie seine Petze Diana den Wolf aufgespürt, oder wie sein Falke Attila gestiegen; und wenn man ihm mit unerschöpflicher Geduld zugehört hatte, so nickte er am Kamine auf einem schwarzledernen Großvaterstuhl sanft ein, bis seine Tochter ihn mit der Nachricht weckte, daß es Zeit sei, zu Bette zu gehen, denn es habe eben geschlagen.

Das Stiftsfräulein war von der ganzen Familie die geschäftigste. Sie konnte sogar für eine Schwätzerin gelten, denn es begegnete ihr mindestens zweimal in der Woche, daß sie mit dem Kaplan eine Viertelstunde lang unausgesetzt über Stammbäume der böhmischen, ungarschen und sächsischen Familien verhandelte, welche sie alle an den Fingern herzuzählen wußte, von dem königlichen Stammbaum bis zu dem des geringsten Edelmannes.

Was den Grafen Albert betrifft, so hatte sichtlich sein Verhalten etwas Schauerliches und Ergreifendes für die übrigen Mitglieder der Familie: es war als gälte jede seiner Bewegungen für ein Orakel und jedes seiner Worte für ein Gottesurtheil. Es mußte jedem, der nicht in das Geheimniß des Hauses eingeweiht war, unbegreiflich närrisch erscheinen, daß jedesmal, wenn er nur den Mund aufthat, und das geschah oft kaum ein einziges Mal binnen vier und zwanzig Stunden, sogleich die Blicke seiner Verwandten und der Dienerschaft sämmtlich auf ihn gerichtet waren; in solchem Augenblick konnte man eine innere Angst, eine schmerzlich zärtliche Besorgniß auf allen Gesichtern lesen, mit Ausnahme der einzigen Amalie, die seine Worte nicht immer ohne irgend ein Zeichen von Ungeduld oder Spottlust aufnahm und allein es wagte, ihm unbefangen zu antworten, entweder in wegwerfendem Tone oder mit guter Laune, je nachdem gerade ihre Stimmung war.

Diese Schönheit, ein junges Mädchen, blond, ziemlich lebhaft gefärbt, munter und wohlgeformt, war in ihrer Art ein Juwel, und wenn ihr ihre Kammerfrau das sagte, um ihr in ihrem gelangweilten Dasein eine Zerstreuung zu machen, antwortete sie wohl: Ach leider bin ich eine Perl, in meiner trübseligen Familie eingeschlossen wie in einer Muschel, deren Schale diese gräuliche Riesenburg ist. Dies wird hinreichen, um den Leser merken zu lassen,was für einen unruhigen Vogel dieser grausame Käfigt einschloß.

An diesem Abende wurde das feierliche Schweigen, welches auf der Familie zu ruhen pflegte, sonderlich beim ersten Gericht, denn die beiden alten Herren wie das Stiftsfräulein und der Kaplan hatten einen gesunden und regelmäßigen Appetit, der sich in keiner Jahreszeit verleugnete – an diesem Abend wurde das Schweigen vom Grafen Albert unterbrochen.

– Welch furchtbares Wetter! sagte er mit einem tiefen Seufzer.

Alles sah sich mit Erstaunen an, denn wenn auch das Wetter seit einer Stunde, daß man sich im Innern des Schlosses befand und die dichten eichenen Fensterläden geschlossen hatte, finster und drohend geworden war, so konnte man es doch im Saale nicht bemerken. Eine tiefe Stille herrschte außen wie innen, und nichts deutete an, daß ein Unwetter bevorstehe.

Indessen unterstand sich Niemand, Albert zu widersprechen, und auch Amalie begnügte sich die Achseln zu zucken; das Spiel der Gabeln und das Klappern der Teller, welche die Bedienten gemächlich umwechselten, begann wieder nach diesem kurzen Augenblick der Unterbrechung und Unbehaglichkeit.

– Hören Sie nicht den Sturm, der sich durch die Fichten des Böhmerwaldes Bahn bricht, und das Brausen des Wassers, das bis hierher dringt? hob Albert wieder an mit lauterer Stimme und seinen Vater starr anblickend.

Graf Christian antwortete nicht. Der Baron, der die Gewohnheit hatte, immer zu besänftigen, antwortete an seiner Statt, ohne von dem Stück Braten aufzusehen, das er mit so kräftigen Schnitten zertheilte, als ob er einen Granitblock vor sich hätte.

– In der That, sagte er, der Wind blies aus dem Regenloche bei Sonnenuntergang und wir könnten wohl auf Morgen schlechtes Wetter kriegen.

Albert lächelte mit einer seltsamen Miene und alles versank wieder in das vorige Schweigen. Aber kaum fünf Minuten waren vergangen und ein fürchterlicher Windstoß erschütterte die Scheiben der ungeheuern Fensterflügel, heulte in wiederholten Absätzen, das Wasser im Graben aufpeitschend, und verlief sich in die Gipfel des Gebirges mit so scharfem und kläglichem Aechzen, daß alle Anwesenden erbleichten, mit Ausnahme Albert's, der noch einmal mit demselben unbeschreiblichen Ausdruck wie das erste Mal lächelte.

– Es ist draußen, sagte er, in diesem Augenblick eine Seele, die der Sturm uns zuführt. Ihr würdet wohl thun, Herr Kaplan! für die zu beten, welche in unserm unwirthlichen Gebirge unter den Schlägen des Unwetters reisen.

– Ich bete unaufhörlich und aus der Tiefe meiner Seele, antwortete der Kaplan am ganzen Leibe zitternd, für die, welche auf den rauhen Pfaden des Lebens unter den Stürmen der menschlichen Leidenschaften pilgern.

– Geben Sie ihm doch keine Antwort, Herr Kaplan! sagte Amalie, ohne auf die Blicke und Zeichen zu achten, welche von allen Seiten sie bedeuteten, diese Unterhaltung nicht fortzuführen; Sie wissen ja, daß mein Cousin sich ein Vergnügen daraus macht, die Andern mit Räthseln zu martern. Ich für mein Theil bin übrigens nicht neugierig auf die Auflösung seiner Räthsel.

Graf Albert schien auf die spitzen Aeußerungen seiner Cousine nicht mehr zu achten, als sie auf seine wunderlichen Reden. Er legte den einen Ellbogen auf seinen Teller, der fast immer leer und rein vor ihm stand, und blickte starr auf das Damast-Tischtuch, dessen Blumen und Felder er zu zählen schien, wiewohl er in eine Art ekstatischen Träumens versunken war.

6.

Ein wüthender Sturm brach noch während des Abendessens aus, das immer genau zwei Stunden dauerte, nicht mehr, nicht minder, selbst an den Fasttagen, die gewissenhaft beobachtet wurden, den Grafen aber niemals aus seinen Gewohnheiten rissen, welche er eben so heilig hielt wie die Vorschriften der römischen Kirche. Gewitter waren zu häufig in diesen Bergen und das Gerassel des Sturmes und der Donnerschläge, welches in den ausgedehnten Wäldern, die damals noch ihre Hänge bedeckten, gewaltig toste und widerhallte, war den Bewohnern des Schlosses etwas zu bekanntes, um sie außerordentlich aufzuregen. Aber die ungewöhnliche Bewegung, welche Graf Albert blicken ließ, theilte sich unwillkürlich der Familie mit, und der Baron, der sich in der Muße seiner Verdauung gestört fand, würde ohne Zweifel verdrießlich geworden sein, wenn es seiner Herzensgüte und Sanftmuth möglich gewesen wäre, sich einen Augenblick zu verleugnen. Er ließ es also bei tiefen Seufzern bewenden, als plötzlich beim Entremets ein furchtbarer Blitz den Vorschneider dermaßen erschreckte, daß er das Gelenk der Wildschweinskeule verfehlte, mit deren Zerlegung er eben beschäftigt war.

– Geschehen ist's! sagte der Baron, indem er dem über seinen Unfall bestürzten Vorschneider lächelnd zunickte.

– Ja, Oheim, Sie haben Recht, rief Graf Albert laut und sprang von seinem Stuhl; geschehen ist's! Der Hussit ist herunter, der Blitz hat ihn getroffen. Er wird kein Laub wieder tragen im Frühling.

– Was meinst du, lieber Sohn, sagte der alte Christian traurig bewegt: redest du von der großen Eiche vom Schreckensteine?

– Ja, Vater von der großen Eiche rede ich, an deren Aesten wir vorige Woche mehr als zwanzig Augustinermönche aufgehängt haben.

– Nun macht er Jahrhunderte zu Wochen! sagte das Stiftsfräulein leise und bekreuzigte sich. Wenn es wahr ist, mein liebes Kind, setzte sie zu ihrem Neffen gewendet lauter hinzu, daß du in deinem Traume eine Sache gesehen hast, so wirklich geschehen ist oder nächstens noch geschehen soll (wie denn in der That dieses sonderbare Begebniß schon mehrmals in deiner Einbildungskraft aufgetaucht ist), so werden wir wenigstens nicht viel verloren haben an dieser garstigen, halb vertrockneten Eiche, die uns, so wie auch der Felsen, den sie beschattet, nur an unglückliche Ereignisse der Geschichte erinnert.

– Ich für mein Theil, fiel Amalie lebhaft ein, die froh war, endlich eine Gelegenheit zu finden, um ihrer kleinen Zunge ein wenig Bewegung zu machen, würde dem Sturme sehr dankbar sein, wenn er uns von dem Anblick dieses Ungethüms befreit hätte, dessen Aeste Gebeinen gleichen und dessen Stamm mit seinem rothen Moose wie in Blut getränkt aussieht. Ich bin Abends nie unter seinem Schatten hin gegangen, ohne zu zittern, wenn ich den Wind in seinem Laube wie Todesächzen wimmern hörte, und ich empfehle dann immer meine Seele Gott, indem ich meine Schritte verdopple und das Gesicht abwende

– Amalie, entgegnete der junge Graf, der vielleicht zum erstenmale seit vielen Tagen seiner Cousine aufmerksam zugehört hatte, du hast wohlgethan, nicht unter dem Hussiten zu verweilen, wie ich, der ich Stunden, ganze Nächte darunter zugebracht habe. Du würdest da Dinge gesehen und gehört haben, die dich starr vor Grausen gemacht hätten und deren Eindruck nie wieder aus deinem Gedächtnisse entschwinden würde.

– Halt' inne! rief die junge Baronin auf ihrem Stuhl zurückschauernd, als ob sie von dem Tische, auf den sich Albert stützte, entfliehen wollte, ich begreife nicht, was für ein unausstehliches Vergnügen du darin findest, mir Furcht zu machen, so oft es dir einmal beliebt, die Lippen aufzuthun.

– Wollte Gott, meine liebe Amalie, sagte der alte Christian sanft, es geschähe nur zum Vergnügen, daß der Vetter derlei Dinge spricht.

– Nein, mein Vater! ich spreche in ganzem, vollem Ernste, erwiderte Graf Albert. Die Eiche vom Schreckenstein ist umgestürzt, in vier Stücke zerrissen und Sie können nur morgen die Holzhauer hinschicken, um sie klein zu spalten. Ich will eine Cypresse an die Stelle pflanzen, die soll nicht wieder der Hussit, sondern der Büßer heißen, und den Schreckenstein wahrlich, den hätten Sie längst Sühnestein benennen sollen.

– Genug, genug mein Sohn! sagte der Greis in außerordentlicher Bekümmerniß. Halte doch diese traurigen Bilder fern von dir und überlasse Gott das Amt, die Handlungen der Menschen zu richten.

– Die traurigen Bilder sind gewichen, mein Vater! sie kehren in das Nichts zurück zugleich mit diesem Marterwerkzeug, das die Windsbraut und das himmlische Feuer in den Staub gebettet haben. Ich sehe an der Stelle der Gerippe, welche an den Aesten hingen, Blüthen und Früchte, die der West an den Zweigen eines neuen Stammes schaukelt. An der Stelle des finsteren Mannes, welcher jede Nacht den Scheiterhaufen anzündete, sehe ich ein ganz helles und ganz himmlisches Wesen, das über meinem Haupte und dem euern schwebt. Der Sturm entflieht, o meine theuern Lieben! die Gefahr ist vorüber, die Wanderer sind geborgen, meine Seele hat Frieden. Die Zeit der Buße reicht an ihr Ende. Ich fühle mich neu geboren.

– Sprächst du wahr, o mein geliebter Sohn! antwortete der alte Christian mit tief bewegter Stimme und mit dem Tone der innigsten Zärtlichkeit; würdest du endlich frei von den Gesichten und Gespenstern, welche dir keine Ruhe lassen! O, wenn mir Gott die Gnade erzeigte, meinem lieben Albert die Nähe, die Hoffnung und das Licht des Glaubens wiederzuschenken!

Noch ehe der Greis seine liebreichen Worte beendet hatte, ließ Albert seinen Kopf leise auf den Tisch sinken und schien friedlich eingeschlummert.

– Was soll nun das wieder bedeuten? sagte die junge Baronin zu ihrem Vater; nun schläft er gar bei Tische! Wie galant das ist!

– Dieser plötzliche, tiefe Schlaf, sagte der Kaplan, der den jungen Mann mit Theilnahme beobachtete, ist eine günstige Krisis, woraus ich auf eine wenigstens für einige Zeit glückliche Veränderung seines Zustandes schließen zu dürfen glaube.

– Daß ihn nur Niemand anrede, sagte Graf Christian, und ihn aus dieser Betäubung zu reißen versuche.

– Erbarmungsreicher Herr! sprach das Stiftsfräulein aus überfließendem Herzen, gieb, daß es sich erfülle, was er immer vorausgesagt hat, und daß der Tag, an welchem er in sein dreißigstes Jahr tritt, der Tag seiner völligen Wiederherstellung sei!

– Amen! sagte der Kaplan mit Zerknirschung. Erheben wir alle Unsere Herzen zu dem Gotte des Erbarmens, und indem wir ihm unsern Dank darbringen für die Speis, die wir genossen haben, lasset uns ihn anflehen, daß er dieses edle Kind errette, das der Gegenstand aller unserer Bitten ist.

Man erhob sich, um das Gratias zu sagen, und alles blieb dann noch einige Minuten stehen, um still für den letzten Rudolstadt zu beten. Der alte Christian that es mit solcher Inbrunst, daß ihm zwei große Thränen über seine welken Backen rannen.

Der Greis hatte den treuen Dienern befohlen, Albert in sein Zimmer zu tragen, als Baron Friedrich, der gemüthlich in seinem Hirn herumgesucht hatte, auf welche Art er durch irgend ein Liebesopfer zu dem Wohlbefinden seines theuern Neffen beitragen könnte, plötzlich froh wie ein Kind zu seinem ältesten Bruder sagte:

– Es kommt mir da eine gute Idee, Bruder! Wenn dein Sohn einsam auf seiner Stube mitten in seiner Verdauung aufwacht, so könnten ihm leicht wieder einige schwarze Gedanken, in Folge irgend eines bösen Traumes beikommen. Laß ihn in den Salon tragen und auf meinen Großvaterstuhl setzen. Es ist keiner im ganzen Hause, worin sich's besser schliefe. Er wird es darin behaglicher als im Bette haben, und wenn er aufwacht, so wird er wenigstens ein gutes Feuer vor sich sehen, um sein Auge zu weiden, und befreundete Gestalten, um sein Herz zu erfreuen.

– Du hast Recht, Bruder! man kann ihn wirklich in den Salon bringen und auf das große Sopha legen.

– Es ist äußerst nachtheilig, ausgestreckt nach dem Essen zu schlafen, rief der Baron. Glaube mir, Bruder! ich weiß das aus Erfahrung. Es muß mein Großvaterstuhl sein. Ja, ich will es durchaus so haben, er soll auf meinen Großvaterstuhl.

Christian sah ein, daß er das Anerbieten seines Bruders nicht ablehnen konnte, ohne ihm wirklich eine Kränkung zu bereiten. Der junge Graf wurde also in den ledernen Lehnstuhl des alten Jägers gesetzt, ohne das, was mit ihm vorging, im Geringsten zu bemerken, so fest und todesähnlich war sein Schlaf. Der Baron setzte sich ganz vergnügt und stolz auf einen andern Stuhl, wärmte sich die Beine an einem der Vorzeit würdigen Feuer und antwortete jedesmal mit einem triumphirenden Lächeln, wenn ihm der Kaplan die Bemerkung machte, daß dieser Schlaf des Grafen Albert ganz zuverlässig von guten Folgen sein würde. Der liebe Mann war entschlossen, auch seine Nachtischruhe ebenso wie seinen Großvaterstuhle zu opfern und gemeinschaftlich mit der übrigen Familie den jungen Grafen zu bewachen; aber nach Verlauf einer Viertelstunde war er seinen neuen Sitz schon so gewohnt, daß er zu schnarchen anfing, laut genug, um das letzte, sich allmählig in der Ferne verlierende Grollen des Donners zu übertönen.

Der Schall der großen Glocke, durch welche nur außerordentliche Besuche dem Schlosse angekündigt wurden, ließ sich plötzlich vernehmen; und der alte Hans, der älteste Diener des Hauses, trat gleich darauf, mit einem großen Briefe in der Hand, ein, den er, ohne ein Wort zu sprechen, dem Grafen Christian überreichte; hierauf ging er hinaus, um im anstoßenden Saale den Befehl seines Herrn zu erwarten. Christian öffnete den Brief, und reichte ihn, nachdem er die Unterschrift angesehen hatte, der jungen Baronin, mit der Bitte, ihn ihm vorzulesen. Amalie rückte voll Neugier und Eifer näher an das Licht und las laut was folgt:

»Hochgeborener und werthgeschätzter Herr Graf!

Ew. Gnaden beehren mich eine Gefälligkeit meinerseits in Anspruch zu nehmen. Sie erzeigen dadurch mir eine viel größere als alle diejenigen, welche ich schon von Ihnen empfangen habe, und welche mein Herz in werthem und treuem Andenken bewahrt. Ungeachtet meines Eifers, Ihre geehrten Befehle auszuführen, hatte ich nun zwar wenig Hoffnung, eine solche Person, wie Sie verlangen, so rasch und so passend aufzufinden, als es mein Wunsch sein mußte. Jedennoch da unerwartet günstige Umstände mit Ew. Gnaden Anliegen zusammentrafen, so beeile ich mich, Ihnen eine junge Person zuzusenden, welche die gestellten Bedingungen theilweise erfüllt. Sie erfüllt selbige allerdings nicht sammt und sonders. Auch sende ich sie nur interimistisch und um Dero liebenswürdigem und gnädigem Fräulein Nichte die Muße zu geben, ein vollständigeres Resultat meiner Nachsuchungen und Schritte ohne zu viel Ungeduld abzuwarten.

Die Person, welche die Ehre haben wird, Ihnen diesen Brief zu überreichen, ist meine Schülerin und gewissermaßen meine Adoptivtochter; sie wird, dem Wunsche der liebenswürdigen Baronin Amalie gemäß, gleichzeitig eine dienstwillige und angenehme Gesellschafterin und eine kundige Lehrerin in der Musik vorstellen können. Sie besitzt im Uebrigen nicht diejenigen Kenntnisse, welche Sie von einer eigentlichen Gouvernante verlangen würden. Sie spricht mit Leichtigkeit verschiedene Sprachen, aber sie versteht dieselben nicht hinlänglich correct, um darin zu unterrichten. Die Musik versteht sie aus dem Grunde und singt vorzüglich gut. Sie werden mit ihrem Talent, mit ihrer Stimme und mit ihrer Manier zufrieden sein. Nicht minder mit ihrer Sanftmuth und ihrem ehrenwerthen Charakter. Ew. Excellenz können sie in den engeren Kreis Ihrer Familie aufnehmen, ohne Besorgniß, daß sie sich irgend eine Unangemessenheit zu Schulden kommen oder einen Beweis von schlechter Denkungsart geben werde. Sie wünscht unbeschränkt zu sein in dem Maße dessen, was sie Ihrer edeln Familie leisten wird und macht auf Honorar nicht Anspruch. Mit einem Wort, es ist weder eine Bonne, noch eine Zofe, die ich der liebenswürdigen Baronesse zusende, sondern eine Gesellschafterin, eine Freundin, gerade wie dieselbe mir die Ehre erzeigt hat, es mir anzuempfehlen in dem angenehmen Postscriptum, welches sie mit ihrer schönen Hand Ew. Gnaden Schreiben angehängt hat.

Signor Corner, der zum Gesandten in Wien hierseits ernannt ist, erwartet die Ordre zu seiner Abreise. Aber es ist beinahe gewiß, daß diese Ordre nicht unter zwei Monaten ausgefertigt sein wird. Signora Corner, seine würdige Gattin und meine großmüthige Schülerin will mich mit nach Wien nehmen, wo, ihrer Meinung nach, meine Laufbahn eine glücklichere Wendung erhalten soll. Ohne daß ich an eine bessere Zukunft Glauben hätte, füge ich mich doch ihrem wohlwollenden Anerbieten, begierig wie ich bin, dies undankbare Venedig zu verlassen, wo ich nichts als Täuschungen, Beleidigungen und Unfälle aller Art erlitten habe. Ich sehne mich, das edele Deutschland, wo ich glücklichere und schönere Tage gekannt habe, und die verehrungswürdigen Freunde, die ich dort zurückließ, wiederzusehen. Ew. Herrlichkeit weiß wohl, daß Dieselbe eine der vornehmsten Stellen in dem Andenken dieses alten zerfetzten, aber wahrlich nicht erkälteten Herzens einnimmt, welches Sie mit unveränderlicher Liebe und tiefgefühlter Dankbarkeit erfüllt haben. Ihnen demnach, erlauchter Herr! empfehle ich und vertraue ich mein Adoptivkind, indem ich für dasselbe Ihre Gastlichkeit, Ihren Schutz und Ihren Segen erbitte. Durch ihren Eifer, der jungen Baronin sich nützlich und angenehm zu machen, wird sie Ihre Güte anzuerkennen wissen. In drei Monaten höchstens werde ich sie wieder abholen und Ihnen an ihrer Statt eine Lehrerin vorstellen, welche im Stande sein wird, ein dauernderes Verhältniß mit Ihrer erlauchten Familie einzugehen.

In Erwartung des glücklichen Tages, wo ich mit meinen Händen die Hand des besten der Menschen drücken werde, bin ich so kühn mich zu nennen mit Hochachtung und Stolz Ew. Signoria Chiarissima, Stimatissima, Illustrissima &c. unterthänigsten Diener und ergebensten Freund

Venedig den ...ten ... 17..

Nicolas Porpora,
Capellmeister, Componist und Gesanglehrer.«

Amalie sprang vor Freuden, als sie diesen Brief beendet hatte, während der alte Graf zu verschiedenen Malen gerührt ausrief: Würdiger Porpora, trefflicher Freund, herrlicher Mensch!

– Allerdings, allerdings! sagte das Stiftsfräulein Wenceslawa, getheilt zwischen der Furcht, die Gewohnheiten der Familie durch die Ankunft einer Fremden gestört zu sehen, und dem Wunsche, die Pflichten der Gastfreundschaft edelmüthig auszuüben; man wird sie gut aufnehmen, gut bewirthen müssen ... wenn sie sich nur hier nicht langweilt!

– Aber, Onkel! wo ist nur meine künftige Freundin, meine kostbare Lehrerin! rief die junge Baronin ohne auf die Bedenken ihrer Tante zu hören. Ohne Zweifel wird sie doch bald selbst kommen? ... Ich erwarte sie mit einer Ungeduld ...

Graf Christian schellte.

– Hans! sagte er zu dem alten Diener, wer hat diesen Brief abgegeben?

– Eine Dame, gnädigster Herr!

– Sie ist schon hier! rief Amalie, wo? wo?

– In ihrer Postchaise am Eingange der Zugbrücke.

– Und ihr habt sie am Thore des Schlosses frieren lassen, anstatt sie sogleich in den Salon zu führen?

– Allerdings, gnädiges Fräuleins ich habe den Brief in Empfang genommen, ich habe dem Postillion angesagt, den Fuß nicht aus dem Bügel zu setzen und die Zügel nicht aus der Hand zu lassen. Ich habe die Brücke hinter mir aufziehen lassen und habe den Brief meinem gnädigsten Herrn übergeben.

– Aber das ist abgeschmackt, unverzeihlich ist es, so im schlechten Wetter die Gäste, die wir bekommen, warten zu lassen! Sollte man nicht denken, daß wir in einer Festung leben und daß alle Leute, die sich nähern, Feinde sind! Lauf' er, mach' er fort, Hans! –

Hans stand unbeweglich wie eine Bildsäule. Nur seine Augen drückten sein Bedauern aus, den Wünschen seiner jungen Herrin nicht nachkommen zu können, aber wenn ihm eine Kanonenkugel über den Kopf hingegangen wäre, so würde sie um keine Linie breit die unerschütterliche Stellung verrückt haben, in welcher er die Befehle seines alten Herrn erwartete.

– Der treue Hans kennt nichts als seine Pflicht und sein Pförtneramt, mein liebes Kind! sagte endlich Graf Christian mit einer Langsamkeit, daß der jungen Baronin das Blut kochte. Nun, Hans! laß das Gitter aufziehen und die Brücke niederlassen. Alle meine Leute sollen mit Fackeln die Reisende empfangen, sie sei uns willkommen.

Hans zeigte nicht das mindeste Erstaunen, daß er eine Unbekannte mir nichts dir nichts in dieses Haus führen sollte, in welches die nächsten Anverwandten und die zuverlässigsten Freunde nie anders als mit vielerlei Umständen und Vorsichtsnahmen eingelassen wurden. Das Stiftsfräulein ging um das Abendessen der Fremden zu bestellen.

Amalie wollte zur Zugbrücke laufen, aber ihr Oheim, der es sich zur Ehre machte, in Person seinem Gaste entgegenzugehen, bot ihr seinen Arm, und die ungestüme kleine Baronesse mußte, sie mochte wollen oder nicht, sich gravitätisch bis an die Vorhallen schleppen, wo schon die Postchaise auf den untersten Stufen der Rampe die Fremde abgesetzt hatte, den unstäten Flüchtling Consuelo.

7.

Die drei Monate, seitdem die Baronin Amalie sich's in den Kopf gesetzt hatte, eine Gesellschaft zu haben, weniger um Unterricht zu nehmen als um sich die lange Weile ihres einsamen Lebens zu vertreiben, hatte sie sich schon hundert Male in Gedanken das Bild ihrer zukünftigen Freundin entworfen. Da sie das verdrießliche Wesen Porporas kannte, hatte sie gefürchtet, daß er ihr eine sauerblickende pedantische Gouvernante schicken möchte. Sie hatte auch heimlicherweise an den Professor noch besonders geschrieben, und ihm gedroht, daß sie jede Gouvernante über fünf und zwanzig Jahre alt sehr übel aufnehmen würde, als ob es nicht hinlänglich gewesen wäre, ihren Wunsch den alten Verwandten auszudrücken, deren Abgott sie war, und die sie ganz beherrschte.

Während sie Porporas Antwort las, kam sie so in Entzücken, daß sie sich in ihrem Kopfe geschwind ein neues Bild zusammensetzte, Musikerin, des Professors Adoptivtochter, jung, vor Allem Venetianerin, das hieß, nach Amaliens Vorstellung, ein Wesen ganz für sie geschaffen, nach ihrem Genre und recht nach ihrem Herzen.

Sie war daher ein wenig bestürzt, als sie statt der schelmischen, rothbäckigen Kleinen, die sie sich vorgestellt hatte, eine bleiche, schwermüthig aussehende und sehr verlegene junge Person erblickte. Denn der Seele Consuelo's hatte sich außer dem tiefen Gram, unter dem ihr armes Herz erlag und der Ermüdung einer langen und schnellen Reise, eine peinliche, fast tödtliche Angst bemächtigt, unter diesen Waldungen voll sturmgepeitschter Fichten, im Schooße dieser schwarzen, blitzdurchflammten Nacht, und zumal beim Anblick dieses düstern Schlosses, das beim Geheul der Meute des Barons und bei dem Lichte der Fackeln, welche die Dienerschaft trug, einen unheimlichen Eindruck machte. Welch ein Gegensatz zu dem firmamente lucido Marcellos, zu dem harmonischen Schweigen venetianischer Nächte, zu der sorglosen, traulichen Freiheit ihres früheren Lebens im Schooße der Liebe und lachender Poesie. Als der Wagen langsam über die Zugbrücke gerollt war, die dumpf unter den Hufschlägen der Pferde dröhnte, und das Fallgatter mit erschreckendem Kreischen hinter ihr niederfuhr, glaubte sie in Dante's Höllenthor einzutreten und empfahl ihre Seele Gott.

Ihr Gesicht sah daher verstört aus, als sie vor ihren Wirthen erschien, und als ihr das des Grafen Christian plötzlich in die Augen fiel, dieses lange, bleiche Gesicht von Alter und Gram verschrumpft, und dazu diese hagere, steife Gestalt in ihrer alterthümlichen Kleidung, glaubte sie das Gespenst eines Burgherrn aus dem Mittelalter vor sich zu sehen und alles, was sie umgab, für eine Erscheinung haltend, wich sie mit einem erstickten Schrei des Entsetzens zurück.

Der alte Graf, der ihr Schwanken und ihre Blässe nur der Erstarrung vom Fahren und der Ermüdung von der Reise zuschrieb, bot ihr seinen Arm, um die Rampe hinaufzusteigen und gab sich Mühe, ein paar theilnehmende und höfliche Worte herauszubringen, die er ihr sagen könnte. Aber der würdige Mann, der ohnehin von Natur ein schroffes, nicht entgegenkommendes Aeußere hatte, war in seiner langjährigen Zurückgezogenheit der Welt so fremd geworden, daß sich seine Aengstlichkeit verdoppelt hatte und seine auf den ersten Anblick ernste und strenge Erscheinung die Unsicherheit und Verlegenheit eines Kindes verbarg. Die Verpflichtung, welche er sich auflegte, italienisch zu sprechen (er hatte es früher ziemlich gut gesprochen, war aber außer Uebung), vergrößerte sein Ungeschick; er vermochte nur ein paar Worte hervorzustammeln, die Consuelo kaum hören konnte und die sie für die unbekannte, geheimnißvolle Sprache der Schatten hielt.

Amalie, die mit der Absicht gekommen war, ihr um den Hals zu fallen, um es ihr gleich traulich zu machen, fand nichts ihr zu sagen, wie es oft durch Ansteckung den unternehmendsten Naturen widerfährt, wenn des Andern Schüchternheit vor ihrem Entgegenkommen zurückzuweichen scheint.

Consuelo wurde in den großen Saal geführt, in welchem man gespeist hatte. Schwankend zwischen dem Wunsche ihr Ehre zu erweisen, und der Furcht, ihr seinen Sohn in einem Todtenschlaf zu zeigen, blieb der Graf unschlüssig stehen, und Consuelo, über und über zitternd und fühlend, daß ihre Kniee wankten, ließ sich auf den ersten Stuhl sinken, den sie erreichte.

– Lieber Onkel, sagte Amalie, welche die Verlegenheit des alten Grafen verstand, ich glaube, daß wir besser thäten, die Signora hier aufzunehmen. Es ist wärmer hier als in dem großen Saal und sie muß von diesem eisigen Sturmwind unserer Berge ganz erstarrt sein. Ich sehe leider, daß sie vor Ermattung umsinkt und ich glaube gewiß, daß ihr eine Stärkung und ein tüchtiger Schlaf mehr noth thun als alle Höflichkeitsbezeigungen. Nicht wahr, meine liebe Signora? fügte sie hinzu, indem sie sich bis zu dem Muthe erhob, sanft mit ihrer hübschen, runden Hand Consuelo's schlaffen Arm zu drücken. –

Der Ton dieser frischen Stimme, welche das Italienische dreistweg mit deutscher Härte aussprach, brachte Consuelo wieder zu sich. Sie schlug ihre von Furcht umflorten Augen zu dem anmuthigen Gesicht der jungen Baronin auf, und der eine schnell unter ihnen gewechselte Blick brach sogleich die Bahn. Die Reisende erkannte augenblicklich, daß dies ihre Schülerin und daß dieser allerliebste Kopf nicht der eines Gespenstes wäre. Sie erwiderte den Druck ihrer Hand, und gestand, daß sie von dem Geräusch des Wagens ganz betäubt und von dem Ungewitter noch sehr erschrocken wäre. Sie überließ sich den hülfreichen Händen Amaliens, rückte dem Feuer näher, ließ sich von ihrem Mantel befreien, nahm das Anerbieten, etwas zu Abend zu essen, an, obgleich sie nicht den geringsten Hunger hatte, und durch die zunehmende Freundlichkeit ihrer jungen Wirthin immer mehr beschwichtigt, fand sie sich endlich wieder ganz im Stande, zu sehen, zu hören und zu antworten.

Während die Bedienten das Essen auftrugen, entspann sich ein Gespräch, zuerst natürlich über Porpora. Consuelo hörte mit inniger Freude den alten Grafen von ihm sprechen wie von einem Freunde, wie von seines Gleichen, ja wie von einem Höheren. Dann kam man auf Consuelo's Fahrt zu reden, auf den Weg, den sie genommen und besonders auf das Gewitter und wie sie das habe erschrecken müssen.

– Wir sind in Venedig, antwortete sie, an Gewitterstürme gewöhnt, die noch plötzlicher kommen und viel gefährlicher sind; denn in unsern Gondeln, wenn wir durch die Stadt fahren und bis dicht vor unsere Thüren, sind wir in Gefahr Schiffbruch zu leiden. Das Wasser, das unser Straßenpflaster ist, schwillt an und schlägt Wellen gleich der hohen See und treibt unsere gebrechlichen Barken mit solcher Gewalt an das Gemäuer hin, daß sie zerscheitern können, ehe wir Zeit haben auszusteigen. Indessen ob ich schon dergleichen Unfälle in der Nähe mit angesehen habe und nicht sehr furchtsam bin, so hatte ich doch diesen Abend einen größeren Schreck als je in meinem Leben, als der Blitz einen großen Baum vom Gebirge herunterschlug und uns quer über den Weg stürzte; die Pferde stiegen kerzengrade auf und der Postillion schrie: Da ist der Unglücksbaum, der Hussit umgestürzt! Können Sie mir nicht sagen, Signora Baronessa, was das bedeutet?

Weder der Graf noch Amalie dachten daran, diese Frage zu beantworten: sie sahen einander heftig zitternd an.

– So hat sich also mein Sohn doch nicht geirrt! rief der Greis. Seltsam, seltsam in der That!

Und so zu seiner Sorge um Albert zurückgeführt, verließ er den Saal, um zu ihm zu gehen, während Amalie, die Hände faltend, murmelte:

– Es ist Hexerei im Spiele, und der Teufel wohnt unter uns!

Diese wunderlichen Reden riefen in Consuelo's Seele das Grausen zurück, welches sie beim Eintritt in das Schloß empfunden hatte. Amaliens plötzliches Erblassen, das feierliche Schweigen dieser alten Diener in rothen Hosen und alle mit demselben breiten, viereckigen, violetten Gesicht und dem todten, seellosen Blick, den das Gefühl einer ewigen Knechtschaft giebt, die Tiefe dieses mit dunklem Eichenholz getäfelten Saales, den ein mit Wachskerzen reich besetzter Röhrleuchter nicht hinlänglich erhellen konnte, das Geschrei der Eule, die nach dem Gewitter ihre Jagd um das Schloß her wieder anfing, die großen Familienbilder, die ungeheuern geschnitzten Hirsch- und Schweinsköpfe, alles bis in die kleinsten Einzelheiten weckte von Neuem die schwermüthige Stimmung, welche kaum zerstreut war. Die Aeußerungen der jungen Baronin endlich waren auch nicht von solcher Art, daß sie Consuelo sehr beruhigen konnten.

– Meine liebe Signora, sagte sie, indem sie sich anschickte, sie zu bedienen, Sie müssen sich darauf gefaßt machen, hier unerhörte, unerklärliche, oft unerträgliche und manchmal grausige Dinge zu erleben; wahre Romanenabentheuer, die Ihnen Niemand glauben würde, dem Sie sie erzählen wollten und die Sie sich werden auf Ehre verpflichten müssen, in ewiges Stillschweigen zu begraben.

Als die Baronin so sprach, öffnete sich langsam die Thür, und hereintrat das Stiftsfräulein Wenceslawa, mit ihrem Höcker, mit ihrem eckigen Gesicht und in ihrer strengen Tracht, mit dem Ordensstrick, den sie niemals ablegte. Sie gab sich eine so mächtig freundliche Miene, wie noch nie wieder seit dem denkwürdigen Tage, an welchem die Kaiserin Maria Theresia auf der Rückreise aus Ungarn huldvoll geruht hatte, in Riesenburg mit ihrem Gefolge eine Stunde zu rasten und ein Glas Gewürzwein zu sich zu nehmen. Sie schritt auf Consuelo zu, die, bestürzt und erstaunt, sie mit verstörtem Auge ansah und vor ihr aufzustehen vergaß, machte zwei tiefe Knixe, richtete an sie zuvörderst eine deutsche Rede, die so wohl gesetzt war, daß sie sie lange eingeübt haben mußte, und trat sodann näher, um sie auf die Stirn zu küssen. Das arme Mädchen, das starrer als eine Bildsäule dasaß, glaubte den Kuß des Todes zu empfangen und lispelte, nahe daran in Ohnmacht zu fallen, ein unverständliches Wort des Dankes.

Als das Stiftsfräulein aus dem Saale gegangen war, denn sie hatte bemerkt, daß ihre Gegenwart die Reisende mehr befangen machte als ihr lieb war, brach Amalie in ein lautes Gelächter aus.

– Sie haben, will ich wetten, geglaubt, sagte sie zu ihrer Gefährtin, den Geist der Königin Libussa zu sehen? Aber beruhigen Sie sich. Diese gute Stiftsdame ist meine Tante, die langweiligste und die beste der Frauen.

Kaum hatte sich Consuelo von diesem Schreck erholt, als sie große Reiterstiefel hinter sich trappen hörte. Ein schwerer, abgemessener Schritt erschütterte den Fußboden und ein Gesicht so aufgeblasen, roth und viereckig, daß die stämmigen Bedienten schmächtig und blaß daneben aussahen, zog schweigend durch den Saal und verschwand durch die große Thür, welche die Bedienten ehrfurchtsvoll öffneten. Neuer Schauder Consuelo's, neues Gelächter Amaliens.

– Dieser hier, sagte sie, ist der Freiherr von Rudolstadt, der größte Jäger, der größte Schläfer und der beste der Väter. Er hat eben seinen Nachessensschlaf im Salon beendet. Mit dem Glockenschlag Neun steht er aus seinem Großvaterstuhl auf, ohne deswegen wach zu sein: er geht durch diesen Saal, sieht aber nichts und hört nichts, steigt immer im Schlafe die Treppe hinauf, legt sich nieder ohne von sich zu wissen, und wacht mit dem Tage auf, so munter, flink und rüstig wie der jüngste Manm um seine Hunde, Pferde und Falken zur Jagd in Bereitschaft zu setzen.

Kaum war sie mit dieser Erklärung fertig, als der Kaplan durch den Saal ging. Auch er war wohlbeleibt, aber untersetzt und blaß wie ein Wassersüchtiger. Das beschauliche Leben sagt diesen derben slavischen Naturen nicht zu, und die Corpulenz dieses heiligen Mannes war krankhaft. Er begnügte sich die beiden Damen tief zu grüßen, sagte einem der Bedienten leise ein paar Worte und entfernte sich auf demselben Wege, den der Freiherr genommen hatte.

Sogleich begab sich der alte Hans mit noch einem von jenen Automaten, die Consuelo nicht von einander unterscheiden konnte, so sehr hatten sie alle dasselbe stämmige und schwerfällige Wesen, in den Salon. Consuelo, die sich nicht f mehr stark genug fühlte, um sich zu stellen, als ob sie äße, wendete sich um, und verfolgte die Bedienten mit den Augen. Aber ehe diese die Thür, welche hinter ihr lag, erreicht hatten, zeigte sich auf der Schwelle eine neue Erscheinung, noch ergreifender als alle vorigen.

Es war ein junger, hochgewachsener Mann, von edler Gesichtsbildung, aber erschreckender Blässe, schwarz gekleidet vom Kopf bis zu den Füßen und einen reichen Sammtpelz mit Marderbesatz umgeschlagen, den eine goldene Spange auf der Schulter festhielt. Sein langes rabenschwarzes Haar fiel in Unordnung auf seine bleichen Wangen nieder, die ein seidenweicher, sich natürlich kräuselnder Bart zum Theil verdeckte.

Er winkte gebieterisch mit der Hand, daß die Bedienten, welche ihm entgegenkamen, zurückwichen, und sich wie von seinem Blick gebannt in unbeweglicher Stellung entfernt hielten. Dann zum Grafen Christian gewendet, der ihm auf dein Fuße folgte, sagte er mit wohlklingender Stimme und dem edelsten Ausdruck:

– Ich versichere Ihnen, Vater! daß ich nie so ruhig war. Etwas Großes hat sich in meinem Geschicke zugetragen, und der Friede des Himmels ist auf unser Haus herabgekommen.

– Möge dich Gott erhören, mein Kind! antwortete der Greis, die Hand ausstreckend wie zum Segnen. Der junge Mann neigte sein Haupt tief unter die Hand seines Vaters; dann wendete er sich mit sanfter, heiterer Miene und schritt bis in die Mitte des Saales, berührte mit der Fingerspitze schwach lächelnd die Hand, welche ihm Amalie reichte, und sah Consuelo starr ein paar Sekunden an. Unwillkürlich von Ehrfurcht ergriffen machte Consuelo mit niedergeschlagenen Augen ihm eine Verbeugung. Aber er erwiderte ihren Gruß nicht und fuhr fort, sie anzustarren.

– Diese junge Dame, sagte das Stiftsfräulein zu ihm, ist ...

Er unterbrach sie aber durch eine Geberde, welche zu sagen schien: – Sprich nicht, unterbrich nicht den Lauf meiner Gedanken.

Sodann drehte er sich um, ohne irgend ein Zeichen von Ueberraschung oder Antheil und schritt langsam durch die große Thür hinaus.

– Meine liebe Demoiselle, sagte das Stiftsfräulein, Sie müssen entschuldigen ...

– Tante, entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche, sagte Amalie, aber Sie sprechen mit der Signora deutsch.

– Verzeihung, gute Signora, antwortete Consuelo auf italienisch, ich habe als Kind vielerlei Sprachen gesprochen, denn ich war viel auf Reisen; ich habe vom Deutschen auch so viel behalten, daß ich es recht gut verstehen kann. Nur es zu sprechen getraue ich mir nicht. Jedoch wenn Sie mir ein wenig Unterricht geben wollten, so hoffe ich in wenigen Tagen wieder in Uebung zu kommen.

– Wahrhaftig, es geht Ihnen gerade wie mir, sagte das Stiftsfräulein auf Deutsch. Ich verstehe alles, was Mademoiselle sagt, und sprechen könnte ich ihre Sprache doch nicht. Nun, da sie mich versteht, so will ich ihr sagen, daß sie die Unhöflichkeit meines Neffen, sie nicht zu grüßen, wohl entschuldigen wird, wenn sie erfährt, daß sich der junge Mann heute Abend sehr unwohl befunden ... und daß er nach einer Ohnmacht, die er gehabt hat, noch so schwach gewesen, daß er sie vermuthlich nicht bemerkt hat ... Nicht wahr, Bruder? setzte die gute Wenceslawa hinzu, die sich ganz beschämt fühlte, gelogen zu haben und ihre Entschuldigung in den Augen des Grafen Christian suchte.

– Liebe Schwester, antwortete der Greis, es ist sehr freundlich von dir, daß du meinen Sohn entschuldigst. Die Signora wird uns den Gefallen thun und sich gewisse Dinge nicht zu sehr befremden lassen, die wir ihr morgen mittheilen wollen, ohne Rückhalt und mit dem Vertrauen, das uns Porporas Adoptivtochter, bald hoffe ich sagen zu dürfen die Freundin unseres Hauses, einflößt.

Es war die Stunde, wo alles sich zurückzog und das Haus war so regelmäßigen Gewohnheiten unterworfen, daß, wenn die beiden jungen Mädchen länger bei Tische geblieben wären, die Bedienten, als wahre Maschinen, ihnen, glaube ich, die Stühle weggenommen und die Lichter ausgelöscht haben würden, ohne sich um ihre Anwesenheit zu bekümmern. Uebrigens sehnte sich Consuelo nach Ruhe, und Amalie führte sie in das geschmackvoll und behaglich eingerichtete Zimmer, welches sie dicht neben dem ihrigen für sie bereit hielt.

– Ich hätte große Lust mit Ihnen noch ein Stündchen oder zwei zu verplaudern, sagte sie zu ihr, sobald das Stiftsfräulein, das sich's nicht nehmen ließ, die Honneurs des Zimmers zu machen, sich entfernt hatte. Es verlangt mich, Sie von Allem in Kenntniß zu setzen, was hier vorgeht, ehe Sie die wunderliche Wirthschaft im Hause miterdulden müssen. Aber Sie sind so ermüdet, daß Sie wahrscheinlich nichts sehnlicher wünschen, als sich niederzulegen.

– Lassen Sie sich dadurch nicht hindern, Signora! sagte Consuelo. Meine Glieder sind zerschlagen, es ist wahr, aber mir brennt der Kopf dergestalt, daß ich sicherlich die ganze Nacht nicht werde schlafen können. Sprechen Sie daher so lange es Ihnen gefällt, nur bedinge ich mir aus, daß Sie deutsch sprechen, das wird mir gleich als Unterricht dienen; denn ich sehe wohl, daß dem Herrn Grafen das Italienische nicht recht geläufig ist und der Signora Canonica noch weniger.

– Wir wollen einen Accord machen, sagte Amalie. Sie legen sich ins Bett, um Ihre armen zerschlagenen Gliedmaßen auszuruhen. Unterdeß werde ich ein Nachtkleid anziehen und meine Kammerfrau zu Bett schicken. Ich komme dann wieder und setze mich an Ihr Kopfkissen, und wir schwatzen deutsch, bis wir schläfrig werden. Wollen Sie?

– Von Herzen gern, erwiderte die neue Gouvernante.

8.

– Sie müssen wissen, meine liebe ... sagte Amalie, als sie sich zu der verabredeten Unterhaltung in Stand gesetzt hatte. Aber da fällt mir erst ein, daß ich Ihren Namen nicht weiß, setzte sie lächelnd hinzu. Es wäre Zeit die Titel und Ceremonien unter uns zu verbannen. Sie müssen mich künftig Amalie nennen, und ich nenne Sie

– Ich habe einen sonderbaren Namen, der schwer auszusprechen ist, entgegnete Consuelo. Mein herrlicher Lehrer Porpora hieß mich, als er mich hierher schickte, den seinigen annehmen, wie das bei Gönnern oder zwischen Lehrern und ihren bevorrechteten Schülern Brauch ist; ich theile also von nun an mit dem großen Sänger Hubert die Ehre, mich nach Porpora zu nennen: wie er Porporino, heiße ich Porporina; aber der Kürze halber nennen Sie mich, wenn Sie wollen, ganz einfach Nina.

– Gut, also unter uns Nina! sagte Amalie. Jetzt hören Sie zu, ich habe Ihnen eine ziemlich lange Geschichte zu erzählen, und wenn ich nicht ziemlich hoch in die Vergangenheit hinaufsteige, so können Sie das, was in diesem Hause vorgeht, unmöglich verstehen.

– Ich bin ganz Ohr, sagte die neue Porporina.

– Sie wissen gewiß ein wenig von der böhmischen Geschichte, liebe Nina! sagte die junge Baronin.

– Ach nein! antwortete Consuelo, ich bin, wie Ihnen mein Lehrer doch wohl geschrieben hat, ganz ohne alle Kenntnisse; ich weiß höchstens ein wenig von der Geschichte der Musik, aber von der böhmischen Geschichte weiß ich ebensowenig wie von irgend einer andern Geschichte der Welt.

– Wenn das ist, entgegnete Amalie, so will ich Ihnen in wenigen Worten das Nöthigste sagen, was Sie durchaus wissen müssen, um meine Erzählung zu verstehen. Vor dreihundert Jahren und darüber war das unterdrückte und erstorbene Volk, in dessen Mitte Sie sich jetzt versetzt sehen, ein großes, kühnes, unbeugsames, heldenmüthiges Volk. Es hatte dazumal freilich auch fremde Herren und einen Glauben, den es nicht recht begriff und den man ihm mit Gewalt auflegen wollte. Unzählige Mönche sogen es aus, ein grausamer und ausschweifender König mißbrauchte seine Gewalt und verscherzte alle Liebe seiner Unterthanen. Ingrimm und tiefer Haß gährten im Stillen und eines Tages brach der Sturm offen aus; die fremden Herren wurden verjagt, der Glaube wurde reformirt, die Klöster wurden geplündert und geschleift, der Trunkenbold Wenceslas wurde vom Throne gestoßen und in ein Gefängniß gesperrt. Das Signal zum Aufstande hatte die Hinrichtung zweier kühnen Gelehrten, welche die Mysterien des katholischen Glaubens untersuchen und aufklären wollten, des Johannes Huß und des Hieronymus von Prag, gesehen, die ein Concilium vor sich lud, verdammte und verbrennen ließ, obgleich ihnen ihr Leben und die Freiheit sich zu verantworten verbürgt worden war. Eine solche Treulosigkeit und Schandthat regte die stolze Nation heftig auf, daß ein blutiger Krieg ausbrach, der viele Jahre über Böhmen und einen großen Theil Deutschlands wüthete. Dieser Vertilgungskampf wurde der Hussitenkrieg genannt. Gräuliche und unzählbare Verbrechen wurden von beiden Seiten begangen. Die Sitten waren damals in der ganzen Welt roh und grausam. Sie wurden es durch Parteigeist und religiösen Fanatismus noch mehr und Böhmen wurde der Schrecken von Europa. Ich will Ihre Einbildungskraft, die durch den Anblick dieses wilden Landes schon aufgeregt ist, nicht durch eine Schilderung der Gräuel, welche verübt wurden, noch mehr erhitzen. Von der einen Seite nichts als Mord, Brand, Pest, Scheiterhaufen, Verheerungen, Kirchenschändung, Mönche und Nonnen verstümmelt, aufgehängt, in siedendes Pech geworfen; von der andern Seite nichts als zerstörte Städte, verwüstete Länder, Verräthereien, Meineide, Grausamkeiten, Hussiten tausendweise in die Bergwerke geschickt, Abgründe mit ihren Leichen ausfüllend und die Erde mit ihrem und ihrer Feinde Gebein bedeckend. Diese schrecklichen Hussiten waren lange unüberwindlich; noch jetzt sprechen wir ihren Namen nur mit Grauen aus und dennoch flößt uns ihr Patriotismus, ihre Standhaftigkeit, ihre Unerschrockenheit, ihr Heldenmuth ein geheimes Gefühl von Bewunderung und Stolz ein, welches junge Gemüther wie das meinige manchmal nur mit Mühe verbergen können.

– Und warum es verbergen? fragte Consuelo in Unschuld.

– Weil Böhmen nach langen Kämpfen in das Joch der Sklaverei gefallen ist; weil es kein Böhmen mehr giebt, meine arme Nina! Unsere Herren wußten wohl, daß die Glaubensfreiheit unser Volk auch bürgerlich frei machte. Deshalb haben sie diese Freiheit wie die andere ersticken müssen.

– Nun sehen Sie, wie unwissend ich bin, sagte Consuelo. Nie habe ich von solchen Dingen reden hören, und ich wußte nicht, daß Menschen je so unglücklich und so böse waren.

– Hundert Jahre nach Johann Huß kam wieder ein Gelehrter, ein neuer Sectirer, ein armer Mönch, Namens Martin Luther, und weckte den Geist des Volks wieder auf und erfüllte Böhmen und alle freigesinnten deutschen Länder mit Haß gegen die Tyrannei und mit Auflehnung gegen das Papstthum. Die mächtigsten Fürsten aber blieben Katholiken, nicht sowohl aus Liebe zur Religion als aus Liebe zur unumschränkten Herrschaft. Oesterreich war in ihrem Bunde, um uns zu überwältigen, und ein abermaliger Krieg entbrannte, den man den dreißigjährigen nennt, dieser erschütterte und vernichtete unsere Nationalität. Böhmen wurde von Anfang an die Beute des Stärksten, Oesterreich behandelte uns als Besiegte, nahm uns unsern Glauben, unsere Freiheit, unsere Sprache, ja selbst unsere Namen. Unsere Väter leisteten tapferen Widerstand, aber das kaiserliche Joch ist immer schwerer auf unseren Nacken gesunken. Es sind nun hundert und zwanzig Jahre, daß unser Adel, zu Grunde gerichtet und decimirt durch Gefechte, Kämpfe und Hinrichtungen, gezwungen worden ist, sein Vaterland zu verlassen oder seine Nationalität zu opfern, indem er seinen Ursprung abschwören, deutsche Namen annehmen (Merken Sie dies wohl) und der Freiheit des Glaubens entsagen mußte: man hat unsere Schriften verbrannt, man hat unsere Schulen zerstört, mit einem Worte, man hat uns zu Oesterreichern gemacht. Wir sind jetzt nichts weiter als eine Provinz des Reiches und Sie hören deutsch reden in einem slavischen Lande; damit ist genug gesagt.

– Und jetzt, Sie empfinden diese Sklaverei schmerzlich und mit Schamerröthen, o, ich begreife es wohl und hasse schon dieses Oesterreich aus Grund der Seele.

– St! leiser! rief die junge Baronin. Solche Reden sind gefährlich unter dem grauen, böhmischen Himmel, und in diesem Schlosse giebt es nur einen einzigen Menschen, der kühn, der toll genug ist, das auszusprechen, was Sie eben sagten, liebe Nina! es ist mein Vetter Albert.

– Das also ist die Ursache des Grames, den man auf seinem Gesichte liest? Ich fühlte mich von Hochachtung ergriffen, als ich ihn ansah.

– Ei, meine schöne Löwin von San Marco! sagte Amalie, erstaunt über das hochherzige Feuer, welches plötzlich die bleichen Züge ihrer Gefährtin überflog; Sie nehmen die Sache zu ernsthaft. Ich fürchte sehr, daß Ihnen in wenigen Tagen mein Cousin eher Mitleid als Hochachtung einflößen möchte.

– Das eine brauchte ja wohl das andere nicht zu verhindern, entgegnete Consuelo, aber erklären Sie sich näher, liebe Baronin.

– Hören Sie aufmerksam, sagte Amalie. Wir sind eine strengkatholische Familie, der Kirche und dem Reiche treu ergeben. Wir führen einen sächsischen Namen und unsere Vorfahren von sächsischer Seite waren immer äußerst rechtgläubig. Wenn es meiner Tante, der Stiftsdame, eines Tages zu ihrem Unglück einfallen wird, Ihnen die Dienste zu erzählen, welche unsere Altvordern, die deutschen Herren Grafen und Freiherren, der heiligen Sache geleistet haben, so werden Sie sehen, daß, ihr zu Folge, nicht der kleinste Flecken von Ketzerei an unserem Wappen haftet. Selbst als Sachsen protestantisch geworden war, wollten die Rudolstadt lieber ihren protestantischen Fürsten verlassen, als den Schooß der Kirche. Aber meine Tante wird es sich nie einfallen lassen, mit diesen Dingen in Gegenwart des Grafen Albert zu prahlen, sonst würden Sie aus Albert's Munde gewiß die erstaunlichsten Dinge vernehmen, die je menschliche Ohren gehört haben.

– Sie spannen meine Neugier immer höher, ohne sie zu befriedigen. Ich verstehe bis jetzt so viel, daß ich vor Ihren edeln Verwandten nicht die Miene annehmen darf, als ob ich Ihre und des Grafen Albert Sympathien für das alte Böhmen theilte. Sie können sich auf meine Behutsamkeit verlassen, theure Baronin! Uebrigens bin ich in katholischem Lande geboren und die Achtung, welche ich für meine Religion hege, so wie die, welche ich Ihrer Familie zolle, würden schon hinreichen, um mir unter allen Umständen Stillschweigen aufzuerlegen.

– Sie werden klug handeln, denn ich sage Ihnen noch einmal, daß wir in diesem Punkte grausam altväterisch sind. Was mich selbst betrifft, liebe Nina, so bin ich aus besserem Teige gemacht. Ich bin weder Protestantin noch Katholikin. Ich bin von Nonnen erzogen worden, ihre Predigten und Paternoster haben mich rechtschaffen gelangweilt. Dieselbe Marter hat mich hierher verfolgt und meine Tante Wenceslawa vereinigt in ihrer einzigen Person die Pedanterei und den Aberglauben einer ganzen Schwesterschaft. Ich bin aber zu sehr von heute, um mich aus Abscheu davor in die nicht minder tödtlichen Controversen der Lutheraner zu stürzen, und was die Hussiten anlangt, so ist das eine so alte Geschichte, daß ich nicht mehr dafür schwärme als für die Großthaten der Griechen und der Römer. Der französische Geist ist mein Ideal, und ich glaube, daß es keine Vernunft, keine Philosophie und keine Civilisation giebt als die, welche in diesem heiteren, liebenswürdigen Frankreich im Schwange sind, von dessen Literatur ich manchmal im Geheimen nasche, und dessen Glück, Freiheit und Fröhlichkeit ich wie von ferne, und wie in einem Traumbild, durch die Spalten meines Kerkers sehe.

– Sie setzen mich mit jedem Augenblick in größeres Erstaunen, sagte Consuelo in Einfalt. Wie geht es doch zu, daß Sie eben jetzt von Begeisterung ergriffen schienen, als Sie der Heldenthaten des alten böhmischen Volkes gedachten? Ich habe Sie für erzböhmisch und ein wenig ketzerisch gehalten.

– Ich bin schlimmer als ketzerisch und schlimmer als böhmisch, erwiderte Amalie lachend, ich bin ein wenig ungläubig und rebellisch ganz und gar. Ich hasse jede Art von Herrschaft, geistlich oder weltlich, und ich protestire ganz im Stillen gegen Oesterreich, welches von allen Bonnen die steifste und frömmlerischste ist.

– Und Graf Albert ist eben so ungläubig? Hat auch er den französischen Geist? Sie passen wohl in diesem Falle trefflich für einander!

– Ach! wir passen nicht im mindesten für einander, und da sind wir nun nach allen meinen nothwendigen Umschweifen gerade bei dem Punkte angelangt, wo ich von ihm zu reden habe.

Mein Onkel, Graf Christian, hatte von seiner ersten Frau keine Kinder. Im vierzigsten Jahre heirathete er zum zweiten Male und erhielt von dieser Frau fünf Söhne, welche alle starben und zwar eben so wie ihre Mutter, an einer Krankheit, die mit ihnen geboren war, einem beständigen Schmerz und sozusagen Fieber im Gehirne. Diese zweite Frau war von reinem böhmischen Blute, und, wie man sagt, außerordentlich schön und klug. Ich habe sie nicht gekannt. Sie werden ihr Bildniß in einem Leibchen mit Edelsteinen und Scharlachmantel im großen Saale sehen. Albert sieht ihr wundersam ähnlich. Er war der sechste und letzte ihrer Söhne, der einzige, der ein Alter von dreißig Jahren erreicht hat, und auch nicht ohne Mühe; denn ohne dem Anscheine nach krank zu sein, hat er doch harte Proben durchzumachen gehabt und merkwürdige Symptome von Krankheit des Gehirnes lassen noch immer für sein Leben fürchten. Unter uns, ich glaube nicht, daß er es über diese unglückliche Epoche, welche seine Mutter nicht überschreiten konnte, weit hinausbringt. Obgleich von einem schon hochbejahrten Vater, ist Albert doch von kräftiger Körperanlage, aber, wie er selbst sagt, das Uebel ist in seiner Seele und dieses Uebel hat immer zugenommen.

Von seiner ersten Kindheit an war sein Geist mit seltsamen und abergläubischen Grillen erfüllt. Als er vier Jahre alt war, gab er oft vor, seine Mutter neben seinem Bettchen zu sehen, obgleich sie gestorben war und er sie hatte begraben sehen. In der Nacht wachte er auf, um ihr zu antworten, und Tante Wenceslawa hatte oft einen solchen Schreck davon, daß sie immer mehre Frauen in ihrer Stube bei dem Kinde schlafen ließ, während der Kaplan eine Unmasse von geweihtem Wasser verschwendete, um den bösen Geist auszutreiben, und Messen dutzendweise las, um das Kind still zu machen. Es half aber nichts, denn nachdem das Kind lange Zeit nichts von seinen Gesichten erzählt hatte, sagte es seiner Amme einmal im Vertrauen, sein Mütterchen käme noch immer zu ihm, er wollte aber nicht mehr davon reden, weil der Herr Kaplan gleich schlimme Sachen in der Stube sagte, um sie fortzuscheuchen.

Es war ein finsteres, verschlossenes Kind. Man gab sich alle Mühe, es zu zerstreuen; je mehr man ihm Vergnügen machte und Spielsachen gab, desto trauriger wurde es. Endlich entschloß man sich, der Neigung zum Lesen, die sich bei ihm entwickelte, keinen Widerstand mehr zu leisten, und es wurde in der That munterer, als es diesem Hange folgen durfte, aber an die Stelle seiner brütenden Schwermuth trat nun eine seltsame Schwärmerei, mit Zornaufwallungen untermischt, deren Anlässe man niemals vorhersehen und verhüten konnte. Zum Beispiel, wenn er Arme sah, zerfloß er in Thränen, beraubte sich aller seiner kleinen Kostbarkeiten und war ärgerlich auf sich und traurig, daß er ihnen nie genug geben konnte. Wenn er ein Kind schlagen oder einen Bauer hart behandeln sah, gerieth er in so heftigen Zorn, daß er ohnmächtig wurde oder stundenlang in Krämpfen lag.

Alles dies verkündigte eine edle Natur und eine schöne Seele; aber die herrlichsten Anlagen werden, wenn sie ins Uebertriebene gehen, zu Fehlern oder zu Lächerlichkeiten. Der Verstand entwickelte sich in dem jungen Albert nicht gleichmäßig mit seinem Gefühl und seiner Einbildungskraft. Das Studium der Geschichte begeisterte ihn, ohne ihn aufzuklären. Wenn er von Verbrechen und Ungerechtigkeiten las, so erzürnte er sich nur zu naiv, gleich jenem Barbarenkönige, der, da er die Leidensgeschichte unseres Herrn vorlesen hörte, seine Lanze schüttelte und ausrief: Ha, wäre ich nur mit meinen Kriegern dagewesen, so wäre das alles nicht geschehen! In tausend Stücke hätte ich diese schändlichen Juden zerhackt!

Albert wußte die Menschen nie so zu nehmen, wie sie immer gewesen und wie sie noch sind. Er klagte den Schöpfer an, daß er sie nicht alle gut und mitleidig gemacht hatte, wie ihn, und vor lauter Zärtlichkeit und Tugend bemerkte er nicht, daß er pflichtvergessen und menschenfeindlich wurde. Er begriff nichts als was er in sich erlebte, und als er achtzehn Jahre alt war, wußte er eben so wenig mit den Menschen zu leben und war eben so unfähig, die Rolle in der Gesellschaft zu spielen, welche sein Stand erforderte, als in seinem sechsten Monat. Wenn Jemand in seiner Gegenwart einen Eigennutz blicken ließ, wie er in dieser argen Welt nun einmal die Regel ist und auch nöthig, daß sie bestehe, so nahm er keine Rücksicht auf Rang und Person und auf das, was etwa seine Familie dieser Person schuldig sein mochte, sondern gab ihr auf der Stelle eine unüberwindliche Abneigung zu erkennen, und nichts hätte ihn vermocht, derselben freundlich zu begegnen. Er wählte sich seinen Umgang aus den gemeinsten und am meisten vom Glücke und selbst von der Natur vernachlässigten Geschöpfen. Wenn er als Kind spielte, war es ihm nur in der Gesellschaft armer Kinder wohl, und gerade am wohlsten mit denen, deren Stumpfheit oder Gebrechlichkeit Anderen Langeweile und Ekel erregt haben würde. Diesen sonderbaren Hang hat er nicht verloren, und Sie werden nicht lange bei uns sein, ohne Proben davon zu erhalten.

Da er bei allen diesen Wunderlichkeiten vielen Verstand, ein gutes Gedächtniß und Anlage für die schönen Künste zeigte, so hatten sein Vater und seine gute Tante Wenceslawa, die ihn liebreich erzogen, nicht Ursach, sich in der Welt seiner zu schämen. Man entschuldigte seine Geradheiten mit einer etwas ungeschliffenen Manier, die er im Leben auf dem Lande sich angeeignet hatte, und wenn es schien, als wollte er einmal zu weit darin gehen, so suchte man ihn unter irgend einem Vorwande vor denjenigen, die zum Uebelnehmen geneigt sein mochten, zu verstecken. Aber ungeachtet seiner bewundernswürdigen Eigenschaften und seiner glücklichen Anlagen, sahen der Graf und das Stiftsfräulein mit Schrecken diese unlenksame und rücksichtlose Natur sich in vieler Hinsicht mehr und mehr den Gesetzen des Anstandes und den Sitten der großen Welt verschließen.

– Bis hieher, fiel Consuelo ein, sehe ich noch nichts, was die Unvernunft andeutete, von der Sie sagten.

– Das macht, entgegnete Amalie, weil Sie selbst, so viel ich glaube, eine schöne Seele voll Reinheit und Unschuld sind ... Aber vielleicht ermüdet es Sie, mich schwatzen zu hören, und Sie wollen versuchen, ob Sie schlafen können.

– Nein, liebe Baronin, antwortete Consuelo, ich bitte Sie vielmehr recht sehr, fortzufahren.

Amalie nahm ihre Erzählung wieder auf und sagte das Folgende.

9.

– Sie sagen, liebe Nina, daß Sie bis hierher nichts Ausschweifendes in dem Betragen meines armen Vetters finden. Ich will Ihnen bessere Proben davon liefern. Mein Onkel und meine Tante sind ohne Frage die besten Christen und die mildthätigsten Seelen, die es geben kann. Sie haben von jeher Almosen mit vollen Händen ausgestreut und es ist unmöglich, mit weniger Prunk und Hoffart bei der Verwendung seines Ueberflusses zu verfahren, als meine würdigen Verwandten es thun. Nun sehen Sie, und mein Vetter fand ihren Wandel ganz und gar nicht dem Geist des Evangeliums entsprechend. Wenn es nach ihm ging, so mußten sie alle ihre Habe verkaufen und den Armen geben, um selbst zu Bettlern zu werden. Wenn er dies auch nicht geradezu aussprach, weil seine Ehrfurcht und Liebe ihn zurückhielt, so ließ er doch merken, daß es seine Ansicht war, indem er mit Bitterkeit das Loos der Armen beklagte, die nichts haben als Arbeit und Elend, während die Reichen müßiggehen und schweigen. Hatte er alles Geld ausgegeben, das man ihm zu diesem Behufe überließ, so sah er dies nur als einen Tropfen im Meere an; und er verlangte immer größere Summen, die man ihm auch so viel als möglich gab und die wie Wasser unter seinen Händen zerrannen. Er hat so viel verschenkt, daß Sie weit umher keinen Nothleidenden antreffen werden, und ich darf sagen, wir befinden uns nicht besser dabei als zuvor, denn die Ansprüche und die Bedürfnisse der kleinen Leute wachsen immer mehr, je mehr man ihnen bewilligt, und unsere guten Bauern, die ehedem so demüthig und so schmiegsam waren, tragen den Kopf jetzt gewaltig hoch, in Folge der Freigebigkeit und der schönen Reden ihres jungen Herrn. Wenn wir nicht die kaiserliche Gewalt über uns hätten, um uns von der einen Seite zu schützen, während sie uns von der andern unterdrückt, so glaube ich, wären unsere Ländereien und unsere Schlösser schon zwanzig Mal geplündert und verwüstet von Bauernhorden aus der Nachbarschaft, die der Krieg ausgehungert und Albert's unversiegliches Mitleid, das dreißig Meilen in der Runde bekannt ist, uns auf den Hals gezogen hat, sonderlich in den letzten Erbfolgehändeln.

Wollte einmal Graf Christian dem jungen Albert vernünftige Vorstellungen machen, z. B. alles heute ausgeben, hieße sich nichts für morgen versparen, so antwortete er ihm: Wie denn, Vater! haben wir nicht Dach und Fach, das länger halten wird als wir, während tausend Unglückliche nichts als unseren rauhen, kalten Himmel über sich haben? Hat nicht jeder Einzelne von uns mehr Kleider als für eine ganze Familie dieser in Lumpen gehüllten Armen hinreichen würden? Sehe ich nicht jeden Tag auf unserem Tische mehr Speisen und guten ungarischen Wein als man brauchte, um diese von Noth und Schwäche ausgesogenen Bettler zu sättigen und zu erquicken? Haben wir das Recht, etwas vorzuenthalten, so lange wir mehr als unsere Nothdurft haben? Und dürften wir denn wohl das Nothdürftige selbst genießen, so lange es Anderen daran gebricht? Wie? Ist Christi Gebot zurückgenommen?

Was sollten auf so schöne Worte der Graf, das Stiftsfräulein, der Kaplan antworten, sie, die den Jungen Mann in so eifrigen und strengen Lehren aufgezogen hatten! Sie waren auch wirklich in großer Verlegenheit, als sie ihn die Sachen so buchstäblich nehmen und keines der Zugeständnisse anerkennen sahen, welche man dem Geiste der Zeit macht, worauf aber doch, wie mir scheint, das ganze Gebäude unseres geselligen Lebens ruht.

In politischen Fragen war es umgekehrt. Die menschlichen Gesetze, welche den Herrschern die Macht geben, Millionen Menschen ermorden und ungeheuere Gebiete verwüsten zu lassen, um ihren Hochmuth oder ihre Eitelkeit zu befriedigen, fand Albert ganz verkehrt. Seine Unduldsamkeit in dieser Hinsicht wurde gefährlich, und die Seinigen wagten nicht mehr, ihn mit nach Wien oder Prag oder einer anderen großen Stadt zu nehmen, wo sein Tugendfanatismus ihnen böse Händel zuziehen konnte.

Sie wurden auch bedenklich in Ansehung seiner Rechtgläubigkeit, denn in seiner übertriebenen Religiosität lag alles, was nöthig ist, um einen Ketzer, der den Galgen und das Feuer verdient, zu liefern. Er haßte die Päpste, diese Statthalter Christi, die sich mit den Königen verbänden gegen den Frieden und die Würde der Völker. Er tadelte den Pomp der Bischöfe und den weltlichen Sinn der Prälaten und den Ehrgeiz der gesammten Geistlichkeit. Er hielt dem armen Kaplan Strafpredigten, in denen er Luther und Huß wieder belebte. Und doch verbrachte Albert ganze Stunden knieend vor den Kapellen und versenkt in Betrachtungen und frommen Verzückungen eines Heiligen würdig. Er beobachtete die Fasten und die Abstinenz und ging darin noch über die Vorschriften der Kirche hinaus; man erzählt sich sogar, daß er ein härenes Hemd trug und daß der Graf sein ganzes väterliches Ansehn und die Tante ihre ganze Zärtlichkeit aufbieten mußten, um ihn von diesen Kasteiungen abzubringen, die nicht wenig dazu beitrugen, seinen armen Kopf zu überreizen.

Da die Seinigen sahen, daß er auf dem Wege war, all sein Vatergut in wenigen Jahren zu zerstreuen und sich als Empörer gegen die heilige Kirche und das heilige Reich einsperren zu lassen, entschlossen sie sich endlich, obwohl mit Schmerz, ihn auf Reisen zu schicken, denn sie hofften, wenn er die Menschen und die so ziemlich in der ganzen civilisirten Welt herrschende Gleichförmigkeit der wesentlichen Gesetze ihres geselligen Lebens kennen lernte, so würde er sich gewöhnen nach ihrer Weise und mit ihnen zu leben. Sie vertrauten ihn daher einem Gouverneur an, einem feinen Jesuiten, einem Mann von Welt und von Verstand, der seine Aufgabe mit halbem Worte begriff und es sich zur Gewissenssache machte, alles über sich zu nehmen, was man sich nicht getraute ihm aufzutragen.

Um es deutlich zu sagen, es handelte sich darum, diese ungestüme Seele zu brechen und mürbe zu machen, sie an das gesellige Joch zu gewöhnen, indem man ihr tropfenweise das so süße und so nöthige Gift des Ehrgeizes, der Eitelkeit, der religiösen, politischen und moralischen Indifferenz einflößte.

Runzeln Sie nicht so die Stirne, liebe Porporina! Mein würdiger Oheim ist ein guter, schlichter Mann, der von Jugend auf das alles, wie es ihm geboten wurde, angenommen hat, und der sein Leben lang, ohne zu heucheln und ohne zu prüfen, Toleranz und Religion, Christenpflicht und Standespflichten mit einander zu versöhnen gewußt hat. In einer Welt und in einer Zeit, wo man unter Millionen unseres Gleichen Einen wie Albert findet, ist der, welcher mit der Zeit und der Welt geht, weise, und der, welcher zweitausend Jahre in die Vergangenheit zurücksteigen will, ein Narr, der seinen Nebenmenschen Aergerniß giebt, ohne Jemanden zu bessern.

Albert war acht Jahre auf Reisen. Er hat Italien, Frankreich, England, Preußen, Polen, Rußland und selbst die Türkei besucht; durch Ungarn, Süddeutschland, Baiern ist er heimgekommen. Er führte sich während seiner langen Abwesenheit verständig auf, gab nicht mehr aus, als ihm zu ehrenvollem Auskommen angewiesen war, schrieb sehr liebreiche und freundliche Briefe nach Hause, worin er immer nur von dem, was er gesehen hatte, Rechenschaft gab, und sich niemals auf tiefe Betrachtungen einließ, und gab dem Abbé, seinem Gouverneur, keinerlei Ursache zu Klagen oder Beschwerden.

Als er im Anfange des vorigen Jahres hier wieder angelangt war, zog er sich, nach den ersten Umarmungen, in das Zimmer, sagt man, das seine Mutter bewohnt hatte, zurück, blieb dort mehre Stunden eingeschlossen und kam endlich sehr blaß wieder heraus, um allein einen Spaziergang auf die Berge zu machen.

Der Abbé hatte inzwischen eine vertrauliche Unterredung mit dem Stiftsfräulein und dem Kaplan, die von ihm eine unbedingt offene Erklärung über den geistigen und leiblichen Zustand des jungen Grafen verlangt hatten.

– Graf Albert, hob dieser an, ich weiß nicht, ob der Gedanke auf Reisen zu gehen, ihn plötzlich umgewandelt hat, oder ob ich mir nach dem, was mir Ew. Gnaden über seine Kindheit erzählt hatten, eine falsche Vorstellung von ihm gemacht habe, Graf Albert hat sich mir von dem ersten Tage unseres Zusammenseins an so gezeigt, wie Sie ihn noch jetzt finden werden, sanft, friedfertig, langmüthig, geduldig und überaus höflich. Dieses vortreffliche Betragen hat er keinen Augenblick verleugnet und ich würde der ungerechteste Mensch sein, wenn ich mich im Mindesten über ihn beschwerte. Nichts von allem, was ich fürchtete, nichts von tollen Verschwendungen, von hochfahrender Begegnung, von Declamationen, von ausschweifender Ascetik ist vorgekommen. Er hat mir nicht ein einziges Mal die Zumuthung, gemacht, selbst die Verwaltung des kleinen Kapitals, das s Sie mir anvertraut hatten, zu übernehmen, und hat sich mit Nichts unzufrieden bezeigt. Es ist wahr, daß ich seinen Wünschen stets zuvorgekommen bin, und mich beeiferte, jeden Armen, den ich auf unsern Wagen zukommen sah, zufrieden zu stellen, noch ehe er die Hand ausgestreckt hatte. Diese Verfahrungsart hatte vollkommnen Erfolg, und ich kann sagen, daß der gnädige Herr, da das Schauspiel des Elends und der Hinfälligkeit fast nie seine Blicke schmerzhaft berühren konnte, mir kein einziges Mal auf seine alten Vorurtheile in dieser Hinsicht wieder zu verfallen schien. Nie habe ich ihn Jemanden ausschelten, nie ihn eine Lebensgewohnheit tadeln, nie ihn nachtheilig über eine öffentliche Einrichtung sich äußern hören. Die brünstige Frömmigkeit, deren Uebermaß Sie mich fürchten ließen, hatte, wie es schien, einem vollkommen geregelten Betragen, ganz wie es dem Weltmanne zukommt, Platz gemacht. Er hat die glänzendsten Höfe Europas gesehen und die vornehmsten Gesellschaften, ohne sich von irgend Etwas eingenommen, oder im Gegentheile von irgend Etwas unangenehm berührt zu zeigen. Ueberall hat seine Schönheit, seine edle Haltung, seine ungezwungene Höflichkeit, seine gewählte und stets schickliche Ausdrucksweise Aufmerksamkeit erregt. Seine Sitten sind so rein geblieben wie die eines jungen wohlgezogenen Mädchens, ohne daß er durch irgend eine Prüderie gegen den guten Ton verstoßen hätte. Er hat die Theater, die Museen, die Denkmäler besucht, und jederzeit mit Maß und Einsicht in allen Kunstsachen geurtheilt. Kurz, ich kann mir in keiner Weise die Unruhe erklären, in welche er Ew. Gnaden versetzt hatte, da ich, was mich betrifft, nie einen vernünftigeren Mann gefunden habe. Wenn etwas an ihm außerordentlich ist, so ist es eben diese Mäßigung, diese Klugheit, diese Kaltblütigkeit, diese völlige Begierdelosigkeit und Leidenschaftlosigkeit, die ich noch nie bei einem jungen Manne von seinen Gaben, seiner Geburt und seinen Glücksgütern gefunden habe.

Alles dies war übrigens nur eine Bestätigung dessen, was der Abbé schon in zahlreichen Briefen der Familie geschrieben hatte; allein man hatte immer gefürchtet, daß er übertriebe und man war nicht eher ruhig, als bis man ihn seine Versicherungen ohne Furcht, durch das Betragen meines Vetters unter den Augen der Seinigen Lügen gestraft zu werden, wiederholen hörte.

Man überhäufte nun den Abbé mit Geschenken und Liebkosungen und erwartete mit Ungeduld Albert's Rückkehr von seinem Spaziergange. Er blieb lange aus, und als er endlich zum Abendessen sich einfand, war man erschreckt über die Blässe und den Ernst seiner Züge. In der ersten Freude des Wiedersehens hatte sein Gesicht eine süße, innige Zufriedenheit ausgedrückt, wovon man jetzt keine Spur mehr sah. Man wunderte sich und gab die allgemeine Besorgniß dem Abbé verstohlener Weise zu erkennen. Dieser sah Albert an und sich erstaunt zu denen wendend, die sich mit ihm in einer Ecke des Zimmers besprachen, sagte er:

– Ich finde nichts Außergewöhnliches in dem Gesichte des Herrn Grafen; es hat den würdevollen und ruhigen Ausdruck, den ich an ihm seit den acht Jahren kenne, daß ich die Ehre hatte, ihn zu begleiten.

Graf Christian ließ sich durch diese Antwort zufriedenstellen.

– Als er von uns ging, sagte er zu seiner Schwester, war er noch mit den Rosen der Jugend geschmückt, und oft, ach! eine Beute einer fiebrischen Heftigkeit, die seiner Stimme Stärke und seinen Blicken Feuer gab; wir finden ihn wieder von der Sonne mittägiger Gegenden gebräunt, vielleicht ein wenig von der Anstrengung erschöpft und von dem Ernst erfüllt, der einem gemachten Manne ziemt. Findest du ihn so nicht besser, liebe Schwester?

– Ich finde, daß er mir einen recht traurigen Eindruck macht mit seiner ernsthaften Miene, antwortete meine gute Taute, und ich habe nie einen Menschen von acht und zwanzig Jahren so schwerfällig und so wenig gesprächig gesehen. Er antwortet ja auf alles nur mit Ja und Nein.

– Der Herr Graf ist immer sehr karg in Worten gewesen, entgegnete der Abbé.

– Das war er ehemals nicht, sagte das Stiftsfräulein. Wenn er auch Wochen hatte, wo er schwieg und nachdachte, so hatte er wenigstens Tage, wo er mittheilend und beredt war.

– Seit ich ihn kenne, versetzte der Abbé, hat er sich niemals von dieser Zurückhaltung, die Ew. Gnaden an ihm bemerken, entfernt.

– Gefiel er dir denn damals besser, als er zuviel sprach und Dinge schwatzte, die uns zittern machten? sagte Graf Christian zu seiner besorgten Schwester; so sind nun die Weiber!

– Aber er lebte doch, sagte sie, und jetzt geberdet er sich wie ein Bewohner der andern Welt, der für nichts Sinn hat, was in dieser vorgeht.

– Dieses Wesen, erwiderte der Abbé, hat der Herr Graf stets und ständig; er ist ein in sich gekehrter Mann, der Niemandem mittheilt, was ihn bewegt, der, wenn ich unumwunden meine Meinung sagen soll, sich durch beinah nichts Aeußeres bewegen läßt. Es ist so die Art kalter, bedächtiger, überlegter Naturen. So geartet ist er, und ich glaube, wenn man den Versuch machte, ihn anzutreiben, so würde man nur Verwirrung in diese der Thätigkeit und jedem ungewissen Beginnen abgeneigte Seele bringen.

– O, ich will darauf schwören, daß das nicht sein wahres Wesen ist, rief das Stiftsfräulein aus.

– Sie werden sich noch überzeugen, hochwürdige Frau! daß das, wogegen Sie eingenommen sind, ein seltener Vorzug ist.

– Wirklich, liebe Schwester! sagte der Graf; ich finde des Herrn Abbé Aeußerung sehr verständig. Hat er nicht durch seine Sorgfalt und durch sein geschicktes Eingehen auf Albert's Seelenstimmung das Resultat herbeigeführt, das wir so angelegentlich wünschten? Hat er nicht das Unglück abgewendet, das wir fürchteten? Albert hatte alle Anlage zu einem Verschwender, einem Schwärmer, einem Unbesonnenen. Er kehrt nun zu uns zurück als ein Mann, der die Achtung, das Vertrauen, die Ehrerbietung seiner Mitmenschen verdient.

– Aber abgegriffen wie ein altes Buch, sagte die Stiftsdame, oder vielleicht stumpf gegen alles und allem entfremdet, was nicht zu seinen inneren Trieben stimmt. Er scheint sich nicht glücklich zu fühlen, daß er wieder bei uns ist, bei uns, die wir uns so nach ihm sehnten.

– Auch der Herr Graf sehnte sich nach Hause, entgegnete der Abbé. Ich habe es wohl bemerkt, obgleich er es nicht offen aussprach. Er ist zu wenig mittheilend, er hat von Natur ein zurückhaltendes Wesen.

– Er ist im Gegentheile von Natur mittheilend, versetzte sie lebhaft. Er war manchmal heftig, manchmal zärtlich bis zum Uebermaße. Er machte mich oft böse, aber dann warf er sich in meine Arme, und ich war entwaffnet.

– Gegen mich, sagte der Abbé, hat er nie etwas gut zu machen gehabt.

– Glaube mir, Schwester! es ist besser so, sagte mein Oheim.

– Ach! entgegnete das Fräulein, er wird also ewig dieses Gesicht haben, das mich außer Fassung bringt, das mir das Herz zusammenschnürt?

– Es ist das edle, stolze Gesicht, welches einem Manne seines Ranges wohl ansteht, antwortete der Abbé.

– Es ist ein Gesicht von Stein! rief das Fräulein. Es ist mir, als ob ich seine Mutter sähe, nicht wie ich sie gekannt habe, gefühlvoll und freundlich, sondern wie sie gemalt ist, unbeweglich und starr in ihrem eichenen Rahmen.

– Ich kann Ew. Gnaden nur wiederholen, sagte der Abbé, daß es so die Art des Grafen Albert seit acht Jahren ist.

– O wehe! also acht tödtliche Jahre, in denen er keinen Menschen angelächelt hat, seufzte die gute Tante und weinte; denn seit den zwei Stunden, daß ich ihn nicht aus den Augen lasse, hat kein Lächeln seine geschlossenen und farblosen Lippen verzogen. Ach! ich möchte mich auf ihn stürzen, ihn fest, fest an mein Herz drücken, ihm seine Gleichgültigkeit vorwerfen, ihn schelten sogar, wie sonst, um zu sehen, ob er mir nicht wie sonst mit Schluchzen um den Hals fallen wird.

– Laß dich ja nicht zu solchen Unvorsichtigkeiten verleiten, liebe Schwester! sagte Graf Christian und zwang sie, sich von Albert abzuwenden, den sie immerfort mit feuchten Augen ansah. Gieb nicht den Schwachheiten eines mütterlichen Herzens nach: wir haben genugsam erfahren, welch eine Pest die übertriebene Empfindlichkeit für das Lesben und für die Vernunft unseres Kindes war. Durch Zerstreuung, durch Fernhalten jeder starken Aufregung hat der Herr Abbé, unseren und der Aerzte Absichten gemäß, es dahin gebracht, diese stürmische Seele zu beruhigen; zerstöre nicht sein Werk durch die Ergüsse einer kindischen Zärtlichkeit.

Das Stiftsfräulein unterwarf sich diesen Gründen und suchte sich an Albert's eisiges Wesen zu gewöhnen, aber sie gewöhnte sich nicht daran, und sagte ihrem Bruder oft in's Ohr: Sage was du willst, Christian! ich fürchte, ich fürchte, man hat ihn uns blöd und stumpf gemacht, indem man ihn nicht wie einen Mann, sondern wie ein krankes Kind behandelt hat.

Abends, als die Familie sich trennte, küßte man sich; Albert empfing ehrfurchtsvoll den Segen seines Vaters, und als ihn das Stiftsfräulein umarmte, bemerkte er, daß sie zitterte und daß ihre Stimme bewegt war. Da fing auch er an zu zittern und riß sich schnell aus ihren Armen, als ob ihn plötzlich ein Schmerz durchzuckte.

– Du siehst Schwester! sagte der Graf leise zu ihr, er ist an diese Aufregungen nicht mehr gewöhnt, und du thust ihm Schaden.

Indessen war er doch selbst nicht ohne Besorgniß, und tief bewegt folgte er seinem Sohne mit den Augen, um zu sehen, ob er in seinem Benehmen gegen den Abbé irgend eine besondere Beziehung zu diesem Manne entdecken könnte; allein Albert empfahl sich seinem Gouverneur mit kalter Höflichkeit.

– Mein Sohn, sagte der Graf, ich glaube deinem Wunsche entsprochen und dir etwas Liebes erzeigt zu haben, indem ich den Herrn Abbé bat, dich nicht zu verlassen, wie er schon Willens schien, sondern so lange bei uns zu bleiben als es ihm möglich sein wird. Ich möchte nicht, daß das Glück, uns wieder bei einander zu finden, dir durch irgend eine Entbehrung vergällt würde, und ich hoffe, daß dein verehrungswürdiger Freund uns helfen wird, dir diese Freude ungetrübt zu verschaffen.

Albert antwortete nur durch eine tiefe Verbeugung, bei welcher ein seltsames Lächeln in seinen Mundwinkeln zuckte.

– Ach! sagte das Stiftsfräulein, als er fort war, das ist also sein Lächeln jetzt.

10.

Während der Abwesenheit Albert's hatten der Graf und das Fräulein mancherlei Entwürfe für die Zukunft ihres Schooßkindes gemacht, besonders aber, ihn zu verheirathen. Mit seiner Schönheit, seinem berühmten Namen und seinem noch immer beträchtlichen Vermögen hatte Albert Anspruch auf die ersten Partien. Sollte er jedoch von seiner Gleichgültigkeit und seinem wilden Wesen noch etwas übrig behalten haben und deshalb nicht recht geschickt sein, in der Welt aufzutreten und seine eigene Sache zu führen, so sparte man ihm für diesen Fall eine junge Person auf, an Geburt ihm gleich, da sie seine leibliche Cousine war und einerlei Namen mit ihm führte, zwar nicht so reich wie er, aber einzige Erbin und ziemlich hübsch, wie man es zu sechzehn Jahren ist, wenn man frisch ist und das hat, was sie in Frankreich la beauté du diable Nämlich nach dem Sprichwort: Le Diable était beau, quand il était jeune. Wir haben im Deutschen meines Wissens nichts Aehnliches; dem Sinne nach entsprechend ist das Sprichwort: »Jung ist schön genug.« – A. d. Uebers. nennen. Diese junge Person war Amalie, Freiin von Rudolstadt, Ihre gehorsame Dienerin und neue Freundin.

Diese, sagte man sich im Kaminwinkel, hat noch keinen Mann gesehen. Sie ist im Kloster aufgezogen und wird sich gern vermählen lassen, um herauszukommen. Sie kann auf eine bessere Partie keinen Anspruch machen, und wenn auch in ihrem Cousin noch ein Paar Wunderlichkeiten steckten, so wird doch die Gewohnheit des Umgangs von Kindheit an, die Verwandtschaft, und ein trauliches Beisammenleben von einigen Monaten hier im Schlosse gewiß bald jede Abneigung beseitigen und sie dahin bringen, wäre es nur aus verwandtschaftlichem Gefühle, Dinge stillschweigend hinzunehmen, die einer Fremden vielleicht unerträglich wären.

Der Zustimmung meines Vaters war man gewiß, denn der hat nie etwas anderes gewollt als sein Aeltester und seine Schwester Wenceslawa, und, die Wahrheit zu sagen, er hat nie einen eigenen Willen gehabt.

Als man sich nach vierzehntägiger sorgfältiger Beobachtung überzeugt hatte, daß stäte Schwermuth und unabänderliche Verschlossenheit den entschiedenen Charakter meines Vetters auszumachen schienen, gestanden sich mein Onkel und meine Taute, daß der letzte Sproß ihres Hauses nicht dazu bestimmt war, diesem durch sein persönliches Auftreten neuen Glanz zu verschaffen. Er zeigte keine Neigung, irgend eine Rolle in der Welt zu spielen, weder als Soldat, noch als Diplomat, noch im Civildienste. Auf alles was man ihm vorschlug, antwortete er mit der Miene der Ergebung, daß er dem Willen seines Vaters folgen würde, daß er selbst aber kein Verlangen nach Ruhm und Ehre trüge.

Im Grunde war diese Indolenz nichts weiter als ein überladener Abdruck derjenigen, welche sein Vater besaß, dieser friedselige Mann, dessen Geduld an Fühllosigkeit grenzt und dessen Selbstverleugnung weit über das Maß gewöhnlicher Bescheidenheit hinausgeht. Was meinem Onkel einen Anstrich giebt, den sein Sohn nicht hat, ist ein lebendiges Gefühl, das jedoch frei von Prunk und Hoffart ist, für seine Pflichten in der Gesellschaft.

Albert schien allgemach die Familienpflichten erkannt zu haben, allein die Pflichten des öffentlichen Lebens, was wir so darunter verstehen, schienen ihn ebensowenig als in den Tagen seiner Kindheit zu beschäftigen. Sein und mein Vater hatten unter Montecuculli gegen Türenne gedient. Sie hatten in das Kriegshandwerk eine Art religiösen Gefühls für die kaiserliche Majestät hineingetragen. Es galt zu ihrer Zeit für Pflicht, sich dem oberherrlichen Willen blindlings zu unterwerfen. Die jetzige, aufgeklärtere Zeit streift den Herrschern den Himmelsglanz ab und die Jugend ist kühn genug, an die Krone so wenig als an die Tiara zu glauben. Als mein Onkel es versuchen wollte, in seinem Sohne den alten ritterlichen Eifer wieder zu entzünden, ward er bald gewahr, daß seine schönen Reden an diesen stolzen Klügler verloren waren.

Da es einmal so ist, sagten sich mein Onkel und meine Tante, so wollen wir ihm nicht widersprechen. Wir wollen nicht noch diese Wiederherstellung verpfuschen, die schon traurig genug ausgefallen ist, die uns statt eines überspannten einen abgespannten Menschen geliefert hat. Wir wollen ihn still nach seiner Weise leben lassen, möge er sich nun philosophischen Studien anheimgeben, wie mehrere seiner Vorfahren, oder möge er leidenschaftlicher Jäger werden wie Bruder Friedrich, oder möge er seine Freude darin suchen, wie wir, seinen Unterthanen ein gerechter und gütiger Herr zu sein. Führe er immerhin das friedsame, leidenschaftlose Leben eines Greisen, er wird der erste Rudolstadt sein, der keine Jugend gehabt hat. Aber damit er nicht der letzte seines Stammes werde, wollen wir ihn vermählen; vielleicht werden die Erben unseres Namens diesen Flecken im Glanze unseres Hauses wieder auslöschen. Wer weiß? Es soll vielleicht das edle Blut seiner Ahnen durch göttliche Fügung in ihm Ruhe haben, um dann desto feuriger und stolzer wieder durch die Adern seiner Nachkommen zu strömen.

Es wurde demnach beschlossen, die Vermählung bei Vetter Albert aufs Tapet zu bringen.

Man begann mit leisen Andeutungen; da man ihn aber auch diesem Vorschlage wie jedem andern abgeneigt fand, machte man ihm ernstliche und eifrige Vorstellungen. Er hielt seine Blödigkeit entgegen, sein linkisches Benehmen gegen Frauen.

– Es ist freilich wahr, sagte meine Tante, daß mir in meiner Jugend ein so finsterer Bewerber wie Albert mehr Furcht als Lust gemacht haben würde, und daß ich nicht für meinen Höcker seine Gesellschaft hätte einhandeln mögen.

– So müssen wir denn, sagte mein Onkel, auf unseren Nothnagel zurückkommen und ihm Amalie zur Frau geben. Er hat sie als Kind gekannt, er sieht sie wie eine Schwester an, er wird weniger blöde mit ihr sein, und da sie ein munteres und entschiedenes Wesen hat, so wird sie durch ihre heitere Laune der finsteren entgegenwirken, die ihn mehr und mehr zu beschleichen scheint.

Albert wies diesen Vorschlag nicht zurück; er sprach sich nicht offen aus, aber er hatte nichts dawider, mich zu sehen und kennen zu lernen. Man kam überein, mich von nichts wissen zu lassen, um mir die Kränkung einer abschläglichen Antwort von seiner Seite, die immer doch möglich war, zu ersparen. Man schrieb an meinen Vater, und sobald dieser seine Zustimmung gegeben hatte, that man die nöthigen Schritte, um beim Papste den Dispens wegen unseres Verwandtschaftsgrades auszuwirken. Zu gleicher Zeit nahm mich mein Vater aus dem Kloster und eines schönen Morgens langten wir auf Riesenburg an, ich sehr glücklich, die freie Lust zu athmen, und voll Ungeduld, meinen Verlobten zu sehen, mein guter Vater voll freudiger Hoffnungen und in der Meinung, daß er mir den Heirathsplan sehr geschickt versteckt hätte, während er ihn, ohne es zu wissen, mir unterweges bei jedem Worte verrathen hatte.

Das erste was mir an Albert auffiel war sein schönes Gesicht und seine würdevolle Haltung. Ich will Ihnen gestehen, liebe Nina, daß mein Herz hoch schlug, als er mir die Hand küßte und daß ich eine Reihe von Tagen ganz entzückt von seinem Blick und von jedem seiner Worte war. Sein ernstes Wesen mißfiel mir nicht, er schien sich völlig ungezwungen gegen mich zu benehmen. Er dutzte mich wie in unserer Kindheit, und als er sich verbessern wollte, aus Furcht gegen die Schicklichkeit verstoßen zu haben, erlaubten ihm meine Eltern und baten ihn gewissermaßen, seine alte Vertraulichkeit mit mir beizubehalten. Meine Fröhlichkeit entlockte ihm manchmal ein ungezwungenes Lächeln, und meine gute Tante, die ganz entzückt darüber war, that mir die Ehre an, eine Heilung, die sie schon für ganz radical hielt, mir beizumessen.

Genug, er behandelte mich mit der Freundlichkeit und Güte, die man einem Kinde bezeigt, und ich begnügte mich damit in der Meinung, daß er meinem munteren Gesichtchen und den hübschen Toiletten, die ich ihm zu gefallen verschwendete, schon noch mehr Aufmerksamkeit schenken würde.

Ich sah aber bald mit Verdruß, daß er sich aus dem ersteren sehr wenig machte und die letzteren gar nicht einmal bemerkte. Eines Tages wollte ihn meine gute Tante auf ein hübsches lasurblaues Kleid aufmerksam machen, das meine Taille zum Entzücken hervorhob. Da behauptete er, das Kleid wäre sehr schön roth. Der Abbé, sein Gouverneur, der allezeit zuckersüße Complimente auf den Lippen hatte und ihn auf eine Galanterie hinleiten wollte, rief, er verstünde ganz gut, daß Graf Albert es nicht auf die Farbe meines Kleides abgesehen hätte. Dies war nun eine Gelegenheit für Albert, mir etwas Schönes über meine rosigen Wangen oder mein goldenes Haar zu sagen. Allein er that nichts weiter, als daß er dem Abbé ganz trocken zur Antwort gab, er könnte ebenso gut wie jener die Farben unterscheiden, und mein Kleid wäre in der That roth wie Blut.

Diese Ungeschliffenheiten und die besondere Wahl des Ausdrucks machten, daß es mich kalt überlief, ich weiß selbst nicht warum. Ich sah Albert an und bemerkte nun einen Blick an ihm, der mir Grauen erregte. Ich fing an, ihn mehr zu fürchten als zu lieben. Bald liebte ich ihn gar nicht mehr und jetzt fürchte ich ihn weder, noch liebe ich ihn. Ich bedauere ihn, das ist alles. Sie werden nach und nach schon sehen weshalb, und werden es natürlich finden.

Tages darauf sollten wir einiger Einkäufe wegen nach der nächsten Stadt, Tauß. Ich versprach mir viel Annehmlichkeit von dieser Tour, Albert sollte mich zu Pferde begleiten. Ich war fertig und wartete, daß er käme, mir den Arm zu bieten. Die Wagen warteten auch schon auf dem Hofe. Er erschien noch immer nicht. Sein Kammerdiener sagte, er hätte zur gewöhnlichen Zeit an seine Thür geklopft. Man ließ nachsehen, ob er sich fertig machte. Albert hatte nämlich die Grille, sich immer selbst anzukleiden und nie zu leiden, daß ein Bedienter sein Zimmer beträte, bis er hinaus war. Man klopfte vergeblich, er gab keine Antwort. Sein Vater, den dieses Stillschweigen beunruhigte, ging hinauf nach Albert's Zimmer und konnte weder die Thür öffnen, welche von innen verriegelt war, noch eine Antwort erlangen. Man fing an sich beunruhigt zu fühlen, als der Abbé ganz trocken bemerkte, Albert hätte manchmal Anfälle von Schlafsucht, in denen er wie starr läge, und wenn man ihn gewaltsam herausrisse, so wäre er hernach Tagelang unruhig und wie leidend.

– Aber das ist ja eine Krankheit, sagte das Stiftsfräulein äußerst besorgt.

– Ich glaube nicht, entgegnete der Abbé. Ich habe ihn nie über irgend etwas klagen hören. Die Aerzte, welche ich während solcher Anfälle von Schlaf kommen ließ, fanden an ihm kein Fiebersymptom und erklärten es für eine Erschöpfung, welche eine Folge übermäßiger Anstrengung durch Arbeit oder Denken sein müßte. Sie riethen mir angelegentlich, diesem Bedürfniß der Ruhe und Erholung nichts in den Weg zu legen.

– Und kommt das häufig? fragte mein Oheim.

– Ich habe das Phänomen, antwortete der Abbé, nur fünf oder sechs Male während der acht Jahre beobachtet, und da ich ihn nie durch unzeitige Beflissenheit störte, so hat es auch niemals schlimme Folgen gehabt.

– Und dauert es lange? fragte ich meinerseits sehr ungeduldig.

– Je nachdem! entgegnete der Abbé. Es hängt von der Dauer der Schlaflosigkeit ab, welche dieser Abspannung vorangegangen ist oder sie verursacht hat; aber wissen kann man es nicht, denn der Herr Graf erinnert sich niemals der Veranlassung oder will sie wenigstens nicht sagen. Er arbeitet äußerst angestrengt, verbirgt sich aber damit in seltener Bescheidenheit.

– Er weiß also wohl sehr viel? fragte ich.

– Außerordentlich viel.

– Und er zeigt es niemals?

– Er hält damit zurück, und giebt sich auch wohl selbst keine Rechenschaft darüber.

– Aber wozu hilft es ihm alsdann?

– Mit den geistigen Gaben, versetzte der höfische Jesuit, mich süßlich anblickend, ist es wie mit der Schönheit. Es sind Geschenke des Himmels, sie machen diejenigen, welche sie besitzen, nicht stolz und dünken ihnen nichts Besonderes.

Ich verstand die Lection und wurde darüber nur noch verdrießlicher, wie Sie leicht denken können. Man beschloß die Abfahrt zu verschieben, bis mein Cousin aufgewacht sein würde; da aber zwei Stunden hingingen, ohne daß er sich rührte, zog ich mein prächtiges Reitkleid aus und setzte mich an den Stickrahmen, wo ich alle Augenblicke den Faden zerriß oder falsche Stiche machte. Ich war außer mir über Albert's Ungezogenheit, daß er sich am Abend vor einem Spazierritt mit mir, über seinen Büchern vergessen und dann, während ich warten mußte, ganz süß und ruhig schlafen konnte. Es wurde endlich zu spät, um noch an die Ausführung unseres Planes zu denken. Mein Vater, der durch die Versicherung des Abbé zufrieden gestellt war, nahm seine Flinte und ging in den Wald um etwas Hase zu schießen. Meine Tante traute weniger und ging mehr als zwanzigmal hinaus, um an Albert's Thüre zu horchen, ohne daß sie ihn auch nur athmen hörte. Die arme Frau war ganz unglücklich über meine ärgerliche Laune. Mein Onkel dagegen nahm ein Gebetbuch, um seine Besorgnisse zu zerstreuen, setzte sich in einen Winkel und las mit einer Ergebung und Ruhe, daß ich hätte aus dem Fenster springen mögen.

Endlich gegen Abend kam die Tante voller Freude mit der Nachricht herunter, sie habe Albert aufstehen und sich ankleiden gehört. Der Abbé empfahl uns, wir möchten weder Besorgniß noch Verwunderung blicken lassen, den Herrn Grafen nichts fragen und, wenn er etwa Mißmuth über den Vorfall zeigen sollte, ihn davon abzulenken suchen.

– Aber wenn es keine Krankheit bei meinem Cousin ist, rief ich mit einiger Aufwallung, so ist es Verrücktheit.

Ich sah, daß mein Onkel sich entfärbte und bereute auf der Stelle mein hartes Wort. Als aber Albert eintrat und sich bei Niemandem entschuldigte, und von dem Querstrich, den er uns gemacht hatte, gar nichts zu wissen schien, war ich außer mir und begegnete ihm sehr kurz. Er bemerkte das nicht einmal, er schien ganz in Gedanken verloren.

Am Abend dachte mein Vater, daß ein wenig Musik ihm eine Zerstreuung machen würde. Ich hatte in Albert's Gegenwart noch nicht gesungen. Meine Harfe war erst Tages zuvor angekommen. Vor Ihnen, der Meisterin, darf ich mich freilich nicht rühmen, daß ich in der Musik etwas leisten kann. Sie werden aber wenigstens sehen, liebe Porporina, daß ich eine hübsche Stimme habe, und daß es mir, an natürlichem Geschmack nicht fehlt. Ich ließ mich bitten, ich hatte mehr Lust zu weinen, als zu singen. Albert sagte kein Wort. Endlich gab ich nach, aber ich sang sehr schlecht, und Albert hatte die Grobheit, nach einigen Takten hinauszugehen, als ob ich ihm die Ohren zerrisse. Ich mußte meinen ganzen Stolz zusammennehmen, um nicht in Thränen auszubrechen, und um mein Stück zu beendigen ohne die Saiten meiner Harfe zu sprengen. Meine Tante war ihrem Neffen nachgegangen, mein Vater war eingeschlafen, mein Onkel stand an der Thür und erwartete die Rückkunft seiner Schwester, um nach Albert zu fragen. Nur der Abbé blieb übrig, um mir Complimente zu machen, die mich aber noch mehr ärgerten als die Achtlosigkeit der Anderen.

– Mein Cousin scheint die Musik nicht zu lieben, sagte ich zu ihm.

– Im Gegentheil, er liebt sie sehr, entgegnete er, aber jenachdem  ...

– Jenachdem man singt, fiel ich ihm in die Rede.

– Jenachdem er gestimmt ist, fuhr er fort, ohne sich außer Fassung bringen zu lassen; manchmal thut ihm die Musik wohl, manchmal wehe. Sie haben ihn sicherlich so ergriffen, daß er in Besorgniß war, nicht an sich halten zu können. Und sein Weggehen ist schmeichelhafter für Sie, als die größten Lobsprüche.

Die kriechende Artigkeit dieses Jesuiten hatte so etwas tückisches und hämisches, daß sie mir ganz abscheulich war. Aber ich wurde bald davon befreit, wie Sie gleich hören werden.

11.

Am folgenden Tage hatte meine Tante, die immer nur spricht, wenn ihr Herz bewegt ist, den unglücklichen Einfall, sich in eine Unterhaltung mit dem Abbé und dem Kaplan einzulassen. Und da es außer der Liebesthätigkeit für die Ihrigen, welche ihre Seele beinahe ganz ausfüllt, nur noch einen einzigen Gegenstand auf der Welt giebt, an dem sie eine Zerstreuung findet, nämlich ihren Familienstolz, so verfehlte sie nicht, diesen zu kitzeln, indem sie sich über ihren Stammbaum verbreitete und den beiden Priestern erklärte, daß unser Geschlecht das reinste, edelste und herrlichste in Deutschland, sonderlich durch die weibliche Linie wäre. Der Abbé hörte ihr mit Geduld und der Kaplan voll Ehrfurcht zu, als Albert, welcher gar nicht auf das Gespräch geachtet zu haben schien, plötzlich ihr in die Rede fiel.

– Sie scheinen sich, gute Tante! sagte er, über die Vorzüge unserer Familie einige Vorspiegelungen zu machen. Es ist wahr, daß der Adel und die Würden unserer Vorfahren in eine ziemlich ferne Vergangenheit hinaufreichen, aber eine Familie, die ihren Namen einbüßt, ihn gewissermaßen abschwört, um den Namen einer Geschlechts- und Glaubensfremden anzunehmen, hat das Recht verloren, sich mit dem Alter ihres Verdienstes und ihrer Treue gegen das Vaterland zu brüsten.

Diese Anmerkung war dem Stiftsfräulein sehr unangenehm; aber da der Abbé die Ohren gespitzt zu haben schien, glaubte sie etwas entgegnen zu müssen.

– Ich bin nicht deiner Meinung, liebes Kind! sagte sie. Es hat sich sehr oft begeben, daß berühmte Häuser mit gutem Rechte, um sich noch berühmter zu machen, ihrem Namen den eines mütterlichen Zweiges beigesellt haben, um nicht ihre Erben der Ehre zu berauben, die ihnen durch die Abkunft von einer ruhmvoll entstammten Frau zukommt.

– Aber auf unsern Fall läßt sich dieser Satz nicht anwenden, versetzte Albert mit einer Beharrlichkeit, die bei ihm nicht gewöhnlich war. Ich begreife die Vereinigung zweier berühmten Namen sehr wohl. Ich finde es in der Ordnung, daß eine Frau ihren Namen dem ihres Gemahls beigesellt auf ihre Kinder vererbe. Aber die völlige Unterdrückung dieses letzteren Namens scheint mir eine schwere Beleidigung von Seiten der Frau, welche sie bewirkt, eine Nichtswürdigkeit von Seiten des Mannes, der sie sich gefallen läßt.

– Du gehst auf sehr alte Geschichten zurück, Albert! sagte das Stiftsfräulein mit einem tiefen Seufzer, und wendest den Satz noch falscher an als ich. Der Herr Abbé könnte glauben, wenn er dich hört, daß irgend einer unserer Ahnen männlicher Seits einer Nichtswürdigkeit fähig gewesen wäre; und da du Dinge so gut kennst, von denen ich dich kaum unterrichtet glaubte, so hättest du eine solche Bemerkung in Betreff politischer Ereignisse ... die Gott sei Dank, einer schon sehr fernen Zeit angehören ... nicht machen sollen.

– Wenn meine Bemerkung Ihnen unangenehm ist, so will ich die Sache erzählen, um unsern Ahn Withold, den letzten Podiebrad, von jedem Tadel, der sein Andenken beflecken könnte, zu reinigen. Es scheint meine Cousine zu interessiren, setzte er hinzu, da er bemerkte, daß ich große Augen machte, als er sich in eine seiner philosophischen Richtung und seiner schweigsamen Gewohnheit so ganz und gar nicht entsprechende Verhandlung einließ. Erfahren Sie denn, Amalie! daß unser Urgroßvater Wratislav erst vier Jahre alt war, als seine Mutter von Rudolstadt ihm die Schmach glaubte auferlegen zu müssen, seinen wahren Namen, den Namen seiner Väter, den Namen Podiebrad, mit diesem sächsischen Namen zu vertauschen, den wir beide jetzt führen, Sie ohne zu erröthen und ich, ohne stolz darauf zu sein.

– Es ist wenigstens eine ganz unnütze Sache, sagte Onkel Christian, dem dies Gespräch sehr unbehaglich zu sein schien, dergleichen alte Geschichten aufzuwärmen.

– Mir scheint, entgegnete Albert, daß Tante auf viel ältere Geschichten zurückgegangen ist, indem sie uns die Heldenthaten der Rudolstadt erzählte, und ich begreife nicht, warum Einer von uns, der sich zufällig daran erinnert, daß er von böhmischer und nicht von sächsischer Abkunft ist, daß er eigentlich Podiebrad und nicht Rudolstadt heißt, etwas gar so Unziemliches thun müßte, wenn er von Ereignissen redet, die immer doch nicht weiter als hundert und zwanzig Jahre rückwärts liegen.

– Ich wußte wohl, bemerkte der Abbé, der Alberten mit einiger Spannung zugehört hatte, daß Ihre berühmte Familie in der Vorzeit mit dem königlichen Geschlechte Georgs Podiebrad zusammenhing, aber das wußte ich nicht, daß sie in so gerader Linie von ihm abstammt, um den Namen derselben zu führen.

– Das kommt daher, sagte Albert, daß meine Taute, die sich so trefflich auf Stammbäume versteht, für gut befunden hat, den alten, ehrwürdigen Baum, auf dessen Stamm wir gewachsen sind, in ihrer Erinnerung abzuhauen. Aber ein Baum, auf welchem unsere ruhmvolle und schreckliche Geschichte in blutigen Lettern geschrieben ist, steht noch auf dem nächsten Berge.

Da Albert sehr lebhaft wurde, während er so sprach und das Gesicht meines Onkels sich inzwischen immer mehr verdunkelte, so suchte der Abbé die Unterhaltung auf etwas anderes zu lenken, obgleich auch seine Neugier rege gemacht war. Die meinige aber ließ mich so nicht ruhen.

– Was meinen Sie hiermit, Albert? rief ich aus, indem ich ihm näher rückte.

– Ich meine, sagte er, was einer Podiebrad nicht unbekannt sein sollte. Nämlich, daß die alte Eiche vom Schreckenstein, die Sie alle Tage aus Ihrem Fenster sehen, Amalie! und unter der ich Ihnen nie zu sitzen rathe, ohne daß Sie Ihre Seele zu Gott erheben, vor dreihundert Jahren Früchte getragen hat ein Bischen schwerer als die vertrockneten Eicheln, die sie jetzt kaum noch mit Mühe hervorbringt.

– Es ist eine grausenvolle Geschichte, sagte der Kaplan, höchst bestürzt, und ich weiß gar nicht, woher sie Graf Albert erfahren haben kann.

– Aus der Ueberlieferung des Landes, versetzte Albert, und vielleicht  ... aus einer noch zuverlässigeren Quelle. Denn wenn man auch die Familienarchive und die historische Documente verbrennt, mein Herr Kaplan! wenn man auch die Kinder in Unwissenheit über die frühere Geschichte aufwachsen läßt; wenn man auch den Einfältigen Wind vormacht und den Schwachen Furcht macht, damit sie schweigen – es hilft alles nicht, die Furcht weder vor Gewalt noch vor der Hölle ist im Stande, die tausend Stimmen der Vergangenheit, die sich überall erheben, stumm zu machen. Nein nein, sie schreien zu laut, diese schrecklichen Stimmen, sie schreien zu laut, als daß die Stimme eines Priesters sie überschreien könnte! Sie reden zu uns im Schlafe, sie reden zu uns durch den Mund der Geister, welche aufsteigen uns zu mahnen und zu warnen, sie reden zu uns durch alle Laute der Natur, sie schallen aus den Bäumen wie vordem die Stimme der Götter in den heiligen Hainen, und geben uns von den Verbrechen, von den Leiden, von den Heldenthaten unserer Väter Kunde.

– Was soll es nur, du armes Kind! sagte das Fräulein, daß du deinen Geist mit so bitteren Gedanken und so traurigen Erinnerungen nährst?

– Ihre Genealogien, Tante! Ihre Reise in die Vorzeit, die Sie noch jetzt eben machten, hat in mir das Andenken jener funfzehn Mönche aufgeweckt, die einer meiner Ahnen eigenhändig an den Aesten jenes Eichbaums henkte – o, der größte, wildeste, standhafteste von allen, er, den sie den furchtbaren Blinden nannten, der unüberwindliche Johann Ziska Siehe »Achter Theil« von »Die Gräfin von Rudolstadt« (Fortsetzung von »Consuelo«): »Johann Ziska. Episode aus dem Hussitenkriege« (Verlag von Otto Wigand, Leipzig, 1844), eine historische Studie der Verfasserin. Darin macht sie, so der Übersetzer L. Meyer, »ihre Leser mit den historischen Ereignissen näher bekannt ( ...), die sie bei Gelegenheit von Consuelo's Aufenthalt auf der Riesenburg zum Verständniß des seltsamen Charakters Albert's nur flüchtig erwähnte.« – Anm.d.Hrsg. vom Kelche.

Der gewaltige und verabscheute Namen des Hauptes der Taboriten, jener Sektirer, die im Hussitenkriege an Tapferkeit, Kraft und Barbareien alle anderen Religionsparteien übertrafen, fiel wie ein Blitzstrahl auf den Abbé und auf den Kaplan. Der letztere machte ein großes Kreuz, die Tante fuhr mit ihrem Stuhle zurück, welcher dicht neben Albert's Stuhle stand.

– Gott in Gnaden! rief sie; von was und von wem redet das Kind! Hören Sie nicht auf ihn, Herr Abbé. Nie, nein nie hat unsere Familie irgend einen Zusammenhang mit dem Verworfenen gehabt, dessen gräßlichen Namen er soeben aussprach.

– Reden Sie für sich, gute Tante! antwortete Albert mit Nachdruck. Sie sind eine Rudolstadt in Ihrer Gesinnung, obgleich Sie thatsächlich eine Podiebrad sind. Ich aber, ich habe ein Blut in den Adern, das mit etlichen Tropfen mehr des böhmischen Blutes gefärbt und mit etlichen Tropfen weniger des fremden geläutert ist. Meine Mutter hatte weder Sachsen, noch Baiern, noch sonst etwas fremdes in ihrem Stammbaum, sie war von reinem böhmischen Schlage, und wie Sie sich nicht viel zu machen scheinen aus einem Adel, auf den Sie keinen Anspruch haben, so will ich, der ich auf meinen persönlichen Adel halte, Ihnen sagen, wenn Sie es nicht wissen, Ihnen in's Gedächtniß rufen, wenn Sie es vergessen haben, daß Johann Ziska eine Tochter hinterließ, die einen Herrn von Prachatitz Im Originale steht wiederholt Prachalitz, was ich für einen Druckfehler halte, da, meines Wissens, nur Prachatitz (Prachaticz) ein böhmischer Name ist (der einer Stadt im Prachiner Kreise und nach dieser dann der Herren von Prachatitz, deren mehre sich im Husitenkriege hervorgethan). Woher die Notiz entnommen, daß Ziska's Tochter einem Prachatitz vermählt gewesen, oder ob (wie das ganze Rudolstädtsche Familienverhältniß) bloß erfunden, weiß ich nicht; denn Lenfant (Geschichte des Hussitenkrieges, Buch XI. §. 25.), vermutlich die Quelle unseres Verfassers, sagt: »Von Ziska's Familie habe ich weiter nichts erkundet, als daß er verheirathet gewesen und eine Tochter hinterlassen, die dem Adel ihrer Vorfahren nicht entartete.« – D. Ueb. ehelichte und daß meine Mutter, die eine Prachatitz war, in weiblicher Linie von Johann Ziska abstammte, wie Sie von den Rudolstadt, meine Tante.

– Ein Traum, ein Irrthum ist das, Albert!

– Nein, liebe Tante! ich berufe mich auf den Herrn Kaplan, der ein wahrheitliebender und gottesfürchtiger Mann ist. Er hat die Pergamente, welche es bewiesen, in Händen gehabt.

– Ich! rief der Kaplan bleich wie der Tod.

– Sie dürfen es vor dem Herrn Abbé ohne Erröthen gestehen, versetzte Albert mit bitterer Ironie, da Sie Ihre Pflicht als katholischer Priester und österreichischer Unterthan erfüllt haben, indem Sie sie am Tage nach dem Tode meiner Mutter verbrannten!

– Diese Handlung, die mir mein Gewissen gebot, rief der Kaplan noch bleicher, hat Niemanden als Gott zum Zeugen gehabt. Graf Albert, wer hat Ihnen das entdecken können?

– Ich habe es Ihnen gesagt, Herr Kaplan! Die Stimme, welche lauter ruft als die des Priesters!

– Was für eine Stimme, Albert? fragte ich, im höchsten Grade gespannt.

– Die Stimme, welche zu uns im Schlafe redet, entgegnete Albert.

– Aber das erklärt die Sache nicht, mein Sohn! sagte Graf Christian ganz nachdenklich und traurig.

– Der Schrei des Blutes, Vaters erwiderte Albert mit einem Tone, der uns alle zittern machte.

– Mein Gott, mein Gott! rief mein Onkel, die Hände faltend; das sind dieselben Träume, dieselben Einbildungen, die seine arme Mutter peinigten. Sie muß in ihrer Krankheit vor unserem Kinde von dem allen gesprochen haben, fügte er hinzu, indem er sich zu meiner Tante beugte, und es muß frühzeitig einen Eindruck auf seinen Geist gemacht haben.

– Unmöglich, Bruder! erwiderte das Stiftsfräulein; Albert war erst drei Jahre alt, als er seine Mutter verlor.

– Es muß vielmehr, sagte der Kaplan leise, etwas von diesen verruchten, ganz mit Lügen und mit einem Gewebe von Gottlosigkeiten angefüllten Schriften, die sie als Familienandenken aufbewahrt hatte, in ihrer letzten Stunde aber so fromm war, mir Preis zu geben, irgendwo im Hause zurückgeblieben sein.

– Nein! es ist nichts zurückgeblieben, antwortete Albert, der kein Wort des Kaplans verloren hatte, ungeachtet dieser sehr leise sprach und Albert, der mit starken Schritten auf- und niederging, sich in diesem Augenblicke am andern Ende des großen Saales befand. Sie wissen seht wohl, Herr Kaplan! daß Sie alles vernichtet haben, und daß Sie am Tage nach ihrem Tode noch alle Winkel ihres Zimmers durchstöbert und durchsucht haben.

– Wer hat dein Gedächtniß so aufgefrischt oder verwirrt, Albert? fragte Graf Christian mit strengem Tone. Welcher ungetreue oder unvorsichtige Diener hat sich unterstanden, deinen jugendlichen Geist durch eine, sicherlich übertriebene Schilderung dieser häuslichen Vorgänge zu beunruhigen?

– Keiner, mein Vater! Ich schwöre es Ihnen bei allem was mir heilig ist.

– Der Feind, der böse Feind ist dabei im Spiele, rief der erschrockene Kaplan.

– Es wäre doch wahrscheinlicher und christlicher anzunehmen, bemerkte der Abbé, daß Graf Albert mit einem außerordentlichen Erinnerungsvermögen begabt ist und daß Vorgänge, welche gemeinlich auf das zarte Alter noch keinen Eindruck machen, in seinen Geist sich eingegraben haben. Was ich von seiner seltenen Fassungskraft gesehen habe, macht es mir sehr glaublich, daß sein Verstand sich schon frühzeitig entwickelt haben müsse, und was seine Fähigkeit betrifft, Sachen mit dem Gedächtnisse festzuhalten, so ist mir diese in der That ganz wunderbar erschienen.

– Sie scheint Ihnen nur deshalb wunderbar, weil sie Ihnen selbst gänzlich fehlt, versetzte Albert trocken. Zum Beispiel erinnern Sie sich nicht, was Sie im Jahre 1619 thaten, nachdem Withold Podiebrad, der Protestant, der Tapfere, der Getreue (Ihr Großvater, meine theure Tante), der letzte, der unsern Namen trug, mit seinem Blute den Schreckenstein geröthet hatte? Ich will wetten, Sie haben Ihre Aufführung bei dieser Gelegenheit vergessen, mein Herr Abbé.

– Ich habe sie in der That rein vergessen, antwortete der Abbé mit einem spöttischen Lächeln, welches gewiß in einem Augenblick sehr unzeitig war, wo es uns allen deutlich wurde, daß Albert völlig irre redete.

– Nun wohl! ich will sie Euch in's Gedächtniß rufen, Herr Abbé, entgegnete Albert, ohne aus seiner Fassung zu kommen. Ihr liefet sehr eilig, den kaiserlichen Soldaten Rath zu geben, denen es gelungen war, sich zu retten oder zu verstecken, weil die Bürger von Pilsen, die den Muth hatten sich als Protestanten zu bekennen und dem Withold sehr zugethan waren, herbeieilten, um seinen Tod zu rächen und seine Mörder in Stücke zu hauen. Hierauf eiltet Ihr zu meiner Urgroßmutter Ulrike, der zitternden, erschreckten Wittwe Witholds, und verhießet ihr, sie mit Kaiser Ferdinand II. auszusöhnen, ihre Güter, ihre Titel, ihre Freiheit und das Leben ihrer Kinder zu retten, wenn sie Euerem Rathe folgen und Euch Euere Dienste mit gutem Golde bezahlen wollte: sie sagte Ja, ihr Mutterherz machte sie so schwach. Sie sah das Martyrthum ihres edeln Gemahles nicht an. Sie war eine geborene Katholikin und hatte nur aus Liebe zu ihm ihrem Glauben abgesagt. Sie fühlte sich nicht stark genug, Elend, Acht und Verfolgung auf sich zu nehmen, um ihre Kinder dem Glauben, den Withold mit seinem Blute besiegelt hatte, um ihnen den Namen zu erhalten, den er noch herrlicher gemacht hatte als alle seine Vorfahren, was sie immer waren, Hussiten, Calixtiner, Taboriten, Waisen, böhmische Brüder, Lutheraner.

Dies sind lauter Sektennamen, liebe Porporina! welche verschiedene Parteien von Anhängern der hussischen und lutherschen Ketzerei bezeichnen Die Hussiten zerfielen gleich beim Beginne des Aufstandes in eine mildere Partei (Calixtiner oder Utraquisten) und eine strengere (Taboriten, deren Führer Ziska war). Von den letzteren sonderte sich nach Ziska's Tode eine Partei ab, welche Ziska für unersetzlich erklärte und sich deshalb »Waisen« nannte. Die »böhmischen Brüder« waren einzelne, zerstreute Gemeinden, die sich erst etwas später (um 1450) von den Calixtinern absonderten, und unter allen Verfolgungen, jeden Vertrag mit den Katholischen ablehnend, einen gereinigten Lehrbegriff festzuhalten suchten. – A. d. U.; diesen verschiedenen Parteien hatten vermuthlich verschiedene Glieder des Zweiges der Familie Podiebrad, von welchem wir abstammen, angehört.

Genug, so sprach Albert weiter, die Sächsin fürchtete sich und gab nach. Ihr nahmet Besitz vom Schlosse, Ihr schicktet die kaiserlichen Haufen weg, Ihr stelltet ein ungeheueres Autodafé von unseren Urkunden, unseren Archiven an. Das ist die Ursache, weshalb meine Tante, zu ihrem Glücke, den Stammbaum der Podiebrad nicht hat wiederherstellen können, und sich ganz und gar darauf gelegt hat, den der Rudolstadt abzuweiden, was freilich weniger schwer zu verdauende Kost ist. Zum Lohn für Euere Dienste wurdet Ihr reich, gewaltig reich. Drei Monate danach erhielt Ulrike Erlaubniß, in Wien die Knie des Kaisers zu umfassen, der ihr in Gnaden vergönnte, ihre Kinder zu denationalisiren, sie durch Euch in der römischen Religion erziehen zu lassen und sie zuletzt unter die Fahnen zu stellen, gegen welche ihr Vater und ihre Vorfahren so tapfer gestritten hatten. So wurden wir österreichisch, ich und meine Söhne  ...

– Du und deine Söhne! ... rief meine Tante voll Verzweiflung, da sie ihn so phantasiren hörte.

– Ja meine Söhne, Sigismund und Rudolph, erwiderte Albert mit der größten Ernsthaftigkeit.

– Er nennt meinen Vater und meinen Oheim, sagte Graf Christian. Albert, bist du von Sinnen? Komm zu dir, mein Sohn, mehr als ein Jahrhundert trennt uns von diesen schmerzlichen Ereignissen, welche die Vorsehung über uns verhängt hatte.

Albert ließ nicht los. Er stand in der Einbildung und wollte uns einbilden, daß er eben jener Wratislaw, Witholds Sohn wäre, der erste Podiebrad, welcher von seiner Mutter den Namen Rudolstadt trug. Er schilderte uns seine Kindheit, die deutliche Erinnerung, welche er von dem Tode des Grafen Withold hätte, und diesen Tod bürdete er dem Jesuiten Dithmar auf, der kein anderer gewesen wäre als der jetzige Abbé; er schilderte uns den tiefen Haß, den er in seiner Kindheit gegen diesen Dithmar, gegen Oesterreich, gegen die Kaiserlichen und die Katholiken eingesogen hätte. Alsdann schienen seine Erinnerungen sich zu verwirren und er sagte tausend unbegreifliche Dinge über das ewige und unvergängliche Leben, über die Wiederkunft der Menschen auf Erden, und bezog sich in Betreff dieser Lehre auf den unter den Hussiten verbreiteten Glauben, daß Johann Huß hundert Jahre nach seinem Tode wieder erscheinen und sein Werk vollenden würde, was sich dann auch erfüllt habe, indem er in Luther wieder aufgestanden sei. Kurz, seine Reden waren ein Gemisch von ketzerischen Meinungen, abergläubischen Vorstellungen, dunklen metaphysischen Sätzen und poetischen Rasereien, und alles dies trug er mit einer solchen Ueberzeugung vor, mit so vielen genau geschilderten und merkwürdigen Einzelheiten über alles, was er nicht nur als Wratislaw, sondern auch als Johann Ziska selbst und ich weiß nicht wer noch sonst von Verstorbenen in seinen vormaligen Lebensphasen gesehen haben wollte, daß wir ihn starr vor Erstaunen anhörten und daß niemand das Herz hatte, ihn zu unterbrechen oder ihm zu widersprechen. Mein Onkel und meine Tante, denen diese ihrer Meinung nach gottlosen Phantasien höchst schmerzlich waren, wollten wenigstens seinem Wahnwitz ganz auf den Grund kommen, denn es war das erste Mal, daß derselbe sich so unverholen aussprach, und wenn man versuchen wollte, ihn zu bekämpfen, mußte man seine Quelle kamen. Der Abbé gab sich alle Mühe, die Sache ins Lustige zu kehren und uns glauben zu machen, Graf Albert wäre spaßhaft und schadenfroh genug, uns durch seine Bekanntschaft mit der ungläubigen Geschichte in Schrecken zu jagen.

– Er hat so viel gelesen, sagte er, daß er uns die Geschichte aller Jahrhunderte Kapitel für Kapitel auf diese Weise erzählen könnte, so ins Einzelne eingehend und so umständlich, daß ein etwas wundergläubiges Gemüth vermeinen sollte, er müßte in Wahrheit den Auftritten, die er schildert, beigewohnt haben. Meine Tante, deren brünstige Religiosität nicht sehr weit vom Aberglauben entfernt ist und die schon anfing, ihrem Neffen aufs Wort zu glauben, nahm die Bemerkungen des Abbé sehr übel und riet ihm, seine spaßhafte Erklärung für eine frohere Gelegenheit aufzusparen, dann machte sie jede Anstrengung, um Albert von dem Wahn, der seinen Kopf anfüllte, zurückzubringen.

– Nehmen Sie sich in Acht, Tante! rief Albert ungeduldig, daß ich Ihnen nicht auch sage, wer Sie sind. Bis jetzt habe ich es nicht wissen mögen, aber es ist Etwas, was mir in diesem Augenblicke anzeigt, daß die Sächsin Ulrike vor mir steht.

– Wie, mein Kind! antwortete sie, diese kluge und fromme Aeltermutter, die ihren Kindern das Leben und ihren Nachkommen Freiheit, Gut und Ehren rettete, glaubst du in mir wieder aufgelebt zu sehen? Nun sieh, Albert. In der That liebe ich dich so, daß ich für dich noch mehr thäte, ich würde mein Leben hingeben, wenn ich damit deinem verwirrten Geiste die Ruhe erkaufen könnte.

Albert sah sie einige Augenblicke mit einer strafenden und doch zugleich gerührten Miene an.

– Nein, nein! rief er endlich, indem er auf sie zueilte und sich zu ihren Füßen niederwarf, du bist ein Engel und du hast einstmals mit aus dem hölzernen Kelche der Hussiten das Blut des Herrn getrunken. Aber hier gegenwärtig ist die Sächsin dennoch, ihre Stimme hat schon zu wiederholten Malen heut mein Ohr getroffen.

– Nimm an, daß ich es sei, Albert! sagte ich, indem ich mich ihm durch ein Eingehen auf seine Einbildungen freundlich erweisen wollte, und nimm es mir nicht übel, daß ich dich den Henkern im Jahre 1619 nicht habe ausliefern wollen.

– Du, Mutter! rief er und blickte mich mit schrecklichen Augen an, fordere das nicht, ich kann es dir nie vergeben. Gott ließ mich unter dem Herzen eines stärkeren Weibes von Neuem werden, gebar mich wieder aus Ziska's Blut, aus meinem eigensten Lebensborn, der mir, ich weiß nicht wie, entwichen war. Amalie, sieh mich nicht an und vor Allem sprich nicht zu mir. Es ist Ihre Stimme, Mutter Ulrike, diese Stimme ist es, die heute mir alle Pein macht, die ich leide.

Mit diesen Worten ging Albert schnell aus dem Saale, und wir blieben zurück bestürzt über die traurige Entdeckung, daß sein Verstand verwirrt war.

Es war zwei Uhr nach Mittage: wir hatten still wie gewöhnlich unsere Mahlzeit gehalten, Albert hatte nur Wasser getrunken. Wir konnten uns nicht damit beruhigen, daß er mit uns in einem Rausche geredet haben mochte. Der Kaplan und meine Tante gingen ihm auf der Stelle nach, um Sorge für ihn zu tragen, denn sie hielten ihn für sehr krank. Aber unbegreiflich! Albert war wie durch Zauberei verschwunden; man fand ihn weder in seinem, noch in seiner Mutter Zimmer, wo er sich sonst oft einzuschließen pflegte, noch in irgend einem Winkel des Schlosses; man suchte ihn im Garten, im Park, im anstoßenden Holze, auf den Bergen. Niemand hatte ihn weder nah noch fern gesehen. Nirgend eine Spur seines Fußtritts. So ging der Tag hin, so die folgende Nacht. Niemand im Hause ging zu Bette. Unsere Leute waren bis an den Morgen auf den Beinen, um ihn mit Fackeln zu suchen.

Die ganze Familie legte sich aufs Beten. Auch der ganze folgende Tag ging in der nämlichen Angst, die zweite Nacht in der nämlichen Bestürzung hin. Der Aufruhr ist unbeschreiblich, in welchem ich mich befand, ich, die ich noch nie in meinem Leben durch ein häusliches Ereigniß von solcher Wichtigkeit erschreckt und beunruhigt worden war. Ich glaubte ernstlich, daß sich Albert ein Leides gethan oder sich für immer aus dem elterlichen Hause geflüchtet habe. Ich fiel in Krämpfe und in ein ziemlich heftiges Fieber. Ich liebte ihn noch ein wenig, ungeachtet der Furcht, die sein absonderliches und geheimnißvolles Wesen mir einflößte. Mein Vater behielt Kraft genug jagen zu gehen, indem er sich einredete, er würde Albert, wenn er weithin suchte, wohl tief im Walde finden. Meine arme Tante, die der Schmerz verzehrte, war dennoch ämsig und voll Muth, pflegte mich und suchte alle Welt zu beruhigen. Mein Onkel betete Tag und Nacht. Seinen Glauben und seine Ergebung in den Willen des Höchsten sehend, bedauerte ich, daß ich nicht fromm war.

Der Abbé stellte sich ein wenig bekümmert, that aber dabei, als ob er sich keine Unruhe wegen der Sache weiter machte. Zwar ist Albert, sagte er, noch niemals, während ich mit ihm lebte, auf diese Art verschwunden, allein er hat immer Einsamkeit und Sammlung sehr nöthig gehabt. Das Ende vom Liede war jedesmal, man könnte ihn von seinen Sonderbarkeiten nicht sicherer heilen, als wenn man sich denselben nie widersetzte und nicht viel darauf zu achten schiene.

Die Sache war, daß dieser schlaue und selbstsüchtige Gesell nur darauf bedacht gewesen, das bedeutende Gehalt, welches er als Albert's Beaufsichtiger bezog, sich so lange als irgend möglich zu sichern, indem er die Familie über den Erfolg seiner Bemühungen in Täuschung erhielt. Seinen eigenen Angelegenheiten und Vergnügungen hingegeben, hatte er sich um Albert's überspannten Hang nicht gekümmert. Er hatte ihn vielleicht oft krank und exaltirt gesehen; er hatte ohne Zweifel den Phantasien seines Pflegebefohlenen ganz freien Lauf gelassen. So viel ist gewiß, daß er geschickt genug war, sie vor allen Personen, die uns darüber hätten Bericht geben können, zu verstecken, denn alle Briefe, die mein Onkel in Betreff seines Sohnes erhielt, waren voll von Lobsprüchen über dessen Erscheinung und von Glückwünschen über dessen persönliche Vorzüge. Albert hatte sich nirgend in den Ruf eines Kranken oder Verrückten gebracht.

Wie dem nun sei, sein inneres Leben während der acht Jahre seiner Abwesenheit ist uns ein undurchdringliches Geheimniß geblieben. Da der Abbé sah, daß Albert nach Verlauf dreier Tage noch immer nicht wieder erschien, und fürchten mußte, daß ihm dieser Zwischenfall eine schlimme Stellung bereiten würde, so suchte er das Weite, indem er vorgab, er wollte sehen, ob meinen Vetter nicht etwa der Wunsch, irgend ein seltenes Buch zu benutzen oder dergleichen, nach Prag gelockt habe.

– Er ist, sagte er, wie die Gelehrten, die sich in ihre Nachforschungen völlig vertiefen und die ganze Welt vergessen, um ihrer unschuldigen Leidenschaft nachzuhängen.

Unter diesem Vorwande reiste der Abbé ab und hat sich nicht wieder blicken lassen.

Nach sieben Tagen tödtlicher Angst, als wir schon verzweifelten, Albert je wieder zu erblicken, sah meine Tante, die gegen Abend nach seinem Zimmer ging, die Thüre offen und ihren Neffen auf seinem Lehnstuhl sitzend und mit seinem Hunde, der ihn auf seiner geheimnißvollen Reise begleitet hatte, spielend. Seine Kleidung war weder beschmutzt noch zerrissen, nur die Vergoldung etwas blind, wie wenn er an einem feuchten Orte gewesen wäre, oder die Nächte unter freiem Himmel zugebracht hätte. Seine Schuhe sahen nicht aus, als ob er viel gegangen wäre, aber Bart und Haar bewiesen, daß er an Sorgfalt für seinen Körper lange nicht gedacht hatte. Er hat sich seitdem nie wieder rasiren und pudern mögen wie andere Männer; daher kommt es, daß er Ihnen wie ein Gespenst erschienen ist.

Meine Tante stürzte sich laut schreiend auf ihn.

– Was ist Ihnen, gute Tante? sagte er, indem er ihre Hand küßte. Man sollte denken, Sie hätten mich seit hundert Jahren nicht gesehen.

– Unglückliches Kind! rief sie, seit sieben Tagen bist du von uns, ohne uns ein Wort gesagt zu haben, sieben tödtlich lange Tage, sieben fürchterliche Nächte haben wir dich gesucht, haben wir um dich geweint, haben wir für dich gebetet.

– Sieben Tage? sagte Albert und sah sie erstaunt an. Sie haben wohl sagen wollen sieben Stunden, liebe Tante; denn heut morgen bin ich ausgegangen, um einen Spaziergang zu machen und bin zur rechten Zeit wiedergekommen, um mit euch zu Abend zu essen. Wie habe ich euch denn durch eine so kurze Abwesenheit so große Unruhe machen können?

– Ja freilich, sagte sie, aus Furcht, sein Uebel zu verschlimmern, wenn sie ihm die Wahrheit sagte, ich habe mich versprochen, ich meinte sieben Stunden. Ich habe mich beunruhigt, weil es gegen deine Gewohnheit ist, so lange Spaziergänge zu machen, und dann hatte ich diese Nacht einen bösen Traum: ich war eine Närrin.

– Gute Tante, treue Freundin! sagte Albert, ihre Hand mit Küssen bedeckend, Sie lieben mich, wie man ein Kindchen liebt. Mein Vater hat doch, will ich hoffen, Ihre Unruhe nicht getheilt?

– Nein, keinesweges. Er erwartet dich beim Abendtische. Du bist wohl recht hungrig?

– O nein, gar nicht, ich habe ja gut gegessen.

– Wo denn, wann denn, Albert?

– Nun hier, heut morgen, mit euch, gute Tante! Sie sind noch nicht wieder zu sich gekommen, wie ich sehe. Ach! es ist mir ganz weh, daß ich Ihnen eine solche Angst gemacht habe. Aber wie hätte ich das auch denken können?

– Du weißt, ich bin nun einmal so. Laß mich dich also fragen, wo du gegessen und geschlafen hast, seitdem du fort bist?

– Seit heute früh? Woher hätte ich denn hungrig oder schläfrig sein sollen?

– Und du fühlst dich nicht unwohl?

– Nicht im geringsten.

– Nicht ermüdet? Du bist ohne Zweifel weit gelaufen? Berge hinaufgeklettert? Das ist anstrengend. Wo warst du denn?

Albert hielt die Hand auf seine Augen, als ob er sich besänne, aber er konnte es nichts finden.

– Ich gestehe Ihnen, antwortete er, daß ich es selbst nicht weiß. Ich war ganz in Gedanken. Ich ging immerfort, ohne mich umzusehen, wie ich als Kind pflegte, wissen Sie? Da konnte ich Ihnen auch immer keine Antwort geben, wenn Sie mich fragten.

– Sage, auf deinen Reisen, hast du denn da mehr auf das geachtet, was um dich her vorging?

– Manchmal, aber nicht immer. Ich habe vielerlei bemerkt, viel anderes aber nicht beachtet, Gott sei Dank.

– Und warum Gott sei Dank?

– Weil es Dinge auf dieser Welt giebt, die schrecklich zu sehen sind, sagte er, indem er mit einer finstern Stirn, wie meine Tante sie noch nicht an ihm gesehen hatte, sich erhob. Sie glaubte das Gespräch abbrechen zu müssen und lief zu meinem Onkel, um ihm die Nachricht zu bringen, daß sein Sohn wieder da wäre. Es wußte es noch Niemand im Hause, Niemand hatte ihn kommen sehen. Seine Wiederkunft war eben so spurlos wie sein Verschwinden.

Mein armer Onkel, der so viel Kraft bewiesen hatte, das Unglück zu tragen, fand im ersten Augenblicke keine für die Freude. Er verlor das Bewußtsein, und als Albert bei ihm eintrat, war er bleicher als sein Sohn. Albert, der seit seiner Rückkehr von der Reise von dem, was seine Umgebung beunruhigte, nie das geringste zu bemerken schien, war an diesem Tage ein ganz anderer Mensch. Er machte seinem Vater tausend Liebkosungen, nahm mit Besorgniß wahr, daß dieser so übel aussah und fragte nach der Ursache. Aber sobald man sich getraute, ihm diese zu verstehen zu geben, wußte er nicht, was man meinte und antwortete mit einer Unbefangenheit, welche klar zu beweisen schien, daß er durchaus nichts davon wußte, wie und wo er die sieben Tage seiner Abwesenheit zugebracht.

– Was Sie mir erzählen, hört sich wie ein Traum an, sagte Consuelo, und macht mir mehr Lust, darüber zu grübeln als zu schlafen, meine liebe Baronin! Wie ist es doch möglich, daß ein lebender Mensch sieben Tage ohne alles Bewußtsein zubringe.

– Und doch ist es gar nichts gegen das, was ich Ihnen noch zu erzählen habe, und bis Sie sich durch den Augenschein überzeugt haben werden, daß ich nicht übertreibe, sondern im Gegentheil, um kurz zu sein, alles noch schwäche, werden Sie, wie ich mir leicht denken kann, Mühe haben, mir zu glauben. Ich selbst, die ich das, was ich Ihnen erzähle, mit angesehen habe, frage mich noch manchmal, ob Albert ein Hexenmeister ist, oder ob er uns zum Besten hat. Aber es ist spät und wahrhaftig, ich fürchte, Ihre Güte zu mißbrauchen.

– Vielmehr ich die Ihrige, entgegnete Consuelo; das Sprechen muß Sie ermüdet haben. Verschieben wir auf morgen Abend, wenn es Ihnen recht ist, die Fortsetzung dieser unglaublichen Geschichte.

– Gut denn, auf morgen, sagte Amalie, sie umarmend.

13.

Die in der That unglaubliche Geschichte, welche sie vernommen hatte, hielt Consuelo noch ziemlich lange munter. Die dunkle, regnichte und heulende Nacht trug dazu bei, unheimliche Gefühle in ihr zu erwecken, die ihr bis dahin fremd gewesen waren. Es giebt also doch, sagte sie bei sich, ein unerklärliches Verhängniß, das über gewissen Wesen brütet? Was hatte dieses junge Mädchen Gotte gethan, das mir jetzt eben mit so großer Offenheit die Verwundung ihrer naiven Eigenliebe und die Zerstörung ihrer schönen Träume geschildert hat? Ich selbst, was habe ich Uebles gethan, daß meine einzige Liebe so schrecklich zerknickt und zerbrochen ward in meinem Herzen? Aber ach! welche Schuld hat denn dieser menschenscheue Albert von Rudolstadt auf sich geladen, daß er so sein Bewußtsein und sein Lebensziel verlieren muß? Was hat den Anzoleto so abscheulich in den Augen Gottes gemacht, daß Gott ihn dahingab, wie er that, so bösen Neigungen, so unseligen Versuchungen?

Von Müdigkeit endlich-übermannt, schlief sie ein und verlor sich in einem Gewirr von Traumbildern ohne Zusammenhang und ohne Ausgang. Zwei oder dreimal wurde sie wach und schlief wieder ein, ohne sich Rechenschaft geben zu können, wo sie sich befände: es kam ihr vor, als wäre sie noch immer auf der Reise. Porpora, Anzoleto, Graf Zustiniani, die Corilla traten ihr abwechselnd vor die Augen und sagten ihr wunderliche und traurige Dinge, klagten sie ich weiß nicht welches Verbrechens an, dessen Strafe sie trug, ohne sich erinnern zu können, daß sie es begangen hätte. Aber alle diese Erscheinungen verschwanden wieder vor der des Grafen Albert, der immer aufs Neue sich ihr darstellte in seinem schwarzen Barte, seinem starren Blick, seinem Trauerkleide mit Gold gestickt und auf Augenblicke mit Thränen besetzt wie ein Leichentuch.

Sie fand, als sie endlich völlig erwachte, Amalie schon in geschmackvollem Putze, frisch und lächelnd vor ihrem Bette.

– Wissen Sie wohl, liebe Porporina, sagte die junge Baronin, sie auf die Stirn küssend, daß Sie eine Seltsamkeit an sich haben? Es ist mein Loos mit außerordentlichen Wesen zu leben, denn sicherlich sind auch Sie ein solches. Seit einer Viertelstunde habe ich Sie, während Sie schliefen, betrachtet, um mich bei lichtem Tage zu überzeugen, ob Sie wohl schöner seien als ich. Ich gestehe Ihnen, daß mir dies einige Sorge macht, und daß ich, obwohl ich es verschworen habe, Albert noch zu lieben, doch ziemlich empfindlich sein würde, wenn ich fände, daß er sich von Ihnen einnehmen ließe. Was wollen Sie? Er ist hier der einzige Mann und ich war bis jetzt das einzige Frauenzimmer. Nun sind wir unser Zwei, und wir werden mit einander ein Hähnchen zu pflücken haben, wenn Sie mich zu sehr ausstechen.

– Es beliebt Ihnen zu spotten, entgegnete Consuelo, das ist nicht großmüthig. Aber wollen Sie nicht das Kapitel der Sticheleien bei Seite lassen. und mir sagen, was ich Außerordentliches an mir habe? Vielleicht ist es meine Häßlichkeit, die sich ganz wieder eingefunden hat. Es ist mir, als müßte das wirklich der Fall sein.

– Ich will Ihnen die Wahrheit sagen, Nina. Bei dem ersten Blick, den ich heute auf Sie warf, hatte ich über Ihre Blässe, Ihre großen, halb geschlossenen und mehr starrenden als schlafenden Augen, Ihren mageren Arm außerhalb des Bettes einen Augenblick lang einen Triumph. Dann aber, als ich Sie immerfort ansah, war ich wie erschreckt vor Ihrer Unbeweglichkeit und wahrhaft königlichen Haltung. Ihr Arm ist der einer Königin, ich kann nicht anders sagen, und Ihre Ruhe hat etwas Gebieterisches und Ueberwältigendes, was ich mir nicht erklären kann. Ich kann es mir nicht mehr verbergen, daß ich Sie jetzt fürchterlich schön finde, und doch ist so viel Sanftes in Ihrem Auge. Sagen Sie mir, was für eine Person sind Sie nur! Sie ziehen mich an und Sie machen mich ängstlich; ich bin ganz beschämt, daß ich Ihnen so viel Thörichtes von mir diese Nacht erzählt habe. Sie haben mir noch nichts von sich gesagt, und wissen schon so ziemlich alle meine Fehler.

– Wenn ich wie eine Königin aussehe, was ich mir nie hätte träumen lassen, sagte Consuelo mit einem schwermüthigen Lächeln, so muß es das bejammernswürdige Aussehen einer entthronten Königin sein. Was meine Schönheit betrifft, so ist mir diese immer sehr zweifelhaft vorgekommen, und was die Meinung betrifft, die ich von Ihnen habe, liebe Baronin Amalie, so ist sie ganz zu Gunsten Ihrer Offenherzigkeit und Ihrer Güte.

– Offenherzig, ja, das bin ich; aber Sie, Nina, sind Sie es auch? Ja, einen großen Sinn, ein redliches Herz verräth Ihre Miene; aber sind Sie mittheilend? Ich glaube nicht.

– Es geziemt mir nicht, es zuerst zu sein; nicht wahr? Sie, jetzt meine Beschützerin, in deren Hand für den Augenblick mein Schicksal liegt, müssen mir darin vorangehen.

– Sie haben Recht, aber Ihr hoher Sinn macht mir Furcht.Wenn Sie mich toll und thöricht sehen, nicht wahr, Sie werden mich nicht zu sehr ausschelten?

– Ich habe dazu keinerlei Recht. Ich bin Ihre Musiklehrerin, nichts weiter. Uebrigens wird sich ein armes Mädchen aus der untern Klasse, wie ich es bin, stets in seinen Schranken halten.

– Sie, ein Mädchen aus der unteren Klasse, hoffärtige Porporina? Sie lügen. O, es ist unmöglich. Ich würde Sie eher für einen heimlichen Sprößling aus irgend einer fürstlichen Familie halten. Was war Ihre Mutter?

– Sie sang, wie ich.

– Und Ihr Vater?

Consuelo schwieg verlegen. Sie war nicht darauf vorbereitet, die vertraulich zudringlichen Fragen der kleinen Baronesse zu beantworten. In Wahrheit hatte sie nie von ihrem Vater reden hören und war nie darauf gefallen, zu fragen, ob sie einen hätte.

– Gut, gut! rief Amalie, hell auflachend, das ist der Punkt, ich dachte es wohl. Ihr Vater ist irgend ein spanischer Grand oder ein Doge von Venedig.

Diese Redensarten dünkten Consuelo leichtfertig und verletzend.

– Demnach, sagte sie ein wenig verstimmt, demnach würde ein armer Künstler oder ein ehrlicher Handwerksmann kein Recht gehabt haben, ein von der Natur wohlbegabtes Kind in die Welt zu setzen? Und müssen denn die Kinder aus dem Volk gerade plump und mißgestaltet sein?

– Das letztere ist eine Stichelei auf meine Tante Wenceslawa, rief Amalie mit noch stärkerem Gelächter. Nun, liebe Nina, verzeihen Sie es mir, wenn ich Sie ein Bischen böse mache und lassen Sie mir die Freude, mir in meinem Kopfe einen schönen Roman über Ihr Leben zusammenzusetzen. Aber geschwind mach Toilette, Kind; denn es wird gleich schlagen, und Tante ließe eher die ganze Familie Hungers sterben, als daß sie ohne Sie das Frühstück auftragen ließe. Ich will Ihnen Ihre Koffer öffnen helfen, geben Sie mir die Schlüssel. Sie haben ganz gewiß die reizendsten Toiletten von Venedig mitgebracht und ich bin ganz begierig die neuesten Moden von Ihnen zu erfahren, ich, die ich hier und schon so lange im Lande der Wilden lebe.

Consuelo, die sich beeilte, ihr Haar in Ordnung zu bringen, gab die Schlüssel hin ohne auf Amaliens Geplauder zu hören. Die Baronin öffnete geschwind einen Kasten, den sie mit Putzsachen angefüllt glaubte; aber zu ihrem großen Erstaunen fand sie nichts als eine Masse alter Musikalien, abgegriffene Drucksachen und Handschriftliches, das ganz unleserlich schien.

– Ah! was für Zeugs ist denn das? rief sie, eilig ihre hübschen Finger abwischend. Sie haben da eine sonderbare Garderobe, liebes Kind!

– Es sind Schätze, gute Baronesse; haben Sie Achtung davor! sagte Consuelo. Es sind eigenhändige Arbeiten der größten Meister darunter, und ich wollte mit leichterem Muthe meine Stimme als etwas davon meinem Meister Porpora verlieren, der sie mir anvertraut hat.

Amalie öffnete einen zweiten Kasten und fand ihn angefüllt mit rostrirtem Notenpapier, mit musikalischen Schriften, Büchern über Compositionslehre, Generalbaß und Contrapunkt.

– Aha! ich verstehe, das ist Ihr Schmuckkästchen, sagte sie lachend.

– Ich habe kein anderes, antwortete Consuelo, und ich hoffe, daß Sie sich desselben fleißig bedienen werden.

– Nun ja, ich sehe schon, Sie sind eine strenge Lehrerin. Aber darf man Sie fragen, ohne Sie zu kränken, liebe Nina, wo Sie Ihre Kleider haben?

– Da unten in dem kleinen Carton, antwortete Consuelo und ging ihn hervorzulangen; er enthielt ein sorgfältig zusammengelegtes schwarzseidenes Kleidchen, das sie Amalien zeigte.

– Das ist alles? fragte Amalie.

– Alles, antwortete Consuelo; und noch mein Reisekleid. In den nächsten Tagen will ich mir ein zweites schwarzes Kleid machen, ganz wie das andere, damit ich abzuwechseln habe.

– Ach, liebes Kind, Sie haben also Trauer?

– So etwas ist's, Signora! sagte Consuelo ernst.

– In diesem Falle vergeben Sie mir. Ich hätte es Ihnen abmerken sollen, daß Sie einen Gram im Herzen bergen und ich habe Sie darum doch lieb. Ja, wir werden uns nur noch leichter verstehen, denn ich habe auch viel Ursach, traurig zu sein und ich könnte schon um den Gatten, den man mir bestimmt hatte, Trauer anlegen. Ach! liebe Nina, lassen Sie sich durch meine Lustigkeit nicht abschrecken; das ist oft nur erkünstelt, um einen tiefen Schmerz zu verstecken.

Sie küßten sich und gingen hinunter in den Salon, wo sie erwartet wurden.

Consuelo sah beim ersten Blick, daß ihr bescheidenes schwarzes Kleid und ihr bis an das Kinn hinauf mit einer Gagatnadel zusammengestecktes weißes Tuch dem Stiftsfräulein eine sehr günstige Meinung von ihr beibrachten. Der alte Christian war etwas weniger verlegen und eben so liebenswürdig gegen sie als am vorigen Abend. Baron Friedrich, der aus Courtoisie es sich diesen Morgen versagt hatte, auf die Suche zu gehen, konnte kein Wort für sie finden, obgleich er sich tausend angenehme Sachen ausgedacht hatte, die er ihr in Bezug auf ihre Güte, sich seiner Tochter anzunehmen, sagen wollte. Er setzte sich jedoch neben ihr an die Tafel und beeiferte sich, sie zu bedienen, wobei er so ämsig und sorgsam zu Werke ging, daß er gar keine Zeit behielt, an die Befriedigung seines eigenen Appetits zu denken.

Der Kaplan erkundigte sich bei ihr, wie der Patriarch von Venedig seine Prozessionen anordnete, und ließ sich den Pomp der Gottesdienste und die Paraturen Paratura – Aufputz; im engerem Sinne: Ausschmückung einer Kirche mit farbigen Drapperien, Teppichen, Lichtern u. s. w. bei festlichen Anlässen. der Kirchen beschreiben. Er sah aus ihren Antworten, daß sie die letzteren viel besucht hatte, und als er hörte, daß sie sich für den heiligen Gesang gebildet hätte, gewann er eine außerordentliche Achtung für sie.

Und Graf Albert? Consuelo hatte kaum gewagt, nach ihm aufzusehen, gerade deswegen, weil er der einzige war, der ihre Neugierde lebhaft erregte. Sie wußte nicht, wie er sie begrüßt hatte. Sie hatte ihn nur im Spiegel gesehen, als er durch den Salon schritt, hatte aber bemerkt, daß sein Anzug eine gewisse Sorgfalt verrieth, obgleich er wie immer schwarz ging. Er hatte ganz den Anstand eines vornehmen Mannes, aber sein Bart und sein loses Haar im Verein mit seiner dunkeln bräunlichen Farbe machten, daß man den sinnenden, nachlässigen Kopf eines schönen Fischers vom adriatischen Meere auf den Schultern eines adligen Herren zu sehen glaubte.

Seine wohlklingende Stimme, die ihrem musikalischen Ohre wohlthat, machte Consuelo endlich ein wenig dreister, ihn anzublicken. Sie fand zu ihrer Verwunderung, daß er in Miene und Benehmen einen Mann zeigte, der vollkommen bei Sinnen ist. Er sprach wenig, aber mit Verstand, und als sie vom Tische aufstand, bot er ihr die Hand, zwar ohne sie anzusehen (er hatte ihr seit dem vorigen Abend diese Ehre nicht widerfahren lassen), jedoch mit Anstand und Verbindlichkeit. Sie zitterte an allen Gliedern, als sie ihre Hand in die Hand dieses phantastischen Helden der Erzählungen und Träume ihrer letzten Nacht legte; sie erwartete diese Hand kalt wie eine Todtenhand zu finden. Aber sie fand sie weich und warm, wie die eines Menschen, der auf sich hält und sich wohl befindet. Die Wahrheit zu sagen, war Consuelo nicht im Stande, diese Bemerkung zu machen. Vor innerer Aufregung war ihr wie schwindlig, und Amaliens Blick, der jeder ihrer Bewegungen folgte, hätte sie vollends außer Fassung gebracht, wenn sie sich nicht mit aller Kraft bewaffnet hätte, deren sie sich benöthigt fühlte, um ihre Würde diesem scharfzüngigen jungen Frauenzimmer gegenüber zu behaupten. Sie erwiderte die tiefe Verbeugung, die Albert ihr machte, nachdem er sie zu einem Sessel geführt hatte; kein Wort, kein Blick ward unter ihnen ausgetauscht.

– Wissens Sie, verrätherische Porporina, sagte Amalie, sich ganz dicht zu ihr setzend, um in Freiheit ihr ins Ohr flüstern zu können, daß Sie Wunder wirken auf meinen Vetter?

– Bis jetzt habe ich nicht viel davon gemerkt, antwortete Consuelo.

– Das macht, weil es Ihnen nicht beliebt, darauf zu achten, wie er sich gegen mich benimmt. Seit einem Jahre hat er mir nicht ein einziges Mal die Hand geboten, um mich zu Tische oder vom Tische zu führen, und sehen Sie da! mit Ihnen macht er seine Sache so zierlich wie möglich. Es ist wahr, er hat einen seiner glänzendsten Augenblicke. Man sollte denken, Sie hätten ihm die Wiederkehr seiner Vernunft und Gesundheit mitgebracht. Aber trauen Sie dem Scheine nicht, Nina! Es wird mit Ihnen gehen wie mit mir. Nach drei Tagen freundlicher Zuvorkommenheit wird er gar nicht mehr wissen, ob Sie da sind.

– Ich sehe wohl, sagte Consuelo, ich werde mich daran gewöhnen müssen, mich necken zu lassen.

– Ist es nicht wahr, Tantchen! sagte Amalie leise zu dem Stiftsfräulein, das sich in diesem Augenblick zu ihr und Consuelo setzte, daß mein Cousin unserer lieben Porporina vollständig die Cour macht?

– Keine Spöttereien, Amalie! sagte Wenceslawa sanft; Mademoiselle wird bald genug den Grund unseres Kummers gewahren.

– Ich spotte nicht, gute Tante! Albert ist überaus wohl diesen Morgen und ich freue mich, ihn zu sehen, wie ich ihn vielleicht, seitdem ich hier bin, nicht gesehen habe. Wäre er frisirt und gepudert wie alle Menschen, so möchte es Einem vorkommen, als ob er niemals krank gewesen wäre.

– Sein ruhiges und gesundes Aussehen thut mir in der Seele wohl, entgegnete das Fräulein, aber ich wage es nicht mehr, mir mit der Hoffnung auf längere Dauer eines glücklicheren Zustandes bei ihm zu schmeicheln.

– Wie edel und gut er aussieht, sagte Consuelo, die das Herz des Stiftsfräuleins recht am empfindlichsten Fleck für sich einnehmen wollte.

– Sie finden? sagte Amalie, indem sie sie mit ihrem schelmischen und spöttischen Auge durchbohrte.

– Ja, ich finde es, entgegnete Consuelo fest, und ich sagte es Ihnen schon gestern Abend, Signora! nie hat eines Menschen Gesicht mir mehr Hochachtung eingeflößt.

– Ach! liebes Mädchen, sagte das Stiftsfräulein, indem sie plötzlich ihre steife Haltung fahren ließ und bewegt Consuelo's Hand drückte; gute Seelen errathen einander. Ich war voll Angst, daß Ihnen mein armes Kind Furcht machen würde; es ist mir immer ein so großer Schmerz, wenn ich auf den Gesichtern der Andern den übeln Eindruck lese, den ihnen dergleichen Krankheiten zu machen pflegen. Aber ich sehe, Sie sind gefühlvoll, und Sie haben es gleich geahnt, daß in diesem kranken, gebrochenen Körper eine erhabene Seele wohnt, die ein besseres Loos verdiente.

Consuelo wurde bis zu Thränen gerührt von den Worten und dem Ton des trefflichen Fräuleins; sie küßte ihr die Hand recht aus bewegtem Herzen. Sie empfand schon mehr Vertrauen und Zuneigung zu dieser alten, buckligen Dame, als zu der glänzenden leichtfertigen Amalie.

Baron Friedrich unterbrach sie, indem er, mehr auf seinen Muth als auf seine Mittel vertrauend, näher trat und sich anschickte, die Signora Porporina um eine Gunst zu bitten. Noch linkischer, im Umgange mit Damen, als sein ältester Bruder (es schien dies eine Art Familienfehler zu sein, den man sich daher nicht zu sehr wundern durfte, in Albert bis zur Menschenscheu ausgebildet zu sehen) stotterte er eine Anrede nebst einer Menge von Entschuldigungen her, die Amalie Consuelon zu übersetzen und verständlich zu machen sich bemühte.

– Mein Vater will anfragen, sagte sie, ob Sie sich nach Ihrer beschwerlichen Reise schon wieder kräftig genug fühlen, um Musik zu machen, und ob es nicht Ihre Güte mißbrauchen hieße, wenn er Sie bäte, meine Stimme zu prüfen und zu sehen, was ich gelernt habe.

– Von Herzen gern, antwortete Consuelo, indem sie rasch aufstand und an das Clavier trat, welches sie öffnete.

– Sie werden sehen, sagte Amalie leise zu ihr, während sie ihr Notenbuch auf das Pult legte, daß dies Alberten in die Flucht schlägt, trotz Ihrer schönen Augen und der meinigen.

In der That hatte Amalie kaum angefangen zu präludiren, als Albert aufstand und auf den Zehenspitzen wie Jemand, der sich unbemerkt glaubt, hinausschlich.

– Es ist viel, sagte Amalie noch immer flüsternd, während sie gegen den Takt spielte, daß er nicht die Thüre wüthend zugeworfen hat, wie ihm das oft widerfährt, wenn ich zu fingen anfange. Er ist heute vollkommen liebenswürdig, man kann sagen galant.

Der Kaplan trat in der Meinung, Albert's Rückzug dadurch verdecken zu können, an das Klavier und that so, als ob er mit gespannter Aufmerksamkeit zuhörte. Die übrigen Personen bildeten in einiger Entfernung einen Halbzirkel und erwarteten in achtungsvoller Stille, was Consuelo über ihre Schülerin sagen würde.

Amalie wählte kecklich eine Arie aus Pergoleses Achille in Sciro und sang sie dreistweg von einem Ende bis zum andern, mit einer frischen und durchdringenden Stimme und dabei mit so komischem deutschen Accent, daß Consuelo, die noch nie so etwas gehört hatte, die Lippen über einander biß, um nicht bei jedem Worte aufzulachen. Sie brauchte nicht vier Takte zu hören, um zu wissen, daß die junge Baronin nicht den mindesten Begriff von Musik hatte. Sie hatte ein biegsames Organ und mochte guten Unterricht erhalten haben; aber sie war viel zu leichtsinnig, um auf irgend etwas ein ernstes Studium gewendet zu haben. Aus derselben Ursache glaubte sie sich unbedenklich der Sache gewachsen und stürzte mit wahrhaft deutscher Kaltblütigkeit die verwegensten und schwierigsten Passagen über den Haufen. Es hinderte sie gar nicht, daß sie eine nach der andern umwarf, und sie glaubte ihr Ungeschick zu bedecken, wenn sie die Stimme forcirte und auf das Klavier tüchtig losschlug, indem sie den verlorenen Takt wieder einbrachte so gut es ging, nämlich durch ein paar Pausen, wenn sie zu früh fertig geworden war, oder durch Ueberhüpfen einiger Noten, wenn sie sich verspätigt hatte; sie schuf den Charakter des Musikstücks dermaßen um, daß es Consuelo gewiß nicht erkannt haben würde, wenn sie nicht das Notenbuch vor Augen gehabt hätte.

Graf Christian indessen, der ein recht guter Kenner war, bei seiner Nichte aber dieselbe Aengstlichkeit voraussetzte, die er in gleichem Falle empfunden haben würde, sagte von Zeit zu Zeit, um ihr Muth zu machen: – Gut Amalie, gut! Schöne Musik, sehr schöne Musik.

Das Stiftsfräulein, das nicht viel von der Sache verstand, suchte voll Besorgniß Consuelo's Urtheil aus deren Augen zu lesen, und der Baron, der keine andere Musik liebte als das angenehme Blasen der Jagdhörner, und sich einbildete, seine Tochter sänge zu gut, als daß er es fassen könnte, rechnete mit Bestimmtheit auf einen lobenden Ausspruch. Nur der Kaplan ergötzte sich wirklich an diesen Kehlkunststücken, die er vor Amaliens Ankunft nie gehört hatte und wiegte seinen dicken Kopf mit seligem Lächeln.

Consuelo sah wohl, daß sie durch die ungeschminkte Wahrheit die Familie in Schrecken setzen würde. Sie behielt es sich daher vor, ihre Schülerin unter vier Augen über alles aufzuklären, was sie vergessen müßte, bevor sie daran denken könnte, etwas zu lernen, lobte ihre Stimme, befragte sie über die Studien, welche sie gemacht hätte, lobte die Wahl der Werke, die man sie hatte üben lassen, und entging so der Unannehmlichkeit zu bekennen, daß sie dieselben auf verkehrte Weise eingeübt hatte.

Man trennte sich sehr zufrieden mit einer Prüfung, die für Niemanden hart gewesen war als für Consuelo. Sie schloß sich in ihrem Zimmer ein und durchlief das Stück, das sie entweihen gehört, mit den Augen und sang es sich in Gedanken vor, um den unangenehmen Eindruck wieder zu verwischen, den sie davon empfangen hatte.

Ende des zweiten Theils.


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