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»Kommen wir zur Tat selbst«, fuhr er in seiner Rede fort. »Wo soll sie geschehen? Wie soll sie vor sich gehen? Gift ist die Waffe der eifersüchtigen, gekränkten Frau, aber einem Arzt läßt sich Gift nicht so leicht beibringen. Für diesen Fall hat man die sechs scharfen Patronen im Browning vorgesehen.

Am siebzehnten November haben der Arzt und die Pflegerin gemeinsam Dienst. Bei beiden ist er um sechs Uhr zu Ende. Es ist ein rauher, finsterer Herbsttag; die Straßen sind menschenleer und nur im Umkreis der Laternen erhellt – ein Tag, mit Berechnung gewählt. Doktor Eggebrecht begibt sich ins Arztzimmer, um sich für den Heimweg umzuziehen, die Fromann ein Stockwerk höher nach dem ihren. Von dort kann sie sehen, wann er das Haus verläßt. Sie nimmt die Waffe – zu welchem anderen Zweck, als sie zu gebrauchen? Sie sieht den Doktor das Gebäude verlassen; sie eilt ihm nach. Sie ist vorsichtig und hat auch Glück: niemand begegnet ihr. Sie trifft mit ihm zusammen, kurz vor den Stufen seiner Behausung. Verlangt sie, daß er sie eintreten läßt? Kommt es draußen zu einer Auseinandersetzung? Stellt sie eine brüske Forderung? Man weiß es nicht. Aber es ist nicht nötig, denn man weiß: der Schuß fällt, das Opfer liegt. Ein Schuß ohne Absicht, ohne Berechnung, weil er die Stirn traf? Ich müßte mich in Gegensatz zu dem Herrn Sachverständigen setzen, wenn er diese Auffassung als absolut hingestellt hätte. Denn ich sehe das Gegenteil darin: ich sehe eine Absicht, zu töten, schon in der Mitnahme der Waffe, und ich sehe kluge Berechnung im Ziel, eben weil der Schuß nicht in die Brust gerichtet war. Die Täterin überlegte, daß er dort von dicker Winterkleidung aufgehalten oder doch in seiner Wirkung abgeschwächt worden wäre. Dann der Rückweg – wird er wieder unbeobachtet sein? Wenn man sie träfe und der Mord schon entdeckt wäre, weil man den Schuß hörte? Für diesen Fall muß sie sich der Waffe entledigen: im Schnee, unter den dürren Sträuchern des Nachbargartens wird man sie jetzt nicht finden, und später kann man sie an einem mondlosen Abend holen. Der Rückweg gelingt. Niemand, weil niemand die Vorgeschichte kennt, wirft auch nur den Schatten eines Verdachts auf sie. In einer Stunde seelischer Erschütterung gibt sie dann, mehr ungewollt als mit Absicht, ihr Geheimnis preis ...«

Der Staatsanwalt sprach wohl eine halbe Stunde unter lautloser Stille. Er schloß mit dem Antrag, das »Schuldig« wegen vorbedachten Mordes auszusprechen.

Nun erhob sich Doktor Hiller. Es war ihm nicht unerwünscht, daß Magda sich nicht im Saal befand. Schon, weil sie den Antrag des Staatsanwalts nicht gehört hatte. Er hatte zwar jede Vollmacht für die Benutzung ihrer Niederschrift; aber er fühlte sich doch freier bei dem Gedanken, daß sie diese Benutzung gewissermaßen nicht kontrollieren, ihre Wirkung auf Gericht und Publikum nicht beobachten konnte.


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