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Zehntes Kapitel.

Lady Lochleven saß, in ihre in Sammet gebundne und auf dem Deckblatt mit Silber reich verzierte Bibel vertieft, allein in ihrem Gemache; sie erkannte aber bald, daß es ihr nicht gelingen wollte, ihr Gemüt von dem verdrießlichen Ereignis der letzten Nacht abzulenken. Die Kränkung, die ihr von der Königin widerfahren war, erinnerte sie an eine zu schwere Verirrung ihrer Jugend, die sie schwer genug bereut hatte, um jede Erwähnung auf das bitterste zu empfinden. »Warum,« sprach sie bei sich, »soll grade sie mir solchen Vorhalt machen dürfen? sie, die meiner Torheit Früchte genießt oder doch genossen hat? die meinen Sohn vom Throne verdrängte? warum soll sie es wagen dürfen, mir in Gegenwart meines Gesindes und ihrer Dienerschaft diese Torheit, diese Schande vorzuwerfen? Befindet sie sich nicht in meinen Händen? Fühlt sie keine Furcht vor mir? Ha, Versucher! weiche von mir! komm mir nicht mit Gedanken, die ich meinem Herzen fernhalten will, komme es, wie es wolle!« Sie griff wieder nach dem heiligen Buche, ernster als vordem bemüht, sich durch seinen Inhalt seelisch zu stärken – da wurde sie durch ein Pochen an der Tür unterbrochen. Auf ihr Herein erschien der Hausmeier Dryfesdale auf der Schwelle. Sie schrak zurück vor der verstörten Miene, die sein Gesicht zeigte. »Was ist vorgegangen, Dryfesdale?« fragte die Lady; »was soll dieses dumme Gesicht? Hast Du schlimme Kunde von meinem Sohn oder meinem Enkel?«

»Nein, Lady,« antwortete der Hausmeier, »aber Ihr habt letzte Nacht schweren Hohn erlitten, und heute morgen ist, wie ich befürchte, Euch herbe Genugtuung geschaffen worden – Wo ist der Kaplan?«

»Was soll diese hastige Frage, Dryfesdale? Der Kaplan ist, wie Ihr doch recht gut wißt, heut abwesend. Ihr habt ihm doch selbst die Bestellung zur geistlichen Konferenz in Perth überbracht.«

»Mag er stecken, wo er will,« brummte Dryfesdale, »ein Baalspfaffe ist und bleibt er ohnehin!«

»Dryfesdale! was sollen solche Reden?« erwiderte die Dame streng, »ich habe schon immer gehört, daß Du während Deines Aufenthalts in den Niederlanden zur Gemeinschaft der Wiedertäufer gehört hättest – zu jenen Keilern, die alle Weinberge aufwühlen – aber meine geistlichen Berater sollen auch meiner Dienerschaft recht sein!«

»Immerhin wär's mir gerade heut nicht unlieb,« versetzte, der Worte seiner Gebieterin nicht achtend, der Hausmeier, »wenn ich geistlichen Zuspruch zur Hand hätte ... die moabitische Madame in unsrer Burg.«

»Sprich von der Dame mit der Ehrerbietung, die ihr zusteht,« wies ihn die Lady zurecht, »denn sie ist eines Königs Tochter!«

»Meinetwegen,« versetzte Dryfesdale störrisch, wie vordem, »wenn sie ins Grab steigt, ist zwischen ihr und einer Betteldirne auch kein Unterschied – Maria von Schottland liegt in den letzten Zügen.«

»Was schreist Du mir da in die Ohren, Mensch?« rief die Lady entsetzt; »Maria in den letzten Zügen? in meinem Schlosse? an welcher Krankheit? durch welchen Zufall?«

»Nun, nicht so aufgeregt, Lady!« sagte Drysesdale, »den Dienst hab ich ihr geleistet.«

»Schurke! Verräter! wie konntest Du solches wagen?«

»Ich hab's Euch gestern abend zugesagt, und jetzt ist's geschehen; sie verhöhnt Euch zum andern Male nicht wieder.«

»Schurke, Du bist nicht bei Sinnen!«

»Aber auch nicht von Sinnen!« erwiderte trocken der Hausmeier; »was dem Menschen vorgezeichnet, muß er erfüllen; und in meinem Zeichen steht, was ich getan, schon seit Millionen von Jahren!«

»Grausamer Halunke! Du hast sie doch nicht etwa gar vergiftet?«

»Nun, und wenn ich sie vergiftet hätte, was wäre weiter dabei? Die Menschen vergiften Ungeziefer – warum sollten sie sich nicht auch ihrer Feinde auf gleiche Weise entledigen? in Italien tut's der erste beste, wenn er ein Goldstück dafür bekommt.«

»Aus meinen Augen, feiger Meuchelmörder!« rief die Dame entsetzt.

»Urteilt nicht blindlings, Lady!« sagte Drysesdale; »denkt an Lindesay, an Ruthven, an Euren Vetter Morton! erdolchten sie nicht den Rizzio? sitzt etwa auf ihren gestickten Aufschlägen Blut? erstach nicht der Lord Temple den Lord Sanquhar? und sitzt ihm seine Kappe deshalb um einen Strich schiefer? – ein Gifttrank und ein Dolch sind völlig gleiche Mittel zum gleichen Zweck; der eine wirkt aufs Hirn, der andre zapft Blut – indessen sage ich ja keineswegs, daß ich dieser Lady was eingegeben hätte.«

»Was soll diese Salbaderei, Mensch?« rief die Dame; »willst Du Deinen Hals vom Stricke retten, dann berichte mir unverhohlen den Hergang! Als gefährliches Subjekt kennt man Dich ja schon lange!«

»Hm, daß ich im Dienste meines Herrn kühn und rücksichtslos sein kann, will ich nicht in Abrede stellen. Warum sollt ich Euch nicht sagen, wie ich mich in dieser Sache verhielt? ich war, als ich letzthin drüben auf dem Lande war, bei einem klugen Weibe, von dem sich seit einigen Monaten die ganze Gegend allerhand Wunderdinge zuraunt. Sie heißt Mutter Nicneven. Narren, die wieder' jung werden wollen, lassen sich Zaubertränke von ihr brauen. Geizhälse, die ihr Hab und Gut mehren wollen, lassen sich Wünschelruten von ihr schneiden; andre lassen sich von ihr die Zukunft deuten; nun, mir hat sie ein Päckchen gegeben, das, unter eine Flüssigkeit gemischt, vollkommene Rache übt,«

»Elender! und Du hast dies Gift unter die Speisen der Lady gemischt? Zur ewigen Schmach für Deines Herrn Haus?«

»Bloß um die Ehre meiner Herrschaft zu rächen, die sie auf gemeine Weise verhöhnte! ich hab das Tränkchen in den Krug Zichorienwasser geschüttet, das die moabitische Madam ja mit solcher Vorliebe trinkt, daß sie selten mal einen Tropfen drin übrig läßt.«

»Ein Werk der Hölle, Schurke!« rief die Lady, aufspringend; »fort, fort! laß uns sehen, ob wir noch helfen können.«

»Ich glaube nicht, Lady, daß wir eingelassen werden,« sagte trocken der Hausmeier, »ich wenigstens bin schon zweimal an der Tür gewesen, hab aber nicht Zutritt erlangen können.«

»Wenn nicht anders, so lasse ich die Tür einschlagen,« rief zornig die Lady; »doch halt! lauf und bring mir den Randal her!«

»Randal,« sprach sie, als der Mann eintrat, »es hat sich ein schlimmer Vorfall im Schlosse zugetragen. Laß mir auf der Stelle den Kämmerer Lundin herüberholen! bring auch die Hexe Nicneven mit, wenn Du ihrer irgend habhaft werden kannst, sie soll hier erst ihren Zauber unschädlich machen, dann werden wir sorgen, daß sie auf der Serf-Insel verbrannt wird – Fort, fort! laß alle Segel beisetzen und sieh zu, auf der Stelle wieder hier zu sein.«

»Ich glaube schwerlich, daß sich unter solchen Verheißungen die Hexe bereit finden läßt, die Fahrt mit über den See zu machen,« bemerkte Dryfesdale.

»Dann sage ihr volle Sicherheit zu! schaff sie her, denn Du haftest mit Deinem eignen Leben für die Wiederherstellung der Lady!«

»Das hätt ich mir freilich denken können,« brummte Dryfesdale ärgerlich, »da, einen Trost wenigstens hab ich, daß ich mich selbst dabei mit gerächt habe – denn mir hat diese Moabiterin oft genug aufs ärgste mitgespielt! und dem verfluchten Pagen, der jetzt Vorkoster ist, hab ich's auch gleich mit eingetränkt.«

»Verfüge Dich in den westlichen Turm und setze keinen Fuß hinaus,« befahl die Dame, »bis sich erkennen läßt, welchen Ausgang dieser Fall nimmt – ich kenne Dich und weiß, daß Du nicht zu entkommen suchen wirst.« »Nein, keine Sorge!« erwiderte Dryfesdale, »und wären die Burgmauern aus Eierschalen gefügt und der See mit fester Eisdecke überzogen! Ich stehe zu fest in dem Glauben, daß der Mensch nichts aus sich selbst zu dem Schicksale hinzutun kann, das ihm von Geburt an vorgezeichnet ist. Doch eines, Lady! vergiß nicht, wenn ich raten darf, bei allem Eifer für das Leben und Heil dieser Jesabel die eigne Ehre, und was Du ihr schuldest – halt auch die ganze Geschichte so geheim, wie irgend tunlich.«

Mit verbissenem Gleichmut verfügte sich der finstere Schicksalsmensch an den ihm angewiesenen Haftort; die Lady aber nahm sich den letzten Wink zu Herzen und begab sich nun selbst zu den Gemächern der Königin, bemühte sich aber bei Roland ebenfalls vergeblich um Einlaß. »Befand sich je ein Weib in schrecklicherer Lage?« rief sie; »Hab wenigstens acht, Du kecker Wicht, daß niemand was von dem Trank und der Speise genießt, die heut herausgebracht worden sind!« Darauf eilte sie nach dem Turme, um Dryfesdale wieder aufzusuchen. Er saß ruhig in seiner Zelle und las. »Weißt Du, ob Dein Trank schnell oder langsam wirkt?« fragte sie.

»Langsam,« erwiderte er; »die Hexe fragte mich, was mir das liebere sei, und ich sagte ihr, langsame, aber sichre Rache sei es, was ich haben wolle.«

»Welchen Teufel hab ich in meinem Hause genährt?« klagte die Lady, »Verzeih mir Gott die Sünde, Dich so lange in Kost und Kleidung zu erhalten.«

»Das hat nicht in Eurem Ermessen gestanden, Lady,« versetzte der Hausmeier, »denn lange schon vor Erbauung dieses Schlosses, lange schon, bevor diese Insel, auf der es errichtet wurde, aus den blauen Wogen heraufstieg, war es mir vom Schicksal bestimmt worden, Euch als Sklave zu dienen – habt Ihr vergessen, wie ich zur Zeit, als die Mutter dieser Madam sich als Feindin Eures Hauses aufspielte, mich unter die siegreichen Franzosen stürzte und Euren Gemahl aus den Feinden heraushieb? habt Ihr vergessen, daß keiner von denen, die mit ihm die gleiche Milch getrunken hatten, solchen Versuch wagen mochte? habt Ihr vergessen, wie ich mich in den See stürzte, um Euren Enkel zu retten, als er sein Boot im Sturme nicht zu steuern wußte? ... wer einem schottischen Edeln recht dient, der scheut weder das eigne Leben, noch fremdes Leben, das seines Herrn ausgenommen – Wär's nicht für ganz Schottland die froheste Kunde, wenn ihr Tod gemeldet werden konnte? entstammt sie nicht dem blutigen Geschlecht der Guisen? ist sie nicht Jakobs Kind, jenes schurkischen Tyrannen, den der Himmel vom Throne stürzte und dessen hochmütiger Sinn geduckt wurde wie derjenige des Nebukadnezer?«

»Schweig, Elender!« rief die Lady, in deren Herzen sich allerhand Erinnerungen regten, als sie den Namen ihres königlichen Galans vernahm, »schweig und störe die Asche jenes unglücklichen Toten nicht! Lies weiter in Deiner Bibel und bitte zu Gott, daß sie Dir künftig bessere Belehrung gebe!« Kaum war sie in das nächste Zimmer getreten, so entströmten Tränen ihren Augen, und sie mußte stehen bleiben, um sie zu trocknen. »O, daß ich solche Tränen noch erleben würde,« sprach sie bei sich, »das hätt ich nicht erwartet! trocknen Auges hab ich die Untreue meines Enkels über mich ergehen lassen, und doch ruhte auf ihm meines Sohnes Hoffnung, des Kindes meiner Liebe Hoffnung! und nun weine ich um ihn, der so lange schon im Grabe ruht! um ihn, dem ich es beizumessen habe, daß seine Tochter mich mit Spott und Hohn überschüttet? aber es ist seine Tochter, und wenn mir plötzlich aus ihrem Auge das Bild des Vaters vor die Seele tritt, dann wird es mir weich ums Herz, das durch mancherlei Ursache verhärtet gegen sie ist – doch wenn mir dann wieder die Aehnlichkeit beikommt, die ihr Gesicht mit ihrer mir verhaßten Mutter, mit dieser echten Tochter des Hauses Guise, aufweist, dann wanke ich wieder in meinem Entschlusse, ihr Milde und Güte zu erweisen. Aber durch solchen schändlichen Anschlag soll sie nicht sterben in meinem Hause! Ich danke Dir, mein Gott! daß es kein schnell wirkendes Gift war, das dieser Elende ihr eingab, daß sich ihm also noch vorbeugen läßt – ich will noch einmal nach ihrem Zimmer – aber daß dieser Mensch, auf dessen Treue wir so fest bauten, der uns so viele Beweise seiner Anhänglichkeit gegeben, sich entpuppt als solcher Bösewicht! welches Wunder erklärt solche Tücke und solche Treue in ein und demselben Herzen?«

Roland Gräme hatte, während Lady Lochleven sich zu dem Hausmeier nach dem Turme begab, Katharina Seyton von den Worten unterrichtet, die ihm diese zur Tür hereingerufen hatte, und das lebhafte Mädchen mit seinem schnellen Verstände begriff im Nu den ganzen Zusammenhang, schoß aber im Uebermaß ihrer Liebe um ihre Gebieterin weit über die Wahrheit hinaus und malte sich die Sache furchtbarer aus, als sie in Wirklichkeit sich verhielt.

»Uns vergiftet zu haben, so rechneten sie!« rief sie mit Entsetzen; »und hier steht der tödliche Trank, der die Greueltat bewirken sollte daß wir auf dergleichen gefaßt sein mußten, seitdem Georg Douglas nicht mehr Vorkoster unsrer Nahrung ist, ist klar; aber wie kamen die Scheusale dazu, Roland, den unschuldigsten von uns allen, zum sichern Tode zu verdammen? er hätte doch, wenn er von dem Tranke, seiner Dienstpflicht gemäß, zuerst genoß, doch auch zuerst und von allen am sichersten, den Tod gefunden! Verzeiht mir, liebe Fleming, was ich im Zorn gegen Euch gesagt habe! der Himmel gab Dir die Worte ein, die Du der Königin von ihrem Gemahle sagtest! gab sie Dir ein, um unser Leben zu retten – was aber nun? das alte See-Krokodil wird doch sicher gleich wieder zur Stelle sein, um über unsern Todeskampf seine heuchlerischen Tränen zu flennen – was sollen wir beginnen, Fleming?«

»Helf uns die Mutter Gottes!« antwortete die Lady, »ich weiß nicht, wozu ich raten soll, als höchstens, daß wir uns an den Regenten wenden?«

Den Teufel selber zitieren?« rief Katharina heftig, »und am Fuße seines Flammenthrons seine Großmutter obendrein?« Dann lugte sie in das Zimmer hinein. »Die Königin schläft noch. Wir müssen Zeit gewinnen, denn die giftmischerische Hexe darf nicht erfahren, daß ihr Anschlag mißglückt ist. Solche alte Kreuzspinne ist zu schnell bei der Hand, ein zerrissnes Gewebe auszubessern – Roland, hilf mir den Krug in den Ofen oder zum Fenster hinaus schütten! und dann schmeiße hier alles durcheinander, daß es aussieht, als hätten wir gefuttert wie die Raben. Schütte alles in den Ofen und laß die Reste auf den Schüsseln, laß auch in jedem Becher ein Paar Tropfen! Aber wenn Dir Dein Leben lieb ist, dann koste nichts, weder von den Speisen noch von dem Tranke; wenn die Königin aufwacht, will ich ihr erzählen, in welch schlimmer Lage wir uns befinden – sie ist verständig genug, uns über unser Verhalten das Rechte zu sagen – bis dahin merk Dir, Roland, die Königin ist bewußtlos, die Fleming ist unwohl – für sie schickt sich diese Rolle,« setzte sie leiser hinzu, »am allerbesten, da braucht sie ihren Witz nicht anzustrengen –«

»Und Ihr selbst Katharina? was sage ich von Euch?«

»Mit mir verhält es sich besser – Du verstehst schon, Roland –«

»Und was von mir selbst?« fragte der Page. »Was Ihr von Euch sagen sollt?« rief Katharina schelmisch, »Euch geht's natürlich kreuzmunter – wer möcht sich wohl in Ungelegenheit setzen, um Schoßhündchen oder Pagen zu vergiften?«

»Für solchen Augenblick paßt solch leichtfertiger Scherz doch nicht!« sagte Roland in pikiertem Tone.

»O doch, er paßt!« antwortete Katharina; »denn wenn die Königin sich einverstanden erklärt mit dem, was ich will, so kann uns grade dieser hämische Anschlag von gutem Dienste sein.«

Während sie so zusammen sprachen, hatten sie das aufgetragne Frühstück in der Weise, wie Katharina geraten hatte, aufgeräumt, und so leise wie möglich verfügten sich die beiden Fräulein in das Schlafzimmer der Königin. Gleich darauf pochte es wieder an der Tür, und als Roland öffnete, sah er Lady Lochleven draußen stehen. Mit der Erklärung, es tue ihm leid, daß er die Lady vorhin hätte warten lassen müssen, ließ er sie in das Vorzimmer und setzte hier hinzu, er dürfe auch jetzt noch niemand zur Königin lassen, da sie gleich nach dem Frühstück in einen tiefen Schlaf gesunken sei.

»Also hat sie doch von dem Frühstück genossen?« fragte Lady Lochleven.

»Ei freilich,« antwortete der Page, »Ihre Gnaden fasten doch nur an den Fasttagen.«

»Der Krug ist leer?« rief Lady Lochleven, einen Blick hinein werfend, »hat Lady Maria allein davon getrunken?«

»Wohl das meiste, gnädige Frau! ich habe bloß gehört, daß das jüngere Fräulein sich bei dem andern darüber beschwerte, für sie bleibe ja bloß noch ein schäbiger Rest, nachdem die andre von dem was die Königin übrig gelassen, auch über die Hälfte getrunken habe.«

»Sind die beiden Damen unpaß?«

»Fräulein Fleming klagte über große Müdigkeit, und Fräulein Katharina klagte, der Schwindel, der sonst in ihrem Kopfe rumore, sei heute viel ärger als sonst.« Bei den letzten Worten verstärkte er merklich seine Stimme, weil ihm offenbar daran lag, diesen Schmerz auch zu Katharinens Ohren gelangen zu lassen.

Lady Lochleven wandte sich jetzt energisch an den Pagen: »Ich will ins Schlafgemach der Königin – mein Anliegen ist dringlicher Art.«

Da hörte man aber auf der Stelle Katharinas Stimme: »Ins Zimmer hinein darf niemand! die Königin schläft.«

»Ich lasse mir von solch jungem Dinge keine Vorschriften machen,« versetzte die Lady, »an der Tür ist meines Wissens kein Riegel. Ich möchte also wissen, wer mir den Zutritt wehren sollte.«

»Der Riegel fehlt freilich an der Tür, nicht durch unsre Schuld,« antwortete Katharina; »aber die Haken, an denen er gehangen, sind noch da, und da hinein steck ich meinen Arm, jener Ahnfrau von Euch nachahmend, die in edlerem Bemühen, ihrer Fürstin Schlafgemach gegen Mörder zu schützen, sich also in die Bresche warf. Probiert denn Eure Kraft! seht zu, ob eine Seyton es einem Mädchen namens Douglas an Kräften gleichtut, oder nicht.«

»Auf solche Bedingung hin will ich es lieber lassen,« versetzte Lady Lochleven höhnisch, lenkte aber ein und sagte: »Mein Kind, mein Ehrenwort darauf, daß mich nur der Wunsch, der Königin zu dienen, herführt. Wenn Du sie lieb hast, so wecke sie auf und rate ihr, mir den Zutritt zu gestatten. Wenn es gewünscht wird, will ich gern von der Tür zurücktreten.«

»Du wirst doch die Königin nicht etwa wecken?« fragte Maria Fleming; »Du wirst, wenn Du es tust, bloß einen neuen Anfall heraufbeschwören.«

»Das möge der Himmel verhüten!« fügte Katharina; »aber es bleibt uns doch keine andre Wahl! wir müßten denn warten wollen, bis Lady Lochleven selbst die Rolle der Kammerzofe spielt; denn ich vermute, ihr Geduldfaden möchte bald reißen. Zudem muß ja die Königin drauf vorbereitet sein, mit ihr zu sprechen! ich meine sogar, sie wird in dieser furchtbaren Entscheidung recht wohl im stande sein, selbst einen Entschluß zu fassen. Dich aber, liebe Fleming, möchte ich recht sehr bitten, nach Deinen besten Kräften Dich matt und trübe zu stellen.«

Katharina trat zu dem Lager der Königin und küßte ihr zu wiederholten malen die Hand, bis es ihr gelang, sie munter zu machen, ohne sie zu erschrecken. Sie war verwundert, daß sie in ihren Kleidern im Bett lag, richtete sich jedoch auf und war so ruhig wieder, daß Katharina es für das beste hielt, sie ohne weiteres darüber aufzuklären, was inzwischen vorgegangen war. Die Königin wurde bleich und bekreuzte sich, gewann aber sogleich Verständnis für alle mit solcher Lage verbundnen Gefahren und Vorteile. »Ich wüßte nicht,« sagte sie zum Schluß einer raschen Unterredung mit ihrer jungen Dienerin, während sie sie an ihr Herz zog und ihr einen Kuß auf die Stirn drückte, »was wir Klügeres und Besseres tun könnten als nach dem von Deiner tapferen Liebe ersonnenen Plane zu handeln. Mach der Lady die Tür auf, mein Kind! sie soll erkennen, daß Wir es an List mit ihr aufnehmen, wenn auch nicht an Untreue. Zieh die Vorhänge zu und Du, Fleming, tritt dahinter, denn Dein Platz ist weniger auf der Bühne als in der Garderobe, atme recht tief, ächze und seufze auch ein paarmal, das gehört zu der Rolle, die Wir für Dich bei der neuen Komödie bestimmen – Doch horch! sie kommen – Nun, Katharina von Medici! möge Dein Geist jetzt in mich fahren! denn für solchen Auftritt ist ein kaltes nordisches Hirn zu plump.«

So leise wie möglich trat Lady Lochleven, von Katharina Seyton geführt, in das von dem Zwielicht nur halb erhellte Zimmer. Bleich und erschöpft von der schlaflosen Nacht und von der erregten Szene am Morgen, lag Maria so matt und müde auf ihrem Bett, daß ihre Wirtin die schlimmsten Befürchtungen nur allzu begründet halten konnte. All ihren Stolz beiseite lassend, warf sich Lady Lochleven neben dem Bett auf die Kniee und rief: »Nun, Gott verzeih uns unsre Sünden! es ist nur allzu wahr! Maria ist ermordet!«

»Wer ist denn hier?« fragte Maria wirr, wie wenn sie aus schwerem Schlafe erwachte. »Fleming, Seyton! wo seid Ihr? ich höre eine fremde Stimme – wer ist bei mir? – Ruft Courcelles!«

»Ach! wenn auch ihr Leib in Lochleven ist,« sagte die Lady, »mit dem Geiste ist sie noch immer zu Holyrood! O, verzeiht, gnädigste Frau, wenn ich Eure Aufmerksamkeit auf mich ziehe – ich bin Margaret Erskine, aus dem Hause Mar, verehelichte Douglas von Lochleven,«

»Sieh da, unsre herzliebe Wirtin,« erwiderte Maria, »die soviel Sorge trägt für unsre Behausung und unsre Beköstigung? Wir belästigen Euch wirklich schon viel zu lange, gute Lady Lochleven; aber Wir rechnen zuversichtlich darauf, daß es nicht lange mehr notwendig sein dürfte, Eure Güte in Anspruch zu nehmen.«

»Wie ein Dolch durchbohren mich ihre Worte,« sprach Lady Lochleven bei sich, setzte aber laut hinzu: »Ich bitte Eure Gnaden mit blutendem Herzen, mir mitzuteilen, woran es Euch fehlt, damit ich, so lange es noch Zeit ist, Abhilfe schaffen kann.«

»Mir fehlt gar nichts, nein, nein!« versetzte die Königin, »ein bißchen Schwere in den Gliedern, ein bißchen Schüttelfrost; aber daran leiden Gefangne wohl in der Regel – frische Luft und Freiheit möchten mich ja schnell auf die Beine bringen! aber meinen Ständen hat es nun doch einmal beliebt zu bestimmen, daß allein der Tod die Schlösser meines Kerkers brechen soll.«

»O, gnädigste Frau,« rief die Lady, »vermochte Freiheit Euch die Gesundheit wiederzugeben, so wollte ich lieber dem Zorne des Regenten und meines Sohnes William mich aussetzen, als Euch in diesem Schloß sterben und verderben lassen.«

»Ach, gnädige Frau,« mischte sich hier Lady Fleming ein, die es jetzt für angezeigt hielt, erkennen zu lassen, daß sie durchaus nicht in geistiger Hinsicht so geringwertig sei, wie man es zu meinen liebe – »es wäre doch wohl ganz gut, durch einen Versuch festzustellen, welche Wirkung Freiheit auf uns üben möchte – ein freier Spaziergang auf grünem Wiesengrund würde meinen Nerven sicher recht gut tun.«

Einen durchdringenden Blick auf die ältere Kranke werfend, richtete Lady Lochleven sich von dem Boden auf und fragte: »Befindet Ihr Euch wirklich so schlecht, Lady Fleming?«

»Nun, gut ist es mir freilich nicht, besonders nicht seit dem Frühstück,« antwortete Lady Fleming.

»Hilfe, Hilfe!« rief da Katharina, lebhaft besorgt, eine Unterredung zum Abbruch zu bringen, die für ihren Plan nichts Gutes prophezeite – »Hilfe, Hilfe! hört denn niemand? Die Königin ist im Verscheiden – Lady Lochleven, so helft doch der Königin! seid Ihr denn kein Weib?« – Lady Lochleven beeilte sich den Kopf der Königin zu stützen; diese aber lenkte mit tiefer Mattigkeit die Augen nach ihr und sagte:

»Vielen Dank, meine liebste Lady und Großmama! abgesehen von einigen Vorgängen in der jüngsten Gegenwart wäre es ja Sünde von mir, wollt ich Eure Liebe und Anhänglichkeit mißdeuten oder in Zweifel ziehen. Beide Tugenden sind ja schon von Euch, wie mir zu Ohren gekommen, glänzend bewährt worden, als ich noch in der Wiege lag.«

Lady Lochleven sprang, wie von einer Tarantel gestochen, vom Bett hinweg, durchmaß ein paarmal das Zimmer und riß heftig das Fenster auf, wie um frische Luft zu schöpfen.

»Heilige Gottesmutter,« sagte Katharina bei sich, »wie tief muß doch beim Weibe die Spottsucht eingeimpft sein, da die Königin bei allem Verstande lieber das Aergste riskiert, als daß sie ihren Hohn beiseite ließe!« Dann beugte sie sich zur Königin und flüsterte: »Um Eurer Wohlfahrt willen, gnädigste Fürstin, mäßigt Euch bloß jetzt!«

»Mädchen, Du nimmst Dir viel heraus,« erwiderte die Königin, setzte aber im andern Augenblick hinzu: »Tu' mir bloß den Gefallen und sorge, daß mich die alte Hexe nicht noch einmal mit ihren giftigen Händen berührt! ich fühle dann immer solchen Ekel und Haß, daß ich nicht an mich halten kann.« »Gott sei Dank!« rief da Lady Lochleven, vom Fenster zurücktretend, »der Kahn kommt schnell herüber; er bringt den Arzt und auch ein Weib sitzt drin: sicher doch die Hexe, die ich holen ließ. War sie bloß erst wieder, ohne daß unsre Ehre dabei leidet, vom Schlosse weg, ich wollt ihr sicher keine Träne nachweinen, und ein zweites mal zu solchem Wächterposten bekäme mich kein Mensch!«

Unterdessen beobachtete Roland aus einem Fenster das heranfahrende Boot, und auch er wurde alsbald inne, daß vorn der Kämmerer in seinem schwarzen Samtmantel, hinten seine leibhaftige Großmutter, Magdalena Gräme, in der von ihr angenommenen Rolle einer Mutter Nieneven saß, die gefalteten Hände dem Schlosse zustreckend, wie von schwärmerischer Ungeduld erfüllt, in die Nähe ihrer Königin zu kommen.

Bald waren sie an der Anlande, und während die vermeintliche Hexe beschieden wurde, sich unten in der Torwartstube zu verhalten, wurde der Arzt und Kämmerer in das Zimmer der Königin geführt, das er mit allem seinem Stande angemessenen Zeremoniell betrat. Katharina benützte die erste Gelegenheit, vom Bette der Königin hinweg und zu Roland zu treten.

»Ich glaube nicht,« flüsterte sie ihm ins Ohr, »daß es sonderlich schwer fallen wird, diesem Esel im abgeschabten Samtkittel die Halfter über den Kopf zu werfen. Aber Deine Großmutter, Roland, wird uns mit ihrem maßlosen Eifer das ganze Ding verderben, sofern man ihr nicht zu verstehen gibt, daß sie sich bei der Lady verstellen muß.«

Roland schlich sich ohne weiteres hinaus, eilte durch das Wohnzimmer in den Vorsaal, sah sich aber hier durch zwei mit Karabinern aufgestellte Männer aufgehalten, die ihm ein kräftiges zurück! zuriefen. Hieraus erkannte er, daß Lady Lochleven trotz aller Unruhe, die sie erfüllte, noch immer soviel Argwohn besaß, daß sie es nicht unterlassen hatte, bei ihrer Gefangnen Posten auszustellen. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als nach dem Wohnzimmer zurückzugehen, wo er die Schloßherrin in Unterhaltung mit dem Kämmerer fand.

»Verschone mich mit Deiner Salbaderei und mit Deinen Grimassen, Lundin,« herrschte sie den Kämmerer an, »und sage mir unverblümt, ob die Frau etwas zu sich genommen hat, was ihrer Gesundheit von Nachteil werden kann.«

»Aber, gütigste Lady, verehrteste Gönnerin, der ich in meiner Wirksamkeit zu so großem Danke verpflichtet bin, verfahret im vorliegenden Falle doch glimpflich mit mir! Wenn die Kranke sich zu keiner Auskunft bereit finden lassen mag, sondern bloß seufzt und stöhnt, oder mich angähnt, wenn ich mich nach Merkmalen ihres Uebelbefindens befrage, und das andre junge Fräulein – übrigens, wie ich gern gelten lasse, ein recht artiges Ding ...«

»Laß Dein dummes Geschwätz von artigen oder sonstwelchen Dirnen,« fuhr ihn die Dame wieder an, »und sag mir rund heraus: hat die Frau drinnen Gift geschluckt, oder nicht?«

»Die Wissenschaft, gnädigste Frau, kennt mancherlei Gifte,« hub der Kämmerer, sich in die Brust werfend, an: »tierische Gifte, mineralische, halbmineralische Gifte, Gifte aus Kräutern und Pflanzen. Von den erstern erwähnen schon Dioskorides und Galenus den Lepus marinus, von den letzteren haben wir die Aqua cymbalariae

»Der Teufel hole Dich mitsamt Deinem lateinischen Quark!« rief die Lady; »wie kann ich doch so dumm sein, von solchem Brummochsen einen Orakelspruch zu erhoffen?«

»Aber Eure Gnaden wollen geruhen,« sagte der Kämmerer wieder, »wenn ich nur wenigstens wüßte, von welcher Speise sie genossen hat, oder die Reste davon einsehen könnte, denn den äußern Symptomen nach kann ich nichts entdecken – sagt ja doch schon Galenus in seinem Buche über die Gegengifte oder, wie er sagt, De Antidosis

»Das Maul gehalten, Narr!« rief die Dame und wandte sich zu einem der Wächter draußen, »schafft mir auf der Stelle die Hexe herauf!«

Im Nu wurde ihrem Befehle Folge geleistet; doch hielten sich die Männer, von deren Gegenwart die Hexe gar nichts zu wissen schien, in scheuer Entfernung, weil sie ohne Zweifel Furcht hatten vor den übernatürlichen Fähigkeiten, die man der Frau nachredete. Sie trug dieselbe düstere Kleidung, in der sie Roland in Kinroß gesehen hatte, bloß hatte sie jetzt das Gesicht nicht verhüllt, sondern trat unerschrocken vor die Schloßherrin, die mit Verdruß wahrzunehmen schien, daß sie es in der Frau mit keiner schüchternen oder zaghaften Person zu tun hatte.

»Elendes Weib,« herrschte die Schloßherrin die Frau an, nachdem sie eine Weile umsonst versucht hatte, sie durch ihren strengen Blick einzuschüchtern, »was für ein Pulver hast Du meinem Diener, Dryfesdale, verkauft zu dem Zwecke, eine langsame, heimliche Rache damit zu üben? Beschreib mir das Pulver genau, oder, bei der Ehre der Douglas, ich laß Dich lebendig als Hexe verbrennen, bevor die Sonne vom Himmel verschwindet.«

»Wann hat es einem Douglas oder einem in seinem Dienste an Mitteln zur Rache gefehlt, daß er sie zu suchen brauchte bei einem armen, hilflosen Weibe? Noch stehen ja die Türme fest, in denen Eure Gefangnen verschmachten, noch haben die darin verübten Verbrechen nicht ihre Gewölbe gesprengt, noch haben Eure Mannen ihre Armbrüste und Spieße und Dolche – was tut's Euch not an Zaubertränken, wenn Ihr nach Rache dürstet?«

»Holt Drysesdale aus dem Turme her!« befahl die Schloßherrin, »ich will sie einander gegenüber stellen.«

»Erspart Euch und Euren Knechten solche Mühe,« sagte die Frau, »denn ich bin nicht hierher gekommen, um einem erbärmlichen Reitknecht zur Staffage zu dienen oder der ketzerischen Buhlin Jakobs Rede und Antwort zu stehen. Ich bin hierher gekommen, um mit der Königin von Schottland zu sprechen – marsch, Platz da!« und während Lady Lochleven betroffen über solche Verwegenheit dastand, wie an den Boden gewurzelt, schritt Magdalena Gräme an ihr vorbei in das Schlafgemach der Königin, kniete dort nieder und berührte mit der Stirn, nach morgenländischer Sitte, die Erde.

»Heil Dir, Fürstin,« rief sie, »Heil Dir, Du Tochter einer langen Ahnenreihe! aber berufen von allen, begnadigt vor allen, für den wahren Glauben zu leiden! Heil Dir! und vernimm den Trost, den Gott und unsre liebe Frau Dir sendet durch den Mund Deiner unwürdigsten Dienerin! Zuvor aber ...« sie bekreuzte sich wiederholt und sagte dem Anschein nach eine bestimmte Gebetsformel her.

»Greift sie! schleppt sie in das tiefste Verließ meines Schlosses!« schrie wie außer sich Lady Lochleven, »nur der Teufel konnte ihr die Kühnheit leihen, die Mutter der Douglas in ihrem eignen Schlosse zu beschimpfen!«

Der Kämmerer aber bemühte sich, die Lady zu besänftigen. »Vergönnt mir doch, gnädigste Herrin, zuvor ein Paar Worte mit der Inkulpatin,« sagte er, »es ist doch nicht ausgeschlossen, daß wir etwas über das Arcanum in Erfahrung bringen, das sie allem Gesetz zuwider Eurem Hausmeier verabfolgt hat.«

»Für Dich Esel,« fuhr die Lady ihn an, »ist solcher Rat klug genug. Ich will also meinen Groll unterdrücken, bis Du mit der Vettel gesprochen hast.«

In diesem Augenblick aber erhob sich Magdalena Gräme, wandte das Gesicht zur Königin, tat einen Schritt vorwärts, streckte den Arm aus und nahm die Haltung einer verrückten Sibylle an; unter ihrer Haube vor quoll das graue Haar, ihre Augen sprühten Funken, und über ihre Züge flog eine an Wahnsinn grenzende Begeisterung. Ihr Aussehen erfüllte alle Anwesenden mit Grauen. Die Königin selbst richtete sich, wie unter einem Banne, auf ihrem Lager in die Höhe, außer stande, ihre Blicke von der Dämonengestalt abzuwenden, die jetzt, wie eine zweite Pythia, Worte von ihren Lippen schleuderte in so reichem Flusse, daß sie – und vielleicht stand die Schwärmerin selbst unter diesem Wahne – als höhere Eingebung gelten konnten ..

»Steh auf, Königin von Frankreich und England! steh auf, Löwin von Schottland! ohne Zagen vor den Netzen, mit denen Deine Jäger Dich umgarnen! Tritt den Verrätern, denen Du bald im offnen Felde gegenüberstehen wirst, schon jetzt mit offnem Visier gegenüber! meide Verstellung! Deine Sache wird entschieden werden durch Kampf, und der Herr der Heerscharen, in dessen Hand alles Krieges Wohl und Wehe liegt, wird für Dich sein! Hinweg mit allen Künsten Niedriggeborner, und brauche nur die, die einer Königin geziemen. Wahrhaftige Verfechterin des einzigen Glaubens! Dir steht die himmlische Rüstkammer offen. Getreue Tochter der Kirche, nimm die Schlüssel des heiligen Petrus, zu binden und zu lösen! Königin des Landes, ergreife das Schwert des heiligen Paulus, zu strafen und zu vernichten! Dunkelheit waltet über Deinem Schicksal, nicht in diesen Türmen, nicht unter der Gewalt dieser stolzen Frau soll es sich erfüllen! nicht in Schottland soll die Königin von Schottland lange gefangen bleiben, und das Schicksal der königlichen Stuarts liegt nicht in den Händen des Verräters Douglas .. und wenn die Lady Lochleven ihre Riegel noch so verdoppelt und ihre Kerker noch so vermauert, so werden sie nicht im stande sein, Dich hier zu halten ... alle Elemente vielmehr werden sich vereinen, Dir beizustehen in Deiner Beschwernis, Dich zu erlösen aus Deiner Gefangenschaft ... vernehmet Ihr alle dies! zittert Ihr alle darob! Ihr all, die Ihr ankämpfet gegen das Licht, denn sie spricht solches, der es zugesichert wurde!«

Sie schwieg; der Arzt aber rief betroffen: »Hat es je ein vom Dämon besessenes Weib gegeben, dann ist sie es! keinen zweiten Teufel gibt es, der mit der Zunge eines Weibes spricht als hier dieses!«

»Larifari,« rief die Lady, die sich von ihrem Erstaunen erholt hatte, »betrügerische Kunstgriffe! ... In das Verließ mit ihr!«

»Lady Lochleven,« nahm Maria nun das Wort, indem sie sich von ihrem Bette erhob und mit der ihr eignen Würde vortrat, »vernehmt nur ein Wort von mir, ehe Ihr in Unsrer Gesellschaft, in Unsrem Gemache jemand verhaftet. Ich war erst der Meinung, Ihr hättet von dem Anschlag Eures Dieners auf unser Leben gewußt; ich habe Euch dadurch getäuscht, daß ich Euch in dem Glauben ließ, der Anschlag sei dem Verworfnen geglückt. Das war unrecht von mir, Lady Lochleven, denn ich habe nunmehr erkannt, daß es wirklich in Eurer Absicht lag, mir beizustehen – wir haben von Eurem Getränk weder gekostet, noch befinden Wir Uns unwohl – abgesehen davon, daß Wir nach Unsrer Freiheit schmachten.«

»Das ist ein Bekenntnis, einer Maria von Schottland würdig,« rief Magdalena Gräme, »wisset auch, daß die Königin ruhig den Trank hätte leeren können bis auf den letzten Tropfen, denn der Trank war so unschädlich wie Wasser aus dem heiligen Brunnen. Habt Ihr etwa gemeint, Ihr stolzes Weib,« wandte sie sich jetzt an Lady Lochleven, »ich hätte so verrucht sein können, einem Knechte des Hauses Lochleven Gift in die Hände zu spielen, da ich doch wußte, wer hier gefangen gehalten wird! Da hätte ich ebenso leicht einen Trank bereitet zur Ermordung meines eignen Kindes!«

»Soll mir solcher Schimpf angetan werden in meinem eignen Schlosse?« rief empört die Lady. »In das Verließ mit ihr! sie soll die Strafe leiden, die denen nach Recht und Gesetz zukommt, die Gift verkaufen und Zauber üben!«

»Einen Augenblick noch, Lady Lochleven,« nahm Maria wieder das Wort, »Ihr aber, Magdalena Gräme, schweigt! auf mein Geheiß! Euer Hausmeier, Lady Lochleven, hat nach seinem eignen Bekenntnis, mir und meiner Dienerschaft nach dem Leben getrachtet, dieses Weib hingegen hat getan was in ihren Kräften stand, uns zu retten. Da sollten Wir nun meinen, Wir trügen Euch einen gerechten Tausch an, wenn Wir Eurem Diener Verzeihung böten gegen Verzeihung, die Ihr hier diesem Weibe gewährt. Denn Wir meinen überzeugt zu sein dürfen, daß Ihr es dem Weibe nicht als Verbrechen anrechnet, etwas Unschuldiges an Stelle des löblichen Giftes, das von ihr begehrt wurde, gegeben zu haben?«

»Da sei der Himmel vor,« erwiderte die Lady, »daß ich etwas als Verbrechen ansehen möchte, was mein Haus vor solch gemeiner Verletzung der Ehre und des Gastrechts behütet hat. Wir haben bereits unserm Sohne Mitteilung von dem Vorgefallnen gemacht, denn wir sind der unerschütterlichen Meinung, daß unser Diener seine Strafe, die wahrscheinlich der Tod sein wird, erleiden muß! aber dieses Weibes Tun ist verdammenswert nach der Schrift, und nach den weisen Gesetzen unsrer Vorfahren zu sühnen nicht minder als ein Kapitalverbrechen. Auch sie muß darum ihre Strafe leiden.« »Habe ich denn gar keine Ansprüche an das Haus Lochleven wegen des mir in seinen Mauern soeben zugefügten Unrechts?« fragte stolz die Königin, »zumal ich nichts weiter begehre als Rücksicht für eine hinfällige Greisin, deren Verstand unter dem Alter gelitten zu haben scheint, wie ja Ihr selbst auch einsehen werdet!«

»Was das Unrecht, von dem Lady Maria in unserm Hause bedroht gewesen zu sein meint, anbetrifft,« erwiderte die unbeugsame Lady, »so mag sie es als Ausgleich nehmen dafür, daß ihre Anschläge dem Hause Douglas die Verbannung eines Sohnes kosten.«

»Saget kein Wort weiter, huldreiche Fürstin, zu meinem Nutzen,« nahm jetzt Magdalena wieder das Wort, »erbittet von diesem stolzen Weibe nicht soviel wie ein graues Haar von meinem Kopfe! Mir ist die Gefahr, in die ich mich hier begab, nicht unbekannt gewesen, aber ich war immer bereit, meiner Kirche und meiner Königin zu dienen auf Kosten meines Lebens. Es liegt ein Trost für mich darin, daß das Haus, dessen Ehre sie mit so vollem Munde rühmt, das Maß seiner Schmach dadurch voll machen wird, daß es sich an meiner Person vergreift, sei es, daß es mir mein armseliges Leben nimmt, sei es, daß es mich meiner Freiheit beraubt, denn es verletzt in beiden Fällen ein feierliches, zudem schriftlich gegebenes Versprechen, mir alle Sicherheit zu gewähren.« Bei diesen Worten überreichte sie der Königin ein Schriftstück, das sie in ihrem Busen verborgen gehalten hatte ...

»Es ist eine feierliche Verbriefung von Sicherheit und Leben,« sagte die Königin, »ausgefertigt und unterzeichnet mit dem Siegel des Kämmerers von Kinroß, und giltig auf die Zeit von vierundzwanzig Stunden, sofern sie sich dazu verstehen will, den Fuß hinter die eisernen Tore der Burg Lochleven zu setzen.«

»Schurke,« fuhr Lady Lochleven den Kämmerer an, »wie durftest Du es wagen, dem Weib einen solchen Geleitsbrief auszustellen?«

»Gnädigste Herrin,« erklärte Lundin, »es ist geschehen auf Euer ausdrückliches Gebot, mir gemeldet durch Randal, wie er es jederzeit zu bezeugen bereit sein wird.«

»Ach, ich besinne mich,« rief da die Lady, »aber ich hatte gemeint, die Zusicherung sollte nur ausgefertigt werden, wenn sie sich unter andrer Gerichtsbarkeit befunden hätte, um sie dann vor einem Haftbefehl unserseits sicher zu stellen.«

»Trotzdem ist Lady Lochleven gebunden, dem Weibe das freie Geleit zu halten, das ihm durch ihren Kämmerer gewährt worden,« sagte die Königin.

»Gut, so soll Randal sie zurück nach Kinroß schaffen; aber, um sie zugleich für die weitere Zukunft zu sichern, über unsre Grenzen weisen, und Eure Weisheit,« wandte sie sich zu dem Kämmerer, »mag ihr Gesellschaft leisten!«


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