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Fünfunddreißigstes Kapitel.
Streit.

Sedet post equitem atra cura. –
Durch Moor und Heid' in wilder Hast
Braus't hin der zornentglühte Geist,
Dem Sturme scheint er gleich!

Doch hinter ihm im dustern Schleier,
Wie Wittwen bei der Leichenfeier,
Sitzt Sorge – todtenbleich!

Ein Glück war es in jener Nacht für Mowbray, daß er sich immer die besten Pferde hielt, und daß eben jenes, welches er damals ritt, so sicher und klug, als muthig und feurig war. Denn diejenigen, welche am folgenden Tage die Spuren seines Hufes auf dem wilden bahnlosen Pfade bemerkten, den das Thier in vollem Galopp von seinem wüthenden Gebieter dahin gelenkt durcheilte, konnten leicht einsehen, daß an mehr als zwölf Stellen Pferd und Reiter wenig Zoll vom Untergang entfernt waren. Ein Zweig eines knorrigen, verkrüppelten Eichbaumes, der sich quer über den Weg erstreckte, schien insbesondere dem Reiter eine fast Vernichtung bringende Hemmung des Weges gedroht zu haben. Der Schlag, den er dem Kopfe desselben versetzte, war zwar einigermaßen von dem sehr hohen Hute aufgefangen worden, doch war die Gewalt dieser Erschütterung mächtig genug, den Ast in Splitter zu zertrümmern. Glücklicherweise war er herabgebrochen, aber selbst noch in diesem Zustande erregte es allgemeines Erstaunen, daß ein so furchtbares Zusammentreffen keine üblern Folgen gehabt hatte. Mowbray selbst hatte dies Ereigniß gar nicht bemerkt.

Kaum sich bewußt, daß er ungewöhnlich schnell geritten war, kaum es empfindend, daß er eiliger dahin stürmte, als er je den flüchtigen Hunden im gestrecktesten Galopp folgte, sprang Mowbray an der Stallthür vom Pferde, warf dem Diener den Zügel zu, der staunend über den Zustand des Lieblingspferdes die Hände zum Himmel erhob, doch vermuthend, sein Gebieter sei berauscht, sich weislich jeder Bemerkung enthielt.

Sobald der unglückliche Jüngling jener heftigen Bewegung Einhalt that, durch welche er Raum und Zeit so viel als möglich vernichten zu wollen schien, um den Ort zu erreichen, wo er sich jetzt befand, so war ihm, als möchte er die Welt darum geben, wenn er Meere und Wüsten zwischen sich und seinem väterlichen Hause und jener einzigen Schwester zaubern könnte, mit welcher er jetzt eine entscheidende Zusammenkunft haben wollte. –

»Aber Zeit und Ort sind da!« sagte er, mit glühender Angst die Lippen zusammenpressend. »Diese Erklärung muß entscheidend sein, welches Uebel auch daraus entstehe, auf ewig soll diese peinigende Ungewißheit sich enden.«

Er trat in's Schloß und ergriff das Licht des alten Dieners, der bei dem Geräusch des Hufschlages das Thor geöffnet hatte, ihn zu empfangen.

»Ist meine Schwester in ihrem Wohnzimmer?« fragte er; aber so dumpf klang seine Stimme, daß der alte Mann statt aller Antwort die Gegenfrage that: »Sind Ew. Gnaden auch wohl?«

»Ganz wohl, Patrick! – Nie in meinem Leben noch befand ich mich besser!« – Und dem Alten den Rücken zuwendend, als wolle er es vermeiden, daß er den Ausdruck seiner Züge mit seinen Worten vergliche, setzte er seinen Weg nach dem Zimmer seiner Schwester fort. Der Laut seiner Schritte schreckte Clara aus ihren, vielleicht sehr finsteren Träumen auf; und schon hatte sie ihre Lampe heller leuchten lassen, ihr Feuer neu angeschürt, eh' er in's Gemach trat, so langsam nahte er sich.

»Du bist ein gutes Kind, Bruder,« sagte sie, »daß du so zeitig zurückkehrst; auch habe ich einige gute Nachrichten zu deiner Belohnung bereit. – Dein Diener hat deinen Trimmer wieder gebracht. – Er lag bei dem todten Hasen, dem er bis nach Drumlyford nachjagte – der Schäfer hatte ihn in Verwahrung genommen, bis Jemand nach ihm fragen würde.«

»Ich wollte von ganzem Herzen, er hätte ihn aufgehangen!« entgegnete Mowbray.

»Wie? Deinen Trimmer aufgehangen? – Deinen Liebling, der das ganze Land durchstrichen ist? – Und noch diesen Morgen weintest du fast, weil du ihn vermißtest, und hattest Lust, Groß und Klein deßhalb umzubringen.«

»Je mehr ich irgend ein lebendes Wesen liebe, je mehr Ursache habe ich, es todt und zur Ruhe zu wünschen,« sagte Mowbray; »denn, weder ich noch irgend Jemand, der mir lieb ist, wird je mehr glücklich sein!«

»Mit diesen Schreckschüssen erregst du mein Entsetzen nicht mehr, John,« antwortete Clara zitternd, obwohl sie sich bemühte, unbefangen zu erscheinen. »Du hast mich schon zu häufig daran gewöhnt.«

»Das ist sehr gut für dich. So wirst du in's Verderben stürzen, ohne darüber zu erstaunen!«

»Um so besser!« sagte Clara. – »Uns drohte

So lange schon der Armuth Bild,
Daß keine Furcht mein Herz erfüllt.

Das rufe ich mit dem ehrlichen Robert Burns aus!« –

»Zum Teufel mit Burns und seinem Gewäsch!« rief Mowbray mit dem Ungestüm eines Menschen, der entschlossen ist, über jedes Ding in der Welt sich zu ärgern, nur nicht über sich selbst, der doch die eigentliche Quelle alles Elendes war.

»Und weßhalb wünschest du den armen Burns zum Teufel?« fragte Clara gelassen. »Es ist doch nicht sein Fehler, wenn du nicht heute der Gewinnende warest, denn das ist doch, wie ich vermuthe, die Ursache all' dieses Ungestüm's!«

»Ob es nicht einen Jeden um seine Geduld bringen müßte, anzuhören, wie sie die Reimereien eines plumpen Bauers anführt, wenn ein Mann von dem Untergange eines alten Hauses spricht! Euer Pflüger da, vermuthe ich, wenn er auch einen Grad ärmer geworden ist, als er es geboren war, würde höchstens sein Mittagsessen oder die gewohnte Portion Ale entbehren. Seine Gefährten aber würden rufen: ›der arme Bursche‹, und würden ihn aus ihrem Kessel essen, aus ihrem Kruge ohne Zaudern mittrinken lassen, bis sich der seinige wieder füllte. Aber der arme Edelmann – der herabgesunkene vornehme Mann – der herabgewürdigte Mann von Familie – der in den Staub getretene, machtlos gewordene, sonst so bedeutende Mann! – den muß man beklagen, der nicht blos Speise und Trank verliert, nein, dem Ehre, Ruf, Rang, ja selbst der Name geraubt wird!«

»Du sprichst mit dieser Heftigkeit, um mich in Schreck zu jagen. Aber, mein guter Freund John, ich kenne dich und deine Absichten, und ich habe meinen Geist gegen alle Fälle, die sich ereignen können, gewaffnet. Ich will dir noch mehr sagen. – Ich habe auf diesem schwankenden Gipfel des Ranges und der feinen Lebensart, wenn man unsere Lage so nennen kann, mich so lange aufrecht gehalten, bis mir der Kopf von der Unsicherheit dieser meiner Höhe ganz schwindlich ward, und ich empfinde die sonderbare Begierde, mich davon hinab zu stürzen, wie man erzählt, daß sie der Teufel zuweilen in dem Gehirn der Menschen erweckt, die auf dem Gipfel der Thurmspitzen stehen – mindestens wünschte ich, der Sturz wäre schon vollendet.«

»So sei zufrieden, wenn dich das befriedigen kann. – Der Sturz ist vollendet und wir sind – wir sind, was man in Schottland – adelige Bettler – zu nennen pflegt – Geschöpfe, denen unsere Vettern im ersten, zweiten, dritten, vierten, fünften Grade, wenn es ihnen gefällig ist, einen Platz am Nebentische, oder einen Sitz im Wagen bei der Kammerfrau der Lady ertheilen werden, wenn uns das Rückwärtsfahren nämlich nicht krank macht.«

»Das mögen sie Denen bieten, die es annehmen,« sagte Clara; »Ich bin entschlossen, mein eigen erworbenes Brod zu essen. Ich kann zwanzig Dinge unternehmen, und ich bin gewiß, das eine oder das andere wird mir all' das Bischen Geld verschaffen, dessen ich bedarf. Schon seit verschiedenen Monaten habe ich es versucht, John, von wie wenigem ich leben kann, und du würdest lachen, wenn ich dir sagte, wie gering meine Berechnung ausfällt.«

»Es ist ein Unterschied, Clara, zwischen phantastischen Versuchen und wahrer Armuth – das Eine ist ein Maskenscherz, den wir beenden, sobald es uns gefällig ist; das Andere ist lebenslängliches Elend!«

»Mir scheint es, Bruder, es würde dir besser geziemen, mir ein Beispiel zu geben, meine guten Vorsätze auszuführen, als sie lächerlich zu machen.«

»So, und was verlangst du, daß ich beginne?« fragte er heftig. – »Soll ich Postillon oder Vorreiter werden? Ich verstehe nichts Anderes, als wozu mich meine Erziehung, wie ich sie einmal angewendet habe, passend machte – auch glaube ich wohl, es würden mir vielleicht einige meiner alten Bekannten hin und wieder eine Krone zuwerfen, um dann und wann aus alter Freundschaft auch ein Schlückchen trinken zu können.«

»Das ist nicht die rechte Art, John, wie vernünftige Leute über ernstliche Unglücksfälle denken oder sprechen; und ich glaube daher nicht, daß auch hier die Sache so ernsthaft ist, wie du es mir gern einreden möchtest.«

»Denke dir das Allerschlimmste, das du dir vorstellen kannst, und noch immer wirst du es nicht schlecht genug träumen. – Du besitzest jetzt nicht mehr eine Guinee – ein Haus – noch einen Freund! – Und wann nur noch ein Tag enteilt ist, steht es dahin, ob du noch einen Bruder hast!« –

»Mein theurer John, du hast viel getrunken, bist scharf geritten!«

»Ja – solche Zeitungen verdienen es, schnell überbracht zu werden, besonders einer jungen Dame, die sie so gut aufnimmt,« erwiederte Mowbray mit Bitterkeit. »Ich vermuthe also, es wird keinen Eindruck machen, wenn ich dir sage, daß es in deiner Macht steht, dies Verderben zu verhindern.«

»Indem ich mein eigenes vollende, wahrscheinlich – Bruder. Ich sagte, du könntest mich nicht zum Zittern bringen, aber du hast dennoch die Mittel dazu gefunden.«

»Wie, erwartest du, daß ich jetzt der Bewerbungen Lord Etheringtons erwähnen werde? – Das hätte Alles ausgleichen können, in der That. – Aber dieser gnadenbringende Tag leuchtet uns nicht mehr.«

»Mit allen Kräften meines Geistes bin ich darüber entzückt, möge mit ihm jede Spur der Zwietracht zwischen uns entfliehen! – Aber bis diesen Augenblick glaubte ich, dieß sei das Ziel des langen Umweges, den du nahmst, und du strebtest nur mich von der Wahrheit des Sturmes zu überzeugen, um mich mit dem mir bleibenden Zufluchtsorte auszusöhnen.«

»Ich glaube, du bist im ganzen Ernste toll!« sagte Mowbray. »Bist du wirklich so wahnsinnig, dich zu freuen, daß dir kein Ausweg bleibt, dich und mich dem Verderben, dem Mangel und der Schande zu entziehen?«

»Schäme dich Bruder!« sagte Clara. »Ehrliche Armuth bringt keine Schande, hoffe ich.«

»Das kömmt darauf an, wie die Leute ihre bessern Tage benutzten, Clara. – Ich muß den bittersten Punkt berühren. – Man trägt sich da unten mit sonderbaren Gerüchten. – Beim Himmel! sie reichen hin, die Asche der Todten aufzuregen! Wollte ich sie aussprechen, ich würde fürchten, den Schatten unserer armen Mutter in's Gemach schweben zu sehen! – Clara Mowbray, kannst du ahnen, worauf ich ziele?«

Nur mit der allerhöchsten Anstrengung und dennoch mit wankender Stimme war sie endlich nach einem unwirksamen Versuche im Stande, die einzige kleine Sylbe » Nein« hervorzuhauchen.

»Beim Himmel! ich schäme mich. – Ich fürchte mich sogar, meine Meinung auszusprechen. – Clara, was ist es, das dich jeden Heirathsantrag so hartnäckig ausschlagen läßt? – Geschieht es, weil du dich unwürdig fühlst, das Weib eines ehrlichen Mannes zu sein? – Sprich es aus! – Der böse Leumund hat deinen Ruf befleckt. – Sprich es aus! – Gib' mir das Recht, ihre Lügen in die Gurgel ihrer Erfinder hinabzuwürgen, und wenn ich morgen unter sie trete, so werde ich wissen, wie ich die zu behandeln habe, die sich Bemerkungen über dich zu erlauben wagen. Das Vermögen unsers Hauses ist zu Grunde gerichtet, aber keine Zunge soll seine Ehre zu schmähen wagen. – Sprich, sprich, unglückliches Mädchen! – Weßhalb schweigst du?« –

»Bleib' zu Hause, Bruder,« sagte Clara, »bleib zu Hause, wenn du die Ehre unsers Hauses achtest. – Mord kann Elend nicht mildern! – Bleib zu Hause – und laß sie von mir sagen was sie wollen – sie können nichts Uebleres sagen, als ich verdiene!«

Mowbray's stets ungezähmte Leidenschaften waren in diesem Augenblicke durch Wein, seinen wilden Ritt, und den schon zuvor so hoch gereizten Zustand seines Gemüthes auf das Glühendste entflammt. Er biß die Zähne zusammen, ballte die Fäuste, blickte zur Erde, wie Jemand, der einen gräßlichen Entschluß faßt, und murmelte fast unverständlich: »Es wäre Barmherzigkeit, sie zu tödten!«

»O nein, nein, nein!« rief das entsetzte Mädchen, sich zu seinen Füßen werfend. »Tödte mich nicht, Bruder. Ich habe mir den Tod gewünscht – an den Tod gedacht – um den Tod gebetet – aber es ist mir entsetzlich, ihn mir so nah' zu denken. – O nein, keinen blutigen Tod, Bruder, keinen Tod von Deiner Hand.«

Sie hatte bei diesen Worten seine Kniee eng umschlossen, und Wort und Blick sprachen das größte Entsetzen aus. Auch war ihr Zustand in der That nicht ohne Grund; denn die ungemeine Einsamkeit des Ortes, die späte Stunde, die heftigen, glühenden Leidenschaften ihres Bruders, die verzweiflungsvolle Lage, in welche er sich gestürzt hatte, Alles schien sich zu vereinigen, irgend eine gräßliche Gewaltthat kein unwahrscheinliches Ende dieser furchtbaren Unterredung werden zu lassen.

Ohne die geballten Hände zu öffnen, oder das Haupt zu erheben, schlug Mowbray seine Arme über die Brust zusammen, während seine Schwester fortfuhr, seine Kniee mit aller ihrer Kraft zu umklammern, und in jammervollen Klagetönen um Barmherzigkeit und Schonung ihres Lebens zu bitten. Endlich sagte er:

»Närrin, laß mich los! – Wer kümmert sich um dein werthloses Leben? – wer kümmert sich darum, ob du lebst oder stirbst! – Lebe, wenn du kannst – und sei des Abscheu's und des Hohns Gegenstand für einen Jeden so sehr als für mich!«

Er riß sie bei der Schulter auf, und stieß sie mit der andern Hand von sich zurück; und als sie vom Boden sich erhebend wieder versuchte, ihre Arme um seinen Nacken zu schlingen, wehrte er sie mit Arm und Hand ab, ihr einen Stoß – oder Schlag – man kann beide Benennungen dafür brauchen – ertheilend, der heftig genug war, sie in ihrem schwachen Zustande wieder auf den Fußboden zurück zu schleudern, hätte sie nicht ein Stuhl im Fallen empfangen. Mit wildem Blick betrachtete er sie einen Augenblick, und fuhr mit der Hand in die Tasche; dann aber stürzte er zum Fenster, und es mit Ungestüm aufreißend, bog er sich, so weit er vermochte, hinaus in die rauhe Nachtluft. Entsetzt, doch ihr Gefühl selbst über ihre Furcht siegend, vor Allem von seiner Unfreundlichkeit erschüttert, fuhr Clara fort auszurufen: »O mein Bruder, sage, daß du es so nicht gemeint hast! – O sage, du hattest nicht die Absicht, mich zu schlagen. – O was ich auch verdient haben mag, sei du nicht mein Henker! – Es ist nicht männlich – nicht natürlich – wir Beide stehen ja allein in der Welt!«

Er erwiederte nichts, und da sie bemerkte, daß er fortfuhr, sich weit aus dem Fenster zu beugen, welches im zweiten Stockwerk nach dem Hofe heraus lag, so mischte sich eine neue Ursache der Besorgniß mit ihrer persönlich sie betreffenden Angst. Zagend, mit strömenden Augen und erhobenen Händen, nahte sie sich ihrem zürnenden Bruder, und furchtsam, doch fest ergriff sie den Saum seines Rockes, als wolle sie ihn sorglich vor den Folgen der Verzweiflung schützen, die noch kurz vorher gegen sie gerichtet, jetzt ihn sich selbst zum Ziel zu erwählen schien.

Er fühlte ihr banges Halten seines Kleides, und sich selbst unmuthig zurückwerfend, fragte er: was sie begehre?

»Nichts!« entgegnete sie, den Rock loslassend, »aber – wonach hast du so ängstlich gespäht?«

»Nach dem Teufel!« rief er heftig. Dann den Kopf aus dem Fenster ziehend und ihre Hand ergreifend sagte er: »Bei meiner Seele, Clara, es ist wahr – wenn je Wahrheit in einer solchen Sage war. – Er stand hier eben mir zur Seite, und gebot, ich sollte dich ermorden! – Was sonst hätte meine Gedanken auf mein Jagdmesser richten – es mir, bei Gott, selbst in die Hand geben können – und noch dazu in einem solchen Augenblicke. – Dorthin, scheint es mir, sah ich ihn entfliehen, und Wald, Felsen und die Fluth strahlten wieder von dem dunkelrothen Gluthlicht, das er mit seinen Drachenflügeln über sie hin strömte. Bei meiner Seele, kaum kann ich es für ein blos phantastisches Bild halten. – Ich kann es mir kaum anders denken, als daß ich unter dem Einflusse eines bösen Geistes – ja einigermaßen ein Eigenthum des Erbfeindes war! Aber wie er entwich, laß ihn entwichen sein. – Und du nur zu fertiges Werkzeug des Bösen, hinweg mit dir, ihm nach!« – Er zog die rechte Hand aus der Tasche, welche in dieser ganzen Zeit das Jagdmesser gehalten hatte, und schleuderte bei diesen Worten das Werkzeug in den Schloßhof. Dann schloß er das Fenster, und mit trüber, finsterer Ruhe und Feierlichkeit führte er seine Schwester zu ihrem gewöhnlichen Sitz, den zu erreichen ihre wankenden Schritte sie kaum fähig machten. Nach einer Pause bangen Schweigens sagte er: »Clara, wir müssen das, was uns zu thun übrig bleibt, ohne Leidenschaft und Heftigkeit überlegen – vielleicht kann uns noch jetzt der Würfel glücklich fallen, wenn wir unser Spiel nicht wegwerfen. Ein Makel ist nie ein Makel, bis er bekannt ist. Eine verborgene Schande ist in einiger Hinsicht keine Schande mehr. – Beachtest du, was ich sage, unglückliches Mädchen?« rief er jäh und finster die Stimme erhebend.

»Ja, Bruder – ja gewiß, Bruder!« entgegnete sie hastig, fürchtend, durch die kleinste Zögerung seine wilde, ungezähmte Heftigkeit wieder aufzuregen.

»So muß es also sein,« sagte er, »du mußt diesen Etherington heirathen. Es bleibt kein Ausweg, Clara. – Du kannst dich nicht über das beklagen, welches deine eigne Schuld und Thorheit jetzt unvermeidlich gemacht hat.«

»Aber Bruder –« sagte das bebende Mädchen.

»Schweig! Ich weiß Alles, was du sagen willst. Du liebst ihn nicht, willst du einwenden. – Ich liebe ihn auch nicht, nicht mehr als du. Ja, was noch mehr ist, er liebt dich auch nicht – wenn er dich liebte, so möchte ich es mir zum Vorwurf machen, dich ihm zu geben. Aber du sollst ihn aus Haß heirathen, Clara – oder zum Wohl deiner Familie – oder aus welchem Grunde du willst. – Aber heirathen sollst und mußt du ihn.«

»Bruder, theurer Bruder – ein einziges Wort.«

»Kein widersprechendes oder verneinendes Wort – die Zeit ist vorüber. Als ich dich für das hielt, was ich diesen Morgen noch von dir glaubte, da konnte ich dir rathen, und ich würde dich nicht gezwungen haben, da aber die Ehre unserer Familie durch dich beschimpft ward, ist es nichts als Gerechtigkeit, daß du diese Schande verbergen sollst – und verborgen soll sie werden – wenn selbst dein Verkauf als Sklavin dazu dienen könnte, sie zu verhüllen.«

»Du behandelst mich härter, viel härter! Eine Sklavin auf dem Markte kann von einem freundlichen Herrn erkauft werden. – Du gönnst mir nicht einmal diese Möglichkeit! – du vermählst mich Einem, der –«

»Fürchte weder ihn, noch das Böse, was er thun kann, Clara. Ich weiß, aus welchen Rücksichten er sich verheirathet; und da ich wieder dann dein Bruder sein will, wozu mich dein Gehorsam in dieser Sache bewegen wird, thäte er besser, sein eignes Fleisch mit seinen Zähnen von seinen Knochen herab zu reißen, ehe er dir das kleinste Leid zufügte. Beim Himmel! ich hasse ihn so sehr – denn überall hat er mich verdrängt, daß es mir eine Art von Trost zu sein scheint, daß er in dir nicht das vorzügliche Geschöpf erhält, wofür ich dich hielt. – Gefallen, wie du es bist – selbst da bist du noch zu gut für ihn.«

Aufgemuntert durch den freundlicheren, fast zärtlichen Ton seiner Rede, wagte Clara, obwohl gleichsam nur flüsternd, zu erwiedern. »Ich hoffe, so wird es nicht werden. – Ich hoffe, er wird seine eigene Lage, Ehre und Glück besser zu schätzen wissen, als daß er sie mit mir theilen möchte.«

»Laß ihn solch' ein zweifelndes Wort äußern, wenn er es wagt!« rief Mowbray. – »Aber er wagt es nicht, einen Moment zu zögern. – Er weiß, daß in dem Augenblick, wo er seine Bewerbung zurücknimmt, er sein oder mein Todesurtheil, wenn nicht unser beiderseitiges unterzeichnet. Auch seine Absichten sind schon von der Art, daß er sie aus zu peinlichem Zartgefühl allein nicht aufgibt. Deßhalb bilde dir nicht ein, Clara, daß noch die kleinste Möglichkeit vorhanden ist, dieser Heirath zu entgehen. Unwiderruflich ist sie bestimmt – Schwöre, daß du nicht zauderst einzuwilligen!«

»Ich will es nicht!« sagte sie fast athemlos, vor Entsetzen bebend, daß er noch einmal sich der ungezügelten Wuth überlassen möchte, die ihn vorhin ergriffen hatte.

»Wage nicht einen Einwand zu flüstern oder nur darauf hinzudeuten, sondern unterwirf dich deinem Geschicke, denn es ist unvermeidlich.«

»Ich will – mich unterwerfen;« erwiederte Clara, bebend wie zuvor.

»Und ich,« fuhr Mowbray fort, »will dich verschonen – wenigstens für jetzt – vielleicht auf immer – mit allen weitern Fragen über die Schuld, welche du bekannt hast. Gerüchte eines tadelnswerthen Betragens erreichten schon in England mein Ohr. Aber wer hätte ihnen Glauben schenken mögen, der dich täglich sah, und Zeuge deines spätern Lebens war? – Ich schweige jetzt über diesen Gegenstand – vielleicht berühre ich ihn nie wieder – nämlich wenn du nichts unternimmst, meinem Willen entgegen zu handeln, oder dem Geschick zu entgehen, welches die Umstände unvermeidlich machen. Und nun, es ist spät. Geh zu Bette, Clara! – Betrachte das, was ich dir sagte, als das Gesetz der gebietenden Nothwendigkeit, nicht meines selbstsüchtigen Eigenwillens.«

Er bot ihr die Hand, und sie legte nicht ohne zagendes Entsetzen ihre zitternde Rechte hinein. So mit einer Art düsterer Feierlichkeit, als wären sie die Begleiter eines Leichenzuges, führte er seine Schwester durch eine Bildergallerie, worin die Gemälde ihrer Vorfahren hingen, an deren Ende Clara's Schlafzimmer lag. Der Mond, der eben aus ungeheuern Wolkenmassen hervortrat, die schon lange herannahenden Sturm ahnen ließen, beleuchtete jetzt die beiden letzten Abkömmlinge dieses alten Hauses, wie sie Hand in Hand, leise, mehr wie Geister der Abgeschiedenen, als wie lebende Wesen durch die Halle vor den Bildern ihrer Vorältern vorbei glitten. Gleiche Gedanken füllten Beider Brust, doch Keines versuchte zu sagen, während sie einen flüchtigen Seitenblick auf die verbleichten, verfallenen Gemälde warfen: »Wie wenig ahneten sie dieses Ende ihres Hauses!« An der Thüre ihres Schlafzimmers ließ Mowbray die Hand seiner Schwester fahren, und sagte: »Clara, du solltest heute Abend Gott danken, der dich aus großer Gefahr und mich von Todsünde rettete.«

»Ich will es,« entgegnete sie, »ich will es!« Und als ob ihr Entsetzen neu durch diese Erwähnung des Vergangenen erregt ward, rief sie hastig ihrem Bruder eine gute Nacht zu, und war kaum in ihrem Gemache, als er sie den Schlüssel im Schlosse herumdrehen und die Riegel vorschieben hörte.

»Ich verstehe dich, Clara,« murmelte Mowbray zwischen den Zähnen, als er einen Riegel nach dem andern vorschieben hörte. »Aber könntest du dich selbst unter dem Ben Nevis in die Erde verbergen, du sollst dem nicht entgehen, was dir das Geschick bestimmte.« So sprach er bei sich selbst, da er mit langsam sinnendem Schritte durch die Gallerie zurückkehrte, unsicher, ob er im Wohnzimmer bleiben oder sich nach seinem einsamen Gemache begeben sollte, als plötzlich ein Geräusch im Schloßhofe seine Aufmerksamkeit erregte.

Zwar war es nicht so sehr spät in der Nacht, indessen es war so lange her, seit ein Gast in Shaw-Castle empfangen ward, daß, wenn Mowbray nicht das Rollen des Wagens im Hofe vernommen hätte, er eher an einen Einbruch, als an einen Besuch geglaubt hätte. Da man aber deutlich das Geräusch der Pferde und des Wagens unterscheiden konnte, so fiel es Mowbray augenblicklich ein, dieser Gast müsse Lord Etherington sein, der hier zu so später Stunde erscheine, mit ihm über die nachtheiligen Gerüchte zu sprechen, welche über seine Schwester im Umlaufe waren, und vielleicht zu erklären gedächte, daß er seine Bewerbungen aufgebe. Begierig, selbst das Schlimmste zu erfahren und Alles zur Entscheidung zu bringen, trat er wieder in das eben verlassene Gemach ein, und rief laut Patrick zu, den er mit dem Postillon reden hörte, den Ankommenden zu ihm zu führen. Es war aber nicht der leichte Schritt des jungen Edelmannes, welcher die Gänge herauf trampelte oder vielmehr stampfte; eben so wenig zeigte sich beim Oeffnen der Thüre die leichte, zierliche Gestalt Lord Etheringtons, sondern die tüchtige, viereckige Masse Mr. Peregrine Touchwoods.



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