Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel L

Intriguen der Liebe und der Politik.

Es ist nicht nöthig, in diesen Blättern den triumphirenden Einzug des Chevaliers in Edinburg nach dem entscheidenden Sieg bei Preston zu schildern. Ein Ereigniß muß jedoch erwähnt werden, da es dazu dient, den Charakter Flora Mac-Ivors zu zeigen. Die Hochländer, von denen der Prinz umgeben war, feuerten in der wilden Aufregung der Freude ihre Gewehre wiederholt ab, eines davon war zufällig mit einer Kugel geladen, und diese streifte die Schläfe der jungen Dame, welche von einem Balkon herab ihr Taschentuch wehen ließ. Fergus, der den Unfall sah, war im Nu an ihrer Seite, und als er erkannte, daß die Wunde nur unbedeutend war, zog er sein Schwert, um hinabzustürzen, und den Unvorsichtigen für die Gefahr, in die er seine Schwester gebracht hatte, zu strafen; sie aber hielt ihn bei dem Plaid zurück und sagte: »Um des Himmels willen, thu dem armen Burschen nichts zu Leide, sondern danke Gott mit mir dafür, daß der Unfall Flora Mac-Ivor traf, wäre die Getroffene Whiggistin gewesen, würde man behauptet haben, der Schuß sei absichtlich abgefeuert worden.«

Waverley entging der Unruhe, in welche dieses Ereigniß ihn gestürzt haben würde, dadurch, daß er genöthigt war, den Oberst Talbot nach Edinburg zu begleiten.

Sie legten ihre Reise zu Pferde zurück, und als wollten sie ihre Gesinnungen und Gefühle gegenseitig prüfen, unterhielten sie sich einige Zeit von allgemeinen Gegenständen.

Als Waverley das Gespräch wieder auf den Punkt brachte, der ihm jetzt am meisten am Herzen lag, nämlich auf die Lage seines Vaters und seines Oheims, schien Oberst Talbot eher bemüht, seine Angst zu beschwichtigen als zu steigern. Dies war namentlich der Fall, nachdem er Waverleys Geschichte gehört hatte, die dieser kein Bedenken trug, ihm anzuvertrauen.

»Und so,« sagte der Oberst, »war keine mala intentio, wie die Rechtsgelehrten, glaube ich, es nennen, bei Ihrem übereilten Schritt im Spiele, und Sie wurden in den Dienst dieses italienischen irrenden Ritters durch einige freundliche Worte von ihm und durch einen oder zwei seiner hochländischen Werber gelockt. Das ist freilich schon schlimm, doch noch nicht ganz so schlimm, wie ich erwartete. Indeß können Sie in diesem Augenblicke selbst von dem Prätendenten nicht desertiren, das ist offenbar unmöglich. Ich zweifle aber nicht, daß bei den Zwistigkeiten dieser bunt zusammengesetzten Masse wilder und verzweifelter Männer bald eine Gelegenheit kommen wird, durch die Sie sich aus Ihrer übereilten Verpflichtung herauswickeln können, noch ehe die Blase platzt. Läßt sich das thun, so würde ich Ihnen rathen, an einen sichern Ort nach Flandern zu gehen, den ich Ihnen angeben würde. Ich glaube, ich würde Ihnen die Verzeihung der Regierung erwirken, wenn Sie einige Monate im Auslande gewesen sind.«

»Ich kann Ihnen nicht gestatten, Oberst Talbot,« antwortete Waverley, »von einem Plane zu sprechen, der dahin geht, eine Unternehmung zu verlassen, der ich vielleicht übereilt, aber ganz gewiß freiwillig beigetreten bin, und mit dem Vorsatze, ihr bis zu Ende zu dienen.«

»Nun,« sagte Oberst Talbot lächelnd, »so lassen Sie mir wenigstens meine Gedanken und Hoffnungen frei, wenn auch nicht meine Worte. – Aber haben Sie das geheimnißvolle Päckchen noch nicht untersucht?«

»Es ist in meiner Bagage,« entgegnete Waverley; »wir werden es in Edinburg finden.«

In kurzer Zeit langten sie in Edinburg an. Unserm Waverley war auf des Prinzen ausdrücklichen Befehl sein Quartier in einem hübschen Hause angewiesen worden, wo auch für den Oberst Talbot bequem Platz war. Sein erstes Geschäft war, hier seinen Mantelsack zu untersuchen, und sogleich fiel auch das erwartete Packet heraus. Waverley öffnete es hastig. In einem einfachen Kouvert mit der Adresse: »An E. Waverley, Esq.« fand er mehrere offene Briefe.

Die obersten beiden waren von dem Obersten Gardiner an ihn selbst adressirt. Der vom frühesten Datum enthielt eine freundliche und herzliche Vorstellung darüber, daß der Rath des Briefschreibers in Bezug auf die Verwendung seiner Zeit während des Urlaubes vernachlässigt werde, dessen verlängerte Frist, wie er Kapitän Waverley erinnere, bald abgelaufen sein würde. »In der That,« fuhr der Brief fort, »wäre es anders, so würden die Nachrichten von außerhalb und meine Instruktionen vom Kriegsministerium mich nöthigen, den Urlaub zurückzunehmen, da nach den Niederlagen in Flandern große Gefahr eines feindlichen Einfalles, sowie eines Aufstandes der Unzufriedenen im Lande selbst vorhanden ist. Ich bitte Sie deshalb, so bald als möglich nach dem Hauptquartier des Regimentes zurückzukehren, und muß hinzufügen, daß dies um so notwendiger ist, als sich einige Unzufriedenheit in Ihrer Schwadron gezeigt hat, und die genaue Untersuchung verschoben bleiben soll, bis ich dabei Ihren Beistand haben kann.«

Der zweite Brief, acht Tage später datirt, war in einem Tone geschrieben, wie er sich danach erwarten ließ, daß der Oberst auf sein erstes Schreiben keine Antwort erhalten hatte. Er erinnerte Waverley an seine Pflicht als Mann von Ehre, Offizier und Engländer, erwähnte die wachsende Unzufriedenheit seiner Leute, von denen einige gesagt hatten, der Kapitän billige und unterstütze ihre Ausführung, endlich sprach der Schreiber des Briefes sein Bedauern und Staunen darüber aus, daß er dem erhaltenen Befehl, im Hauptquartier zu erscheinen, nicht gehorcht hätte, erinnerte ihn, daß sein Urlaub aufgehoben sei und beschwor ihn in einem Tone, in welchem väterliche Herzlichkeit und militärische Autorität sich einten, seine Verirrung dadurch gut zu machen, daß er sich augenblicklich wieder zu dem Regiment begäbe. »Damit ich überzeugt sein kann,« schloß der Brief, »daß diese Zeilen Sie wirklich erreichen, überschicke ich sie durch den Unteroffizier Tims von Ihrer Schwadron, mit dem Befehle, sie Ihren eigenen Händen zu überliefern.«

Nachdem Waverley diese Briefe gelesen hatte, sah er sich mit bitterm Gefühle gezwungen, dem Andenken des braven, vortrefflichen Briefschreibers ehrenvolle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; denn wahrlich, da der Oberst Gardiner sich überzeugt halten mußte, daß Waverley diese Briefe empfing, konnte nichts Geringeres erfolgen als die dritte und letzte Aufforderung, welche Waverley wirklich in Glennaquoich erhielt, wenn auch zu spät, um sie zu befolgen. Und daß er infolge der scheinbaren Vernachlässigung dieses letzten Befehles entlassen wurde, war weder hart noch ungerecht, es war nothwendig.

Der nächste Brief, den Edward entfaltete, war von dem Major seines Regiments und machte ihn mit dem Gerüchte bekannt, das im Lande zum Nachtheile seines Rufes im Umlauf war, daß nämlich ein gewisser Falkoner von Ballihopple, oder ein ähnlicher Name, in seiner Gegenwart eine verrätherische Gesundheit ausgebracht hätte, die Waverley schweigend hingenommen, obgleich die Beleidigung so groß gewesen wäre, daß ein Edelmann in der Gesellschaft trotzdem die Sache aufgenommen hätte. Wäre diese Schilderung wahr, so hätte Kapitän Waverley geduldet, daß ein anderer, vergleichsweise Unbeteiligter, eine Beleidigung durch Herausforderung gerächt habe, welche persönlich gegen ihn als Offizier gerichtet war. Der Major schloß damit, »daß zwar keiner von Waverleys Regimentskameraden diese ärgerliche Geschichte glauben könnte, daß aber alle darin übereinstimmten, seine eigene Ehre, sowie die des Regimentes hänge ab von dem Gewicht seiner eigenen Widerlegung.«

»Was denken Sie von alledem?« sagte Oberst Talbot, dem Waverley die Briefe einhändigte, nachdem er sie gelesen hatte.

»Denken? Es macht alles Denken unmöglich. Es ist genug, um wahnsinnig zu werden.«

»Ruhig, mein junger Freund. – Laßt uns sehen, was das häßliche Gekritzel der noch übrigen Schreibereien enthält.«

Das erste derselben trug die Adresse: »Herrn W. Russin, hier« und lautete:

»Geerter Hehr. Manche aus de junge Burschen wöll'n nich anbeeten, so sakt ich, Se hatten mi des Schkeirs sen Petschaft gezeigt. Aber Tims soll Se den Beweis geben, wie Se wullten, un den ollen Adam seggen, dat he en den Schkeir hett gewen, da hei em so gaud is; unn hei wird parat sin up dat Teken for de Hochkirch.

Es grüßt Ihnen

H. H.

Noch wat.

Seggt den Schkeir, wi wüll'n von em weten unn glöwen et nich, wenn ers nich sülwsten schriwt; unn Leitnant Buttler spionirt nach.«

»Dieser Ruffin ist, wie ich vermuthe, Ihr Donald aus der Höhle, der Ihre Briefe auffing und einen Briefwechsel mit dem armen Teufel, dem Houghton, in Ihrem Namen führte.«

»Das scheint nur zu wahr. Aber wer kann der Adam sein?«

»Wahrscheinlich ein Wortwitz, der Name wurde dem armen Gardiner öfters von seinen Soldaten gegeben.«

Die andern Briefe waren in derselben Absicht geschrieben und gaben bald noch mehr Licht über Donald Bean Leans Ränke.

John Hudges, einer von Waverleys Dienern, der bei dem Regimente geblieben und bei Preston gefangen genommen worden war, suchte jetzt seinen frühern Herrn in der Absicht auf, wieder in dessen Dienste zu treten. Von diesem Menschen erfuhr Waverley, daß einige Zeit nachdem er das Hauptquartier verlassen, ein Hausirer, Namens Ruthven, Ruffin oder Rivane, bei den Soldaten unter dem Namen Willy Will bekannt, häufige Besuche in Dundee gemacht hätte. Er schien viel Geld zu haben, verkaufte seine Waaren sehr billig, war stets bereit, seine Freunde im Bierhause zu traktiren, und setzte sich leicht bei mehreren Leuten aus Waverleys Schwadron in Gunst, besonders bei den Unteroffizieren Houghton und Tims. Diesen setzte er in Waverleys Namen einen Plan auseinander, das Regiment zu verlassen und zu ihm nach dem Hochlande zu kommen, wo, wie das Gerücht ging, die Clans schon in großer Menge zu den Waffen gegriffen hatten. Die Leute, welche als Jakobiten aufgewachsen waren, insofern sie überhaupt eine Meinung hatten, und wußten, daß ihr Gutsherr, Sir Everard, diese Grundsätze vertheidigte, gingen leicht in die Falle. Daß Waverley weit entfernt im Hochlande war, galt als hinreichende Erklärung, weshalb er seine Weisungen durch einen Hausirer überschickte, und der Anblick seines wohlbekannten Siegels schien die Verhandlungen in seinem Namen zu beglaubigen, zumal schriftliche Mittheilung gefährlich sein konnte. Diese Ränke kamen durch die voreiligen meuterischen Aeußerungen derer zum Vorschein, die dabei betheiligt waren. Willy Will rechtfertigte seinen Namen, denn als der Verdacht entstand, war er nicht mehr zu sehen. Sobald nun die Zeitung mit der Nachricht von Waverleys Entlassung erschien, brach ein großer Theil seiner Schwadron in offene Meuterei aus, wurde aber von den übrigen Regimentsangehörigen entwaffnet. Nach dem Urtheilsspruche des Kriegsgerichtes sollten Houghton und Tims erschossen werden, man begnadigte sie aber dazu, daß sie um ihr Leben würfeln durften: Houghton, der Ueberlebende, hatte viel Reue gezeigt, da er durch die Vorstellungen des Obersten Gardiner überzeugt wurde, daß er sich in ein abscheuliches Verbrechen eingelassen hätte. Es ist bemerkenswerth, daß der arme Teufel, sobald er sein Unrecht eingesehen, auch nicht mehr daran zweifelte, daß sein Verführer ohne Waverleys Auftrag handelte, »denn,« sagte er, »wenn es unehrenvoll und gegen Altengland wer, so konnte der Junker nichts davon wissen, er hätte nie daran gedacht, etwas Schimpfliches zu thun, und Sir Everard auch nicht, auch keiner ihrer Vorfahren, und er würde in dem Glauben leben und sterben, daß Ruffin alles nur für seinen eigenen Kopf gethan hätte.«

Die Energie, mit der er diese Ueberzeugung aussprach, sowie seine Versicherung, daß die Briefe für Waverley an Ruthven überliefert wären, brachten in der Meinung des Obersten Gardiner die günstige Veränderung hervor, deren der Oberst Talbot erwähnte.

Der Leser hat schon längst erkannt, daß Donald Bean Lean bei dieser Gelegenheit die Rolle des Versuchers spielte. Seine Beweggründe waren, kurz gefaßt, diese: Von thätigem, ränkesüchtigem Geiste, war er von denen, welche das Vertrauen des Chevaliers besaßen, lange als ein untergeordneter Agent und Spion benutzt worden, und zwar in viel größerer Ausdehnung, als selbst Fergus Mac-Ivor ahnte, dem er zwar für seinen Schutz verpflichtet war, den er aber doch mit Furcht und Abneigung betrachtete. Um nun auf dem politischen Gebiet festen Fuß zu fassen, trachtete er danach, sich durch irgend einen kühnen Streich über seine jetzige gefährliche und prekäre Räuberexistenz zu erheben. So wurde er besonders dazu benutzt, die Stärke der Garnisonen in Schottland, die Stimmung der Offiziere und ähnliches zu erspähen, und hatte schon lange auf Waverleys Schwadron, als der Versuchung zugängig, sein Augenmerk gerichtet. Donald glaubte sogar, daß Waverley selbst im Grunde den Stuarts zugethan sei, was ja durch seinen langen Besuch bei dem jakobitischen Baron von Bradwardine bestätigt schien. Als Edward daher mit einem von den Leuten Glennaquoichs in seine Höhle kam, hoffte der Räuber, sanguinisch genug, da er Waverleys wahren Beweggrund, die bloße Neugier, nicht zu würdigen vermochte, seine eigenen Talente sollten zu irgend einer wichtigen Intrigue unter Leitung des reichen jungen Engländers in Anspruch genommen werden. Er wurde auch nicht dadurch enttäuscht, daß Waverley alle Winke und Andeutungen, die eine nähere Erklärung geben sollten, unbeachtet ließ. Sein Benehmen galt für kluge Zurückhaltung und verletzte zwar Donald Bean Lean etwas, weil er sich von einem Geheimniß ausgeschlossen sah, dessen Besitz reiche Ernte versprach, trotzdem aber nahm er sich vor, bei dem bevorstehenden Drama eine Rolle zu spielen, wenn auch hinter den Coulissen. Deshalb brachte er Waverleys Wappen an sich, als ein Zeichen, welches er bei Leuten anwenden konnte, die das Vertrauen ihres Kapitäns besaßen. Seine erste Reise nach Dundee enttäuschte ihn zwar betreffs seiner Vermuthungen, eröffnete ihm aber ein neues Feld der Thätigkeit, Er wußte, daß die Freunde des Chevaliers keinen Dienst so gut belohnen würden, als wenn er einen Theil der regulären Armee zu dessen Fahnen hinüberlockte. In dieser Absicht begann er also die Machinationen, mit denen der Leser bereits bekannt ist, und die einen Schlüssel zu all den Dunkelheiten in der Geschichte Waverleys, ehe er Glennaquoich verließ, geben.

Auf den Rath des Obersten Talbot lehnte es Waverley ab, den Burschen in seine Dienste zu nehmen, dessen Mittheilungen noch mehr Licht in die Dunkelheit gebracht hatten. Er stellte ihm vor, daß er unrecht gegen den Menschen handelte, wenn er ihn in ein verzweifeltes Unternehmen verwickelte, und daß, was auch geschehen möchte, seine Aussagen auf jeden Fall die Beweggründe rechtfertigen würden, aus denen sich Waverley selbst in das Unternehmen eingelassen. Waverley schrieb deshalb eine kurze Schilderung des Vorgefallenen an seinen Oheim und an seinen Vater, rieth ihnen aber unter den gegenwärtigen Umständen von jeder Beantwortung seines Briefes ab. Talbot gab dem jungen Menschen einen Empfehlungsbrief an den Kommandeur eines der englischen Kriegsschiffe, welche in der Nähe der Küste kreuzten, und bat ihn, den Ueberbringer in Verwick an das Ufer zu setzen und ihm einen Paß zu der Reise nach ... zu geben. Darauf wurde er reichlich mit Reisegeld versehen und erhielt die Weisung, um an Bord des Kriegsschiffes zu gelangen, ein Fischerboot durch Bestechung zu miethen, was ihm auch, wie sie später erfuhren, leicht gelang.

Der Bedienung Callum Begs überdrüssig, der, wie ihm vorkam, einige Neigung hatte, sein Benehmen als Spion zu bewachen, miethete Edward einen Edinburger Burschen, der die weiße Kokarde in einem Anfalle von Wuth und Eifersucht aufgesteckt hatte, als Jenny Jop eine ganze Nacht mit dem Unteroffizier Bullock von den Füsilieren getanzt hatte.


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