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4. Kapitel

Der Anfall, welchen der Fürst zu überstehen hatte, war viel schwerer, als der am vorhergegangenen Tage. Der Krampf preßte die Kinnladen so fest zusammen, daß man dieselben mit Gewalt aufbrechen mußte, um dem Kranken Arznei einzuflößen. Er kam bald darauf zwar zur Besinnung, doch nun schüttelte der Krampf den ganzen Körper derartig, daß er aus dem Lager hin und her flog, wie ein schwer verwundetes Tier. Sakowitsch verließ seinen Herrn zwei Tage und Nächte lang nicht. Als dann der Paroxismus vorüber war, folgte eine große Schwäche; der Kranke stierte unaufhörlich nach der Decke ohne ein Wort zu sprechen, endlich fiel er in tiefen festen Schlaf, aus dem er erst gegen Mittag des dritten Tages erwachte, ganz in Schweiß gebadet.

»Wie befinden sich Ew. Durchlaucht?« frug Sakowitsch.

»Ich fühle mich wohler. Sind Briefe eingelaufen?«

»Ja, vom Kurfürsten und von Stenbock; sie liegen hier auf dem Tische, doch muß das Lesen auf später verschoben werden, denn Durchlaucht seid noch zu schwach dazu.

»Gieb her, gleich ... Hörst du?«

Der Starost von Orschmian reichte die Briefe dem Fürsten hin. Nachdem derselbe sie wiederholt gelesen und eine Weile überlegt hatte, sprach er:

»Morgen brechen wir nach Podlachien auf.«

»Morgen, mein Fürst, werdet ihr auf dem Lager liegen, wie heute.«

»Morgen werde ich samt dir zu Pferde sitzen ... Schweig, widersprich nicht!«

Der Starost verstummte, tiefe Stille herrschte im Gemach, welche nur durch das einförmige Tick-Tack der Danziger Uhr unterbrochen wurde.

»Der Gedanke war dumm, der Rat war dumm,« sprach plötzlich der Fürst, »und ich war so dumm, ihm zu folgen ...«

»Das dachte ich mir,« versetzte Sakowitsch. »Ich wußte gleich, daß, wenn die Sache mißlang, die Schuld mich treffen würde.«

»Weil dein Verstand deiner spottete.«

»Mein Vorschlag war wohlüberlegt. Ich kann nicht dafür, daß jenen ein Teufel zur Seite steht, der sie alles erraten läßt oder sie warnt.«

Der Fürst richtete sich auf.

»Glaubst du? ...« frug er, seinen Vertrauten scharf anblickend.

»Kennt ihr denn die Papisten so wenig, Durchlaucht?«

»O ich kenne sie! Auch ich dachte schon oft an Zauberei. Seit ehegestern bin ich ihrer Anwendung gewiß. Du hast denselben Gedanken wie ich, deshalb frug ich, ob du im Ernste daran glaubst. Welcher von ihnen aber könnte wohl die Verbindung mit dem Bösen unterhalten? ... Sie nicht, denn sie ist tugendhaft ... Der Schwertträger auch nicht, der ist zu dumm dazu ...«

»Bleibt mir noch die alte Muhme ...«

»Die könnte es wohl sein ...«

»Der Ueberzeugung wegen band ich sie ehegestern kreuzweise zusammen, nachdem ich ihr zuvor das Messer an die Kehle gesetzt hatte ... Stellt euch vor, Durchlaucht ... wie ich heute mein Messer gebrauchen will, ist die Klinge vollständig geschmolzen, als hätte sie im Feuer gelegen.«

»Zeig her.«

»Ich habe das Messer ins Wasser geworfen, obgleich die Schale mit einem kostbaren Türkis eingelegt war.«

»Dann will ich dir erzählen, was mir geschehen ist ... Ich stürmte wie von Sinnen in ihr Gemach. Was ich zu ihr sprach, weiß ich nicht mehr ... nur das vergesse ich niemehr, daß das Mädchen rief: ›Lieber springe ich in das Kaminfeuer!‹ Du weißt, wie ungeheuer groß dort der Kamin ist. Kaum hatte sie es gesagt, da war sie auch schon drinnen, ich hinterdrein! Ich umfaßte sie; ihre Kleider fingen schon an zu brennen, ich hatte Mühe, sie zurückzuhalten und gleichzeitig die Flammen zu löschen. Da packte mich der Krampf. Die Kinnladen klappten aufeinander – mir war, als ob meine Halssehnen gezerrt würden ... dabei schienen die Flammen, welche uns umzuckten, sich in Bienen zu verwandeln, die unsere Ohren umsummten ... So wahr du mich hier siehst; es ist wahr!«

»Und was weiter?«

»Ich weiß nicht, was weiter geschah. Eine fürchterliche Angst befiel mich – mir war, als sinke ich in eine unergründliche Tiefe, in einen Brunnen. O diese Angst! Ich sage dir, diese Angst! Mir stehen noch jetzt die Haare zu Berge davon! ... Ach, und es war nicht die Angst allein ... ich weiß nicht, wie ich sagen soll ... eine Leere, Ernüchterung, eine unbegreifliche Kraftlosigkeit hatte mich befallen ... Glücklicherweise behüteten mich die himmlischen Machte, sonst wäre ich nicht mehr unter den Lebenden.«

»Der Paroxismus hatte euch erfaßt, Durchlaucht ... Die Krankheit spiegelt uns oft seltsame Dinge vor. Dennoch sollte man der Sicherheit wegen ein Loch in das Eis schlagen und die Alte schwemmen.«

»Laß sie ungeschoren! Morgen rücken wir aus, dann kommt der Frühling, mit ihm andere Sterne, kurze Nächte, die alles Böse entkräften.«

»Wenn wir morgen ausrücken wollen, muß Ew. Durchlaucht das Mädchen doch fahren lassen.«

»Das muß ich, selbst wenn ich nicht wollte ... Ich bin bezüglich ihrer heute ganz wunschlos.«

»Laßt sie frei. Laßt sie zum Teufel fahren!«

»Das kann ich nicht!«

»Warum nicht?«

»Weil der Edelmann mir bekannt hat, daß in Billewitsche große Schätze vergraben sind. Lasse ich sie nun reisen, dann werden sie dieselben holen und in die Wälder gehen. Es ist also besser, ich lasse sie hier und nehme die Schätze in Requisition. In Kriegszeiten ist das erlaubt. Zudem hat er sie mir freiwillig angeboten. Wir werden die Gärten in Billewitsche Stich für Stich umgraben, wir müssen die Tonnen finden. Hier kann der Schwertträger wenigstens keinen Lärm schlagen und in ganz Litauen ausschreien, daß ich ihn beraube. Mich überfällt die größte Wut bei dem Gedanken, wie viel Geld ich hier so nutzlos verschwendet habe und was habe ich damit erreicht? Nichts!«

»Ich bin schon lange wütend auf das Mädchen. Ich sage euch, Durchlaucht – als sie letzthin vor mir stand und – als wäre ich irgend ein Hofknecht – mir befahl: »Fort, Bedientenseele! Oben liegt dein Herr!« – da hatte ich ihr am liebsten den Hals umgedreht, weil ich nicht anders glaubte, als daß sie Ew. Durchlaucht erstochen oder erschossen habe.«

»Du weißt, daß ich nicht dulde, daß in meinem Hause jemand anderer regiert, als ich selbst ... Es ist gut, daß du nichts derartiges gethan hast, sonst hättest du die Zangen zu fühlen bekommen, die für den Plaska bestimmt waren ... Wage es nicht, sie anzurühren!« ...

»Ich habe den Plaska schon zurückgeschickt,« lenkte Sakowitsch das Gespräch aus einen anderen Gegenstand. »Er war sehr verwundert, nicht erfahren zu können, wozu man ihn hergebracht und gleich wieder fortgeschickt hatte. Er verlangte etwas für die Mühe und den Schaden, den ihm der Zeitverlust verursacht hat –, ich aber sagte ihm, daß er froh sein solle, seine Haut ganz wieder fortzutragen! ... Soll morgen wirklich der Aufbruch nach Podlachien stattfinden?«

»So wahr Gott im Himmel ist! Sind die Truppen meinen Befehlen gemäß ausgerüstet?«

»Die Reiter sind nach Kiejdan gesandt, von wo aus sie bis Kowno vorrücken und dort weitere Befehle erwarten sollen. Unsere polnischen Fahnen habe ich noch zurückbehalten, denn es erschien mir besser, sie nicht vorauszuschicken. Obgleich ich die Leute für treu halte, konnten sie sich doch von den Konföderierten verleiten lassen, zu den Rebellen zu gehen. Glowbitsch wird mit uns gehen, ebenso Wrotynski mit seinen Samländern, Karlsström bildet mit den Schweden den Vortrab ... Er hat Befehl, unterwegs die Rebellen niederzuschlagen, wo er sie antrifft.«

»Gut!«

»Kieritz soll mit den Füsilieren langsam folgen, damit wir im Notfalle eine Stütze haben. Wenn wir schnell marschieren sollen und unser Erfolg von der Schnelligkeit unserer Bewegungen abhängen soll, so fürchte ich, daß die schwedische und preußische Reiterei uns nur hinderlich sein wird. Schade, daß uns nicht genügend polnische Truppen zur Verfügung stehen, denn unter uns gesagt, es geht nichts über unsere Reiter ...«

»Ist die Artillerie fort?«

»Ja.«

»Wie? Und Paterson?«

»Der ist noch hier! er pflegt den Ketling, welcher sich mit dem eigenen Degen schwer verwundet hat. Ihr wißt, er liebt den Jungen sehr. Wenn ich nicht wüßte, daß Ketling ein mutiger Offizier ist, würde ich fast vermuten, daß er sich absichtlich verletzt hat, um zurückbleiben zu können.«

»Wir werden an die hundert Mann hier zurücklassen müssen, teils in Roschen, teils in Kiejdan. Die schwedischen Besatzungen sind knapp und de la Gardie verlangt ohnedies täglich Leute von Loewenhaupt. Wenn wir nun auch noch ausrücken, werden die Rebellen bald die Niederlage bei Schawel vergessen haben und sie werden das Haupt wieder erheben.«

»Sie schießen ohnehin überall wie die Pilze empor. Ich hörte, daß die Schweden bei Talscha geschlagen worden sind.«

»Waren es Adlige oder Bauern?«

»Es waren Bauern unter der Anführung ihres Probstes. Aber auch der Kleinadel in der Laudaer Gegend rebelliert.«

»Die Laudaer sind unter Wolodyjowski im Felde.«

»Aber es sind eine Menge Jünglinge und Greise daheim geblieben. Diese greifen nun zu den Waffen; sie sind ein gar kriegerisches Volk.«

»Ohne Geld kann die Rebellion nichts machen.«

»Wir aber wollen uns in Billewitsche den Geldsack füllen. Man muß eben ein Genie sein, wie Ew. Durchlaucht, um sich so Rat zu wissen.«

Boguslaw lachte bitter.

»Man schätzt in diesem Lande diejenigen am höchsten, welche der Königin und dem Adel zu schmeicheln verstehen. Weder das Genie noch die Tugend gelten etwas. Es ist ein Glück, daß ich ein Fürst bin, das verhindert sie, mir Fesseln anzulegen. Wenn nur die Einkünfte aus meinen Gütern nicht ausbleiben, dann kümmere ich mich um die ganze Republik nicht.«

»Wenn man nur die Güter nicht konfiszieren wollte!«

»Erst wollen wir Podlachien konfiszieren, wenn nicht ganz Litauen. Jetzt rufe mir Paterson.«

Sakowitsch ging hinaus und kehrte nach einer Weile mit Paterson zurück. Am Lager des Fürsten wurde nun eine Ratssitzung abgehalten, deren Resultat der Beschluß war, am nächsten Morgen aufzubrechen und in Eilmärschen nach Podlachien zu gehen. Der Fürst befand sich bald bedeutend wohler; er nahm seine Abendmahlzeit mit den Offizieren zusammen und lauschte unter fröhlichen Scherzen frohgemut dem Wiehern und Schnaufen der Rosse und dem Klirren der Waffen im Schloßhofe.

Zuweilen atmete er tief auf und dehnte sich im Stuhle.

»Der Feldzug wird mich wieder gesund machen,« sagte er zu den Offizieren. »Ich bin von dem Nachdenken über die Friedensverträge und über den vielen Lustbarkeiten faul geworden. Nun, ich hoffe zu Gott, die Konföderierten sollen meine Faust zu fühlen bekommen, sie und unser Exkardinal mit der Krone.«

Paterson wagte, bei der heiteren Laune seines Herrn, ebenfalls einen Scherz.

»Es ist ein Glück,« sagte er, »daß Delila dem Samson nicht das Haar verschnitten hat.«

Darauf sah Boguslaw ihn eine Weile mit seltsamem Ausdruck in seinen Augen an, so daß der Schotte schon anfing, ängstlich zu werden. Nachher aber flog ein unnatürliches Lachen über die Züge des Fürsten, und als hätte er nicht gehört, was Paterson gesagt, fuhr er fort:

»Wenn Sapieha ihre Stütze ist, so werde ich ihn so rütteln, daß die ganze Republik über ihn zusammenstürzt.«

Da die Unterhaltung in deutscher Sprache geführt wurde, so wurde dieselbe von den ausländischen Soldoffizieren verstanden und laut belacht. Die Unterhaltung wurde mit einem einstimmigen »Amen« geschlossen.

Am nächsten Morgen rückte der Fürst an der Spitze seiner Truppen aus. Der Adel aus Preußen, welchen die glänzenden Festlichkeiten des fürstlichen Hofes hierher gelockt hatten, schickte sich zur Abreise an.

Ihnen folgten diejenigen, welche vor den Schrecknissen des Krieges in Tauroggen Zuflucht gesucht hatten, denen aber Tilsit nun doch sicherer erschien. So blieben denn nur der Schwertträger, das Fräulein Kulwiez und Olenka zurück, außerdem Ketling und ein alter Offizier Namens Braun, welcher über die kleine Besatzung das Kommando hatte.

Der Schwertträger war nach dem Stoß, welchen der Fürst ihm versetzt hatte, mehrere Tage krank; er mußte zuweilen Blut speien, da aber ein Knochenbruch nicht stattgefunden hatte, so erholte er sich allmählich und begann sich mit einem Fluchtplane zu beschäftigen.

Währenddessen war ein Expreßbote aus Billewitsche eingetroffen, welcher einen Brief von Boguslaws Hand brachte. Der Schwertträger wollte denselben erst nicht lesen, doch besann er sich, dem Rate Olenkas folgend, welche der Ansicht war, daß es besser sei, alle Pläne und Absichten des Feindes zu kennen.

»Mein sehr lieber Herr Billewitsch!« schrieb der Fürst. » Concordia res parvae crescent, discordia maximae dillabuntur! Das Schicksal wollte nicht, daß wir so im Frieden auseinandergingen, wie meine Gefühle für Euch und Eure schöne Verwandte das gewünscht hatten, aber das ist wahrhaftig nicht meine Schuld. Ihr wißt am besten, wie Ihr meine besten Absichten mit Undank gelohnt habt. Was jedoch der Zorn verbrochen, das soll die Freundschaft nicht nachtragen, ich hoffe also, daß meine Heftigkeit durch das Unrecht, welches Ihr mir zugefügt, genügend entschuldigt wird und Ihr mir verzeiht, wie ich Euch von Herzen verzeihe. Denn das gebietet mir die christliche Liebe und ich wünsche Frieden mit Euch zu schließen. Um Euch nun den Beweis zu geben, daß jede Bitterkeit in meinem Herzen ausgetilgt ist, so betrachte ich es als eine Pflicht, Euch heute die Gefälligkeit zu thun, die Ihr von mir verlangtet, und das mir angebotene Geld anzunehmen ...«

Hier hörte der Schwertträger zu lesen auf und schlug mit der Faust auf den Tisch, während er zornig ausrief:

»Er soll mich eher auf der Bahre sehen, als einen Schilling aus meiner Schatulle! ...«

»Lest doch zu Ende,« sagte Olenka.

Der Edelmann nahm den Brief wieder auf.

»... Da ich Euch nicht mit der Ausgrabung der Barschaft bemühen und Eure Gesundheit den Gefahren einer Reise in diesen kriegerischen Zeiten nicht aussetzen wollte, so ließ ich dieselbe selbst ausgraben und zählen ...«

Hier versagte dem Schwertträger die Stimme, der Brief entglitt seinen Händen und fiel zu Boden. Er konnte eine Zeitlang die Sprache nicht wiederfinden, er steckte nur die Finger in seine Haare und zauste dieselben mit aller Gewalt.

»Schlag zu, wer an Gott glaubt!« schrie er endlich.

Da suchte Olenka ihn zu beschwichtigen:

»Eine Schuld mehr,« sagte sie, »das Strafgericht Gottes naht, denn das Maß ist gefüllt ...«


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