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Frühlingsglanz in Norditalien

Sehnsucht und Gelegenheit verlockten mich am 10. Mai, daß ich meinen Lieblingsgedanken, den Gedanken nämlich, den italienischen Frühling an dem unsrigen zu messen, plötzlich ausführte. Um aber zu vergleichen, muß man die zu vergleichenden Dinge möglichst nahe aneinander rücken, und da das räumlich nicht geschehen kann, so muß es zeitlich geschehen, durch den raschen Wechsel. Also blitzschnell hin und zurück! Im Fluge mit aufmerksamen Sinnen und gespanntem Geiste an die richtigen Stellen! Als solche jedoch betrachte ich nicht etwa die italienischen Seen, da dort zwei verschiedene Klima übereinanderliegen, unten am Gestade schon Sommer, dagegen darüber noch frostige, winterliche Bergwüsteneien, sondern die Ebene. Übrigens hatte ich den Seen meinen Frühlingsbesuch schon vor drei Wochen abgestattet.

 

Den Altdorfer Boden und das Reußtal um Amsteg traf ich in saftigster Üppigkeit. Flor rundum; als Könige der Landschaft jene mächtigen Birnbäume, die den schönsten Schmuck des Urner Bodens bilden, Birnbäume, deren blütenschwere Äste in breiter Schleppe auf die Erde hangen, als wärens Zedern. Schneeweiße Kirschbäume in geringerer Zahl dazwischen, im Verein damit rostfarbene knospende Nußbäume. Darüber die silberglitzernden, noch mit Schnee bedeckten Berghäupter, über welche ein fleckenloser blauer Himmel hereinlachte. Nachdem ich nun unzählige Male über den Gotthard gefahren, komme ich zu dem Schluß, daß der Mai die beste Jahreszeit für die Gotthardfahrt ist, nach ihm der Januar, wenn es Stein und Bein gefriert.

Anders drüben im Tessin. Da sich dort die Vegetation auf die Talsohle und die untersten Wasserschluchten zurückzieht, die Berge kahl lassend und nur in den Gärtchen Üppigkeit aufweisend, spielt hier die Blüte eine geringere Rolle, ich meine im Landschaftsbild. Nicht weiß, sondern grün ist da die Farbe des Frühlings, und zwar hat das Grün nicht die wonnigen Abstufungen wie im Norden. Eine Bemerkung, die auch für die norditalienische Ebene gilt. Das massenweise und regelmäßige Anpflanzen weniger nutzbringender Feldpflanzen bringt dort kein Stimmungsbild zustande, am wenigsten ein Frühlingsbild. Vor drei Wochen, ehe die Bäume grünten oder vielmehr, wie man für Norditalien genauer sagen müßte, ‹gelbten›, als Giornico und mehr noch Giubiasco von einem rosenroten Pfirsichblütenkranz umringt waren, damals war das Tessintal im Vorteil gegenüber dem Reußtal.

In Italien war ich nun in der Tat so glücklich, den wahren italienischen Frühling vorzufinden, dessen Hauptvorzug nicht sowohl die wonnige Beschaffenheit des Geländes ist wie bei uns, sondern erstens eine unbeschreibliche, kosende Weichheit der Luft, die gleichmäßig durch Tag und Nacht haucht, sodann eine Licht- und Luftfarbenfülle, von der wir nördlich der Alpen kein Beispiel haben. Wenn man aus diesem balsamischen, goldstrahlenden Luftbade wieder über die Alpen zurückkehrt, kommt einem der hellste Sonnentag trüb und kalt vor, geschweige denn das Schneewetter, das uns dieser Mai bescheidet.

Aber nicht sowohl auf dem Lande als in den Städten ist der Farbenglanz zu suchen. Er fehlt zwar nicht völlig draußen in der Ebene. In den Gärten und Hallen der Villen zum Beispiel stellt er sich ein. Aber er findet nur ausnahmsweise im Freien solche Gegenstände, an denen er sich entwickeln kann; denn Maulbeerbäume, Pappeln und Reisfelder bleiben in Gottes Namen undankbar; ja selbst Bergzüge, wenn sie kahl sind, vermögen mit ihren geliehenen Luftfarben Auge und Herz nicht völlig zu befriedigen.

In einem freilich nimmt die norditalienische Ebene auch an dem Frühlingsglanze teil: der Himmel, der sich über der Erde frei wölbt. Einmal wieder unbeengte, unverdüsterte Himmelslandschaften mit Farbenmeeren und Wolkengebirgen zu sehen, das erquickt. Ein halbes Dutzend der verschiedensten Witterungen waltet da gleichzeitig am Himmel. An einer Stelle, weit drüben am Apennin, regnet es, und durch das düstere Unwetter zittert ein fahler Nimbus. Etwas davon entfernt flammen scharlachrote Wolkenmassen, die sich sammeln, türmen und in Armeekolonnen wieder teilen; gelbes Feuer leuchtet darum herum. An einer andern Stelle blaut ein azurner Himmel, der von alledem nichts weiß, von gutartigen, schneeweißen Wölklein durchschwommen. Am gegenseitigen Ende blendender Sonnenschein. Und Licht von allen Seiten, auf allen Stockwerken des Himmels, Licht sogar zu ebener Erde, die Oberfläche der Ebene rasierend. Ich möchte das eine ‹ekstatische› Beleuchtung nennen. Vor allem aber tut es unserm Auge wohl, einmal wieder Wolken zu sehen, die sich ausleben, die Platz finden zu zerrinnen, ohne an einen Berg zu stoßen, an welchem sie herumkriechen und herumnebeln. Italienische Wolken muß man gesehen haben, um die Seeleninnigkeit nachzufühlen, mit welcher die alten Maler die Himmelfahrten der Maria ausführten.

In den Städten dagegen steigen die Farben vom Himmel auf die Erde hernieder, minder blendend, dafür aber satter, saftiger, seliger. Die schattige Tagesdämmerung enger, hoher Gassen nimmt dem Sonnenschein den grellen Blechglanz, während das Sonnengold nur um so wärmer Dächer und Straßentore, Lücken und Brücken malt. Man schaut da die Ferne, wie man aus einem verdunkelten Theaterraum in die Tiefen märchenhaft leuchtender Szenen schaut; sei es nun ein Stückchen Garten oder ein Eckchen Gebäude oder endlich weit drüben in duftiger Ferne ein rosiger Ausschnitt schimmernder Alpen, das letztere namentlich in Westitalien, in Turin, Novara und Varese. Zeltdächer, über die ganze Straße gespannt, fangen Schatten und Strahlen zu durchleuchtetem Helldunkel gemischt. Um die Pracht- und Kunstbauten rieseln gedämpfte Lichtquellen in magischen Reflexen; über die Domplätze flutet neben tiefschwarzen Schlagschatten das Licht in breiten Strömen. Die alles besiegende Gewalt der städtischen Farben läßt sich am besten durch die Vergleichung mit den Gärten ermessen. Ich bin wahrlich der erste, den schwarzen Adel einer Zeder oder Zypresse zu bewundern. Bin ich doch neulich eigens nach Como gereist, um mich an diesem köstlichen Gewächs zu weiden. Doch selbst diese stolzesten Pflanzen müssen an Wirkung der Architektur weichen. Vielmehr da, wo die majestätischen Riesen der Baukunst wohnen, um die Kirchen und Rathäuser, dort geschehen die prächtigsten Licht- und Farbenwunder. Weniger noch in Mailand als in Padua, Verona und namentlich in Bologna, dessen Domplatz ich seiner Sonnenlichter wegen immer wieder aufsuchen mag.

Es gibt übrigens auch eine stoffliche Farbenaristokratie; ich meine, es gibt solche Stoffe, die dem Licht und der Luftfarbe entgegenkommen, unabhängig von der zufälligen stärkeren oder geringeren Bestrahlung. Zum Beispiel Samt und Seide, in den Toiletten der Damen am reichsten und lieblichsten vertreten und darum namentlich in dem eleganten Mailand zur Geltung gelangend. Dann die Blumen, denen Florenz, Genua und die Riviera einen guten Teil des zauberischen Farbenglanzes verdankt. Ferner das Obst, Zitronen und Orangen voran, wodurch die Marktplätze und Marktwinkel so malerisch anmuten. Des weitern die Magazine, vor allem die Luxusmagazine, die Teppich- und Tuchlager, die Kristall-, Gold- und Schmuckläden, Parfümerien und so weiter. Endlich, ja nicht zu vergessen, der keusche Marmor. Marmor, das ist der wahre Edelstein. Er hinterläßt die tiefste seelische Erinnerung an Norditalien; ihn vermißt man bei der Heimkehr am schmerzlichsten. Und nicht bloß den Marmor der Kirchen und Paläste; auch die Marmorpflästerung der Straßen, zumal wenn der Straßenboden über und über mit Marmor bedeckt ist.

Von allen Städten Norditaliens ist nun eine, welche wie mit einem Brennspiegel Licht- und Farbenglut zu einem unvergleichlichen Märchenfeuer sammelt: Venedig. Das venetianische Glas ist berühmt; aber das ganze Venedig, vor allem der Canal Grande und der Markusplatz ist ja ein einziges Glasgemälde, nicht anders als ob man eine übergoldete Natur durch eine absolut reine, durchsichtige Glasglocke sähe. Schon das venetianische Festland zeigt nach alter richtiger Beobachtung eine besondere Lichtfülle, welche aus der Ebene, aus der Luftbeschaffenheit und aus der Meeresnähe zu erklären ist, wenn sie überhaupt erklärt werden kann. Indessen Venedig kommt seinem Küstenlande hierin noch zuvor. Und das beruht nun unzweifelhaft auf der Farben- und Phantasiefröhlichkeit seiner Baudenkmäler, verbunden mit der Geschlossenheit der Bildszenen. Das wird man sogleich inne, wenn man vom Markusplatz auf die Riva dei Schiavoni oder gar in die Via Garibaldi tritt. Das ist, als ob man aus einer Kirche in den gemeinen gelben Tag hinausträte. Der ganze Markusplatz wirkt eben als ein einheitliches, geschlossenes Ganzes, wie ein festlicher Tempel, von welchem man das Dach abgenommen hätte. So müssen wir uns ungefähr die Lichtstimmung der antiken Theater denken.

 

Und nun sitze ich wieder daheim im Norden, bei Blütenschnee und leibhaftigem echtem meteorologischem Wolkenschnee, Mitte Mai im geheizten Zimmer. Kein Zweifel, daß es mich krabbelt, bald wieder südwärts auszufliegen. Allein bleibend dorthin zu flüchten? Nein und dreimal nein; dem Maler mag das wohlbekommen, uns andern nicht. Dagegen hin- und zurückreisen, je eher und je öfter um so lieber, mit festen Wurzeln in der Heimat, das ist gute Medizin.


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