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IX.

Nachtschwarzes Dunkel umgab die Burg. Unfaßbar, unsichtbar und darum doppelt unheimlich raunte und webte es um sie her in den Schatten, leise Tritte, flüsternde Stimmen, Pferdegeschrei und Panzerrasseln, und weiter hinten über den Hügeln stieg ein flackernder Lichtpunkt nach dem anderen auf, die Beiwachtfeuer, die bald in langer, lodernder Kette ihren Halbkreis um die Feste bis an den Neckar zogen.

Zwei Pechfackeln schwankten langsam durch die Finsternis, im Winde wirbelnd und qualmend, auf das Tor zu und hielten zwanzig Schritt davor still. »Aufgemacht!« dröhnte ein dumpfer Ruf aus der Finsternis. »Die schwarze Schar will in Schloß Wolframstein Nachtmahl halten!«

»Das ist Kirschenbeißer, der Pfarrherr!« murmelte einer der Reiter. »Ich erkenne seine Stimme wohl!«

Ritter Felix beugte sich vor und legte die hohle Hand an den Mund: »Wer ist euer Feldhauptmann?«

»Der Bauer Florian – sonst Ritter Geyer genannt – ist unten im Lager.«

»Wollt ihr mir frei Geleit zu ihm geben?«

»Steigt dreist herab,« grollte Herrn Kirschenbeißers Baß, »wir christlichen Brüder gönnen jeder Partei, was ihr Gott und das Recht gönnt!«

 

Als Ritter Trugenhoffen, von dem Pfarrherrn und etlichen Bewaffneten geführt, in den Bereich der knisternden und lichterloh aufflackernden Wachtfeuer eintrat, umwölkte sich seine Stirn. Das waren gefährliche Gesellen, die da um die Brandstätten lagerten, hochgewachsene, freie fränkische Bauern mit breiten Schultern und keckem Blick, viele alte Kriegsleute und Landsknechts darunter, alle wohlgerüstet und in Ordnung, wie es der Feldbrauch heischte. Hatte er sie gestern nur von ferne gesehen, als sie im festen Schritt und Tritt, von der schwarzen Fahne überrauscht, abseits der Bauernhaufen zum Sturm auf die Weibertreu zogen, so merkte er jetzt aus nächster Nähe, wie gewaltig sich dies finstere, erprobte Volk von den verhungerten Waldbäuerlein, den trunkenen Winzerknechten des hellen Haufens unterschied.

Forschende Blicke trafen ihn von allen Seiten, während er durch die Lagergasse schritt. »Der ist's!« rief plötzlich eine Stimme. »Selber Ritter ist gestern zu Roß aus Weinsberg entkommen!« Die Gruppen drängten sich aufstehend neugierig um den Ritter und stierten ihn an. Ein berußter Kohlenbrenner hielt ihm seine Hellebarde quer über den Weg, daß der von Trugenhoffen stehenbleiben mußte.

»Mich lüstet, ich stoß' den Spieß durch dich!« knurrte der schwarze Geselle mit tückisch funkelnden Augen.

Ritter Felix schob unwillig den Eisenschaft beiseite. »Tu gemach!« sprach er. »Ich bin mit einem Geleit hier!«

Gleichzeitig legte ein herantretender, nach Ritterart Gewaffneter die Hand auf die Schulter seines Feindes. »Martin!« gebot er mit dräuender Stimme. »Laß ihn mit Lieb'! Es ist nicht Kriegsrecht! Es ist Kriegsrecht, wenn man einem ein Geleit gibt, daß man's ihm für Wort und Werk halt'!«

Fügsam, wie ein geprügelter Hund, schlich der riesige Kerl beiseite. Die beiden Edlen standen sich Aug' in Auge gegenüber, »Weißt noch, Florian Geyer, wo wir zuletzt beisammen waren?« fragte Ritter Felix nach kurzer Pause.

»Beim Sickingen!« sagte der Bauernhauptmann ernst. »Der Handel wider die Fürsten ist uns bös geraten!«

»Dich haben sie vorm Jahr auch geächtet?« Der Trugenhofer und sein Gegner ließen sich, etwas abseits von den Bauern, auf den Sätteln nieder, die, am Boden neben einem Feuer liegend, als Sitze dienten.

Florian Geyer nickte. »Sie haben mich verstrickt gehalten auf meiner Burg Giebelstadt. Ich hab' ihnen schwören müssen, nicht über mein Land hinauszugehen, kein Roß zu besteigen, keine Nacht anders zu verbringen, denn in meinem Hause. Solch Leben schlägt einem Kriegsmann so trefflich an, wie die Pestilenz selber!«

»Und du bist wahrlich ein Kriegsmann! Gedenkst noch, wie wir zusammen den Götzen in Möckmühl eingefangen haben? Da hielt der Berlichinger ganz mannlich unter uns, wie die Sau unter den Rüden, brüllte unter seinem Helmtopf, fegte mit seiner Eisenfaust die Sättel leer und mußt' sich endlich doch von dir vom Gaul stechen lassen!«

»Laß gut sein, Felix!« Florian Geyer machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich mag mich der Zeiten nicht erinnern. Bin seitdem ein anderer geworden!«

»Das seh' ich!« versetzte Ritter Felix finster. »Du bist ein Rädleinsführer geworden in der jämmerlichen und gefährlichen Rebellation des gemeinen Bauersmannes, hast mit dem Jäcklein bei Weinsberg in dieselbe Kerbe gehauen!«

»Felix!« rief Florian Geyer zornig. »Das hab' ich nicht, des sei mir unser Heiland Zeuge! Der Jäcklein ist ein arger Schalksknecht und wird ein schlimmes Ende nehmen, und eher noch durch seine Spießgesellen, denn durch die Fürsten. Denn es strafet Gott, der höchste Regent, gemeiniglich einen bösen Buben durch den anderen! Und bis dahin hab' ich mit dem Jäcklein nichts zu tun!«

»Aber mit den Bauern! Führst du da nicht drei-, viertausend wütige aufrührerische Leut' wider deiner Schwäger und Freunde Häuser?«

»Ich will dir melden, wie alles kommen ist!« sprach der schwarze Geyer, und seine herrischen Augen glitten in die Nacht hinaus, als suchten sie dort ein unbekanntes, im Dunkel der Zukunft verborgenes Ziel. »Wahr ist's: die Bauern sind gegen die Obrigkeit aufgestanden. Nun sieh dir beides an, Felix, Mann und Roß. ein meisterloses Roß taugt zu nichts, rennt blindlings zu den Wölfen im Walde, ein Ritter ohne Gaul aber ist ein trauriger Geselle. Ist nun das Roß einmal aus dem Stall, wie in diesen Läuften, so ist's nur die eine Frage, wer es fangen und sich ihm in den Sattel schwingen soll. Und des hab' ich mich freilich vermessen und führ' das böse Volk zum guten Ziel!«

»Welches Aussehen und Gestalt hat aber selbes Ziel?«

Florian Geyer neigte das kühne, in trotzigen Linien geformte Haupt. »Ich bin kein Schwärmer und Träumer wie du, Freund Felix, auch kein Prophet und Retter sündiger Menschheit, wie sich Antonius Eysenhut zu sein dünkt, der wütige Pfaff' mit der Zunge voll Feuerflammen. Ich bin ein schlichter, fester Reitersmann vom Adel. Als ich nun still lag auf Giebelstadt, meiner Burg, und mir die Sickingenschen Händel wieder und wieder im Kopfe vornahm, da ist es mir mit Schrecken und Betrübnis in den langen Winternächten klar geworden, wie übel es um Deutschland steht. Zwietracht allenthalben. Der Kaiser liegt in Welschland wider den Franzosenkönig zu Feld oder wartet in Hispanien, ob Zeitung von den neuen, indischen Inseln kommt, unterdes aber kämpft bei uns die christliche Ritterschaft wider die Pfaffen von Trier und Köln, der schwäbische Bund muß des Herrn Konrad Schott, des arglistigen Mannes, Meister werden, die Reichsstädte am Neckar verjagen zur Kurzweil den Herzog von Württemberg.«

»Eben ist der unsinnige Mann wieder mit Schweizer Reisläufern in seine Lande eingefallen, raubt und sengt!« ergänzte der Trugenhofer.

»Der Götz nimmt dem Bamberger Bischof die Schiffe auf dem Main weg!« fuhr Florian Geyer fort. »Der schwäbische Bund wieder will den Götzen haschen. Der sächsische Kurfürst ist dem schwäbischen Bunde gram. Der Pfalzgraf hat seine Händel mit den Kurfürsten. Der Hansa ist ein Hering im Nordmeer wesentlicher als Kaiser Karl selbst, der wiederum sich hat vernehmen lassen, Deutsch woll' er nur mit seinem Rosse reden; kurzum, lieber, es ist des Jammers kein Ende! Die Völker ringsum werden stark. Türk' und Franzose pochen an des Reiches Pforten, die Holländer kreuzen auf den Wassern, die Spanier erobern eine neue Welt, wir aber liegen mit sieben Knechten hinter der Hecke einem Pfeffersack auf der Lauer, haben da eine Schlichtung mit einem Bischof, dort eine Fehde mit einem Reichsstädtlein, und treiben Händel miteinander wie die Buben und nicht wie die Männer, bis das Land in gemeiner Not ganz wehrlos wird!«

»Es gibt noch Reisige genug!« sprach der Trugenhofer finster.

»Wirst's ja sehen!« Florian Geyer stand auf. »Im ganzen Süddeutschland gibt es nur ein großes Heer noch, das ins Feld zu rücken vermag. Das ist die Kriegsmacht des schwäbischen Bundes, ein paar tausend Reiter und noch einmal so viel meuterische Landsknechte, mit denen allen wir Bauern freudig den Tanz beginnen wollen. Merk: ich saß oben in meinem Turm, und mir ward trüb zu Sinn. Da zog unten mit fliegender Fahne, pfeifen und Trommeln, in Wehr und Harnisch, Sturmhut und Fäustling der Rothenburger Landsturm zum Aufruhr wider all die Herrlein im Lande. Und wie ich die riesigen, wohlgeschickten Kerle sah, da dacht' ich bei mir: was sollen uns die tausend und aber tausend Herrlein, die solch rüstiges, mannhaftes Volk leibeigen halten und den Tieren gleichmachen wollen? Was frommen uns die unnützen Brotfresser, die Mönche, die so nützlich sind als alte Weiber, wenn der Feind sich zu Gaste meldet? Was frommen uns die Junker mit Sauhatz, Fehden und Völlerei, was die Äbte und Bischöfe, die da römisch denken und lateinisch reden, wenn das Reich deutsche Männer braucht? Was brauchen wir die Fürsten, die nur darauf trachten, wie sie einander Land und Leute abgewinnen, und heimliche Franzosen sind, zu was einen Kaiser selbst, wenn es kein deutscher Kaiser ist, sondern ein Hispanier?«

Der schwarze Geyer brach zornig ab und seine Augen sprühten. »Wer nährt uns?« hub er nach einer Weile wieder an. »Der Bauer! Auf wem liegt alle Last und Not? Auf dem Bauern! Wer preßt ihn aus? Jedermann! Und wer erbarmt sich seiner? Niemand! Ich aber, Felix, bin von meinem Turm herabgestiegen, hab' meinen Herrensitz hinter mir gelassen, mich zu selben Rothenburger Bauern getan und so gesprochen: wer den Pflug führt, soll auch das Schwert meistern! Es soll nur mehr einen Stand in Deutschland geben, die Gemeinfreien! So viel Bauern, so viele Kriegsleute. Bauern im Frieden, Kriegsleut' im Feld, so viel Tausende und aber Zehntausende, daß ein Entsetzen durch die Welt geht, und ein Jedermann sich hütet, mit Deutschlands freien Bauern und ihrem Kaiser anzubinden!«

»Und wen mögen wohl die Bauern für ihren Kaiser aufwerfen?« fragte der Ritter Felix und sah dem Freunde ins Gesicht.

»Das weiß ich nicht!« sprach Florian Geyer. Aber ein seltsames Lächeln umspielte seine Lippen, während er sein Auge über die leuchtenden Wachtfeuer schweifen ließ.

»Das hab' ich dir alles nicht vorenthalten wollen, Felix,« sagte er nach einer Weile ruhig, »nun steht's bei dir, ob du mir Freund sein willst oder Feind!«

»Florian, Bruder!« Der von Trugenhoffen drückte ihm die Hand. »Es ist viel Heftiges und Wahres in deinen Worten! Mir summt der Kopf gewaltig davon, und ich furcht', ich werd' es nicht überstehen, sondern deine Meinung wird in mir bleiben und ärger wachsen, als mir lieb ist. Aber zu euch stoßen kann ich nicht. Ich muß im Schloß oben bleiben und für die wolframsteinsche Witwe meines Lehenseides an den Pfalzgrafen warten!«

»Jetzt ist keine Zeit, an Weiber zu denken, wo wir um die deutschen Lande würfeln!« sagte Florian Geyer. »Hab' auch eine Braut, Barbara, des Grumbach Schwester, auf Schloß Rimpar sitzen und sorg' mich nicht um sie!«

»Du bjst aus hartem Holz, Florian Geyer!« Der Trugenhofer bot ihm die Hand. »Leb wohl!«

»Wollt Ihr die Zugbrück' auftun, Ritter?« schrie, aus dem Dunkel herantretend, der Wolfgang Kirschenbeißer.

»Die Brück' bleibt oben!« erwiderte Herr Felix kurz. »Und wer uns zu Werke schneiden will, mag den Berg heraufstapfen!«

Florian Geyer schüttelte den Kopf. »Ich will nicht wider dich kriegen, Felix! Du kommst doch noch zu uns! Hast ja jetzt schon dein Haar abschneiden müssen wie ich und die anderen Bauern!«

Das bärbeißige Gesicht des Pfarrherrn ward dunkelrot vor Zorn. »Das Haus soll stehenbleiben?« schrie er. »Ei, Bruder Florian, Ihr könnt weiterziehen. Ich und die Bauern von Gottwoltshausen halten davor wacht wie die Katz' vor dem Mausloch. Wie oft hab' ich da hinaufgeschaut und gebetet: ›Großer Gott, schick in deiner Gerechtigkeit einen Blitzstrahl vom Himmel und zerschell die Zwingburg, an der wir Armen dahinsiechen.‹ Nun erfüllt sich die Zeit, wir haben den Gottesblitz in Händen!«

»Weist ihn her!« höhnte der Ritter Trugenhoffen, »Wendet Eure Taschen, Pfaff, daß ich ihn schau'!«

»Er kommt!« sprach Wolfgang Kirschenbeißer. »Blitz und Donner sind unterwegs. In drei Tagen um die Stunde bieten wir Euch im Schlößlein einen schönen guten Abend, davor sich jedermann bedankt, aus zwei trefflichen Kartaunen, Fester; sie sind auf die neue Form fein säuberlich gedreht, treiben kopfgroße Eisenkugeln durch Tor und Mauern!«

»Woher sollen euch die Stücke kommen?« forschte Herr Felix, seinen Schrecken bemeisternd.

Der grimme Pfarrherr lachte: »Mit den beiden hohenloheschen Grafen haben ihre Bauern gehandelt, daß Ihren Gnaden die Augen übergingen. Haben ihre seidene Fahne geschwenkt, schön gelb, braun und grün gestreift, und geschrien: ›Ihr seid nimmer Herren, sondern Bauern! Kommt her, Bruder Albrecht und Bruder Georg, zieht eure Handschuh aus und gelobet Frieden mit der Bauernschaft auf 101 Jahr!‹ Und indem die Grafen solches schwuren, ließ der helle Haufen im Jubel 2000 Flintenschüsse zum Himmel auf und schrie: ›Nun sind wir die Herren von Hohenlohe!‹«

»Und da mußten die Grafen ihre Stücke ausliefern?«

Der Kirschenbeißer nickte. »Zwei Schlangen und ein halber Zentner Pulver ist auf unser Teil gefallen. Und es sind die Grafen nicht die einzigen, die da fürchten, vom armen Konrad im Bett erwürgt zu werden. Die jungen Grafen Löwenstein sind auch in den Haufen gekommen, haben müssen die Hüte abnehmen und in einem Bauernhabit mit weißen Stecken in den Händen mitziehen. So hab' ich sie selbst vorgestern im Tiergarten von Heilbronn mitten unter den Bauern sitzen sehen, also erschrocken, als ob sie tot wären!«

Ritter Felix wandte sich zum Gehen. »Habt ihr Stücke, so habt ihr noch keinen Büchsenmeister und treibt die Steine ungeschickt ins Weite. Mir stünd's mit Ehren nicht zu verantworten, wollt' ich euch das Haus zum Plündern und Brennen auftun und die Burgfrau in die mörderischen Zeitläufte hinausstoßen, die allenthalben vom Main bis zum Bodensee im Gange sind.«

»Wir aber kommen zu euch!« gelobte Wolfgang Kirschenbeißer finster. »Und wenn wir als die Kraniche über die Mauern fliegen müßten, wir werden uns im Schlosse halten, als im Feindesland!«

»Wir wollen uns herzhaft zur wehr setzen!« sprach Ritter Felix, die Lagergasse hinabschreitend. »Und wenn ich dann dir Pfaffen eins durch den Kopf hauen darf, soll's mich freilich nicht gereuen!«


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