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17

Was Menschen verhohlen bleiben mag, kann man nie und nimmer vor einem Hund verbergen.

An einem Sommertag merkte Rex vom frühen Morgen an, daß etwas Besonderes vorging und die Ahnung, mit der es ihn erfüllte, war grau und peinlich, denn sie schien ihm nicht nur bedrohlich für die geliebte Herrin, sondern auch von schlimmem Bezug auf sein eigenes Geschick.

Frau Hella war am Morgen nicht wie sonst zum Vorschein gekommen, sondern im Schlafzimmer verblieben. Von seiner Besorgnis getrieben, forderte Rex Einlaß zu ihr, aber der Doktor kam heraus, fuhr ihn grob an und jagte ihn davon. Es war ein Laufen und Rumoren im ganzen Haus, mit Spektakel ungewohnter und geheimnisvoller Art, Mirzl und Mama Tröger, die eine Woche zuvor angekommen war, rannten ab und zu, in der Küche brodelten große Töpfe mit Wasser, warme Tücher wurden ins Schlafzimmer getragen, aus dem Stöhnen und Seufzen drang.

Eine fremde Frau mit einer schwarzen Tasche war ins Haus gekommen. Rex knurrte die Besucherin feindlich an und als sie aufschrie: »Jessas, der Hund,« wurde er scharf zurechtgewiesen, als habe er etwas Unrechtes getan und eine wichtige Person beleidigt.

Er stand offenbar allen im Weg herum, niemand hatte Zeit für ihn, und wenn er in seiner Seelenbedrängnis sich jemandem anschmiegen wollte, wurde er hart angelassen. Mit gekränkter Miene wanderte er unruhig durchs Haus, hatte nirgends ein Bleiben, legte sich auf die Schwelle der Schlafzimmertür und lauschte voll Angst auf die seltsamen Klagelaute seiner Herrin. Mama Tröger schoß heraus, stolperte über ihn und wäre beinahe hingefallen. Sie warf ihm eine ganze Menge böser Schimpfworte an den Kopf, die überaus ehrverletzend waren, wie Köter und Mistvieh. Hierauf erschien der Doktor, erwischte Rex am Halsband und zog ihn in den Garten hinaus, und nahm so ohne Zweifel unerhörterweise für Mama Tröger Partei. Da saß Rex nun im Gras, starrte zu den Schlafzimmerfenstern hinauf und spekulierte. Unverfolgt raschelten die Amseln vor seiner Nase durch das Gebüsch, unbeanstandet blieb Bello, der weiße und rosafarbene Bully, dieses widerwärtige Scheusal, als es herausfordernd mit Gekläff den Zaun entlang galoppierte.

Rex sann nach: es war klar, daß da oben im Schlafzimmer mit seiner Herrin Unerhörtes vorging, wobei seine Anwesenheit nicht gewünscht wurde. Er war hinausgeschmissen, es blieb ihm versagt, Trost und Zuspruch zu spenden, man verzichtete auf die Bekundung seiner Treue, die er unerlöst wie eine dumpfe, fast erdrückende Last in seiner Seele fühlte.

Es wurde spät, die Sonne überstieg den Scheitelpunkt ihrer Bahn und der Schatten wanderte langsam um das Haus herum. In Rex' leerem Magen entstand eine fürchterliche Traurigkeit, und die Sorgenfalten auf seiner Stirn gruben sich noch tiefer ein. Nach und nach traten alle die Ereignisse ein, die sonst nach dem Mittagessen vor sich zu gehen pflegten: der Mann mit dem eselbespannten Wägelchen des Bäckers kam vorüber, die Kinder gingen zur Schule, die Leute rückten an, die in die Sprechstunde des Doktors wollten, aber sie mußten wieder umkehren, denn Mirzl hatte an die Gartentür eine Tafel gehängt, auf der stand: »Heute keine Ordination!«

Wie alles das, was man sonst im Zustand völliger behaglicher Gesättigtheit zu erleben pflegte, nach und nach unter einem immer heftiger werdenden Hunger eintraf, da wurde es Rex klar, daß man heute seiner ganz und gar vergessen habe.

Es begann im Laufe des Nachmittags ein leiser Sommerregen herabzurieseln, aber Rex, der sonst sorgsam darauf bedacht war, seinen Pelz nicht naß werden zu lassen, suchte heute seine Hütte, die an der Vorderseite des Hauses stand, nicht auf. Er blieb im Gesprüh sitzen, tiefunglücklich und verlassen und starrte die Schlafzimmerfenster an.

Es war etwa um die vierte Stunde, als ein leiser, quäkender, neuer Ton die Aufmerksamkeit des Hundes auf sich zog. Er stellte die dreieckigen Ohren auf, richtete sie nach vorne und spannte alle seine Sinne an. Was war das? Wer war da ins Haus gekommen, ohne daß er ihn eintreten gesehen hatte? Rex zweifelte an der Richtigkeit seiner Wahrnehmung, aber da war das zirpende Gewinsel wieder, eine dünne Schnur von Weinen, die aus dem Gemäuer drang, und als nach einer Weile der Doktor die Fenster des Schlafzimmers öffnete, da wurde das Quarren und Wimmern so deutlich, daß man nichts anderes denken konnte, als es müsse auf unbegreifliche Weise irgend ein Unbekanntes angekommen sein.

Diese Frage wurde auf die Dauer unerträglich und Rex erhob sich und zottelte nach vorne zum Hauseingang, um da auf eine Gelegenheit zum Einschleichen zu lauern. Sie kam ihm, als gegen Abend die fremde Frau mit der schwarzen Tasche das Haus verließ, vom Doktor freundlich bis zur Gartentür geleitet.

»Na also, nochmals herzlichen Glückwunsch,« sagte sie, schon auf der Straße, »Sie können stolz sein, es ist ein Prachtbub.« Und sie rief nach einigen Schritten noch einmal zurück: »Ich komme nach dem Abendessen wieder.«

Ein Prachtbub? Was ist das? dachte Rex, während er heimlich auf leisen Pfoten die Treppe hinanstieg. Es war ein Wort, das ihm bisher noch nicht untergekommen war. Vorsichtig schob er sich durch den schmalen Spalt der offenstehenden Tür und wollte sich in der ersten Freude des Wiedersehens auf seine Herrin stürzen, die er im Bett liegen sah. Aber die dunkle Stimme seines Innern warnte ihn vor einem allzu stürmischen Auftreten und überdies sah er Mama Tröger über die Kranke gebeugt, und das war jemand, dem man lieber im Bogen auswich. Jetzt aber roch er den neuen Ankömmling und zwar stellte er fest, daß jener knapp neben dem Bett der Herrin in einer Art Wägelchen lag, das er schon seit etlichen Tagen als neue Erscheinung bemerkt hatte, ohne über seine Bestimmung ins Reine kommen zu können. Es blühten weißes Leinen und breite Spitzen heraus wie aus einem Blumentopf und eine himmelblaue Bedachung wölbte sich über sein Ende. Rex stellte sich an den Rädern auf und betrachtete ernsthaft, was da darinnen lag. Er sah nichts als einen roten, verdrückten, faltigen Kopf eines Menschenwesens, ein rätselhaftes häßliches Ding, und das war offenbar der Prachtbub.

Er überlegte noch, was er von dieser Neuerung zu halten habe, als Mama Tröger, sich umwendend, die Hundeschnauze über das Gesicht des Kindes geneigt sah und einen Schrei ergellen ließ, als sei es in Gefahr gefressen zu werden. Rex erschrak und stieß sich von dem Wägelchen ab, so daß dieses von dem Ruck in Bewegung kam und ein Stück ins Zimmer rollte.

Der Prachtbub, durch Mama Trögers Schrei und seine erste Fahrt ins Leben erweckt, begann wieder sein zirpendes Greinen.

»Schau, daß du hinauskommst, du Mistvieh,« schrie Mama Tröger und schlug mit einem Fetzen, den sie in der Hand hielt, nach Rex, daß dieser schleunig entwich.

Er war schuldlos und reinen Herzens, fühlte sich ungerecht behandelt und da er seinen Stolz hatte, ging er in den Garten und ließ sich nicht mehr sehen, so ingrimmig auch der Hunger in seinen Eingeweiden nagte.


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