Ludwig Tieck
Eigensinn und Laune
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Reisenden hatten den Wagen und ihren Kutscher in Thun gelassen, um in einem Schiffe über den schönen See nach dem reizenden Interlaken zu fahren. Der Vater war jugendlich über die Herrlichkeiten des Berner Oberlandes entzückt, und die Tochter betrachtete die Zauber jener Gegenden mit einem ernsten Auge, oft in Nachdenken verloren.

Nachdem sie zwei Tage in Interlaken verweilt hatten, fuhren sie nach dem Grindelwald. Diese herrliche, großartige Natur, die poetische Wildniß dieser Landschaft kann nur durch Beschreibung in Dessen Phantasie wieder hervorgerufen werden, der selber diese Gegenden sah. Hier, bei den stürzenden Bergwassern, bei den niedergerollten Felsenklippen, gedachte Emmeline der Worte, die ihr Vater neulich gesprochen hatte. In dieser poetischen Einöde, in der Nähe der Alpen, die furchtbar schön über die Wolken hinausragen, beim Brausen dieser Bäche, den einsamen Hütten, hier völlig von aller menschlichen Etikette, den verwirrten 306 Verhältnissen abgeschnitten, bilden sich in der ungewohnten Einsamkeit große Gedanken, Empfindungen und Entschlüsse. Die Reisenden erschraken, und zugleich befiel sie eine seltsame Rührung, als sie den grünlichen Krystall des Gletschers gewahr wurden, der dem Gasthofe gerade gegenüberliegt, in welchem sie abstiegen. Es traf sich, daß das große Haus ganz leer war und sie sich also die bequemsten Zimmer auswählen konnten. Lange saßen sie schweigend am Fenster, in den Anblick dieses einzigen Bildes verloren.

Als sie am folgenden Tage den Gletscher in der Nähe betrachtet, ihn bis auf eine gewisse Höhe mit dem Führer bestiegen hatten und nach dem Gasthofe zurückgekehrt waren, sagte der Vater: was ist Dir nur, Kind? Dein Zustand bekümmert mich. Ich fürchte, eine gefährliche Krankheit ist im Anzuge. Du bist immerdar gerührt; ich sehe oft Thränen im Deinem Auge, Du bist ernst, ja melancholisch, alles Deinem bisherigen Leben und Deiner Art und Weise völlig entgegengesetzt; Du, das stets frohe, leichtsinnige Wesen.

Lieber Vater, erwiederte sie mit Schluchzen und hervorbrechenden Thränen, kann man die Wunder dieser Natur, über uns den Eiger und die andern unermeßlichen Alpen, dort den Gletscher mit seinem ewigen Eise, umher die grüne Einsamkeit der Wildniß, und alles das so Herzergreifende denn ohne tiefe Erschütterung sehn? Ich habe vorher niemals glauben können, daß die Natur so gewaltig einzudringen, uns bis in das Innerste unsers Wesens zu ergreifen diese Gewalt hätte. Meine Seele erliegt ja diesen unerwarteten Empfindungen.

Es freut mich, sagte der Vater, daß Du solcher tiefen Gefühle fähig bist; aber diese Erschütterungen, die die höchste Wollust unserer Seele sind, müssen uns auch nicht krankhaft aushöhlen und schwächen, und das geschieht vielleicht, wenn 307 wir uns ihnen zu sehr hingeben, und ganz in sie versenken. Unser Wesen ist so seltsam construirt, daß nach so starken Eindrücken uns wieder Zerstreuung und Leichtsinn nothwendig werden.

Ja wohl, sagte Emmeline, ist es nothwendig; wer das nur finden könnte! Mir ist aber, seit wir in diese Einöde gerathen sind, als wenn mein Herz brechen sollte. Sie warf sich in den Sessel und weinte heftig.

Dir ist sonst noch was, Mädchen, einziges Kind, Dein Gesicht, Dein Auge ist ganz anders, als ich es seit Jahren kenne. Was geht mit Dir vor? Sprich! Rede! Eröffne mir Dein Herz. So sprach ängstlich der bekümmerte Vater.

Emmeline reichte ihm die Hand und sagte nach einer Pause: Nicht wahr, hier in dieser grünen Einöde, unter diesen ewigen Schneeklippen dort oben, unten von Eis und Blumen zugleich umgeben, vergißt man die Menschen und ihren Verkehr so gänzlich, daß, wenn man gewaltsam zurückdenkt, einem das Getreibe in den großen Städten, die Gesellschaften und Sitten dort, das Wirrsal der Verleumdung und des Hochmuths, Alles, was die kleinlichen Wesen dort belebt, ängstigt und begeistert, nur lächerlich, abgeschmackt und wahnsinnig vorkommt. Sind wir hier nicht gleichsam in einem Zauberbann, als wenn die Schöpfung um uns her eben erst fertig geworden wäre? Ach, mein Vater, ich bin seit einigen Tagen viel älter und ernster geworden, diese Reise hat mich zu einem ganz andern Wesen erzogen, als ich sonst war. Meine Seele ist umgewandelt, mein Sehnen und Wünschen ist lebhaft erwacht, und nach ganz andern Gegenständen, als die mich bisher rührten. Soll das in mir nicht in alle künftigen Jahre hinauswirken, Vater?

Nun ja, sagte jener, aber es kann auch Seelen oder körperliche Krankheit werden.

308 Nein! rief die Tochter, ich verspreche es Dir in Deine Hand, ich sage Dir, mir ist wohl.

Soll ich Dich etwa niemals wieder heiter und fröhlich sehn?

O, gewiß, übermüthig, jauchzend vor Freude, wenn mein Väterchen mir getreu bleibt, wenn er nicht von mir abfällt.

Was willst Du damit sagen?

Das schöne Wesen faßte den Vater in die Arme, küßte, streichelte und liebkoste ihn, sah ihn lächelnd an, drückte ihn wieder an die Brust, blickte plötzlich ernsthaft, nahm dann die Hand, die sie zärtlich in ihre beiden faßte, sie dann küßte, tief aufseufzte und sich nun weinend zurückbog, und in den Stuhl schluchzend ihr Angesicht zwischen den Armen verbarg.

Kind! Emmeline! rief der Vater gerührt und doch etwas ungeduldig, ich kenne Dich, Du willst etwas von mir haben, und denkst, ich werde es Dir abschlagen.

Ja, sagte sie ganz ermattet, wenn Du es mir abschlägst, so werde ich krank, so sterbe ich, noch hier, in dieser schauerlichen Wildniß.

Und was verlangst Du?

Ich versprach Dir, Dich sogleich zu meinem Vertrauten zu machen, wenn dergleichen in meinem Gemüthe reif würde. Ich will heirathen.

Der Alte sprang auf und tanzte laut lachend im Zimmer herum, dann umarmte er die Tochter und sagte: Nun, das war ja seit lange mein Wunsch; so nenne mir nur den Deiner Freunde, welchen Du gewählt hast.

Freunde! sagte sie mit einem langen Gesicht; die thörichten, langweiligen Menschen dort in unserer Stadt? Wie kannst Du in dieser erhabenen Natur nur an jene Krüppel denken?

Nun, und wen denn sonst?

Väterchen, sagte sie, wieder süß schmeichelnd, nun hast Du einmal Gelegenheit, mir zu beweisen, ob Du mich liebst; diese Gelegenheit kommt uns Beiden nicht wieder, so lange wir auch leben. Und, es geht um Alles, das glaube mir nur, denn ich habe in diesen Tagen meinen Zustand ernsthaft geprüft.

Ich sinne und sinne, quäle mich ab, einen Mann aufzufinden: – wer ist es denn?

Martin, unser junger Kutscher. –

Hier schlug sich der Vater mit der flachen Hand heftig vor den Kopf, taumelte zurück und rief aus: Himmel und Erde! dieser Fuhrknecht? Ein Mensch, den Grundmann schwerlich anständig genug finden würde, nur in seinem Stalle zu dienen? –

Er stierte die Tochter an, doch diese sagte ganz kalt: So ist es, und wenn Du Dich nicht an den Gedanken gewöhnen kannst, daß dieser mein Mann wird, so laß uns hier Abschied von einander nehmen, denn ich sterbe gewiß bald.

Donner und Wetter! schrie der Vater, sich nicht mehr bemeisternd, und stürzte wie ein Verzweifelter aus dem Zimmer.

Als er nach einer halben Stunde durchnäßt zurückkam, denn er war im Regen um das Haus her in der größten Aufwallung geirrt, eilte er in seine Stube, sich umzukleiden, denn er bemerkte jetzt erst, wie er von Wasser triefe, und als er die Aufwärterin fragte, was die Tochter mache, fing diese an zu weinen und sagte: Ach! das arme schöne Fräulein liegt im Bette, sie ist zum Sterben krank, so leichenblaß, sie weint und klagt; was muß ihr nur zugestoßen seyn?

Der Alte zitterte vor Verdruß und Schreck, er eilte dann zur Tochter, die blaß und still weinend im Bette lag.

310 Er setzte sich zu ihr und sagte: Sieh, mein Kind, ich bin jetzt ruhiger, und überzeugt, daß dieser ganz extravagante Vorschlag nicht Dein Ernst seyn kann. Bedenke, daß wenn ich schwach genug wäre, einer solchen unerhörten Grille nachzugeben, wir uns dadurch von allen Freunden, Bekannten und Gesellschaften absonderten.

Und was thäte das? erwiederte sie mit mattem Tone: was sind uns alle diese Menschen, wenn vom wahren Glück die Rede ist?

Glück? könnte ein so ungeheurer Mißgriff, ein so völliges Mißverständniß seiner selbst, zum Glücke führen?

Ich sehe, sagte sie, alle jene klein-großstädtischen Gedanken, alle jene beweinenswerthen Lächerlichkeiten Deiner Umgebung, des Standes und Geldes sind Dir nachgefolgt. Das ist das Entsetzlichste im Menschen, daß er sich nicht von diesen Lastern und dem Aberwitz seiner Erziehung losmachen kann. Diesen Vorurtheilen opfert er Alles, Leben, Gewissen, Religion!

Wie Du sprichst! sagte der Vater, Du weißt selbst nicht, was Du hervorbringst. Und wäre Alles beseitigt, weißt Du denn, ob dieser Martin nicht schon längst verheirathet, oder ob er nicht mit einem Mädchen versprochen ist?

Nein, rief sie lebhaft aus, als Du neulich schliefst und er an einer schlimmen Stelle neben dem Wagen ging, fragte ich ihn: Martin, Ihr werdet wohl oft an Eure Liebste denken? Da lachte er so auf seine hübsche, feine Art, daß die reinen weißen Zähne hinter den vollen rothen Lippen hervorschienen. Nein, ich habe noch keine Liebste, und bin immer, da ich so arm bin, allen hübschen Mädchen aus dem Wege gegangen. Meine Mutter lebt noch, die ich durch meinen Fleiß ernähre, da der Vater nichts hinterließ. Die Mutter hofft auf mich, und, wenn mein kranker Herr gestorben ist, 311 so heirathe ich vielleicht seine Witwe, so alt und häßlich sie auch ist. Dann bin ich mein eigner Herr und kann meiner Mutter alles vergelten, was sie an mir gethan hat. – Aber ein so hübscher Bursche, wie Ihr, sagt' ich, sollte sich nicht mit einer so häßlichen Alten verbinden. – In unserem Stande, antwortete er mir, paßt es nur selten, daß man der Liebe oder Leidenschaft folgt: unser Leben ist ein hartes, – und, beschloß er, wollte ich einmal so wahnsinnig seyn, mich zu verlieben, so könnte ich ja vielleicht gar mein Herz an eine verlieren, die so hoch über mir stände, daß ich in Verzweiflung sterben müßte. Dergleichen ist auch schon vorgekommen. Mit einem traurigen Ernst stieg er wieder auf seinen Sitz und mir gab die letzte Rede wie einen Stich mitten in mein Herz hinein. Ich ging dem Zuge nach und immer weiter nach, und entdeckte nun zu meinem Schrecken, daß dieses mein Wohlwollen gegen den jungen Mann schon Liebe geworden war. Tag und Nacht hat mich dieses Gefühl gequält und glücklich gemacht. Und, Vater, sieh den Jüngling nur mit unbefangenem Auge an, so mußt Du gestehen, daß er der schönste ist, der liebenswürdigste und gewiß auch der edelste aller Menschen. – Sie umfaßte den Vater wieder und drückte ihn mit Thränen an ihr klopfendes Herz. Ihre Züge waren entstellt und krank, der Vater wußte nicht mehr, was er ihrer seltsamen Laune entgegensetzen sollte; er tröstete, er bat sie, wieder vergnügt zu seyn; er versprach endlich, wenn sie in den nächsten Tagen noch bei diesem unbegreiflichen Entschlusse beharre, auf Mittel und Wege zu sinnen, die dem mährchenhaften Abentheuer doch eine Gestaltung geben könnten, die dem Menschlichen und Anständigen etwas näher käme. 312



 << zurück weiter >>