Ludwig Tieck
Die Gesellschaft auf dem Lande
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der junge Baron war ebenfalls angekommen, so wie der alte Obrist aus Schlesien. Dieser hatte die Absicht, ein Gut, welches er dort in der Gegend besaß, seinem Jugendfreunde zu verkaufen; auch waren beide Partheien über die Präliminar-Artikel einig. Es war schon die Rede davon gewesen, daß nach der Vermählung der Bräutigam Adelheid's dieses benachbarte Gut beziehen sollte, und Franz, der bald mehr, bald weniger von diesen Verhandlungen mit anhören mußte, war entschlossen abzureisen, und würde auch seinen Vorsatz vielleicht schon ausgeführt haben, wenn Gotthold und Cajus ihm nicht immer wieder von neuem Muth eingeflößt hätten.

428 Der Geburtstag des Alten wurde festlich begangen. Die auffallendste Erscheinung auf demselben war die des Verwalters. Für gewöhnlich, da sein Zwickelbart, die langen Beinkleider und kurzen Stiefeln, so wie das Geschirr seines kleinen Pferdes noch immer den Husaren beurkunden sollten, trug er sein Haar, das von ungewöhnlicher Länge war, kurz zusammen gebunden, in einem dicken Zopfe. Heute aber hatte er es seiner Fesseln entledigt, und der bewickelte steife Haarzopf reichte ihm wirklich bis zu den Fersen. Er wußte, welche Freude sein Gönner an dieser Zier hatte, und darum zeigte er seinen ganzen Reichthum bei einer so feierlichen Gelegenheit. Die muthwillige Adelheid, um ihrem Vater zu schmeicheln, hatte sich, wie die schwäbischen Mädchen, das Haar in zwei langen Zöpfen geflochten, die in braunem Glanze auf dem weißen Nacken lagen. Um den Einfall gleichsam zu entschuldigen, hatte sie auch die übrige Tracht der der Schweizerinnen ähnlich zu machen gesucht. Die Bedienten trugen ebenfalls alle Zöpfe, und nur die jungen Fremden, so wie der Sohn des Hauses, und der ketzerische Binder zeichneten sich aus, den Jäger Walther noch hinzu gerechnet, bei welchem, zur Betrübniß des Barons, dieser Zierrath auf keine Weise anzubringen war, weil er so gut wie gar keine Haare hatte. Binder, der sehr empfindlich war, nahm heut jede Anspielung seines alten Freundes übel; ihn quälte die Sucht, einen originalen Philosophen vorzustellen, und er war sehr beleidigt, daß man ihm bei seinem veränderten Costüm keine tiefsinnigen, hinreichenden Gründe zutrauen wollte. Der Prediger hatte während dem Mittagsessen viel zu besänftigen, und manche Epigramme und beißende Antworten in die Bahn des gleichgültigen Gespräches zu lenken. Adelheid schien sich zum Besten des armen Verfolgten gegen ihren Vater zu erklären, und Römer, der an 429 Zopfwuchs alle, auch den Hausherrn, bei weitem übertraf, war im Bewußtsein seiner höhern Vollendung ganz stumm und ruhig, und achtete einige Scherze Gottholds so wenig, wie manche auffallende Behauptungen des Pfarrers.

Als man vom Tische aufgestanden war, machte sich Binder, der des ewigen Anspielens überdrüssig war, mit der Frage an den Prediger, um nur ein neues Thema in den Gang zu bringen: sagen Sie mir doch, warum das Gedicht von Dante die göttliche Comödie genannt wird; so viele ich auch darüber habe vernehmen wollen, hat mir doch keiner eine hinreichende Antwort geben können.

Das wundert mich, Herr Baron, antwortete der Pfarrer, da die Sache nichts weniger als ein Geheimniß ist. Den Beinamen der göttlichen, divina, hat ihr der Autor nicht gegeben, sondern er ist erst lange nachher von Abschreibern und Auslegern hinzugefügt worden, theils wohl um ihre Bewunderung, theils den Inhalt, der von göttlichen Dingen handelt, zu bezeichnen. Eine Comödie nannte Dante dies Gedicht, weil die Vision, ob sie gleich in der Hölle anfängt, doch im Himmel endigt, und also einen frohen Ausgang hat, und jede Geschichte, die sich glücklich beschließt, nannte man in jenen Zeiten, in denen man kein Theater hatte, eine Comödie.

Schon in der halben Rede hatte sich der eigensinnige Binder abgewendet, und sagte zu Römer, der ihm nahe stand: was die Gelehrten doch für wunderliches Volk sind, das schwatzt gleich und schwatzt, ohne Zweck und Ziel. Wer hat nun hier von dieser weitläufigen Notiz etwas wissen wollen?

Als wenn er seine Schulkinder vor sich hätte, antwortete Römer; das fehlte noch, daß die Comödien zur heiligen Schrift gerechnet würden. Aber freilich, er liest sie gern, 430 besucht auch in der Stadt das Theater gar fleißig, wenn er einmal hinreisen kann. Göttliche Comödie! Das hätte der vorige Probst hören sollen. Der würde ihm darauf geantwortet haben.

Dein Nebenbuhler, sagte Gotthold zu Franz, kann eben so wenig eine Antwort, als eine Frage vertragen; er sollte nur mit Taubstummen umgehn, die durch Zeichen alles erklären.

Man setzte sich wieder; der Saal war ziemlich angefüllt, denn auch die Frau des Predigers und seine unerwachsenen Kinder waren zugegen. Römer spielte mit der Frau des Hauses Schach und der Baron saß im Lehnstuhle, tief denkend, ihm gegenüber der Obrist, Gotthold und Franz. Binder hatte sich zu Adelheid gesellt, und der Prediger näherte sich bald dieser, bald jener Partei, je nachdem ihm das Gespräch der Redenden interessant vorkam. Die Kinder, die noch einige aus der Nachbarschaft herbei geholt hatten, haschten sich in ziemlicher Ruhe und Ordnung mit einigen jungen Kätzchen, die sich spielend im Saale umtrieben.

Ei ja, fing der Hausherr laut an, es ist bald etwas daher gesagt, vom Geiste der Zeiten, den doch keiner gesehen hat, denn oft ist es nur ein Lappen im Winde, den ein altes Weib für ein Gespenst ausruft. Soll man sich vor Vogelscheuchen demüthig verneigen? Nichts leichter, als eine Tracht, eine Sitte, ein Abzeichen zu verschreien, und es vor der sogenannten Vernunft lächerlich zu machen. Was weiß diese denn überhaupt, wenn man sie darum frägt, von Kleidung, Uniform, Handschuh, Port d'Epee, oder Cocarde, und doch kann alles dies zu Zeiten nützlich, heilsam und nothwendig seyn, ja, wenn ihm ein Volk, eine wichtige Begebenheit, ein großer Enthusiasmus Bedeutung unterlegt, eine Art von heiliger Autorität gewinnen.

431 Binder, der ihm gegenüber mit Unruhe saß, und schon merkte, worauf diese Einleitung hinaus wollte, sagte mit Laune: ei! seht doch den neuen Zopfprediger!

Der Mann, wandte der Pfarrer ein, wurde des Zopfes wegen verfolgt, weil er seinem Zeitalter zuvor eilen wollte, die Welt war für seine Neuerung noch nicht reif genug.

Im Schachbieten hielt Römer inne, indem er von der Seite her ausrief: Unterschied der Stände, Herr Pfarrer! Nur ums Himmels Willen nicht Alles durch einander geworfen. Dem Geistlichen seine Perücke! Sie tragen aber auch schon keine mehr. Das hat Frankreich damals gestürzt. Als wenn ich wie der Schulze einhergehen wollte.

Wir wollen diese Betrachtungen jetzt liegen lassen, fuhr der Baron fort. Nach dem dreißigjährigen Kriege war unser Deutschland gewiß im traurigsten Verfall; es konnte ein Wunder, eine Gnade Gottes genannt werden, daß es nicht völlig unterging und eine Beute von Ausländern und Abentheurern wurde. Da fing das französische Unwesen an, die Welt zu beherrschen. Sprache, Sitte, Compliment, Mode, Halskrausen, Schuhe, Degen, wurden von dort geholt; wer von Adel, Bürgerstand, Kaufmannschaft, Jugend und Alter etwas gelten wollte, mußte parliren, es war seine Aufgabe, zu vergessen, daß er ein Deutscher war. Und ein Jammer war es freilich, daß in den Reichsstädten, Provinzen, kleinen Nestern sich ein deutsches Wesen verbreitete, das im Gegensatz gegen den neuen Geist der Zeit nichts weniger als erfreulich war. Dort führte man ein rechtes Winkelgassenleben. Das Franzosenthum prangte, und sein vornehmstes Abzeichen bestand in jenen verfluchten Allongeperücken, die sich mit jedem Jahre höher aufbauschten, in mehreren Locken niederwallten, und Rücken und Hüften deckten, indem sie oben nach den Wolken strebten, wie allgewaltige Nester, um zwanzig Adler zu 432 beherbergen. Solche Haarstauschkonfusion trug selbst unser großer Churfürst in seinen letzten Jahren, unser erster König wandelte in solchem Lockenmantel, und es that in Europa Noth, neue Bauernkolonieen anzupflanzen, der Haarschur wegen, denn jeder Reiche und Vornehme verbrauchte, was auf zehn, Magnaten und Potentaten. was auf fünfzig Menschenköpfen an Perückenstoff wuchs, und die Aermeren mußten schon zu Wolle, Flachs, ja Glas und den seltsamsten Dingen, aus Mangel der zu theuren Haare, ihre Zuflucht nehmen.

Schade, sagte Gotthold, daß die aus Glas gesponnenen Perücken nicht allgemein Mode wurden. Wie hätten sich die Glaser beim Auflauf gefreut, daß sie nun nicht bloß Fensterscheiben einzusetzen, sondern auch Köpfe einzurichten hätten, und wenn ein glücklicher Wurf des Studenten nicht bloß die Stube seines Professors öffnen, sondern diesen selbst gleich kahlköpfig machen konnte.

Der Baron, der sich ungern stören ließ, sah ihn mit einer gewissen Verachtung an. Von Scherz und Schwank ist hier keine Rede, fuhr er fort, sondern ich will nur andeuten, wie in diesen ungeheuren Verhaarungen das ganze Wesen jener Tage sich aussprach. Wie keiner sich mit diesem luftigen Babel auf dem Kopfe schnell bewegen und rühren, reiten, arbeiten und sich erhitzen konnte, so lag auch die ganze Welt in ihren Geschäften und großen Angelegenheiten recht eigentlich lahm. Was that denn nun unser herrlicher Friedrich Wilhelm der Erste, den der Brandenburger und Preuße nie genug loben kann, als er zuerst in Europa diesen alten künstlich zusammengekitteten Schabernack von seinem denkenden Kopfe riß? War es denn etwa bloß ein Gelüste, sich eine schwarze Stange im Nacken zu befestigen, um anders, wie die übrigen Menschen, auszusehen? Nein, meine Freunde, als er diesen Ersten Dukaten mit seinem Bildnisse prägen 433 ließ, ohne Perücke, mit dem Zopf, diese Münze, die jetzt rar geworden ist und die ich aus Verehrung immer bei mir trage, sehn Sie, da sagte er seinem Vaterlande und der Welt: ich will wieder ein deutscher, ein rüstiger Mann seyn, mit mir soll eine neue, bessere Zeit beginnen, wir wollen uns wieder rühren und den alten Aberglauben abschütteln. Dies hat er auch durchgesetzt, und sein größerer Sohn hat das vollendet, was er anfing; und darum ist dies Abzeichen der Nation, welches alle Völker nachher so viele Jahre einen preußischen Zopf nannten, so ehrenvoll, wie nur jemals ein Merkmal gewesen ist, an dem man eine tapfere Menschenart erkannte, die ihre Mitwelt mit sich emporhob, die Feinde besiegte, einem ganzen Zeitalter Gesetze vorschrieb und ihr ein neues Gepräge aufdrückte.

Alle betrachteten den merkwürdigen Dukaten mit mehr oder minder Aufmerksamkeit, den der Baron in der Gesellschaft umhergehen ließ.

Das hat unsere Armee groß und furchtbar gemacht, fing der Baron wieder an, daß die Könige und Generäle mit diesem, wie mit andern Zeichen, die dem Leichtsinnigen gleichgültig oder gar lächerlich erscheinen mögen, eine Tapferkeit für alle Proben, ein unüberwindliches Ehrgefühl, eine unsterbliche Liebe zum Vaterlande verknüpfen konnten. Als uns Polen neulich zufiel, sah ich, wie der Unteroffizier bei den Rekruten umging, und nach dem Maß die Zöpfe verkürzte, oder längere einsetzte; da traf er auf etliche, die hatten so krause eigensinnige kurze Wolle dicht unter dem Nacken, daß kein Zopf daraus hervorwachsen konnte, ja sich nicht einmal ein falscher einlegen ließ. Damals sagte ich, und wiederhole jetzt, diese Leute gehören nicht zu uns, sie können niemals Preußen werden.

Hier wurde er in seiner Prophezeiung auf eine 434 sonderbare Weise unterbrochen, so daß die ganze Gesellschaft aufsprang und zu ihm eilte. Das Wort erstarb ihm nehmlich plötzlich im Munde, der Kopf sank hinterwärts zurück, und er gurgelte einige unvernehmliche Laute. Der Schlag hat Sie gerührt, mein Schatz! sagte die gnädige Frau in der höchsten Bewegung; der Pfarrer hatte die Hand ergriffen, den Puls zu prüfen, und Adelheid lief nach stärkendem Wasser. Aber nur ein Augenblick, und der Baron fand seine Stellung und Sprache wieder, und die Sache klärte sich lächerlich auf. Die Kinder hatten schon lange mit Vergnügen bemerkt, wie die Kätzchen hinter den Zöpfen herliefen, die sich beim Reden auf der Erde hin und her bewegten; der Hausherr hatte es selbst belächelt, daß die Thierchen die Haarzier seines Amtmanns zu erwischen suchten, sie dann im Maule wegtragen wollten, und doch wieder mußten fahren lassen, von welchen Anstrengungen, die hinter seinem Rücken vorfielen, der Schachspieler indessen nichts bemerkte. Jetzt hatten die Kinder im Hintergrunde des Zimmers ein anderes Spiel angefangen, und durch den großen Lehnstuhl, in welchem der Baron saß, waren sie von der Gesellschaft abgesondert und sicherer gemacht. In dem einsameren Raume spielten sie Spazierengehn und Besuche machen; die Tochter des Predigers, ein wildes Kind von sieben Jahren, stellte den Bedienten vor, und sollte ihre Herrschaft in einem fremden Hause anmelden. Als Klingel schien ihr der rückwärts hangende Zopf des Barons das bequemste Möbel, und so wenig wie den Kätzchen fiel es ihr ein, daß der Inhaber ihr Spiel bemerken könnte, weshalb sie so muthig und kräftig an dem eingebildeten Hause klingelte, daß sie den Kopf des Redenden hinten über riß und ihm auf einige Augenblicke Sprache und Besinnung raubte.

Als sich das Geheimniß enthüllt hatte, führte die Frau 435 des Predigers, selbst am meisten bestürzt, die Kleine aus der Gesellschaft nach Hause, und Herr von Binder, der den Vorfall mit einiger Schadenfreude bemerkt hatte, sagte: so kann eine so löbliche Anstalt eines Klingelzuges, womit der ehrwürdige Zopf wohl Aehnlichkeit hat, doch auch seine Nachtheile haben. Die beste Rede wurde Dir darüber im Halse erwürgt. Und wenn sich die Griechen schoren, um vorne nicht beim Schopf von ihrem Feinde ergriffen zu werden, so könnte im Gegentheil ein neuer Simson ein halbes Bataillon preußischer Grenadiere an den Zöpfen wie Füchse zusammen knüpfen, und sie so als einen unermeßlichen Rattenkönig zur Gefangenschaft hinter sich schleppen.

Diese Aeußerung und das widerwärtige Bild waren für den patriotischen Hausherrn zu stark, er stand unmuthig auf, und verließ die Gesellschaft, die sich auch zerstreute, um sich erst am Abend wieder zu versammeln.


Sie liebt ihn! rief Franz, indem er tobend in seinem einsamen Zimmer hin und wieder sprang; sie liebt, das leidet keinen Zweifel mehr, den abgeschmacktesten aller Menschen! Kann es seyn, daß sich ein edles Gemüth auf eine so ungeheure Art verirrt? Und der Elende nimmt die Huldigungen des schönen Wesens nur so an, als dürfte es gar nicht anders seyn.

Cajus und Gotthold suchten ihn zu beruhigen, aber vergebens. Der Bruder wollte an diese Verkehrtheit seiner Schwester nicht glauben, und Gotthold sagte, halb lachend, halb bekümmert: so nimm nur etwas Vernunft an in Deiner angenehmen Raserei. Du bist nun einmal im Fegefeuer der Verliebtheit, Du bist selbst freiwillig mit gleichen Beinen hinein gesprungen, darum renne nur wie ein Eichkätzchen in 436 Deinem Rade hin und her, ohne von der Stelle zu kommen, aber nicht so gewaltsam, daß der Käfig selbst in Stücke bricht. Es scheint wirklich, als wenn sie den Ritter, der mit dem Zeitgeiste fortschreitet, liebt, aber dafür ist sie auch ein Weib, und launenhaft, und thut doch vielleicht alles nur, um Dich oder den Vater zu ärgern. Denn wer kann wohl ein Mädchen ergründen, wenn sie ihren Kopf aufsetzt? Und sage, was Du willst, es ist nur Deine eigene Schuld: wer lieben will, sei liebenswürdig! Das versichere ich Dich, begebe ich mich einmal in solch Abentheuer, so bin ich so reizend, so wunderbar schön, so geistreich, witzig, überquellend von den zartesten Empfindungen, daß ich die Geliebte, stelle sie sich, wie sie wolle, mit unwiderstehlicher Gewalt in meinen Zauberkreis reiße und sie magisch bändige. Zu Füßen müßte sie Dir ja liegen und um Deine Liebe flehen, Deine Knie umklammernd schreien: o verlassen Sie mich doch nicht, edelster aller Menschensöhne! Tigerthier in Jünglings-Physiognomie, warum wollen Sie mich denn in meiner Leidenschaft, wie einen Fisch auf dem Trocknen, abstehen lassen? Erbarmen, holdseliger Wütherich! So müßte sie zu Dir emporjammern. Aber Du klimperst und gimpelst um sie herum, sprichst nicht halb, nicht ganz, seufzest so ordinär, und verdrehst die Augen nur so mittelmäßig, als wenn man nach dem Wetter sieht. Wenn's einmal bei Dir rappelt, Schatz, so benutze das doch, und zeige ihr Deine Virtuosität im Rasen, vielleicht ist sie davon Liebhaberin, und hat Geschmack für das Verrückte. Kannst Du nicht ein Liebeslied improvisiren, und zum Accompagnement die Fenster entzwei schlagen? Oder so trampeln, wie Du gegenwärtig thust? So staccato, und im reißenden Allegro, es macht Effekt. Wäre nur ein anderes Weibsbild im Schlosse, mit der Du sie eifersüchtig machen könntest, ja wenn selbst die Fanchon nur 437 etwas hübscher wäre: so würde ich diese, zum Exempel, malen, und sehen, ob die Adelheid darüber in das Gelbe und Grüne spielte.

Franz war über diese Trostrede nur noch wüthender geworden, so daß er jetzt sein Malergeräth nahm, und es durch die große Scheibe des Fensters schleuderte. Halt! sagte Gotthold, so den alten Gärtner, der unten kriecht, zu treffen, ist keine Kunst; das kann jeder, der auch nie mit dem Pinsel getüpfelt hat.

Das Klirren des Glases hatte den Gärtner aufmerksam gemacht, und den Bedienten herbeigeführt. Sie sammelten von den Orangebäumen die Farben und Pinsel wieder auf, und Gotthold und Cajus waren um eine Ausrede verlegen, denn Franz war so aufgebracht, daß ihm alles gleichgültig blieb.

Der Jäger brachte den Malkasten wieder herauf, und verwunderte sich, die drei jungen Herren im Zimmer zu finden. Gotthold sagte lachend: das kommt vom Balgen, und wenn man noch immer nicht den Studenten vergessen kann. So stieß mich der junge Baron ins Fenster, und ich die ganze Kunstgeschichte hinaus. Habt Ihr nicht auch unten das Trampeln gehört?

Der Gärtner wohl, sagte der Jäger. Erst hat er gedacht, es würde ein Gewitter aufziehn. Aber keine Wolke am Himmel.

Nein! nein! fuhr Gotthold fort, wir drei machen uns zuweilen solche Motion. Die Beine wüthen in der Jugend gern, so lange sie noch keine Gicht spüren.

Laßt den Glaser holen, fuhr er fort, als sie allein waren, und komm mit uns, um zu spazieren, oder Dich drüben, bei Deinem Freunde Römer, zu zerstreuen.

Die jungen Leute waren erstaunt, den alten Amtmann 438 in Thränen zu finden, indem ihn der Baron sowohl wie der Obrist zu beruhigen suchten. Ich gebe Ihnen mein Wort, sagte der Letztere, daß ich allen meinen Einfluß beim General so gut wie beim Kriegsminister anwenden will, daß, wenn der Fall eintreten sollte, den Sie gewiß ohne Noth befürchten, alle Untersuchung niedergeschlagen werde. Nach so vielen Jahren, und es sind ja vierzig seitdem verflossen, wird man aber einen so alten würdigen Mann überhaupt nicht in Anspruch nehmen.

Wenn ich nur meinen vollständigen Abschied hätte! seufzte Römer.

Beruhigen Sie sich, alter Freund, sagte Cajus, indem er ihn umfaßte, Ihrer Angelegenheit wegen habe ich mich drei Tage länger in Berlin verweilt, und der General, der die gnädigsten Gesinnungen für Sie hegt, hätte Ihnen durch mich gern einen vollkommen authentischen Abschied gesendet. Aber, so sehr wir auch alle Regimentslisten von 1755, 56 und die folgenden Jahre, bis nach dem Abschluß des Friedens durchsahen, ein mühsames Geschäft, in welchem uns die Schreiber halfen, so war doch Ihr Name nirgend aufgeführt. Darum verweigerte mir der General den Abschied, da Sie nirgend eingezeichnet stehn.

Unbegreiflich, sagte Römer: er hätte aber zur Beruhigung eines alten Mannes wohl ein Uebriges thun können, und von der Form etwas abgehn. Es wäre doch zu erschrecklich, wenn ich als Greis noch einmal der Regimentsstrafe als Ausreißer verfallen sollte. Und kann mich nicht ein andrer General einmal schikaniren?

Gewiß nicht, sagte der Obrist, da Sie durch einen wunderbaren Zufall nicht in den Regimentslisten stehen, so kann nie Nachfrage nach Ihnen geschehen. Denn wie wollte man es Ihnen beweisen, daß Sie im Dienst gestanden 439 haben? Nein, alter braver Kamerad, trocknen Sie Ihre Thränen, und sagen Sie uns, wie sind Sie Husar geworden, und wie kam es, daß Sie, bei Ihrem Enthusiasmus für den Stand, doch austraten?

Herr Obrist, sagte Römer, zu beiderlei wurde ich gezwungen. Verzeihen Sie, mein gnädiger Gönner, wenn ich Ihnen einen Jugendstreich mittheile, dessen ich mich mein ganzes Leben hindurch geschämt habe, den ich noch jetzt in einsamen Stunden bitter bereue. Mein Vater starb früh, meine Mutter, deren einziges Kind ich war, verdarb mich durch übertriebene Liebe. Ich hatte schon einige Schulen besucht, war auf keiner fleißig gewesen und war von jeder wegen meiner muthwilligen Streiche weggewiesen worden. Es fanden sich Kameraden, die eben so dachten. wie ich, und die nächsten Straßen, wo wir in Berlin wohnten, kannten uns und fürchteten sich vor unsern Ungezogenheiten. Ich konnte mich zu keiner Bestimmung entschließen, obgleich ich schon neunzehn Jahre alt war, und dünkte mir, so sehr ich Taugenichts war, Wunder was Rechtes zu seyn. Es trieb sich ein alter Jude in der Stadt um, mit greisem langen Barte, den er nach Art seiner polnischen Glaubensgenossen trug, und der auf diesen seinen Bart, der ihm über die Brust reichte und fast sein ganzes Gesicht beschattete, sehr eitel war. Ich und mein wildes Gefolge hatten uns diesen Alten schon lange zur Zielscheibe unsers groben Witzes ausersehn, denn es gehörte zu der Albernheit unsers Wesens, die Juden zu verachten und zu verfolgen; ja wir glaubten, so wenig wir auch vom Christenthume wußten oder übten, unserer Religion einen Dienst damit zu leisten, wenn wir auch ehrwürdige Männer der Israeliten lästerten, oder, wenn wir es mit Sicherheit thun konnten, mißhandelten. So gelang es uns, diesen braven Mann in das Haus, unter 440 irgend einem Vorwande, zu locken. Er erschrak, als er mich und die übrigen erkannte, und wohl mit Recht, denn wir ergriffen ihn sogleich, banden und knebelten ihn, so daß er nicht schreien konnte. Alles war zu unserm abscheulichen Frevel schon bereit gestellt. Mit Pech und Theer (vergeben Sie, verehrte Freunde, daß ich mich Ihnen in meiner ganzen Abscheulichkeit zeige) wurde der ganze Bart, so wie Haar und buschichte Augenbraunen eingeseift, alles in einander frisirt, so daß der Greis einen eben so fürchterlichen als widrigen Anblick gewährte, und so aufgeschmückt stießen wir ihn wieder auf die Straße und an das Tageslicht hinaus. Die ganze Fischerstraße, ganz Cöln gerieth in Aufruhr. Der Arme wußte nicht, wohin er sich retten sollte. Erst hundert, nachher wohl tausend Gassenjungen verfolgten ihn heulend, schreiend durch die Stadt, bis zur Spandauer Straße. Er wurde noch mehr gemißhandelt, so daß endlich die Wache herbeikommen und ihn schützen mußte. Was uns ein herrlicher Spaß geschienen hatte, gewann aber bald ein ganz anderes Ansehen. Die ganze Judenschaft kam klagend ein, und die Obrigkeit nahm die Sache höchst ernsthaft. Zwei von meiner Rotte entflohen, und der dritte kam in das Zuchthaus, nachdem er an dem Pranger gestanden hatte und ausgepeitscht war. Mich rettete von diesem Elend ein Wachtmeister, den ich schon seit lange kannte, und der mich immer zum Rekruten gewünscht hatte. Ich ließ mich bei den Ziethenschen Husaren einkleiden, und da der siebenjährige Krieg eben ausbrach, so wurde jede Untersuchung in Ansehung meiner Person abgewiesen, und ich rückte mit dem Regimente aus. Mein Hauptmann, ein roher, wilder Mensch, freute sich über diese Geschichte, ich mußte sie ihm oftmals in Gegenwart seiner Kameraden erzählen, und ein schallendes Gelächter unterbrach mich bei jedem Worte. Der Schwank, wie die 441 Herren die Bosheit nannten, trug mir manchen Thaler Trinkgeld ein. Sie meinten, ich sei vom Himmel so recht eigentlich zum Husaren geschaffen, roh, wild, unmenschlich müsse ein solcher seyn. So unaufgeklärt, so abgeschmackt dachten damals auch noch Leute von Stande. Unser Vater Ziethen war freilich ein ganz anderer Mann. Leutselig, milde, fromm, ein Feind aller wüsten Streiche, und ein Bestrafer der Bosheit, auch wenn sie in Feindes Land ausgeübt wurde, so zeigte er sich immer, wenn dergleichen vor sein Ohr kam. Er, der große Held, zeichnete mich bald aus. Auch ward ich mit Gottes Hülfe ein ganz anderer Mensch. Im Verlaufe des Krieges war ich bei den meisten gefährlichen Dingen und den großen Schlachten zugegen. In den letzten Jahren hatte ich's bis zum Wachtmeister gebracht. Als nun Friede wurde, und wir zurück kamen, wurden dann die Regimenter ergänzt, und das meinige hatte ganz vorzüglich gelitten. Da wurden nun Offiziere gebracht und Gemeine, möcht' ich doch sagen, von allen Ecken der Welt, und mir wurde ein junger Cornet vorgesetzt, der noch niemals Pulver gerochen hatte. Das Bürschchen wollte alles besser wissen, selbst den Hauptmann und Major tadeln, ja es nahm sich heraus, über unsern ehrwürdigen Feldherrn zu spotten. Vater Ziethen erfuhr davon nichts, hätte auch wohl nur darüber gelächelt, wenn er es gewußt hätte. Ich aber, der ich jünger und feuriger war, konnte den Unfug nicht vertragen. Ich setzte das junge Herrchen darüber zur Rede, und nun schwur er mir alles Bittere und Böse. Der Offizier, wenn er will, kann seinen Untergebnen auf das Aeußerste treiben. Ich hatte Verdruß über Verdruß. Bei einem Manöver, als wir nicht weit von der sächsischen Grenze waren, nahm ich meinen Vortheil so gut in Acht, daß ich mich mit dem Naseweis allein befand. Ich forderte Genugthuung, er wollte 442 ausweichen, drohte, gab gute Worte, aber ich zwang ihn endlich, den Säbel zu ziehn. Er war unerfahren, mochte nicht Muth im Ueberfluß besitzen, kurz ich traf ihn mit einem Hiebe in der Achsel, daß ihm der Degen aus der Hand fiel. Ich sah schon Husaren herbeisprengen, schnell wendete ich um, und war im Sächsischen. Hier verbarg ich mich und fand bald einen würdigen Amtmann, wo ich die Oekonomie lernte. Nach Jahren wagte ich es denn, in mein geliebtes Vaterland zurück zu kommen. Erst hielt ich mich im Schlesischen auf. Jetzt bin ich seit sechszehn Jahren auf diesem Gute, auf welchem unser Herr mich nicht als Diener, sondern als Freund behandelt. Sehn Sie, Herr Obrist, so ward ich aus Noth Soldat, und eben so aus Zwang verließ ich den geehrten Stand wieder. Sie können nun aber wohl auch begreifen, warum ich so sehr wünsche, einen förmlichen Abschied vom Regiment in Händen zu haben, damit ich die letzten Jahre meines Lebens ruhig hinbringen könne, und böse Träume mir nicht mehr Gefangenschaft und schimpfliche Strafe in den langen Winternächten vorführen mögen.

Der Obrist erwiederte nach dieser Erzählung: wackrer Mann, wie edel, daß Sie so von den wilden Tagen ihrer Jugend selber sprechen können. Das ist mehr als eine gewöhnliche Besserung. Das Gute muß schon immer, auch in den frühesten Jahren, in Ihrer Seele geschlummert haben.

Wissen Sie, rief der alte Husar mit der größten Lebhaftigkeit aus, wem ich Alles zu danken habe? daß ich ein Mensch, und daß ich ein guter Mensch bin?

Nun? sagte der Obrist; Sie machen mich begierig.

Ihm, sprach jener mit Enthusiasmus weiter, unserm Gellert, unserm frommen Weisen, von dem die jetzige überkluge Zeit nur noch selten sprechen mag. Unser Regiment war dreimal in Leipzig. Der große Friedrich hatte es auch nicht 443 verschmäht, den damals berühmten Gottsched zu sprechen, und sich von Gellert einige seiner Fabeln vorlesen zu lassen. Ich hatte mich wahrlich nicht viel um Bücher bekümmert, aber diese Fabeln wußte ich doch auswendig. Sie prägen sich auch ganz von selbst dem Gedächtnisse ein, so einfach und natürlich sind sie alle. Jedermann muß meinen, wenn er den Gedanken gefaßt hätte, würde er ihn auch in keinen andern Worten ausgesprochen haben. Mit seinen geistlichen Liedern ist es derselbe Fall. So ließ es mir keine Ruhe, ich mußte den Mann sehen, den mein ganzes Herz verehrte. Es war freilich schwer, bei ihm vorgelassen zu werden: wie konnte ich auch, als gemeiner Husar, eine solche Auszeichnung fordern oder erwarten? Indessen sammelte ich an einem Vormittage meinen Muth, ich hatte seine Freistunden ausgekundschaftet, und stand nun im Vorzimmer. Mir schlug das Herz gerade so, als damals, da ich das erstemal in den Feind einhauen sollte, vielleicht noch mehr. Er mußte sich gewiß verwundern, was ein Soldat bei ihm wolle, denn es dauerte lange, ehe ich eine Antwort erhielt. Endlich kam denn die Erlaubniß, daß ich das Heiligthum betreten durfte. Ja, meine Herren, ich nenne dies Studierzimmer gewiß mit Recht so, denn mir war es, als wenn ich zu den Aposteln oder Patriarchen eingehen sollte. Er saß in einem dunkeln Oberrocke an seinem Schreibtische, ein kleiner, feiner Mann, mit blassem Gesicht und magerem Körper. Die Perücke hing seitwärts an der Wand, und ein Käppchen von violettnem Sammt bedeckte das ehrwürdige Haupt. Hinter ihm war ein hohes Fenster in der Mauer, durch welches der kräftige Morgenstrahl fiel, und die Mienen hell erleuchtete, so daß die Sonne in der Farbe des Barettes spielte, und roth in den durchsichtigen langen Fingern schien, wenn er sie im Sprechen aufhob. Ich kam mit meiner Entschuldigung, er möge 444 verzeihen, daß ein junger Husar, dem seine Gedichte wohlgefielen, ihm beschwerlich sei. Mein Sohn, sagte der edle Gelehrte, weshalb gefallen Dir denn meine Gedichte? – Ich war um die Antwort verlegen. – Liesest Du gern? – Zuweilen. – Zu welchem Endzweck? – Um mich aufzuheitern, mich auch wohl zu unterrichten. – Du scheinst mir ein Jüngling von Anlagen, fuhr er fort, Du bist vielleicht tapfer, ein tüchtiger Soldat; hast Du es denn in Deinem Stande auch wohl gelernt, ein Mensch zu seyn? – Ich verstummte, dem Redner gegenüber. – Dazu, so sprach er weiter, und wie eine Glorie spielte der Schein der Morgensonne um sein Antlitz, dazu solltest Du meine und andere gute Bücher in die Hand nehmen, um nicht wild, grausam, unmenschlich zu werden, nicht Lust am Entsetzlichen zu empfinden, wozu Dein Stand schwache oder rohe Naturen nur zu leicht verleitet. Aber auch fast Niemand hat so oft als der Soldat Gelegenheit, der leidenden Menschheit als ein Engel des Herrn zu erscheinen, indem er die Unschuld und das hülflose Alter beschützt, seine Hände vom Raube rein erhält, den schon Gedrückten, Geplünderten schont und sich seiner Armuth erbarmt. Wo die wilden Genossen Brand, Mord und Wollust hintragen, da soll der christliche Krieger im Bewußtsein, daß er für Vaterland, gerechte Sache und einen großen König ficht, auch im Getümmel, auch unter den wilden Raubgesellen Gott und die Tugend vor Augen haben, damit er das Vorrecht seines Standes, welches der edelste seyn sollte, nicht mißbraucht, um ihn unter den Räuber und Mörder herabzuwürdigen. Die Thränen des Dankes, die ein geretteter Greis, eine sittsame Jungfrau Dir weint, diese, mein junger, lieber Sohn, werden Dir noch im Alter wohlthun, die machen Dein Todesbett sanft, die vergüten wohl manche Vergehung. – So wie der Alte so 445 auf mich einredete, stürzten mir die hellen Thränen in großen Tropfen aus den Augen, denn nun empfand ich erst, wie viel Böses, Unerlaubtes und Tadelnswürdiges ich schon als Soldat ausgeübt hatte. Ich schluchzte und konnte nicht zu mir kommen. Da stand der Edle auf, legte mir seine schöne Hand auf meine Schulter, und wollte mich trösten; ich aber faßte diese Hand, und drückte den herzlichsten Kuß darauf, indem ich die Sprache wieder fand und sagte: großer Mann, diese Viertelstunde ist mir unbezahlbar, denn Sie haben einen andern Menschen aus mir gemacht. – Von Stund' an schlug ich auch in mich, ließ das wilde Leben fahren, und seitdem konnte ich auch erst mit Vernunft tapfer seyn, da mein Umtreiben im Felde nicht mehr ein toller Rausch und Taumel war, wie er die meisten meiner Kameraden begeisterte. Vater Ziethen zeichnete mich auch bald aus, ich war mit mir selbst zufrieden, und nun wurde ich es erst inne, daß dieses Gefühl die Krone des Lebens sei. Dies Alles, meine ganze Moralität, habe ich diesem Besuche bei unserm unsterblichen Gellert zu danken.

Der umschwärmende Binder trat jetzt zur Gesellschaft. Ich habe, Alter, Deinen Schaafstall besucht, rief er im Hereintreten; aber da finde ich ja noch alle die alten Vorurtheile, Einrichtungen, die wir schon seit lange mit Recht abgeschafft haben.

Ich kenne Dich gar nicht wieder, antwortete der Baron: Du, der gesetzte Mann, bist ja ganz zum Haselanten geworden; da sieht man, wie wenig gleichgültig es ist, ob man diesen oder jenen Rock, ob man das Haar so oder so trägt.

Nun, sagte jener sehr lebhaft, was Schaafzucht betrifft, da werde ich doch wohl nicht bei Dir in die Lehre gehen sollen. Den Zopfwuchs Römers magst Du beurtheilen 446 können, aber die Wolle wächst nicht solchen patriotischen Reminiscenzen zu gefallen.

Deine Schaafe, erwiederte der Baron, sind die besten in der Provinz, das kann Dir kein Mensch streitig machen, aber Du selbst bist auf dem Wege, zu Grunde zu gehen.

Raucht ihr denn nicht, Menschenkinder? rief Binder, dem sein Bedienter jetzt eine lange Pfeife herein trug: Römer, seid Ihr denn aus der Art geschlagen? Herr Obrist? Denn der Alte, das weiß ich, darf es seiner Frau wegen nur selten versuchen.

Römer hatte nur auf eine Einladung gewartet. Er theilte aus seinem Vorrathe allen die Pfeifen aus, indem er sich die längste vorbehielt, auch der Baron rauchte, nur Franz, der den Tabak haßte, hatte sich entfernt. Gotthold versuchte sein geringes Talent, und Cajus, der seine eigene Schwäche kannte, hatte nur die Miene eines Rauchenden.

Wunders genug, fing Binder wieder an, daß Du heut in Deinem Zopfkollegium, alter Professor und Baron, nicht jener Tabagie, jenes Rauchkollegii ebenfalls rühmlich erwähnt hast, welches der erste Friedrich Wilhelm auch gestiftet, und durch seine Autorität das Tabakrauchen veredelt hat. Denn man denke, wie man wolle, man lebe, wie es sich schickt, man hege Meinungen, noch so bizarr, oder freventlich, so bleibt das Eine doch ausgemacht: das Rauchen macht erst den Mann, den Deutschen und vollends den Preußen. Sieh, Alter, wenn Du nur mehr rauchen dürftest, so würdest Du auch reifer und tiefsinniger denken. So wie der Mensch, scheinbar unbeschäftigt, den Rauch vor sich hinbläst, der sich kräuselt, aufsteigt, windet und verschwindet, so folgen ganz von selbst die feinsten Gedanken aus dem Kopf nach, und repräsentiren sich auf diesen Wolken, als dem ätherischen Grund des sublimen Gemäldes. Und immer 447 ergänzt sich die verschwindende Hinterwand, und eben so die neuen Einsichten. Wer nicht denken kann, rauche nur, und er findet seine eigene Seele. Ruach nennt sie der Ebräer: Rauch.

Ei! wie gelehrt! sagte der Baron ironisch.

Das hab' ich eben von Deinem Prediger, einem trefflichen Manne, gelernt, antwortete Binder, der nur den Fehler hat, daß er sich gern reden hört. Aber, Alter, sieh, wie Du und Römer jetzt ehrwürdig da sitzen und stehen. So ist der Mensch erst Mensch und erfüllt vollkommen seine Bestimmung. Vorn die lange Pfeife, erhaben, groß gestaltet, sein wahres Denkorgan, das Kennzeichen seines Tiefsinns, Rauch ausströmend. Und am besten jene baumstarken Rohre, die zugleich zu Stützen und Knütteln dienen können. Hinten herabhangend der mächtige patriotische deutsch-preußische Zopf, der nieder geht, so wie der Kopf sich stolz zurück wirft, der sich erhebt, so wie der Denker demüthig den Sand beschaut. In der Mitte zwischen Zopf und Pfeife der Mensch nun selbst: vollständig aufgetakelt als veritabler Dreimaster, tiefsegelnd, ausgerüstet, so daß jeder seine Flagge, den dreieckigen Hut, die Cokarde auf dem Zopf oben, respektiren muß. Das müßte und sollte das Costüm seyn, um wichtige Handlungen des Lebens zu verrichten, so sollte der Mann an den Traualtar und als Pathe an den Taufstein treten, so zu Hofe gehen, so in der Fremde sich den vornehmen Gesellschaften vorstellen lassen. Aber wir bleiben einseitig, hierin, wie in allen Dingen, und meinen, der Zopf soll es allein ausmachen; wenn aber das Gegengewicht der Pfeife mangelt. so fehlt Harmonie und Ebenmaß, das Haar wird übermüthig, der Kopf sinkt zu stark hinten über, wie wir es heut an unserm Wirthe haben erleben müssen, und die ehrwürdigste Sache schlägt zum Spaß und Spott aus.

Es giebt mehr Leute, bemerkte der Baron, die sich gern sprechen hören.

Wahrscheinlich wäre die Unterredung lebhafter, wohl gar ein Streit geworden, wenn der Diener nicht jetzt gemeldet hätte, daß das Abendessen aufgetragen sei. Alle begaben sich nach dem Schlosse.



 << zurück weiter >>