Hermann Ungar
Die Klasse
Hermann Ungar

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10. Kapitel

Onkel Bobek steckte sich nach dem Abendessen die Zigarre an. Er machte zurückgelehnt mit halbgeschlossenen Augen die ersten Züge.

Noch ahnte Onkel Bobek es nicht. Nun kam Onkel Bobek an die Reihe. Josef Blau wollte nun fortfahren, wie er begonnen hatte, alles aus dem Weg zu räumen, alles in Ordnung zu bringen. Es war noch nicht zu Ende. Das Geld mußte beschafft werden, ohne Aufschub, es mußte bezahlt werden und Onkel Bobek mußte es beschaffen. Der Wechsel mußte verschwinden, auch wenn Karpel nun nichts wagen würde. Der Wechsel bedrohte sie, er blieb eine Gefahr, so lange das Geld nicht da war, und es war anders nicht zu beschaffen.

Onkel Bobek sah dem Rauch nach, den er von sich blies. Er träumte. Josef Blau wollte nur einige Worte sprechen, klare, ruhige, jeden Widerspruch ausschließende Worte, denen sich Onkel Bobek nicht würde widersetzen können. Dann wollte er zu Selma und ihr sagen, daß es in Ordnung sei. Selma mußte zu ihm aufsehen; er war mutig und entschlossen. Karpel wagte nichts mehr. Josef Blau schützte Selma, er machte Anschläge zunichte, die Selma und das Kind bedrohten, bei Josef Blau war sie geborgen, wenn auch er kein Turner war wie der neue Lehrer.

Onkel Bobek fühlte Josef Blaus Blick nicht. Er sah nichts, er rauchte. Onkel Bobek war glücklich. Aber war es Josef Blau nicht auch? Hatte nicht auch Josef Blaus Glück nun begonnen? Onkel Bobeks Glück sollte bald sich für einen Augenblick umwölken. Aber die Mutter würde ihm Wein geben, sie würde ihm fette gewürzte Gerichte vorsetzen und die Wolken würden verzogen sein. Onkel Bobek war nicht da, sich zu grämen.

»Wir wollen ein Glas Wein miteinander trinken«, sagte Josef Blau.

Onkel Bobek öffnete die Augen.

»Ja, ja.« Josef Blau lächelte ihm zu. Warum sollte er nicht mit dem Onkel trinken? »Es muß noch etwas da sein.«

»Blau«, sagte Onkel Bobek, »du gefällst mir.«

Josef Blau lehnte sich zurück. Er hob als erster das Glas hoch und hielt es gegen die Lampe. Er grüßte mit erhobenem Glas den dicken Bobek.

Der Onkel sah ihn ungläubig an. Auch er hob sein Glas.

»Blau«, wiederholte er, »du gefällst mir.«

Gefiel er ihm? Nun, vielleicht würde er jetzt allen gefallen, Selma, den Schülern, dem Lehrer Leopold. Es war alles leicht, wenn man wußte, wie man es nehmen sollte.

Josef Blau neigte sich nicht vor, als er es dem Onkel sagte. Er blickte gegen die Decke. Er sagte es ruhig, daß das Geld morgen da sein müsse und daß ein Schüler den Wechsel gekauft habe. Deswegen müsse er ihn einlösen. Onkel Bobek sah starr auf die Tischplatte.

»Nun?« fragte Josef Blau.

Onkel Bobek brauste nicht auf, er hielt den Kopf gesenkt. Er fügte sich, als sei unvermeidlich, sich Josef Blau zu fügen.

»Liebe Mathilde«, sagte Onkel Bobek, »du hörst es! Das Geld muß da sein. Willst du es vorlegen, liebe Mathilde?«

»Unter Umständen«, rief die Mutter.

Bobek atmete schwer. Vor ihm auf dem Tisch lag der nackte, fleischige Arm der Mutter. Er streckte langsam seine Hand aus. Er blickte Josef Blau fragend an. Aber Josef Blau lächelte nicht. Sein Blick lag unbarmherzig auf dem Onkel.

Onkel Bobek legte seine Hand zögernd auf den Arm der Mutter. Dann ließ er den Kopf sinken. »Diese Umstände sind eingetreten, liebe Mathilde«, sagte er leise.

Die Mutter erhob sich.

»Das heißt ...«

Onkel Bobek nickte.

»Bobek!« Die Mutter trat auf Onkel Bobek zu. Sie umarmte ihn und küßte ihn auf den Mund.

»Es geht in Ordnung«, sagte Onkel Bobek. »Du gibst das Geld.«

Die Mutter faßte ihn und zog ihn zu Josef Blau hin. Sie umarmte Josef Blau, ohne den Onkel loszulassen. Blau fühlte ihren nassen Mund an seiner Wange. Onkel Bobek kaute an seiner Zigarre.

»Ach«, schrie die Mutter, »Bobek, ach du!« Sie lehnte den Kopf an seine Brust.

Onkel Bobek trat einen Schritt zurück.

»Man muß die Sinne beherrschen, Mathilde«, sagte er. Sie traten vor Selmas Bett. Die Mutter schmiegte sich an Onkel Bobeks Schulter.

»Ach Selma, Selma«, schluchzte die Mutter. »Sieh uns an. Es ist soweit. Ja, ja, nun muß ich euch verlassen!«

Selma lächelte. Sie streckte die Hand aus, sie reichte sie der Mutter, die sich über Selma beugte und sie schluchzend küßte.

»Nein, nein«, sagte die Mutter, »das, wer es mir noch gestern ... Küsse sie auch, Bobek!« Sie trocknete mit einem zerknüllten Taschentuch ihre Tränen. »Sag, daß du ihr ein guter Vater sein wirst, Bobek, ach, ach, er ist jetzt achtzehn Jahre tot, achtzehn Jahre, wie die Zeit vergeht, er hat es nicht erleben sollen! Das hätte keiner gedacht, daß es Bobek sein würde, so sag doch ein Wort, Bobek!«

»Es verschlägt mir die Sprache«, sagte Onkel Bobek, »denn es ist bei Gott keine Kleinigkeit, seht ihr. Schließlich man hatte nach niemandem zu fragen. So wie ich es gewohnt bin, ich spreche nicht gern am Morgen, erst wenn ich etwas Warmes im Leib habe, versteht ihr, vorher nicht. Ich hätte gedacht, daß dazu noch Zeit ist. Wenn du es nicht übereilen willst, liebe Mathilde, vielleicht sollten wir alle es uns noch einmal überlegen!«

»Es ist alles überlegt«, sagte Josef Blau.

»Gut, gut, ich dachte nur so. Ein Vorschlag, nichts weiter. Nichts für ungut, meine Lieben. Aber es ist so plötzlich gekommen. Man muß sich zurechtfinden.«

Er verließ das Zimmer mit der Mutter, die an seinem Arm hing.

»Nun kommt es in Ordnung«, sagte Josef Blau, »die Mutter wird nun Onkel Bobek das Geld geben.«

Er stand vor Selmas Bett.

»Ich bin so glücklich«, sagte Selma. Sie lächelte und nickte ihm zu.

Karpel würde den Wechsel zurückgeben, wenn Josef Blau das Geld hatte, und das würde er morgen haben. Das kam in Ordnung. Aber es war nicht alles. Es war im Grunde nicht wichtig. Was hätte Karpel mit dem Wechsel tun können, wenn man es sich recht überlegte. Wegen des Wechsels allein war Josef Blau nicht in die Kasernengasse gegangen. Das andere war wichtiger, daß sie es nur von Karpel wissen konnte. Jetzt konnte er sie fragen. Sie konnte ihm nicht entgehen. Sie würde sprechen. Alles gelang ihm. Auch das würde gelingen. Er würde wissen, ob sie Karpel traf, wo und wie oft sie ihn gesehen hatte und alles was geschehen war.

»Von wem weißt du es, Selma?«

Sie lächelte nicht mehr.

»Wegen des Wechsels«, sagte er.

Sie wich seinem Blick aus.

»Ich soll es nicht sagen«, antwortete sie leise.

»Sprich, du mußt sprechen, Selma!«

Sie schwieg.

»Warum fragst du mich?« sagte sie.

»Ich muß es wissen«, wollte er sagen. Aber er sagte es nicht. Warum wirklich fragte er sie? Ob es so war oder so, ob es Karpel gesagt hatte oder ein anderer, es war doch vergangen. Nun würde Selma Josef Blau erkennen, wie er war, klug und umsichtig, entschlossen und voll Größe. Wozu mußte er es wissen?

Er verzieh. Er vergaß. Das alles sollte nun weit hinter ihnen liegen. Er lächelte. Sie sahen einander an. Und nun lachte auch sie, lachten sie beide, ohne Grund, laut, nicht so, daß Onkel Bobek und die Mutter im Zimmer daneben es hörten, aber laut genug, daß Josef Albert davon erwachte.

»Gute Nacht, Selma«, sagte Josef Blau.

»Gute Nacht.«

Er lächelte noch, als er ins Wohnzimmer trat.

Onkel Bobek hatte den Rock abgelegt. Auf dem Tisch standen drei gefüllte Gläser.

Die Mutter sprach mit lauter Stimme. Onkel Bobek sah starr vor sich hin und trank.

»Mein Zimmer wird nun leer stehen«, sagte die Mutter zu Josef Blau. »Aber vielleicht werdet ihr es vermieten.« Sie wischte sich die Tränen von den Wangen.

Sie trat schluchzend vor das Bild ihres ersten Gatten, das an der Wand hing.

»Wirst du mir ein guter Mann sein wie dieser, Bobek?« Sie zeigte auf das Bild. Onkel Bobek gab keine Antwort. »Er hat mich geliebt, er war zärtlich zu mir, warum soll ich mich schämen?«

Sie nahm das Bild von der Wand, hauchte auf das Glas, unter dem es lag, und rieb es mit ihrem Taschentuch.

»Kosterhoun, Kosterhoun«, rief sie, »das hast du nicht ahnen können, Kosterhoun, daß deine kleine Hilduschka und der dicke Bobek ... das nicht, Kosterhoun.«

Sie trat an den Tisch zurück und neigte sich über Onkel Bobek.

»Wirst du auch Hilduschka zu mir sagen, Bobek?«

Onkel Bobek hob den Kopf und schlug mit der Hand auf den Tisch.

»Nein«, sagte er, »das nicht. Das wirst du nicht erreichen, Mathilde. Gut, gut, ich habe nicht nein gesagt, es ist noch nicht fällig, aber ich tue es, wann denkt der gute Bobek an sich? Aber das mußt du dir aus dem Kopf schlagen, daß ich das zu dir sage, so wahr ich Bobek heiße, ich lasse mich nicht plattschlagen, wenn ihr das glaubt, habt ihr euch alle geirrt.«

Er trank das Glas leer, goß von neuem ein, trank wieder und schlug das Glas auf die Tischplatte.

Man müßte es feiern, dachte Josef Blau, anders, mit Musik, Gesang, Lehrer Leopold sollte dabei sein, man sollte Reden halten, er selbst, Josef Blau wollte sprechen. Selma sollte ihn hören und vergleichen.

Er wollte trinken und mit Selma tanzen. Er trank Onkel Bobek zu.

»Hast du es gehört, Blau«, sagte Onkel Bobek. »Hilduschka! Hast du es gehört? Ich bin ein guter Kerl, aber alles hat seine Grenzen. Vielleicht könnte man es anders aus der Welt schaffen, aber gut, gut. Ich sage ja und ich tue es. Und warum? Habt ihr euch das überlegt?« Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Ich tue es um euretwillen, so bin ich, so bin ich immer gewesen. Aber wir wollen es feiern, hört ihr? Davon soll gesprochen werden, wie der Onkel Bobek Verlobung feiert, da gibt's nichts, Mathilde, keine Ausflüchte, und häng deinen Kosterhoun wieder an die Wand, sag ich, zum Teufel!«

»Er ist so verstaubt, der Selige«, sagte die Mutter und hängte das Bild an seinen Nagel.

Onkel Bobek leerte sein Glas.

»Ich komme nicht in Stimmung«, sagte er. »Alles wegen des bißchen Geldes. Siehst du, Blau, so ist es. Man tappt so hinein in alles, wer denkt auch, wie es enden soll? Ja, ja, wer da so wüßte, wie es kommt, aber da ist nichts, bloß Gottvertrauen, und was ändert das? Wie oft und es hat sich nicht gelohnt und man kann nicht zurück, siehst du, man möchte sich die Haare ausreißen, aber was nützt es? Wozu sich den Kopf schwermachen, pflege ich zu sagen. Es hat alles seine zwei Seiten. Man ist nicht mehr der Jüngste und da hat man jemanden, der einen zudeckt, der die Wärmflasche vorbereitet und das Nachthemd an den Ofen hält und immer ein guter Bissen und ein Schnaps im Haus. Es hat alles zwei Seiten. Aber was ist das, hörst du es? Wem gilt das? Vielleicht sind es Freunde, öffne ihnen, Blau, ich brauche sie, sie sollen kommen, ich will ihnen ins Auge sehen, sie sollen mich trösten und mit uns trinken!«

Auch Josef Blau hörte es. Unten auf der Straße wurde in die Hände geklatscht. Dann verstummte das Klatschen. Nun wurde gepfiffen und gerufen.

Josef Blau zog den Fenstervorhang hoch und öffnete das Fenster. Er sah zwei Gestalten auf der dunklen Straße.

»Hallo!« rief es von unten.

Es war Modlizkis Stimme.

Was wollte Modlizki von ihm? Und wer war der andere, der neben Modlizki stand? Er konnte es nicht erkennen. Vielleicht war es Laub oder Karpel. Es war wohl wegen der Begegnung, daß sie kamen. Sie wollten ihn um Verzeihung anflehen, gewiß. Mochten sie kommen. Es lag so weit zurück. Er hatte keinen Groll. Er verzieh.

»Wirf ihm die Schlüssel hinunter«, sagte Onkel Bobek.

Die Mutter schlug die Schlüssel in ein Zeitungsblatt. Dann warf sie sie aus dem Fenster.

Modlizki trat allein ein. Also stand der andere unten. Er fürchtete sich einzutreten.

»Setzen Sie sich zu uns«, sagte Onkel Bobek. »Nehmen Sie teil an dem Familienfest, das wir feiern. Gehören Sie nicht mit dazu im Grunde? Sie sind Blaus Freund. Das ist genug.«

»Ich würde es nicht ablehnen, Herr Bobek«, sagte Modlizki. »Aber es handelt sich um etwas Ernstes.«

»Sie wollen allein sein. Gut, ich verstehe, Freunde haben einander bisweilen etwas zu sagen. Gehen wir in deine Räume, Mathilde. Und wenn Sie fertig sind, rufen Sie uns. Ich habe einen stillen Tag heute, wir wollen beieinander bleiben. Ich möchte nicht allein sein, sehen Sie!«

Modlizki schloß sorgfältig die Tür hinter ihnen. »Ich bitte um Vergebung, aber es schien mir wichtig, es gleich zu berichten, sowie ich es erfahren hatte.«

»Was gibt's, Modlizki? Ich habe alles gesehen, Modlizki, Karpel stand mit dir im Hausflur. Er schlug die Tür zu. Es war zu spät. Ich hatte ihn schon erkannt.«

»Um den jungen Herrn handelt es sich nicht. Er steht unten. Er erwartet mich.«

»Er hätte mitkommen können, Modlizki. Ich zürne ihm nicht. Du wirst das Geld bekommen und Karpel wird den Wechsel geben. Mehr will ich nicht.«

»Es handelt sich nicht darum.«

»Handelt sich nicht darum?«

»Der junge Herr will nichts.«

»Ich habe Karpel erkannt, Modlizki. Aber siehst du, damit ist genug geschehen. Du mußt nicht für ihn sprechen, wenn es das ist, was er von dir verlangt.«

»Es handelt sich um den anderen jungen Herrn.«

»Um Laub? Ist er auch da? Sage ihnen, daß ich weiß, sie werden sich diesen Abend einprägen. Sie können nach Hause gehen, Modlizki.«

»Der andere junge Herr ist nicht da. Wir erreichten ihn gestern vor der Kaserne. Der junge Herr war sehr erregt. Wir führten ihn durch unbelebte Straßen. Denn der junge Herr schluchzte, und alles, was wir sagten, hatte nicht die Wirkung, ihn zu beruhigen. Der junge Herr wurde streng gehalten. Es dauerte bis lang nach acht Uhr, ehe der junge Herr sich beruhigte. ‹Verzeihung›, sagte er da, ‹es ist wegen der Nerven. Ich erschrak sehr. Thereschens Gesicht war schrecklich, mit aufgesperrtem Mund.› Er meinte seinen Lehrer. Dann begann er zu lachen. Wir dachten, daß er sich abgefunden habe. Als wir allein waren...«

Modlizki machte eine Pause.

»Wir wollten glauben, daß er sich mit dem Plan beruhigt habe, morgen durch mich als Fürsprecher Nachsicht zu erbitten. Allein sein letztes Lachen verließ uns nicht. Es hatte etwas Unheimliches und ich kann es nicht schildern. Wir gingen noch etwa eine Stunde miteinander, aber davon sprachen wir nicht. Er zog uns zu dem Haus, in dem der junge Herr wohnt. Man wird immer überrascht, denn die jungen Herrn sehen es anders. Aber damit hatte ich nicht gerechnet.«

»Womit?«

»Daß der junge Herr sich erhängt.«

Josef Blau wich zurück. Seine Hände tasteten nach einem Halt.

»Modlizki!« schrie er.

»Es kam und es überrascht uns alle.«

Josef Blau ging auf ihn zu. Er ergriff ihn an der Schulter.

»Du lügst«, wollte er rufen. Aber seine Kehle hatte keine Gewalt über die Stimme.

Blaus Hand glitt von Modlizkis Schulter.

»Wir beschlossen, hierher zu gehen. Es erschien uns klug und vorsichtig, daß der Lehrer es weiß.«

»Was ist mit Laub, Modlizki?« Josef Blau sprach heiser. Sein Mund war trocken.

»Es scheint, daß er es gleich getan hat, nachdem er nach Hause gekommen war. Man sah es von der Straße. Das Fenster war erleuchtet und der junge Herr hing am Fensterkreuz. Sie hatten ihn schon abgenommen, als wir kamen.«

»Er ist –?«

»Der junge Herr mochte eine Stunde gehangen haben. Es ist unmöglich, daß einer das übersteht. Es geht über menschliche Kräfte. Er hatte sich in Hinsicht auf die Farbe des Gesichts verändert. Die Zunge des jungen Herrn...«

»O Gott, Modlizki, o Gott!«

Er ließ sich auf den Stuhl fallen und barg den Kopf über dem Tisch in den Händen. Von nebenan hörte er eine dünne weinende Stimme. Wann war es doch, daß die Sonne auf Laubs bloßen Scheitel fiel? Das Haar glänzte, als sei es von Silber. Das Antlitz des Schülers war zart wie ein Mädchenantlitz, es war rot und weiß und noch ohne Flaum an den Wangen. Modlizki sprach, seine Stimme hob und senkte sich nicht. Aber Josef Blau träumte vielleicht. Es konnte nicht anders sein, er träumte. Es hatte sich doch gewendet! Was war es, wovon Modlizki sprach? Josef Blau begriff es nicht, es ging an ihm vorbei.

»Es wird eine Untersuchung stattfinden. Man wird fragen, wie es gekommen ist. Man weiß, daß der junge Herr mit dem jungen Herrn Karpel fort war. Man wird fragen, wo sie gewesen sind. Der junge Herr Karpel will sagen, daß sie in den Anlagen gewesen sind. Der junge Herr Laub war scherzhafter Laune, will er sagen. Man wird verlangen, daß etwas Auffälliges an dem jungen Herrn bemerkt wurde. Dies sei ihm aufgefallen, daß der junge Herr scherzhafter war als sonst, wird der junge Herr Karpel sagen, so habe ich ihm geraten. Es ist notwendig, es gleich zu besprechen.«

Josef Blau schwieg.

»Der junge Herr Karpel wartet auf mich. Es ist notwendig, daß der junge Herr unterrichtet ist, wie er es sagen soll. Wenn niemand sagt, wie es gewesen ist, kann der junge Herr sprechen, wie ich ihm geraten habe. Sonst muß der junge Herr erzählen, wie der junge Laub aufgeschrien hat, als er aus dem Haus trat und wie er in Verzweiflung kam.«

Modlizki wartete.

»Wenn es also soweit ist, wie soll es sein? Die Eltern werden kommen und suchen, daß jemand schuldig sei. Denn dies ist ein Trost im Schmerz.«

Josef Blau hob den Kopf.

»Und wer ist der Schuldige? Wer hat es bewirkt, werden sie sagen, wenn sie es erfahren haben, wer ist schuld, daß er tot ist? Der Herr Lehrer Blau hat ihn gemordet.«

Josef Blau hatte sich erhoben. Er sah Modlizki an mit starren, unbeweglichen Augen. Modlizki wich zurück. Josef Blaus Hände tasteten auf der Tischplatte als suchten sie etwas. Sie ergriffen die Weinflasche. Seine Finger umklammerten ihren Hals als würgten sie ihn. Modlizki duckte sich. Josef Blau hatte die Weinflasche gehoben. Er schwang sie über den Kopf. Der Wein rann über seinen Ärmel. Josef Blaus Mund war geöffnet. Er stieß einen heiseren Laut aus. Dann zersplitterte die Flasche an der Wand.

Josef Blau stützte sich auf den Tisch. Er hielt die Hand vor dem Mund. Die Tür hatte sich geöffnet. Etwas Warmes, Klebriges drang aus seinem Mund über die Finger. Ob es Blut war? Laubs Blut, das an seinen Händen klebte? Er hob die Hände, er drehte sich im Kreise, dann kam neues Blut, er mußte die Fäuste in den Mund stopfen, das Loch stopfen, Bobek, die Mutter, Modlizki drehten sich um ihn. Sie schrien durcheinander. Nun rissen sie an ihm. Er wehrte sich nicht. Er schloß die Augen.

Die Mutter brachte Wasser. Modlizki erbot sich, den Arzt zu holen.

»Ein Blutsturz«, sagte Modlizki. »Ein Schüler hat sich erhängt, weil er in einem Frauenhaus entdeckt wurde. Es ist Herrn Blau zu nahegegangen.«

»Halt mich fest, Bobek«, sagte die Mutter.

»Habe ich es nicht gesagt, Mathilde? Er ist nicht gesund, Mathilde! Bazillen so groß wie die Datteln, pflege ich zu sagen. Öffne das Fenster, Mathilde!«

Er wendete sich an Modlizki. »Es ist kein Glauben in der Jugend von heute, Herr Modlizki. Kein Gottvertrauen wie früher. Bin ich nicht auch mit fünfzehn in Frauenhäuser gegangen? Aber habe ich mich umgebracht, frage ich Sie, Herr Modlizki? Habe ich es getan?«

»Sie haben es nicht getan, Herr Bobek«, antwortete Modlizki. Er verneigte sich und verließ das Zimmer.


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