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20.
Helene zieht aus.


Als die Thatsache mit der seltsamen Erbschaft im Laden des Handschuhfabrikanten bekannt wurde, fing der Kanter sogleich an, einen Pfennig in seinen alten Schlafkittel einzunähen, indem er dabei andeutete, daß dieses Erbstück für seine Mutter sei, wenn diese einmal kein Eigenthum mehr besitze. Ein Beweis kindlicher Liebe, der Frau Piersig zu Thränen rührte, und der Herrn Piersig ein verwundertes Kopfschütteln abnöthigte, denn er begriff nicht, wie der Kanter zu der Ansicht käme, daß jemals, so lange er, der Gatte und Vater lebte, Frau Piersig in die oben bezeichnete Lage kommen könne. Und wenn dies auch geschähe, was sicherlich niemals geschehen konnte, so würde auch, wie er sehr weise bemerkte, ein Pfennig ein viel zu geringes Kapital sein, um Frau Piersig, wenn sie einmal mit dem Glücke [260] völlig zerfallen sei, wieder auf die Beine zu helfen. Doch gleichviel, der Kanter hatte nun einmal diesen Beweis seiner aufopfernden, kindlichen Gefühle siegreich geführt. Helene wurde von jetzt an wie »ein Wesen aus dem Fabelreich« angesehen. Wenn sie nunmehr sogleich Königin von Preußen, oder Kaiserin von Deutschland geworden wäre, es wäre durchaus nichts Auffallendes daran gewesen. Herr Piersig machte sich eigens auf den Weg, um das Häuschen zu betrachten, wo eine Frau gewohnt hatte, die faktisch nie feine Glacéhandschuhe getragen hatte, und doch ein solches Erbe hinterließ. Er fing nun an, mehre arme, zurückgekommene Mitglieder seiner eigenen Verwandtschaft mit ganz anderem Auge zu betrachten, und besonders erkundigte er sich nach alten abgelegten Kleidungsstücken und nach wurmstichigen, morschen Koffern ohne Schloß und Messingbeschläge. Selbst der mit der National-Versammlung zugleich aufgelös'te Vetter wurde ein Gegenstand seiner scharfen Beobachtung, und er besuchte ihn jetzt öfters zu »ungelegnen« Stunden, in der Hoffnung, ihn bei irgend einer mysteriösen alten Truhe zu überraschen. Allein diese Forschungen blieben ohne Erfolg.

Da die Angelegenheiten in soweit geordnet waren, sollte Helene nunmehr ihre Wohnung bei [261] der Geheimeräthin von Reinicke beziehen. Der Abschied vom Handschuhfabrikanten war rührend, noch mehr der von dem furchtsamen Herrn. Die Familie saß noch zu guterletzt beisammen bei einem kleinen Schmaus, den Helene hatte herbeischaffen lassen, und wo sie so ziemlich für die Lieblingslabung eines Jeden gesorgt hatte. Ein großer Kirschkuchen, der erste im Jahr, bedeckte fast ein Viertel des Ladentisches, von welchem für den heutigen Tag alle Anzeichen der Arbeit hinweggeschafft worden. Herr Piersig, »in der Waterloo-Weste,« saß am obern Platze des Tisches und theilte den Kuchen in mathematisch genau eingetheilte Stücke, mit großer Aufmerksamkeit bei diesem Geschäft von dem Kanter beobachtet, der mit einer großen schwarzweißen Kokarde geziert, denn man erwartete jeden Augenblick die Geheimeräthin, die da hatte kommen wollen, um Helenen abzuholen, seinen alten Platz mit unterschlagenen Beinen auf dem Tische einnahm. Die Aufregung, in welcher sich der Sproß der Piersig'schen Familie befand, war so groß, daß er nicht wie ein einzelnes altes Buch, sondern wie eine ganz kleine morsche Bibliothek duftete. Helene mußte dem Kinde gegenüber sitzen, es war dies das einzige Mittel, die Beweglichkeit dieses armen Kranken zu [262] mäßigen, der beständig herumblickte, um Helenen, wenn sie sich zufällig in einer ihm schwer zugänglichen Richtung befand, in's Auge zu fassen.

»Um Gottes Barmherzigkeit willen,« hub Herr Piersig an, »ich glaube, der arme Bursche ist in Sie verliebt, mein engelgleiches Fräulein. Er dreht sich wie eine Wetterfahne im Winde, um keine Miene, keine Bewegung von Ihnen außer Acht zu lassen! Das macht, mein Fräulein, weil Sie alle Herzen zu erobern wissen. Da liegt's!« –

Frau Piersig stand auf, um den Nachbar zu begrüßen, der Helenen mit großer Ceremonie die Hand küßte.

Der Kanter sah diese Bewegung, und führte sogleich sein Zeitungsblatt an die Lippen und drückte einen sehr ehrerbietigen Kuß auf dasselbe. Herr Piersig wollte sich ausschütten vor Lachen. Seine Frau, die da glaubte, er spotte über des Nachbars »feine Manieren,« rief ihm heftig zu, er solle auf seinen Kuchen achten.

»Ich achte auf alles, was mir anvertraut ist,« bemerkte Herr Piersig; »allein das hindert nicht, daß ich die verteufelt komischen Einfälle dieses Burschen belache. In Ermangelung der Hand der jungen [263] Dame, die er nicht bekommen kann, küßt er das Zeitungsblatt mit der berühmten Annonce des Herrn Kodsack und des Fräulein Pirlicke. Ja, mein Sohn, aus Dir wäre, wenn es der Himmel gewollt, ein herrlicher brauner Ohlau'scher Husar geworden. Dir hätten die Mädchen nicht widerstehen können; denn ich hab' immer gesagt, ein Husar ohne Späße und Possen ist ein Ei ohne Dotter. Nun warte, was nicht ist, kann noch werden. Ich geb's noch nicht auf, daß Du doch endlich mal in meine Husarenjacke hineinwächst. Was den Kopf betrifft, so leistest Du darin schon mehr, als ich je geleistet, und meine Mütze ist für Dich viel zu klein. Aber mein Sohn, sollte es nicht gut gethan sein, Du stehst etwas auf, ich werde das Fenster öffnen. Ei sieh, wie Du schlank geworden bist! Wahrhaftig Du bist gewachsen. Frau! sieh mal, der Junge ist doch unser Stolz und unsre Pracht!«

Jetzt wurde die Chokolade hereingebracht, ihr folgten drei Flaschen Wein, und eine Flasche Rum. Im Hintergrunde des Zimmers dampfte eine große bauchige Terrine, dicht neben einem kleinen Berge von Zucker, und einigen unreifen Pomeranzen. An der Terrine saß der »aufgelös'te« Vetter, der im Rufe stand, vortrefflichen Punsch bereiten zu können.

[264] Diese Anstalten und Aussichten machten Alle, die sich im Zimmer befanden, ausnehmend fröhlich.

Herr Piersig ging herum, präsentirte seinen Kirschkuchen, und machte dabei einige Sätze und Sprünge.

»Nun hab' Dich nicht wieder so!« rief seine Frau. »Vergiß nicht, daß es ein Abschiedsmahl, und daß wir Alle traurig sind.«

»Weiß Gott, das vergeß ich nicht,« sagte der Gescholtene. »Keinem geht die Trennung von unserm guten Fräulein näher als mir. O, ich scherze nicht! Fräulein Hermes, Sie wissen, was Sie an mir haben, einen ehrlichen Mann als Freund! So lang' ich lebe, werde ich die Wochen nicht vergessen, wo Sie hier so still und lieblich gewohnt. Wir haben Sie Alle recht lieb gewonnen! recht lieb! Geben Sie mir die Hand, meine Holde! Na, dieser Druck wird sich mir für eine Ewigkeit einprägen.«

»Sollen wir nun zuerst Chokolade trinken oder erst den Punsch?« fragte Frau Piersig, indem sie sich im Kreise herumsah, und gleichsam Stimmen sammeln zu wollen schien.

»Die Rechte soll entscheiden!« rief der Nachbar lachend! »Sie versteht sich am besten darauf, was [265] gutes Leben heißt; ich bin Demokrat und Proletarier, und gehöre zur Linken.«

»Gut denn!« entgegnete der Handschuhfabrikant, »ich gehöre zur Rechten und ich bestimme darum, daß wir Männer sofort Punsch trinken und die Damen zur Chokolade greifen. Altes Haus dort! Ehe Du in die Urwälder von Amerika verschwindest, gieb' uns noch zuvor ein gutes Glas, recht tüchtig Gepfefferten! Hörst Du?« –

Der Punsch kam. –

Frau Piersig ging rasch von der Rechten zur Linken über, setzte ihre Chokoladentasse einstweilen bei Seite und griff nach dem Punschglase.

»Es muß wahr sein,« hub der Nachbar an; »Sie bewirthen uns fürstlich, Fräulein.«

»Ja sie kann's auch,« nahm Herr Piersig das Wort. »Wenn man so ein altes Weibsbild zur Muhme hat, die Diamanten in ihren Unterrock einhäkelt, und ihr Nachtjäckchen mit Dublonen futtert. Ist Einem jemals eine solche Aventüre vorgekommen.«

»O doch!« sagte der Nachbar; »ich kann mich besinnen, es war grade nach der großen Schlacht der Verbündeten bei Waterloo« –

Herr Piersig blickte schnell auf seine Weste –

– »Als in dieser Straße, nicht weit von hier, [266] ein armer Bürstenbinder starb, der von Almosen lebte, und in dessen Spinde, bei seinem Tode, man ein Vermögen von einigen Tausenden fand. Ich weiß, daß das Pupillen-Collegium damals über diesen Fall mit der Stadtverordneten-Kasse in Streit gerieth. Erben waren keine da. Nun war der Krieg eben zu Ende und Jedermann hatte Geld nöthig.«

»Aber hier sind Erben da« – bemerkte Herr Piersig. »Eine junge, hübsche Dame, die einen jungen, edlen Herrn heirathet.« –

Die Gläser füllten sich nun, und es wurde auf das Wohl der Verlobten getrunken.

Helene stieß noch zuletzt mit dem Kanter an.

Da klopfte es dreimal leise an der Thüre. Die Anwesenden sahen sich etwas befremdet an; Herr Piersig rief: »Herein!« Und eintrat – Herr Karcher, in einem zierlichen, obwohl altmodigen schwarzen Anzuge, äußerst feierlich das Gesicht, und mit einer hohen weißen Halsbinde. Er hielt in der Hand eine kleine rothe Mappe und eine runde Schachtel. Sein Gruß, den er feierlich überall hinrichtete, wurde mit »Kälte,« aber mit Anstand erwiedert. Frau Piersig stand allein nicht von ihrem Stuhle auf, Herr Karcher sagte mit einer äußerst [267] feinen Diplomatie zu ihr: »Bleiben Sie sitzen, Frau Fabrikantin, bleiben Sie sitzen.«

Und jetzt schritt er auf Helenen zu.

Diese kam ihm mit ihrem freundlichen Lächeln entgegen. »Ich habe wohl gewußt, daß Sie nicht fehlen würden an meinem Scheidetage,« sagte sie.

»Wie sollte ich auch!« entgegnete der Kupferstecher. »Meine Muse, meine Göttin geht von mir, und ich sollte ihr nicht nachblicken! Hier bringe ich Ihnen, meine Gnädige, das Blättchen, das Ihnen damals, als Sie zum erstenmal meine geringen Räume zu betreten würdigten, so wohl gefiel. Es ist das Portrait Ihres Verwandten; nebenbei auf einem kleinen Blättchen auch das meinige. Ich hab' mich selbst gemalt, und selbst in Kupfer gestochen. Freilich sah ich in jenen schönen, ruhigen Tagen ganz anders, frischer und lebhafter aus. Damals waren noch nicht gewisse Ereignisse mit Betten und was darunter versteckt, vorgefallen, und nächtliche Patrouillen und Belagerungszustände.«

Frau Piersig fand diesen Wink empörend, und sie wandte sich hochroth im Gesicht zu dem Nachbar, um diesem halblaut zuzuflüstern: daß man niemals einen guten Tag vor seinem Ende loben müsse, und daß sie stets gehöret, wie wenn einige gute Freunde [268] fröhlich beisammensäßen, eine Figur sich zeigte, die Unfrieden und Störung brächte. –

Herr Karcher lauschte so angestrengt auf die liebenswürdigen Dankesworte, die ihm Helene sagte, daß er die Kritik seiner Person überhörte. Er überreichte nun auch noch die Bonbonniere, die er mitgebracht, indem er seiner Freundin so viel glückliche Stunden, als die Schachtel Zuckerkügelchen, in's Hunderttausendste vervielfacht, enthielt, wünschte.

Nach diesem Akt entfernte sich Herr Karcher eben so ceremoniös, wie er gekommen war. Er nahm keinen Bissen zu sich und schlug auch ein Glas Punsch aus.

Jetzt erschien Herr Kieselack vor dem Fenster. Er grüßte Helenen sehr ehrerbietig. Er hatte von der nahe bevorstehenden Vermählung und der Erbschaft gehört, und jetzt, da Helene nicht mehr das arme, unbekannte Mädchen war, sondern entschieden zu einer vornehmen und einflußreichen Verwandtschaft sich zählen durfte, war Herr Kieselack der Erste, der unbegrenzte Hochachtung für diese edle und liebenswürdige »Dame« empfand.


[269]


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