Theodor Volbehr
König Bob, der Elefant
Theodor Volbehr

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Die Verschwörung

Lange, ehe der Tag graute, war die Meerkatze schon wieder wach. Große Gedanken bewegten ihr Herz. Immer und immer wieder blickte sie hinab auf den Riesen zu ihren Füßen, der ruhig und fest wie ein Felsen dalag und der doch so gut und hilfreich gegen den armen Verfolgten gewesen war. Als es lichter Tag wurde, kletterte die Meerkatze von ihrem hohen Sitz herab, ging von allen Seiten um Bob herum und betrachtete aufmerksam das gewaltige Tier. Endlich setzte sie sich dem Rüssel gegenüber auf den Boden und sah unverwandt auf die gewaltige Stirn und die geschlossenen Augen. Ein klein wenig fürchtete sie sich doch vor dem Augenblick, wenn sich diese Augen öffnen und die Stirn sich emporheben würde. Und wenn dann gar der ganze Koloß sich vom Boden aufrichten würde!

Aber das half nun nichts. Mochte das kleine Herz zittern, soviel es wollte, jetzt galt es den Augenblick zu ergreifen. »Du warst doch noch niemals ein Feigling, Rackertüg!« sagte die Meerkatze zu sich selbst. Aber dann dachte sie an den letzten Abend und fügte leise hinzu: »wenn man dir nicht gerade ans Leben wollte.«

Da öffneten sich Bobs Augen. Und es hob sich der gewaltige Schädel. Rackertüg prallte doch ein wenig zurück und griff nach einem herabhängenden Zweige. Schnell aber faßte er sich. Und als er Bobs Augen ganz ruhig und gleichmütig auf sich gerichtet sah, erhob er sein feines Stimmchen und begann eine lange Anrede. Er hatte sich jedes Wort gründlich überlegt; aber vor dem schweigenden Blick Bobs kam er allmählich ins Stottern, und schließlich wußte er überhaupt nicht weiter. Bob schüttelte bedächtig das Haupt und sagte: »Ich hab' eigentlich nur verstanden, daß du Rackertüg heißt und daß du glaubst, ich hätte dir das Leben gerettet. Aber was du sonst sagtest, von Königtum und anderen großen Worten, das mußt du mir schon noch einmal erzählen.«

»Großmächtigster Herr -« hub Rackertüg wieder an.

»Aber sei doch gescheit,« unterbrach ihn Bob, »ich bin dein Herr nicht, und überhaupt – nenn' mich doch einfach Bob!«

»Wenn du's befiehlst, will ich gern gehorchen. Aber mein Herr bist du doch, Bob, und wirst du immer bleiben. Ich und mein ganzer Stamm werden dir Treue halten. Und nicht nur die Meerkatzen werden tun, was du willst, sondern bald werden sie alle kommen, die Pinselschweine und die Flußpferde und alle, die in den Bäumen wohnen, und sie werden dich zu ihrem König ausrufen.«

»Na, da haben wir's also glücklich wieder! Was willst du mit dem ›König‹?« – »O Bob, wisse nur: morgen ist unserer Insel Königstag.«

»Königstag? Was ist das?«

»Kennst du das nicht, Bob? Ja, habt ihr denn in den Landen, woher du zu uns gekommen bist, keinen König gehabt? Keinen, der über alle Tiere des Waldes und der Flüsse gesetzt war als Herrscher?

Bob schüttelte das Haupt. Dann sagte er: »Jede Herde hatte wohl ein Oberhaupt; aber einen König über all die vielen verschiedenen Herden und Tiervölker gab es nicht.«

Verwundert sah Rackertüg den Fremdling an. »Wie merkwürdig! Auf unserer Insel hat es immer Könige gegeben. Aber« – er dämpfte seine Stimme und sah sich nach allen Seiten um, als fürchte er einen Lauscher – »es waren nicht immer gute Könige. Und der letzte ist der schlimmste von allen gewesen, ein blutdürstiger Tiger, der letzte seines Geschlechtes. Der ist jetzt gestorben, und morgen soll die Wahl eines neuen Königs stattfinden.«

Bob wurde aufmerksam und erhob sich langsam auf die Vorderfüße.

»Und nun sind zwei große Parteien. Die Raubtiere wollen Scharpetän, den Häuptling der Leoparden, zum König wählen. Wir andern aber sind nur darin einig, daß wir Scharpetän nicht wollen; sonst aber gehen die Stimmen ganz auseinander.«

Rackertüg schwieg einen Augenblick. Dann fuhr er fort: »Und nun bist du gekommen. Und seit heute nacht weiß ich, daß du und kein anderer unser König werden mußt!«

Bob richtete sich völlig auf und reckte seine gewaltigen Glieder, staunend blickte Rackertüg zu ihm hinauf. »Sag ja, Bob, du mußt uns erlösen von dem entsetzlichen Volk, das uns nach dem Leben trachtet; und du kannst es! Sag ja, Bob!«

Endlich antwortete Bob: »Laß mir Zeit, Rackertüg. Ich kenne noch nicht einmal das Land, in das ich verschlagen bin; ich weiß nicht, welche Tiere darin leben. Und ich weiß nicht, welche Pflichten meiner harren würden, wenn ich bereit wäre, euer König zu werden. Du mußt mir Zeit lassen, zu überlegen und Land und Leute kennen zu lernen.«

»Die will ich dir lassen, Bob; denn morgen erst ist der Königstag, und heute kannst du dein Reich kennen lernen und die Großen in deinem Reich.«

»Heute noch? Ich denke die Insel ist groß, und tausendfältig sind die Schlupfwinkel der Tiere, die auf ihr leben.«

»Gewiß, Bob, aber heute ist die Vorbesprechung für den Königstag. Und alle, die sich von Pflanzen nähren, werden sich heute mittag auf dieser Lichtung versammeln. Die Raubvölker aber tagen an einem andern Punkt. Und alle, alle magst du kennen lernen.« – »Und das Land?« – »Wenn du erlaubst, Bob, werde ich dich führen. Nicht weit von hier ist ein hoher Hügel, von dem aus kann dein Auge die Insel wohl überschauen, wenn dein Auge scharf und weitsichtig ist. In wenig Stunden können wir auf dem Hügel sein.« – »Und sorgst du dafür, Rackertüg, daß wir wieder hier sind, wenn die Beratungen beginnen?«

»Ich sorge dafür, Bob, und ich werde Knieptang, den Hornvogel, bitten, uns von allem zu berichten, was hier geschieht.«

»Knieptang? Warte mal, der Name kommt mir so bekannt vor! Ach so, das war ja der Vogel, den ich gestern abend kennen lernte.«

»Was, du kennst Knieptang? O, das ist vortrefflich! Denn Knieptang ist nicht nur der Führer der Hornvögel, sondern eigentlich der Häuptling aller fliegenden Tiere dieser Insel.«

Bob mußte an den weisen Schuhschnabel denken. War er nicht schon im besten Zuge, sein Glück zu machen? Wie wunderlich doch, daß er gleich beim Betreten des neuen Heimatbodens zwei Tieren von so gewichtiger Bedeutung einen kleinen Liebesdienst erweisen konnte! Knieptang war ihm ja auf Tod und Leben verbunden. Er hatte ja schon gestern gesagt, daß er seine Dankbarkeit beweisen wolle. Und nun der brave, kleine Rackertüg! Wahrlich, die Sache mit dem Königtum schien so aussichtslos gar nicht zu sein, wenn Rackertüg und Knieptang wirklich etwas auf ihrer Insel zu bedeuten hatten!

»Weißt du was, Bob,« sagte Rackertüg, »laß uns zu Knieptang gehen und mit ihm sprechen. Er ist wirklich ein kluger Vogel.« In großen Sätzen sprang er von Ast zu Ast voraus, und Bob folgte gedankenvoll. Knieptang saß unfern von dem Lehmnest, das schon notdürftig wieder geflickt war, und träumte vor sich hin. Er dachte an den gestrigen Abend und dachte an den morgen kommenden Königstag. Und wie ein Seufzer stieg es aus seinem Herzen auf: »O, wenn der edle Bob unser König würde!«

In dem Augenblick sah der Vogel Rackertüg und dicht hinter ihm die große graue Masse des Elefanten. Schnell flog er zum Nest und rief ins Nest hinein: »Frau, jetzt kannst du ihn sehen! Er kommt gerade auf unser Nest zu.« Frau Knieptang reckte den Hals, so weit sie konnte, und lugte neugierig über den gewaltigen Krummschnabel ins Freie. Knieptang aber flog eilig den Herankommenden entgegen.-

Die Unterhaltung zwischen Bob, Rackertüg und Knieptang hat niemand gehört, sie ward sehr leise geführt. Und Rackertüg warf seine Blicke bald nach rechts und bald nach links ins Dickicht, als fürchte er fremde Ohren. Bob schüttelte einmal über das andere sein großes Haupt, aber das Schütteln wurde immer unmerklicher. Und schließlich sagte er: »Gut also, wenn ihr glaubt, daß es zum allgemeinen Besten ist, will ich mich nicht langer sträuben. Aber nun schnell, führt mich zu dem hohen Hügel, von dem aus man die Insel überschauen kann!«

Da stieg der Hornvogel in die Luft und strebte mit gewaltigen, klappernden Flügelschlägen der steigenden Sonne entgegen, und die Meerkatze setzte sich auf Bobs Nacken und rief ihm zu, wenn er in seinem schnellen Laufe zu weit nach rechts oder nach links abwich. So ging es durch Dickicht, durch hohe Baumwälder, durch Wiesen und Steppen. Rackertüg saß ganz geschützt hinter dem dicken Schädel und freute sich, wenn er hörte, wie vor dem starken Druck des laufenden Riesen die Schlinggewächse zerrissen, und wenn er sah, wie links und rechts blitzende Augen aus den Tiefen schauten und entsetzt in den Fernen verschwanden. Drei Stunden dauerte der lustige Ritt. Die letzte Stunde ging es steil bergan. Dann beschrieb Knieptang in der Luft einen großen Bogen und ließ sich auf einen einsamen Felsstein nieder, der mitten auf einer schmalen Hochebene lag.

Bob hielt an, und Rackertüg sprang zu dem Vogel auf den Felsblock hinüber.

Bob atmete auf und sah nach allen Seiten in die Tiefe. Da hinten blitzte im Sonnenstrahl der Strom auf, über den er gekommen war. Und auf der andern Seite, so fern, daß man es kaum erkennen konnte, flimmerte auch so etwas wie ein weißer Strich. Das mußte der andere Arm des Flusses sein. Und zwischen den beiden Strömen dehnte sich endlos ein waldreiches Land. Bob sah lange nach allen Seiten. Endlich sagte er: »Ich sehe das Ende nicht.«

»Ich auch nicht,« sagte Rackertüg, »aber es liegt dort hinten, drei Tagereisen von hier.«

»Und das alles soll mir untertänig sein?« – »Das alles, Bob!« – Nun erhob Knieptang seine knarrende Stimme: »Du siehst, Bob, es ist ein schönes Land. Und es ist nichts Kleines, sein König zu sein! Aber jetzt müssen wir heimkehren, daß wir nicht zu spät zu unserer Waldlichtung kommen. Um zwei Uhr ist die Beratung; denn zu dieser Stunde schläft alles Raubzeug.«

Bob sah noch einmal im Kreise umher. Und er sagte langsam: »Du hast recht, Knieptang, es ist ein schönes Land. Und ich möchte wohl sein König sein. Aber nur, wenn ich es ohne Blutvergießen werden kann!« – Knieptang tat, als hörte er nicht, schwang sich in die Luft und flog mit raschen Flügelschlägen den Weg zurück. Rackertüg schwang sich wieder auf Bobs Nacken. Und sausend ging Bobs Lauf in das Tal hinab.


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