Richard Voß
Zwei Menschen
Richard Voß

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Achtes Kapitel

Ich gehe meiner toten Mutter zuliebe nach Rom

Schnee und Schnee!

Dazu klare, kalte Tage. Kein Wölklein am Himmel, und dieser tiefblau über der weißen Welt. Jeden Morgen Rauhreif, so daß jeden Morgen um das Schloß ein Zauberwald ersteht. Im Garten erblühen leuchtende Wunderblumen, und die Geißblattlaube meiner Mutter wird von einem flimmernden, funkelnden Gespinst umzogen.

Nächste Woche ist Weihnacht, heiliger Abend, das Fest nicht nur aller Kinder, sondern auch aller Mütter.

Meine Mutter ist tot.

Heute kam Judith. Sie trug das schwarze Kleid, darin sie gar nicht mehr wie ein Kind aussieht. Auch in ihrem Wesen ist sie seit meiner Mutter Tod noch weniger kindlich, als sie vordem schon war. Sie ist wie eine junge Matrone.

Mit tiefem Weh schreibe ich hin, daß ich Judith in der ersten Zeit, nachdem ich mit meiner toten Mutter von ihrer Wallfahrt zum blutenden Herzen Marias nach Hause zurückkehrte, nicht ohne Überwindung bei uns sehen konnte, wie ich auch nicht imstande bin, über meiner Mutter Tod mit ihr zu reden. Zwischen ihr und mir steht die gestorbene Mutter, und ich muß zusehen, wie ich über diese hinweg zu meinem Glück gelangen kann. Schwer wird es sein; aber – es wird sein!

Also heute war Judith da... Als ich in die Halle trat, wo jetzt vom frühen Morgen bis zum späten Abend die Fichtenscheite lodern, saß sie bei meinem Vater. Die Hexe vom Platterhof hat den gestrengen Schloßherrn schon längst zahm gemacht, daß es ihm so tief wohlig bei ihr ist, wie jedermann.

Mit fast fröhlicher Stimme rief er mir daher zu: »Sie will uns für die ganze Festzeit nach Vahrn haben. Was sollen wir tun? Sie will es eben; also gehorchen wir ihr.«

Ohne den Namen meiner Mutter zu nennen und auszusprechen, aus welchem Grunde sie uns über Weihnachten bei sich haben will, sagte sie zu mir gewendet: »Ihr tätet mir einen großen Gefallen, wenn ihr kämt. Nicht wahr, Rochus, du kommst?«

Dabei schaute sie mich mit ihren großen dunklen Augen bittend an. Und wenn sie mich anblickend von mir verlangt hätte, ich sollte mit ihr von der Plose herunterspringen, so hätte ich es getan – tun müssen.

Alles, was ich erwiderte, war denn auch nur: »Aber keinen Christbaum ...« Und ich setzte leise hinzu: »Nie mehr einen Christbaum.«

Darauf schwiegen wir lange.

Auch das muß ich von Judith noch berichten, daß sie bei den vielen Seelenmessen, die unser guter alter Kaplan in der Schloßkapelle in der Gruft las, niemals anwesend war. Sie sprach darüber mit mir:

»Deiner Mutter ganzes Leben war ein Gebet, und im heiligsten Gebet starb sie. Was brauchen wir da erst noch den Himmel zu bitten, daß ihre Seele keine Flammenqualen erdulden muß? Es wäre schlimm, wenn wir darum erst bitten müßten.«

Ich erwiderte: »Du wirst wohl recht haben; aber die Leute reden darüber, daß du den Seelenmessen für meine Mutter nicht beiwohnst. Die Leute verstehen es eben falsch. Wie sollten sie es auch richtig verstehen können?« »Wenn du es nur verstehst.«

»O ich –«

»Jetzt kannst du an dir selber erfahren, was ein Kind dabei fühlt, wenn die Leute von seiner Mutter sagen: sie muß Höllenqualen erdulden. Und wenn man solche gute Mutter gehabt hat... Ach, mein armer Rochus, daß auch du es jetzt erfahren mußt!«

Dabei brach sie in Tränen aus. Ich hatte sie noch nie weinen sehen, selbst nicht an meiner und ihrer Mutter Grabe. Jetzt schluchzte sie, als ob ihr das Herz brechen wollte. Sie war in ihren Tränen – auch das geschah zum erstenmal – ganz ein Kind. Ich umschlang sie, drückte ihr weinendes Antlitz an meine Brust und fühlte bei ihren Tränen, daß wir zusammengehören und nichts uns trennen konnte. Wie eine Offenbarung überkam es mich, das schluchzende Kind in meinen Armen. Darauf zog eine große, feierliche Ruhe in mein Herz.

Wir befinden uns auf dem Platterhofe und wissen seiner Herrin Dank, daß sie uns aus unsrem verödeten Gemäuer mit sich fortgenommen hat in ihr heimliches Haus, darin jeder Winkel von ihrer Gegenwart angefüllt ist. Alles in dem weiten Hause redet von ihr, und die ehrenwerte Frau Bürgermeisterin findet nicht Worte genug, sie zu rühmen. Solche Lebenswärme entströmt ihr, solche Tatkraft geht von ihr aus, daß jedermann in ihrer Nähe davon durchglüht und ergriffen wird. Beständig mit ihr zusammen zu leben, heißt, beständig zu arbeiten, zu schaffen, zu nützen; heißt, ein besserer, also ein frommerer Mensch zu werden. Das hat meine Mutter nicht bedacht, als sie ihren Sohn vom Platterhofe loszureißen und nach Rom zu führen versuchte. Selbst in der Stadt Sankt Peters und des heiligen Vaters könnte ich kein solch frommer Christ werden, wie ich es auf dem heidnischen Platterhofe bin ...

Der heilige Abend ist glücklich vorüber. Judith bescherte uns nichts, damit wir nicht empfinden sollten, daß sie uns gab, was eine andre Hand uns nicht zu spenden vermochte. Auch wir versuchten nicht, ihr Freude zu bereiten.

Aber festlich begingen wir den Christabend auf dem Platterhofe doch, ohne Lichter und Baum freilich. Auch diese Feier war ein Gedanke Judiths, derartig im Sinne der Toten, als hätte sie meine Mutter selbst für das erste Fest bestimmt, welches wir ohne sie abhalten mußten. In der Weihnachtsfeier auf dem Platterhofe war der Geist meiner Mutter unter uns, ihr leuchtender, liebender Geist.

Judith bescherte sämtlichen Kindern von Vahrn, Kloster Neustift und Enna: sämtlichen Kindern, die mutterlos waren.

Mutter, gute Mutter, wie liebe ich dieses Kind, welches deinen wilden Rochus sanft und fromm macht, wenn auch nicht fromm in deinem Sinne.

Judith ahnte nichts von der schweren Last auf meiner jungen Seele. Sie ahnte nicht, um was meine Mutter zu dem blutenden Herzen der Himmelskönigin wallfahrtete und weswegen sie der allerheiligsten Jungfrau eine Kerze opferte. Erführe sie es, würde sie sich augenblicklich meinen Ring vom Finger streifen, den sonst nichts von ihrer Hand zu lösen vermag. Sie wird es jedoch niemals erfahren; denn außer der Toten Sohn besitzt niemand Kenntnis davon. Und dieser wird schweigen wie das Grab, welches die arme Pilgerin umfängt. Immerhin habe ich jetzt ein Geheimnis zu hüten, was meiner Natur so entgegengesetzt ist, als wollte ich mir auf meinem jungen Haupt eine Tonsur scheren lassen.

Mit Judith zusammen gehe ich jetzt auch wieder durch den Schnee, von dessen erstarrender Kälte fortan mein ganzes Leben lang ein Hauch durch meine Seele wehen wird. Wir machen miteinander weite Wege nach Schalders, Mühlbach und Spinnes hinauf. Eines Tages war der Schnee so fest gefroren, daß man über Abgründe hätte hinwegschreiten können. Schon beim Morgengrauen brachen wir auf, führten Eispickel, Steigeisen und Schneeschuhe mit uns und klommen zum Alphaus empor, um daselbst nach dem Rechten zu sehen. Ich hatte zum erstenmal wieder meine liebe Büchse bei mir und schoß einen Berghasen. Pulver und Blei brauche ich nicht mehr zu sparen; brauche ich doch der Gottesmutter kein silbernes Herz zu opfern.

Der Tag war herrlich, der Himmel blau, die Winterwelt voll Glanzes. Wir waren so jung, unsre Herzen schlugen so heiß, das Leben mit Judith zusammen konnte so schön sein, daß ich fröhlich ward, fast wie ich es vordem gewesen. Und ich merkte meine Freudigkeit nicht einmal sonderlich. Es kostete einen wahren Kampf, bis wir die verschneite Alp erreichten. Ohne die Schneeschuhe wäre es trotz des hartgefrorenen Schnees nicht möglich gewesen, hinauf zu gelangen. Als wir droben standen, wo die ebenen Weideplätze liegen, faßten wir uns bei den Händen, und jetzt sausten wir nur so dahin. Es war ein wonniger Lauf, als ginge es durch die Lüfte. An dem Alpenhaus wären wir fast vorübergeglitten, so tief steckte es im Schnee. An ein Hineingelangen, ohne zuvor einen Weg auszugraben, war nicht zu denken ...

Seit jenem Tage gestaltete sich mein Leben nach außen hin wie früher; über das Grab meiner Mutter ging es hinweg. Ich ritt und jagte wieder, hatte an Reiten und Jagen meine helle Freude. Auch nach Kloster Neustift kam ich wieder, etwas seltener als früher. Dagegen war ich auf dem Platterhofe womöglich noch häufiger als sonst: so oft ich es zu Hause gar zu öde und einsam fand. In der ersten Zeit quälte ich mich darüber, weil ich wieder Freude an meinem jungen Dasein empfand. Allmählich wurde auch das anders. Meine Selbstvorwürfe verminderten sich zugleich mit meinem Leid, und beides kam – ganz allmählich – immer seltener. Es war grausam gegen die arme Tote in ihrem dunklen Grabe; aber es war so.

Die Erkenntnis der Hinfälligkeit aller menschlichen Empfindungen – selbst die der innigsten und heiligsten – machte auf mein junges Gemüt beinahe einen ebenso erschütternden Eindruck als meiner Mutter Tod. Denn was soll auf dieser Welt bestehen, wenn es nicht die Trauer eines Kindes um den Tod der Mutter ist? Um eine solche Mutter, die in solcher Weise für ihren lieben Sohn ihr Leben ließ!

Ewig bestehen aber wird meine Liebe für Judith Platter.

Eine Mutter dagegen kann vergessen werden.

Heute habe ich eine große Sache zu berichten: ich gehe wallfahrten! Und zwar gehe ich wallfahrten nach Rom!

Wohlverstanden; nur wallfahrten gehe ich ...

Wie kam das?

Auf eine ganz natürliche Weise.

Eine Anzahl Tiroler: Geistliche, Edelleute, Bürger, Bauern begeben sich auf eine Pilgerfahrt nach Rom, um daselbst die heiligen Ostern zu feiern. Fast alljährlich um die Osterzeit bildet sich in Tirol ein derartiger Pilgerzug. Schon in meiner glückseligen Kinderzeit sprach meine Mutter davon, daß ich in meinem siebzehnten Jahre solchen Wallfahrern mich anschließen möchte. An diesen mütterlichen Wunsch dachte ich, als ich auch dieses Jahr von der Romfahrt vernahm; und diesen frommen Wunsch meiner teuren Toten kann ich erfüllen. Ich bin glücklich, ihn erfüllen zu können, zumal ich mit innerem Grausen empfinde, wie meine Trauer um die Geliebte mehr und mehr meiner Jugendlust und Daseinsfreude – meiner Liebe zu Judith weicht. Ich werde mit größerer Ruhe meines Lebens und Liebens mich freuen können, wenn ich in Rom war und in den sieben Pilgerkirchen meine Andacht verrichtet habe.

Rochus, o Rochus! Blickst du in dich hinein, recht tief in deine innerste Seele, so mußt du die Selbstsucht sehen, die dich nach Rom treibt. Erstrebst du redliche Erkenntnis der Menschen und Dinge, so trachte zuerst danach, dich selbst zu erkennen ...

Als ich meinen Vorsatz, dem österlichen Pilgerzug mich anzuschließen, zu Hause mitteilte, war mein gestrenger Herr Vater tief gerührt und Kaplan Plohner segnete mich. Ich mußte mein Vorhaben auch Judith berichten. Weshalb wohl wurde es mir schwer, ihr die Mitteilung zu machen? Es war nicht anders, als blickte sie in mich: tief in mein innerstes Herz; als sehe sie mit ihren klaren, klugen Augen, um welcher Ursache willen ich nach Rom gehe. Es war, als schämte ich mich, daß sie mich erkannte.

Mein Schamgefühl Judith gegenüber brachte mich wider mich auf. Ganz wild ward ich über mich selbst: weil ich mich diesem Kinde gegenüber fast fürchte.

Als ich nach Vahrn ritt, um es ihr zu sagen, redete ich mich daher in einen lodernden Zorn hinein. Ich nahm mir vor, mich sehr männlich zu benehmen und gegen Judith, sollte sie meinen frommen Entschluß nicht lebhaft billigen, äußerst rauh zu sein. Wie sollte es dereinst werden, wenn ich mich dem Mägdelein jetzt schon unterwarf? Ich, der ich einmal Herr sein will, und der ich in mir etwas verspüre, als wäre ich so recht zum Herrschen geboren.

Ich sagte es ihr also, bereit, bei ihrem ersten Wort, welches wie leise Mißbilligung oder nur wie Verwunderung klang, sogleich heftig aufzubegehren. Aber sie gab mir keinerlei Veranlassung zu einer derartigen kraftvollen Äußerung eines mir sehr männlich erscheinenden Unwillens. Voll freundlichen Anteils hörte sie mich an, ließ sich den Weg schildern, den die Pilger nahmen, und holte eine Landkarte herbei, weil sie die Straße recht anschaulich vor Augen haben wollte. Auch schrieb sie noch denselben Tag an eine Buchhandlung nach Innsbruck wegen guter Bücher über Rom, davon sie nur wenig wußte und darüber sie sich, da ich hinging, gern belehren wollte.

Wir schieden in allem Frieden und in bester Freundschaft. Trotzdem blieb ich unwirsch, fühlte mich auch jetzt noch beschämt, und das womöglich in einem stärkeren Maße als vorhin, da ich angeritten kam. Meine schlechte Laune über mich selbst, die ich an Judith nicht auslassen konnte, mußte mein Falber an seinem Leibe verspüren. Ich gab ihm die Sporen derart heftig, daß er auf der glatten Straße nur so dahinflog und durch ein wahres Wunder nicht zum Sturze kam.

Jetzt bereite ich mich für die Reise vor. Wir sind unser über hundert. Auch Frauen sind darunter. Wäre doch Judith dabei. Das sollte alsdann eine Pilgerfahrt werden! An der Seite der Geliebten den weiten Weg bis Rom und in Rom von Kirche zu Kirche, von Gnadenstätte zu Gnadenstätte. Sie geht jedoch nicht nach Rom, küßt nicht dem heiligen Vater den Fuß, sondern bleibt auf dem Platterhofe und freut sich über ihre jungen, kräftig gedeihenden Marillenbäume.

Bis Verona gehen wir zu Fuß. In dieser Stadt setzen wir uns auf die Eisenbahn und fahren über Florenz bis Orvieto, von wo aus wir die letzte Strecke Wegs wiederum wandernd zurücklegen. Ich wollte, ich wäre bereits wieder daheim auf Schloß Enna am brausenden Eisackfluß, bei meinem Falben und meinen Hunden. Gewiß komme ich erst zurück, wenn der Auerhahn nicht mehr balzt. Das ganze hochheilige Rom würde ich lassen, um auf der Plose den Hahn balzen zu hören.

In Kloster Neustift erhoben die angehenden Mönchlein und Pfäfflein, alle die zukünftigen Erzpriester, Prälaten, Bischöfe und großen Kirchenlichter ein gewaltiges Geschrei über meine Romfahrt; priesen mich deswegen schon jetzt auf Erden glückselig; fanden nicht Worte genug, um mir alle die Wunder der ewigen Stadt zu schildern, die von einer Herrlichkeit ohnegleichen sein muß, zumal für den katholischen Christen. Denn die Klosterschüler von Neustift wissen von Rom fast nur das Christliche und Heilige, und daß Rom das Grab des greulichen Heidentums sei, welches mir gar nicht so schrecklich und schauerlich erscheint, vielmehr voller Heiterkeit und Schönheit. Das sind jedoch unchristliche Gedanken, für die ich in Rom an den Grüften unsrer großen Märtyrer Pönitenz tun will.

Judith liest eifrig in den Büchern, die sie sich aus Innsbruck über Rom kommen ließ. Ihrer Gewohnheit nach redet sie nicht viel davon. Da ihr jedoch alles welsche Wesen bis in den Grund der Seele verhaßt, ihr ganz und gar zuwider ist, so wird sie wohl kaum verstehen können, welche Bewandtnis es mit Rom hat. Dazu kommt, daß sie eine katholische Christin ist, die weder Roms noch sonst einer heiligen Stätte bedarf. Heute nun sprach sie in ihrer Art mit mir davon, mit großem Ernst meinend:

»Das muß eine seltsame Stadt sein.«

»Weswegen seltsam?«

»Eine gefährliche Stadt.«

»Gefährlich ... Rom?«

»Für dich wird Rom gefährlich sein.«

»Inwiefern das? Und weshalb grade für mich?«

»Das wirst du selbst sehen.«

Ungeduldig rief ich: »Sprich doch nicht so geheimnisvoll! Ich verstehe dich nicht.«

»Wie eine Magie wird Rom für dich sein. Deutlicher kann ich es dir auch nicht sagen.«

Sie sprach mit solchem feierlichen Ernst, daß ich laut lachen mußte. Von ganzem Herzen lachte ich das altkluge Kind aus.

Aber dieses blieb dabei, daß Rom für mich gefährlich sein würde und daß ich mich vor Rom hüten sollte.

Ich mich hüten vor Rom ... Du seltsames Judithlein, kennst du den Junker Rochus so schlecht?

Im Tale schmilzt der Schnee. Als wären sie von Sommersgluten verbrannt, so fahl und farblos steigen die Wiesen aus dem Winterbett auf. Aber in hoffnungsvollem Grün prangt die junge Saat. An den Sonnenhängen der Berge blühen bereits Blumen: gelbe Primeln und blaue Leberblümlein. Und gestern brachte Judith für meiner Mutter Grab einen mächtigen Kranz aus großen blaßlila Anemonen, die im schönsten Silberglanz schimmern und auf den Alpenwiesen des Platterhofes gepflückt wurden. Es sind so schöne Tage, daß sicher bald der Hahn balzt. Und ich gehe nach Rom!

Denn morgen schon geht es fort; und mich reut es jetzt, daß ich mit dabei bin. Würde ich mich nicht schämen, sagte ich noch in letzter Stunde: »Geht ihr nach Rom! Ich bleibe daheim! Was schert mich Rom? Geht und betet für meine arme Seele.« ... Dazu macht mir Judith das Scheiden noch schwerer; denn sie sieht mich immer so sonderbar an: mit solchen seltsamen, tief in mich hineinschauenden, forschenden Augen. Nach jeden derartigen Bohrblicken ist sie überaus ernsthaft und still. Was meint sie nur damit? Denkt sie im Ernst an eine Gefahr für mich in Rom?

Genug, ich scheide betrübten Gemütes von hier; denke beim Abschiede bereits sehnsuchtsvoll an die Wiederkehr, darauf mich freuend wie ein Kind auf Weihnachten. Das ist für solche Reise, wie ich sie antreten will, gerade nicht die rechte Stimmung; und ich möchte wohl wissen, was die weite Wallfahrt mir nützen soll?

Zur Umkehr ist es nun zu spät; aber – ich werde ja wiederkommen! Und das bald, bald.

Santa Barbara, du heilige Schutzpatronin und Fürsprecherin, geleite mich bald, bald wieder in die liebe Heimat zurück!

Amen.


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