Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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Abglanz der Freiheit

Die dritte Regenzeit in Mannsräuschlins Leben hebt an. Täglich ist es unterm Sattel, in der Trense gegangen und hat den Willen des Menschen völlig begreifen gelernt. Noch aber hat man ihm die Hufe nicht beschlagen. Man hat begonnen, es zu striegeln und zu kämmen. Nach dem ersten nervösen und neugierigen Staunen über das Neue, das an seinem Leibe da geschah, fand die junge Stute großen Gefallen an dieser Prozedur. Wenn der Knecht mit den Geräten ankam, lief sie ihm zu und begriff in der großen Eitelkeit des kindhaften Gemüts sehr gut, daß sie sauber und schön gemacht werden solle; hielt gern still, schnaubte stolz und freudig. Wenn dann der kurze Schlag auf die Kruppe kam, der stets dies Geschäft beendigte, galoppierte sie wiehernd davon, kehrte immer noch einmal um, weil es vielleicht noch etwas Gutes gab, und tänzelte dann an die Futterkrippe. Dort war jetzt frisches Dürrgras. Oh, sie kennt die Merken des 240 Tages genau, und wenn je der Mensch sich verspätet, wartet sie mit langem Hals und spielenden Ohren an der Hürdentür. Nur die Eimer, die der Knecht in hohem Schwung über ihr ausgießt, bleiben ihr unbehaglich. Nicht des Wassers wegen. Wasser und Abschwemme liebt sie überaus. Aber die wilde Bewegung, die der Mensch dabei tut, schreckt sie.

Die ersten Regentage nach der großen Hitze waren vergnüglich. Lau und fein sickerte es aus hohem Gewölk und munterte die Pferde auf, die an den heißen Tagen stundenlang träge vor sich hin gedöst hatten. Der Mensch kam seltener. Als eine Woche nach dem ersten Regentag die Steppe sich begrünte, erschien der Mensch mit mehreren Knechten in der Hürde. Er ritt den braunen Wallachen, und die Knechte waren ebenfalls beritten. Die Pferde in der Hürde staunten über die Reiter und beschnupperten die Reittiere. Man legte ihnen Halfter an, und dann ging's durch die Tür hinaus. Mannsräuschlin wurde vom Farmer am Halfter geführt. Die Fohlen trabten an den Flanken der Mutterstuten, die die Knechte an der Leine hatten. Der ungebärdige Junghengst, mühsam vom ältesten Roßknecht gehalftert, beschloß die kleine Kavalkade, die durch den triefenden, nebelnden Morgen in die Steppe hinaustrabte. 241

Auf grünen Weideplätzen angelangt, pflockte man die Leinen fest, und die Pferde begannen zu grasen. Es gab freundliche Worte vom Menschen und seinen Knechten, und gute Liebkosungen. Dann ritten die Männer davon.

Die älteren Stuten und der Junghengst achteten es nicht, daß die Menschen fortritten. Das üppige, saftige Gras war nach so langem Dürrfutter ein solcher Leckerbissen, daß sie sich dem Genuß ganz hingaben. Der Hengst bockte eine Weile an der Leine und zerrte gegen die Stuten hin. Aber man hatte die Rosse so weit voneinander entfernt festgemacht, daß sie nicht zueinander gelangen konnten.

Mannsräuschlin wieherte dem Menschen nach und nahm in langem Trab die Spur auf. Aber nach wenigen Gängen schnitt das Halfter in den Hals. Die Stute bäumte sich und trabte in die entgegengesetzte Richtung, bis die Leine sie wieder verhielt. Dann galoppierte sie schnaubend eine Weile im Kreis um den Pflock; und weil sie nichts mehr erhorchte und eräugte vom Menschen und auch keine Witterung durch den feuchten Nebel herkam, wieherte sie nochmals kurz und unmutig und begann zu grasen. Dann und wann schrie der Junghengst herüber. Die Fohlen trieben ausgelassene Spiele um ihre Mütter. Der Regen rieselte 242 eintönig, und die Stille war groß. Gelbe Nebelschwaden kamen heran und hüllten bald dieses, bald jenes Pferd ein, daß sie riesig in unbestimmten Umrissen, Gespenstern gleich, im Dunst standen. Nur das Schnauben und Schütteln der Hälse war hörbar in der dicken Luft.

Mit dem Nebel und der plötzlichen Ausgesetztheit in der großen regnichten Stille kommen über Mannsräuschlins Gemüt deutliche Erinnerungen an die vergangene Regenzeit mit ihren Fährnissen und weiten Wanderungen; an die schwarzen Leute und den wilden Hengst, an die große Herde und das Leben in der Freiheit. Wenn diese Bilder in sein Gemüt aufsteigen, dunkel und ungefähr, steht die junge Stute hoch erhobenen Halses, äugt unverwandt aus großen Augen in die Nebelferne, hat die Ohren unbeweglich nach vorne gespitzt, als erwarte sie etwas, vielleicht den Ruf des Leithengstes. Dann plötzlich fällt sie in einen langen Trab, den gewohnten Gang in der freien Steppe, wiehert in die Dämmerung hinaus und achtet es nicht, daß das Halfter sie im Kreis zu traben zwingt. Man ist auch in der Freiheit meist im Kreis getrabt. Freilich, in welch großem, herrlichem Kreis. In ihrer Seele wogen die alten Erinnerungen mit den jüngsten Erlebnissen durcheinander. Wenn jetzt der braune 243 Einaug erschiene, und von der anderen Seite der Mensch auf dem Wallachen, und wenn beide riefen: es ist sehr gut möglich, daß die Magie des Menschen zu schwach wäre, den herrscherlichen Willen des Leithengstes und auch das weibliche Unterworfensein unter diesen Willen zu überwinden. Aber der Einaug ruft nicht. Er ist weit fort mit seiner Herde und wird nach vielen Tagen sich an ihre Spitze setzen und höheres trockenes Land aufsuchen. Die Stimme des Menschen kommt viele Tage nicht durch die Regenwände.

Als der Mensch dann kommt, führt er mit den Knechten die kleine Herde an einen anderen Weideplatz, wo die Pferde wieder angepflockt werden. Sie haben den alten Platz abgeweidet. Aber in einer Woche wird er wieder dicht übergrünt sein.

Dann mählich schluckt der Boden das Wasser nicht mehr und es steht zollhoch im saueren Gras. Die Pferde tun sich zwar nieder, aber nur kurze Zeit, und schlafen stehend. Da holt der Mensch seine Zuchttiere eines Tages in die Siedlung und bringt sie in großen Ställen unter. 244

 


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