Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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In Ermanglung andrer Vorwürfe – und in der That sehe ich nicht, was an seiner Regierung mit Grund auszusetzen wäre – bemühen sich seine Feinde, ihn dem Volk als einen Menschen ohne Religion und ohne Sitten verhaßt zu machen. Es giebt zwar schwerlich ein unmoralischers, verderbteres, leichtfertigers und ruchloseres Volk auf diesem Erdenrund als die Syrakusaner; alle Laster, wegen deren ehemahls Sybaris, Krotona und Tarent berüchtigt waren, gehen unter ihnen ziemlich öffentlich im Schwang; Athen und Korinth haben dermahlen nichts vor ihnen in diesem Punkte voraus: aber dafür sind sie eifrige Götzendiener, und halten scharf über gewisse gesetzliche Formen. Weder das eine noch das andere ist bey Dionysius der Fall; er denkt sehr frey, und erlaubt sich zu handeln wie er denkt. Bekanntermaßen nahm er sich, als die Syrakusaner in ihrem ersten Aufstand gegen ihn seine erste Gemahlin ermordet hatten, auf Einen Tag zwey andere (eine aus Lokri und die andere aus Syrakus) die mit ihm und unter sich selbst in dem besten Einverständnisse leben. Ich will die Freyheit, die er sich dadurch gegen die in Griechenland eingeführte Sitte herausnahm, keineswegs und am allerwenigsten aus politischen Gründen rechtfertigen; aber die Natur entsetzt sich doch nicht vor einer solchen That! Wenn die Bigamie gegen die Griechische Sitte ist, so ist hingegen die Vielweiberey in den Morgenländern allgemein; und am Ende, wenn er mit seinen zwey Frauen und sie mit ihm zufrieden sind (wie das wirklich der Fall ist) wem kann es nicht gleichgültig seyn, ob er nur Eine Gemahlin und ein halb Dutzend Kebsweiber, oder zwey Gemahlinnen und kein Kebsweib hat? Aber du solltest hören, was diese tugendhaften Syrakusaner, die, ohne alles Bedenken, ehebrecherischer Weise so viele Frauen haben als sie bestreiten können, für ein Aufhebens über diese Unthat des Tyrannen machen, und was ihre ehemahligen Volksredner, aus dieser Veranlassung, der Tyrannie für Lobreden halten! Doch das alles ist nichts gegen eine andere Abscheulichkeit, die das tyrannische Ungeheuer begangen hat. Höre an und erstaune, daß die menschliche Natur eines solchen Gräuels fähig ist! Du erinnerst dich vermuthlich noch der großen Bildsäule des Äskulaps mit dem langen dicklockichten massivgoldenen Barte, die in seinem Tempel zu Syrakus steht. Stelle dir vor, daß der Unmensch – der jetzt freylich zu seinen großen Ausgaben viel Geld nöthig hat – sich gottesvergessener Weise erfrechte, dem marmornen Äskulap seinen goldnen Bart – abscheren zu lassen, und den Frevel noch gar durch einen Scherz (der freylich in einer Aristofanischen Komödie den Athenern großen Spaß gemacht hätte) rechtfertigen zu wollen. Es sey gegen alle Zucht und Ordnung, sagte er lachend, daß der Sohn einen so großen Bart führe, da sein Vater Apollo gar keinen habe. Mit einem ähnlichen Vorwand ließ er Jupitern neulich seinen, ich weiß nicht wie viele Talente schweren goldnen Mantel abnehmen. Was soll, sprach er, Jupitern ein goldner Mantel? Im Sommer ist er zu schwer, und im Winter zu kalt; Jupiter giebt mir seinen unbequemen Talar, den ich besser brauchen kann, und ich gebe ihm dafür einen hübschen wollenen, der für Sommer und Winter taugt; so ist beiden geholfen. Du kannst dir kaum vorstellen, Aristipp, welchen Schaden Dionysius sich durch diesen witzigen Tempelraub bey den gottseligen Syrakusanern gethan hat, und was er sich nun alles nachsagen lassen muß, weil man einen Menschen, der so gottlose Dinge sagen und thun konnte, aller möglichen Abscheulichkeiten fähig hält.

Dionysius lacht dazu, und geht seinen Weg. Als ich ihm einsmahls meine Verwunderung darüber zeigte, wie er noch Lust haben könne, ein Volk zu beherrschen, das nicht werth sey einen guten König zu haben, antwortete er mir: »Ich weiß nicht ob es irgendwo in der Welt ein Volk giebt, das einen guten König werth ist. Jedermann treibt was er am besten zu verstehen glaubt; und das erste, worauf er zu sehen hat, ist, kein Pfuscher in seiner Kunst zu seyn. Hätte ich vor zwölf Jahren gewußt was ich jetzt weiß, so möchte ich vielleicht in der Dunkelheit geblieben seyn. Jetzt habe ich keine Wahl mehr, und da ich nun einmahl den König spielen muß, so hätte ich Unrecht, wenn ich ihn nicht gern spielte, und mir eine Art von Spaß aus dem närrischen Wettkampf machte, worin ich mit den Syrakusiern befangen bin. Denn wirklich ringen wir aus allen Kräften mit einander; ich, ob ich sie durch eine vernünftige Regierung zwingen könne gerecht gegen mich zu werden; sie, ob sie mich durch Undankbarkeit und unartiges Betragen dahin bringen können, ihre Vorwürfe und Verläumdungen zu verdienen. Aber es soll ihnen nicht gelingen. Ich werde sie immer regieren wie sie es nöthig haben, mit dem Hirtenstabe, wenn sie fromme Schafe sind, mit der Peitsche, wenn sie die Affen mit mir spielen wollen. Wer den Syrakusanern an meinem Platz Gutes thun will, muß es ihnen aufdringen, und auf ihren Undank rechnen. Ich mache mir nichts aus ihrem Haß, wenig aus ihrer Liebe, bin gegen alles Böse, was sie mir thun können, auf meiner Hut, und gedenke bey dieser Methode ruhig auf meinem Bette zu sterben, ungeachtet sie gegen mich komplottieren werden, so lang' ich lebe.«

Da alle Anscheinungen vermuthen lassen, daß Sicilien der Schauplatz eines langwierigen Krieges werden dürfte, weil Karthago gewiß alle ihre Kräfte zusammennehmen wird, sich in einer für sie so wichtigen Insel zu erhalten; so ist es Zeit, daß ich zur Ausführung meines Vorhabens, mein übriges Leben in einer der lebhaftesten Städte des Griechischen Asiens zuzubringen, Anstalt mache. Es würde schon eher geschehen seyn, wenn ich mich nicht hätte bewegen lassen, einigen jungen Leuten aus den ersten Häusern dieser Stadt in der Kunst zu reden Unterricht zu geben, und ihren Übungen eine Zeit lang vorzustehen. Du wirst dich vielleicht wundern, daß ich mich, in dem Verhältniß, worin ich mit dem argwöhnischen Dionysius stehe, zu einem so verdächtigen Geschäft habe entschließen können. Er scheint aber wenig von den Rednern, die ich bilden werde, zu besorgen. »Das hätte ich dir nicht zugetraut, Freund Hippias, sagte er dieser Tage lachend zu mir, daß du meine Feinde eine so gefährliche Art von Waffen gegen mich gebrauchen lehren würdest.« – Sie sollen sie für dich gebrauchen, König Dionysius, nicht gegen dich. – »Darauf möcht' ich mich nicht verlassen, erwiederte er, aber so lange Zungen keine Dolche sind, hat es nichts zu sagen. Ich bin selbst ein Liebhaber deiner Kunst, und du wirst mir erlauben, euern Übungen zuweilen beyzuwohnen.« – Wirklich kam er zwey- oder dreymahl unversehens dazu, und setzte neulich, wie zum Scherz, einen Preis für die beste Lobrede auf den berüchtigten Tyrannen Busiris. »Ich habe starke Vermuthungen, sagte er lächelnd, daß dieser Busiris, dem die Mythologen einen so bösen Nahmen gemacht haben, ein ganz guter Schlag von Fürsten gewesen ist.« – Meine jungen Eupatriden strengten sich nun in die Wette an, wer den Busiris am spitzfündigsten rechtfertigen und lobpreisen könne, und der Preis wurde vom Dionysius selbst dem, der es – am schlechtesten gemacht hatte, zuerkannt. – Das schwör' ich dir zu, Aristipp, wenn ich Syrakus verlasse, wird der Tyrann der Einzige seyn, von dem ich mich ungern trenne.

Du siehst daß wir in der guten Meinung von Dionysius nahe zusammentreffen, und daß ich kein Bedenken tragen würde ihn, wenn es auf meine Stimme ankäme, zum Beherrscher des ganzen Siciliens zu machen. Wenn du ihn aber zum Autokrator aller Demokratien und Oligarchien in Griechenland zu erheben gedenkst, so möcht' ich dich wohl bitten, nur einen einzigen Freystaat von hinlänglicher Größe, um sich in der Unabhängigkeit erhalten zu können, übrig zu lassen; wär' es auch nur, damit wir und unsersgleichen nicht nöthig hätten unter den Garamanten oder Massageten Schutz zu suchen, wenn es unserm irdischen Jupiter etwa einfiele, den Tyrannen etwas derber mit uns zu spielen als unsrer persönlichen Freyheit zuträglich seyn möchte. Ich stehe dir nicht dafür, daß nicht auch einem Dionysius so etwas – tyrannisches begegnen könnte.


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