Christoph Martin Wieland
Vorbericht
Christoph Martin Wieland

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Was das Fräulein betrifft, so muß ich gestehen, sie tat ihr möglichstes, ihm die Liebe ohne Leidenschaft, wozu er sich gegen sich selbst und gegen sie verbindlich gemacht hatte, zu erschweren. Nicht daß sie sich dabei irgendeiner von den verräterischen Künsten bedient hätte, die von mancher andern mit ebensowenig Erfolg als Bedenklichkeit an ihn verschwendet wurden; aber sie war so liebenswürdig, daß es ihm immer schwerer und zuletzt beinahe unmöglich wurde, ihr zu verbergen, was er sich selbst nicht länger verheimlichen konnte. Es kam endlich so weit mit ihm, daß er sich geneigt fühlte, sich eines törichten Stolzes anzuklagen, daß er bei ihrer ersten Unterredung zu A. das Geständnis der Ursache, warum sie vermutlich immer unvermählt werde bleiben müssen, mit der impertinenten Versicherung erwidert hatte, deren wir uns vermutlich noch ganz wohl erinnern. Aber das fatale Wort war nun einmal über seine Lippen gesprungen, und ebenderselbe Stolz, der ihn zu jener Erklärung getrieben hatte, zwang ihn jetzt, eine Rolle fort zu spielen, die er, der zum Schauspieler nicht geboren war, eben darum schlecht spielte, weil sie nicht mehr seine eigene war.

Die Damen haben, bekanntermaßen, einen ihrem Geschlecht eignen Sinn, alles, was in dem Herzen eines Mannes vorgeht, und sein jedesmaliges wahres Verhältnis zu ihnen auszuspähen, wenn er es auch unter einer siebenfältigen Hülle zu verbergen suchen wollte. Julie Haldenstein hatte nicht die Hälfte des ihrigen vonnöten, um zu sehen, welche Gewalt der arme Falkenberg sich antun mußte, um ihr nicht, sooft sie sich einen Augenblick allein mit ihm befand, zu Füßen zu fallen und zu bekennen, daß er alle Hoffnung, ohne sie glücklich zu sein, abgeschworen habe und, ihren Millionen zu Trotz, bereit sei, sich auf der Stelle mit ihr trauen zu lassen, wofern sie sich entschließen könne, von sich selbst und ihm die gute Meinung zu haben, daß er ihr ebendenselben Antrag tun würde, wenn sie (nach dem bekannten edeln Ausdruck der Engländer) nicht einen Heller wert wäre.

Was ihr verschwiegenes Herz bei diesem Geständnis, das sie itzt nur zu oft in seinen Augen las, empfand oder nicht empfand, beruht auf bloßen Vermutungen; das Gewisse ist, daß, wofern etwas der Liebe Ähnliches sich in ihrem Busen regte, es nur die Liebe ohne Leidenschaft sein mußte, welcher der arme Falkenberg, zur Schande seiner eignen Theorie, täglich immer ungetreuer wurde. Sie stellte sich, als ob sie seine Ungleichheiten, Launen, halberstickte Seufzer und andre Malzeichen einer übel verhehlten Liebe nicht gewahr würde, und änderte an der Offenheit ihres Betragens so wenig, daß sie vielmehr die achtungsvolle und beinahe zärtliche Aufmerksamkeit zu verdoppeln schien, womit sie ihn, als ihren erklärten Freund, vor ihren erklärten Anbetern auszeichnend begünstigte.

Unter den letzten befanden sich drei oder vier Herren von Stande und sogar ein italienischer Fürstensohn, welche sich in die Wette beeiferten, der heftigen Zuneigung, die sie zu ihren Millionen trugen, die Miene zu geben, als ob sie ausschließlich auf ihre Person gerichtet sei. Der Oheim Löwenfeld hatte zwanzig Ursachen, wovon er die stärksten in petto behielt, warum er keinem Italiener hold sein konnte; aber unter den übrigen war ein junger Graf, welcher Mittel gefunden hatte, Falkenbergen unvermerkt aus dem ersten Platz in seiner Gunst zu verdrängen; denn er hatte zwei Feldzügen in Italien beigewohnt, hatte fünf oder sechs Schlachten verlieren helfen, machte (was Falkenberg nicht tat) alle Abende die Partie des Generals im Tricktrack und hörte seinen Erzählungen noch aufmerksamer zu als jener. Der alte Herr glaubte für so viele Gefälligkeiten nicht weniger tun zu können, als die Ansprüche des Grafen mit aller Ungeduld eines podagrischen Oheims, von welchem viel zu erben ist, zu unterstützen; aber da die Nichte unabhängig war und so wenig Absichten auf seine Erbschaft hatte, daß sie ihm vielmehr täglich anlag, sich zur Pflege seines Alters und Podagras eine junge Gemahlin mit seinem Gelde zu erkaufen, so kamen die Angelegenheiten des Grafen um keinen Schritt vorwärts, und Falkenberg hatte wenigstens den Trost, daß keiner seiner Nebenbuhler glücklicher war als er selbst.

Inzwischen hatte sich etwas zugetragen, dessen ein weniger stolzer Mann als Falkenberg sich vermutlich bei Julien zu seinem Vorteil bedient haben würde. Er war, wiewohl ganz gegen seine Absicht und beinahe ohne daß er wußte, wie er dazu kam, so glücklich gewesen, die Neigung einer der reichsten Erbinnen in den *** Staaten zu gewinnen. Sie war noch um ein beträchtliches reicher als Julie Haldenstein, überdies an Gestalt, Bildung und Talenten eines der ausgezeichnetsten Mädchen am ganzen Donaustrom. Falkenberg würde sich ohne Zweifel in einer andern Lage stark versucht gefühlt haben, seine Maxime einem so glänzenden Glück aufzuopfern; in der seinigen bedachte er sich keinen Augenblick; und da die Sache durch die Hände verständiger Mittelspersonen ging, fiel es ihm nicht schwer, den Antrag mit der zartesten Schonung der jungen Dame und ihrer Familie abzulehnen.

Daß Falkenberg weder Julien noch irgendeinem andern das Geringste von diesem Geheimnis merken ließ, bedarf wohl keiner Versicherung; aber ob es gleich nie zur Kenntnis des Publikums kam, so konnte es doch vor dem Fräulein Haldenstein nicht so verborgen bleiben, daß sie sich von diesem unzweideutigen Beweise des hohen Werts, worin sie bei ihrem stolzen Freunde stand, nicht völlig hätte gewiß machen können. Eine Vertraute, die das Geheimnis gegen alle Welt, nur nicht gegen Julien zu bewahren wußte, entdeckte ihr alles, was ihr von der Sache bekannt war, und leistete ihr und Falkenbergen dadurch, ohne es zu wissen, einen Dienst von der größten Wichtigkeit. Denn die schöne Haldenstein schob es nicht länger als bis zum nächsten Morgen auf, der Pein ihres Freundes ein Ende zu machen. Sie traf Anstalt, daß sie eine Stunde mit ihm allein sein konnte, und es erfolgte nun zwischen ihnen ein zweites Gespräch unter vier Augen, welches ich, da es die Entknotigung meiner Geschichte herbeiführt, meinen gefälligen Zuhörern nicht vorenthalten darf.

»Sie sind seit einiger Zeit nicht wie ehmals, Falkenberg – es ist, als ob ein drückendes Geheimnis auf Ihrem Herzen läge...«

»Ein Geheimnis, Julie?« stotterte Falkenberg, die Farbe wechselnd. »Ein Geheimnis – vor Ihnen, meine Freundin?«

»Wenn es mir keines ist, so haben Sie wenigstens keine Schuld daran. Aber beruhigen Sie sich, Ihr Geheimnis ist es nicht, wovon ich mit Ihnen sprechen wollte. Ich habe Ihnen einen Antrag zu tun. Eine meiner Freundinnen hat so viel Geld, daß sie nicht weiß, was sie damit anfangen soll. Könnten Sie sich wohl mir zuliebe entschließen, ihr Vermögen in Verwaltung zu nehmen und im Namen der Eigentümerin jeden schönen und guten Gebrauch davon zu machen, wozu Ihr Kopf, Ihr Herz und Ihr Geschmack Ihnen die Anleitung geben wird? Noch mehr. Das Mädchen hätte gern einen Mann, aber freilich einen sehr edeln, sehr liebenswürdigen. Nun ist ihr aber im Vertrauen gesteckt worden, daß Sie, lieber Falkenberg, vor kurzem eine der reichsten Partien im Lande ausgeschlagen haben. Dies macht das arme reiche Mädchen schüchtern. Wenn ich Ihnen indessen sage, daß meine Freundin mir so ähnlich ist, als ob sie mir aus den Augen geschnitten wäre...«

»Julie, Sie ängstigen mich«, stammelte Falkenberg mit einer Beklemmung, die ihn kaum atmen ließ.

»...daß sie Julie heißt wie ich – daß sie – mit einem Wort, daß sie – ich selbst ist?«

»Liebenswürdigste aller Sterblichen«, rief Falkenberg außer sich, »was kann ich Ihnen antworten?«

»Hören Sie mich ruhig an, Falkenberg. Sie haben sich Wort gehalten; Sie haben bewiesen, daß Sie über gemeinen Eigennutz erhaben sind. Zeigen Sie mir nun auch, daß Sie sich ebenso leicht über kleinlichen Stolz und Eigensinn erheben können. Sie lieben mich – warum wollten Sie sich selbst versagen, glücklich zu sein? – Ich bin kein leidenschaftliches Wesen; ich brause nie auf, gerate nie in Flammen, schwärme nie; aber ich bin der wahrsten, zartesten, beständigsten Liebe fähig. In allem diesem, denk ich, sind wir einander ähnlich genug, um ganz artig zusammenzupassen. Ich bin entschlossen, das Glück meines Lebens in Ihre Hand zu stellen – wollen, können Sie sich entschließen, mir auch das Ihrige anzuvertrauen?«

Was Falkenberg antwortete und mit welchem Feuer, welcher Innigkeit er es tat, sagt jedem von Ihnen sein eigenes Herz.

Julie hatte nicht vergessen, ihren Oheim auf diesen Ausgang vorzubereiten; und da sie alles über ihn vermochte, kostete es wenig Mühe, ihn mit dem Glücke seines ehmaligen Günstlings auszusöhnen. Das Fräulein weilte nun nicht länger zu W. Sie erinnerte sich der Freundin, deren Verlöbnis sie in A. hatte begehen helfen und die sich jetzt mit ihrem Gemahl auf einem Gute befand, das nicht weit von einem der ihrigen entlegen war, und eilte zu ihr, um mit ihrer Beihülfe einen mit Falkenberg abgeredeten Plan auszuführen, den sie aus Gefälligkeit gegen ihn entworfen hatte. Falkenberg gehört nämlich, wie gesagt, einer Familie an, die nicht mit Unrecht auf ihren Namen und auf ihr Geschlechtsregister stolz ist. Er hatte mit allen Gliedern derselben immer im besten Vernehmen gelebt, und ob er gleich unabhängig und überdies aus einem jüngern Zweig entsprossen ist, so machte er sich's doch zur Pflicht, den Schritt, den er zu tun im Begriff war, nicht ohne ihre Beistimmung zu tun, wenn diese anders, wie er hoffte, mit guter Art zu erhalten wäre.
 

Da der Erzähler hier ein wenig innehielt, sagte Frau von P.: »Ich dächte, wenn diese Familie ihren Stammbaum auch bis auf einen der zwölf Pairs Kaiser Karls des Großen hinaufführte, sie könnte sehr zufrieden sein, eine Person wie Fräulein von Haldenstein in denselben eingeimpft zu sehen.« Die ganze Gesellschaft, selbst den alten Baron nicht ausgenommen, stimmte einhellig dem Ausspruch seiner edeldenkenden Gemahlin bei.

»Wenn dies ist«, sagte Werdenberg, sich gegen Frau von P. und die ganze Gesellschaft verbeugend, »was sollte mich länger verhindern, zu gestehen, daß ich Ihnen unter dem angenommenen Namen Falkenberg meine eigene Geschichte erzählt habe!«

»Und ich«, sagte Nadine, indem sie aufstand und sich dem Herrn und der Frau des Hauses mit Ehrerbietung näherte, »darf ich es wagen, Ihnen diese Julie Haldenstein darzustellen, welche unter dem erdichteten Namen Nadine von Thalheim so gütig von Ihnen aufgenommen wurde? Und darf ich mir schmeicheln, für diese unschuldige Hinterlist Ihre Verzeihung zu erhalten und durch Entdeckung meines eignen Namens nichts von Ihrer Gewogenheit verloren zu haben?«

Die angenehme Überraschung aller Anwesenden und der schöne Tumult von Ausbrüchen der lebhaftesten Freude, Umarmungen, Glückwünschen und wechselseitigen Liebeserklärungen gehört unter die dramatischen Szenen, denen auch die beste Beschreibung ihren Reiz benimmt. Der fernere Erfolg dieser Geschichte liegt außerhalb des Hexamerons von Rosenhain; und da das Schicksal sein möglichstes für die Hauptpersonen des Stücks getan hat, so können wir, falls sie uns einiges Wohlwollen eingeflößt haben sollten, ziemlich gewiß sein, daß die Schuld nur an ihnen selbst liegen mußte, wenn sie mit ihrem Lose nicht zufrieden wären.


 << zurück