Helmut Wördemann
Gedichte
Helmut Wördemann

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Der wild-vergnügte Bach

Es war einmal ein Bach, der fing ganz klein an, hoch oben in den Bergen, wo Sonne und Luft noch eins waren und ihn mit Gold überflimmerten, bis neidische Wolken sich in das helle Vergnügen mischten, um es zu vermiesen. Wenn sie sich aber ausregneten spendeten sie dem Bach neues Leben und ließen ihn glücklich aufquellen.

Frisch und hemmungslos sprudelte der kleine Bach den Abhang nieder, sprang über Wurzeln und Steinchen, kitzelte die verblüfften Gräser, kroch geduldig über größere Hindernisse und verlor sich scheinbar im Gestrüpp eines flachen Hochtales.

Es strömte dem Bach jedoch immer neues Wasser zu. Sein glatter und doch durch und durch muskulöser Körper gewann zügig an silberner Kraft, kletterte immer leichter, ja mit glänzend lächelndem Hochmut über Erhebungen und Erdbuckel hinweg, stieß mit kosender Schläue selbst dicke Steine beiseite und bahnte sich vorwärts wie ein siegreicher Held.

Vorwärts und abwärts, denn vorwärts kam der Bach nur, solange es im großen und ganzen abwärts ging. Doch gleichzeitig nahm er zu an Umfang und Kraft. Und wenn seine Wendigkeit sich auch verlangsamte, so drückte sie doch umso wirksamer alles weg, was die hehre Wasserflut aufhalten wollte.

So wurde der Bach ein stattlicher Herr, großartig in seiner Stärke; und strahlend trat er auf. Selbst wenn die Sonne nicht zu sehen war, schimmerte in ihm das feine Licht des Tages, denn es wühlte sich wie verliebt in die quirlenden Wellchen.

Mit der Zeit strömten dem Bach von den Seiten andere Quellen zu. Klein und ergeben lösten sie sich auf in ihm und ließen ihn zu einem Fluss anwachsen. Nun war es vorbei mit dem jugendlich-fröhlichen Übermut, nun musste der liebenswert-wilde Bach sich mäßigen, ob er wollte oder nicht. Er zog gemächlicher dahin, ließ auch lieber zu, dass die Menschen von seinem sauberen Wasser schöpften oder gar in ihm badeten. Er war so reich, dass er gut verzichten konnte, und er war so gutmütig, dass er gerne gab, wenn man ihn nur nicht aufhielt.

Eines Tages aber stürzte der Bach-Fluss ganz unverhofft und ungewollt einen schrecklich-schroffen Abhang hinunter. Das ganze selig dahinschwimmende Wasser fiel hunderte Meter tief in einen Abgrund, wo graue Felsen eiskalt darauf spitzten, ihm den Bauch aufzuspleißen. Zerbrochen und zersprüht barst der ordentliche Flusskörper auseinander, schrie tosend auf vor Schmerzen, brüllte um Hilfe und gebärdete sich so verzweifelt, dass die Schweiß- und Tränenperlen weit in die Gegend wirbelten.

Die alten Freunde, die Sonne und der Regen, versuchten abwechselnd, dem zerstörten Wasser mit Gold- und Silberglanz zu helfen. Sie mischten sich in seine Not, erhellten es und machten es so schön, dass die Menschen bewundernd stehen blieben.

Immer neue Wassermassen stürzten in das herrliche Verderben, jauchzend bis zum Untergang, bis zur Zerstörung, bis an den Rand der Qual. Doch die Vorläufer, die alten Wellen, die den Felstod, die mörderische Zerstückelung schon hinter sich hatten, die waren nicht verloren. Sie hatten zu fliehen versucht, hatten sich in der Luft verflüchtigen wollen und waren doch zur liebevoll tragenden Mutter Erde zurückgefallen, ein letzter schmerzhafter Fall. Nun lagen sie friedlich unter ihresgleichen, sammelten sich zu einem See unterhalb der widerwärtigen Felsentore und spiegelten träumend das Glück der Vergangenheit auf die sanft schwankenden Nebel des grauen Alltags.

 


 


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