Anonym
Der Heliand
Anonym

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Sein Blut über euch

                  Da ward das gewahr   der Wütigen Meister,
Satanas selber,   als ihm die Seele kam
Des Judas in den Grund   der grimmigen Hölle:
Da wußt er in Wahrheit,   daß es der waltende Christ war,
Des Herrn Geborner,   der da gebunden stünde;
Und wußt auch in Wahrheit,   er wolle die Welt,
Am Kreuze hangend,   vom Höllenzwang,
Die Leute, erlösen   zum Lichte des Herrn.
Das schuf dem Satanas   Schmerz in der Seele,
Viel Harms im Herzen.   Zu helfen gedacht er da,
Daß der Leute Kinder   ihm das Leben nicht nähmen,
Ihn am Kreuz nicht quälten.   Der Christ sollte leben,
Daß der Hölle ledig   nicht würden die Leute,
Von Sünden frei.   Hin fuhr da Satanas,
Wo er des Herzogs   Haushalt wußte
In der hohen Feste.   Der Frau erschien
Der Ungeheure,   die Ehegattin
Bewog er durch ein Wunder,   daß ihr Wort dem Christ
Hilfe leiste,   daß er das Leben behielte,
Der Herr der Sterblichen,   dem der Tod schon bestimmt war.
Er wußt in Wahrheit,   so nahm er ihm die Gewalt,
Daß er so mächtig nicht mehr   über diesen Mittelkreis wäre,
Über die weite Welt.   Das Weib war in Furchten,
In schweren Sorgen,   als das Gesicht ihr erschien
Durch des Teufels Trug,   den bei Tageslicht
Der Hehlhelm hüllte.   Ihrem Herren sandte sie
Alsbald einen Boten   und gebot ihm, dem Herzog
Selber zu sagen,   welch Gesicht ihr gekommen sei
Um den heiligen Mann:   ihm zu helfen bat sie,
Daß er das Leben nicht ließe.   »Ich lag und sah
Viel Wunderbares   und weiß, die Sünde soll
Allen auf Erden   gar übel gedeihen,
Die frech ihm das Leben   zu kürzen verlangen.«
Der Gesandte säumte nicht,   bis er sitzen fand
Den Herzog mitten   im Haufen der Männer
An dem Steinwege,   wo die Straße war
Von Felsen gefügt.   Zu dem Fürsten ging er da
Und sagt' ihm des Weibes Worte.

                                                          Bewegt ward wieder
Das Herz dem Herzog:   heftig wandt es sich
Ihm in blöder Brust.   Ihm tat beides weh,
Wenn sie ihn erschlügen,   den Sündelosen,
Und daß er es vor den Leuten   doch nicht lassen durfte
Ihrer Worte wegen.   Doch wendete zuletzt
Sein Herz sich hin   zu den Häuptern der Juden,
Ihren Willen zu gewähren.   Nur wollt er sich wahren
Vor der schweren Sünde,   die er so beging.
Klaren Bronnen gebot er   herbeizubringen,
Wasser in der Wanne,   wo er gewaltend saß.
Da wusch vor den Degen   sich des Kaisers Diener,
Der schwache Herzog,   und sprach vor der Versammlung,
So von der Sünde   woll er sich selber
Säubern, von Schandtat:   »Keine Schuld will ich haben
An dem heiligen Mann!   Behaltet für euch den Lohn
Der Worte und Werke   und was ihr wider ihn tut.«
Einstimmig riefen da   die Juden alle,
Die mächtige Menge:   »Den Mann verschulden wir
Und die böse Tat.   Sein Blut über uns,
Und sein qualvoller Tod,   und über unsre Kinder
Und Kindeskinder!   Es komm über uns,
Daß wir ihn erschlugen,   wenn daran Sünde geschieht!«


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