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IX. Eine Verlobung in schwerer Zeit

Auf einer Bank in der Nähe des Neuen Sees im Tiergarten zu Berlin saß ein junger Mann und ein junges Mädchen in lebhaftem Gespräch. Es war ein stilles Plätzchen, das sie sich gewählt. Die glühenden Sonnenstrahlen drangen nicht durch das dichte Laubdach der hohen Baumkronen. Durch die roten Blätter einer Blutbuche und die Zweige einer Blautanne hindurch schimmerte der sonnenbeglänzte Spiegel des vielfach gewundenen Sees, auf dem die Schwäne majestätisch dahinzogen.

»Sieh', Elsbeth«, sagte der Mann, indem er die Hand des Mädchens faßte, »wir haben uns von Kindheit an lieb und haben uns immer gut verstanden, wir wollen auch jetzt nicht zugeben, daß irgend etwas zwischen uns trete; wir dienen doch beide demselben Herrn.«

»Ja, Arno«, erwiderte das Mädchen bekümmert, indem sie ihr Haupt einen Augenblick an seine Schulter lehnte, »wir gehören zusammen, und wo du hingehst, da gehe ich auch hin. Aber dein Plan, in die ›Protestantische Religionsgesellschaft‹ einzutreten, um in ihr zu missionieren, ist nicht göttlich. Bleibe lieber im Dienst unserer evangelischen Kirche. Ich könnte dir nicht mit Freudigkeit folgen und würde dir keine solche begeisterte und hingebende Mitarbeiterin sein können, wie ich es mir immer so sehnlich gewünscht.«

»Aber Elsbeth, es ist doch nicht viel anders, als wenn ich als Missionar zu den Heiden ginge, nur, daß wir in der Heimat bei den Eltern bleiben können.«

»Nein, das ist etwas ganz anderes. Der Missionar tritt der heidnischen Welt gegenüber als Bote des Evangeliums; er tritt nicht in die Organisation der heidnischen Religion ein. Die ›Protestantische Religionsgesellschaft‹ will eine Art Kirchenersatz sein und wird trotz aller Verschiedenheiten durch eine gewisse Gesinnungsgenossenschaft zusammengehalten, sie ist eine Pseudokirche. Aus ihr wird sich die geistige Macht der Endzeit gestalten, die die Offenbarung den ›falschen Propheten‹ nennt. Mit was für Strömungen und Religionen trittst du da in einen Kirchenverband! Ich war neulich bei einer verheirateten Schulfreundin zur ›Taufe‹ eingeladen. Die Taufe fand in der Kirche statt. Da sah man neben einem Bilde Christi Bilder von Sokrates, Plato, Galilei, Giordano Bruno, Goethe, Schiller, Tolstoi, Ibsen, Gerhart Hauptmann, Sudermann, Nietzsche u. a. Ehe der Pastor die Taufe auf den allwaltenden Weltgeist vollzog, hielt er, da das Kind ›Helene‹ heißen sollte, eine Rede über eine Stelle aus Buschs ›Frommer Helene‹. Ist das nicht geradezu eine Gotteslästerung? Und wer ist der ›allwaltende Weltgeist‹, den sie verehren? Wer anders als der Satan, der Fürst dieser Welt? Neulich hatte ich Gelegenheit, in eine andere ihrer Kirchen einen Blick zu werfen. Es war eine Kirche der Monisten. Da hingen an den Wänden lauter künstlerisch formvollendete Darstellungen der Entwicklung der Lebewesen von der Urzelle bis zum Menschen, die Seitenschiffe waren geziert mit aneinandergefügten Glaskästen, in deren sprudelnden Wassern bunte Fische und Amphibien sich tummelten. Auf die bunte Beleuchtung der Kästen, die künstlerische Anordnung der Tiere nach Größe und Farbe war viel Sorgfalt verwandt. Von der Decke herab hing, sich fast durch das ganze Kirchenschiff erstreckend, das ungeheure Gerippe eines fossilen Brontosaurus. Frei nach Häckel. Den mit Marmor und Mosaik gezierten Altar krönte ein Ölgemälde, das den Kampf eines behaarten Urmenschen mit einem Menschenaffen darstellt in dem Augenblick, wo der Mensch mit seiner Steinaxt den Schädel des Gorilla spaltet. Durch die bunten Fenster spielte geheimnisvolles Licht; leise Orgeltöne erklangen und Weihrauch durchduftete betäubend den Raum.«

»Da kann ich dir zur Ergänzung noch von zwei anderen Berliner Kirchen erzählen«, unterbrach sie Arno. »Während des Religionskongresses neulich wurden wir in einige Kirchen geführt. Drei sind mir besonders in der Erinnerung geblieben. Die eine war ein stimmungsvoll abgetönter Raum, in dessen Apsis auf einem altarähnlichen Tische eine Christusstatue stand; aber darüber, diese Statue fast erdrückend, eine Kolossalfigur des schlitzäugigen, hockenden Buddha; das war die Kirche der Anthroposophen. Eine andere Kirche war dem Kultus der menschlichen Schönheit gewidmet; doch davon laß mich schweigen. Es kamen einem dabei gleichzeitig die Greuel des Baal- und Astartedienstes und des Venustempels in Korinth in Erinnerung. Endlich sahen wir noch einen ganz merkwürdigen Tempel. Er war wie ein riesiges Blockhaus. Die Dachbalken liefen in Pferdeköpfe aus, über dem Eingang sah man unter einem Hakenkreuz ein einäugiges Wuodanhaupt, zu seinen Seiten zwei Raben. In den Nebenräumen hatten allerhand ›weise Frauen‹ ihr Wesen, die teils wahrsagten, teils Wunden und Krankheiten besprachen. Im großen Innenraum, der fast ganz dunkel gehalten war, sah man an den Balken lauter geheimnisvolle Runen und symbolische Zeichen, in der Mitte einen Opferaltar. In einer Art Sakristei lagen zwei Bücher. Das eine hieß: ›Die Germanenbibel‹, das andere enthielt eine Sammlung von meist sinnlosen Zaubersprüchen zum Gebrauch der weisen Frauen. Du weißt, ich stehe zu dieser heidnischen Religionsmischung ebenso ablehnend wie du, aber die Liebe zu unserem Volke sollte uns doch antreiben, zu ihnen zu gehen und unter ihnen zu arbeiten.«

»Für alle nur denkbaren Religionsauffassungen haben sie Raum und Duldung, aber glaube mir, für das Evangelium, das du ihnen bringen willst, werden sie keine Toleranz kennen. Und dann die Liebe zu unserem Volke! Glaubst du nicht, daß ich auch mein Volk liebe? Aber verstehst du nicht die Zeichen der Zeit? Die Zeit des Volkschristentums ist vorbei. Die Zeit des Gerichts ist nahe herbeigekommen. Jetzt ist die Aufgabe, die Gemeinde zuzubereiten, damit sie bereit sei, ihren König zu empfangen.«

»Liebe Elsbeth, nun kommst du wieder mit deinem apokalyptischen Steckenpferd! Wenn du das tummeln kannst, bist du in deinem Element«, sagte Arno lächelnd. »Wir haben schon oft Zeiten wie diese gehabt und das Gericht ist nicht gekommen. Die Wolken werden sich auch dieses Mal wieder verziehen. Nun aber in allem Ernst die Frage: Wenn ich demnächst in der Gemeinde, um deren Pfarramt ich mich beworben habe, gewählt werden sollte, willst du dann mein geliebtes Weib werden und alles mit mir teilen?«

Elsbeth schaute voll hingebender Liebe zu ihm auf:

»Ja, ich kann nicht anders! Ich liebe dich ja so innig, mein Arno. Ich kann nicht von dir lassen, wenn ich auch überzeugt bin, daß dein Weg nicht Gottes Weg ist. Ich kann nur beten, der Herr möge uns so leiten, daß wir seinem Reiche nicht schaden und uns bewahren, daß die Welt keine Macht über uns gewinne!«

»Meine Elsbeth«, rief Arno, »wie danke ich dir!«

Er zog sie an sich und küßte sie auf den Mund, wieder und wieder. Elsbeth schlang ihre Arme um seinen Hals und erwiderte seine Küsse. »Mein Arno, du Lieber, Guter«, stammelte sie, während ihre Freudentränen sein Antlitz feuchteten.

Noch eine Weile saßen sie in wortlosem Glück Hand in Hand auf der Bank; dann mahnte Arno zum Aufbruch.

Die Wildensteinschen und die Wernerschen Kinder, seit vielen Jahren befreundet, waren beide von Herzen fromme Menschenkinder, die dem Herrn in Lauterkeit dienen wollten. Und doch war ein deutlicher Unterschied in ihrem religiösen Leben zu bemerken. Die Geschwister Wildenstein hatten den großen Segen eines frommen Elternhauses, einer christlichen Erziehung gehabt. Und wenn sie auch trotzdem jeder seine, je nach seiner Individualität verschieden verlaufende Bekehrung durchgemacht hatten, so war doch der Bruch zwischen Einst und Jetzt in ihrem Leben nicht so nach außen hervortretend. Es war etwas mehr Ausgeglichenes, Harmonisches in ihrer Charakterentwicklung; das Natürliche war mehr christlich durchleuchtet und das Geistliche wirkte in gutem Sinne natürlich. Auf der anderen Seite hafteten ihnen auch die Schwächen eines Christentums der zweiten oder dritten Generation an. In der unbewußten Einstellung ihres Fühlens und Denkens gegenüber der Welt und den Menschen gingen sie immer von den Erfahrungen in ihrem Elternhause aus. Das Christentum war ihnen zu sehr das Gegebene, Selbstverständliche, so daß sie geneigt waren, es bei anderen auch zunächst vorauszusetzen, bis ihnen das Gegenteil greifbar entgegentrat. Daher wurde es ihnen schwer in der Welt, in der sie lebten, die Finsternis in ihrer grausigen Macht richtig einzuschätzen, die Tragik der furchtbaren Gegensätze, in die das Leben der Völker immer mehr auseinanderklaffte, genügend zu empfinden und die Zeichen der Zeit, die auf erschütternde Gerichte hinausliefen, zu verstehen. Ganz anders Fritz und Elsbeth Werner. In einem widerchristlichen Hause aufgewachsen, in heißem Kampfe mit den Ihrigen zur Bekehrung durchgedrungen, war das Christentum als das große staunenswerte Neue in ihr Leben eingetreten und hatte ihnen eine Welt der Wunder erschlossen. Vom ersten Augenblick an bedeutete ihnen das Christsein den Kampf gegen die entgegenstehenden Mächte der Welt, des Unglaubens, der Sünde. Daher war ihr Innenleben mehr auf die Wirklichkeit eingestellt; sie sahen es als das Gegebene, Natürliche an, wenn die Menschen Gegner ihres Glaubens waren und gerieten in ein jubelndes Entzücken, wenn sie jemand fanden, der mit ihnen den gleichen Weg ging, dem Lamme Gottes nach. Sie fanden sich daher in der Gegenwart leichter zurecht und verstanden besser die Zeichen der Zeit. Andererseits, da ihr Innenleben sich in schroffen Gegensätzen bewegte, fehlte ihnen das Harmonische, Ausgeglichene in ihrem Charakter, ihr Auftreten konnte leicht den Eindruck des Schwärmerischen, Gezwungenen, Unnatürlichen erwecken. Jedenfalls ergänzten sich diese beiden Typen des Glaubenslebens in den Beziehungen der beiden Geschwisterkreise in lieblicher Weise und Arno sowie Elsbeth fühlten in dieser Stunde beide, wie wertvoll diese Ergänzung für ihr Leben werden konnte.

»Wir wollen hoffen«, sagte Arno, als sie sich dem Königsplatze näherten, »daß die vorhin beobachteten Menschenansammlungen nicht ein Vorzeichen von Unruhen gewesen sind.«

»Es lag schon lange etwas in der Luft«, erwiderte Elsbeth.

Als sie in die belebteren Straßen einbogen, scholl ihnen wildes Geschrei und Johlen aufgeregter Massen entgegen. An einem Fleischerladen war das Schaufenster eingeschlagen und die im Laden Befindlichen warfen, nachdem sie sich selbst genügend versehen, die Würste und Schinken auf die Straße, so daß sich dort ein wildes Balgen um die Beute entspann. Aus einem Warenhause strömte die Menge mit ihren Beutestücken, selbst kleine Kinder waren darunter und trugen, was sie schleppen konnten. Aus den Wohnungen wohlhabender Bürger wurden die Möbel geraubt. Einzelne waren gleich mit Wagen vorgefahren, um sich auf diese Weise eine kostenlose Einrichtung zu beschaffen. Aus einem Hause wurde eine elegant gekleidete junge Dame von betrunkenen Burschen herausgeschleppt, ihr Haar war gelöst, ihre Kleider beschmutzt, sie bedeckte ihr Angesicht mit ihren Händen. Mit rohen Püffen trieben die Burschen sie vor sich her. Bald waren die Rohlinge mit ihr in einer kleinen Nebengasse verschwunden. Solche Bilder häuften sich. Arno, um Elsbeth besorgt, eilte mit ihr weiter; doch Elsbeth war ganz ruhig, sie zeigte keine Spur von Furcht.

Vor den Wolkenkratzern der Bank- und Syndikatsgebäude patrouillierten bewaffnete Posten von Revolutionären mit roten Armbinden. Wer sich von den Plünderern hineindrängen wollte, wurde rettungslos niedergeschossen. Auch hier schützte die Revolution die Hochfinanz vor der Beutegier des Volkes. Nur langsam kamen Arno und Elsbeth vorwärts. Endlich waren sie in der Auguststraße vor der Wohnung von Arnos Eltern.

»Komm, Elsbeth, wir müssen den Eltern unser Glück mitteilen«, sagte Arno und zog sie mit sich.

»Kinder, wo kommt ihr denn her?« rief die Gräfin aus. »Wenn ich das gewußt hätte, daß ihr bei diesen Unruhen in der Stadt waret, hätte ich mich halb zu Tode geängstigt. Gott sei Dank, daß ihr glücklich da seid. Ich bin recht besorgt um Vater, der noch nicht vom Dienst zurück ist.«

»Wir waren etwas spazieren gegangen«, sagte Arno, »und bringen dir eine Nachricht, die dich gewiß freuen wird: Elsbeth und ich haben uns soeben verlobt.«

»Ihr lieben Kinder, Gott segne euch; ich wüßte mir keine liebere Schwiegertochter als dich, liebe Elsbeth.« Dabei nahm sie eins nach dem anderen in den Arm und küßte ihre glücklichen Kinder. »Allerdings ganz unvorbereitet war ich nicht! Ich habe es kommen gesehen. Es ist ein stürmischer Tag, der Tag eurer Verlobung. Möchte eure Ehe voll Sonnenschein und Frieden sein!«

»Leider können wir jetzt nicht mehr auf Vater warten«, sagte Arno; »ich muß Elsbeth nach Hause bringen, komme aber nachher noch einmal heran.«

Nach einer guten halben Stunde war Arno wieder da.

»Liebe Mutter, ich bin gleich im Domstift gewesen und habe das Abendessen für heute abgesagt. Heute möchte ich bei euch sein.«

»Das ist recht«, sagte die Gräfin, »du mußt doch dem Vater über alles berichten und mußt auch noch den letzten ausführlichen Brief von Hasso und Hertha lesen. Bis jetzt wußten wir ja nur durch das Telegramm von Herthas Rettung. O, wie dankbar waren wir, als wir das Telegramm erhielten; wir haben Gott auf den Knien dafür gepriesen.«

Arno las die Briefe mit gespanntem Interesse und sagte dann: »Welch wunderbare Verkettung von Umständen hat zu ihrer Rettung geführt! Wie merkwürdig, daß wieder Joseph Silberstein das Werkzeug sein mußte. Der Mann ist mir ein Rätsel und obwohl wir ihm zu großem Dank verpflichtet sind, wird er mir nachgerade unheimlich.«

Während Arno sprach, hörten sie den Drücker an der Wohnungstür, und gleich darauf trat der Graf ein.

»Guten Abend, Frauchen«, sagte er, »und du, Arno, auch hier? Das ist ja sehr nett. Ihr werdet schon recht auf mich gewartet haben. Aber ihr werdet verstehen, daß ich im Regierungsviertel erst einmal beobachten wollte, wie die Sache läuft. Und denkt euch, unsere Goldprotzengesellschaft, die wir ›Regierung‹ nennen, hat sofort vor der roten Bande kapituliert, sie haben die schwarz-rot-goldene Fahne eingezogen und die rote flattert nun überall in der Wilhelmstraße. Natürlich haben die Roten, die sich im Laufe der Zeit Witz gekauft haben, nun auch die Hochfinanz überall geschont, und der Mittelstand muß einmal wieder die Kosten der Revolution bezahlen. Das Tollste aber ist doch, daß alle Fäden der Revolution in der russischen Botschaft zusammenlaufen! Vor dem Palais unter den Linden sieht man unablässig Kuriere aus und ein gehen und eine revolutionäre Wache behütet dieses Heiligtum der Revolution. Der Joseph Silberstein, den die Bolschewistenbande ›Minister des Auswärtigen‹ schimpft, ist der Drahtzieher.«

»Lieber Mann, bedenke, er ist zweimal der Retter unseres Kindes gewesen. Er kann gewiß kein schlechter Mensch sein.«

»Ach was! Ob schlecht oder nicht, das ist mir höchst gleichgültig. Er scheint ein verbohrter Fanatiker zu sein, und solche Menschen können sich, wie Figura zeigt, zu Schädlingen der menschlichen Gesellschaft auswachsen. Daß er übrigens schon wieder unserer Hertha gegenüber als rettender Engel aufgetreten ist, ist mir äußerst unbehaglich. Ich kann den Gedanken nicht los werden, daß er Absichten auf Hertha hat, und vielleicht ist das überhaupt der Grund für Herthas Flucht aus der Heimat; sie floh vor ihm, und das arme Ding ahnte nicht, daß es ihm da erst recht in die Arme laufen würde.«

»Von der Seite droht wohl keine Gefahr«, sagte die Gräfin, »Hertha wird nie einem Ungläubigen und noch dazu einem Juden die Hand zum Bunde reichen. Da wir aber einmal vom Bundschließen reden«, fügte sie lächelnd hinzu, »haben wir dir eine schöne Neuigkeit mitzuteilen: Arno hat sich mit Elsbeth Werner verlobt.«

»Was?« rief der Vater aus, »mit Elsbeth Werner? Na, offen gesagt – so besonders entzückt bin ich davon nicht gerade. Ihr wißt, ich halte große Stücke auf Fritz, und habe mich redlich bemüht, ihn für unsere monarchistische Sache zu gewinnen – leider freilich umsonst –, aber heiraten – das ist doch noch eine andere Sache. Man heiratet doch gewissermaßen immer die Familie mit, und unsere Schwiegertochter die Tochter eines kommunistischen Gärtners? Da hättest du dich doch lieber in Familien unseres Standes umsehen sollen – da sind die Rohrs, die Winterfelds, die Itzenplitzs, die haben Ähnliches erlebt wie wir, und Prachtmädles sind darunter, gut kirchlich gesinnt, wirtschaftlich und echte Germaniagestalten, wie die Anne-Marie. Da ist doch Familientradition und gute Kinderstube!«

»Ob sie sich aber gerade zu Pfarrfrauen eignen würden, scheint mir doch sehr fraglich«, erwiderte Arno. »Und deine Ansichten über den Adel, lieber Vater, sind doch nicht mehr zeitgemäß. Der Adel hatte wohl eine große Bedeutung, als er der maßgebende Stand im monarchischen Staate war, in dem sich die gut monarchische Tradition forterbte. Aber jetzt? Welche Bedeutung kann ein mittelloser Adel in wirtschaftlich gedrückter Stellung haben? Denn der andere Teil des Adels, der seine Wappenschilder mit dem Golde der jetzt maßgebenden Gesellschaft vergoldet hat, kommt doch überhaupt nicht in Betracht. Diese Gesellschaft ist doch für uns erledigt.«

»Ich hoffe noch immer, daß aus unseren Standes- und Gesinnungsgenossen sich noch einmal der lebensfähige Kern für eine monarchische Neubildung des Staates herausschälen wird. Ja, um auf Elsbeth Werner zurückzukommen: das Mädchen ist an sich ja sonst recht und gut, aber sie scheint mir in religiöser Beziehung etwas reichlich schwärmerisch veranlagt zu sein. Das weißt du doch selber.«

»Ach, Vater, glaube mir, das gibt sich, wenn sie sich erst den vielen praktischen Aufgaben einer Pfarrfrau gegenübersehen wird. Vor allem, Elsbeth ist ein frommes, liebes Mädchen und wir haben uns innig lieb!«

»Na, alter Junge, es war ja nicht bös gemeint. Du sollst sie ja schließlich heiraten und nicht ich. Jedenfalls bekommst du ein gläubiges, gebildetes, anständiges Mädchen zur Frau und deshalb gratuliere ich dir von Herzen.« Er zog den Sohn an sich und küßte ihn auf die Stirne. »Weißt du, Frauchen, da ist noch eine Flasche alter guter französischer Rotspon, die ich immer für eine besondere Gelegenheit aufgehoben habe. Die wollen wir uns heute zum Abendbrot spendieren.«

Die Mutter besorgte das Gewünschte, und bald saß die Familie bei ihrer schmackhaft gekochten Kartoffelsuppe mit Brot und stieß dazu mit edlem Wein auf das Wohl des jungen Paares an.

»Bist du mit den Alten schon im Reinen?« fragte der Graf.

»Nein, damit möchte ich warten, bis ich in eine Pfarrstelle gewählt bin.«

»Das ist recht, sonst könnten sie noch allerhand Sperenzchen machen.«

»Aber nun wollen wir uns etwas beeilen«, sagte die Mutter, »denn wir sind doch heute Abend bei Pastors zum Lichten eingeladen. Arno, du kommst doch mit? Du weißt, du bist bei den lieben Menschen immer willkommen.«

»Selbstverständlich«, erwiderte Arno, »Pastor Waldholz ist ein so prächtiger edler Mensch mit sonnigem Herzen und weitem Blick, ein Seelsorger von Gottes Gnaden. Es ist mir eine solche Freude, daß wir durch Vaters Wahl zum Kirchenältesten ihnen noch nähergekommen sind.«

Es war nur wenige Minuten bis zum Pfarrhause der am Anfang der Auguststraße gelegenen bescheidenen Kirche.

Die Haustür war noch offen, sie brauchten daher nicht zu klingeln. Unten waren Vereinsräume und Konfirmandenzimmer, die Wohnung im ersten Stock. Auch hier fanden sie die Tür zur Wohnung offen. Der Flur war dunkel. Als sie eintraten, hörten sie Stimmen wie von leisem Weinen. Sie klopften am Wohnzimmer. Frau Pastor Waldholz öffnete ihnen, und als sie sie erkannte, fiel sie mit dem Ausruf: »Ach, meine liebe Gräfin, welch schreckliches Unglück!« der Gräfin schluchzend um den Hals.

»Um Gotteswillen, was ist geschehen?« fragte die Gräfin erschüttert.

Da sahen sie schon Pastor Waldholz mit einer schweren Kopfwunde auf dem Sofa liegen.

»Er ist tot«, jammerte die Witwe, »meinen guten, lieben Mann, der niemandem etwas zuleide getan, haben die rohen Menschen erschlagen!« und sie warf sich über die Leiche ihres Gatten, wieder und wieder ihm Stirn und Lippen küssend. Die Kinder standen um die Leiche und weinten bitterlich.

Endlich sagte der Graf: »Wir wollen uns vor dem Herrn beugen und ihm unser Herz ausschütten.« Dann knieten alle nieder und der Kirchenälteste betete an der Leiche seines Pastors. Er flehte um Ergebung in das schwere Geschick, um Gottes Fürsorge für die schwer geprüfte Familie, für das arme, verblendete Volk, und dankte aus vollem Herzen für allen Segen, der von dem Ermordeten ausgegangen war auf seine Familie und auf seine Gemeinde.

Unter dem Gebet wurden die Herzen ruhiger. Als sie von den Knien aufgestanden, setzten sie sich nieder, und nun hörten Wildensteins, wie es gekommen. Die Kerle waren in das Pfarrhaus eingedrungen und hatten an der Wohnungstür geklingelt. Dann hatten sie von dem Pastor die Auslieferung der kirchlichen Kassen und der heiligen Geräte gefordert. Auf seine Weigerung hatte ein roh aussehender Bursche den anderen zugerufen: »Nieder mit den Pfaffen! Die sind an alles schuld! Det sagt ooch mein Onkel, wat der Ministerialrat is, immer wieder, und der muß et doch wissen. Den Kerl machen wir kalt.« Darauf hatte er mit einem schweren Schlaginstrument auf Pastor Waldholz eingeschlagen und ihm gleich den Schädel zertrümmert. Da sie weder die kirchlichen Gelder, noch die heiligen Gefäße fanden, waren sie fluchend wieder abgezogen. Das war erst vor einer halben Stunde geschehen. Arno und der Graf erboten sich nun alle notwendigen Gänge, zum Arzt, zum Polizeibüro und wo es sonst nötig war, zu besorgen. Die Familie Wildenstein stellte sich in echter Nächstenliebe der heimgesuchten Familie in jeder Beziehung zur Verfügung. Der Graf benachrichtigte noch am selben Abend persönlich die anderen Kirchenältesten. Nach drei Tagen fand das Leichenbegängnis unter gewaltiger Beteiligung der ganzen Gemeinde statt.

Die Revolution hörte schon am folgenden Tage wie auf ein gegebenes Zeichen auf. Eine kommunistische Regierung wurde gebildet. Das Privateigentum wurde für abgeschafft erklärt und die Sozialisierung der Produktionsmittel allmählich durchgeführt, – doch das Großkapital der Großbanken und der Syndikate blieb unangetastet, es wurden Formen gefunden, unter denen die führenden Persönlichkeiten der Geld- und Handelswelt ohne wesentliche Einbuße an ihrem Einkommen in ihren Stellungen blieben und freie Verfügung über ihre ungeheuren Kapitalien behielten. Der kommunistische Staat mußte, um überhaupt existenzfähig zu sein, von Anfang an sich auf einem Kompromiß aufbauen, in dem wieder der Keim seines Zerfalles lag.


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