Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXI.

Katrine machte selbst die Tür auf, aber so vorsichtig, als ob sie Diebe fürchtete. Sie füllte gleich die Türöffnung mit ihrer Gestalt, entschlossen, ihn nicht hereinzulassen. Ihre Augen funkelten. Es waren diese südländischen, tiefen, blitzenden Augen, die Katrine so viele Bewunderer verschafft hatten, besonders in früheren Tagen. Jetzt hatte der Zahn der Zeit bereits stark an ihr genagt. Dennoch war sie noch immer eine fesche Person und wußte sich eine gewisse Position zu verschaffen. Während der Kriegsjahre hatte sie es verstanden, Vorteil aus dem Umstand zu ziehen, daß Kopenhagen es nicht unterlassen konnte, sich als eine vergnügungssüchtige Großstadt zu zeigen. Sie hatte eine große Wohnung, deren elegante Einrichtung hauptsächlich darauf eingestellt war, das Tageslicht auszuschließen. Ihr Heim war nicht allein ein Treffpunkt, sondern auch ein Zufluchtsort. Das Milieu zeigte einen gewissen künstlerischen Zuschnitt, der indessen nicht in gröbere, bohemeartige Formen ausarten durfte. Katrine, die wütend wurde, wenn man sie bei ihrem vulgären Beinamen »Havanna-Katrine« nannte, bezeichnete das Ganze mit Vorliebe als ihren »Salon«, doch war sie ihren alten Freunden gegenüber vorsichtig mit dieser kühnen Bezeichnung. Hier trafen sich sowohl Kopenhagener wie Ausländer. Selbst in diplomatischen Kreisen war ihr »Salon« insofern anerkannt, als man ihn mit ähnlichen Instituten in anderen Ländern vergleichen konnte. Sehr verschiedene Wirksamkeiten wurden hier entfaltet, mit allerhand Mystik bemäntelt, denn die kluge Wirtin verstand sich auch auf die Anziehungskraft des Geheimnisvollen. Wenn flüsternd von besonders aufsehenerregenden Ereignissen in »Havanna« gemunkelt wurde, bedeutete es indessen häufig nichts weiter, als daß zum Beispiel – was mehrmals eingetroffen war – die ganze Bude einen oder mehrere Tage und Nächte von der Umwelt isoliert worden war, weil eine Gesellschaft Spieler, würdige, angesehene Geschäftsleute, bei einem tollen Hasard das Gold rollen ließ. Katrine führte eine ausgezeichnete Küche.

»Du kommst nicht herein,« sagte sie zu Rist, der seinen Stock zwischen die Türspalte schob.

»Natürlich komme ich herein,« antwortete er, »du mußt mir einen Whisky geben, Katrine, das Zeug, was man in der Stadt bekommt, ist nicht zu genießen.«

»Ich habe gerade eine wichtige Konferenz.«

»Konferenz ist gut,« sagte er. »Laß mich nur herein. Was kümmern mich deine diplomatischen Geheimnisse?«

Katrine kannte Rist recht gut. Sie wußte, wenn er in seiner eigensinnigen Laune war, konnte man nichts mit ihm aufstellen. Halb widerstrebend machte sie ihm Platz. Rist gehörte zu denen, denen sie nie böse sein konnte. Sie bewunderte seinen untätigen Lebenswandel, seine Eleganz und seine tollen Streiche. Außerdem hielt sie ihn für gänzlich unschädlich und wußte, daß sie sich auf ihn verlassen konnte. Hätte jemand ihr erzählt, daß Rist Geheimpolizist sei, würde sie laut aufgelacht haben. Wenn Katrine mit ihrem echten Naturlachen lachte, das in einer merkwürdigen Ideenverbindung die Gedanken auf den Hafen von Antwerpen hinleitete, ging es älteren Lebemännern schaudernd durch Mark und Bein.

Rist blickte sich im Entree um. Es war ein kleiner enger Raum, überfüllt wie er war mit Teppichen, Diwanen, Spiegeltischen und eingestaubten Papierblumen in großen Vasen. Rist legte Hut und Stock ab, und indem er sich in einem der großen Spiegel musterte, fragte er Katrine:

»Hast du dich in der letzten Zeit nicht einsam gefühlt? Dein Freund ist ja fort, wie ich gehört habe.«

»Hier ist es nichts weniger als einsam,« antwortete Katrine mürrisch.

»Ich meine weniger die äußere als die seelische Einsamkeit,« bemerkte Rist geistreich.

»Hast du einen sitzen?« fragte Katrine spöttisch.

Rist betrachtete sich im Spiegel. Der Müßiggang des Tages hatte ihn ermüdet. Sein Gesicht war blasser als sonst. Meinetwegen, dachte er bei sich, es kostet mir keine Mühe, das Bild zu vervollständigen, und sicher ist es nicht die schlechteste Taktik, sich betrunken zu stellen. Laut sagte er: »Ich bin vielleicht betrunken, Katrine, aber nicht sehr. Doch muß ich noch etwas zu trinken haben, sonst werde ich krank.«

Sie öffnete eine Tür, die sich ganz lautlos bewegte, und trat in einen großen Raum. Er sah aus, als ob er einst ein Atelier oder ein Pianofortelager gewesen sei. Er war mehr mit Sorgfalt als mit Geschmack als Wohnraum eingerichtet. Länglich wie er war, glich er einem ungeheuren Waggon, mit Teppichen gefüttert. Vor allen Dingen waren die Fenster sorgfältig verhängt, aber auch die Wände waren mit Teppichen in dunklen Farben bedeckt. Tiefe, bequeme Lehnstühle standen überall herum. Die eine Ecke war von einem Flügel ausgefüllt. Selbst bei hellichtem Tage wurde hier künstliches Licht gebrannt. Als Rist hereintrat, erhob sich ein Herr und griff nach seinem Hut und Spazierstock, die er auf den nächsten Tisch gelegt hatte.

Es war der Kunsthändler Lorenzo Hengler.

Es schien eine unerwartete Begegnung zu sein. Die beiden Herren blieben stehen und sahen sich an, worauf sie sich etwas unsicher grüßten. Katrine glaubte zu bemerken, daß die Herren sich kannten, und stellte daher nicht vor. Rist wußte genau, wer der Kunsthändler war, doch war er nicht sicher, ob der Kunsthändler auch ihn kannte. Plötzlich fiel ihm ein, daß er ja betrunken sei. Begehrlich griff er nach dieser Veranlassung, ein berauschter Zustand erklärt ja alles. Darum näherte er sich dem Kunsthändler mit jener steifen Feierlichkeit, die berauschten Leuten eigen ist, die nicht betrunkener sind, als daß sie Nüchternheit spielen möchten.

»Er ist total betrunken,« sagte Katrine offenherzig, »aber furchtbar nett.«

Rist sandte ihr einen vorwurfsvollen und schwimmenden Blick und streckte dem Kunsthändler seine Hand hin. Hengler nahm sie zögernd. Rist nannte seinen Namen, er klang wie »Ist«, aber er erwartete gar nicht die Antwort des anderen. Der Kunsthändler lächelte, machte aber Anstalten, zu gehen.

»Sie müssen erst ein Glas Whisky mit mir trinken,« lallte Rist eindringlich, »ich versichere Ihnen, solchen Whisky bekommen Sie in der ganzen Stadt nicht. Die alten edlen Tropfen sind schon längst ausgetrunken, Katrine aber nimmt immer auf den Geschmack ihrer guten Freunde Rücksicht. Also die achteckige Flasche, schöne Freundin!«

Der Whisky kam auf den Tisch. Der Kunsthändler ging halb widerstrebend auf den Scherz ein. Doch schien er sich im stillen über den Auftritt zu amüsieren und gespannt zu sein, wie er endigen würde. Außerdem war der Whisky wirklich gut. Er trank einige Schluck und wechselte ein paar gleichgültige Worte mit Rist. Indem er aber nach der Uhr sah, markierte er, daß er nur wenig Zeit habe. Er bat Katrine, ein Auto holen zu lassen. Er habe eine kurze Reise vor, sagte er, und müsse noch vorher in sein Hotel.

Jetzt aber veränderte Rist plötzlich sein Auftreten. Bisher war er überströmend freundlich gegen den Fremden gewesen, hatte förmlich Zeichen des Entzückens über die Begegnung geäußert. Jetzt aber, da es offenbar wurde, daß das Gespräch unterbrochen werden sollte, wurde er gereizt, geradezu ungezogen. In seinen einsamen Stunden am Bartisch hatte er anscheinend das geheimnisvolle Wesen der Trunkenheit genau studiert. Der Berauschte ist ja bekanntlich immer unzufrieden, wenn seine Umgebung sich dem Schnapsen und Geschwätz entziehen will. Ebensolches Mißvergnügen legte er jetzt an den Tag. Es kam etwas Böses und Gehässiges in seinen Blick, und indem er sich plötzlich über den Tisch lehnte, fragte er den Kunsthändler: »Ihr Name, mein Herr?«

Hengler zog sich etwas zurück. »Wie beliebt?« sagte er, »was meinen Sie?«

»Ihr Name, meine ich, ich will wissen, wie Sie heißen?«

»Ich dachte, Sie kennten mich,« antwortete der Kunsthändler. »Hengler,« fügte er reserviert hinzu.

»Hengler.« Der Berauschte sann eine Weile nach. Plötzlich schien ihm ein Licht aufzugehen. Er wurde wieder ganz froh.

»Ach so,« sagte er, »Sie sind wohl der Kunsthändler, der bekannte Kunsthändler?«

»Jawohl,« antwortete der andere.

Rist drehte die elektrische Lampe so, daß der Schein geradeswegs auf Henglers Gesicht fiel. Der Kunsthändler hielt diese unverschämte Beleuchtung mit großer Ruhe aus. Rist betrachtete ihn mit beleidigender Gründlichkeit, und als er endlich genug zu haben schien, sagte er: »Also so sehen Sie aus. Das hätte ich mir denken können.«

»Was soll das heißen?« fragte Hengler.

»Das heißt, daß Sie natürlich gar nicht anders aussehen können. Sie sehen wie ein Verbrecher aus.«


 << zurück weiter >>