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XXIX.

Der Förster rief zu ihm herunter: »Haben Sie die ganze Zeit gut achtgegeben?«

»Ja, wie ein Schießhund.«

»Haben Sie jemanden aus dem Hause kommen sehen?«

»Nein. Jedenfalls nicht durch die Türen.«

»Auch nicht durch die Fenster?«

Christensen lachte.

»Nein,« rief er zurück.

Der Förster schloß wieder das Fenster und wandte sich zu Professor Arvidson.

»Wir wollen noch einmal alles durchsuchen,« sagte er, »vielleicht hat der Mensch sich doch versteckt.«

Sie durchstöberten darauf noch einmal alle drei Zimmer, suchten sogar hinter den großen Schränken, aber alles vergebens. Es war nicht einmal die geringste Spur vorhanden, daß sich Menschen in den Räumen aufgehalten hatten. Nach einer halben Stunde gaben die beiden die Untersuchung auf und verließen das Gebäude. Als sie nebeneinander über den offenen Rasenplatz gingen, waren sie sehr schweigsam.

Christensen, der ihnen entgegenkam, konnte eine gewisse Schadenfreude nicht unterdrücken.

»Ich weiß schon, was Sie meinen,« sagte der Förster gereizt, »Sie sind abergläubisch und meinen, daß es lächerlich ist, ungreifbare Dinge greifen zu wollen. Ich werde seiner aber dennoch habhaft werden.«

»Jeder nach seiner Fasson,« murmelte der Verwalter, »auf alten Besitztümern gibt es oft Dinge, die man sich nicht erklären kann.«

»Was sagen die Leute?«

»Es wird so wenig wie möglich davon gesprochen.«

Die beiden Freunde schienen den Hof nur ungern zu verlassen, sie blieben noch eine Weile in gedämpfter Unterhaltung und beobachtend stehen. Schließlich aber mußten sie sich auf den Heimweg machen. Als sie über den Waldpfad schritten, begann die erste Dämmerung auf den Baumwipfeln zu schimmern, unten bei den Stämmen aber war es noch dunkel und still.

Wieder kamen sie an Vater Abrahams Wirtshaus vorbei, das mit den geschlossenen Fensterläden einen ganz ausgestorbenen Eindruck machte.

»Vater Abraham pflegt zeitig auf zu sein,« sagte der Förster, »dafür aber verlangt er auch seine Nachtruhe unbeschnitten. Ich möchte wissen, ob der Botaniker noch Einlaß gefunden hat.« Er sah nach der Uhr.

»Es wird nicht lange dauern, bevor wir Vater Abrahams schleppende Schritte auf der Treppe hören,« sagte er, »und dann können wir uns eine Tasse heißen Kaffee geben lassen.«

Die beiden Freunde ließen sich bis auf weiteres auf der Treppe nieder. Inzwischen war es ziemlich hell geworden, ein herrlicher, warmer Sommertag zog herauf. Nach einer Weile hörten sie Vater Abraham drinnen rumoren. Er kochte immer den ersten Morgenkaffee selbst, es war, als ob er damit den Tag einweihte. Abrahams duftender Morgenkaffee war in der ganzen Gegend berühmt. Er öffnete aber auch seine Tür nie, bevor die große Tat vollbracht war und der Kaffeekessel dampfumwirbelt in der Küche stand.

Die beiden Freunde hörten, wie Vater Abraham drinnen die Haken der Fensterläden löste, kurz darauf wurde ein Schlüssel im Schloß umgedreht, und dann füllte sich die Türöffnung mit Vater Abrahams breitem Schurzfell. Vater Abraham schien nicht im geringsten erstaunt, als er seine guten Bekannten so zeitig auf sah. Der Förster pflegte sich ja zu jeder Tages- und Nachtzeit auf dem Besitztum herumzutreiben. Abraham brachte ihnen den Kaffee heraus und bereitete sich auf eine kleine Unterhaltung vor. Er schien etwas verdrießlich und sprach in verblümten Redewendungen von dem unordentlichen Lebenswandel der Menschen heutzutage.

»Sehen Sie nun zum Beispiel diesen Botaniker,« sagte er, »redet dieser Mensch sich ein, daß ich so'n modernes Hotel halte! Nein, ich habe ein altmodisches Wirtshaus, worin ich Herr bin. Habe ich ihm nicht ausdrücklich gesagt, daß er um zwölf Uhr zu Hause sein müsse? Man sollte glauben, es wäre spät genug für einen Gemüsesammler. Der Kerl aber erlaubte sich fortzubleiben. Ich alter Mann wartete sogar bis halb ein Uhr auf den Landstreicher. Und was mich am meisten dabei ärgert, ist, daß ich mit meiner Strafpredigt eingebrannt bin.«

»Sie haben ihn nicht eingelassen?« fragte der Professor erstaunt.

»Ich denke nicht daran. Uebrigens hat der Kerl auch gar nicht angeklopft, er scheint zwischen seinen Blumen eingeschlafen zu sein.«

Arvidson war plötzlich aufmerksam geworden.

»Wie heißt dieser Botaniker?«

»Howard oder Holland, oder so ähnlich, ich erinnere mich nicht genau.«

Der Förster verstand, was Arvidson dachte, und sagte:

»Wir möchten sein Zimmer untersuchen. Ist es verschlossen?«

»Mal sehen,« antwortete der Wirt, indem er schwerfällig mit seinen Pantoffeln die Treppe hinaufstieg. Es war eine solide Treppe aus altem Eichenholz, aber dunkel und eng. Das Zimmer, das der Botaniker bewohnte, lag gerade vor der Treppe. Eine blaugemalte Tür mit einem großen eisernen Drücker trug die römische Zahl II. Die Tür war unverschlossen. Offenbar war es das feinste und größte Zimmer des Wirtshauses, sehr einladend, wenn auch sehr niedrig. Kein Teppich auf dem Fußboden, aber breite, fast weißgescheuerte Dielen. Das Bett war wie ein altmodisches Herrschaftsbett, zwei Stufen führten hinauf, ein blauseidener Himmel und eine Unmenge von Decken und Kissen. Beide Fenster standen offen und rahmten das schönste Sommerbild ein, weiße Blumen und grüne Bäume gegen den blauen Himmel.

Am Tische, der ohne Decke war, aber dessen Platte aus einem einzigen Stück Holz bestand, standen zwei Stühle, wovon der eine ein alter Renaissance-Lehnstuhl war, mit einem wundervollen, tiefroten Bezug.

Von Reisegepäck aber war in diesem Zimmer nicht viel zu sehen. Neben dem Ofen stand eine kleine Handtasche, die aus kostbarem Leder war, mit silbernen Beschlägen, aber sie machte einen fast leeren Eindruck. Ueber dem Bett lagen die Pyjamas des Reisenden, grüngestreift, aus einem dunklen, seidenähnlichen Stoff. Neben dem Bettpfosten standen seine Pantoffel, äußerst elegante Dinger, mit silberner Stickerei, offenbar ein Geschenk von einer weiblichen Verehrerin. Ueberhaupt verrieten alle Gegenstände, die der Reisende hinterlassen hatte, einen fast geckenhaften Geschmack. Dagegen fand sich nichts, was auf den Botaniker schließen ließ, nicht einmal eine Botanisiertrommel.

Auf dem kleinen Toilettentisch aber lagen einige Zeitungen und ein Telegramm. Es waren die Kopenhagener Abendzeitungen vom vergangenen Tage, und außerdem eine französische Zeitung, wahrscheinlich als Reiselektüre gekauft. Das Telegramm war geöffnet, gelesen und wieder zusammengefaltet. Der Professor hielt es einen Augenblick sinnend in der Hand. Vielleicht handelte es sich hier um einen Eingriff in die Privatangelegenheiten irgendeines zufälligen Fremden, vielleicht aber konnte es auch etwas anderes bringen. Das Telegramm war adressiert an Dr. Howard, poste restante, Knarreburg Station. Er hatte es sich also selbst abholen müssen. Der Förster sah Arvidsons Bedenken und machte eine ungeduldige Bewegung. Da öffnete er das Telegramm. Der Förster konnte an dem Staunen seines Freundes sehen, daß der Inhalt von größtem Interesse war.

Der Förster sah ihm über die Schulter. Das Telegramm enthielt nur ein einziges Wort, eine Zahl: »400« stand da. Unterzeichnet aber war es: »Hengler«.


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