Anastasius Grün
In der Veranda
Anastasius Grün

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Eine Hexengeschichte.

1847.

 
    wanne swaz geoffinbaret sal werden in der
sele, daz offinbaret sich in bilden.
Hermann von Fritzlar.
                    Ich lieb's, im Bücherstaub aus alten Tagen
Den Rätseln jüngster Tage nachzufragen.
Bunt ziehn durchs Zeitgewebe Tatenfäden,
Doch wer entwirrt Beginn und End' für jeden?
Das Bäumlein, das der Ahn mit Sorgfalt zog,
Streut in den Schoß erst Enkeln Blüt' und Frucht;
Im Staube lag der Kiesel, dessen Wucht
Ans Riesenhaupt aus Hirtenschleuder flog;
Schon hängt der Stern am Himmel unbeachtet,
Der andern einst erhellt, was uns umnachtet;
Und schwarz vermummt durch unsre Fastnacht schreitet
Ein alt Verhängnis, dem die Larv' entgleitet.

Zu Düren war's. Vorm Hexenvogte stand
Ein Mägdlein, einst des Gottesgartens Preis;
Doch knickt die Kette schnell solch junges Reis,
Und Blüten ranken schlecht an Kerkerwand.
»Bekenne!« mahnt aufs neu des Vogts Geheiß,
»Es kam durch Satansbund, durch Zaubertrug,
Daß, wann Eisblumen rings an allen Scheiben,
Lebend'ge Rosen dir am Fenster treiben;
Daß Hagelsturm des Nachbars Kohl zerschlug,
Indes dein Gärtlein süße Früchte trug.«
Antwortet drauf die Maid in tiefem Weh:
»Wenn Unschuld Schuld bekennt, dann wird sie Schuld!
Der Bann, der frühe Blumen lockt aus Schnee,
Liebvolle Pfleg' ist's, Herzensungeduld
Und Sehnsucht nach des Lenzes süßer Huld.
Doch ist's der Mißgunst Brauch, der Ohnmacht Mühn,
Die eigne Fäulnis sehn in fremdem Blühn;
Das blankste Tun, das reinste Saatenkorn,
Sie meint's gedüngt nur von unreinem Born;
Das Reine mag ihr Auge schmerzend stören,
Drum wird's verhängt mit eignen trüben Flören.
Du aber, meinst den Herrn so schwach und träge,
Daß er die Zügel mächt'ger Wolkenrosse,
Den Donnerkeil, des Hagelsturms Geschosse
In eines Mägdleins schwache Hände lege?
Selbst lästert, der mich will des Lästerns zeihn!«

Da winkt der Vogt. Die Schergen treten ein;
Von rohen Fäusten wird das zarte Weib
Gepackt und hingeschleppt zur blut'gen Kammer,
Denn ums Geständnis wirbt beim sünd'gen Leib
Mit neuer Qual sinnreich der »Hexenhammer«,
Wie Buben wild zerpflücken Blumensterne
Zu spähen tiefer nach dem innern Kerne.
Ein Rasseln, dann ein Schrei, der Tote weckt.
Aufschwebt ihr Leib, bis er in Lüften hängt,
Den Arm in Ketten himmelwärts gezwängt,
Den Fuß von mächt'gem Steingewicht gestreckt.

Den Vogt selbst graut; er flieht und eilt zum Wein:
»Wenn sie bekennt, ruft wieder mich herein!«

Stumm in der Schenke unter lauten Gästen
Nippt er den süßen Born vom Allerbesten.
Er schenkt den Becher voll; des Weines Welle
Fließt nieder schöngeringelt, goldighelle,
Als ob die Goldflut blonder Locken walle,
Und mahnt ihn an die Maid in blut'ger Halle;
Dann als er nach des Weines Blume spürt,
Zur Nase kennerhaft den Römer führt,
Das süße Duften weckt ein Frühlingsahnen,
Der Maid und ihrer Blumen will's ihn mahnen.
Und milder wird sein Herz. In raschen Sätzen
Zur Folterkammer springt er, sie zu retten,
Von fern schon rufend: »Löst Gewicht und Ketten!« –
Zu spät! Der Tod war milder. O Entsetzen:
Den heil'gen Ton hat Menschenfaust zerschlagen,
Den Gott geformt in liebsten Künstlertagen!

Den Vogt packt Wahnsinn. Toben ist sein Trauern,
Zum Greis ergraut er hinter Gittermauern.

Nun wäre schier zu Ende die Geschichte,
Säh' ich nicht zentnerschwer die Steingewichte
An dir, du edle Maid, Germania, hängen
Und Kettenlast auch deine Arme zwängen;
Beim Weine sitzen deine Vögt' indessen,
Wohl ihres Amts und deines Leids vergessen,
Jedoch begannen sie, wie jener endet,
Von Aberwitz und irrem Sinn geblendet.
Mit jener Maid teilst du Vergehn und Schuld;
Nach früherm Lenzbeginn die Ungeduld,
Die Furcht um alten Patriarchenkohl!
Ein andrer Ausgang wird dir Starken wohl,
Dein Arm ist Stahl, und du wirst nicht erliegen,
Wirst schleudern Steingewicht' und Ketten weit; –
Ihr Vögte, löst die Bande, da es Zeit,
Doch eilt, o eilt, bevor die Steine fliegen!


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