Heinrich Heine
Vermischte Schriften
Heinrich Heine

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Ludwig Marcus

Denkworte

(Geschrieben zu Paris, den 22. April 1844)

Was ist der Grund, warum von den Deutschen, die nach Frankreich herüber gekommen, so viel in Wahnsinn verfallen? Die meisten hat der Tod aus der Geistesnacht erlöst; andere sind in Irrenanstalten gleichsam lebendig begraben; viele auch, denen ein Funken von Bewußtsein geblieben, suchen ihren Zustand zu verbergen, und gebärden sich halbwegs vernünftig, um nicht eingesperrt zu werden. Dies sind die Pfiffigen, die Dummen können sich nicht lange verstellen. Die Anzahl derer, die mit mehr oder minder lichten Momenten an dem finstern Übel leiden, ist sehr groß, und man möchte fast behaupten, der Wahnsinn sei die Nationalkrankheit der Deutschen in Frankreich. Wahrscheinlich bringen wir den Keim des Geberstens mit über den Rhein, und auf dem hitzigen Boden, dem glühenden Asphaltpflaster der hiesigen Gesellschaft, gedeiht rasch zur blühendsten Verrücktheit, was in Deutschland lebenslang nur eine närrische Krüppelpflanze geblieben wäre. Oder zeugt es schon von einem hohen Grade des Wahnwitzes, daß man das Vaterland verließ, um in der Fremde »die harten Treppen« auf- und abzusteigen, und das noch härtere Brot des Exils mit seinen Tränen zu feuchten? Man muß jedoch beileibe nicht glauben, als seien es exzentrische Sturm- und Drangnaturen, oder gar Freunde des Müßiggangs und der entfesselten Sinnlichkeit, die sich hier in die Abgründe des Irrsinns verlieren – nein, dieses Unglück betraf immer vorzugsweise die honorabelsten Gemüter, die fleißigsten und enthaltsamsten Geschöpfe.

Zu den beklagenswertesten Opfern, die jener Krankheit erlagen, gehört auch unser armer Landsmann Ludwig Marcus. Dieser deutsche Gelehrte, der sich durch Fülle des Wissens ebenso rühmlich auszeichnete, wie durch hohe Sittlichkeit, verdient in dieser Beziehung, daß wir sein Andenken durch einige Worte ehren.

Seine Familienverhältnisse und das ganze Detail seiner Lebensumstände sind uns nie genau bekannt gewesen. Soviel ich weiß, ist er geboren zu Dessau im Jahre 1798, von unbemittelten Eltern, die dem gottesfürchtigen Kultus des Judentums anhingen. Er kam Anno 1820 nach Berlin, um Medizin zu studieren, verließ aber bald diese Wissenschaft. Dort zu Berlin sah ich ihn zuerst, und zwar im Kollegium von Hegel, wo er oft neben mir saß und die Worte des Meisters gehörig nachschrieb. Er war damals zweiundzwanzig Jahre alt, doch seine äußere Erscheinung war nichts weniger als jugendlich. Ein kleiner schmächtiger Leib, wie der eines Jungen von acht Jahren, und im Antlitz eine Greisenhaftigkeit, die wir gewöhnlich mit einem verbogenen Rückgrat gepaart finden. Eine solche Mißförmlichkeit aber war nicht an ihm zu bemerken, und eben über diesen Mangel wunderte man sich. Diejenigen, welche den verstorbenen Moses Mendelssohn persönlich gekannt, bemerkten mit Erstaunen die Ähnlichkeit, welche die Gesichtszüge des Marcus mit denen jenes berühmten Weltweisen darboten, der sonderbarerweise ebenfalls aus Dessau gebürtig war. Hätten sich die Chronologie und die Tugend nicht allzubestimmt für den ehrwürdigen Moses verbürgt, so könnten wir auf einem sehr frivolen Gedanken geraten.

Aber dem Geiste nach war Marcus wirklich ein ganz naher Verwandter jenes großen Reformator der deutschen Juden, und in seiner Seele wohnte ebenfalls die größte Uneigennützigkeit, der duldende Stillmut, der bescheidene Rechtsinn, lächelnde Verachtung des Schlechten, und eine unbeugsame, eiserne Liebe für die unterdrückten Glaubensgenossen. Das Schicksal derselben war, wie bei jenem Moses, auch bei Marcus der schmerzliche glühende Mittelpunkt aller seiner Gedanken, das Herz seines Lebens. Schon damals in Berlin war Marcus ein Polyhistor, er stöberte in allen Bereichen des Wissens, er verschlang ganze Bibliotheken, er verwühlte sich in allen Sprachschätzen des Altertums und der Neuzeit, und die Geographie, im generellsten wie im partikulärsten Sinne, war am Ende sein Lieblingsstudium geworden; es gab auf diesem Erdball kein Faktum, keine Ruine, kein Idiom, keine Narrheit, keine Blume, die er nicht kannte – aber von allen seinen Geistesexkursionen kam er immer gleichsam nach Hause zurück zu der Leidensgeschichte Israel's, zu der Schädelstätte Jerusalem's und zu dem kleinen Väterdialekt Palästina's, um dessentwillen er vielleicht die semitischen Sprachen mit größerer Vorliebe als die anderen betrieb. Dieser Zug war wohl der hervorstechend wichtigste im Charakter des Ludwig Marcus, und er gibt ihm seine Bedeutung und sein Verdienst; denn nicht bloß das Tun, nicht bloß die Tatsache der hinterlassenen Leistung gibt uns ein Recht auf ehrende Anerkennung nach dem Tode, sondern auch das Streben selbst, und gar besonders das unglückliche Streben, das gescheiterte, fruchtlose, aber großmütige Wollen.

Andere werden vielleicht das erstaunliche Wissen, das der Verstorbene in seinem Gedächtnis aufgestapelt hatte, ganz besonders rühmen und preisen; für uns hat dasselbe keinen sonderlichen Wert. Wir konnten überhaupt diesem Wissen, ehrlich gestanden, niemals Geschmack abgewinnen. Alles, was Marcus wußte, wußte er nicht lebendig organisch, sondern als tote Geschichtlichkeit, die ganze Natur versteinerte sich ihm, und er kannte im Grunde nur Fossilien und Mumien. Dazu gesellte sich eine Ohnmacht der künstlerischen Gestaltung, und wenn er etwas schrieb, war es ein Mitleid, anzusehen, wie er sich vergebens abmühte, für das Darzustellende die notwendigste Form zu finden. Ungenießbar, unverdaulich, abstrus waren daher die Artikel und gar die Bücher, die er geschrieben.

Außer einigen linguistischen, astronomischen und botanischen Schriften hat Marcus eine Geschichte der Vandalen in Afrika, und in Verbindung mit dem Professor Duisburg eine nordafrikanische Geographie herausgegeben. Er hinterläßt in Manuskript ein ungeheuer großes Werk über Abyssinien, welches seine eigentliche Lebensarbeit zu sein scheint, da er sich schon zu Berlin mit Abyssinien beschäftigt hatte. Nach diesem Lande zogen ihn wohl zunächst die Untersuchungen über die Falaschas, einen jüdischen Stamm, der lange in den abyssinischen Gebirgen seine Unabhängigkeit bewahrt hat. Ja, obgleich sein Wissen sich über alle Weltgegenden verbreitete, so wußte Marcus doch am besten Bescheid hinter den Mondgebirgen Äthiopiens, an den verborgenen Quellen des Nil's, und seine größte Freude war, den Bruce oder gar den Hasselquist auf Irrtümern zu ertappen. Ich machte ihn einst glücklich, als ich ihn bat, mir aus arabischen und talmudischen Schriften alles zu kompilieren, was auf die Königin von Saba Bezug hat. Dieser Arbeit, die sich vielleicht noch unter meinen Papieren befindet, verdanke ich es, daß ich noch zu heutiger Stunde weiß, weshalb die Könige von Abyssinien sich rühmen, aus dem Stamme David entsprossen zu sein: sie leiten diese Abstammung von dem Besuch her, den ihre Ältermutter, die besagte Königin von Saba, dem weisen Salomo zu Jerusalem abgestattet. Wie ich aus besagter Kompilation ersah, ist diese Dame gewiß ebensoschön gewesen wie die Helena von Sparta. Jedenfalls hat sie ein ähnliches Schicksal nach dem Tode, da es verliebte Rabbiner gibt, die sie durch kabbalistische Zauberkunst aus dem Grabe zu beschwören wissen; nur sind sie manchmal übel daran mit der beschworenen Schönen, die den großen Fehler hat, daß sie, wo sie sich einmal hingesetzt, gar zu lange sitzen bleibt. Man kann sie nicht los werden.

Ich habe bereits angedeutet, daß irgendein Interesse der jüdischen Geschichte immer letzter Grund und Antrieb war bei den gelehrten Arbeiten des seligen Marcus; inwieweit dergleichen auch bei seinen abyssinischen Studien der Fall war, und wie auch diese ihn ganz frühzeitig in Anspruch genommen, ergibt sich unabweisbar aus einem Artikel, den er schon damals zu Berlin in der »Zeitschrift für Kultur und Wissenschaft des Judentums« abdrucken ließ. Er behandelte nämlich darin die Beschneidung bei den Abyssinierinnen. Wie herzlich lachte der verstorbene Gans, als er mir in jenem Aufsatze die Stelle zeigte, wo der Verfasser den Wunsch aussprach, es möchte jemand diesen Gegenstand bearbeiten, der demselben besser gewachsen sei.

Die äußere Erscheinung des kleinen Mannes, die nicht selten zum Lachen reizte, verhinderte ihn jedoch keineswegs, zu den ehrenwertesten Mitgliedern jener Gesellschaft zu zählen, welche die oben erwähnte Zeitschrift herausgab, und eben unter dem Namen: »Verein für Kultur und Wissenschaft des Judentums« eine hochfliegend große, aber unausführbare Idee verfolgte. Geistbegabte und tiefherzige Männer versuchten hier die Rettung einer längst verlorenen Sache, und es gelang ihnen höchstens, auf den Wahlstätten der Vergangenheit die Gebeine der ältern Kämpfer aufzufinden. Die ganze Ausbeute jenes Vereins besteht in einigen historischen Arbeiten, in Geschichtsforschungen, worunter namentlich die Abhandlungen des Dr. Zunz über die spanischen Juden im Mittelalter zu den Merkwürdigkeiten der höheren Kritik gezählt werden müssen.

Wie dürfte ich von jenem Vereine reden, ohne dieses vortrefflichen Zunz zu erwähnen, der in einer schwankenden Übergangsperiode immer die unerschütterlichste Unwandelbarkeit offenbarte, und trotz seinem Scharfsinn, seiner Skepsis, seiner Gelehrsamkeit, dennoch treu blieb dem selbst gegebenen Worte, der großmütigen Grille seiner Seele. Mann der Rede und der Tat, hat er geschaffen und gewirkt, wo andere träumten und mutlos hinsanken.

Ich kann nicht umhin, auch hier meinen lieben Bendavid zu erwähnen, der mit Geist und Charakterstärke eine großartig urbane Bildung vereinigte und, obgleich schon hochbejahrt, an den jugendlichsten Irrgedanken des Vereins teilnahm. Er war ein Weiser nach antikem Zuschnitt, umflossen vom Sonnenlicht griechischer Heiterkeit, ein Standbild der wahrsten Tugend, und pflichtgehärtet wie der Marmor des kategorischen Imperativs seines Meisters Immanuel Kant. Bendavid war Zeit seines Lebens der eifrigste Anhänger der Kantischen Philosophie, für diese litt er in seiner Jugend die größten Verfolgungen, und dennoch wollte er sich nie trennen von der alten Gemeinde des mosaischen Bekenntnisses, er wollte nie die äußere Glaubenskokarde ändern. Schon der Schein einer solchen Verleugnung erfüllte ihn mit Widerwillen und Ekel. Lazarus Bendavid war, wie gesagt, ein eingefleischter Kantianer, und ich habe damit auch die Schranken seines Geistes angedeutet. Wenn wir von Hegel'scher Philosophie sprachen, schüttelte er sein kahles Haupt und sagte, das sei Aberglaube. Er schrieb ziemlich gut, sprach aber viel besser. Für die Zeitschrift des Vereins lieferte er einen merkwürdigen Aufsatz über den Messiasglauben bei den Juden, worin er mit kritischem Scharfsinn zu beweisen suchte, daß der Glaube an einen Messias durchaus nicht zu den Fundamentalartikeln der jüdischen Religion gehöre, und nur als zufälliges Beiwerk zu betrachten sei.

Das tätigste Mitglied des Vereins, die eigentliche Seele desselben, war M. Moser, der vor einigen Jahren starb, aber schon im jugendlichen Alter nicht bloß die gründlichsten Kenntnisse besaß, sondern auch durchglüht war von dem großen Mitleid für die Menschheit, von der Sehnsucht, das Wissen zu verwirklichen in heilsamer Tat. Er war unermüdlich in philantrophischen Bestrebungen, er war sehr praktisch und hat in scheinloser Stille an allen Liebeswerken gearbeitet. Das große Publikum hat von seinem Tun und Schaffen nichts erfahren, er focht und blutete inkognito, sein Name ist ganz unbekannt geblieben, und steht nicht eingezeichnet in dem Adreßkalender der Selbstaufopferung. Unsere Zeit ist nicht so ärmlich, wie man glaubt; sie hat erstaunlich viele solcher anonymen Märtyrer hervorgebracht.

Der Nekrolog des verstorbenen Marcus leitete mich unwillkürlich zu dem Nekrolog des Vereins, zu dessen ehrenwertesten Mitgliedern er gehörte, und als dessen Präsident der schon erwähnte, jetzt ebenfalls verstorbene Eduard Gans sich geltend machte. Dieser hochbegabte Mann kann am wenigsten in bezug auf bescheidene Selbstaufopferung, auf anonymes Märtyrertum gerühmt werden. Ja, wenn auch seine Seele sich rasch und weit erschloß für alle Heilsfragen der Menschheit, so ließ er doch selbst im Rausche der Begeisterung niemals die Personalinteressen außer acht. Eine witzige Dame, zu welcher Gans oft des Abends zum Tee kam, machte die richtige Bemerkung, daß er während der eifrigsten Diskussion und trotz seiner großen Zerstreutheit dennoch, nach dem Teller der Butterbrote hinlangend, immer diejenigen Butterbrote ergreife, welche nicht mit gewöhnlichem Käse, sondern mit frischem Lachs bedeckt waren.

Die Verdienste des verstorbenen Gans um deutsche Wissenschaft sind allgemein bekannt. Er war einer der rührigsten Apostel der Hegel'schen Philosophie, und in der Rechtsgelahrtheit kämpfte er zermalmend gegen jene Lakaien des altrömischen Rechts, welche, ohne Ahnung von dem Geiste, der in der alten Gesetzgebung einst lebte, nur damit beschäftigt sind, die hinterlassene Garderobe derselben auszustauben, von Motten zu säubern, oder gar zu modernem Gebrauche zurecht zu flicken. Gans fuchtelte solchen Servilismus selbst in seiner elegantesten Livrée. Wie wimmert unter seinen Fußtritten die arme Seele des Herrn von Savigny! Mehr noch durch Wort als durch Schrift förderte Gans die Entwicklung des deutschen Freiheitssinns, er entfesselte die gebundensten Gedanken und riß der Lüge die Larve ab. Er war ein beweglicher Feuergeist, dessen Mißfunken vortrefflich zündeten, oder wenigstens herrlich leuchteten. Aber den trübsinnigen Ausspruch des Dichters (im zweiten Teile des »Faust«):

»Alt ist das Wort, doch bleibet hoch und wahr der Sinn,
Daß Scham und Schönheit nie zusammen, Hand in Hand,
Den Weg verfolgen über der Erde grünen Pfad.
Tief eingewurzelt wohnt in beiden alter Haß,
Daß, wo sie immer auch des Weges sich
Begegnen, jede der Gegnerin den Rücken kehrt« –

dieses fatale Wort müssen wir auch auf das Verhältnis der Genialität zur Tugend anwenden, diese beiden leben ebenfalls in beständigem Hader und kehren sich manchmal verdrießlich den Rücken. Mit Bekümmernis muß ich hier erwähnen, daß Gans in bezug auf den erwähnten Verein für Kultur und Wissenschaft des Judentums nichts weniger als tugendhaft handelte, und sich die unverzeihlichste Felonie zuschulden kommen ließ. Sein Abfall war um so widerwärtiger, da er die Rolle eines Agitators gespielt und bestimmte Präsidialpflichten übernommen hatte. Es ist hergebrachte Pflicht, daß der Kapitän immer der Letzte sei, der das Schiff verläßt, wenn dasselbe scheitert – Gans aber rettete sich selbst zuerst. Wahrlich in moralischer Beziehung hat der kleine Marcus den großen Gans überragt, und er konnte hier ebenfalls beklagen, daß Gans seiner Aufgabe nicht besser gewachsen war.

Wir haben die Teilnahme des Marcus an dem Verein für Kultur und Wissenschaft des Judentums als einen Umstand bezeichnet, der uns wichtiger und denkwürdiger erschien als all sein stupendes Wissen und seine sämtlichen gelehrten Arbeiten. Ihm selber mag ebenfalls die Zeit, wo er den Bestrebungen und Illusionen jenes Vereins sich hingab, als die sonnigste Blütenstunde seines kümmerlichen Lebens erschienen sein. Deshalb mußte hier jenes Vereins ganz besonders Erwähnung geschehen, und eine nähere Erörterung seines Gedankens wäre wohl nicht überflüssig. Aber der Raum und die Zeit und ihre Hüter gestatten in diesen Blättern keine solche ausgeführte Darstellung, da letztere nicht bloß die religiösen und bürgerlichen Verhältnisse der Juden, sondern auch die aller deistischen Sekten auf diesem Erdball umfassen müßte. Nur so viel will ich hier aussprechen, daß der esoterische Zweck jenes Vereins nichts anderes war als eine Vermittlung des historischen Judentums mit der modernen Wissenschaft, von welcher man annahm, daß sie im Laufe der Zeit zur Weltherrschaft gelangen würde. Unter ähnlichen Umständen zur Zeit des Philo, als die griechische Philosophie allen alten Dogmen den Krieg erklärte, ward in Alexandrien ähnliches versucht, mit mehr oder minderem Mißgeschick. Von schismatischer Aufklärerei war hier nicht die Rede, und noch weniger von jener Emanzipation, die in unseren Tagen manchmal so ekelhaft geistlos durchgeträtscht wird, daß man das Interesse dafür verlieren könnte. Namentlich haben es die israelitischen Freunde dieser Frage verstanden, sie in eine wässerig graue Wolke von Langweiligkeit zu hüllen, die ihr schädlicher ist als das blödsinnige Gift der Gegner. Da gibt es gemütliche Pharisäer, die noch besonders damit prahlen, daß sie kein Talent zum Schreiben besitzen und dem Apollo zum Trotz für Jehova die Feder ergriffen haben. Mögen die deutschen Regierungen doch recht bald ein ästhetisches Erbarmen mit dem Publikum haben und jenen Salbadereien ein Ende machen durch Beschleunigung der Emanzipation, die doch früh oder später bewilligt werden muß.

Ja, die Emanzipation wird früh oder spät bewilligt werden müssen, aus Gerechtigkeitsgefühl, aus Klugheit, aus Notwendigkeit. Die Antipathie gegen die Juden hat bei den obern Klassen keine religiöse Wurzel mehr, und bei den untern Klassen transformiert sie sich täglich mehr und mehr in den sozialen Groll gegen die überwuchernde Macht des Kapitals, gegen die Ausbeutung der Armen durch die Reichen. Der Judenhaß hat jetzt einen andern Namen, sogar beim Pöbel. Was aber die Regierung betrifft, so sind sie endlich zur hochweisen Ansicht gelangt, daß der Staat ein organischer Körper ist, und daß derselbe nicht zu einer vollkommenen Gesundheit gelangen kann, solange ein einziges seiner Glieder, und sei es auch nur der kleine Zeh, an einem Gebreste leidet. Ja, der Staat mag noch so keck sein Haupt tragen und mit breiter Brust allen Stürmen trotzen, das Herz in der Brust, und sogar das stolze Haupt wird dennoch den Schmerz mitempfinden müssen, wenn der kleine Zeh an den Hühneraugen leidet – die Judenbeschränkungen sind solche Hühneraugen an den deutschen Staatsfüßen.

Und bedächten gar die Regierungen, wie entsetzlich der Grundpfeiler aller positiven Religionen, die Idee des Deismus selbst, von neuen Doktrinen bedroht ist, wie die Fehde zwischen dem Wissen und Glauben überhaupt nicht mehr ein zahmes Scharmützel, sondern bald eine wilde Todesschlacht sein wird – bedächten die Regierungen diese verhüllten Nöte, sie müssten froh sein, daß es noch Juden auf der Welt gibt, daß die Schweizergarde des Deismus, wie der Dichter sie genannt hat, noch auf den Beinen steht, daß es noch ein Volk Gottes gibt. Statt sie von ihrem Glauben durch gesetzliche Beschränkungen abtrünnig zu machen, sollte man sie noch durch Prämien darin zu stärken suchen, man sollte ihnen auf Staatskosten ihre Synagogen bauen, damit sie nur hineingehen, und das Volk draußen sich einbilden mag, es werde in der Welt noch etwas geglaubt. Hütet euch, die Taufe unter den Juden zu befördern. Das ist eitel Wasser und trocknet leicht. Befördert vielmehr die Beschneidung, das ist der Glauben, eingeschnitten ins Fleisch; in den Geist läßt er sich nicht mehr einschneiden. Befördert die Zeremonie der Denkriemen, womit der Glaube festgebunden wird auf den Arm; der Staat sollte den Juden gratis das Leder dazu liefern sowie auch das Mehl zu Matzekuchen, woran das gläubige Israel schon drei Jahrtausend knuspert. Fördert, beschleunigt die Emanzipation, damit sie nicht zu spät komme und überhaupt noch Juden in der Welt antrifft, die den Glauben ihrer Väter dem Heil ihrer Kinder vorziehen. Es gibt ein Sprichwort: »Während der Weise sich besinnt, besinnt sich auch der Narr.«

Die vorstehenden Betrachtungen knüpfen sich natürlich an die Person, die ich hier zu besprechen hatte, und die, wie ich schon bemerkt, weniger durch individuelle Bedeutung als vielmehr durch historische und moralische Bezüge, unser Interesse in Anspruch nimmt. Ich kann auch aus eigner Anschauung nur Geringfügiges berichten über das äußere Leben unseres Marcus, den ich zu Berlin bald aus den Augen verlor. Wie ich hörte, war er nach Frankreich gewandert, da er trotz seines außerordentlichen Wissens und seiner hohen Sittlichkeit, dennoch in den Überbleibseln mittelalterlicher Gesetze ein Hindernis der Beförderung im Vaterlande fand. Seine Eltern waren gestorben und aus Großmut hatte er zum Besten seiner hilfsbedürftigern Geschwister auf die Verlassenschaft verzichtet. Etwa fünfzehn Jahre vergingen, und ich hatte lange nichts mehr gehört, weder von Ludwig Marcus noch von der Königin von Saba, weder von Hasselquist noch von den beschnittenen Abyssinierinnen, da trat mir eines Tages der kleine Mann hier zu Paris wieder entgegen und erzählte mir, daß er unterdessen Professor in Dijon gewesen, jetzt aber einer ministeriellen Unbill wegen die Professur aufgegeben habe und hier bleiben wolle, um die Hilfsquellen der Bibliothek für sein großes Werk zu benützen. Wie ich von andern hörte, war ein bißchen Eigensinn im Spiel, und das Ministerium hatte ihm sogar vorgeschlagen, wie in Frankreich gebräuchlich, seine Stelle durch einen wohlfeiler besoldeten Suppleanten zu besetzen und ihm selber den größten Teil seines Gehalts zu lassen. Dagegen sträubte sich die große Seele des Kleinen, er wollte nicht fremde Arbeit ausbeuten, und er ließ seinem Nachfolger die ganze Besoldung. Seine Uneigennützigkeit ist hier um so merkwürdiger, da er damals sogar sehr schlecht dastand, und ohne die Engelhilfe einer schönen Frau wäre er gewiß im darbenden Elend verkommen. Ja, es war eine sehr schöne und große Dame von Paris, eine der glänzendsten Erscheinungen des hiesigen Weltlebens, die, als sie von dem wunderlichen Kauz hörte, in die Dunkelheit seines kümmerlichen Lebens hinabstieg und mit anmutiger Zartsinnigkeit ihn dahin zu bringen wußte, einen bedeutenden Jahrgehalt von ihr anzunehmen. Ich glaube, seinen Stolz zähmte hier ganz besonders die Ansicht, daß seine Gönnerin, die Gattin des reichsten Bankiers dieses Erdballs, späterhin sein großes Werk auf ihre Kosten drucken lassen werde. Einer Dame, dachte er, die wegen ihres Geistes und ihrer Bildung so viel gerühmt wird, müsse doch sehr viel daran gelegen sein, daß endlich eine gründliche Geschichte von Abyssinien geschrieben werde, und er fand es ganz natürlich, daß sie dem Autor durch einen Jahrgehalt seine große Mühe und Arbeit zu vergüten suchte.

Die Zeit, während welcher ich den guten Marcus nicht gesehen, etwa fünfzehn Jahre, hatte auf sein Äußeres eben nicht verschönernd gewirkt. Seine Erscheinung, die früher ans Possierliche streifte, war jetzt eine entschiedene Karikatur geworden, aber eine angenehme, liebliche, ich möchte fast sagen: erquickende Karikatur. Ein spaßhaft wehmütiges Ansehen gab ihm sein von Leiden durchfurchtes Greisengesicht, worin die kleinen pechschwarzen Äuglein vergnüglich lebhaft glänzten, und gar sein abenteuerlicher, fabelhafter Haarwuchs! Die Haare nämlich, welche früher pechschwarz und anliegend gewesen, waren jetzt ergraut und umgaben in krauser aufgesträubter Fülle das schon außerdem unverhältnismäßig große Haupt. Er glich so ziemlich jenen breitköpfigen Figuren mit dünnem Leibchen und kurzen Beinchen, die wir auf den Glasscheiben eines chinesischen Schattenspiels sahen. Besonders wenn wir die zwerghafte Gestalt in Gesellschaft seines Kallobarator, des ungeheuer großen und stattlichen Professors Duisberg auf den Boulevards begegnete, jauchzte mir der Humor in der Brust. Einem meiner Bekannten, der mich frug, wer der Kleine wäre, sagte ich, es sei der König von Abyssinien, und dieser Name ist ihm bis an sein Ende geblieben. Hast du mir deshalb gezürnt, teurer, guter Marcus? Für deine schöne Seele hätte der Schöpfer wirklich eine bessere Enveloppe erschaffen können. Der liebe Gott ist aber zu sehr beschäftigt; manchmal, wenn er eben im Begriff ist, der edlen Perle eine prächtig ziselierte Goldfassung zu verleihen, wird er plötzlich gestört, und er wickelt das Juwel geschwind in das erste, beste Stück Fließpapier oder Läppchen – anders kann ich mir die Sache nicht erklären.

Ungefähr fünf Jahre lebte Marcus im weisesten Seelenfrieden zu Paris; es ging ihm gut, ja sogar einer seiner Lieblingswünsche war in Erfüllung gegangen; er besaß eine kleine Wohnung mit eignen Möbeln, und zwar in der Nähe der Bibliothek! Ein Verwandter, ein Schwestersohn, besucht ihn hier eines Abends, und kann sich nicht genug darüber wundern, daß der Oheim sich plötzlich auf die Erde setzt und mit wilder trotziger Stimme die scheußlichsten Gassenlieder zu singen beginnt. Er, der nie gesungen, und in Wort und Ton immer die Keuschheit selbst war! Aber die Sache ward noch grauenhaft befremdlicher, als der Oheim zornig emporsprang, das Fenster aufstieß und erst seine Uhr zur Straße hinabschmiß, dann seine Manuskripte, Tintenfaß, Federn, seine Geldbörse. Als der Neffe sah, daß der Oheim das Geld zum Fenster hinauswarf konnte er nicht länger an seinem Wahnsinn zweifeln. Der Unglückliche ward in die Heilanstalt des Dr. Pinnel zu Chaillot gebracht, wo er nach vierzehn Tagen unter schauderhaften Leiden den Geist aufgab. Er starb am 15. Julius, und war am 17. auf dem Kirchhof Montmartre begraben. Ich habe leider seinen Tod zu spät erfahren, als daß ich ihm die letzte Ehre erweisen konnte. Indem ich heute diese Blätter seinem Andenken widme, wollte ich das Versäumte nachholen und gleichsam im Geist an seinem Leichenbegängnis teilnehmen.

Jetzt aber öffnet mir noch einmal den Sarg, damit ich nach altem Brauch den Toten um Verzeihung bitte für den Fall, daß ich ihn etwa im Leben beleidigt. – Wie ruhig der kleine Marcus jetzt aussieht! Er scheint darüber zu lächeln, daß ich seine gelehrten Arbeiten nicht besser gewürdigt habe. Daran mag ihm wenig gelegen sein, denn hier bin ich ja doch kein so kompetenter Richter wie etwa sein Freund S. Munk, der Orientalist, der mit einer umfassenden Biographie des Verstorbenen und mit der Herausgabe seiner hinterlassenen Werke beschäftigt sein soll.

 

Spätere Note

(Im März 1854)

Da ich mich immer einer guten Gesinnung und eines ebenso guten Stiles beflissen, so genieße ich die Genugtuung, daß ich es wagen darf, unter dem anspruchsvollen Namen »Denkworte« die vorstehenden Blätter hier mitzuteilen, obgleich sie anonym für das Tagesbedürfnis der Augsburger »Allgemeinen Zeitung« bereits vor zehn Jahren geschrieben worden. Seit jener Zeit hat sich vieles in Deutschland verändert, und auch die Frage von der bürgerlichen Gleichstellung der Bekenner des mosaischen Glaubens, die gelegentlich in obigen Blättern besprochen ward, hat seitdem sonderbare Schicksale erlitten. Im Frühling des Jahres 1848 schien sie auf immer erledigt, aber, wie mit so vielen andern Errungenschaften aus jener Blütezeit deutscher Hoffnung, mag es jetzt in unsrer Heimat auch mit besagter Frage sehr rückgängig aussehen, und an manchen Orten soll sie sich wieder, wie man mir sagt, im schmachvollsten statu quo befinden. Die Juden dürften endlich zur Einsicht gelangen, daß sie erst dann wahrhaft emanzipiert werden können, wenn auch die Emanzipation der Christen vollständig erkämpft und sichergestellt worden. Ihre Sache ist identisch mit der des deutschen Volks, und sie dürfen nicht als Juden begehren, was ihnen als Deutschen längst gebührte.

Ich habe in obigen Blättern angedeutet, daß sich der Gelehrte S. Munk mit einer Herausgabe der hinterlassenen Schriften des seligen Marcus beschäftigen werde. Leider ist dieses jetzt unmöglich, da jener große Orientalist an einem Übel leidet, das ihm nicht erlaubt, sich einer solchen Arbeit zu unterziehen; er ist nämlich seit zwei Jahren gänzlich erblindet. Ich vernahm erst kürzlich dieses betrübsame Ereignis, und erinnere mich jetzt, daß der vortreffliche Mann trotz bedenklicher Symptome sein leidendes Gesicht nie schonen wollte. Als ich das letzte Mal die Ehre hatte, ihn auf der königlichen Bibliothek zu sehen, saß er vergraben in einem Wust von arabischen Manuskripten, und es war schmerzlich anzusehen, wie er seine kranken, blassen Augen mit der Entzifferung des phantastisch geschnörkelten Abrakadabra anstrengte. Er war Kustos in besagter Bibliothek, und er ist jetzt nicht mehr imstande, dieses kleine Amt zu verwalten. Hauptsächlich mit dem Ertrag seiner literarischen Arbeiten bestritt er den Unterhalt einer zahlreichen Familie. Blindheit ist wohl die härteste Heimsuchung, die einen deutschen Gelehrten treffen kann. Sie trifft diesmal die bravste Seele, die gefunden werden mag; Munk ist uneigennützig bis zum Hochmut, und bei all seinem reichen Wissen von einer rührenden Bescheidenheit. Er trägt gewiß sein Schicksal mit stoischer Fassung und religiöser Ergebung in den Willen des Herrn.

Aber warum muß der Gerechte so viel leiden auf Erden? Warum muß Talent und Ehrlichkeit zugrunde gehen, während der schwadronierende Hanswurst, der gewiß seine Augen niemals durch arabische Manuskripte trüben mochte, sich räkelt auf den Pfühlen des Glücks und fast stinkt vor Wohlbehagen? Das Buch Hiob löst nicht diese böse Frage. Im Gegenteil, dieses Buch ist das Hohelied der Skepsis, und es zischen und pfeifen darin die entsetzlichen Schlangen ihr ewiges: Warum? Wie kommt es, daß bei der Rückkehr aus Babylon die fromme Tempelarchiv-Kommission, deren Präsident Esra war, jenes Buch in den Kanon der heiligen Schriften aufgenommen? Ich habe mir oft die Frage gestellt. Nach meinem Vermuten taten solches jene gotterleuchteten Männer nicht aus Unverstand, sondern weil sie in ihrer hohen Weisheit wohl wußten, daß der Zweifel in der menschlichen Natur tief begründet und berechtigt ist, und daß man ihn also nicht täppisch ganz unterdrücken, sondern nur heilen muß. Sie verfuhren bei dieser Kur ganz homöopathisch, durch das Gleiche auf das Gleiche wirkend, aber sie gaben keine homöopathisch kleine Dosis, sie steigerten vielmehr dieselbe aufs ungeheurste, und eine solche überstarke Dosis von Zweifel ist das Buch Hiob; dieses Gift durfte nicht fehlen in der Bibel, in der großen Hausapotheke der Menschheit. Ja, wie der Mensch, wenn er leidet, sich ausweinen muß, so muß er sich auch auszweifeln, wenn er sich grausam gekränkt fühlt in seinen Ansprüchen auf Lebensglück; und wie durch das heftigste Weinen, so entsteht auch durch den höchsten Grad des Zweifels, den die Deutschen so richtig die Verzweiflung nennen, die Krisis der moralischen Heilung. – Aber wohl demjenigen, der gesund ist und keiner Medizin bedarf!

 

Loeve-Veimars

Als ich das Übersetzungstalent des seligen Loeve-Veimars für verschiedene Artikel benutzte, mußte ich bewundern, wie derselbe während solcher Kollaborationen mir nie meine Unkenntnis der französischen Sprachgewohnheiten oder gar seine eigne linguistische Überlegenheit fühlen ließ. Wenn wir nach langstündigem Zusammenarbeiten endlich einen Artikel zu Papier gebracht hatten, lobte er meine Vertrautheit mit dem Geiste des französischen Idioms so ernsthaftig, so scheinbar erstaunt, daß ich am Ende wirklich glauben mußte, alles selbst übersetzt zu haben, um so mehr, da der feine Schmeichler sehr oft versicherte, er verstünde das Deutsche nur sehr wenig.

Es war in der Tat eine sonderbare Marotte von Loeve-Veimars, daß dasselbe, der das Deutsche ebensogut verstand wie ich, dennoch allen Leuten versicherte, er verstünde kein Deutsch. In den eben erschienenen »Memoiren eines Bourgeois de Paris« befindet sich in dieser Beziehung eine sehr ergötzliche Anekdote.Dr. L. Véron erzählt nämlich auf S. 97 des dritten Bandes seiner oben erwähnten Memoiren, er habe einst die berühmte Tänzerin Fanny Eisler zu Tische geladen und Herrn Loeve-Veimars den Platz neben ihr angewiesen, mit der Bemerkung: »Sie können Deutsch reden.« Loeve-Veimars antwortete lachend: »Ich verstehe kein Wort Deutsch, aber Fräulein Eisler versteht Französisch, und ich behalte meinen Platz.« – Der Herausgeber

Mit großem Leidwesen habe ich erfahren, daß Loeve-Veimars, der unlängst gestorben, von seinen Nekrologen in der Presse sehr unglimpflich besprochen worden, und daß sogar der alte Kamerad, der lange Zeit jeden Morgen sein brillanter Nebenbuhler war, mehr Nesseln als Blumen auf sein Grab gestreut hat. Und was hatte er ihm vorzuwerfen? Er sprach von dem erschrecklichen Lärm, welchen auf dem Pavé der idyllisch ruhigen Rue des Prêtres die heranrasselnde Karosse des Baron Loeve-Veimars verursachte, als derselbe nach seiner Rückkehr aus Bagdad einen Besuch bei der Redaktion des »Journals des Débats« abstattete. Und die Karosse war stattlich armoiriert, die kostbar angeschirrten Pferde waren grispommelé, und der Jäger, der vom Hinterbrett herabspringend mit unverschämter Heftigkeit die gellende Hausklingel zog, der lange Bursche trug einen hellgrünen Rock mit goldnen Tressen, an seinem Bandelier hing ein Hirschfänger, auf dem Haupte saß ein Offiziershut mit ebenfalls grünen Hahnenfedern, die keck und stolz flatterten.

Ja, das ist wahr, dieser Jäger war prächtig. Er hieß Gottlieb, trank viel Bier, roch außerordentlich stark nach Tabak, suchte so dumm als möglich auszusehen, und behauptete, der französischen Sprache unkundig zu sein, im Gegensatz zu seinem Herrn, der sich, wie ich oben erwähnt, immer ein Air gab, als verstünde er kein Wort Deutsch. Nebenbei gesagt, trotz seines radebrechenden Französisch und seiner gemeinen Manieren hatte ich Monsieur Gottlieb, der durchaus ein Deutscher sein wollte, im Verdacht, niemals schwäbische Original-Klöße gegessen zu haben und gebürtig zu sein aus Meaux Department de Seine & Oise.

Ich, der ich den Lebenden selten Schmeicheleien sage, empfinde auch keinen Beruf, den Abgeschiedenen zu schmeicheln, die wir nur dadurch am besten würdigen, wenn wir die Wahrheit sagen. Und wahrlich, unser armer Loeve braucht dies nicht zu fürchten. Dazu kommt, daß seine guten Handlungen immer durch glaubwürdige Zeugnisse konstatiert sind, während alles bösliche Gerücht, das über ihn in Umlauf war, immer unerwiesen blieb, auch unerweislich war, und schon mit seinem Naturell in Widerspruch stand. Das Schlimmste, was man gegen ihn vorbrachte, war nur die Eitelkeit, sich zum Baron zu machen – aber wem hat er dadurch Schaden zugefügt? In all' dieser adligen Ostentation sehe ich kein so großes Verbrechen, und ich begreife nicht, wie dadurch der alte Kamerad, der sonst so liebenswürdig menschlich intelligent war, einen so grämlichen Anfall von puritanischem Zelotismus bekommen konnte. Der illustre Biograph Debureau's und des toten Esels schien vergessen zu haben, daß er selber seine eigne Karosse besaß, daß er ebenfalls zwei Pferde hatte in seinen Ställen, auch mit einem galonierten Kutscher behaftet war, der sehr viel Hafer fraß, daß er ebenfalls ein Halbdutzend Bediente, Müßiggänger in Livree, besoldete, was ihn freilich nicht verhinderte, jedesmal, wenn bei ihm geklingelt ward, selbst heran zu springen und die Türe aufzumachen – Er trug dabei auf dem Haupte eine lilienweiße Nachtmütze, das baumwollene Nest, worin die tollen Einfalle des großen französischen Humoristen lustig zwitscherten –

In der Tat, Letzterer hätte geringeren Geistern die postumen Ausfälle gegen Loeve-Veimars überlassen sollen. Mancher darunter, der demselben sein Hauptvergehen, die Baronisierung, vorwarf, würde sich vielleicht ebenfalls mit einem mittelalterlichen Titel assübliert haben, wenn er nur den Mut seiner Eitelkeit besessen hätte. Loeve-Veimars aber hatte diesen Mut, und wenn man auch heimlich lächelte, so intimidierte er doch die öffentlichen Lacher, und die Hozier unserer Tage mäkelten nicht zu sehr an seinem Stammbaum, da er immer stählerne Urkunden in Bereitschaft hielt, welche aus dem Archiv von Lepage hervorgegangen.

Ja, jedenfalls die ritterliche Bravour konnte unserem Loeve nicht abgesprochen werden, und wenn er wirklich kein Baron war – worüber ich nie nachforschte – so war ich doch überzeugt, daß er verdiente, ein Baron zu sein. Er hatte alle guten Eigenschaften eines Grand Seigneur. In hohem Grade besaß er z. B. die der Freigebigkeit. Er übte sie bis zum Exzeß, und er mahnte mich in dieser Beziehung zuweilen an die arabischen Ritter der Wüste, welche vielleicht zu seinen Ahnherren gehörten, und bei denen die Freigebigkeit als die höchste Tugend gerühmt ward. Ist sie es wirklich? Ich erinnere mich immer, mit welchem Entzücken ich in den arabischen Märchen, die uns Galland übersetzt hat, die Geschichte von dem jungen Menschen las, der den großen Reichtum, den ihm sein Vater hinterlassen, durch übertriebene Freigebigkeit vergeudet hatte, so daß ihm am Ende von allen seinen Schätzen nur eine außerordentlich schöne Sklavin übrig geblieben. In Letztere war er sterblich verliebt; doch als ein unbekannter Beduine, der sie gesehen, ihre Schönheit mit Begeistrung bewunderte, überwältigte ihn die angeborene Großmut und höflich sagte er: »Wenn diese Dame dir so außerordentlich gefällt, so nimm sie hin als Geschenk.« Trotz seiner großen Leidenschaft für die Sklavin, welche in Tränen ausbrach, befahl er ihr, dem Unbekannten zu folgen, doch dieser war der berühmte Kalif Harun al Raschid, der in der Verkleidung eines Beduinen nächtlich in Bagdad umher zog, um sich inkognito mit eignen Augen über Menschen und Dinge zu unterrichten, und der Kalif war von der Großmut des freigebigen jungen Menschen so sehr erbaut, daß er ihm nicht bloß seine Geliebte zurückschickte, sondern ihn auch zu seinem Großvezier machte und mit neuen Reichtümern und einem prächtigen Palast, dem schönsten in Bagdad, beschenkte.

Bagdad, der Schauplatz der meisten Märchen der Scheherezade, die Hauptstadt von »Tausend und eine Nacht«, diese Stadt, deren Name schon einen phantastischen Zauber ausübt, war lange Zeit der Aufenthaltsort unseres Loeve-Veimars, der von 1838-1848 als französischer Konsul dort residierte. Niemand hat dort mit größerer Klugheit und Würde die Ehre Frankreichs vertreten, und eben bei den Orientalen war seine natürliche Prunksucht am rechten Platze, und er imponierte ihnen durch Verschwendung und Pracht. Wenn er in seiner Litère, oder in einem verschlossenen, reich geschmückten Palankin durch die Straßen von Bagdad getragen ward, umgab ihn seine Dienerschaft in den abenteuerlichsten Kostümen, einige dutzend Sklaven aus allen Ländern und von allen Farben, Bewaffnete in den sonderbarsten Armaturen, Pauken- und Zinken- und Tamtam-Schläger, die, auf Kamelen oder reich karapazonierten Maultieren sitzend, einen ungeheuren Lärm machten, und dem Zuge voran ging ein langer Bursche, der in einem Kaftan von Goldbrokat stak, auf dem Haupte einen indischen Turban trug, der mit Perlenschnüren, Edelsteinen und Maraboutfedern geschmückt, und dieser hielt in der Hand einen langen goldnen Stab, womit er das andringende Volk fort trieb, während er in arabischer Sprache schrie: »Platz für den allmächtigen, weisen und herrlichen Stellvertreter des großen Sultan Ludwig Philipp!« Jener Anführer des Gefolges war aber kein anderer als unser Monsieur Gottlieb, der diesmal nicht mehr einen Deutschen, sondern einen Ägypter oder Äthiopen vorstellte, diesmal auch vorgab, keine einzige von allen europäischen Sprachen zu verstehen; und gewiß in den Straßen von Bagdad noch weit mehr Spektakel machte, als in der friedlichen Rue des Prêtres zu Paris bei Gelegenheit jener Visite, worüber der alte Kamerad sich so mißlaunig in seinen Montagsfeuilleton vernehmen ließ.

In der Tat, durch seine äußere Erscheinung imponierte Loeve-Veimars minder den Orientalen, die vielmehr eine große Amtswürde gern durch eine große Korpulenz und sogar Obesität repräsentiert sehen. Diese Vorzüge mangelten aber dem französischen Konsul, der von sehr schmächtiger und eben nicht sehr großer Gestalt war, obgleich er auch durch seine Äußerlichkeit den Grand Seigneur nicht verleugnete. Ja, wie er, wenn es wirklich kein Baron war, doch es zu sein verdiente durch seinen Charakter, so trug auch seine leibliche Erscheinung alle Merkmale adliger Art und Weise. Auch in seinem Äußern war etwas Edelmännisches: eine feine, aalglatte, zierliche Gestalt, vornehme weiße Hände, deren diaphane Nägel mit besonderer Sorgfalt geglättet waren, ein zartes, fast weibisches Gesichtchen mit stechend blauen Augen, und Wangen, deren rosige Blüte mehr ein Produkt der Kunst als der Natur, und blondes Haar, das äußerst spärlich die Glatze bedeckte, aber durch alle mögliche Öle, Kämme und Bürsten sehr sorgfältig unterhalten wurde. Mit einer glücklichen Selbstzufriedenheit zeigte Loeve seinen Freunden zuweilen den Kasten, worin jene Kosmetika, die unzähligen Kämme und Bürsten von allen Dimensionen, und die dazu gehörigen Schwämme und Schwämmchen enthalten waren. Es war die Freude eines Kindes, das seine Spielsachen mustert – aber war das ein Grund, so bitterböse über ihn Zeter zu schreien? Er gab sich für keinen Cato aus, und unsere Catonen hatten kein Recht, von ihm jene Tugenden zu verlangen, mit welchen sie in ihren Journalen sich so republikanisch drapieren. Loeve-Veimars war kein Aristokrat, seine Gesinnung war vielmehr demokratisch, aber seine Gefühlsweise war, wie gesagt, die eines Gentilhomme.



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