Heinrich Heine
Vermischte Schriften
Heinrich Heine

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Die Romantik

(1820)

Was Ohnmacht nicht begreift, sind Träumereien.
            A. W. v. Schlegel.

No. 12, 14 und 27 des »Kunst- und Unterhaltungsblatts« enthält eine alte, aber neu aufgewärmte und glossierte Satire wider Romantik und romantische Form.Der in Rede stehende Aufsatz war eine von W. v. Blomberg verfaßte Erklärung des im Jahrgange 1810 des Heidelberger Taschenbuchs enthaltenen Sonett-Dramas, betitelt: »Des sinnreichen himmlischen Boten Phosphorus Confuculus-Solaris jüngste Komödie, von ihm selbst geboren, gegeben und geschaut.« – Der Herausgeber Ob man zwar einer solchen Satire eigentlich nur mit einer Gegensatire entgegnen sollte, so ist es dennoch die Frage, ob man hiedurch der Sache selbst nützen würde. No. 124 der »Hall. allgem. Literatur-Zeitung« enthält die Rezension einer solchen Gegensatire, deren Wirkung auf die Gegenpartei dieselbe zu sein scheint, welche auch jene Karfunkel- und Solaris-Satiren auf die Romantiker ausgeübt haben, nämlich Achselzucken. Ich wenigstens möchte daher nicht ohne Aussicht, dadurch nutzen zu können, also bloß des Scherzes halber, von einer Sache sprechen, von der die Ausbildung des deutschen Wortes fast ausschließlich abhängt. Denn wenn man auf den Rock schlägt, so trifft der Hieb auch den Mann, der im Rocke steckt, und wenn man über die poetische Form des deutschen Wortes spöttelt, so läuft auch manches mit unter, wodurch das deutsche Wort selbst verletzt wird. Und dieses Wort ist ja eben unser heiligstes Gut, ein Grenzstein Deutschlands, den kein schlauer Nachbar verrücken kann, ein Freiheitswecker, dem kein fremder Gewaltiger die Zunge lähmen kann, eine Oriflamme in dem Kampfe für das Vaterland, ein Vaterland selbst demjenigen, dem Torheit und Arglist ein Vaterland verweigern. – Ich will daher mit wenigen Worten, ohne polemische Ausfälle, und ganz unbefangen, meine subjektiven Ansichten über Romantik und romantische Form hier mitteilen.

Im Altertum, das heißt eigentlich bei Griechen und Römern, war die Sinnlichkeit vorherrschend. Die Menschen lebten meistens in äußern Anschauungen, und ihre Poesie hatte vorzugsweise das Äußere, das Objektive, zum Zweck und zugleich zum Mittel der Verherrlichung. Als aber ein schöneres und milderes Licht im Oriente aufleuchtete, als die Menschen anfingen zu ahnen, daß es noch etwas Besseres gibt als Sinnenrausch, als die unüberschwänglich beseligende Idee des Christentums, die Liebe, die Gemüter zu durchschauen begann: da wollten auch die Menschen diese geheimen Schauer, diese unendliche Wehmut und zugleich unendliche Wollust mit Worten aussprechen und besingen. Vergebens suchte man nun durch die alten Bilder und Worte die neuen Gefühle zu bezeichnen. Es mußten jetzt neue Bilder und neue Worte erdacht werden, und just solche, die durch eine geheime sympathetische Verwandtschaft mit jenen neuen Gefühlen diese letztern zu jeder Zeit im Gemüte erwecken und gleichsam heraufbeschwören konnten. So entstand die sogenannte romantische Poesie, die in ihrem schönsten Lichte im Mittelalter aufblühte, späterhin vom kalten Hauch der Kriegs- und Glaubensstürme traurig dahinwelkte, und in neuerer Zeit wieder lieblich aus dem deutschen Boden aufsproßte und ihre herrlichsten Blumen entfaltete. Es ist wahr, die Bilder der Romantik sollten mehr erwecken als bezeichnen. Aber nie und nimmermehr ist dasjenige die wahre Romantik, was so viele dafür ausgeben, nämlich ein Gemengsel von spanischem Schmelz, schottischen Nebeln und italienischem Geklinge, verworrene und verschwimmende Bilder, die gleichsam aus einer Zauberlaterne ausgegossen werden und durch buntes Farbenspiel und frappante Beleuchtung seltsam das Gemüt erregen und ergötzen. Wahrlich, die Bilder, wodurch jene romantischen Gefühle erregt werden sollen, dürfen ebenso klar und mit ebenso bestimmten Umrissen gezeichnet sein als die Bilder der plastischen Poesie. Diese romantischen Bilder sollen an und für sich schon ergötzlich sein; sie sind die kostbaren goldenen Schlüssel, womit, wie alte Märchen sagen, die hübschen verzauberten Feengärten aufgeschlossen werden. – So kommt es, daß unsere zwei größten Romantiker, Goethe und A. W. von Schlegel, zu gleicher Zeit auch unsere größten Plastiker sind. In Goethe's »Faust« und Liedern sind dieselben reinen Umrisse, wie in der »Iphigenie«, in »Hermann und Dorothea«, in den Elegien usw.; und in den romantischen Dichtungen Schlegel's sind dieselben sicher und bestimmt gezeichneten Konturen, wie in dessen wahrhaft plastischem »Rom«. O, möchten dies doch endlich diejenigen beherzigen, die sich so gern Schlegelianer nennen.

Viele aber, die bemerkt haben, welchen ungeheuren Einfluß das Christentum, und in dessen Folge das Rittertum, auf die romantische Poesie ausgeübt haben, vermeinen nun beides in ihre Dichtungen einmischen zu müssen, um denselben den Charakter der Romantik aufzudrücken. Doch glaube ich, Christentum und Rittertum waren nur Mittel, um der Romantik Eingang zu verschaffen; die Flamme derselben leuchtet schon längst auf dem Altare unserer Poesie; kein Priester braucht noch geweihtes Öl hinzuzugießen, und kein Ritter braucht mehr bei ihr die Waffenwacht zu halten. Deutschland ist jetzt frei; kein Pfaffe vermag mehr die deutschen Geister einzukerkern; kein adliger Herrscherling vermag mehr die deutschen Leiber zur Frohn zu peitschen, und deshalb soll auch die deutsche Muse wieder ein freies, blühendes, unaffektiertes, ehrlich deutsches Mädchen sein, und kein schmachtendes Nönnchen und kein ahnenstolzes Ritterfräulein.

Möchten doch viele diese Ansicht teilen! dann gäbe es bald keinen Streit mehr zwischen Romantikern und Plastikern. Doch mancher Lorbeer muß welken, ehe wieder das Ölblatt auf unserem Parnassus hervorgrünt.



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