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IV.
Auf den Pik von Teneriffa.

. Während im hohen Nachtlager meine Augen die Bahnen der Sterne verfolgten, war das Feuer zu meinen Füßen ausgelöscht, und die scharfe Kälte, welche das Nahen des Morgens ankündigte, erinnerte daran, daß ich in jeder schönen Winternacht solchen Betrachtungen nachhängen könne. Ich suchte nach unsern Leuten. Sie waren rein verschwunden. Endlich sah ich den Einen und Anderen in einer Felsenspalte liegen, wo er in Decken und Lumpen gehüllt mehr einem Haufen Spreu und Steine als Menschen ähnlich sah. Da es zwei Uhr geworden, so weckte ich meinen Reisegefährten, und mit großer Mühe brachten wir die Leute auf die Beine. Wir mußten rufend unser Gesicht an ihre Ohren legen, denn der brausende Sturm verschlang jeden Ton, den er fassen konnte. Das Feuer wurde wieder angefacht, hoch loderten und züngelten die rothen Flammen, und die höllenschwarzen Lavafelsen gaben ringsum abenteuerlichen Widerschein. Kaffee, der schon bereitet und mit Rum wohlvermischt in Flaschen mit herausgenommen war, wurde heiß gemacht und erwärmte die Lebensgeister. Das Getränk aber in Tassen zu schütten war nicht möglich, es flog in den Wind, sowie es aus der Flasche kam: sie mußte also zugleich als Tasse dienen. Nun wurden auch die zitternden Pferde hinter ihren Felsen hervorgezogen, gesattelt, bestiegen, und fort ging es in den grimmigen Sturm hinaus.

Leider war es jetzt stichdunkel, und der schmale Steg zog sich steil hinauf zwischen Klippen und Geröll. Da ich bei jeder neuen Windsbraut fürchtete, sie könnte mich aus dem Sattel schmettern, so stieg ich ab und führte mein Pferd. Allein es war ein junges Thier, begann zu straucheln, und konnte zuletzt gegen den Wind nicht mehr an. Sein Eigenthümer, keiner der Gescheidtesten, nahm es am Zügel, ging voran, fiel ein über das andermal und verlor darüber im Sturm und Dunkel den Weg. Die Andern waren schon weit in der Höhe über uns und hörten kein Rufen mehr. Ich klimmte nach so gut ich konnte, und riß mir die Hände blutig an dem scharfen Lavagestein. Mein Begleiter wußte keinen Rath mehr. Das unaufhörliche Geheule und Gebrause schien ihm Athem und Sinne zu benehmen: er antwortete nicht mehr. Es war eine angsthafte Frage: was thun? Wir steckten mitten zwischen dem Lavageklipp und Gebröckel, und soweit ich umher tastete, vom Wege war keine Spur mehr. Warten bis es hell wurde, und dann auf den Weg? Dann wäre ich am selben Tag schwerlich wieder herunter gekommen. Unmöglich aber konnten wir schon weit ab vom Wege sein. Ich warf endlich dem Pferde die Zügel über, ergriff seinen Schweif, und trieb es voran. Denn es hatte seine Nüstern immer an der Erde und suchte offenbar die Spur der anderen Pferde. Mit etwas Anstrengung und vielerlei Fallen und Rutschen kam ich wieder auf die rechte Bahn und zu den Andern, die endlich auf uns gewartet hatten. Vergebens bat ich nun den Vornehmsten unserer Führer, mir sein Pferd abzutreten. Der Mann gab von seiner Selbstsucht noch andere Belege. Als der uns entgegenrasende Sturm es den Pferden unmöglich machte, weiter aufzusteigen, war er der Erste, der Deckung suchte und hartnäckig uns den besten Platz vorweg nahm. Wahrscheinlich hatten wir ihn viel zu freundlich mit Kaffee, Genèvre und andern guten Sachen bewirthet. Denn das ist die Art vieler Spanier aus den niedern Classen auch auf den Inseln: sie nehmen alles Gute an, als ob sie ein Recht darauf hätten, und kümmern sich nachher nicht um den Geber.

Lange warteten wir auf den unglücklichen Eigenthümer meines Pferdes. Da er nicht kam, so fand darin der Hauptführer Anlaß sich zu weigern, weiter bergan zu gehen. Einer von ihnen sei schon verloren, sagte er, und wer wisse was noch komme? Er und seine Gefährten lagen schon wieder tief zwischen dem Geklüfte geduckt wie Berghühner. Ihr Eigensinn widerstand allen Mahnungen: sie ließen sich rütteln und schwiegen still. Offenbar war ihnen nicht ganz geheuer bei dem Stürmen und Heulen an dem Teufelsberge. Denn die alten Wandschen verlegten den Eingang zur Hölle oben in den Krater, zu welchem wir hinan strebten, und diese geheime Sage ist im Volke vielleicht eben so wenig vergangen, wie so mancher andere Aberglauben aus der früheren Zeit.

Schon meldete Dämmerung sich an. Der Jüngste unserer Leute, der vierzehnjährige Bube, richtete sich auf und schauete umher. Ich zeigte ihm ein Geldstück und dann den Berg hinauf. Er winkte und sprang voran. Kurz entschlossen nahmen mein Gefährte und ich die Alpenstöcke zur Hand und fingen an, nur von diesem Jüngsten unserer Leute geführt, aufwärts zu steigen. Wie noch so manches Geräth für Krieg und Feldbau, führte der lange mit spitzem Eisen beschlagene Stock seine gothische Benennung, er heißt die Lanza. Als wir zu der Alta Vista kamen, einem freien Platze der »hohen Aussicht,« war es bald sechs Uhr, und flog etwas wie bleiche Schatten durch das Dunkel. Wir schöpften hier etwas Athem hinter einem ärmlichen alten Gemäuer, zu welchem der Bursche uns führte. Plötzlich fuhr mit rascher Gewalt die Sonne an der Schneide des Ozeans empor. Im Nu war alles verwandelt, alles auf einmal licht und klar, die ganze Insel wie mit gelben Strahlen übersponnen. Die Nacht athmete nicht mehr, es war heller köstlicher Tag, und ich meinte: in der Luftströmung wehe dann und wann ein Hauch empor von all' den Blüthen am Meeresstrand. Wir sahen jetzt auch, daß dicht unter unsern Füßen eine Wolkenschicht, vielleicht zweitausend Fuß mächtig, den Berg umgürtete.

Nun begann vorsichtigeres Aufsteigen und Klettern. Von der Höhe kamen endlos dunkle Ströme harter scharfer Lavaschollen, tiefe dunkle Risse und Schlünde dazwischen. Einst ergossen sich diese Fluthen als die feurigen Eingeweide der Erde, und erstarrten als sie an unsere Luft kamen, in einförmiger todter Schwärze. Ihre Zahl und Breite wollte gar nicht aufhören: immer neue Ketten tief dunkler Lava galt es zu überklettern. Hier sah man nun nichts mehr, als die todten Trümmer und Schlacken einer ausgebrannten Welt, schwarz nackt und kahl, nur bedeckt von eisernem Schweigen. Welche furchtbare Ergüsse ließ der eine Vulkan niederrollen! Wenn ich versenkt nicht in eine der tiefsten, sondern nur der kleinsten Rinnen, zu beiden Seiten die Höhe der ehernen Schwarzwände ermaß, wie dünn und zart erschien da unsere von Lebenskeimen erfüllte Erdrinde, welche das Land bedeckt und Pflanzen und Thiere hervorbringt.

Für Brust und Augen war es ein Labsal, wenn da hin und wieder bleiches Schneefeld kam, leicht überfroren und wie mit langen Stöcken gepeitscht, daß lauter Streifen entstanden. Woher diese Streifen? Von etwas Lebendigem konnten sie nicht herrühren, dergleichen kommt nimmer in diese Höhe, es sei denn ein Mensch, und dieser hätte wahrlich keine Zeit und Lust, hier in dem Schnee durch Schlagen sich ein flüchtig Andenken zu stiften. Ich erinnerte mich, daß auch bei uns, wenn im Vorfrühjahr die schweren Stoßwinde einher fahren, ich Schneefelder so gestreift gesehen. Nur der Sturm war es, der auch hier mit seinen Zipfeln über die Erde kehrend diese Furchen einriß, seine Wellen erschienen ja so fest und steif wie Wasserschwall.

Es dauerte viel länger, als wir von unten hinansehend gemeint hatten, bis wir die nächtigen Lavafelder hinter uns wußten. Endlich erreichten wir die Rambleta, eine geringe Hochebene, die wie eine schmale Ringfläche den Piton, den letzten Kegelaufsatz, umzieht. Der ganze Berg hat sich aufgebaut zu seiner ungeheuren Höhe, indem sich immerfort ein Kegel auf den andern setzte, jeder höhere stets mit kleinerem Durchmesser; denn jeder stieg als Auswurfskegel auf der Grundfläche des letzten Kraters empor. Der erste Krater über dem Meer war die Insel selbst, der zweite der sogenannte alte Krater mit seiner Breite von ein paar Stunden, aus diesem hob sich in mehreren Absätzen der Berg immer höher, jeder Absatz bezeichnete einen neuen Vulkan, der sich kegelförmig aus den Auswürfen des letzten bildete. So steht jetzt der Piton wie ein Kegel oder Spitzhut auf der Rambleta auf.

Wer auf dem Vesuv gewesen, wird sich der Mühsal erinnern, welche der Aschenkegel macht. Bei jedem Schritt in der lockeren tiefen Asche sinkt und rutscht man zurück. Davon war hier kaum eine Spur, fast überall konnte man den Fuß fest aufsetzen, dieser Kegel hatte seine Rinde fest gebacken. Auch war es nicht so sehr der steile Aufstieg, als die hier herrschende feine Luft, welche jeden Augenblick zum Ausruhen nöthigte. Sonst habe ich nichts von alle dem verspürt, was in den Reisebeschreibungen steht, daß nämlich im Kopfe man unerträglichen Druck und Schwindel fühle, daß das Blut sich aus den Augen dränge, daß man vor Durst umkomme. Nur die Lippen schmerzten etwas, weil das feine Oberhäutchen sich abzublättern anfing. Viel schlimmer waren die entsetzlichen Windstöße. Bei Sonnenaufgang hatte es den Anschein gehabt, als wollte sich die Luftströmung beruhigen: aber von Zeit zu Zeit kam es plötzlich mit so tückischer Gewalt daher gefahren, daß wir uns niederwerfen und anklammern mußten, um nicht fortgewirbelt zu werden. Der verhältnißmäßig kleine Piton, der kaum 1000 Fuß hoch, kostete uns fast eine Stunde Aufsteigens.

Etwa zwanzig Fuß unter der Spitze war der Boden auf einmal gefärbt wie Lehm und Ocker, und ganz warm, an verschiedenen Stellen kam Schwefeldampf hervor. Noch ein paar Schritte – und der entsetzte Blick fiel hinab in den bleichen Krater, in demselben Moment aber hing ich an einer Zacke, die ich mit beiden Armen umschlang. Denn wie ein Donnerwetter sauste der Sturm von der andern Seite her und zischte und heulte wie ein Unthier, das sich an den Klippen und Kraterzacken rieb, die hoch und spitz in die blaue Luft empor starrten.

Wir duckten uns hinter ihnen, krochen, wenn der Luftstrom nachließ, wieder hinaus und schauten in den Krater und darüber weg aufs Meer, und zogen uns säuberlich zurück, wenn die Windsbraut wieder daher fuhr. Es war ein Viertel vor acht Uhr, hellster Sonnenschein, der Himmel ein blaues Meer voll Licht und eine unermeßliche Fülle undurchdringlichen Glanzes. Alle Wolken lagen tief unten wie festgebannt, als wären sie von weißem Blei geformt. Befanden wir uns im Winde, so klapperten die Zähne vor Kälte: sonst war es recht wohl auszuhalten. Der Thermometer zeigte in der Sonne 15 Grad; legte ich ihn auf den Boden, wo die Schwefeldämpfe quollen, so hatte ich 31 Grad.

Allmählich wurden wir mit der Oertlichkeit etwas vertrauter, und mein Reisegefährte, der sich viel mit Geologie befaßte, wußte nicht was er alles zum Andenken abhauen und mitnehmen sollte. Unmittelbar unter dem Kraterrand, an der Stelle wo man aus dem gewöhnlichen Wege dorthin steigt, finden sich links und rechts Löcher, etwa einen Zoll breit, aus denen ganz heiße Dämpfe hervorströmen: dabei liegen kleine Schwefelkrystalle. Man nennt sie die Naslöcher des Vulkans. Nicht weit davon zur Rechten sind die Blöcke und Spitzen, aus denen der Kraterrand sich aufbaut, am höchsten aufgethürmt. Dort fanden wir, eingeklemmt zwischen Steinen, eine Schoppenflasche und darin einen Zettel, auf welchem zwei Engländer mit ihrer Namensunterschrift meldeten, daß sie am 25. September 1872 Vormittags 10¼ Uhr hier oben gewesen, und höchlich bedauerten, daß sie nicht mehr hätten schreiben können. Entweder haben die Herren, welche diese interessante Neuigkeit hier oben befestigten, zu viel Frost oder wie wir zu viel Sturm gehabt.

Unser junger Führer brach leichter Mühe am Klippenrand Blöcke los, die den ganzen Piton hinunter fuhren, Staub aufwirbelnd, hoch aufspringend, ganze Lagen von Geröll mit sich reißend, bis sie unten in weiten Sätzen über die Schneefelder der Rambleta schossen. Verfolgte man sie mit den Blicken und sah dann wieder über die Insel weg, so kam ein Gefühl, als hinge man hoch in blauen Lüften.

Die Insel selbst lag tief unten wie ein langer grauer Rücken zwischen weit verbreiteten weißen Wolkenballen. An beiden Rändern des Landes sah man wie über endlose Schneefelder weg, von Küsten war nichts zu erblicken. Vor uns, um uns, über uns hatten wir die ungeheure Leere, die in solcher Höhe keines Vogels Fittig mehr durchmißt. So etwa muß die Erde sich ausnehmen, wenn man von einem Luftballon hinabschaut.

Ganz anders, wenn wir über die Kraterränder weg nach der andern Seite blickten. Dort war freier blauer Ozean, und man sah wie in einen weitgedehnten Halbring hinein, dessen innere Fläche langsam sich in die Höhe zog. In halben Umrissen zeigten sich daranhängend Palma und Gomera, die andern Inseln fast gänzlich von leichtem Dunst verdeckt.

Der Krater des Pik schien mir keine 200 Fuß tief. Auf seinem mit Geröll und Steinen bedeckten Boden, wie an seinen innern Seiten, brachen hier und dort Schwefeldämpfe hervor. Gewiß läßt sich ohne alle Gefahr in diesen Krater hineinsteigen: wir konnten es nur des wüthenden Sturmes wegen nicht bewerkstelligen. Es macht übrigens einen ganz unerwarteten, grauenhaften Eindruck, wie so hoch über den Wolken dieser bleiche Höllenschlund gegen den Himmel aufgähnt. Ein Dichter könnte sich vorstellen, hier habe der fürchterliche Tod seinen ewigen und uneinnehmbaren Ursitz, und reite daraus zu Zeiten hervor auf seinem gespenstigen Roß, um würgend niederzufahren auf das blühende Leben da unten.

Mit noch mehr Interesse aber, als den jungen Krater hier oben, verfolgt das Auge den alten unten, der sich im weiten Klippenring um den Pik zieht. Ganz deutlich läßt er sich rings mit seinem scharfen beißlustigen Gebiß überschauen, ein Krater, wie gesagt, von ein paar Wegstunden Durchmesser. Man denke sich die Somma am Vesuv ganz um den Vulkan herum fortgesetzt, diesen Bergring aber viel höher und schroffer, und den Boden zwischen ihm und dem Aschenkegel mit gelbem rothem und grünem Geröll und mit kleinen runden Feuerspeiern besetzt, hin und wieder Lavafelder dazwischen: so wird ein ungefähres Bild dieses alten Teneriffa-Kraters entstehen.

Alles dies, was man hier oben sieht, ist voll tiefen schweren Ernstes, ist furchtbar und erhaben. Diese Bimssteinasche, der Staub von Jahrtausenden, – diese Lavaströme, welche des Berges bleiches Haupt wie schwarze Locken umdunkeln, – dieser Höllenrachen hoch in reiner Himmelbläue mit seinem ewigen Sturmesgeheul, – und dieser alte Krater unten, der im tausendmal vergrößerten Maßstab rings den Berg umstarrt, gerade als hätte er ihn selbst im Rachen, – alles das ist so groß und gewaltig, so fürchterlich, als wäre ein Stück Urnacht hier stehen geblieben und plötzlich vom jungen Tag erhellt, – ein Stück aus jenen finstern und geheimnißvollen Zeiten, wo ganz andere Naturmächte, als wir sie kennen, miteinander im schrecklichen donnernden Kampfe lagen, und feurige Gase Rauch und schwarze Massen im wilden Gemenge die Lichträume erfüllten, die jetzt wie unendliche Abgründe von heiterem Blau ringsum niedergehen.

Ein erhabenes Schauspiel aber aus dieser Höhe ist zugleich unsäglich schön. Wenn man dorthin blickt, sind all die gräßlichen und ungeheuren Bilder wie verjagt und verschwunden durch dieses eine große, alles überwältigende Schauspiel des Ozeans, diesen wunderbaren Anblick, der wie mit Frieden und Stärke und geheimer Sehnsucht die Seele überthauet.

Ich will versuchen, doch ungefähr ein Bild davon zu geben.

Keine andere Stelle gibt es auf Erden, von welcher man ein so weites Meergebiet überschauen kann. Doch ist es nicht diese ungeheure Größe der Wasserfluth, was Sinn und Seele gefangen nimmt, daß man sich nicht wieder losreißen kann von solchem Anblick, sondern es ist die eigenthümliche Gestalt des Ozeans selbst. Ringsum steigt er ruhig, gleichmäßig in blauen Massen an, hoch an gegen den Horizont, den er mit scharfer Linie ringsum schneidet. Man befindet sich wie auf dem Grund eines Colosseums, aber eines Colosseums, gegen welches das römische eine winzige Nußschale ist. Jeder der einmal an einer Küste gestanden, erinnert sich, wie die See vor seinen Blicken leise anstieg, so daß die Schiffer, was draußen vor dem Hafen liegt, die hohe See nennen. Besser noch, wer auf einer Küstenhöhe von ein paar tausend Fuß, z. B. von der Bocchetta vor Genua, aufs Meer blickte, wurde überrascht, als es vor ihm emporstieg und die weißen Segel auf dem blauen Grunde, wie Schafe an einer Bergkette, über einander standen. Nun, auf dem Pik von Teneriffa steht man nicht ein paar tausend, sondern gegen dreizehntausend Fuß hoch. Man überschauet nicht ein paar hundert Quadratmeilen der See, sondern fast sechstehalbtausend, so groß wie ein Viertel von ganz Spanien. Also, um so mehr man aus dieser Montblanchöhe vom Ozean mit einem einzigen Blick umfassen kann, um so höher erhebt sich sein Spiegel gegen den Himmel.

Mehr und mehr packte mich diese unbeschreibliche Größe und Erhabenheit. Wohin im Kreis ich blickte, überall dieses gleichmäßige sanfte Emporschwellen der tiefblauen Ozeansfluthen, ringsum zu gleicher Höhe im Lichtraum. Gerade daß das Ungeheure sich so ganz einfach, in so reiner und schöner Linie darstellt, das wirkt so. Auf dieser Erde gibt es nichts Erhabeneres.

Acht Tage später, als ich in einer Gesellschaft davon erzählte, fragte mich Einer: ich möchte wohl gleich wieder hinauf? »Auf der Stelle,« erwiderte ich, »wenn ich könnte.« Und das war vollständig wahr: ich hätte, wäre noch Zeit dazu gewesen, sofort eine zweite Bergfahrt angetreten und hätte alle Mühe des Wegs gering geachtet gegen das wunderbare Schauspiel auf dem Gipfel. Ja es ergriff mich eine fast schmerzliche Sehnsucht danach, weil ich wußte daß ich es niemals wieder sehen würde. Immerdar bleibt es mir in der Seele stehn, wie ein ungeheures lichtes Alpenroth, und der geheime Wunsch, noch einmal im Leben bei Sonnenglanz auf des Teyde Gipfel zu stehn, wird nicht wieder verschwinden. Wenn jemand nur einmal in seinem Leben die wogende Majestät des Ozeans erblickt hätte, oder nur eine einzige Nacht die funkelnden Tiefen des Sterngewölbes über sich, würde er nicht all sein Leben lang daran denken? Damit verwandt ist aber jener Anblick von der Höhe des Teneriffa-Vulkans, welchen ich nur in leisen Linien anzudeuten vermochte.

Doch während wir da oben weilten, schritt die Zeit unerbittlich weiter, und, – warum soll ich nicht gestehen, was von der Natur eines armen Menschenkindes einmal nicht abzustreifen? – nach recht viel Schönem und Gewaltigem, was man erlebt, kommt zuletzt ein ganz niederträchtiger Hunger nach irgend etwas, das gut zu essen und zu trinken. Also mußten wir, da es gegen halb zehn Uhr geworden, auf den Rückweg bedacht sein. Den Piton ging's hinunter wie im Sturmlauf. Dann aber kamen wir auf die langen heillosen Lavafelder, auf ihre glasscharfen Schollen, in ihre glatten Löcher und Rinnen, und wir fühlten uns allmählich erschöpft. Wohin man trat, faßte die Härte des Bodens gleichsam in die Fußsohle hinein, und wohin man sich setzte, war es wie auf scharfer Felskante. Wir brachen ein paarmal buchstäblich zusammen und meinten, jetzt könnten wir ohne Hülfe keine drei Schritte mehr machen. Allein wie bei Bergfahrten immer, ist man nur wieder auf den Beinen, so geht's doch wieder.

Die Lava aber hatte fast nirgends das Aussehen von Tauen und Gewinden wie auf dem Vesuv, sondern überall waren es schwarze Ströme, die mitten im lebendigen Fluß erstarrt schienen. Der Führer brachte uns auch zur »Eishöhle«, einem dunklen Schlund, wohl hundert Fuß lang. Im Schatten dieser Höhle hält sich Eis und Schnee den ganzen Sommer hindurch, und die armen Leute holen dann von hier das Eis, welches in Orotava die Maulthierladung zu einem spanischen Thaler, etwa fünf Francs, verkauft wird. Wir hätten unserm Führer gern diesen Umweg geschenkt.

Endlich gelangten wir zur Alta Vista herab, wo Piazzi Smyth, ein Edinburger Professor, vor bald zwanzig Jahren zwei Monate mit astronomischen Beschäftigungen zubrachte. Von seiner Wohnung stand nur noch ein niedriges verfallenes Mauerviereck. Engländer und Franzosen haben den Herren von Teneriffa angeboten, für ihre Naturforscher ein festes Häuschen auf der Alta Vista zu errichten. Mit spanischem Stolz wurde geantwortet: das werde man schon selbst besorgen. Bis jetzt aber haben die Caballeros Geld und Muth dazu in ihrer Tasche behalten. Der Edinburger hat über seine Pikstudien ein launiges und lehrreiches Buch geschrieben, C. Piazzi Smyth, Teneriffa, an astronomer's experiment or specialities of a residence above the clouds. London 1858. das mit vielen Photographien geschmückt, im Buchhandel aber, wie es heißt, vergriffen ist. Der amerikanische Consul hatte es mir mit auf den Pik hinauf gegeben, und ich nahm es zur Hand, als wir endlich wieder auf unserm Lagerplatz, der Estancia de los Ingleses, waren und uns zum Mittagessen hinsetzten. Da konnte ich die Beschreibung und Aussprüche des herzfröhlichen Schotten mit dem vergleichen, was ich selbst gesehen. Jeder sieht halt mit seinen eigenen Augen, und Engländer und Franzosen lassen gern ihren Stil ein wenig anschwellen, sobald sie nicht mit trockenen Beobachtungen sich begnügen.

Nicht weit über dem englischen Lagerplatze liegt der deutsche, die Estancia de los Alemanes, freier und anmuthiger als jener, aber vielleicht nicht so praktisch ausgewählt. Von wem unserer Landsleute er den Namen hatte, wußte man nicht zu sagen: wahrscheinlich rührt dieser aus Humboldts und Leopold v. Buchs Zeiten her.

Nachdem wir die Cañadas und das Bösland, das mal pays, das uns noch trockener heißer und brandiger vorkam, als am Tage vorher, durchritten hatten, brachten die Wolken, in die wir nun hinein geriethen, mit ihrem feuchten Schatten lang erwünschte Erquickung. Im Lorbeer- und Eriken-Wäldchen schien es, als zöge ein sanfter leiser Staubregen durch die Blätter. Alles athmete Frische und Waldluft, die Moosflechten glänzten im Thau, und die Finken und Drosseln schlugen um so lustiger. Als wir unter den Bäumen hervor kamen, lag hellgrün und sonnbeglänzt tief unten das Ufergelände von Orotava mit seinen beiden braunen Vulkanen. Wir sahen es gleichsam unter dem Wolkenvorhang durchschimmern, und dahinter die herrliche Ozeansbläue. So vielgesegnet diese blüthenvollen Gestade sind, eine unangenehme Zugabe darf man doch nicht vergessen. Einen großen Theil des Jahres hindurch sind sie von Wolken verhängt, und diese Umhüllung wird vollständig nur in den heißen Monaten weggezogen.

Der Führer wollte bei Zeiten von den Höhen hinab und brachte uns auf kürzeren Wegen mitten durch Felder und Einzelhöfe, aber diese Stege waren mitunter so schmal und steil, daß man absteigen mußte und zu Fuße gehen. Das war mir höchst verdrießlich, weil es wieder und wieder meinen Halbschlummer unterbrach. Ich habe mir nämlich angewöhnt, auf langen Tagreisen, wenn ich will, auf dem Pferde zu schlafen. Man sieht dabei freilich die Landschaft noch stets wie ein dämmeriges Traumgebilde vorüber ziehn, gleichwohl erquickt es. Was aber ein rechter Schlaf sagen will, sollte ich merken, als wir gegen zehn Uhr wieder vor dem Gasthaus in Orotava ankamen. Ich fiel nur so in's Bette hinein, und habe mich in den nächsten zwölf Stunden sicher nicht einmal umgedreht.


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