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XII.
Von den alten Wandschen.

. Wenn unter afrikanischen Gluthwinden lange Dürre die Insel heimsuchte, jede Quelle versiegte, Land und Gras vertrocknete, so trennte man die jungen Lämmer von den Müttern, damit ihr kläglich Blöken um Nahrung hintöne über Berg und Thal und die Gottheit rühre. Gewiß war das ein Volk voll Unschuld und kindlichen Gemüthes. Es glaubte an einen ewigen allwaltenden Gott, kannte aber keine Dogmen, und brauchte keinen andern Priester als den öffentlichen Beamten. Jedoch gab es geweihete Jungfrauen, die sich in die Einsamkeit des Gebirgs zurückzogen, und zu Zeiten trat die eine oder andere hervor mit strömender Rede, und alles lauschte in Andacht, denn sie verkündigten mit begeistertem Seherblick den göttlichen Willen und was in der Zukunft dunklem Schoße lag. Lesen wir nun auch in alten Schriften die wunderbarsten Züge von der Kühnheit und Tapferkeit dieses Volkes, wie von seinem Edelmuth gegen Besiegte, seiner Herzenstreue gegen Verbündete, seiner unbesieglichen Kraft und Heiterkeit der Seele, so wird die Beschäftigung mit seiner Geschichte ein wahres Vergnügen, ach, eine Quelle auch tiefer Trauer ob seines wehevollen Untergangs.

Dieses Volk waren die Wandschen, welche einst die canarischen Inseln bewohnten. Noch leben sie deutlich fort in der niedern Bevölkerung der beiden Hauptinseln Teneriffa und Gran Canaria, weniger, jedoch noch merklich, auf Palma Gomera und Ferro. Auf den beiden letztgenannten kleinen Inseln macht sich galizisches Bauernblut bemerklich, das entlegene Palma aber wurde häufig von Holländern und Portugiesen besucht, die dort Frauen nahmen und Kinder hinterließen. Die beiden Inseln aber, welche Afrika am nächsten liegen, Fuerteventura und Lanzarote, haben wie in ihrer Natur so auch im Volk entschieden etwas Afrikanisches. Auf den fünf kleinern Inseln, deren Eroberung leicht wurde, war die Urbevölkerung, wie es scheint, von Anfang an schwächer, oder sie wurde von den Spaniern in größerer Menge ausgerottet. Dies war auf Gran Canaria und Teneriffa weniger der Fall: jedenfalls blieben die Weiber dort, und spanische Soldaten und Ansiedler nahmen gern Wandschenmädchen zu Frauen; denn es war ein eben so schönes wie kräftiges Volk, von heller Gesichtsfarbe, blondem Haar und blauen Augen.

Jeder der auf Teneriffa oder Canaria landet oder auf Palma in's Innere kommt, nimmt auf der Stelle wahr, daß er zweierlei Volk vor sich hat, obwohl alles spanisch redet. Die ächten Spanier wohnen in den Städten und auf den großen Gütern: die Bauern aber und die gemeinen Leute haben andere Gesichtszüge, andere Körperbildung, und auch Tracht und Sitte und Benehmen sind bei ihnen etwas anders, als bei den Spaniern. Der französische Consul Berthelot, der über den canarischen Archipel ein großes Werk verfaßte, erklärt: nachdem er zehn Jahre lang sich an diese Gesichtszüge gewöhnt habe, kenne er sie sofort heraus, auch wo Canarier sich in Amerika angesiedelt. Von dem fröhlichen und herzlichen Wesen, welches der bäuerlichen Bevölkerung eigen, ist etwas auch auf die Sprößlinge aus reinem Andalusierblut, welche mit ihnen die Insel bewohnen, übergegangen und hat sehr zu ihrem Vortheil die harten Eigenthümlichkeiten des Spaniers gemildert.

Nachdem ich seit meiner Landung in acht Tagen den Pik von Teneriffa bestiegen und das ganze Gebirg in weitem Umkreis umritten hatte, gönnte ich mir ein paar Tage Reiseruhe, die in Orotava und im nahen Puerto de la Cruz unter Büchern und Gesprächen über Geschichte und Zustände der Inseln angenehm und lehrreich, nur zu rasch verliefen. Insbesondere zog mich alles an, was ich über die Urbevölkerung lesen oder hören konnte.

Vor fünfhundert Jahren wurden die canarischen Inseln hie und da von Seefahrern angelaufen, um Drachenblut, den rothen verdickten Saft vom Drachenbaum, zu holen und nebenbei Menschen zu fangen. Denn für diese wurde auf den Sklavenmärkten viel Geld gelöst, das Drachenblut aber sollte wunderbare Heilkraft besitzen. Das Volk aus den beiden Hauptinseln hatte ein Wort – wan (guan) oder wahrscheinlicher wandhs – mit einem Hauchlaute am Ende (guanch), welches Mensch und zugleich Leute ihres Volkes bedeutete, und danach nannten die Spanier es die Guanches. Dieses Wort müssen wir aber, wie ich bereits bemerkte, nicht wie es da steht aussprechen. »Guanchen« erweckt von vorn herein die Vorstellung von etwas Indianischem: sprechen wir das Wort aber aus wie die Spanier, welche unser w durch ihr gu, und unser ds und dsch durch ihr ch wiedergeben, so lautet das Wort Wandschen.

Verschiedene Fürsten in den romanischen Ländern rühmten sich eines Anrechts auf die Inseln. Endlich belieh mit ihnen der Papst den König von Castilien, dieser verschenkte sie an den Admiral von Frankreich, der sie weiter schenkte an seinen Neffen Johann v. Bethencourt. Dieser edle Normanne war ein tapferer Ritter und hatte eine schöne Frau, die er sehr liebte. Allein sie war jünger als er, und machte ihm viel Verdruß: deshalb beschloß er, sie gar nicht mehr zu sehen und auf das ferne Abenteuer zu ziehen. Er sammelte Castilianer und Franzosen und landete im Jahre 1402 auf Lanzarote. Nach unsäglichen Mühen gelang es ihm, diese Insel und ebenso Fuerteventura und Ferro zu erobern, allein die Hülfe der Spanier mußte das Beste thun, und es blieb ihm nichts übrig, als sein canarisches Fürstenthum von der castilianischen Krone zu Lehen zu nehmen. Die Bevölkerung, soviel man davon nicht in die Sklaverei verkaufte, wurde getauft und auf ihren Ländereien europäisches und maurisches Volk angesiedelt. Nun dauerte es aber noch beinahe hundert Jahre, ehe man sich der andern vier Inseln bemächtigen konnte. Wiederholt stellte man Fahrten dahin an, überall wurden die Europäer wüthend bekämpft und konnten nichts ausrichten.

Denn dieses Volk war stark und tapfer und gewandt wie kein anderes, kräftig gebaut und voll Geist und Leben. Ein natürlicher Frohsinn sowie Treue und Redlichkeit schienen ihm angeboren. In seinem ganzen Wesen war etwas Edles und Gebildetes, und die normannischen Barone, wie die vornehmsten Spanier und Spanierinnen, die sich entsetzt hätten Mauren und Araber zu heirathen, fanden kein Bedenken darin mit den Männern und Frauen der Wandschen in Ehebündnisse zu treten.

Zwei Charakterzüge aber wurden der alten Canarier Unglück. Sie waren die arglose Offenheit und Gutmüthigkeit selbst; hundertmal betrogen, vertrauten immer sie aufs neue. Ihr noch schlimmerer Fehler lag in dem inneren Widerstand ihrer Natur gegen die Forderung, sich zusammenzuschließen und zu handeln und Krieg zu führen nach der Leitung eines Plans und Oberhauptes. Unbesieglich war der Eigensinn von Mann und Stamm. Ich habe bereits darauf hingewiesen, wie die Natur des Landes, welches aus Bergen und tief eingesenkten Thälern und Schluchten besteht, die rings von Riffen und vulkanischer Wüstenei umgeben sind, die Zertheilung begünstigte.

Dennoch widerstanden sie mit ihren einfachen Waffen allen Angriffen. Ihre angeborne Tapferkeit und Klugheit besiegte die Vortheile, welche ihren Feinden Reiterei und Kanonen und die Taktik geschulter Heere brachte.

Nachdem sie von der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts an vereinzelte Angriffe von Europäern stets siegreich abgewiesen hatten, bekamen sie mit dem Anfang des nächsten Jahrhunderts mit geordneten Heeren zu thun. Jedoch erst im fünften Jahr eines mörderischen Kampfes gelingt es den Franzosen und Spaniern, die beiden Afrika nächsten Inseln nebst dem kleinen Ferro zu unterwerfen. Behaupten aber können sie sich nur, indem sie planmäßig die Ortschaften entvölkern. Die nächsten fünfzig Jahre wagt man an die Eroberung der drei Hauptinseln, wo die Kraft des Volkes wohnte, nicht zu denken, nur ein oder anderer fester Punkt soll gewonnen werden. Vergebens: die Wandschen schlagen jeden Angriff zurück. Endlich fällt den Spaniern die kleine Insel Gomera in die Hände, die wie ein einziger Felsberg neben Teneriffa steht, nur ein paar Stunden von da entfernt. Aber umsonst bieten sie jetzt ein Jahr nach dem andern ihre Macht und Tücke und Grausamkeit auf, sich auf den andern Inseln festzusetzen. Noch weniger als Spanier vermögen Portugiesen auszurichten. Dann schicken die Spanier größere Heere: von 1470 bis 1483 wüthet der Krieg auf Gran Canaria, bis hier nach heldenmüthigstem Kampfe das Volk gebrochen ist. Im Jahr 1491 wird Palma erobert und jetzt von allen Inseln mit gesammter Macht der Angriff auf Teneriffa vorbereitet. Endlich im April 1493 geschieht die Landung, aber der Widerstand der Tapfern ist nicht zu bezwingen. Wiederholt verzweifeln die Spanier und verlassen die Insel wieder. Zuletzt kommen ihnen zu Hülfe Pest und Hunger, welche die Eingeborenen dahin raffen, die Folgen übermenschlicher Anstrengungen. Im September 1496 unterwerfen sich die letzten freien Fürsten.

Im Beginn und Verlauf und Schluß sind all diese Eroberungskriege gegen die Wandschen ganz ähnlich den Sachsenkriegen Karls des Großen, ähnlich auch in den Zwischenfällen. Der Kampf tobt stets nur auf einer Insel allein, und auch hier haben die Spanier immer bloß mit einem Theile des Volks, das in der Nähe wohnt, zu thun. Dringen sie weiter vor, so steht gewöhnlich ein großer Häuptling auf, dessen glühendes Reden und Drängen mehrere Stämme zusammenbringt. Dann werden die Eroberer auf allen Punkten geschlagen.

Bei Nachlassen der Volkserhebung dringen sie aus ihren festen Orten an der Küste wieder vor und rächen sich mörderisch. Dann wüthen Eigensinn und Zwietracht unter den Wandschen. Ein Theil läßt sich mit den Spaniern ein und hört auf ihre schmeichelnden Anerbietungen: sie sollen durchaus ebenbürtige Verbündete sein, bloß Unterthanen des gemeinsamen Königs. Es entspinnen sich Verhandlungen mit ehrgeizigen Häuptlingen und Liebeshändel mit den Töchtern des Landes, von deren Schönheit und Anmuth jeder Europäer entzückt war. Irgendeine Treulosigkeit reißt plötzlich wieder einen Theil der freien Männer zum ungestümen Aufstande fort: grimmig fallen ihre Schläge.

Besiegt werden schließlich auf allen Inseln die Wandschen nur durch ihr eigenes Volk, indem einzelne Stämme und Fürsten gemeinsame Sache mit dem Eroberer machen, wiederholt ihn vom Untergange retten, und durch ihre Treue Kraft und Landeskenntniß den Ausschlag geben.

Ist alles verloren, so flüchten die Kühnsten in unzugängliche Berge und Waldungen, führen dort das Leben von Verbannten, und werden Jahre lang wie Wild gehetzt, bis die Tapfersten im Hunger und Elend verenden.

Der Rest aber des Nationalgeistes und der Freiheitsliebe wird unter den Wandschen gebrochen und ausgemerzt durch die Inquisition. So stolz und aufrecht dieser Geist der Unabhängigkeit stand, so tückisch und grausam vereinigte die spanische Inquisition all ihre fürchterlichen Mittel, um ihn gründlich auszurotten. Araber Türken und Spanier, so ritterlich und ehrenhaft die Einzelnen auftreten, haben sich niemals einen Augenblick bedacht, jede List und Tücke und die furchtbarsten Mittel anzuwenden, um Gegner ihrer Herrschaft zu verderben.

Als Gomera beinahe fünfzig Jahre lang von den Spaniern besetzt und beherrscht war, wollte sich noch immer der Freiheitssinn seiner Bewohner nicht zur Ruhe geben. Schaaren von Gesetzlosen horsteten wie die Adler auf unzugänglichem Gebirg und trugen Schrecken in die spanischen Ansiedlungen. Durch gewaltthätiges Wesen machte sich besonders verhaßt der Fürst der Insel, Hernandez Perraza, den die Spanier ob seiner Kühnheit Stärke und Stattlichkeit ihren Cid nannten. Als er im Jahr 1488 auf seiner Burg bei San Sebastian berannt wurde, kam ihm Vera, der Eroberer von Gran Canaria zu Hülfe, vertrieb und verfolgte die Wandschen, erschlug was sich greifen ließ, und schleppte zuletzt zweihundert Männer und Weiber in die Sklaverei. In allen Dörfern auf Gomera schrie das Volk nach Rache. Auf einem wogenumschäumten Fels im Meer kamen die Verschwornen heimlich zusammen und beredeten das Werk der Befreiung. Hernandez wollte die schöne Iballa verführen, sie mußte ihm ein Stelldichein geben, und an einem dunkeln Herbsttage ritt er, von drei Pagen begleitet, zur Grotte von Wandschen, wo er die Geliebte traf. Angeführt von ihrem Vetter Hantacuperche umzingelten Wandschen die Grotte, überfielen die Pagen, und als der Cid mit Schild und Schwert hervorstürzte, traf ihn der Speer von Iballa's Vetter, der sich über dem Eingang aufgestellt hatte, ins Genick daß er todt niederfiel. Jetzt erhob sich fast die ganze Insel. Hernandez' Wittwe, Beatrix v. Bobadilla, flüchtete mit den Treugebliebenen ins Kastell, der erste Ansturm wurde abgeschlagen. Hantacuperche selbst fiel im Gefechte. Zum zweitenmal segelte Vera heran. Die Wandschen zogen sich in ihre Verhaue auf dem Berg Waronache zurück. Der Spanier verkündigte Waffenstillstand, und verhieß allen, die zu des Cid Begräbniß kommen würden, feierlich Frieden und Verzeihung. Vertrauensvoll kam eine Menge Volkes zur Kirche. Aber während des Gottesdienstes schlossen sich die Thüren, Soldaten drangen ein, ergriffen und fesselten die Vornehmsten und trieben die Uebrigen in den Burghof. Zu derselben Stunde war Vera mit 400 Soldaten aufgebrochen, erstürmte das Wandschen-Lager im Gebirge, trieb was sich von der Bevölkerung erreichen ließ, zusammen und vor sich her in den Burghof. Dann gingen die Henker ans Werk. Die Hauptschuldigen wurden über die Straßen geschleift, gehängt, oder Arme und Beine ihnen abgehauen, alles was in der Landschaft Anaga wohnte und mehr als fünfzehn Jahre alt war, erschlagen, fast das ganze Volk der Umgegend auf die Schiffe gebracht und in die Sklaverei verkauft. Gomera war entvölkert, seine Beherrscher hatten fortan Ruhe.

Noch lange aber schwelgte Beatrix v. Bobadilla in blutiger Rache, dann vermählte sie sich wieder mit Alonso de Lugo, demselben der später Palma und Teneriffa eroberte. Nur ganz kurz will ich die Eroberung von Teneriffa schildern, weil sich dabei am besten Wesen und Charakter der Wandschen abgespielt.


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