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Siebenundzwanzigster Brief.
Usbek an Nessir in Ispahan.

Wir befinden uns gegenwärtig in Paris, dieser stolzen Rivalin der Sonnenstadt Ispahan (d. h. die Pferdestadt, was die richtigere Bezeichnung sein würde)..

Bei meiner Abreise von Smyrna beauftragte ich meinen Freund Ibben, Dir eine Kiste zukommen zu lassen, in welcher einige Geschenke für Dich enthalten waren. Auf demselben Wege erhältst Du diesen Brief. Trotz einer Entfernung von fünf- oder sechshundert Meilen tausche ich gerade so leicht mit ihm die beiderseitigen Neuigkeiten aus, als wäre er in Ispahan und ich in Kom. Ich sende meine Briefe nach Marseille, wo es beständige Schiffsverbindung mit Smyrna giebt. Von da schickt er die nach Persien bestimmten mit den Armenierkarawanen weiter, welche täglich nach Ispahan abgehen.

Rica erfreut sich vortrefflicher Gesundheit. Seine kräftige Konstitution, seine Jugend und seine natürliche Heiterkeit helfen ihm über alle Schwierigkeiten.

Von mir dagegen kann ich nicht sagen, daß ich mich wohl befinde. Ich bin niedergedrückt an Leib und Seele und hänge Grübeleien nach, die mit jedem Tage trauriger werden. Meine angegriffene Gesundheit disponiert mich zum Heimweh und macht mir dies Land hier noch fremder.

Aber ich beschwöre Dich, lieber Nessir, halte meinen Zustand vor meinen Frauen geheim. Wenn sie mich lieben, so wünsche ich ihnen die Thränen zu ersparen; lieben sie mich aber nicht, so will ich ihrer Dreistigkeit keine Nahrung geben.

Wenn meine Verschnittenen meinen Zustand für gefährlich hielten und hoffen dürften, sich ungestraft eine schwächliche Willfährigkeit erlauben zu können, so würden sie bald aufhören, taub gegen die Schmeichelreden dieses Geschlechtes zu sein, welches sich die Felsen dienstbar zu machen und die leblosen Dinge zu bewegen versteht.

Lebewohl, Nessir; es freut mich, Dir mein Vertrauen bezeigen zu können.

Paris, am 5. des Mondes Chahban, 1712.



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