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Fünfzehntes Kapitel

Eine Hochzeit. Mehrere Bekanntschaften. Herr von Brinck.

Die Hochzeit dieses sich liebenden Paares wurde bald festsetzt. Der alte Herr von Hahn, der seine älteste Tochter vorzüglich liebte, dem diese Heirat die größte Freude war und der Festlichkeiten gern hatte, wollte alles anwenden, auf daß es recht fröhlich und festlich bei der Heirat seines Lieblinges zuginge. Eine auserlesene Gesellschaft sollte acht Tage in seinem Hause fröhlich sein! Freundschaftliche Geselligkeit sollte die Herzen der Alten, Tanz und frohe jugendliche Spiele sollten die muntere Jugend erfreuen. Der redliche Mann erreichte auch völlig seine Absicht!

Über ein Vierteljahrhundert ist seitdem entflohen! Schon weht hohes Gras über die Grabstätte der mehresten derer, die da durch herzliche Freude vereint waren, und noch wachen angenehme Erinnerungen in uns Übriggebliebenen auf, wenn wir der acht fröhlichen Tage denken, die wir in diesem Hause genossen, wo heitere Geselligkeit, mit fröhlichem Wohlwollen vermischt, einheimisch waren. Die heutige Art, sich gedankenlos allen sinnlichen Freuden zu überlassen, von einem rauschenden Vergnügen zum anderen hinüberzutaumeln, ohne den Geist dabei edel zu beschäftigen, wird in der heutigen Jugend keine solche Erinnerungen in der Folge des Lebens hervorrufen, die den Glauben an edle Menschheit und beseligende Tugend aufrecht erhalten, wenn man im Gewühle der großen Welt, unter kalten Egoisten und anmutsvollen, leichtsinnigen Genießern des Lebens, in Gefahr steht, den Glauben an stille, tätige, sanftbeseligende Tugend zu verlieren. Oft wenn der Geist der Gegenwart, der edlen Frohsinn und weise Gefälligkeit erstickt, mich niederdrückt, dann denke ich an die reinen, schuldlosen Freuden unserer Jugend, die noch einen stillen Schatz edeln Lebensgenusses im Innern einer Seele unter manchem harten Drucke des äußeren Schicksals erhielten, und ich möchte unserer egoistischen Jugend dann Gleims Verse bei ihren grundsatzlosen Vergnügungen zurufen:

»Tugend und Freude sind ewig verwandt
Es knüpfet sie beide ein himmlisches Band.«

Wer Selbstbeherrschung und inneres Streben nach zweckmäßigen Vollkommenheiten von seinen Genüssen trennt, bereitet sich nur Leiden und ein drückendes Alter. Die echte Freude ist eine so zarte Blume, daß nur eine sanfte Hand sie mit Vorsicht brechen muß, wenn sie nicht entblättert werden soll, ohne wohltätigen Duft um sich her zu verbreiten.

Doch ich kehre wieder in das Hochzeitshaus zurück. Wir kannten die Verwandten des Bräutigams nicht, hatten aber von der Schönheit und dem liebenswürdigen Wesen der jüngeren Schwester des Bräutigams viel gehört. Herr von Brinck aus Rönnen, ein Zögling Schwanders, ein Busenfreund des Bräutigams, der ihn gerne als Schwager geliebt hätte, war unstreitig der interessanteste junge Mann unseres Vaterlandes. Er lebte als stiller Weiser auf seinem schönen Landgute. In öffentlichen Angelegenheiten unseres kleinen Freistaats hatte er nächst Schwander den größten Einfluß. Mit Freude, Liebe und Stolz sprach Schwander von diesem geliebten Zöglinge, den auch mein Vater innig liebte und ehrte. Ich hatte Herrn von Brinck im Hause meiner Großmutter als Kind einige Male gesehen, aber der Ruf seines Verstandes hielt mich da immer von ihm in ehrfurchtsvoller Entfernung, und seit ich in der großen Welt erschien, hatte Brinck sein stilles Landgut nicht verlassen. Wenn ich von Brinck seinem Verstande, dann vom Geiste, von der Liebenswürdigkeit und der Anmut des jüngsten Fräuleins von Schlippenbach mit dem Zusatze sprechen hörte, dies wäre eine Frau für Brinck, dann schmerzte mich es im Stillen, daß keiner mich dessen wert hielt, die Gattin eines so allgemein verehrten jungen Mannes zu werden. Brinck gewann, ehe ich ihn wiedergesehen hatte, ohne daß seine Gestalt mir recht erinnerlich war, dadurch ein neues Interesse für mich, daß man sagte, dieser junge Mann sei durch Enthaltsamkeit so kränklich. Er habe seine Seele seit früher Jugend durch hohe Ideale von männlicher Tugend im weitesten Umfange genährt. Plato, Sokrates wären unter Schwanders Leitung seit seinem zehnten Jahre seine Lieblingsweisen, Plutarch sein liebster historischer Schriftsteller gewesen; die besten lateinischen und griechischen Dichter hätten zeitig seine glühende Einbildungskraft entflammt. Und nun wären die besten englischen, deutschen, französischen und italienischen Schriftsteller seine liebste Gesellschaft. So sei unter anderen auch der schwärmerische Gedanke in ihm entstanden, nur seine künftige Gattin liebend zu umarmen, weil er sich auch hierüber ein strenges System von Pflicht gemacht habe. Noch hätten seine Freunde und Verwandten ihn nicht zur Heirat bestimmen können. Brinck lebe als Philosoph in Geschäften des Vaterlandes; aber seine Gesundheit litte sehr durch das Studieren des vollblütigen sechsundzwanzigjährigen Mannes, dem seine Freunde nun Fräulein Schlippenbach zudachten.

Der Tag, an welchem alle Hochzeitsgäste erwartet wurden, den erwartete auch ich im Stillen mit Sehnsucht und dem Gedanken: »Ach, wenn Brinck mich doch lieben würde, wie Schlippenbach seine Braut liebt!« Alles, was meine Stiefmutter mir auch von dem Glücke, der Freude und der Ehre sagte, viele Eroberungen zu machen, schien in dieser Stimmung doch nichts gegen das stille Glück zweier sich innig liebender Menschen zu sein, die auf immer verbunden würden. Ich durchlief in meinen Gedanken alle meine Bekannten und fragte mich da, wen ich wohl so lieben könnte, wie ich sah, daß unsere Braut ihren Schlippenbach liebte, und nur Brinck, dessen Gestalt ich mir nicht einmal zu erinnern wußte, schien mir wünschenswert. Als der erste Abend zu Ende lief, an welchem alle Hochzeitsgäste mit Pauken und Trompeten empfangen waren, Tanz, Spiel und angenehme Unterhaltung der Zeit Flügel gegeben hatten, da fühlte ich, daß die hagere, bleiche, doch interessante Gestalt des jungen Mannes, dessen Umgang alle mit Vergnügen suchten, mir immer gegenwärtig war. Seine großen, sprechenden dunkelblauen Augen mit langen, schwarzen Wimpern, seine schöngezeichneten, dunklen Augenbrauen schienen über sein bleiches, hageres Gesicht eine himmlische Glorie zu gießen. In allen seinen Zügen war Ebenmaß, nur Fülle der Gesundheit fehlte dieser interessanten Gestalt, die durch seelenvollen Ausdruck mehr noch dem Herzen, als den Augen gefiel. Ein sanfter, doch fester Ton der Stimme machte, daß man ihn gerne sprechen hörte, wenn es auch nicht zu unterscheiden war, was er sagte. Wenn er sprach, so gewann sein Gesicht hohe Anmut! Das Feuer seiner schönen Augen verdoppelte sich, und die Milde seines feingezeichneten Mundes bekam bisweilen einen interessanten, satirischen Zug, wenn sein treffender Witz eine Torheit rügte. Nächst dieser ätherisch interessanten Gestalt konnte ich das Bild des schönen, blühenden Fräulein von Schlippenbach nicht los werden. Sie war vier Jahre älter als ich, und schien mir sehr schön; sie tanzte gut, war lebhaft, spielte fertig Klavier und sprach noch obendrein Englisch und Italienisch. Es schien mir unmöglich, daß sie Brinck nicht gefallen sollte! Doch hatte ich zu meiner Zufriedenheit nicht bemerkt, daß Brinck sie ausgezeichnet habe. Vorzüglich unterhielt er sich mit der Braut, meiner Stiefmutter und den interessantesten Männern. Er tanzte seines Blutspeiens wegen wenig. Ich wurde wieder bald unter allen die Lieblingspuppe; nur der, von welchem ich ausgezeichnet zu werden wünschte, gab mir auch nicht den kleinsten Vorzug. Doch daß auch Fräulein Schlippenbach ebenso wenig seines Umganges genoß, war mir Beruhigung. Sie wurde ihm an der Tafel immer zur Nebensitzerin zugesellt; aber nie richtete Brinck das Gespräch vorzüglich an sie. Meine Schwester, die nur neun Jahre alt war, beschäftigte ihn mehr; und als Fräulein Schlippenbach sich einst auf dem Klavier mit vielem Beifall hören ließ, führte Brinck meine Schwester nach einer Weile zum Klavier und bat, daß sie spielen und singen möge; sie tat beides mit Anmut, erntete lauten Beifall ein, und Brinck hatte sich dadurch bei meiner Stiefmutter empfohlen. Auch als Solotänzerin glänzte die kleine Grazie in dieser Gesellschaft, und zum ersten Male machte ich die Erfahrung, daß ein interessanter junger Mann einige Tage mit mir zusammen war, ohne vorzügliche Notiz von mir zu nehmen. Selbst meine Stiefmutter begriff es nicht, daß Brinck mich so wenig zu bemerken schien, ebenso wenig Notiz von Fräulein Schlippenbach und vom schönen Lottchen Hahn nahm! Nur den Umgang der Braut suchte er, und als meine Stiefmutter ihm einstens sagte, daß Schlippenbach eifersüchtig über ihn werden könne, erwiderte er: »Ich freue mich der Wahl meines Freundes, die ihm dauerndes Glück verspricht, und wünsche mir einst eine ähnliche Lebensgefährtin. Das stille bescheidene Verdienst des ältesten Fräuleins von Hahn hat ihr schon alle Herzen ihrer neuen Verwandten zu eigen gemacht. Ihr verbindliches Wesen und ihr heller Verstand sind gleich anspruchslos. Man fühlt es, daß sie nicht zu gefallen strebt, nur Wohlbehagen um sich her zu verbreiten sucht. Ihre Seele ist mit Kenntnissen geschmückt, nicht um zu glänzen, sondern um sich selbst genug und ihren Freunden alles zu sein!« Diese Bemerkung von Brinck machte tiefen Eindruck auf mich! Die Pockengruben der Braut beneidete ich nun! Sie selbst wurde mir interessanter, als vormals; ich suchte ihren Umgang mehr, um zu bemerken, wodurch sie Herzen anzog, und Schwanders Regel, mehr sein als scheinen, drückte sich mir durch das, was Brinck gesagt hatte, noch tiefer ein. Auf meine Stiefmutter wirkte diese Bemerkung anders. Brinck hieß nun ein drückender, geistvoller Pedant, der nur in idealischen Sphären schwebt, und dessen Gattin sehr zu bedauern sein würde, wenn sie noch nicht allen Freuden der Welt abgestorben sei. Auch nannte sie ihn oft das wandelnde, leibliche Gespenst, den Geist unter den Menschen! Sie sprach nun oft von Taube, um, wenn wir unter uns waren, zu beweisen, daß man bei vielem Verstand doch vor dem dreißigsten Jahre nicht ein den Freuden der Welt abgestorbener Mann sein dürfe, um durch Verstand zu glänzen! Dann hieß sie Brinck in unseren vertrauten Gesprächen Schwanders Karikatur, doch alles dies vermochte nicht, mich von dem Gefühle zu entfernen, daß Brinck der interessanteste junge Mann sei, der mir noch vorgekommen wäre. Nur den letzten Mittag, als die Gesellschaft in ihrem fröhlichen Kreise beieinander blieb, hatte ich den Genuß, an der Tafel Brincks Nachbarin zu sein. Nie hatte ich mich interessanter unterhalten gefühlt, und wenn sein forschender Blick mit Wohlwollen auf mir ruhte, dann wurde meinem Herzen Wohl, aber ich hatte nicht die Kraft, ihn mit der fröhlichen Heiterkeit anzublicken, wie ich Taube ansah, wenn wir miteinander sprachen. Eine Stunde vor unserer allerseitigen Abreise wurde in unserem jugendlichen Kreise über den Schmerz der Trennung von Freunden, über die Gabe, sich diese in der Entfernung zu vergegenwärtigen, gesprochen. Man gab sich Blümchen zum Andenken dieser Stunde und versprach sich es, ihrer eingedenk zu sein.


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